Der okkulte Isaak Newton – Magier und Rechenmeister

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 6

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Wissenschaft und Spiritualität ‒ ich habe Ihnen ja schon in der ersten Vorlesung einige Grundelemente dieses schwierigen Verhältnisses umrissen, habe Ihnen auch versucht, deutlich zu machen, warum dieses Verhältnis essenziell wichtig ist, warum es global, kulturell, sozial, politisch von zentraler Bedeutung ist. Ich will das an drei Beispielen zeigen ‒ heute, an einem Beispiel, das normalerweise in diesem Kontext nicht herangezogen wird, nämlich an einer Figur, die für meine Wahrnehmung eine der spannendsten, interessantesten und auch am meisten missverstandenen Figuren der Geistesgeschichte Europas ist, nämlich am Beispiel von Newton. Gerade am Beispiel von Newton lässt sich sehr schön zeigen, was es auf sich hat mit diesem Verhältnis von Naturphilosophie, Physik, Kosmologie ‒ wie immer ‒ und auch Spiritualität, denn Newton wird, das habe ich auch schon angedeutet, von vielen geradezu als ein Musterbeispiel, als ein Paradebeispiel gleichsam für das neuzeitliche mechanistische Denken betrachtet, was nur mit gewissen Einschränkungen der Wirklichkeit entspricht. Die Figur Newtons war wesentlich komplexer und auch wesentlich interessanter als sie in den meisten der landläufigen Darstellungen erscheint. Da heißt es ja immer, Newton, meistens noch völlig undifferenziert und nicht getrübt von wirklicher Erkenntnis, zusammengebracht mit Descartes, also Newton und Descartes, als die beiden Gründerväter des mechanistischen Denkens, die man nun zu überwinden hätte. ‒

Das will ich versuchen, Ihnen darzustellen, dass das in der Form einfach falsch ist. Das kann man auch historisch nachweisen, dazu bedarf es eigentlich keiner sehr differenzierten Interpretationen. Und dann will ich versuchen, Ihnen ein Bild zu geben von dieser Persönlichkeit und Ihnen auch zu zeigen, was diese Persönlichkeit möglicherweise für das Verhältnis von Naturwissenschaft ‒ Spiritualität bedeuten könnte. Newton war ein Denker und Naturphilosoph, Physiker, dem es absurd erschienen wäre, nach der Natur zu fragen, außerhalb von Gott. Das ist essenziell für sein gesamtes Werk, findet sich an mehreren Stellen, auch in seinem bekannten Werk „Principia ‒ mathematische Grundlagen der Naturphilosophie“ von 1687, das ja als das Grundlagenwerk überhaupt des mechanistischen Denkens einerseits gefeiert wurde, andererseits heftig kritisiert wurde. Also Newton, um das gleich zu Anfang zu sagen, hielt es für vollkommen absurd, nach der Natur zu fragen, ohne gleichzeitig nach Gott zu fragen.

Das ist nicht so zu verstehen, als ob Newton als ein gottgläubiger, frommer Mensch, nun, als ob Newton nicht hätte abstrahieren können von seiner Religiosität. Nein, er meinte, dass es essenziell zum Wesen der Frage nach Natur und Kosmos gehört, nach Gott zu fragen. Und einer der Punkte des großen Konfliktes, den er hatte mit seinem Zeitgenossen Leibniz, bezieht sich genau auf diese Stelle. Es sind ja zwei Konflikte weltgeschichtlich, geistesgeschichtlich, ungeheuer bedeutsam geworden, die Newton als einen der Antipoden zeigen: nämlich einmal der Konflikt Newton-Leibniz, dazu gleich mehr, und zum Zweiten der Konflikt Newton-Goethe, wobei Newton und Leibniz Zeitgenossen waren und direkte Kombattanten, wenn auch nur vermittelt über einen Schüler von ihm, nämlich über Samuel Clarke. Also der berühmte Briefwechsel zwischen Newton und Leibniz ist im Grunde ein Briefwechsel zwischen Samuel Clarke, einem engen Newton-Schüler und Leibniz.

In diesem Briefwechsel von 1715/16 geht es zentral um die Frage: Was ist der Raum, was ist die Zeit? Was ist Bewegung? Und was hat es auf sich mit Gott? Beide argumentieren leidenschaftlich, und es scheint ihnen beiden zentral zu gehen um die Frage: Was ist Gott? Man weiß, dass Samuel Clarke diese Briefe geschrieben hat, autorisiert durch Newton. Er hat es offenbar mit Newton abgesprochen, im Detail wissen wir das nicht. Auf jeden Fall können wir sagen, dass die entscheidenden Argumente, die Samuel Clarke in diesem Briefwechsel vorträgt 1715/16, im Grunde die Argumente seines Lehrmeisters Newtons sind. Der Briefwechsel ist dann durch den Tod von Leibniz abgebrochen. Das Duell, wenn man so will, ist unentschieden geblieben, und die Nachwelt hat sich immer wieder mit diesem Briefwechsel beschäftigt. Ich werde dazu einiges nachher sagen, und weil das einer der vielleicht interessantesten Briefwechsel überhaupt ist, und er gleichzeitig ein interessantes Beispiel ist für die Unmöglichkeit, sich über essenzielle Punkte argumentativ wirklich zu verständigen. Das haben Kommentatoren dieses Briefwechsels immer wieder gesagt: Irgendwann wiederholen beide nur immer wieder ihre Argumente. „Der gelehrte Herr Verfasser ist offenbar nicht gewillt, auf meine Argumente einzugehen“, heißt es bei Leibniz und umgekehrt. Sie wiederholen dutzendfach eigentlich immer wieder neu ihre Grundthesen, weil es sich als unmöglich erweist, den anderen zu überzeugen davon, dass die eigene Position die richtige ist. Ganz plakativ gesagt: Der Raum-Zeit-Absolutismus Newtons steht gegen den Raum-Zeit-Relativismus von Leibniz, also ganz vereinfacht gesagt. Das Ganze ist wesentlich differenzierter. Also der Raum-Zeit-Absolutismus Newtons steht gegen den Raum-Zeit-Relativismus von Leibniz.

Die Goethe-Newton Kontroverse will ich hier in diesem Kontext nicht ansprechen. Die betrifft vor allem die Optik, die betrifft das Licht und die Farben.

Und hier soll es vor allen Dingen gehen um die Frage des Kosmos, der Kosmologie und um die Frage der Bewegung. Dieses Buch „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie“ hat drei oder vier Themen, je nachdem, wie man die Themen im Einzelnen gewichtet. Die Frage des Raums, die Frage der Zeit, ich sagte es schon, die Frage nach Gott und ‒zentral physikalisch, naturphilosophisch ‒ die Frage der Bewegung. Eine sehr schwierige Frage, eine unauslotbare Frage: Was ist Bewegung? Worauf bezieht sich Bewegung, wie kann man eine relative Bewegung von einer absoluten Bewegung unterscheiden? Das war der Ausgangspunkt.

Newton selber sagte gleich zu Beginn der „Principia“, er habe dieses Buch geschrieben, um ein für alle Mal klarzustellen: Was ist eine relative Bewegung, und was ist eine absolute Bewegung? Denn die Frage war ja im Nach-Kopernikanismus: Wie kommt es eigentlich, wenn denn die Erde sich so rasend schnell bewegt ‒ die Orbitalgeschwindigkeit beträgt ungefähr 30 Kilometer pro Sekunde ‒ warum spüren wir unmittelbar auf der Erdoberfläche nichts von dieser rasenden Bewegung? Das war der Ausgangspunkt der ganzen nachkopernikanischen Physik.

Kopernikus selber hatte dazu wenig sagen können und hat sich zunächst einmal den Spott seiner Zeitgenossen und auch noch der zwei, drei Generationen danach eingeholt. Es hieß da, na ja, wenn es diese rasende Bewegung wirklich gäbe, müssten wir ständig, ich sagte es ja schon mal, von einem Gegenwind berührt sein, wir müssen das spüren, ‒ es sei unmöglich. Das wurde lächerlich gemacht. Also war die Physik aufgerufen, das plausibel zu machen. Nun will ich erst einmal die Überschrift des Themas ein bisschen genauer bestimmen, wenn ich jetzt auf die „Principia“ eingehe.

Ich hatte gesagt: Magier und Rechenmeister. Das muss ich kurz erläutern. Dass Newton ein Magier sein soll oder gewesen sein soll, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich, ja abwegig oder absurd erscheinen. Erst im zweiten Durchlauf wird das deutlich. Der erste, der das formuliert hat und auch plausibel gemacht hat, war ein Mann, der gemeinhin mit ganz anderen Dingen in Verbindung gebracht wird, nämlich mit der Nationalökonomie, der große Nationalökonom John Maynard Keynes, den meisten ja bekannt. John Maynard Keynes als Nationalökonom, war, was viele nicht wissen, auch gleichzeitig Newton-Forscher. John Maynard Keynes hatte in den 30er Jahren im Nachlass Newtons studiert und hatte herausgefunden zu seiner und seiner Zeitgenossen Überraschung, dass sich Newton sehr intensiv mit mystischen, mit okkulten und hermetischen Gedanken auseinandersetzte. Ja, man gewinnt den Eindruck, so John Maynard Keynes seinerzeit, dass ihm das das Wesentliche gewesen sei, dass er eigentlich in seiner Grundsubstanz Okkultist gewesen sei; ich sage das jetzt mal in Anführungszeichen, weil dieser Begriff heute kaum noch üblich ist. Er war ja ein sehr gängiger Begriff um die Jahrhundertwende, etwa in der Theosophie und anderen Strömungen, also dass er im Kern Okkultist gewesen sei. Er verstand sich in der Tradition des Hermetismus.

