Der Mensch – Seitenzweig oder Sinnmitte der Evolution

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 15

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Ich habe das heute genannt, wieder als Frage, wie so häufig: „Der Mensch – Seitenzweig oder Sinnmitte der Evolution, zum Problem des Anthropozentrismus“. Ich will das zunächst erläutern. Das sind ja genau genommen zwei verschiedene Themen, die hier drinstecken, obwohl sie sich in der ersten Lesart als eng miteinander verbunden zeigen. Zum einen ist es das Problem des Anthropozentrismus, das man wie folgt beschreiben könnte, meistens ja in einer eher kritischen Form, so und nicht anders genannt: Anthropos ist der Mensch, und Anthropozentrismus ist einfach eine Grundhaltung, eine Haltung zur Welt, zur Erde, zum Kosmos, zum Universum, die davon ausgeht, dass der Mensch, jetzt kollektiv verstanden, nicht der einzelne Mensch, sondern die Gattung Mensch, die Menschheit, sich als zentral betrachtet.

Das muss nicht bedeuten, im Sinne des antiken oder mittelalterlichen Geozentrismus, dass nun der Mensch sich buchstäblich, gleichsam kosmisch-topographisch, im Mittelpunkt des Kosmos wähnt. Das heißt nur, dass der Mensch in seinem Lebensvollzug mehr oder weniger sich zentral setzt, und der Vorwurf des Anthropozentrismus gegen die gesamte moderne Kultur, seit 15, 20 Jahren immer wieder aus Ökologenkreisen erhoben, meint eben dies ‒ also eine im Grunde illegitime, letztlich gegen das Leben und gegen die Erde gerichtete Absolutsetzung der menschlichen Position, der menschlichen Gemeinschaft, der menschlichen Ichhaftigkeit. Darum geht es, also eine Kritik daran. Das haben ja die Feministinnen, Öko-Feministinnen dann in den letzten Jahrzehnten noch zugespitzt, in gewisser Weise diesem Gedanken dadurch auch eine andere Stoßrichtung gegeben, indem sie vom Androzentrismus gesprochen haben. Also diese angebliche Zentrierung auf den Menschen sei im Grunde genommen die Zentrierung auf den Mann, also Androzentrismus, der Mann, der weiße westliche Mann, der im Mittelpunkt der Geschichte stünde und der in gewisser Weise auch als Grund und Urbild von Geist betrachtet wird. Das hat sich etwas beruhigt in den letzten Jahren. Es gab mal eine heftige Diskussion darüber, 70er, 80er Jahre, in den 90er Jahren ist das eigentlich in gewisser Weise moderat verlaufen. Die schrillen, die heftigen Töne in der Richtung haben sich weitgehend erst einmal aufgelöst aus einer ganzen Reihe von Gründen. Das ist das eine Thema, also eher eine kritische Untersuchung. Was ist dieser Anthropozentrismus? Wie kann man den neu denken? [Wie] muss [man] ihn vielleicht auch neu denken?

Und die zweite Frage, die ja nicht damit identisch ist, wiewohl miteinander verzahnt, ist die Frage: Ist der Mensch, das menschliche Wesen, wie wir das kennen, also primär der Erdenmensch, an dem wir empirisch Kunde haben, von anderen Gestirnen können wir im Moment nichts sagen, also der empirische Erdenmensch, ist der in irgendeiner Form die Sinnmitte, wie ich das genannt habe, vielleicht sogar das Telos, das Ziel einer wie immer gearteten kosmischen Evolution, vielleicht gar gesamtkosmisch, aber auf jeden Fall in dieser kosmischen Zone oder Region. Also, zielt die Evolution auf den Menschen hin? Ist er in gewisser Weise angelegt in der Evolution, oder hat er sich durch den ominösen Zufall, wie immer, herausgebildet, herauskristallisiert: Er ist einfach da, staunt über sich selber und sinnt nun darüber nach, wie er in diese merkwürdige Welt hineingeraten ist.

Das sind ja die beiden Extrempositionen, die man vertreten kann. Man kann sagen, der Mensch ist einfach ein Zufallsprodukt, keiner weiß, wie es geschah, es ist oder muss offenbar geschehen sein. Er ist extrem unwahrscheinlich. Mathematiker haben sich das ja nicht nehmen lassen, das auch auszurechnen, wie extrem unwahrscheinlich der Mensch ist, wie extrem unwahrscheinlich überhaupt organisches Leben ist. Nicht, man hat ja Berechnungen angestellt, schon im 19. Jahrhundert, zum Teil ja kuriose und eher heitere Überlegungen, etwa dergestalt ‒ ich habe das in früheren Semestern auch schon mal erwähnt, ‒ dass man im 19. Jahrhundert gesagt hat, Huxley, der berühmte Biologe, war da führend: Wenn man einer Horde Affen für ein paar Millionen Jahre Schreibmaschinen zur Verfügung stellt, dann würden die irgendwann die Sonette Shakespeares, überhaupt das gesamte Werk Shakespeares in ihrer Maschine haben. Also, das hat immer viel Heiterkeit ausgelöst. Es gibt ähnliche Überlegungen, mit anderen Worten: Gib dem Zufall ein möglichst großes Wirkungsfeld, und irgendwann landest du bei einem intelligenten Menschen. Natürlich muss man unterstellen, diese Schreibmaschinen oder heute ihre Äquivalente, halten dementsprechend lange und die Affen auch. Also, auf jeden Fall eine letztlich ja monströse Fantasie, die man aber heranziehen kann, um einmal deutlich zu machen, was es bedeutet, wenn man mal ganz stringent vom Zufall ausgeht. Ich will dazu nachher noch einiges sagen, was [es] überhaupt mit dem merkwürdigen Begriff Zufall und seiner rätselhaften Karriere auf sich hat. Also, um diese Fragen soll es heute Abend gehen. Ich will das versuchen darzustellen.

Punkt eins ‒ Anthropozentrismus. Geschichtlich gesehen ist es ja so gewesen, dass der Mensch, die Menschheit, jetzt mal der kollektive Mensch, sich über ganz lange Zeiten hinweg empfunden hat als im Mittelpunkt eines kugelförmig gedachten Kosmos stehend ‒ Stichwort Geo-Zentrismus. Also eine Fixierung auf die kosmische Mitte, wobei man noch präzisierend sagen muss, dass der Mensch im geozentrischen Weltbild, in der Antike, aber auch bis in die frühe Neuzeit, nicht buchstäblich topographisch im Mittelpunkt stand, sondern buchstäblich topographisch im Mittelpunkt steht der Teufel, jedenfalls in der mittelalterlichen Kosmologie, siehe Dantes „Divina Commedia“: Der Mittelpunkt der Welt ist der Teufel. Der Mensch ist in einer mittleren Position zwischen dem Teufel im Mittelpunkt des gesamten Kosmos und der Fixstern-Sphäre ganz weit da draußen, aber letztlich berechenbar weit, und was dahinter kam, war ein nicht-Sagbares, ein anderer, ein göttlicher Raum, der ‚unbewegte Beweger‘, wie das Aristoteles sagte. Also, das hat dem Menschen erst einmal eine Mittelpunktposition per se verschafft. Also Geo-Zentrismus war in gewisser Weise bezogen auf den Menschen, Kosmozentrismus des Menschen. Der Mensch ist das Mittelpunktwesen in gewisser Weise des Kosmos, wie gesagt, nicht kosmisch-topographisch. Das ist das eine.

In der Nachfolge der kopernikanischen Revolution hat sich ja die Position des Menschen radikal verschoben, und die Frage wurde neu und anders gestellt: Wie ist denn der Mensch zu verstehen in diesem ungeheuer entgrenzten Kosmos? Wie sieht es denn da mit seiner möglichen Mittelpunktstellung, mit seiner zentralen Stellung überhaupt aus?

Anthropozentrismus meint eigentlich, so jedenfalls ist es in der Ökologiekritik immer wieder gesagt worden, also in der von der Ökologie vorgetragenen Kritik, Gattungsegoismus des Menschen, also Anthropozentrismus als Gattungsegoismus. Der Mensch setzt sich einzigartig, im Grunde in seiner innersten Essenz als vollkommen außerhalb der kosmischen natürlichen Zusammenhänge stehend. Er bestimmt seine eigentliche Würde, seine geistige Potenz nicht durch seinen Naturbezug, sondern er definiert ihn gerade gegen die Natur, häufig genug auch gegen den Kosmos, in diesem Sinne also a-kosmisch, manchmal sogar anti-kosmisch. Das kann man in der Geistesgeschichte ganz gut nachvollziehen. Das kann man in ersten Ansätzen, wenn man das so will, bei Sokrates feststellen, im Platonismus in Teilen, dann im Mittelalter, und in der Neuzeit ist das ein Element, das sich durch die Geschichte zieht: der Mensch als ein zentrales Wesen in dieser Schöpfung, letztlich als die Krone der Schöpfung, als das krönende letzte Stück, zugleich aber als etwas zutiefst Erlösungsfähiges und der Erlösungsbedürftiges.

Nun haben die Kritiker der Entwicklung, die dann zur ökologischen Krise geführt hat, mit einigem Recht immer wieder darauf verwiesen, dass ein wesentlicher Faktor des heraufziehenden ökologischen Desasters genau darin erst einmal besteht, dass sich der Mensch auf diese Weise abgekoppelt hat, dass er sich abgespalten hat von Natur, Erde und Kosmos. Das ist der erste Schritt. Man hat dagegen dann eine andere Position gesetzt, die verschieden genannt wurde. Manchmal hat man sie dann mit einem Begriff, der fragwürdig ist, aber den man nehmen kann, als Kosmozentrismus bezeichnet. Sie erinnern sich vielleicht, ich habe ihnen, glaube ich in der letzten Woche ja, aus dem neuesten Buch von Capra eine Stelle vorgelesen, wo er von der Ökologie, der herkömmlichen Ökologie und von der herrschenden Bewusstseinsverfassung überhaupt sagt, sie sei anthropozentrisch. Die Tiefen-Ökologie dagegen sagt er, in seiner Sichtweise, Tiefen-Ökologie, die ich ja eher kritisiere, wie sie wissen, die Tiefen-Ökologie dagegen, sie sieht weder den Menschen noch irgendetwas anderes von der natürlichen Umwelt getrennt. Das heißt dann in der modernen, von der Systemtheorie beeinflussten Sprache: Der Mensch ist ein Strang im großen Öko-Netzwerk. Das ist ja die These, die immer wieder aufs Neue vertreten wird.

