Die Einheit der Welt – Wo gelten die Naturgesetze?

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur!, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 8

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Ich glaube, dass das Verhältnis von Naturwissenschaft, Naturphilosophie und Spiritualität eines der ganz großen, der wirklich essenziellen Themen unserer Zeit darstellt; es ist also kein Randthema, eine mehr oder weniger müßige oder intellektuelle oder nur in der New-Age-Bewegung zu verortende Angelegenheit, sondern ein Menschheitsthema. Ich habe auch schon vor drei Wochen einige Elemente genannt, warum ich glaube, dass es wirklich ein Menschheitsthema ist. Das kann nicht sein auf Dauer, dass ein Riss quasi durch den menschlichen Geist geht, also menschheitlich global gesehen: auf der einen Seite die wissenschaftlich-technische Grundhaltung, auf der anderen Seite eine wie immer beschaffene Spiritualität, jetzt mal in einem ganz weit gefassten Sinne.

Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich vor 14 Tagen den Versuch gemacht hatte, Ihnen zu zeigen, dass man Spiritualität in zweierlei Hinsicht verstehen kann. Ich darf das ganz kurz noch einmal in Erinnerung rufen: Man kann sagen, das ist verschiedentlich auch gesagt worden, Spiritualität sei in gewisser Weise die höchste Stufe des menschlichen Geistes überhaupt. Dann gäbe es ja im Grunde genommen gar keinen substantiellen oder irgendwie beunruhigenden Konflikt zwischen Spiritualität und Wissenschaft. Dann könnte man ja sagen, gut, Spiritualität ist sozusagen die oberste Stufe in der geistigen Hierarchie, und andere Stufen, vollkommen legitim und in sich konsistent, haben ihr Recht, können ihr Recht haben, wenn man das Ganze als eine große Holarchie oder Hierarchie betrachtet.

Und dann kann man aber auch sagen, und das ist auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gesagt worden, dass Spiritualität eine Entwicklungslinie der menschlichen Wesenheit ist, neben anderen. Es gibt zum Beispiel eine moralische Entwicklung, eine geistig-seelische, eine spirituelle Entwicklung, eine soziale Entwicklung, wie immer. Dann könnte man dahin kommen, dass es eine solche Entwicklungslinie ist. Dann müsste man für diese Entwicklungslinie genauso wie für andere Entwicklungslinien, oder man könnte für diese Entwicklungslinie wie für andere Entwicklungslinien ebenfalls ein Stufensystem aufbauen. Also noch einmal vereinfacht gesagt, eine sehr hohe Stufe, auf der anderen Seite eine Eigenart, eine Grundeigenart, wenn man will, eine Fakultät des Menschen, die genauso Stufen durchläuft, die genauso einen Stufenbau durchläuft wie andere Entwicklungslinien auch. Beides muss sich nicht ausschließen, aber es ist wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, dass es zunächst einmal zwei ganz verschiedene Ansätze sind.

Das letzte Buch, das sich mit dem Thema beschäftigt, das hier ja zentrales Thema in dieser Vorlesung ist, nämlich Naturwissenschaft, Spiritualität, ist das Buch von Ken Wilber „Naturwissenschaft und Religion“. Er gibt hier am Beginn fünf Möglichkeiten an, wie man dieses Verhältnis Naturwissenschaft-Spiritualität denken kann bzw. wie es faktisch gedacht und praktiziert und gelebt wird und lehnt alle fünf Versuche, eine Beziehung zu finden, zu praktizieren, ab. Ich nenne das nur mal ganz kurz, weil das tatsächlich fünf Kategorien sind. Erstens, Seite 32 „Naturwissenschaft und Religion“: “Naturwissenschaft bestreitet der Religion jegliche Gültigkeit.” Also jetzt mal ganz extrem gesagt, das ist die übliche empirische und positivistische Haltung, die in zahlreichen Verkleidungen zur vorherrschenden offiziellen Grundstimmung der Moderne wurde; bekanntes Phänomen, muss ich im Einzelnen nicht erläutern, also der radikale Reduktionismus, der letztlich großzügig konstatiert: Es mag so etwas geben wie Religion, Spiritualität, das soll auch kulturell seinen Wert haben, das ist sozial wichtig, das ist psychologisch wichtig, das darf alles sein, aber in irgendeiner Form ein verbindlicher Anspruch im Sinne eines eigenen Weltzugangs wird abgestritten. Das ist die eine These.