Hermetismus ist eine Strömung, die zurückgeht auf apokryphe Schriften eines gewissen Hermes Trismegistos, von denen man annahm in der Renaissance und noch bis ins 18. Jahrhundert zum Teil, dass sie uralt seien. Man hat dann später herausbekommen: Diese Schriften sind nicht so alt, wie man geglaubt hat. Diese Schriften stammen aus dem zweiten, dritten, nachchristlichen Jahrhundert. Sie sind sehr stark neuplatonisch beeinflusst. Man hat das anders interpretiert. Man hat dann geglaubt, dass letztlich Platon und der gesamte Neuplatonismus, die gesamte neuplatonische Philosophie entscheidend vom Hermes Trismegistos beeinflusst worden seien ‒ dabei ist es umgekehrt, die Schriften sind viel jünger. Wir wissen nicht genau, was Newton dazu dachte, obwohl zu seiner Zeit schon bekannt war, dass diese Schriften relativ spät[en Ursprungs] sind. Aber es geht um die Schriften des Hermes Trismegistos, zweites, drittes nachchristliches Jahrhundert … [Hermetismus als eine] synkretistische Strömung, wo sehr viele Elemente vorderasia­tisches Denken, zum Teil glaubt man auch asiatisches, ja und buddhistisches Denken daraus zu spüren, Einheit der Welt, unio mystica, dann neuplatonisches Denken, also eine sehr komplexe Angelegenheit, hochspannende, faszinierende Texte. Auch Giordano Bruno und andere haben sich damit intensiv beschäftigt.

Also Newton sah sich, wenn wir den Dokumenten trauen dürfen, als Hermetiker, als den letzten und größten, und zu seiner Zeit auch einzigen Repräsentanten dieser hermetischen Tradition. Newton war von keinem geringen Selbstbewusstsein geprägt. Kritiker haben gesagt, er war größenwahnsinnig, megalomanisch, er hielt sich für den überragenden Geist seiner Zeit und war davon überzeugt, dass in jedem Zeitalter nur einer der Wissenshalter sein könne. Und das ist einer der Gründe, warum er so scharf, ungerecht muss man auch sagen, dann gegen seine Widersacher vorgeht, unter anderem eben auch gegen Leibniz. Es hat ja zum Teil sich eine, man muss sagen, wüste Polemik entzündet, die ein eigenartiges Licht auf beide Persönlichkeiten wirft, also auch außerhalb dieses Briefwechsels, die eigentlich zeigt, wie sehr unter der Oberfläche häufig genug ganz unausgereifte Macht- und Eitelkeit-Instinkte am Wirken waren.

Ich will das kurz noch mal erläutern, was ich hier gesagt habe über John Maynard Keynes und Newton. Keynes hat das entdeckt, ich zitiere mal eine kurze Passage von John Maynard Keynes, wiederum zitiert in dem Buch eines amerikanischen Mathematikers und Historikers, Morris Berman, Anfang der achtziger Jahre sehr bekannt. „The Reenchantment of the World“, „Die Wiederverzauberung der Welt“. Er hat seinem Buch den Untertitel gegeben: Am Ende des Newtonschen Zeitalters ‒ vielleicht ein bisschen verfrüht wurde das da ausgerufen 1982, aber immerhin das Buch ist hochinteressant. Er zitiert hier John Maynard Keynes aus den 30er Jahren. Vielleicht noch einmal die Passage davor: „Mit einigem Erstaunen reagierte der britische Ökonom John Maynard Keynes, als er beim Durcharbeiten der unzähligen Manuskripte Newtons, die von seinen Nachfahren 1936 zur Versteigerung freigegeben worden waren, entdeckte, dass Newton sich intensivst mit okkulten Wissenschaften und hier speziell mit der Alchemie beschäftigt hatte, unter anderem auch mit der Cheops-Pyramide; [Newton] versucht die Geschichte, was ja bis in die Gegenwart hineinreicht, alle Bemühungen dieser Art, die Geschichte der Menschheit in der Cheops-Pyramide ablesbar zu machen. Dass Newton sich intensiv mit okkulten Wissenschaften und hier speziell mit der Alchemie befasst hatte, ja beinahe besessen davon gewesen war. Keynes konnte nicht umhin, folgendes Urteil abzugeben, Zitat John Maynard Keynes: „Newton, Lebenszeit 1643-1727. Newton war nicht der erste Vertreter des Zeitalters der Vernunft. Er gehörte vielmehr zu den letzten Magiern.“ Jetzt ganz kurz noch mal in Parenthese: Magier meint nicht das, was im normalen Sprachgebrauch darunter zu verstehen ist. Magie im Sinne von magia naturalis meint eine bestimmte Art von spiritueller Naturbetrachtung, meint nicht magische, zauberische Fähigkeit. Magier heißt nicht, dass Newton in irgendeiner Form okkulte Praktiken in dem Sinne betrieben habe, dass er andere Elemente oder andere Menschen oder Pflanzen und Tiere wie immer magisch okkult beeinflussen wollte. Darum geht es nicht. Es geht um eine spirituelle Betrachtung, magia naturalis, die im 16. Jahrhundert und im 17. Jahrhundert sehr verbreitet war. So ist es gemeint. Er gehörte vielmehr zu den letzten Magiern. Er betrachtete das Universum und alles, was darin existiert, als ein Rätsel, ein Geheimnis, das dadurch entschlüsselt werden konnte, dass reines Denken auf das angewandt würde, was augenscheinlich gewiss war, auf bestimmte mystische Anhaltspunkte, die Gott über die Welt verteilt hatte, um eine Art philosophischer Schatzsuche nach esoterischer Bruderschaft zuzulassen. Er glaubte ‒ Newton glaubte ‒ dass diese Anhaltspunkte teilweise in den Zeichen des Himmels und der Beschaffenheit der Elemente gefunden werden konnten. Genau dies ist es, was den falschen Eindruck vermittelt, dass er ein Experimental- oder Naturphilosoph sei, aber auch teilweise in gewissen Dokumenten und Traditionen, die von den Brüdern in ununterbrochener Folge bis zu den ursprünglichen kryptischen Offenbarungen Babyloniens weitergegeben wurden. Er betrachtete das Universum als ein Kryptogramm des Allmächtigen, betrachtete [also] die Welt als ein Chiffren-System des göttlichen Willens, von dessen Wirklichkeit und Wirksamkeit und Allgegenwart er vollständig überzeugt war.“

Ich habe es ja einleitend gesagt, eine Naturwissenschaft ohne die Einbeziehung Gottes wäre ihm absurd erschienen. Jetzt kommentiert das Morris Berman: „Newton … [Keynes)
erkannte… dass „Principia“ und die „Optik“ nur der an die Öffentlichkeit gelangte Teil eines insgesamt viel umfangreicheren Werkes waren … gemeinsam hatte mit der Weltsicht eines Robert Plath als mit der eines Physikers des 19. Jahrhunderts. Aber die in jüngster Zeit von Frank E. Manuel erstellte Biographie Newtons hat, ebenso wie die von David Caprin erstellte brilliante Studie über Newton und seinen kulturellen Hintergrund gezeigt, dass Newton selbst in großem Umfang gesäubert hat, in Anführungszeichen, das heißt, die Stellen aus seinem Werk eliminiert hat, die das hätten erkennen [lassen können].

… diese Stellen immer noch und das ist natürlich den Gegnern Newtons nicht entgangen, vor allen Dingen Leibniz mit seinem unglaublichen Scharfblick, ist natürlich nichts entgangen, er hat genau diese Stellen herausgegriffen und gegen Newton und die Newtonianer ins Feld geführt. Er hat ihnen dann Okkultismus auch wirklich vorgeworfen, er würde die Gravitation zu einer qualita occulta machen, zu einer okkulten Qualität, weil er letztlich nicht sagen konnte, was diese Gravitation wirklich ist, woher sie stammt und wie sie mit der Welt verbunden ist.

Das hat Newton in der Schwebe gelassen, er hat ja immer wieder gesagt: Das wisse er nicht, das sei ein großes Rätsel. Man weiß aus seiner Biographie, dass ihn das jahrelang, jahrzehntelang beschäftigt hat. Unermüdlich hat er sich damit beschäftigt: Was ist diese rätselhafte, allgegenwärtige Gravitation, die ja mit seinem Namen bis heute eng verbunden ist. Ihn hat das unaufhörlich beschäftigt, bis zu seinem Tode, das kann man in seinen Briefen sehen, das kann man in seiner gesamten Biographie nachvollziehen. Um die Antwort auf das Rätsel der Schwerkraft zu finden, wandte sich Newton an die hermetische Tradition, und er begann sich, wie Keynes ausführt, als den zeitgenössischen Vertreter, ja sogar als den von Gott erwählten Erben dieser Tradition zu betrachten. Aber sowohl aus psychologischen als auch aus politischen Gründen sah es Newton als notwendig an, diesen Teil seiner Persönlichkeit und seiner Philosophie zu unterdrücken und die nüchterne Fassade eines Positivisten zur Schau zu stellen. Das muss man auch im Kontext der Zeit sehen, dass der Verdacht des Atheismus etwa, fast möchte man sagen, lebensgefährlich war. Das kann man ja noch im späten 18. Jahrhundert sehen, als Fichte etwa Jena verlassen musste wegen des Atheismusverdachtes. Also, der Verdacht, jemand sei Atheist oder stünde nicht auf dem Boden der christlichen Grundordnung, war gefährlich. ‒

Und so spielt dann auch in dem Briefwechsel von Sammuel Clarke und Leibniz diese Frage eine wichtige Rolle der Rechtgläubigkeit. Sie werfen einander ständig vor, wenn man das, was der werte Herr Verfasser, der gelehrte Herr Verfasser sagt, weiterdenkt, und das werfen sich beide vor, dann kommt es auf einen Atheismus hinaus. Und dann wirft man dem Leibniz vor, das sei purer Materialismus, was er vertrete, das wäre also auch atheistisch. Beide machen sich die gleichen Vorwürfe, nur von einer anderen Warte aus. Das war zeitlich, das war in der Zeit, das lag in der Zeit. Und ein anderer wichtiger Punkt, der auch in der Zeit lag, war, dass alle ganz große Vorsicht walten ließen mit dem Begriff der Weltseele. Man wundert sich eigentlich, warum (weder) Newton noch Leibniz noch andere Denker in der Zeit den Begriff der Weltseele so abfällig behandeln, denn er war doch in der Renaissance-Philosophie ein Schlüsselbegriff seit Platon: „anima mundi“, „anim del mondo“, also, eine zentrale Vorstellung: Warum? Weil der Begriff der Weltseele als atheistisch galt. Das kommt auch in dem Briefwechsel Clarke-Newton zum Ausdruck. Da heißt es manchmal, das hieße ja, den Gedanken der Weltseele einführen und die Welt zum Lebewesen zu erklären, die quasi ein großer Organismus ist und im Grunde genommen Gottes nicht mehr bedarf. Also eine merkwürdige Argumentation, nicht?