Das hat zu einer ganzen Reihe von Gegenbewegungen geführt, zu harscher Kritik, unter anderem von Johannes Heinrichs in der „Öko-Logik“, das habe ich erwähnt und auch bei Ken Wilbers „Kurze Geschichte des Kosmos“. Ich selber habe in meinem Buch „Was die Erde will“ auch eine ganze Reihe von Argumenten dagegen vorgetragen; unter anderem das Argument, dass die Geistnatur des Menschen und seine, die Einheit und Ganzheit von Leib, Seele, Geist niemals aufgehen kann, restlos aufgehen kann, in ein wie immer geartetes Öko-Netzwerk, dass der Mensch als Mensch, als diese Leib-Geist-Seele-Einheit, immer jedes nur denkbare Ökosystem transzendiert oder übersteigt. Ich habe in „Was die Erde will“ eine Passage zitiert von Johannes Heinrichs, wo er sich ausspricht gegen die Frage des …, gegen die Gleichsetzung einer ökologischen Wende mit einer Kritik am Anthropozentrismus. Heinrichs vertritt folgende These, das will ich mal kurz vorlesen, ich habe das hier zitiert aus der „Öko-Logik“. Zitat Johannes Heinrichs:

„Wenn unter Kosmos und Natur der physikalisch-biologische Wirkzusammenhang im modernen, naturwissenschaftlich geprägten Verständnis, das heißt im Sinne eines zunehmend methodischen Materialismus, verstanden wird, dann lässt sich nur sagen:“ ‒ und das hebt er kursiv hervor in seinem Buch ‒ „Der Mensch ist nicht Teil eines derartigen rein materiellen Kosmos oder Universums,“ ‒ der Mensch ist nicht Teil eines derartigen rein materiellen Kosmos oder Universums ‒ „mag er als Körperwesen in einem solchen verwurzelt sein, sofern es ein rein materielles Universum geben sollte, diesem teilweise als Körper angehören. Als selbstbewusstes Zentrum ist der Mensch nicht dessen Teil noch Teil von irgendetwas sonst. Mit der simplen Teilvorstellung lässt sich ein tiefenökologisches im Sinne eines neuen kosmischen Bewusstseins nicht grundlegen. Diese Vorstellung taugt heute für populäre ökologische Predigten, wie man weiß.“ Der Mensch als Teil der Natur muss sich in die Natur einfügen, in das große Öko-Netzwerk, das ist ja Standard in fast allen ökologischen Predigten, wie hier Heinrich schreibt. „Doch sie ist zu einseitig für einen ernsthaften Paradigmawechsel. Wer den Menschen schlechthin zum Teil eines materiellen Universums macht, hat das Spezifische von ihm nicht begriffen als Ich- oder Selbstbewusstsein. Ein wunderliches Faktum, worüber man nicht genug nachdenken kann: Ist der Mensch wohl Glied und Mitglied eines geistig-seelischen Universums, aber, oder modo omnia, wie es in der aristotelischen Tradition heißt, in gewisser Weise Alles, das Ganze. Das ist aber etwas ganz anderes als ein quantitatives Teil sein.“

Das heißt, natürlich ist der Mensch als physisches Wesen, das er auch ist, Teil der physisch-sinnlichen Natur. Natürlich ist der Mensch als Bios-Wesen, das er ja auch ist, Teil der biologischen Natur. Das ist gar keine Frage. Aber der Mensch in seiner Ganzheit und Einheit, als die rätselhafte Einheit von Leib, Seele, Geist ist immer mehr. Ich habe Geist verschiedentlich hier definiert als für die gesamte Natur, für den Kosmos konstituierend. Ich will das nicht noch mal hier ausführen. Ich habe das ja auch verschiedentlich gesagt, dass ich glaube, dass eine wie immer geartete Naturerkenntnis nur dann möglich ist, wenn man davon ausgeht, dass so etwas wie objektiver Geist, um diesen Begriff von Hegel mal zu nehmen, in der Natur tatsächlich vorhanden ist. Ganz zu schweigen davon, dass der Mensch natürlich die Möglichkeit hat, in einem ja auch erschreckenden Maße, sich innere Räume zu erschließen, innere Räume, die nie und nimmer mit dem physisch-sinnlichen Raum, mit den Anschauungsraum zur Deckung zu bringen sind, also in gewisser Weise vor allen Cyberspace-Welten der Gegenwart hat er immer schon, soweit wir das zurückverfolgen können, die Möglichkeit und die Fähigkeit besessen, innere Räume auszumessen, in inneren Räumen überhaupt zu sein, in gewisser Weise in Innensphären zu sein. Ich lese gerade, deswegen ist das vielleicht ganz aktuell, das neue Buch von Sloterdijk „Sphären I – Blasen“, ein bravouröser Ritt durch die Geistesgeschichte, drei Bände, erster Band hat schon 600 Seiten. Der erste Band ist erst erschienen: „Blasen“, wo er auf eine faszinierende Weise zeigt noch mal, dass der Mensch …, dass es zum Konstituenz des Menschen gehört, in Sphären zu sein, sphairos ist ja die Kugel, also dass der Mensch immer in unsichtbaren oder sichtbaren Sphären denkt und fühlt, dass er innere Sphärenräume sich erschließt, auch in sozialen Gemeinschaften, also angefangen von der Intrauterin-Gemeinschaft von Fötus und Mutter bis hin zu sozialen Gemeinschaften und dann auch kosmologische Vorstellungen, die sich daran anschließen können. Also die Frage: Der Mensch ist ein sphärenbildendes Wesen, nicht, das ist ja fast eine Definition des Menschen und diese Sphären, die inneren Sphären, die Innenräume, gehen eben nicht auf in den äußeren Räumen. Das ist ein ganz wesentlicher, entscheidender Punkt.

In seinem Buch „A Brief History of Everything“, (Eine kurze Geschichte des Kosmos), hat sich auch Ken Wilber sehr scharf zu dieser Frage des Teilseins des Menschen geäußert. Auch er vertritt, wenn auch mit anderer Akzentsetzung, eine These, die ich dann in gewisser Weise pointiert habe, indem ich gesagt habe oder sage – das ruft immer gleich Widerspruch oder Kopfschütteln hervor, wenn man das zunächst hört: Der Mensch ist gar nicht Teil der Natur, sondern die Natur ist Teil des Menschen.

In diesem zaghaft angedeuteten Sinne kann man das erst einmal so stehen lassen. Hier hängt natürlich alles von der Frage ab, denken Sie an die Diskussionen in der letzten Vorlesung …, nach der letzten Vorlesung, … alles von der Frage ab, was wir unter der Natur verstehen. Wenn wir unter Natur von vornherein Kosmos im umfassenden Sinne des Wortes verstehen, als ein Kosmos, der eben materiell, energetisch und seelisch und auch geistig ist, dann ist es richtig. Auf der anderen Seite muss man dann genau sagen, wenn man das nicht meint, was meint man dann? Und meistens wird ja heute das Wort Kosmos, genauso wie das [Wort] Universum, mehr oder weniger unscharf verwendet. Man meint eigentlich mehr oder weniger den physisch-sinnlichen oder auch energetisch verfeinerten Kosmos. Ken Wilber schreibt in diesem Buch – liegt hier vorne aus – „Eine kurze Geschichte des Kosmos“, „A Brief History of Everything“, das ist ein Buch, was in Dialogform zentrale Gedanken seines Hauptwerkes „Sex, Ecology, Spirituality“ darstellt, „Eros, Kosmos, Logos“ auf deutsch.

Frage: Die Tiefenökologen machen viel Aufhebens von diesem tieferen Selbst, diesem öko-noetischen Selbst. Das habe ich schon angedeutet, das will ich noch kurz sagen, damit es verständlich wird. Es gibt in der Tiefen-Ökologie die Vorstellung eines tieferen Selbst, also das separate Ich im Sinne der christlich-rationalen Tradition ist das Eine. Das wird als Fehlentwicklung bezeichnet. Daneben steht ein eco-noetic self, ein öko-noetisches Selbst oder einfach ein ökologisches Selbst, das sich als verbunden fühlt, in gewisser Weise als eins fühlt mit allem Lebendigen. Das kann man dann natürlich auch spirituell interpretieren, etwa im Sinne buddhistischer Überzeugung von der Einheit aller fühlenden Lebewesen, also im Sinne des Bodhisattva-Gelübdes des Mahayana-Buddhismus, was auch geschieht. Manche dieser Tiefen-Ökologen verstehen sich auch als Buddhisten, etwa Joanna Macy, berühmtes Beispiel dafür in Amerika. Also, die Tiefen-Ökologen machen viel Aufhebens von diesem tieferen Selbst, diesem öko-noetischen Selbst. Wilber: „Ja, und was dies betrifft, bin ich sogar ein großer Fan ihrer Arbeit. Sie haben eine wichtige Botschaft für die moderne Welt. Man muss dieses tiefe Selbst auffinden, das die ganze Natur umschließt und aus diesem Verständnis heraus die ganze Natur mit derselben Achtung behandeln, die man auch sich selbst zugutekommen lässt.“ Da stimmt er zu. „Allerdings machen sie nach meiner Meinung einen Fehler, der sie in größte Schwierigkeiten bringt. „Diese Theoretiker reduzieren den Kosmos“, in einem ganz umfassenden Sinne, „auf eine monologische Landkarte des Gesellschaftssystems, das sie meist Gaia nennen, eine Flachland-Landkarte, die die sechs oder sieben tiefgreifenden inneren Transformationen außer Acht lässt, durch die sie überhaupt erst zur Idee eines globalen Systems kommen konnten.“ Das kann ich hier mal so stehen lassen. Das würde eine nähere Darstellung erfordern, die ich hier nicht bringen möchte. „Dies hat zur Folge, dass diese ansonsten wahre und noble Intuition des öko-noetischen Selbst zu einem ,Wir-sind-alle-Stränge-im-großen-Gewebe‘ verflacht. Aber das ist ja gerade nicht die Erfahrung des öko-noetischen Selbst. In der naturmystischen Erfahrung ist man nicht ein Strang im Gewebe, man ist das ganze Gewebe. Man tut etwas, was ein Strang niemals tun kann, man entrinnt seinem Strangsein, transzendiert es und wird eins mit der ganzen Darbietung.“ Ich habe den polemischen Satz mal aufgeschrieben: Die Frösche verstehen die Systemtheorie nicht. Also, ein Lebewesen von der Bewusstseinsstufe eines Frosches, zu schweigen von einer Ameise oder einer Schildkröte, versteht die sehr komplexe Systemtheorie nicht.

Nun sagen die Systemtheoretiker, es versteht sie nicht intellektuell, weil einfach kein rational-ichhaftes Bewusstsein vorliegt, aber es lebt das, es lebt es, es ist also die Inkarnation dieser Zusammenhänge. Das ist richtig und falsch zugleich, weil man bei all diesen Vorstellungen immer sehr genau hinschauen muss.: Was meint man wirklich? Meint man einen ökologischen Zusammenhang? Meint man ein Öko-Netzwerk, was letztlich noch immer jenseits von Ich und Geist und Selbstheit sich befindet? Oder was meint man? Das geht häufig in den Darstellungen heillos durcheinander, und es ist nicht nur eine, sagen wir mal, intellektuelle Frage, eine Frage der Begriffsgeschichte oder der mehr oder weniger intelligenten Auseinandersetzung der Begriffe, dann wäre das relativ uninteressant. Nein, es ist eine existenzielle Frage, im Tiefsten auch eine soziale, ja sogar eine politische Frage. Was meine ich überhaupt, wenn ich davon rede, dass der Mensch in diesem Sinne Teil oder Strang dieses großen Öko-Netzwerks ist? Also ein ganz entscheidender Punkt.

Ich meine, dass ein gewisser Anthropozentrismus, jetzt einmal auf eine andere Stufe gehoben, für ein menschliches Bewusstsein vollkommen unvermeidbar ist. Bis zu einem gewissen Grade kann der Mensch gar nicht anders als anthropozentrisch denken, weil er als ein fokussiertes Ich-Bewusstsein, jeder Einzelne erst einmal, von diesem fokussierten Ich-Bewusstsein überhaupt Welt, Kosmos und Universum versteht. Das ist erst einmal unsere Erfahrung von Bewusstsein. Man mag das kritisieren oder man mag das für einseitig halten, man mag das auch für eine Fehlentwicklung halten, aber es ist einfach die Tatsache. Es ist so. Das was den Menschen ja entscheidend auszeichnet, nicht nur, aber doch ganz wesentlich, ist ja die Ich-Haftigkeit, und diese Herausbildung einer wirklich fokussierten Ich-Haftigkeit ist so in der Form im Tierreich nicht zu beobachten. Natürlich gibt es Vorformen, das ist ja ein Feld weiter Forschungen. Wo setzen Vorformen des Ich ein? Wann empfindet ein Tier es als sich selber: Wenn es sich im Spiegel erkennt? Das tun nur ganz wenige Tiere, wie man weiß und so weiter. Eine schwierige Frage. Letztlich ist sie ungeklärt. Aber was den Menschen zunächst einmal auszeichnet, ist ein fokussiertes Ich-Bewusstsein und bis zu einem gewissen Grade muss er anthropozentrisch denken. Und ich habe ja Ihnen das letzte Mal schon die Frage gestellt: Wenn man vom Wert der Natur redet, was meint man? Meint man einen Wert an und für sich oder meint man einen vom Menschen zugesprochenen Wert? Also auch Fragen, die politisch wichtig sind. Also eine ungeheuer zentrale und schwierige Frage, die man aber nicht blauäugig und naiv und schon gar nicht monologisch angehen kann.

Also ganz klar: Der Mensch als diese Ganzheit – von Leib, Seele, Geist – kann und wird niemals in dieser Art Öko-Netzwerk aufgehen. Dieses Öko-Paradies in der Form kann nicht funktionieren, weil es vorbeigeht an dem Wesen des Menschen überhaupt. Das heißt nicht, dass damit das Wort geredet wäre einer hemmungslosen Expansion der mentalen Ich-Haftigkeit. Oder wie das letzte Mal in der Diskussion auch herauskam, dass jemand glaubte, der ja heute nicht da ist, meinte, dass das Transmentale, von dem ich gesprochen habe, eine weitere Drehung der Katastrophe bedeuten würde. Nicht, das Transmentale als die Übersteigerung des Mentalen, womit ja die Katastrophe noch potenziert würde, das ist ja nicht gemeint. Das Transmentale im Sinne der seit 25, 30 Jahren existierenden Transpersonalen Psychologie meint ja eine neue und andere Stufe, die auf eine neue Weise das Ganze umfasst, die auf eine neue Weise holistisch ist und die damit die Einseitigkeiten und Paradoxien und auch die Fehler, Irrtümer der mentalen Stufe überschreiten kann. Nicht, also das ist letztlich gemeint, das muss man noch einmal verdeutlichen, dass man nicht dem Irrtum erliegt, hier ginge es um eine sozusagen äußerste, noch weiter getriebene Herausdestillierung des Mentalen, was ohnehin schon heißläuft. Nicht, der mentale Geist läuft ja heiß und ist ja kaum noch auf der Erde verankert. Nicht, Kritiker, ich habe das auch seit Jahren gesagt, sagen ja häufig: Der Mensch ist eigentlich schon gar nicht mehr Bewohner dieser Erde. Er sitzt im Orbit. Also der Geist sitzt in irgendeiner Form bereits längst im Orbit, und die Aussiedlungsphantasien in diese Richtung zeigen das auch ganz deutlich.

Also, die Frage des Anthropozentrismus muss auch tiefenökologisch und bewusstseinsgeschichtlich noch mal ganz neu angegangen werden. Man muss wirklich in der Tiefe ein Verständnis entwickeln, was der Mensch ist und was ihn von den anderen Lebewesen unterscheidet. Wenn man das nicht tut, dann wird das ewig und unvermeidlich in die Irre führen. So ist es auch. Das ist einer der Gründe, soweit würde ich gehen, einer der Gründe, nicht der ganze Grund, nicht alles, einer der Gründe, warum sich so wenig tut, trotz der endlosen Diskussion über ökologische Fragen, weil man entscheidende Punkte nicht verstanden hat. Ist ja wirklich eine Frage, 30 Jahre Ökologiebewegung, 30 Jahre Ökologiediskussion mit so erbärmlichen Resultaten. Wie kommt das? Sind das nur politisch-soziale, militärische Machtfaktoren, die dagegen sprechen? Oder sind das vielleicht tiefergehende Einsichten, die ganz einfach fehlen, die jedenfalls überhaupt keine Mehrheiten haben? Nicht, ganz zu schweigen von der nun flachsten und oberflächlichsten Schicht, die ja gleichwohl unverzichtbar ist, eben des Umweltschutzes. Nicht, die oberflächlichste aller Schichten ist ja der sogenannte Umweltschutz, also ein eher aktionistisches, auf der mentalen Ebene Weiterfunktionieren, die Sandsäcke an den Stellen, wo der Damm bricht, wie das Bahro immer wieder gesagt hat. Sonst ändert sich nichts. Was ja auch richtig ist. Es müssen immer wieder Sandsäcke geworfen werden, wie man weiß. Aber man muss einfach begreifen, dass in der Tiefe ganz andere Prozesse am Wirken sind. Und diese Prozesse muss man verstehen, zu verstehen versuchen, und das hat auch mit Denken zu tun. Insofern glaube ich allen Ernstes, auch wenn es viele einfach für blauäugig oder naiv halten, dass Denken wichtig ist, dass Denken eine Chance hat, dass es wichtig ist, in solchen Fragen wirklich genau zu sein, konkret zu denken und nicht in einem schlechten Sinne sich abzukoppeln.

Nun hängt das ganz eng natürlich mit der Frage zusammen: Was ist denn der Mensch überhaupt in dieser kosmischen Evolution? Nun kann man natürlich sagen: Die Frage ist nicht entscheidbar. Sie ist es sicherlich nicht von einer rein naturwissenschaftlich-reduktionistischen Sicht, da ist die Frage allein eine Frage, die delegiert wird, wie sie ja wissen, an, sagen wir mal die philosophische Fraktion, um nicht zu sagen eine religiöse Fraktion, also wir als Wissenschaftler beschränken uns auf die Phänomene und ihre Ordnung. Die Frage, was der Mensch nun wirklich sein könnte im Gesamtzusammenhang der Natur, der Erde, des Kosmos, ist eine Frage, die ist wissenschaftlich nicht entscheidbar. Bis zu einem gewissen Grad ist es richtig: Die Frage ist wissenschaftlich letztlich jedenfalls mit den herkömmlichen Instrumentarien nicht zu klären. Man kann nur feststellen, und das lässt sich feststellen: Es gibt eine Tendenz in der organisch-biologischen Evolution, die in irgendeiner Form auf Bewusstsein auch zielt, auf ein Wesen hin, was sich dann verstehen kann als Seele-Geist-Natur-Einheit. Das ist nicht wissenschaftlich letztgültig belegbar, das muss man einfach wissen bei einer solchen Frage. Man begibt sich da auf ein schwieriges Feld und macht sich natürlich sofort viele zu Feinden, die da auch eine Art Denkverbot aussprechen. Wenn man von der Evolution redet, dann muss man einen Moment auch in Erinnerung rufen: Was meint man überhaupt? Auch das ist im allgemeinen Bewusstsein ziemlich verwaschen. Meistens wird unter Evolution ganz allgemein Entwicklung in einem nicht näher definierten Sinne verstanden. Darwin hat den Begriff, nebenbei gesagt, überhaupt nicht verwendet. Er stammt von seinem Zeitgenossen Herbert Spencer. Der hat den Begriff „evolution“ verwendet, Darwin sprach gar nicht von Evolution. Also Evolution ist eine Entwicklung im ganz allgemeinen Sinne, wie revolutio, auch das ist ein interessantes Wort, was Kreisbewegung, Umwälzung heißt. „De Revolutionibus, orbium, coelestium“, so heißt das kopernikanische Hauptwerk, heißt ja: Die Umdrehungen, die Umwälzungen der Himmelskreise. Also, Revolution ist die Umdrehung und Evolution ist die Entwicklung. Dann gibt es die Involution, die auch eine Entwicklung ist, bloß entgegengesetzt der Evolution. Das eine ist eher der Aufstieg, und das andere ist eher der Abstieg.

Nun hat das die naturwissenschaftliche Entwicklung immer stark beschäftigt, warum denn die Evolution offensichtlich einen Zeitpfeil aufweist, der ganz eindeutig erst einmal nach oben geht. Aber man kann ja sagen, dass die organisch-biologische Evolution, die auf den Menschen zielt, eine Aufwärtsentwicklung ist, inwiefern zunehmend komplexere Organisationen des organischen Stoffes bis hin zum Menschen, mit dem eigenartigerweise die Evolution, wie es scheint, erstmal zum Stillstand gekommen ist; jedenfalls biologisch gesehen, kann man sagen: da tut sich nichts mehr. Es gibt natürlich genügend Überlegungen, die darauf abzielen, dass es oberhalb des Menschen noch andere Stufen geben könnte. Denken sie nur an die ja auch politisch fatale Diskussion um die Frage eines möglichen „Übermenschen“. Das hat ja nicht Nietzsche erfunden. Der Begriff ist alt und taucht schon bei Goethe auf, im „Faust“, also einer neuen und anderen Stufe.