Giordano Bruno, 100 Jahre vorher, verkündet noch die Weltseele als ein all- durchwaltendes Etwas einer unendlichen Welt, eines unendlichen Kosmos. Und Leibniz, Newton sind sich darin beide vollkommen einig: Eine Weltseele gibt es nicht, ja, sie darf es nicht geben, denn gäbe es sie, dann würde dadurch die christliche Weltordnung untergraben. Also da waren sich beide auf eine merkwürdige Weise einig. Und doch kann man zeigen, das hat die Newton-Forschung auch gezeigt, dass Newton in seiner ganzen Raumvorstellung dann doch sehr stark auch von der Renaissance-Philosophie, etwa Giordano Bruno auch und dann in ganz anderer Weise auch von Jacob Böhme und anderen, beeinflusst war. Denn die Frage war ja naheliegend, wenn man wie Newton meint, der Raum ist absolut: Wo bleibt Gott?

Das war der große Vorwurf an Newton: Du erklärst den Raum für absolut, das hat ja Newton getan, dafür ist er ja berühmt geworden, der Raum ist absolut, die Zeit ist absolut, ohne Anfang, ohne Ende. Wo bleibt Gott? Hat er den Raum, hat er die Zeit geschaffen? Was hieße das dann? Dann gäbe es ja etwas außerhalb von Gott. Und das hat eine interessante, faszinierende Kontroverse ausgelöst, und beide argumentieren dann auch ganz theologisch, scholastisch, spitzfindig bis zum Äußersten, um nachzuweisen, dass die jeweils eigene Position letztlich orthodox ist, dass sie mit christlichen Grundsätzen in Übereinstimmung steht. Bedeutungsvoll ist, in diesem Zusammenhang auch noch mal Morris Berman, dass Newtons Überzeugung, ein Glied der goldenen Kette der Magier zu sein, der Einzigartige, die von Gott in einem jeden Zeitalter dazu ausersehen waren, das uralte hermetische Wissen zu erhalten, noch durch die besonderen Umstände seiner Geburt verstärkt wurden. Dann kommt das ganze Thema seiner Geburt, dann muss man … seines Geburtsdatums.

Man muss sagen, dass in England damals der gregorianische Kalender noch nicht galt. Deswegen wird sein Geburtsdatum auch verschieden angegeben. Mal heißt es, glaub ich, der 25. Dezember 1642, und dann heißt es wieder 5. Januar 1643. Also wenn man es umrechnet auf den gregorianischen Kalender, kommt man auf den 6. Januar 1643. Nur hat die Newton-Forschung in den letzten Jahrzehnten interessante Dinge zutage gefördert. Ich bin auf Newton, ich will das ganz kurz mal biografisch persönlich sagen, noch mal wieder ganz neu gestoßen in diesem Hörsaal hier, nämlich vor ziemlich genau sechs Jahren, als ich hier eine Vorlesung hielt über Naturphilosophie, damals in dem noch ganz anders gestalteten Raum hier, war in der ersten Vorlesung der bedeutendste Newton-Experte unserer Zeit anwesend, Ed Dellian, und hat mir den Briefwechsel Clarke-Leibniz geschenkt, den er selber herausgegeben und übersetzt hat aus dem Englischen und Französischen. Und seitdem sind wir in einem gewissen Meinungsaustausch, in diesen sechs Jahren, haben uns hin und wieder getroffen, haben über all diese Fragen eingehend diskutiert. Und von Dellian, der nun minutiös wie kein anderer, muss man sagen, Newton studiert hat, also wirklich der beste Newton-Kenner, den es gibt, auch Newton-Übersetzer, hat eine ganze Reihe von interessanten Punkten zutage gefördert, die doch geeignet sein könnten, den Newton in ganz anderer Weise neu zu betrachten. Übrigens hat Dellian auch die mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie übersetzt. Ich habe das im Literaturverzeichnis drin. Auch das Buch hat er mir dann ein paar Monate später geschenkt. Ich wusste gar nicht, dass es eine Neuübersetzung gibt. Ich kannte diese Sachen nur aus wissenschaftsgeschichlichen Darstellungen und hatte mir bis dahin nicht die Mühe gemacht, das Ganze noch mal von vorne bis hinten durchzuarbeiten und auch das Hauptwerk Newtons so gründlich zu studieren, wie es wirklich studiert werden muss.

Also, was sind die Ergebnisse erst einmal, die man jetzt festhalten müsste oder könnte, was diese sehr genaue Kenntnis von Newton anlangt? Ich will das versuchen darzustellen. Wie sieht die Naturphilosophie Newtons aus, wie sie sich jetzt darstellt? Von den Forschungen Ed Dellians aus, also sehr genau recherchiert und auch sehr genau im Text belegbar. Schon das wird einige Überraschungen zutage fördern, eine Überraschung, die auch ins Zentrum unseres Themas führt. Und auch die Kontroverse Samuel Clarke-Leibniz wird in dem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen. Ich versuche das mal skizzenhaft ihn vorzustellen.

Newtons Kosmos, der Kosmos in seinem Bewusstsein, seine Art, diesen Kosmos zu denken, sieht folgendermaßen aus: Es gibt einen absoluten Raum und eine absolute Zeit. Das heißt nicht für Newton, dass wie für Giordano Bruno, (dass) die Welt als Ganzes mit allem was in ihr ist, auch unendlich sei. Genau das streitet er entschieden ab: Die Welt ist endlich. Es gibt eine endliche materielle Welt, betont er immer wieder. Es gibt eine endliche materielle Welt innerhalb eines unendlichen raumzeitlichen Universums. Ein wichtiger Punkt, weil das natürlich sofort eine Fülle von Fragen aufwirft, die ja schon hundert Jahre vorher Giordano Bruno beschäftigt haben.

Wenn es eine endliche Welt in einem unendlichen Raum geben sollte, so argumentiert Bruno, dann wäre diese Welt ortlos, dann wäre sie eigentlich ein Nichts, denn im Verhältnis zum Unendlichen ist alles Endliche nur ein Nichts. Er hat also ganz in seinem Hauptwerk oder einem seiner Hauptwerke „Vom Unendlichen, dem All und den Welten“ dagegen polemisiert und das als eine scholastische Vorstellung bezeichnet. In diesem Sinne, müsste man dann auch einräumen, ist auch Newton Scholastiker, als er sogar so weit geht zu sagen: Was außerhalb des Sonnensystems ist, ist bereits …, mag eine ganz andere Welt sein. Also er beschränkt seine Argumentation vollständig auf das Sonnensystem.

Also Punkt Eins: Es gibt eine unendliche Zeit, einen unendlichen Raum. Beide sind absolut, aber die Welt innerhalb dieses unendlichen Raumes und dieser unendlichen Zeit ist endlich. Ja, sie ist nicht nur endlich, sie ist auch geschaffen worden, das ist auch ein wichtiger Punkt. Also Newton tritt hier auf als jemand, der von einer Weltschöpfung überzeugt ist, was Giordano Bruno für völlig absurd gehalten (hat). Die Welt kann niemals entstanden sein. Also Newton geht von einer Weltschöpfung aus.

Dann nimmt Newton an, dass in dieser Welt, oder anders gesagt, dass die Materie aufgebaut ist aus Atomen. Das übernimmt er von Demokrit und Leukippos aus der Antike. Newton ist radikaler Atomist. Innerhalb dieses Weltganzen besteht alles, alle Dinge bestehen aus Atomen, das heißt harten, undurchdringlichen, könnte man sagen, Wirklichkeitskügelchen, harten, letzten Bausteinen der Welt. Modern könnte man sagen, Elementarteilchen. Newton meinte, die Welt ist aus Elementarteilchen aufgebaut, und alle physikalischen Gesetze, von denen Newton überzeugt war, dass sie die Welt regieren, beziehen sich auf diese Elementarteilchen. Das ist richtig. (Ich) werde das noch erläutern, nicht auf die Körper als Ganze, nicht auch auf die Gestalt als Ganzes, sondern jede Bewegung eines großen Körpers ist die Summe aus der Bewegung seiner Elementar­teilchen. Der Begriff der Masse, der in der Physik der Neuzeit so zentral war und auch noch ist, bis heute, ist bei Newton ganz anders definiert als etwa in der Newtonschen oder klassischen Mechanik. Masse ist bei Newton einfach quantitas materiae, einfach die Menge der Materie.