Das ist also, der eine Zeitpfeil geht nach oben, der Zeitpfeil der organisch-biologischen Evolution, die irgendwann auch den Menschen hervorgebracht hat. Merkwürdiger Widerspruch, dass die andere …, der andere Zeitpfeil, Stichwort Entropie, nach unten geht. Nicht, das ist ja etwas, was endlose Diskussionen ausgelöst hat im frühen 20. Jahrhundert bis in die 60er, 70er Jahre hinein. Ja, in gewisser Weise noch heute. Wie kommt es denn, dass auf der einen Seite Systeme, um den Begriff mal zu verwenden, eindeutig in Richtung Entropie laufen. Nicht, wenn sie eine Kaffeekanne mit heißer Flüssigkeit füllen und machen nichts, wird irgendwann ein Ausgleich passieren, nicht, irgendwann. Die Flüssigkeit kühlt sich ab, die Kaffeekanne wird wärmer und so weiter, ein Teil der Wärme wird an die Luft abgegeben und so weiter. Es entsteht eine Art equilibrium, also ein gleichmäßiger Zustand, der in gewisser Weise auch der Zustand allergrößter Unordnung ist.

Also, der eine Pfeil hat das Telos, sagen wir mal plakativ, Ordnung – der andere Unordnung, Entropie. Hier hat man, wie man weiß, siehe Ilya Prigogine, der dafür den Nobelpreis bekommen hat, verschiedene Modelle sich ausgedacht, wie das dann doch miteinander zu verbinden ist, dass man eben gesagt hat: Es gibt zwar die Gesamttendenz Richtung Entropie, das Ganze geht Richtung Unordnung, aber es gibt in bestimmten kritischen Punkten, wo ein extremes Ungleichgewicht herrscht, einen Sprung, ein qualitatives Umschlagen in eine höhere Stufe. Nicht, das hat ja Ilya Prigogine, ich glaube Ende der 70er Jahre dann auch mathematisch, physikalisch, chemisch dargestellt, hat ihm auch viel Kritik eingetragen von verschiedener Seite, und er hat dann den Versuch gemacht zu zeigen, hier gibt es …, Ordnung entsteht aus Unordnung. Stichwort, das entsteht aus dem, ein qualitativer Sprung, was eben noch chaotisch zu sein scheint, zeigt plötzlich eine Ordnung.

Sie wissen, dass die lange Jahre ja sehr modische Chaostheorie genau diesen Gedanken aufgegriffen hat, nicht. Was wir für Chaos halten, ist im Grunde genommen in Ordnung. Das hat sich beruhigt. In den letzten Jahren war es aber eine richtige Modeentwicklung bis in unzählige populäre Fernsehsendung hinein: Chaostheorie. Die meisten wussten gar nicht, was gemeint war. Genau, im Grunde ging es um eine neue Form von Ordnungsvorstellungen, also [dass] aus der Unordnung, aus dem Chaos, in gewisser Weise eine höhere Ordnung [entsteht]. Also, da ist ein Spannungsverhältnis, das auch durch Ilya Prigogine in keiner Weise gelöst worden ist, wie Kritiker immer wieder gesagt haben. Das bleibt ein Rätsel, wieso bestimmte, unter anderem chemische Prozesse, Richtung Unordnung laufen, auch was biologische Organismen betrifft, die[se] Richtung organischen Tod, andere aber eine zunehmende Komplexität und Organisation zeigen, eine höhere Ordnung.

Und jetzt, um das noch zu verkomplizieren, das ist quasi die Pointe des Ganzen – die Physik von Galilei bis zur Quantentheorie und Relativitätstheorie kennt noch einen dritten Zeitachsenpfeil, könnte man so sagen. Das ist die Zeit als eine im Prinzip reversible Größe, nicht. Es kann Ihnen jeder Physiker bestätigen, sämtliche Gleichungen der klassischen Physik, aber auch der Quantentheorie und der Relativitätstheorie sind zeitumkehr-invariant. Das heißt, sie können alle Gleichungen auch in umgekehrter Richtung formulieren. Das heißt, „t“ und „minus t“ sind austauschbar. Die Zeit hat überhaupt keine Richtung. Wer zum ersten Mal davon hört, ist verblüfft, aber es ist ein in den Gleichungen vollkommendes zweifelsfrei nachweisbares Moment. Der dritte Punkt, der Faktor t in der physikalischen Gleichung hat überhaupt keine Richtung. Oder er ist frei verschiebbar, plus t und minus t können ausgetauscht werden, auch in den Maxwellschen Gleichungen ist es der Fall. Es ist im Grunde genommen austauschbar. So hat man eine im Grunde verwirrende Situation erst einmal, rein naturwissenschaftlich-reduktionistisch.

Man hat eine dreifache Form von Zeitvorstellung, die man nicht miteinander zusammenbringen kann. Das ist ein totaler Widerspruch. Wenn nämlich der ganze Kosmos, es gibt ja drei Möglichkeiten, man kann sagen, der Kosmos funktioniert eigentlich auf dieser Ebene, könnte man sagen. Dann müsste man sagen, Zeit existiert überhaupt nicht. Was wir als Evolution wahrnehmen, ist nur eine letztlich vollkommen unwichtige Kräuselung entlang eines ganz anders gearteten Geschehens. Auch dieser Zeitpfeil ist hier nicht integrierbar. Man hat also drei vollkommen verschiedene Vorstellungen von Zeit. Wie ist das mit der organisch-lebendigen Existenz, die ja doch ganz eindeutig mit diesem obersten Zeitpfeil zusammenhängt, ohne dass deswegen das organisch-sinnliche Leben vollkommen abgekoppelt worden wäre von den anderen Faktoren. Bis zum heutigen Tage, soweit ich weiß, ist das erst einmal ungelöst, und es ist wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, und nicht zu schnell hineinspringt, in eine Lösung, die dann sich auch weitergehender Kritik unterziehen muss. Also, es ist ein schwieriges Feld, wo man sich hier bewegt.

Wir fragen ja nach der Evolution, die ja hierhin gehört, diese Art von Evolution. Man kann, wenn man die organisch-biologische Evolution verallgemeinert und zum Grundprinzip erklärt, was ja möglich ist, es ist ja eine mögliche Verallgemeinerung, ja sagen: Letztlich ist dieser Faktor der Hauptfaktor, kann man sagen, das ist der Hauptfaktor. Unbezweifelbar gibt es auch die beiden anderen Faktoren, etwa hier in der anorganischen Materie und hier in bestimmten Überlegungen der Chemie. Aber das ist letztlich das, worauf es ankommt. Das ist eine mögliche These oder Hypothese, der ich auch zuneige, mal vorsichtig gesagt. Und wenn man das weiterdenkt, dann kommt man zu der Überlegung, dass die menschliche Existenz auf keinen Fall einfach ein Würfelspiel, eine Laune dieser Entwicklung gewesen sein kann. Wenn man sich einmal diese Hypothese zu eigen macht, dieser Zeitpfeil ist letztlich, der uns hervorgebracht hat, ist ja zweifellos richtig, ist ja nicht zu leugnen. Er ist auch der primär wichtige und gültige. [Gemeint ist offenbar der Zeitpfeil der organisch-biologischen Evolution, also einer Aufwärtsentwicklung.] Dann hat das weitreichende Konsequenzen für unser eigenes Verständnis dieser unserer Position in der Evolution.

Das ist lange übrigens vor Darwin, Jahrzehnte vor Darwins Hauptwerk 1859, auch in ähnlicher Form immer wieder gedacht worden. Auch das muss man einfach mal [als] geistes- und kulturgeschichtlichen Moment in Erinnerung rufen, weil das im allgemeinen Bewusstsein ganz anders aussieht. Das allgemeine Bewusstsein sieht so aus: Darwin hat die Evolutionstheorie begründet, entwickelt, es gab religiöse Widerstände dagegen, wie man weiß, aber letztlich plausibel gemacht. Bis heute gibt es immer noch scharfe Kritik am Neo-Darwinismus und auch eine ganze Reihe Gegenargumente. Das stimmt nicht. – Die Auffassung einer organischen Evolution im kosmischen Maßstab ist Jahrzehnte vor Darwin verbreitet gewesen, war intellektuelles Allgemeingut. Spätestens seit der Naturphilosophie Schellings und dann in seiner Nachfolge auch bei Hegel und anderen taucht der Gedanke auf, dass es tatsächlich eine kosmische Evolution im Sinne dieses oberen Zeitpfeils geben müsste, auch wenn das nicht so genannt worden ist. Nur mal ein Beispiel. Ich zitiere es mal aus meiner Schelling-Monografie, von Schelling, der schon vor 200 Jahren vollkommen eindeutig die Vorstellung einer Evolution im Sinne dieses obersten Zeitpfeils aufgestellt hat, übrigens vor Hegel, obwohl er fünf Jahre jünger war als Hegel, war er doch lange Zeit dessen Ideengeber. Merkwürdig genug. Hegel hat sich erst eine ganze Zeit später dann von diesen Schellingschen Ideen emanzipiert.

Dafür mal einige Beispiele. Schelling schreibt in den „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ 1797: „Philosophie ist also nichts anderes als eine Naturgeschichte unseres Geistes.“ Damit wird der Geist zum ersten Mal übrigens in der abendländischen Geistesgeschichte evolutionär gedacht oder evolutiv. „Philosophie ist also nichts anderes als eine Naturgeschichte unseres Geistes. Von nun an ist aller Dogmatismus von Grund auf umgekehrt. Wir betrachten das System unserer Vorstellungen nicht in seinem Sein, sondern in seinem Werden. Die Philosophie wird genetisch.“ Berühmter Satz: „Die Philosophie wird genetisch.“ Das heißt, sie lässt die ganze notwendige Reihe unserer Vorstellungen vor unseren Augen gleichsam entstehen und ablaufen. Von nun an ist zwischen Erfahrung und Spekulation keine Trennung mehr. Das System der Natur ist zugleich das System unseres Geistes. Und jetzt erst, nachdem die große Synthesis vollendet ist, kehrt unser Wissen zur Analysis, zum Forschen und Versuchen zurück. Solange ich selbst mit der Natur identisch bin, verstehe ich, was eine lebendige Natur ist, so gut, als ich mein eigenes Leben verstehe, begreife, wie dieses allgemeine Leben der Natur in mannigfaltigsten Formen, in stufenmäßigen Entwicklungen, in allmählichen Annäherungen zur Freiheit sich offenbart. Sobald ich aber mich und mit mir alles Ideale von der Natur trenne, also allen Geist, bleibt mir nichts übrig als ein totes Objekt, und ich höre auf zu begreifen, wie ein Leben außer mir möglich ist.