Bei Newton ist das viel einfacher als dann in der Newtonsche Mechanik. Eine Sache also, jeder Körper ist zusammengesetzt aus einer bestimmten Anzahl von Elementar­teilchen, das kann man zählen. Das ist Masse für ihn, während ja Masse dann in der klassischen Mechanik einfach eine Funktion ist, das ist ja etwas vollkommen anderes. Es ist ja später vollkommen anders gesehen worden. Diese Art von Atomismus ist ja dann erstmal in der klassischen Mechanik vollkommen aufgegeben worden. Dann ist wichtig, dass Newton nicht nur der Frage nach[geht], wie bewegen sich diese Partikel, diese Elementarteilchen im Raum. Was lässt sie sich bewegen? Und haben sie sozusagen das, was die Körper von ihnen durchdringt und einander zuführt? Oder ist das etwas Äußeres? Und da hat Newton eine Vorstellung entwickelt, die in der klassischen Mechanik fast vollkommen untergegangen ist.

Newton, und das zeigt Ed Dellian auf eine sehr überzeugende Weise, war im Grunde Dualist auf eine vollkommen andere Weise als Descartes. Er ging davon aus, dass die Materie keine Eigenlebendigkeit hat, auch daher seine Ablehnung der Weltseele. Die Weltseele gibt es nicht, Materie ist nicht eigenlebendig. Also auch die Monadenlehre von Leibniz hat Newton scharf abgelehnt, weil ja Leibniz davon ausging, dass in jedem Wassertropfen eine Unendlichkeit auch von lebendigen Konfigurationen zu beobachten sei. Das hat Newton vollkommen und sehr scharf abgelehnt. Materie ist letztlich eine unbelebte, unbeseelte Ansammlung von einzelnen Partikeln. Und was die Materie bewegt, sind Kräfte. Und Kräfte versteht Newton nicht als Funktionen, sondern als wirklich reale metaphysische, immaterielle Entitäten. Er kennt drei Kräfte, im Gegensatz zu dem, was dann später auch behauptet wurde über Newton. Er kennt drei entscheidende Kräfte, und es gibt nur drei Kräfte, die die Welt nach Newton regieren. Auch da gab es eine große Kontroverse mit Leibniz.

Es gibt zunächst einmal die sogenannte vis insita. Das ist in der späteren Naturphilosophie als Trägheitskraft bezeichnet worden. Also, vis insita ist eine der Materie innewohnende, aber nicht in irgendeiner Form als eine ihrer Eigenschaften zu bezeichnende Kraft, Trägheitskraft, vis insita. Diese Trägheitskraft ist die Ursache dafür, meint er, dass ein Körper, wenn er einmal angestoßen ist, diese Bewegung beibehält. Vielleicht wissen das einige von Ihnen, die sich noch an den Physikunterricht erinnern, oder auch sonst naturwissenschaftlich vielleicht das Einschlägige einigermaßen zur Verfügung haben, dass schon das in der klassischen Mechanik anders gesehen wird. Denn in der klassischen Mechanik gilt die Trägheitsbewegung als eine ursachelose Bewegung, die keiner Kraft bedarf. Das gilt ja gerade als eine große Errungenschaft der Physik seit Galilei, dass eine geradlinig gleichförmige Bewegung keiner sie fortwährend antreibenden Kraft bedarf. Also vollkommen anders, Newton meint das vollkommen anders, er meint, es gibt tatsächlich eine unaufhörlich die Bewegung vorantreibende Kraft. Das ist die eine Kraft. Dann gibt es die zweite Kraft, die nennt er vis impressa, das ist die ,eingedrückte‘ Kraft. Das ist praktisch der Bewegungsimpuls von außen, also was einem Körper Bewegung verleiht, was von außen auf einen Körper einwirkt, auch nach Newton eine immaterielle Größe, und zwar eine eigene immaterielle Entität. Man könnte dann modern sagen, eine Art Feld. Auch das wäre im Sinne der Physik seit Faraday eine Art Feld. Es gibt also zwei Felder: Es gibt das Trägheitsfeld, was jedes Elementarteilchen umgibt, und es gibt die eingedrückte Kraft von außen, die einem Körper einen Bewegungsimpuls verleiht. Und es gibt schließlich die vis centripeta, das ist Zentripetalkraft, wobei bei Newton ein eigenartiger Punkt zu beobachten ist, Newton war sich sehr unsicher: Was ist eigentlich die Gravitation?

Er ging sogar so weit, in einigen seiner Äußerungen in den „Principia“ zu sagen: Diese Gravitation ist keine physikalische Kraft. Das ist auch wichtig. Er macht also eine Unterscheidung zwischen den eigentlich physikalischen Kräften der vis insita und der vis impressa. Es gibt einige Aussagen von ihm, wo er das auch als spirits bezeichnet, also durchaus als etwas Lebendiges, tut er immer wieder, und auch frei. Das Spannende, ja Aufregende bei Newton ist, und das hat natürlich Leibniz sofort erkannt und dagegen scharf polemisiert, dass diese Kräfte frei sind, dass sie nicht etwa mechanistisch notwendig funktionieren, sondern dass [das] aus einer sozusagen anderen Weltebene heraus wirkende metaphysische Kräfte [sind]. Und die vis centripeta als Gravitation nimmt er ganz raus, bis dahin, dass er sagt, die Gravitation sei überhaupt keine physikalische Kraft. Jeder, der das zum ersten Mal hört, denkt , das kann doch nicht wahr sein, das ist unmöglich, das kann Newton nicht gesagt haben. Ich lese vor die Stelle aus den Definitionen am Anfang der „Principia“.

Zitat Newton: „Desweiteren bezeichne ich, Newton, Anziehungen und Anstöße im gleichen Sinn als beschleunigend und bewegend. Ich benutze die Begriffe Anziehung, Anstoß oder jedwede Hinneigung zum Mittelpunkt unterschiedslos und gegeneinander austauschbar, da ich diese Kräfte nicht physikalisch, sondern nur mathematisch betrachte. Daher hüte sich der Leser zu denken, ich wollte durch irgend derartige Begriffe die Art und Weise von Einwirkungen oder ihre physikalischen Ursachen oder Seinsweise definieren, oder ich wollte den Mittelpunkten, die mathematische Punkte sind, ganz wirklich und im physikalischen Sinne Kräfte zuschreiben, wenn ich wirklich die Ausdrücke ,die Mittelpunkte ziehen an‘ oder ,es gibt Kräfte der Mittelpunkte‘ verwenden werde.“

Also ganz klar, Newton betont hier am Beginn der definitiones, wenn er von Gravitation spricht, dann meint er das im mathematischen Sinn, nicht im physikalischen Sinn. Nun ist das eine Merkwürdigkeit, wenn man das zum ersten Mal sich klar gemacht hat und darauf gestoßen ist, dass man zunächst verwirrt ist. Was soll denn das heißen? Newton als Schöpfer des Gravitationsgesetzes hält die Gravitation überhaupt nicht für eine physikalische Kraft. Was bedeutet das? Das können wir genau auseinanderhalten. Newton war davon überzeugt, geradezu besessen davon, das geht auch aus seinen Briefen hervor, dass diese Gravitation allgegenwärtig ist, dass sie überall anzutreffen ist. Und er fragte sich, wie das kommt. Denn das trifft für diese Kräfte so nicht zu. Wie kommt es, dass diese Gravitation im ganzen Kosmos gegenwärtig ist? Und er fand auch zunehmend eine Antwort darauf, seine Antwort auf eine kurze Formel gebracht, sieht folgendermaßen aus: Die Gravitation ist deswegen allgegenwärtig, weil sie in gewisser Weise Gott selbst ist.

Also diese Pointe findet sich bei Newton dann auch teilweise direkt ausgesprochen. Sie [die Gravitation] ist sozusagen der göttliche Wille selbst, und der göttliche Wille selbst kann keine physikalische Kraft sein. Das wäre eine Herabminderung des göttlichen Willens. Und natürlich hat gerade da Leibniz angesetzt, und das ist der Punkt seiner Kritik auch: Was macht denn Newton? Er erklärt die Gravitation zu einer qualita occulta, die man gar nicht erklären kann. Denn Newton hat immer wieder gesagt, diese Gravitation lässt sich nicht erklären. Natürlich gab es zu seiner Zeit schon Theorien, und sie hat es ja auch später gegeben, herauszufinden, was ist diese Gravitation wirklich? Leibniz zum Beispiel war, in Anlehnung an Descartes und anderen, davon überzeugt, Gravitation müsste ein Ätherwirbel sein, hätte also eine physikalisch mechanistische Ursache. Das hat gerade Newton aufs Schärfste abgewiesen, zurückgewiesen.

Also, noch mal klar gesagt, diese drei Kräfte, zwei Kräfte reale physikalische Kraft, eine Kraft, eine quasi göttliche Kraft, wirken in der endlichen Welt, in einem unendlichen Universum.

In gewisser Weise kann man sagen, dass Newton, wenn man es so nennen will, eine Vierfachheit der gesamten Welt, des Kosmos unterstellt, annimmt. Erste Wirklichkeits­schicht, Ur-Schicht überhaupt, ist Gott, das Absolute schlechthin. Zweite Wirklichkeitsschicht ist das Raum-Zeit-Gefüge. Die dritte Schicht sind die Kräfte. Die vierte Schicht, die unterste Schicht gewissermaßen, ist die physische Materie, wobei man dann bei den Kräften noch diese Aufteilung hier vornehmen muss, die ich an der Tafel vollzogen habe.

Also Gravitation als eine Manifestation des allgegenwärtigen göttlichen Willens schon deswegen, weil sie keine Zeit beansprucht. Das ist ja das bis heute Irritierende und Faszinierende, wenn man überhaupt darüber nachdenkt über diese Gravitation, dass sie nicht nur alles durchdringt, die dickste Bleischicht durchschlägt sie wie nichts, sie ist überall. Keine Nische, kein Winkel dieser Erde entgeht der Gravitation. Sie ist überall, und gleichzeitig ist sie unendlich schnell, wenn man überhaupt den Begriff der Geschwindigkeit auf sie anwenden kann. Natürlich hat es im Rahmen der Jahrhunderte immer wieder Vermutungen gegeben, lange vor Einstein, dass diese Gravitation nicht relativ [unendlich] schnell ist, dass sie nämlich Zeit braucht, um von einem Gestirn zum anderen zu gelangen und nicht instantan, denn nach Newton ist es so, und in der Schulmechanik wird dieser Punkt genauso gesehen, hier ist der Körper A, hier ist der Körper B, und wenn Körper A auf Körper B und Körper B auf Körper A wirkt, dann ist hier, passiert in dem Raumteil dazwischen nichts. Das heißt, die gravitative Wirkung durchläuft oder unterläuft gleichsam den Raum. Ohne Zeitverlust wirkt A auf B und B auf A. Das ist die Pointe der Schulmechanik und auch der Newtonschen Mechanik ja immer gewesen. Deswegen taucht im Gravitationsgesetz die Zeit nicht auf, es gibt keine Zeit. Wenn man jetzt sagen würde, warum gibt es denn keine Zeit? Was ist denn das? Wie kommt denn das überhaupt, dass die Gravitation quasi unendlich schnell sein kann? Wie ist das möglich? … dann, hier gibt es überhaupt keine Entfernung in diesem Sinne. Das heißt, für die Gravitation gibt es diesen Raum gar nicht. Oder, ich sage, wenn die Gravitation tatsächlich den Raum durchläuft, in Anführungszeichen, dann müsste sie sich unendlich schnell bewegen. Und dann kommt sofort die Frage auf: Wieso kann sie das? Wieso kann sich die Gravitation unendlich schnell bewegen? Ist dann der Raum das Trägermedium der Gravitation? Ist das vielleicht sogar eine Art von Raum-Energie? Die Frage ist in der heutigen Zeit viel diskutiert im Zusammenhang in den letzten Jahren mit der Frage der Vakuum- oder Raum-Energie. Da werden ja all diese Fragen wieder ganz neu diskutiert, weil das ist immer die große Dunkelstelle der Mechanik gewesen, dass man nicht erklären konnte, was Gravitation ist, wie es überhaupt kommt, dass sie unendlich schnell ist. Das können sie in allen Gleichungen sehen, die Zeit taucht nicht auf. Und das hat Leibniz dann Newton vorgeworfen, dass er eine Mystifizierung der Gravitation betreibt; und es war naheliegend, dass dann immer wieder Versuche gemacht wurden, zu zeigen, es scheint uns unendlich schnell, ist aber im Grunde genommen eine endliche Geschwindigkeit. Einer der ersten, der das vermutet hat, war der Begründer des wissenschaftlichen Feldbegriffes, Michael Faraday um 1850. Er war einer der ersten, der gefragt hat, ob vielleicht doch Zeitreisen [möglich sind], vielleicht sogar Lichtgeschwindigkeit. Das hat man nie klar nachweisen können. Aber er hat die Vermutung geäußert: Wenn das so wäre, dann müsste man ganz anders denken, neu denken über die Gravitation. Also da war ein Punkt, der für Newton einfach zu erklären war, denn der göttliche Wille kann keine messbare endliche Geschwindigkeit haben. Der göttlich Wille muss unendlich schnell sein.

Ich mache vielleicht, gerade an der Uhr, wir machen mal eine kleine Pause, vielleicht zehn Minuten und machen dann an der Stelle weiter, oben.

Ja, ich habe heute Morgen überlegt, was ich möchte, das mir klar gemacht, dass es nur ganz knapp sein kann und möchte das trotzdem sagen, weil das mathematisch interessant ist. Das ist die gängige Formel in der klassischen Mechanik: Kraft f ‒ force ‒ gleich m ‒Masse ‒ mal Acceleration a. D.h. Kraft gleich Masse mal Beschleunigung.

In der klassischen Mechanik wird Kraft immer mit Bewegungsänderung verbunden, mit Beschleunigung. Finden Sie in allen PhysikLehrbüchern, das ist die Schlüsselformel. Diese Formel ist von Newton aus absurd. Also, ich habe mal geschrieben, dass Newton bei einer Prüfung der Physik durchgefallen wäre. Newton selber wäre bei einer Prüfung der klassischen Mechanik durchgefallen, weil er die Prämissen alle gar nicht akzeptiert hätte. Denn Newton ist ganz eindeutig, das kann man in den „Principia“ ja nachweisen, das hat Ed Dillian nun wirklich schlüssig bewiesen: Kraft verbunden mit geradlinig gleichförmiger Bewegung und nicht mit Bewegungsänderung. Also Newton streitet den Gedanken radikal ab, dass eine Trägheitsbewegung keiner Kraft bedürfe, was aber angenommen wird, und das wissen sie, das wird in der Schule gelehrt und steht in allen Physikbüchern.

Es gilt ja die große Errungenschaft seit Galilei, dass eine geradlinig gleichförmige Bewegung keine Kraft braucht. In dem Sinne ist sie ursachelos, das hat Newton abgestritten. Die Diskussion gab es schon zu seiner Zeit. Und wenn man jetzt die Beschleunigung noch anders definiert, Delta m v durch Delta t, Delta einfach als Symbol für die Veränderung, dann Masse mal Geschwindigkeit, das ist die Größe in der Physik, die als Impuls gilt, Masse mal Geschwindigkeit und die Veränderung in der Zeit. Und das würde bei Newton anders aussehen, wenn man das in Formeln bringen würde, dann sind das nicht die Formeln der Physiklehrbücher, dann ist das anders. Dann müsste man an sich sagen, im Sinne seines ersten Axioms, die Kraft ist immer proportional zur Bewegung, immer, auch bei einer geradlinig gleichförmigen Bewegung. Insofern ist die Kraft und der Impuls immer konstant.

Das finden Sie nirgendwo in dieser Form in Physik-Lehrbüchern, aber bei Newton. Nun kann man natürlich fragen: Wie kommt es denn eigentlich? Warum ist denn das [be]herrschend geworden, während das Newton eindeutig gesagt hat? Das ist wieder ein komplizierter geschichtlicher Vorgang, der damit zu tun hat, dass die Kontroverse zwischen Newton und Leibniz so entschieden worden ist in der Geschichte, dass beide eine Symbiose eingegangen sind. Also in der klassischen Mechanik findet man eine Symbiose von Newton und Leibniz. Man findet beides. Und dann auch im zweiten Axiom, die Veränderung der Kraft durch Veränderung der Bewegungsgröße. Also wenn Sie das im Detail interessiert, jetzt dieser Punkt, dann müssten Sie tatsächlich sich der Mühe unterziehen, was allerdings wirklich einige Mühe kostet, diese mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie im Wesentlichen zu lesen und auch die Argumentation jetzt des Übersetzers und Herausgebers zu lesen. Insofern in aller knappster Form nur, das würde wirklich mindestens eine Stunde kosten, um das im Detail hier zu erläutern. Ich sage es nur für diejenigen, die jetzt an dieser Stelle mathematisch physikalisch interessiert sind, also auch die Formeln wären andere. Und auch die berühmte Formel, die sich ebenfalls in allen Lehrbüchern findet als die Formel des sogenannten Gravitationsgesetzes. Also, g ‒ Gravitation, dass ist die Gravitationskonstante, Masse 1 mal Masse 2 durch das Quadrat des Radius. Diese Formel taucht bei Newton nicht auf. In dieser Formel taucht die Zeit nicht auf. Ist ja ein großes Mysterium, warum diese Formel die Zeit nicht enthält. Newton sah das anders. Newtons absolute Zeit ist eine Zeit, die tatsächlich von der Vergangenheit in die Zukunft läuft. In diesem Sinne ist sie absolut. Sie läuft geradlinig voran, mathematisch voran, wie er auch verschiedentlich sagt.

Während in der klassischen Mechanik Zeit als reversibel gilt oder jetzt für physikalische Interessierte: Es spielt keine Rolle, ob man plus t oder minus t sagt, das ist eine reine Funktion. Das sah Newton vollkommen anders. Newton verstand die absolute Zeit als eine gerichtete Größe und nicht als eine Größe, die man beliebig verschieben kann, wie das in der klassischen Mechanik der Fall ist, wo ja Zeit als reversibel gilt. Ein ganz entscheidender Punkt. Nun hat sich Newton auch Gedanken gemacht ‒ hochinteressant: Was bewirkt eigentlich diese Gravitation? Er hat die Gedanken ventiliert, ob nicht diese sogenannte Anziehung im Grunde genommen ein Stoß ist … die Anziehungskraft also jetzt, die gravitative Kraft der Erde nach unten im Grunde ein Stoßen ist. Das heißt, von oben wird der Körper quasi in Richtung Erdmittelpunkt gestoßen, und zwar durch diese vis impressa. Und zwar stoßen in kleinen Raumeinheiten, und das finde ich hochspannend bei Dellian, der erste überhaupt, der das herausdestilliert hat, dass Newton, und auch das ist spannend, im Grunde eine Art Quantentheorie der Gravitation vertreten hat.