Also, viele andere Aussagen von Schelling gehen in die gleiche Richtung. Man kann mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass Schelling als erster den Evolutionsgedanken in klarster philosophischer Form formuliert hat, also diesen hier oben [auf der Tafel] gesetzten Zeitpfeil, dann in seiner Nachfolge auch Hegel. Das ist ein wichtiger Punkt. Der Evolutionsgedanke war im geistigen Klima des frühen 19. Jahrhunderts verbreitet, Darwin hat ihn nicht erfunden. Was Darwin gemacht hat und was ihn berühmt gemacht hat, ist etwas ganz anderes.(…) Ein Gedanke, der sich aber nicht durchgesetzt hat. Durchgesetzt hat sich erst einmal die darwinistische Überzeugung das Ganze ist mehr oder weniger ein Geschehen, was quasi immanent selbstlaufend mechanistisch entsteht, Anpassung der Organismen an ihre Umwelt und so weiter.

Nun hat es gerade in den letzten Jahren, und das ist interessant, harsche Kritik gegeben am Neo-Darwinismus. Wenn Sie ein bisschen die geistige Situation verfolgen, dann müsste Ihnen das aufgefallen sein, dass der Neo-Darwinismus an allen Ecken und Enden ganz scharf kritisiert wird. Übrigens auch von der Systemtheorie, nicht. Auch in den systemtheoretischen Schriften werden ganz andere Modelle vorgestellt, wie man Evolution auch denken kann, und der Darwinismus gerät also wirklich in eine sehr schwierige Position hinein, und man kann voraussagen, dass das sich in den nächsten Jahren noch steigern wird. Man begreift zunehmend mehr, dass der Darwinismus in vielerlei Hinsicht ganz dem Denken auch des 19. Jahrhunderts verhaftet war. Man hat das dann im 20. Jahrhundert im sogenannten Neo-Darwinismus ja mit der Gen-Lehre in Verbindung gebracht. Darwin wusste nichts davon, das ist vor seiner Zeit …, also, nach seiner Zeit entstanden. Also im sogenannten Neo-Darwinismus bringt man ja die Vorstellung der Mutation, der zufälligen Gen-Mutation ins Spiel. Auch hier der zentrale Begriff des Zufalls, der Mutation. Ich werde dazu noch einiges sagen.

Also, zunächst einmal vor der Pause noch einmal auf den Punkt gebracht. Der Ansatz der Evolution, der Grundgedanke der Evolution ist lange vor Darwin formuliert worden, war Allgemeingut unter geistigen Menschen in Europa. Darwin hat einen Mechanismus gefunden, er glaubte ihn gefunden zu haben, der letztlich das Telos, der das Ziel verneint und damit auch in gewisser Weise den Geist aus dem Prozess herausnimmt. Nicht, höhere Intelligenzen, allein nur der Hinweis, dass möglicherweise höhere Intelligenz diese Entwicklung gesteuert haben könnten, ist extrem unwissenschaftlich, gilt als eine metaphysische Spekulation, die ein ernstzunehmender Wissenschaftler gar nicht zu ventilieren braucht.

Gut, machen wir erst mal eine kleine Pause wie immer 10 [Minuten].

Ich nenne mal nur drei Beispiele. Es gibt ein sehr interessantes Buch, was ich nicht auf der Literaturliste jetzt habe, aber in früheren Jahren manchmal herangezogen habe von dem Systemtheoretiker und Evolutionsforscher Ervin László, Mitbegründer des Club of Rome, seinerzeit Vorsitzender des Club of Budapest, der die sogenannte Evolutionäre Systemtheorie begründet hat, der in seinem Buch „Kosmische Kreativität“, im Insel-Verlag 1993 erschienen, „Kosmische Kreativität“, Ervin László, eine sehr fundierte und intelligente Kritik auch der neodarwinistischen Position geliefert hat. Jetzt vom Blickwinkel der Systemtheorie aus, Ervin László. Wen das interessiert, könnte dann sich auch die Literatur selber besorgen.

Ervin László, Mitbegründer des Club of Rome, ursprünglich Konzertpianist als junger Mensch und dann später Systemtheoretiker, [hat] über 50 Bücher geschrieben und eins seiner interessantesten hat eben den Titel „Kosmische Kreativität“. Und im Herbst erscheint ein neues Buch von ihm, das heißt „Das fünfte Feld“, hat sich auch in der Feldtheorie mit solchen Fragen sehr beschäftigt, wie ich das auch getan habe.

Eine zweite Kritik findet sich in den Schriften von Varela, Francesco Varela und Umberto Maturana, zwei chilenischen Neurophysiologen und Erkenntnistheoretikern, unter anderem in dem Buch „Der Baum der Erkenntnis“.

Auch der von mir erwähnte Ken Wilber äußert sich in mehreren Stellen zu neodarwinistischen Überlegungen. Ich gebe mal ein Beispiel aus diesem Buch hier, „Eine kurze Geschichte des Kosmos“, wo er eines der am meisten gebrachten Argumente gegen die neodarwinistische Mutationsthese vorbringt. Ich lese diese Stelle mal vor, sie können die ausführliche Argumentation ja dann selber nachlesen. Er geht aus, das muss ich vorab sagen, von einer Grundvorstellung der kosmischen Evolution, die sich verbindet mit dem Begriff „Holon“. Holon ist ein Wort, eine Wortprägung des Schriftstellers Arthur Koestler. Arthur Koestler, der hat den Begriff „Holon“ geprägt und meint ungefähr Folgendes, meint ein Grundelement der Wirklichkeit, was immer gleichzeitig Teil und ein Ganzes ist, ist also das Teil und das Ganze. Alle Phänomene, alle Dinge, alle Lebewesen sind immer zugleich Teil eines größeren Holons und ihrerseits wiederum ganzheitliche Elemente kleinerer Holons und so weiter. Und das Ganze folgt einem evolutionären inneren Drang. Jedes Holon besitzt Agens und Kommunion, so ist das hier im Deutschen übersetzt: agents and communion. Damit meint er: Es gibt also einen doppelten … , es gibt also das Moment der Verbindung, das ist unglücklich hier übersetzt im Deutschen, das englische „communion“ als Kommunion, wobei man ja tatsächlich immer an etwas anderes denkt, was nun wirklich nicht gemeint ist. Ken Wilber: „Also, wenn ein Holon seine Agens und seine Kommunion nicht mehr aufrecht erhält, dann kann es vollständig zusammenbrechen und wenn es zusammenbricht, zerfällt es in seine Sub-Holons. Beispiel: Zellen zerfallen zu Molekülen, die zu Atomen auseinanderfallen, die wiederum unter der Einwirkung starker Kräfte unendlich weiter zerkleinert werden können. Das Faszinierende am Holon-Zerfall ist, dass sie dazu neigen, sich in umgekehrter Richtung aufzulösen, wie sie entstanden. Dieser Auflösungsprozess ist Selbstauflösung oder einfach Zerfall in Sub-Holons, die selbst wiederum in Sub-Holons zerfallen können und so weiter.

Aber betrachten wir denn jetzt den faszinierenden umgekehrten Prozess. Den Aufbau-Prozess, durch den neue Holons entstehen oder emergieren. Wie könnten sich jemals träge Moleküle zu lebenden Zellen zusammenfinden? Die glatte neodarwinistische Standarderklärung glaubt ja nun wirklich niemand mehr. Zweifellos operiert die Evolution teilweise auf dem Wege der darwinistischen natürlichen Auslese, aber dieser Prozess selektiert nur Transformationen, die bislang mittels noch völlig ungeklärter Mechanismen schon zuvor eingetreten sind. Frage: Können sie ein Beispiel geben? Ken Wilber: Nehmen wir die Standardauffassung, dass sich Flügel einfach aus Vorderbeinen entwickelt haben“. Nicht, bekannte These. Es steht in vielen Biologiebüchern, „dass sich Flügel einfach aus Vorderbeinen entwickelt haben. Es dürften etwa 100 Mutationsschritte notwendig sein, bis aus einem Bein ein funktionstüchtiger Flügel wird, wobei ein halber Flügel keinen Sinn hat. Ein halber Flügel taugt nicht als Bein und nicht als Flügel. Man kann damit nicht mehr laufen und noch nicht fliegen. Er hat keinerlei Anpassungswert. Mit anderen Worten, mit einem halben Flügel ist man Futter. Die Entwicklung eines Flügels kann nur dann erfolgreich sein, wenn diese 100 Mutationsschritte schlagartig in einem einzelnen Tier auftreten. Außerdem müssen dieselben Mutationen gleichzeitig in einem anderen Tier des anderen Geschlechts auftreten, und dann müssen diese beiden einander auch noch irgendwie finden, miteinander essen, etwas trinken gehen, sich paaren und Nachkommen mit richtigen funktionstüchtigen Flügeln bekommen. Dies ist absoluter und unendlicher Irrsinn. Zufällige Mutationen taugen hierfür nicht einmal ansatzweise als Erklärung. Wie soll es denn zugehen, dass ausgerechnet 100 nicht-tödliche Mutationen gleichzeitig auftreten? Oder auch nur vier oder fünf? Wenn diese unglaubliche Transformation einmal geschehen ist, dann wird die natürliche Auslese in der Tat die besseren Flügel gegenüber den weniger tauglichen Flügel bevorzugen, aber die Flügel selbst, niemand weiß bis heute wie diese entstanden sein könnten.“ Ich will dazu in der nächsten Vorlesung auch Einiges sagen zur Grundfrage nach der organischen Gestalt überhaupt, die ein vollkommenes Mysterium ist, die kein Mensch eigentlich wirklich versteht, also die Morphogenese. „Derzeit hat man sich einfach darauf geeinigt, hier von einer Quanten-Evolution oder punktuellen Evolution oder emergenten Evolution zu sprechen, bei der absolut neue, emergente und unglaublich komplexe Holons in der Art eines Quantensprungs plötzlich ins Dasein treten, wobei jeglicher Hinweis auf Zwischenformen fehlt. Es müssen also dutzende oder hunderte nicht-tödlicher Mutationen gleichzeitig auftreten, damit ein Überleben möglich ist, zum Beispiel im Falle des Flügels oder des Augapfels. Welche Erklärung wir auch immer für diese außergewöhnlichen Transformationen heranziehen wollen, es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass sie statt dessen auftreten. Viele Theoretiker, wie z.B. Erich Jansch, bezeichnen Evolution daher als Selbstverwirklichung durch Selbsttranszendenz.

Evolution ist in der Tat ein unglaublicher Prozess der Selbsttranszendenz. Sie besitzt die höchst erstaunliche Fähigkeit, über Dasjenige ständig hinaus zu gelangen, was vorher war. Evolution ist also zum Teil ein Transzendenzprozess, der das Vorangegangene einschließt und unfasslich neue Komponenten hinzufügt. Der Drang zur Selbsttranszendenz ist damit im Gewebe des Kosmos eingebaut.“

In anderen Kontexten bezieht sich Wilber hier auch unter anderem auf Hegel, der ja, wenn man ihn richtig versteht, auch im Grunde genommen ähnliche Dinge in anderer Sprache zum Ausdruck gebracht hat.