Er glaubte nämlich, dass es kleinste Einheiten des Raumes und der Zeit gibt und dass ein Körper, der Beispiel zu Boden fällt, nicht kontinuierlich sich beschleunigt, sondern in kleinsten Raum- und Zeit-Quanten. Er glaubte an eine Elementar-Zeit[einheit] und eine Elementar-Raumeinheit. Was hochinteressant ist, das taucht ja erst, wie vielleicht viele von Ihnen wissen, erst viel später überhaupt als Gedanke auf, dass es so etwas geben könnte, wie eine kleinste Baugröße oder eine kleinste Zeitgröße. Newton hat das schon gedacht, wenn auch nicht konsequent weiterverfolgt. In der klassischen Mechanik wird ja angenommen, dass ein Körper, der zu Boden fällt, einer kontinuierlichen Beschleunigung unterliegt, Newton sah das anders. Er sagt, es scheint nur kontinuierlich zu sein, im Grunde genommen ist es eine Art Stoßen von oben, das heißt göttliche, dem göttlichen Willen entspringende, vis centripeta, die Gravitation, der Quell für die vis impressa, die den Körper in kleinsten Stufen, gewissermaßen, wie mit kleinen Hämmerchen vorangetrieben, wie das schon einmal im 18. Jahrhundert jemand gesagt hat im Hinblick Newton, wie mit kleinsten Hämmerchen vorangetrieben, gleichsam ruckartig Richtung Erdmittelpunkt, das, was uns als eine kontinuierliche Bewegung erscheint. Also die Frage, die ja auch in den letzten Jahren, wenn sie vielleicht, der eine oder andere hat das getan, wenn sie verfolgt haben, wie in den letzten Jahren Gravitation versucht wird, neu zu entdecken, dann werden alle diese Fragen wieder ventiliert. Gibt es überhaupt eine, in dem Sinne, Anziehungskraft, ist es nicht im Grunde genommen ein Druck von außen? Es gibt sogar eine Gravitationstheorie, die ich vor ein, zwei Jahren gelesen habe, die davon ausgeht, dass Gravitation ein Druck ist, also genau das Gegenteil, da wird nichts gezogen, sondern es drückt von außen, was natürlich etwas vollkommen anderes wäre, als wenn es zieht. Auch Newton lässt das offen. Er sagt, er wüsste es nicht. Er ventiliert drei Möglichkeiten: Gravitation kann ein realer Zug sein, gleichsam von unsichtbaren Seilen gezogen, jetzt mal im Hinblick auf einen Körper und die Erde, gleichsam mit unsichtbaren Seilen zieht ein Himmelskörper die Körper auf seiner Oberfläche Richtung Mittelpunkt des Himmelskörpers ‒ wäre eine Möglichkeit. Attraktion, Gravitation, oder, Newton lässt das offen, es ist umgekehrt, es gibt einen Druck von außen, und die dritte Möglichkeit ist, es gibt einen in den Körpern selber wohnenden Bewegungsdrang, was wieder etwas anderes ist. Es ist eine dritte Möglichkeit. Es gibt noch andere Möglichkeiten, das zu denken. Und das hat dann auch Konsequenzen für die Mathematik. Es ist nicht so, wie man zunächst denken könnte, oberflächlich, für die Mathematik spielt es überhaupt keine Rolle, ob ich das so sehe oder [anders] ‒ das stimmt nicht.

Wenn man das so konsequent durchdenkt, wie das Newton getan hat, kommt man auch auf eine andere Mathematik. Nun könnte man fragen, wie sieht es mit …, könnte man mit der Newtonschen Mathematik, mit der eigentlichen, dann auch solche Berechnungen anstellen wie mit der klassischen Mechanik? Das müsste möglich sein. Das habe ich verschiedentlich auch mit Dellian diskutiert und habe ihn quasi aufgefordert, das der Öffentlichkeit zu präsentieren, ob das geht oder dass das geht, dass man mit dem eigentlichen Newton auch tatsächlich in der Lage sein müsste, die Bewegungen genau so exakt zu beschreiben. Dies ist er bisher schuldig geblieben. Ich weiß nicht, ob das so gehen könnte. Es müsste sein. Dellian meint auch, dass es gehen müsste. Das setzte aber voraus, dass man das Ganze noch mal von Grund auf neu durchdenken müsste. Und die Schwierigkeit besteht darin, dass viele heute glauben, da gibt es gar nichts mehr zu durchdenken. Das ist schon geklärt. Da hat man ja höchstens noch, wenn man jetzt also die sozusagen gepflegte Halb- und Viertel-Bildung vieler [hat], ohne dass ich das jetzt arrogant meine, [viele]denken ja, das ist doch alles schon längst geklärt. Allenfalls durch Einstein gibt es da einige relativierende Akzente.

Dabei sind diese Grundfragen erstmal Fragen, die mit Einstein überhaupt nichts zu tun haben, sondern sie betreffen die Fundamente der Naturphilosophie. Und es geht letztlich um Philosophie. Das ist wichtig. Newton [nennt] nicht umsonst sein Hauptwerk „Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie“. Newton betont immer wieder, dass er nicht in diesem engen Sinne Physiker sei, sondern Naturphilosoph. Und letztlich sind es grundlegende naturphilosophische Fragen, die ins Spiel kommen.

Es ist eine verbreitete Vorstellung, die im Laufe der Jahrhunderte gewachsen ist, dass man sozusagen die Philosophie gar nicht bräuchte, wenn man denn rechnen könnte. Das ist eine ganz große Täuschung, weil selbst diese Formel hier, wie sie an der Tafel steht, Kraft gleich Masse mal Beschleunigung, ist ja ein Abgrund, wenn man sie naturphilosophisch betrachtet. Allein die Frage, was überhaupt Masse ist, ist ein absolutes Rätsel. Was sind diese Kräfte? Sind das reine Funktionen? Newton hat eine klare Antwort darauf gegeben. Leibniz hat das vollkommen anders gesehen. Es ging ja um die Frage: Sind die Kräfte rein immanent Teil der Welt, wie Leibniz das auch sah, oder sind sie transzendent?

Also ganz vereinfacht gesagt, Newton glaubte, das sind transzendente Kräfte. Daher der Dualismus: transzendente Schicht und materielle Wirklichkeit. Während Leibniz meinte, diese Kräfte sind keine transzendenten Kräfte, sie sind Teil der Welt. Der machte auch Newton den Vorwurf, dass er den Raum und die Zeit absolut setzt und damit quasi zu transzendenten Größen erklärt. Ich habe das ja vorhin schon angedeutet, die Frage: Wo bleibt denn Gott, wenn der Raum absolut ist? Und das war schwierig für diese theologischen Auseinandersetzungen. Und auch Newton hatte Schwierigkeiten damit, nun, diese Attacken, die da aufgefahren wurden von den Leibnizianern, zu parieren. Er hat dann gesagt, berühmt, der Raum sei ein Sensorium, sensorium dei. Das spielt eine Rolle in einigen dieser Briefe. Leibniz höhnisch dann, gegen Newton: Was soll das heißen? Sensorium Dei. Das ist doch einfach eine leere Formel. Was soll das denn bedeuten? Also ein Sinnesorgan Gottes, der Raum als ein Sinnesorgan des Gottes, eine unglaubliche Behauptung und dann auch natürlich die Zeit. Und dann polemisiert Leibniz, auch das ist hochinteressant, dagegen, dass Newton ernsthaft glaubt, dass Raum und Zeit unendlich sein könnten, während die Welt nur endlich ist.

Also, Leibniz meint, man kann sich nur für eines entscheiden. Entweder muss man Raum und Zeit vollkommen immanent betrachten, dann wäre Raum und Zeit endlich. Was dann jenseits von Raum und Zeit sein mag, ist nicht entscheidbar. Dagegen setzt dann Newton mit einigem Recht auf die Kritik, dass sei pure Scholastik. Ist es auch, denn wenn man die Argumentation sich betrachtet, wie sie vollzogen wurde, etwa von Aristoteles und dann Thomas von Aquin und anderen im Mittelalter, also … dann sah es ja so aus, dass diese Kugelschale, die die gesamte Welt darstellt, nur nach innen real ist, nicht nach außen. Denn wenn der Gedanke einmal auftaucht, diese Kugel könnte auch nach außen eine reale Kugel sein, dann kommt sofort die Frage auf, was ist dann mit dem Raum dahinter. Nicht, die berühmte Frage des Lukrez: Wenn man am Ende der Welt steht und schießt einen Pfeil aus der Welt raus. Was passiert mit dem Pfeil? Wenn er verschwindet, also entweder verschwindet er, oder er existiert noch. Wenn er aber existiert, dann kann das im Prinzip an jeder äußeren Grenze gemacht werden. Dann wird der Raum immer weiter.

Das war ja das Argument von Giordano Bruno … deswegen muss die Welt endlich sein, weil, es sei schlechterdings unmöglich anzunehmen, dass jenseits dieser Kugelschale einfach ein Nicht-Raum, eine Nicht-Zeit ist, obwohl es ja auch heute wieder gedacht wird. Man sagte, diese Frage könne nicht gestellt werden. Also, die moderne Kosmologie geht ja auch von einer … die meisten Kosmologen gehen von einer endlichen Welt aus. Und die Frage, die naive Frage natürlich und realistische Frage: Was ist denn dahinter? Kinderfrage: Wie geht es dann weiter? wird als eine Scheinfrage hingestellt. Danach kann man nicht fragen. Aber danach müsste man fragen dürfen, es sei denn, man schließt diese Art Fragen überhaupt aus dem philosophischen Zusammenhang aus. Dann wird es schwierig.

Und das hat natürlich Leibniz versucht. Insofern hat er da gesagt, manche dieser Argumente von Newton sind einfach alles Scheinargumente. Und dann ist es hochinteressant, sich klar zu machen, wie diese beiden Menschen, die nun wahrlich intensiv über diese Dinge nachgedacht haben, dann irgendwann nur noch, ich sagte es schon vorhin, Behauptungen wiederholen. Das war für mich so spannend, weil ich auch in meiner eigenen langjährigen Erfahrung in Gesprächen mit Menschen immer wieder festgestellt habe, es kommt bei bestimmten Punkten immer an die Stelle, wo man dann nur noch das, was schon gesagt ist, noch mal wiederholt und man dem anderen und das verlangt dann auch einer dem anderen ja immer ab: Wenn du es verstehen würdest, müsstest du es akzeptieren. Und es ist ganz schwierig, wenn man dem anderen sagt: Ich verstehe es vollkommen, aber ich akzeptiere es trotzdem nicht, weil dann immer kommt: Wenn du es wirklich verstanden hat, müsstest du feststellen, dass es wahr ist. Also eine schwierige Frage.

Also man merkt das hier deutlich, sie beharren aufeinander, das ist überhaupt gar nicht lösbar die Frage, weil alle beide bringen natürlich auch starke Argumente. Ist ja nicht so, dass das schwache Argumente sind. Und Dellian hier als Newton-Kenner, als Newton-Forscher, nimmt da leidenschaftlich Partei, das ist auch eine Sache zwischen uns beiden, leidenschaftlich Partei für Newton. Er meint, Newton hätte die besseren Argumente. Das finde ich nicht. Ich finde, beide haben mal die stärkeren, mal die schwächeren Argumente. Beide haben irgendwie Recht und Unrecht, das ist sehr schwer. Ich glaube, dass man auf der Ebene die Frage letztgültig gar nicht entscheiden kann. Aber es ist vollkommen legitim, wenn einer, der sich viele Jahre mit Newton beschäftigt hat und Newton auch übersetzt hat, nun meint, Newton habe in dieser Debatte den Sieg davon getragen. Das kann man wohl so nicht sagen. Und was dann als Newtonsche Mechanik oder klassische Mechanik Geschichte gemacht hat bis heute, ist ein Zwitter aus Newton und aus Leibniz, also aus beidem.

Nun, die Frage Naturphilosophie, Spiritualität, um noch mal zurückzukommen auf den Anfang. Newton sagt vollkommen klar: Die Natur kann nicht außerhalb von Gott betrachtet werden. Der nimmt die Gravitation als das zentrale Beispiel. Er führt vor, dass es verschiedene Versuche gegeben habe, Gravitation mechanistisch vom Äther aus zu denken, die seien alle gescheitert. Und er kommt dann letztlich zu der Auffassung, Gravitation müsste identisch sein mit dem göttlichen Willen, er führt dann auch im Zusammenhang damit den griechischen Begriff des pneuma ein, der stoischen Philosophie, also dem Geist, der den Kosmos durchwaltet, [der] sei quasi die Gravitation selber, obwohl Newton andererseits auch immer wieder den Versuch unternommen hat, dann doch eine kausale Erklärung zu finden, denn das ist ja in der Tiefe keine kausale Erklärung. Das ist klar, nicht. Man könnte ja kritisch sagen, dass ist eine Ausflucht. Also wenn er hier, er kommt hier physikalisch kausal nicht weiter und setzt an diese Stelle den göttlichen Willen. Und das würde natürlich in gewisser Weise Newton Unrecht tun, aber man könnte es.

Am Ende der „Principia“ äußert sich Newton auch in berühmten Sätzen, die immer wieder zitiert werden, mit Recht auch, genau zu dieser Frage. Ich darf mal diese Passage zitieren, vielleicht die berühmteste Passage überhaupt aus dem ganzen Buch: „Bis hierher habe ich die Naturerscheinungen des Weltraums und unseres Meeres, die durch die Kraft der Schwere zustande kommt, dargelegt. Aber die Ursache der Schwere habe ich nicht bezeichnet. Diese Kraft entsteht jedenfalls aus irgendeiner Ursache, die durchdringt bis zu den Mittelpunkten der Sonne und der Planeten ohne eine Verringerung ihrer Wirklichkeit und die nicht entsprechend der Menge der Oberflächen von Teilchen … auf diese einwirkt, wie mechanische Ursachen das gewöhnlich tun, sondern entsprechend der Menge der festen Materie, (das ist der Massebegriff bei Newton, also ein Körper hat umso mehr Schwere, als Relationalbegriff, je mehr Materie da ist) und deren Einwirken sich auf allen Seiten in unermessliche Entfernung ausdehnen, wobei sie stets im quadratischen Verhältnis der Entfernungen abnimmt. Eine theoretische Erklärung für diese Eigenschaften der Schwere habe ich aus den Naturerscheinungen noch nicht ableiten können, und bloße Hypothesen denke ich mir nicht aus.“ ‒

Der berühmteste Satz von Newton überhaupt: hypotheses non fingo, Hypothesen denke ich mir nicht aus. Hypothese muss man sagen, war um 1700 fast synonym mit Fiktion, war nicht einfach Theorie, sondern war fast das gleiche wie Fiktion, also eine erdichtete Vorstellung. Das weist Newton zurück: „Hypotheses non fingo, bloße Hypothesen denke ich mir nicht aus, was immer sich nicht aus den Naturerscheinungen ableiten lässt, muss Hypothese genannt werden und Hypothesen, seien es physische, seien es metaphysische, seien es solche über verborgene Eigenschaften, seien es solche über die Mechanik, haben in der experimentellen Philosophie keinen Platz.“ Dann benennt er sein eigenes Denksystem, eine experimentelle Philosophie. „In dieser Philosophie werden Lehrsätze aus Naturerscheinungen abgeleitet und durch Induktion allgemeingültig gemacht. So sind die Undurchdringlichkeit der Wirklichkeit und der Impetus der Körper“, das ist praktisch das, was auch, m mal v, als Impuls gilt, „der Impetus der Körper, die Gesetze der Bewegung und der Schwere zu unserer Kenntnis zu kommen. Es genügt, dass die Schwere tatsächlich existiert, gemäß dem von uns dargelegten Gesetzen gerückt und für alle Bewegungen der Himmelskörper und unseres Meeres hinreicht.“ Schluss. Jetzt kommt er, das klingt ja ganz positivistisch, wenn man jetzt noch, das haben auch einige Interpreten gesagt, Newton zieht sich hier auf die positivistische Position zurück. Er weiß nicht, wie die Dinge sind, und er will nur den formalen Zusammenhang der Erscheinung beschreiben. Das widerspricht vollkommen dem Selbstverständnis Newtons. Das ist einfach falsch.

Am Schluss schreibt er: „Es mag jetzt gestattet sein, hier noch einiges über ein gewisses, äußerst feines, immaterielles Prinzip – spiritus – hinzuzufügen, dass die dichten Körper durchzieht und in ihnen verborgen ist. Durch dessen Kraft und Einwirkung ziehen sich Teilchen und Körper auf kleinste Entfernung wechselseitig an und hängen zusammen. nachdem sie in Berührung gebracht sind, durch das elektrische Körper auf größere Entfernungen hin wirken dadurch, dass sie benachbarte Korpuskeln ebenso abschwächen ? wie anziehen, durch das das Licht ausgesandt, reflektiert, gebrochen, gebeugt wird und das Körper erwärmt, durch das jede Empfindung erregt wird, durch das die Glieder der Lebewesen nach deren Willen bewegt werden, nämlich durch die Schwingung des immateriellen Prinzips, die sich durch die festen Fasern der Nerven von den äußeren Sinnesorganen zum Gehirn und dem Gehirn in die Muskeln fortgepflanzt haben. Aber diese Dinge können nicht mit wenigen Worten dargelegt werden, und es steht noch keine ausreichende Anzahl von Experimenten zur Verfügung, durch welche die Gesetze der Einwirkung dieses immateriellen Prinzips genau bestimmt und aufgezeigt werden müssen.“ Berühmt diese Passage. Er deutet also an, es gäbe ein immaterielles Wirkprinzip, das er „spriritus“ nennt, aber zur Stunde sei das noch nicht genügend fundiert, 1687 geschrieben, man weiß das aus seiner Biographie, er hat dann auch in den Jahrzehnten danach unermüdlich darum gerungen, er hat die ganze antike Philosophie noch einmal, nachdem er die „Principia“ bereits fertig hatte, durchgearbeitet um rauszufiltern, ob nicht irgendwo einer der antiken Denker in irgendeiner Form die Lösung gefunden hätte und ist dann auf den Gedanken des historischen pneuma gestoßen, der ihm wichtig war, den er dann hereingenommen hat.

Es gibt da einen berühmten Briefwechsel von Newton fünf Jahre nach Veröffentlichung der „Principia“ mit Richard Bentley, einem Theologen, wo diese Fragen ventiliert werden. Und da gibt es einen klassischen Satz, da ist Newton deutlich geworden wie nie sonst. Da sagt er, dass die Vorstellung, dass eine animate brute matter, also eine unbeseelte bloße Materie, auf andere Materie wirken könnte, durch den leeren Raum hinweg, ohne dass da ein agent, ein Agens, etwas dazwischen wirkt, sei absurd. Und kein Mensch, der in Philosophie irgendwie etwas gelten könne, könne auf diese Absurdität verfallen. „It is to me so great at absurdity that I believe no man of faculty can ever fall into it“, also ganz scharf gegen die Annahme der klassischen Mechanik einer Fernwirkung durch den leeren Raum hinweg, quasi die Gravitation als ein Nichts, als eine bloße Funktion, die in keiner Weise irgendwo … fundiert ist, ganz scharfe Polemik dagegen und sagt das ganz bewusst jetzt an die Adresse des Theologen Richard Bentley.

Wichtig ist auch hier am Schluss der „Principia“, dass Newton den Willen heranzieht. Ich habe es ja schon angedeutet, auch das hat natürlich den Spott von Leibniz heraufbeschworen. Newton meint ja, dass diese Welt, das ist für ihn mehr oder weniger das Sonnensystem, ich habe das vorhin schon gesagt, mehr oder weniger, von einer Galaxis weiß er noch nichts, und er lässt das alles offen, er redet vom Sonnensystem, also das dieses Sonnensystem absolut perfekt ist, dass es die beste der möglichen Welten sei, und es sei absurd und geradezu eine Verhöhnung der göttlichen Intelligenz anzunehmen, wie der Newton es getan hat, dass Gott genötigt sein könnte, dieses Uhrwerk immer neu aufzuziehen. Also Newton war nicht der Auffassung, dass die Bewegung der Gestirne einer blinden Notwendigkeit folgt. Er glaubte, hier wirkt das Willensprinzip und hat in dem Zusammenhang auch verschiedentlich den Gedanken der Freiheit ins Spiel gebracht, wie der Wille als ein freier Wille auf die Materie einwirkt. Hochinteressant, [das] ist dann in der nachfolgenden Diskussion fast untergegangen.