Ein zweites, ganz anderes Argument habe ich selbst gebracht in dem Buch „Was die Erde will“. Ich darf diesen kleinen Passus mal vorlesen, um das zu verdeutlichen, was da an Argumenten gebracht wird. Ich erlaube mir mal diese Passage von mir selber zu zitieren, im Abschnitt „Der Selbstwiderspruch des Neo-Darwinismus“: „Seit Darwin wird die Sonderstellung des Menschen in der Entwicklung der Natur bestritten. Der Mensch, so wird gesagt, sei ein höherer Primat, ein bloßer Seitenzweig der Evolution und keineswegs so etwas wie deren Krönung oder deren strahlender Gipfel. Als technisch gebildeter Halbaffe – Ernst Haeckel – hat der Mensch zwar alle anderen Lebewesen dieser Erde bezwungen, der aufrechte Gang, die Höherentwicklung des Gehirns, Sprache, Schrift und Intellekt sowie Vernunft haben es ihm ermöglicht, aber konsequent entwicklungspsychologisch gedacht bleibt nicht mehr viel übrig von dem, was im aufgeklärten Rationalismus oder in religiöser Sicht die Einzigartigkeit des Humanen ausmacht. Der Mensch wird rigoros zum höheren Tier, und zwar ohne Abstriche oder Einschränkungen (,das verlogene Tier‘ nennt ihn Nietzsche). Und so erscheint es fast konsequent, wenn nun einige die avanciertesten Kosmologen (Frank Hippler, John Barrow etwa) das ,Anthropische Prinzip‘ aus der Retorte heben (These vereinfacht gesagt: Das Universum ist so wie es ist, damit wir so sein können, wie wir sind). Das war ein Ausweg, ein intellektueller Winkelzug (auch wenn die meisten gar nicht akzeptieren), doch noch so etwas wie Würde in die menschliche Existenz hineinzubringen. Erst Selbstverkleinerung zum Quasi-Nichts im grenzenlosen All und nun der intellektuelle Quantensprung in den neuen Anthropozentrismus nach dem Motto: Wir sind doch Mittelpunkt des Universums! Das Universum braucht uns, damit wir es beobachten können; ohne uns als Beobachter wäre es nicht das, was es ist. Damit kommt der einst so geschmähte idealistische Ansatz (über die Kosmologen) quasi durch die Hintertür wieder ins Haus. (allerdings als ein umstrittener Gast). Dazu gleich mehr. Zunächst zurück zur Evolutionsbiologie. Die berühmten phylogenetischen Stammbäume, die sich in jeder besseren oder schlechteren populärwissenschaftlichen Abhandlung zum Mensch-Natur-Verhältnis finden, so als könne es gar nicht anders sein und als seien dies keine Karten, die wir selbst hergestellt haben, sollen uns immer wieder vor Augen führen, wie unbedeutend wir sind. Ein bloßer Nebenzweig der Entwicklung (vielleicht gar, wie Arthur Koestler meint, ein „Irrläufer der Evolution“). Dieses Stammbaumbild, das Modellcharakter längs der allgemeinen Überzeugung Platz gemacht hat, dass es sich hierbei um die wirkliche Wirklichkeit handelt, ist fraglos ein geistiges Konstrukt, eine Heraussetzung, eine Begriffsdichtung.“ Jetzt kommt der entscheidende Punkt: „die ja selbst, wenn die These vom Seitenarm der Evolution stimmt, sich eben diesem Seitenarm auch verdankt. Und dieser Seitenzweig enthält (notwendig) Blickverengungen und Begrenztheiten, die in sich und als solche gar nicht aufzuheben sind. Warum sollte dieses winkelhafte Geschöpf mit dem Namen Mensch, als höheres Tier auf einem Seitengleis entstanden, nun überhaupt in der Lage sein, völlig herauszutreten aus der eigenen Begrenztheit und der eigenen Winkelperspektive und so das Ganze des evolutionären Systems der Lebewesen, in souveräner leibfreier Geistesschau, vor sich hinzustellen? Wenn das schlaue Tier Mensch das wirklich könnte, aus einer Nische herauszutreten, hinein in eine quasi göttliche, oder kosmische Vogelperspektive, dann wäre eben dadurch die geistige Vorrangstellung, ja überragender Eigenwürde des Menschen unter Beweis gestellt. Das wäre paradoxerweise ein Beweis für die Noosphäre, für den Geist als eine eigene und eben überlegene Ebene! Wenn es möglich ist (oder sein sollte), dass wir uns als Seitenzweig der Evolution wirklich erkennen, dass sich also in unserem Geist „das Ganze“ derselben widerspiegeln kann, wären wir eben kein unbedeutender Seitenzweig! Sieht man den Zirkelschluss? Sieht man, dass die ganze Argumentation in sich zusammenbricht? Dass der Geist den ganzen Biologismus aus den Angeln hebt? Wenn die herrschende Evolutionstheorie stimmt, gerade dann hebt sie sich selbst auf.“

Wir können gerne noch darüber diskutieren, ob das deutlich ist: Wenn sie stimmt, kann sie nicht stimmen. „Wenn die herrschende Evolutionstheorie stimmt, gerade dann hebt sie sich selbst auf, weil der Geist dann letztlich völlig singuläre Position hätte, von der aus er überhaupt in der Lage wäre, und das könnte er in seiner ephemeren Winzigkeit und Teilhaftigkeit nicht. „Wie soll ein Seitenzweig den ganzen Baum erkennen können? Nur als der ganze Baum könnte er es und dann wäre er eben nicht mehr Baum…“ Und so weiter. Also das ist ein Argument ganz anderer Art, eher ein erkenntnistheoretisches Argument, dass alle solche Heraussetzungen, im Übrigen auch Universalbilder der kosmischen Evolution ja immer aus dem menschlichen Geist entspringen. Das gibt dem menschlichen Geist eine enorme Fähigkeit und hebt ihn ja dann doch heraus aus der Vorstellung, dass er nur ein unbedeutender Seitenarm sei. Man kann diese ganze Frage bis in die moderne Gehirnforschung und Neurophysiologie hinein verfolgen. Immer wieder geht es da um einen Grundwiderspruch, der nie aufgelöst worden ist und der auch das ganze Thema so äußerst schwierig macht. Was ist der Geist? Kann er wirklich diese großen Bögen erkennen? Und wenn er es wirklich kann, dann muss er eine besondere Funktion im gesamten Zusammenhang haben, dass er es kann.

Und so ist ja auch das berühmte, viel diskutierte und noch kritisierte Anthropische Prinzip entstanden, dass also der menschliche Geist in irgendeiner Form in der kosmischen Evolution tatsächlich eine zentrale Rolle einnimmt. Dass sozusagen die Evolution nur auf den Menschen gewartet hat und er eben kein zufälliges Produkt ist. Ein wichtiger Punkt, den man auch mal erkenntnistheoretisch durchdenken kann.

Nun habe ich von dem Punkt, dem Faktor Zufall gesprochen. Nun ist es eine Eigenart ja, eine der erstaunlichsten Phänomene in der Geistesgeschichte, auch in der Geschichte der Evolutionsforschung, dass man dem Begriff „Zufall“ eine so ungeheure Rolle zuspricht. Was ist Zufall? Wenn man sagt: Das ist Zufall, das sind zufällige Entwicklungen. Was meint man? Im normalen Sprachgebrauch, im Alltags-Sprachgebrauch ist ja zunächst einmal der Zufall Dasjenige, was ich nicht kausal herleiten kann. Wir haben uns zufällig im Café getroffen, heißt, wir hatten es nicht vor, intentional war es nicht beabsichtigt, aber es geschah. Jede dieser beiden Personen hat ganz andere psychologische und sonstige Kausalketten, die auf dieses zufällige Zusammentreffen abzielen, abgezielt haben, ohne dass sie es wussten. Also ist das Zusammentreffen zufällig.

Es gibt ja in anderen Bereichen auch der Naturwissenschaften, den Begriff des Zufalls, etwa schon im 19. Jahrhundert entwickelt, in der kinetischen Gas-Theorie. Da nimmt man an, alle einzelnen Teilchen eines Gases sind in sich und für sich absolut kausal bestimmt, absolut kausal bestimmt, aber das Ganze, das Ensemble ist auf eine undurchschaubare Weise so extrem kompliziert, dass man die kausalen Abläufe im Einzelnen nicht durchschauen kann. Man nimmt aber an, dass es im Prinzip kausal bestimmt ist. Also wenn man es könnte, könnte man praktisch die Entwicklung eines Gases ganz genau voraussagen. Nicht, das ist ja die berühmte Fiktion des Welt-Dämons, die Laplace aufgestellt hat, der ja sagte: Alles ist kausal bestimmt. Wenn es einen Übergeist gäbe, der in der Lage wäre, ein Schnitt durch die Welt zu machen und alle kausalen Momente zu verstehen, wäre der in der Lage, bis in fernsten Zukünfte hinein die Entwicklung vorauszusagen, weil es nicht …, weil es keinen Zufall gibt. Der Zufall ist nur eine Größe, die unserer unzulänglichen Erkenntnis geschuldet ist.

Dann hat man neu in der Naturwissenschaft und ganz andersartig ja in der Quantentheorie die These vertreten, aus Gründen, die man hier im Einzelnen nicht darstellen muss, dass der Zufall nicht etwa nur eine Größe ist, die unserer Unzulänglichkeit der Wahrnehmung geschuldet ist, sondern dass der Zufall eine prinzipielle Größe ist, der Zufall grundsätzlich in der Welt verankert ist, dass im Mikrobereich die Dinge zufällig ablaufen. Man weiß eben nicht durch welchen Spalt etwa ein Teilchen gehen wird oder nicht. Auch da gibt es mathematische Formalismen, die das genau beschreiben.

Kritiker haben immer wieder gesagt, an dem traditionellen Kausalitätsverständnis orientiert: Das ist eine Täuschung, da muss es denn doch verborgene Kausalfaktoren geben, doch wir kennen sie nicht. Aber das ist erst einmal der Unterschied. Man sagt, es gibt im Prinzip Kausalfaktoren, aber wir kennen sie nicht. Deswegen beschreiben wir sie mittels Statistik. Oder das Ganze ist grundsätzlich zufällig, es ist statistisch gebaut. Das hat ja eine endlose Diskussion etwa in der Philosophie ausgelöst, was die Frage der Willensfreiheit betrifft, was ja genau das gleiche Thema ist. Willensfreiheit, ein Willensakt aus dem Nichts heraus, ein akausaler Akt oder eine kausale Herleitung des Willens. Dann ist der Wille nicht frei, wenn der Wille in irgendeiner Form kausal bestimmt [ist], ist er ja nicht frei, dann ist es dahin mit dem freien Willen. Aber unsere gesamte Gesellschaft seit vielen Jahrhunderten geht irgendwie davon aus, dass es etwas gibt wie den freien Willen, obwohl er nicht beweisbar ist.