Aber auch das kann man durchaus noch mal neu bedenken, die ganze Newtonsche Willens-Metaphysik. Man denkt immer, wenn man von Willens-Metaphysik spricht, das sei eine Sache der Deutschen, etwa Schelling oder Schopenhauer oder Nietzsche. Man weiß das häufig gar nicht, dass auch Newton Willens-Metaphysiker war, und [er] argumentiert mit dem Willen, zwar mit der Freiheit des menschlichen Willens, die er gleichsetzt mit der Freiheit des göttlichen Willens. Dann lag es ja anders, argumentiert er, sagt er, Gott habe die Freiheit, bevor er die Welt geschaffen habe, gehabt, auch eine andere Welt zu schaffen, er hat die Welt gewählt, die die Beste ist, die Vernünftigste ist, in diesem Sinne. Und das hat Newton dazu veranlasst, Leibniz als Atheisten zu attackieren. So laufen die Argumente von der einen in die andere Richtung.

Auf jeden Fall, seit der Romantik, Novalis ist ein Beispiel und andere [sind es auch], wird immer gern Leibniz gegen Newton ausgespielt. Also wenn man die Geschichte jetzt verfolgt, ist man abgesehen von der Kontroverse Goethes gegen die Newtonsche Optik, wird immer Leibniz ‒ bis heute übrigens ‒ als der holistische Denker bezeichnet, der in seiner Monadenlehre letztlich den Kosmos als einen großen Allzusammenhang denkt, während Newton wird als der Analytiker, der positivistische Zerleger der Dinge gesehen. Das stimmt nicht. Man kann das auch umdrehen, man kann das ganz anders sehen. Man kann sagen, gerade Leibniz, wenn man es denn so sehen möchte, gerade Leibniz ist der Schöpfer des Weltmechanismus. Gerade Leibniz war der Auffassung, dass die Welt in sich lückenlos, kausal, deterministisch abläuft. Das hat Newton kritisiert als atheistisch, weil dann die Freiheit dahin ist. Denn wo bleibt die Freiheit, wenn die Welt mechanistisch abrollt – absolut notwendig. Das ist ja, also jetzt mal polemisch gesagt, hat er da diesen Trick gefunden mit der prästabilisierten Harmonie, dass also beides zusammen so ineinander abgestimmt ist, Geist und Materie, dass es da keine Dissonanz gibt. Für Newton gibt es in jedem Moment die Möglichkeit, kraft des freien Willens auf die Materie einzuwirken. Insofern in jedem Moment, auch wenn man so will, die Naturgesetzlichkeit aus den Angeln zu heben. Gott habe diese Möglichkeit, meint er. Und, ich meine, es ist für die Frage Naturwissenschaft oder Naturphilosophie, Spiritualität wichtig, dann diese ganze Frage noch mal sich genau anzugucken. Also, dafür möchte ich plädieren. Mehr kann das in dem Kontext nicht sein. Das wollte ich dann mal hier vorstellen, dass man sich diese Fragen nochmal wirklich genau anguckt. Das sind keine historischen Fragen.

Das ist wichtig. Dieser Briefwechsel ist keiner, den man lesen kann aus der Distanz einer früheren Kontroverse, die uns heute nichts mehr angeht. Im Gegenteil. Was hier als Argumente vorgetragen wird von beiden Seiten, ist eigentlich aktueller denn je. Man kann wirklich von den Kombattanten hier viel lernen, von beiden viel lernen, wie argumentiert wird und was ich als, nun sage ich mal in Anführungszeichen, Brunoianer, besonders interessant finde, ist, dass beide Gegner Brunos sind. Das finde ich interessant, beide erwähnen niemals den Namen Giordano Bruno, der ist Anathema, nicht, der auf dem Scheiterhaufen Gelandete, wird auch nicht erwähnt mit Namen, nirgendwo bei Newton taucht der Name auf, obwohl ständig implizit dagegen gesprochen wird, auch bei Leibniz, es gibt Bruno gar nicht, es gibt nur eine einzige kurze Bemerkung bei Leibniz in einem Brief ‒ ganz abfällig über Bruno. Das ist übrigens auch bei Galilei und Kepler nicht anders. Es gibt nur bei Kepler eine einzige Stelle, auch in einem Brief, wo er sich ganz abfällig äußert über Giordano Bruno. Soweit ich weiß, erwähnt Galilei Bruno überhaupt nicht, obwohl er ein Zeitgenosse war. Also da gibt es eine merkwürdige Konstellation, dass beide im Grunde genommen gegen Bruno argumentieren, gegen seine Vorstellung der Weltseele, gegen die Vorstellung der Menschlichkeit, gegen die Vorstellung einer ewigen Welt, eines ewigen Universums, also gegen den Ketzer, gegen den – in ihren Augen – auch Atheisten. Also das finde ich, dass war auch ein Punkt, auf den ich dann Dellian erst gebracht habe, dass hier ständig ein Dritter mitspricht, der nie benannt wird. Dieser Dritte ist Giordano Bruno, 100 Jahre vorher, der immer wieder herangezogen wird, und immer wieder werden seine Argumente gebracht und auch wieder gegen ihn argumentiert, obwohl, das ist insofern interessant, als ja auch Newton, wie die Newton-Forschung nachgewiesen hat, auch mitbeeinflusst war von der Brunoschen Raumvorstellung. Bruno war der erste, der die Vorstellung vertreten hat, dass der Raum absolut ist – espacio absoluto bei Giordano Bruno. Gut, mehr wollte ich zunächst zu diesem Thema nicht bringen. Man kann jetzt im Einzelnen zu jedem dieser Punkte noch wesentlich mehr ins Detail gehen, auch noch anschauen, was das geschichtlich bedeutet hat, wie hat das geschichtlich gewirkt, und welche Ideen sind weitertradiert worden, welche sind eher unter den Tisch fallen gelassen worden.

Erlauben Sie mir noch eine Schlussbemerkung, bevor wir ins Gespräch kommen. Das ist hochinteressant. Als Michael Faraday 1850 als erster Mensch den Gedanken des Feldes in die Welt setzt, dass Wirkungen im Kosmos über Felder vermittelt werden, er hat diesen Begriff aufgenommen aus der Alltagssprache – field, das ist ja einfach ein Ackerfeld, erstaunlich, dass der Begriff sich so hat durchsetzen können, das ist ja zunächst überhaupt nicht naheliegend. Aber bis heute ist das in der Physik gang und gäbe. Faraday hat ihn als erster verwendet. Eigenartig, dass, wie gesagt, dass es geklappt hat, denn naheliegend ist es gar nicht. Also, als Faraday den Begriff des Feldes für Wirkungen im Kosmos in die Welt setzt, bezieht er sich ausdrücklich auf Newton, ohne dass Newton je vom Feld gesprochen hätte. Und zwar bezieht er sich auf Newton, auf eine Briefstelle in Newtons Antwort an Richard Bentley, wo Newton die Absurdität einer Fernwirkung hinstellt. Ich habe das ja kurz paraphrasiert. Auf diese Stelle bezieht sich Faraday und sagt, wenn man Newton weiterdenkt, muss man eigentlich den Feldbegriff anwenden.

Also, Faraday ist auch auch der erste, der meinte, man müsste auch für die Gravitation den Feldbegriff anwenden. Er bezieht sich also dann doch auf Newton. Hochinteressant ‒ das ist belegbar und spielt für die ganze Diskussion natürlich eine entscheidende Rolle. Auch heute wird es heftig diskutiert, in der Öffentlichkeit, in vielen Publikationen auch, was das bedeutet, also auch die Frage, wie schnell ist die Gravitationswirkung? Ist sie vielleicht doch abschirmbar? Die Frage ist nicht so sicher, bisher sieht fast alles so aus, dass Gravitation nicht abschirmbar sei. Immer wieder tauchen mal Behauptungen auf, Gravitation sei doch abschirmbar. Es gab ja sogar gelegentlich auch in einigen Fernsehsendungen mal Beispiele von einzelnen Physikern, die das vorgeführt haben. Das ist schwer zu beurteilen, wenn man das nur sieht. Wenn es denn wirklich so wäre, wenn man mittels ganz bestimmter, etwa elektromagnetischer Effekte die Gravitation beeinflussen kann, hätte es ja ungeheure Auswirkungen. Dann müsste man ja alles nochmal vollkommen neu denken. Und das ist ja verschiedentlich in den letzten Jahren auch getan worden, das ist hochinteressant, dieses ganze Thema. Auch das Stichwort Elektrogravitation. Viele der moderneren Gravitationstheorien gehen ja davon aus, dass Gravitation als solche gar nicht existiert, sondern es quasi eine Erscheinungsform des Elektromagnetismus darstellt.

Aber das ist eine Sache, die ist noch ganz offen, eine hochspannende Frage und auch eine Frage, die für die ganze Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft, Spiritualität wichtig ist, die leider in den meisten [Theorien] überhaupt nicht auftaucht. Deswegen war mir es wichtig nochmal, das hier darzustellen. Bei den meisten Darstellungen zu dieser Frage kommt Newton gar nicht vor. Der wird er allenfalls am Rande erwähnt als Begründer des mechanistischen Weltbildes, bei Capra und anderen, als ob die sich nie damit beschäftigt hätten. Wahrscheinlich haben die sich nie der Mühe unterzogen, da mal genauer hinzugucken. Aber es lohnt sich tatsächlich, das genauer zu betrachten. Also so einfach kann man es sich nicht machen. Man muss schon ein bisschen genauer in diese Fragen reingehen, und es ist dann wirklich fruchtbar. Man kann daraus eine Menge lernen.

Wir schließen gleich mal die Diskussion an, wenn es recht ist, vielleicht ein paar Fragen dazu. Und vielleicht können wir den einen oder anderen Punkt noch uns angucken, wie Sie mögen.

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