Natürlich hat man verschiedene Versuche gemacht, nun auch den freien Willen etwa mit der Quantentheorie plausibel zu machen, so schon in den 50er Jahren. Das gehört zum Thema Zufall. Was ist das? Gibt es Kausalfaktoren in diesen Prozessen, die wir nicht kennen? Dafür spricht sehr viel. Oder sind sie grundsätzlich, prinzipiell zufälliger Natur, oder sind wir einfach außerstande, das zu verstehen?

Nun ist es ein weiterer Punkt, den ich erwähnen möchte, weil er in den meisten Darstellungen zu diesem Thema unberücksichtigt bleibt, in fast allen. Fast durchgängig wird in den Darstellungen über diese Thematik eine Gleichsetzung vollzogen von Kausalität und Determinismus. Das ist falsch. Sie können die Literatur sich anschauen. Sie werden immer feststellen, dass mehr oder weniger Determinismus und Kausalität gleichgesetzt werden, also Determinismus, eine Kausalität, die absolut notwendig abläuft. Nicht, wenn ich die Bedingung A kenne, kann ich genau voraussagen, was B und C sein wird. Das muss nicht der Fall sein. Es gibt ganz andere Vorstellungen einer causa, die nicht unbedingt deterministisch sein müssen. Und die ganze Diskussion heute etwa in der Quantentheorie um Akausalität, ist letztlich eine Frage, die mit dem nicht vorhandenen Determinismus zu tun hat. Damit ist doch längst keine Akausalität gemeint. Das ist keine Begriffsklauberei, wenn ich das unterscheide, und es wird zentral wichtig: Kausalität geht davon aus, die Dinge haben eine Ursache. Determinismus geht davon aus, die Dinge haben eine Ursache, die sie absolut notwendig bestimmt. Dann gibt es keine Freiheit. Während in der Kausalitätsvorstellung in einem weiteren Sinne Freiheit sehr wohl möglich ist. Das ist ja die Grundfrage überhaupt der Evolution in Richtung auf höhere Ordnung. Wie kommt das? Wie entsteht denn das Neue und andere? Wie kommen denn organische Formen überhaupt zustande?

Wenn man sie kausal ableiten kann aus ihren Vorgängern, was gar nicht geht nach unserem derzeitigen Wissensstand, dann muss man ganz neue Fragen stellen. Oder man nimmt an, es gibt Sprünge in dieser Entwicklung. Stichwort ist dazu das viel verwendete Wort Emergenz. Es ist also überhaupt kein Kontinuum, sondern es sind Sprünge. Also auf eine unvorhersehbare Weise springt plötzlich eine Entwicklung auf eine neue Ebene, eine neue Form entsteht, die zwar etwas zu tun hat mit ihren Vorgängern, die aber nicht kausal, lückenlos kausal ableitbar ist. Das ist der Punkt. Eine auch extrem schwierige Frage, die im Wesentlichen ungeklärt ist, die man aber heranziehen muss. Was ist denn diese Art von Entwicklung? Ist es eine kausale? Das würde ich bejahen, es ist eine kausale, aber keine deterministische. Wenn ich die Kausalität in Gänze negiere, lande ich, wenn ich sie mit dem Determinismus gleichsetzte, beim absoluten Zufall. Nicht, dann bin ich letztlich auf der Argumentationsebene der Huxleyschen Affen angelangt. Kann ich das machen? Ich kann natürlich sagen, gut, es gibt die Huxleyschen Affen mit ihren Schreibmaschinen und irgendwann kommt eben Shakespeare raus. Mathematiker haben ausgerechnet, wie wahrscheinlich, ich habe es vorhin schon gesagt, etwa ein organisches Molekül ist, wenn man das einfach vom Zufallsprinzip aus berechnet – extrem unwahrscheinlich. So unwahrscheinlich, dass es schwindelerregend ist.

Also alle kosmologischen Modelle können diese extreme Form der Unwahrscheinlichkeit nicht erfassen. Also alles spricht dafür, dass es in dieser ganzen Entwicklung Faktoren gibt, die den Zufall transzendieren, die in irgendeiner Form, und das muss man einfach dann hier so nennen, Geistfaktoren beinhalten. In Ermangelung eines anderen Wortes kann man es Geistfaktoren nennen. Man kann auch mit Wallace sagen, es sind höhere Intelligenzen. Das ist eine Hypothese, die einiges für sich hat, obwohl [sie] sich letztgültig nicht beweisen lässt. Aber das führt auf die Grundfrage nach dem Wesen organischer Form überhaupt. Und da will ich das nächste Mal dann auch anknüpfen: Wie entstehen überhaupt organische Formen? Wie entsteht überhaupt eine organische Gestalt aus einem Zellgefüge, aus einem Zellhaufen? Eine völlig ungeklärte Frage, nicht, ein absolutes Mysterium, wie das möglich sein kann, die auch durch die Gentechnik in keinster Weise beantwortet wird.

Also diese Fragen sind aufwühlend. Sie sind aktuell wie eh und je, und sie sind in der Tiefe ungeklärt und man muss sich überlegen, welche Faktoren man zulassen kann und darf, und welche nicht. Und da kommt man, meine ich, notwendig auf ein erweitertes Wissenschaftsverständnis. Ich glaube, dass wir nicht umhin können, ein ganz neues, und in diesem Sinne erweitertes Wissenschaftsverständnis zu erarbeiten, das auch diese Faktoren einschließt. Davon sind wir wirklich weit entfernt. Aber anders wird es nicht gehen, glaube ich. Reduktionistisch in dieser Form kann es nicht funktionieren.

Insofern meine ich, dass man sich wahrscheinlich zu dem Gedanken bequemen muss, dass die Entwicklung im Hinblick auf höhere Organisation, auf Geist in der kosmischen Evolution angelegt ist. Das heißt, der Geist ist wahrscheinlich schon in den Fundamenten jeder kosmischen Evolution im Universum und entfaltet sich auf eine uns nicht vorstellbare Weise, und das führt auf eine vollkommen neue und andere Weise, Evolution zu denken.

Das wird auch versucht, es gibt Ansätze dazu. Ken Wilber ist ein Beispiel, es gibt Ansätze bei Varela, Maturana, es gibt Ansätze bei Lázló und anderen. Ich habe auch einige Ansätze da vorgestellt. Also es gibt Ansätze in diese Richtung, aber sie haben keine, sie haben keine Mehrheit in den normalen Wissenschaftsapparaten, weil das bedeutet, dass man letztlich Faktoren einführen muss, die dem herkömmlichen Wissenschaftsverständnis vollkommen fremd sind. Man kommt nicht umhin, das zu tun, meine ich. Faktisch geschieht es sowieso. Es wird nicht nur nicht eingestanden, das sage ich ja auch oft genug, dass auch allein die so populäre Rede vom genetischen Code implizit ein metaphysischen Dualismus bedeutet. Man nimmt irgendwie davon an, es gibt eine geheime Programmierung, was kann die sein? Das muss Geist sein, die Hardware ist es nicht, es muss die Software sein, und das kann in diesem Modell sein, sie muss Geist sein. Im Grunde ist das, was Kritiker, unter anderem Sheldrake, immer wieder gesagt haben, ein uneingestandener Dualismus. Man nimmt letztlich dann doch ein Geistprinzip an, man nennt es nur anders. Man ist mit einem technischen Begriff, wie ja die Wissenschaft sich immer orientiert hat an dem jeweiligen Stand der Technik. Denken sie an die Modelle vom Menschen im 18. Jahrhundert, an die vom 19. Jahrhundert. Und dann heute sind es natürlich Computervergleiche, die herangezogen werden. Das Ganze wird deswegen nicht subtiler und nicht tiefer und nicht lebensnäher.

Ich will dann in der nächsten Stunde, in der nächsten Vorlesung den Versuch machen, die Frage nach der organischen Form zu stellen und Ihnen Möglichkeiten vorstellen, wie man das denken kann, wie man das verstehen kann, auch über mögliche biologische Felder. Ich habe hier gesehen, jemand hat in der Pause Sachen ausgelegt, die betreffen die Vorlesungsreihe von Bernd Senf hier, die er seit 20 Jahren, fast 20 Jahren, in Berlin macht, über die Reichsche Orgonomie und Orgon-Energie, und auch sonst ist Bernd Senf sehr rührig, und ich kann das sehr empfehlen. Das ist eine verdienstvolle Leistung. Seit 20 Jahren bemüht er sich da, diese Orgonomie vorzustellen. Das ist ja ein Versuch neben anderen Versuchen mit vielen, vielen Schwachstellen. Aber ein Versuch, das Ganze wirklich lebendig, ganzheitlich neu zu denken. Und ein hochinteressanter Versuch, bei dem man nicht stehenbleiben kann. Bei all diesen Versuchen kann man nicht stehenbleiben. Da ist noch sehr viel Denk- und Forschungsbedarf zu leisten in den nächsten Jahren.

Ja, ich denke, wir haben die Möglichkeit noch ein paar Fragen zu klären. Gleich jetzt anschließend. Wer gehen möchte oder muss, kann es ja gleich tun. Die anderen können noch dann Fragen stellen.

Antworten auf Fragen aus dem Publikum:

Kausalität geht zurück auf das lateinische Wort „causa“, was Ursache heißt, Ursache. Man kann sagen, nichts in der Welt ist ohne eine Ursache. Nihil [est] sine causa, wie Leibniz das formuliert hat. Nichts ist ohne Ursache. Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass eine Ursache ein Geschehen vollständig bestimmt, so zum Beispiel die Anziehungskraft der Erde, einen fallenden Körper, der Richtung Erdmittelpunkt stürzt, der hat ja nicht die Möglichkeit, sich zu entscheiden, das nicht zu tun. Da gibt es keine Freiheit, Spielräume in der Materie, die darauf schließen lassen? Er muss das nicht tun. Er entscheidet sich, das zu tun oder nicht zu tun. Da gibt es doch in gewisser Weise einen Determinismus. In gewisser Weise. Die Kausalität, die Causa, das Gravitationsfeld ist lückenlos, durchgängig wirksam. Der Körper fällt. In diesem Sinne kann man sagen: Diese Kausalität ist eine lückenlose. Sie ist in diesem Sinne determiniert.

Wenn man das überträgt jetzt auf chemische oder biologische oder Bewusstseins- vorgänge, wird es schwierig. Dann würde die Freiheit vollkommen zerstört sein. Das meine ich. Also man kann davon ausgehen, dass es Kausalität gibt. Wenn sie lückenlos ist, ist sie …, mündet sie in Determinismus, in absolute Notwendigkeit. Wenn jede Tat des Menschen zum Beispiel absolut determiniert ist, auch wenn er es nicht weiß, dann ist ja die Freiheit eine Täuschung, eine pure Illusion. Nicht, man geht ja in der Rechtsprechung davon aus, bekanntermaßen, dass der Einzelne, der ein Verbrechen begeht, beispielsweise, die Möglichkeit gehabt hätte, es nicht zu tun. Ihm wird ja ein Freiheitsspielraum zugestanden, dann reduziert man das immer mehr und führt soziale Faktoren an oder vielleicht Alkohol- Einwirkung oder sonst was. Man reduziert die Freiheitsspielräume, aber man geht doch davon aus, dass es einen minimalen Freiheitsspielraum gibt. Und wenn es den gibt, gibt es keine lückenlose Kausalität mehr, dann gibt es keinen Determinismus mehr.

Oder ich sage von vornherein Ich nehme den Menschen völlig heraus. Dann wird es schwierig. Also was ist nun wirklich so? Das ist ja der Punkt. Da ist das Problem, ja. Und in den meisten Darstellungen wird es einfach gleichgesetzt. Man schreibt nicht klar genug, dass eine lückenlose absolute Kausalität Determinismus ist, man setzt Kausalität überhaupt mit Determinismus gleich. Das war ja ein großer Streitpunkt zwischen Leibniz und Newton, genau diese Frage. Ich habe das im Wintersemester gesagt, genau diese Frage. Newton meinte, es gibt Freiheitsspielräume in der Welt, auch im Kosmos. Leibniz bestritt das, sagte, es gibt überhaupt keine Freiheitsspielräume. Alles ist absolut determiniert. Es gibt nur eine Welt-Maschine, die lückenlos abläuft. Und was wir für Freiheit halten, ist eine Täuschung, weil vor aller Weltentwicklung hat es da eine Entscheidung gegeben des psychophysischen Parallelismus. Beides läuft genau parallel. Nicht, das ist ein Punkt. Das ist gemeint. Ich habe es versucht zu sagen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in einer Welt leben, in der Kausalfaktoren wirksam sind, aber diese Kausalfaktoren determinieren nicht, sondern sie lassen einen gewissen Freiheitsspielraum. Und dieser Freiheitsspielraum ist das letztlich, was organische Formen entstehen lässt und was auch Freiheit ermöglicht. Aber ich bin mir darüber im Klaren, dass eine lückenlose Beweisbarkeit des sogenannten freien Willens nicht möglich ist. Es hat noch keiner geleistet bis zum heutigen Tag.

Das ist ein Postulat. In gewisser Weise hat der alte Kant da recht, dass man das nicht, was er in der „Kritik der reinen Vernunft“ gesagt hat, vor über 200 Jahren, nicht [beweisen kann]. Das ist nicht letztgültigig beweisbar. Das ist in gewisser Weise ein Postulat. Eine Gesellschaft würde zusammenbrechen, wenn man das leugnen würde. Aber letztgültig beweisbar ist es nicht. Man kann immer noch die These vertreten, dass ist letztlich ein verdeckter, versteckter Determinismus, der uns alle foppt. Unsere Freiheit ist ein Wahn und eine Illusion. Wir sind alle irgendwie Marionetten eines unbekannten Marionetten-Spielers.

Ein extremer Reduktionismus müsste das auch konsequent ja annehmen. Es ist ja auch für einen Neurophysiologen das große Problem. Ein Neurophysiologe, wenn er wirklich annimmt, es gibt diesen freien Willen, dann postuliert er eine metaphysische Instanz, die letztlich den Körper steuert. Und wenn er das nicht will, dann muss er sich an die Kausalfaktoren halten. Und wenn auch das nicht will, dann hilft ihm dann nur noch die Quantentheorie. Was auch geschieht dann. Einige Gehirn-Physiologen nehmen dann die Quantentheorie, weil es eben da ein Zufallsprinzip gibt, in den Dingen selber, in der Materie selber. Ja, das dazu.

[Frage zum Begriff des Holons]

Der Begriff ist in der Wissenschaft zum Teil aufgenommen worden. Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern haben den Begriff aufgenommen. Geprägt hat ihn Arthur Koestler, Arthur Koestler, ein sehr bedeutender Schriftsteller und auch Denker, in gewisser Weise auch Philosoph. Sein berühmtestes Buch trägt den Titel „Der Mensch, ein Irrläufer der Evolu-tion“. Irgendwann war er zu dem Schluss gekommen, der Mensch ist eine Fehlentwicklung. Und viele fanden das dann konsequent, dass Arthur Koestler sein Leben durch Selbstmord beendet hat. Er hat sich umgebracht, verzweifelt, absolut pessimistisch. Er sah keine Hoffnung mehr, hat also Selbstmord begangen. Der Begriff „Holon“ ist verschiedentlich aufgenommen worden, unter anderem von Rupert Sheldrake, aber auch anderen Evolutionsforschern und Biologen. Und am umfassendsten in den letzten Büchern von Ken Wilber, der dem Begriff noch eine andere Facette gibt. Man kann das ja ganz vereinfacht so sagen, [an der Tafel Geschriebenes verwendend] als sehr mechanistisch jetzt gedacht und so weiter, dass man das jeweils immer noch erweitern kann, diese Sphäre, der Mensch als Sphären bildendes Wesen, Sloterdijk wiederum, wieder drei Sphären, die wiederum sind von einer anderen Blase umschlossen und so weiter. Also Atome, Moleküle, Moleküle, Organelle und so weiter. Das liegt dem zugrunde. Und dann ist die Frage was ist das für Entwicklungsimpuls, der da drin steckt, und das versuchte Ken Wilber in einer umfassen-den Evolutionslehre zu entfalten, was ich hochinteressant finde. Ich stimme keineswegs in allen Punkten zu, aber ich finde es hochinteressant. Für meine Wahrnehmung die intelligenteste Form, das zu denken, die es im Moment gibt in der Philosophie. Aber Ken Wilber geht natürlich davon aus, dass diese Holons einen Entwicklungsimpuls haben. Die wollen wohin. Im Sinne Hegels: Der Geist will sich aus einer Selbstentfremdung befreien, will zu sich selber kommen.

[Antwort auf ergänzende Zwischenfrage]

Meines Wissens ist der Begriff Holon in diesem Sinne von den eher traditionellen Wissen-schaftsbemühungen nicht aufgenommen worden. Wäre mir unbekannt, er ist eher, sagen wir mal, in den Grenzbereichen der Wissenschaft aufgenommen worden, allerdings in Bereichen, die die Wissenschaft nicht verlassen. Man kann ja, wenn man das so will, drei große Fraktionen ausmachen, eher die Mainstream-Wissenschaft, die alle Lehrstühle in aller Welt besetzt. Die Mainstream-Wissenschaft. Dann eine Grauzone des Grenzbereiches Derjenigen, die sich relativ weit vorwagen und ihren Ruf riskieren, wenn sie zu weit gehen oder sich lächerlich machen, wenn sie voranpreschen mit irgendeiner These, werden sie zurückgepfiffen. Also dieser Grenzbereich. Und die dritte Fraktion ist die, [die] sich unabhängig etabliert als eine eigene Form von Zugang auf Natur, zum Beispiel eben Wilhelm Reich, der vollkommen Abschied genommen hat von der Mainstream-Wissenschaft mit allen auch psychologischen Dingen, die dann notwendig passieren. Die Betreffenden, die das machen, bleiben natürlich auch nicht ungeschoren in ihrer Psyche. Das hält ja keiner durch auf Jahrzehnte hinaus. Also das wäre die dritte Fraktion, aber ich würde eher sagen, nur in der dritten und in der zweiten Fraktion ist es aufgenommen worden, in der ersten meistens nicht, soweit ich weiß.

[Antwort auf ergänzende Zwischenfrage]

Ken Wilber ist ja eher ein scharfer Kritiker der Tiefen-Ökologie, und ob man Ken Wilber als Buddhisten bezeichnen kann, weiß ich nicht. Er wird oft so bezeichnet. Im Grunde ist er kein Buddhist oder nur mit Abstrichen. Es gibt, das ist in Deutschland weniger verbreitet, es gibt in Amerika eine Strömung, die eine Verbindung herzustellen versucht zwischen einem ökologischen Umgang mit der Natur und dem Buddhismus im Sinne des Bodhisattva-Gelöbnisses. Alle lebenden Wesen müssen erlöst werden – und die prominen-teste Vertreterin ist Joanna Macy. Heute glaube ich, Mitte oder Ende 60, Professorin für Psychologie, wenn ich es richtig weiß. Aber es gibt auch andere, auch buddhistische Lehrer, zum Teil, Thich Nhat Hanh und andere, beziehen sich dann zum Teil wiederum auf die Systemtheorie, also die buddhistischen Lehrer übernehmen das dann. Es gibt viele Verbin-dungen. In meiner Wahrnehmung geschieht da eine gewisse Verkürzung. Da wird ja der Buddhismus zu flach genommen und zu schnell verbunden. Ich glaube, das stimmt nicht, aber das ist meine Kritik daran. Das ist subtil. Ich glaube, dass die Systemtheoretiker, auch Joanna Macy, den Buddhismus zu flach verstehen. Der ist tiefer, als sie es denken. Aber das mit allem Respekt gesagt für Johanna Macy. Also, ich finde es großartig, was sie macht. Das ist nicht irgendwie gegen sie gerichtet. Aber ich habe das ja schon gesagt. Der Begriff Tiefen-Ökologie überhaupt ist ja in Deutschland kaum verbreitet, ich habe da in der ersten Vorlesung ein Gespräch erwähnt mit einem alten Bekannten Philosophie-Dozent in Düssel-dorf, der in einem Telefonat mich ernsthaft fragte, ernsthaft, hoch gebildet und intelligent, ob ich das erfunden hätte, den Begriff, ernsthaft. Es ist immerhin erstaunlich, dass im Jahre 1999 ein Philosophie-Dozent mit einem breiten Wissen diese Frage stellt. Also daraus kann man doch schließen, dass der Begriff in keinster Weise irgendwie Verbreitung gefunden hat. Geschweige denn eine Kritik an diesem Begriff, die man ja erst dann nur sinnvoll aufnehmen kann, wenn man überhaupt weiß, wovon die Rede ist.

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