Die nächste These betrifft das diametrale Gegenteil, Stichwort Fundamentalismus, uns allen ja bekannt. Also eine fundamentalistisch orientierte Religiosität streitet ihrerseits der Naturwissenschaft jegliche Gültigkeit ab, verwendet sie zwar und wie sie glaubt auch mit einigem Recht, aber in der Tiefe wird nicht anerkannt, wird nicht akzeptiert, was diese rational bestimmte Wissenschaftlichkeit überhaupt ausmacht. Man bedient sich ihrer Ausläufer, Computer, was immer, aber man akzeptiert nicht und kann auch nicht in der Tiefe akzeptieren und will auch nicht akzeptieren, dass damit eine ganz bestimmte Haltung zur Welt überhaupt verbunden ist. Man lehnt das im Sinne eines verschärften Kulturkampfes radikal ab. Das wäre die andere Gegenposition.

Also hier eine Art Imperialismus, kann man sagen, die reduktionistische Naturwissenschaft, hier eine Art Gegenreaktion, wenn man es denn so nennen will, einer fundamentalistischen Religiosität gegen Naturwissenschaft überhaupt und ihre technischen Ausläufer.

Eine dritte Möglichkeit, die relativ subtil ist und die auch viele Anhänger hat, ist von Wilber so bezeichnet worden. Dritte Möglichkeit, dieses Verhältnis zu konstellieren: „Naturwissenschaft ist nur einer von verschiedenen gültigen Erkenntnismodi und kann daher grundsätzlich mit spirituellen Modi koexistieren.“ Das habe ich ja schon angedeutet. Also man gesteht mit einer gewissen Großzügigkeit zu: Es gibt beides, das kann nebeneinander bestehen, das kann auch im Sinne einer Hierarchie aufgefasst werden. Und das würde, wenn man das in der Tiefe akzeptierte, gar keinen Konflikt bedeuten. Wilber wendet mit einigem Recht ein, dass die Moderne, sagen wir mal seit der Renaissance, dies im sogenannten Mainstream immer abgelehnt hat. Das war geradezu der Hauptantrieb, der Grundimpetus der Moderne, das nicht zu akzeptieren. Das hat ja die ganzen ungeheuren Konflikte heraufbeschworen in der Renaissance zwischen der aufkommenden mathematisch-technischen Naturwissenschaft, der Naturwissenschaft überhaupt in dieser neuzeitlichen Form und den etablierten Formen einer letztlich imperial-mythisch organisierten Religiosität in den großen Kirchen. Also, diese Toleranz hat nicht existiert, konnte auch nicht existieren. Das ganze Projekt der Moderne widerspricht dem.

Der vierte Aspekt, der der im Moment mit Abstand populärste ist, kann man so beschreiben, Wilber nennt das: Die Wissenschaft hat Plausibilitätsargumente für die Existenz des Geistes, auf eine kurze Formel gebracht: Wenn man Naturwissenschaft wirklich differenziert, ganzheitlich, holistisch betreibt, dann kommt man mehr oder weniger von selbst auf einen ganzheitlichen Zusammenhang der Welt, der dann auch spirituell ist. Das ist ja eine bekannte Grundhaltung, der letztlich auch Newton angehangen hat, wie ich dargestellt habe. Newton war ja auch der Auffassung, wenn man die Natur nur richtig versteht, das hieß für ihn, sie ganzheitlich, holistisch versteht, dann gelangt man mehr oder weniger von selbst zu einem spirituellen Weltverständnis, ja dann beweist man Gott, soweit geht ja Newton. Er sagt, die Naturwissenschaft ist letztlich ein Unternehmen, das Gott beweist. Das haben seine Nachfolger dann gestrichen. Aber in den „Principia“ von Newton wird das ganz deutlich: Naturwissenschaft als Gottesbeweis. Das ist ja im Grunde genommen der berühmte, schon im Mittelalter vertretene Gottesbeweis. Die Welt ist so zweckmäßig organisiert, also muss es jemanden geben, der sie so zweckmäßig gebaut hat. Und dieses kann nur ein transzendentes Wesen sein. Der berühmte von Kant scharf attackierte sogenannte Gottesbeweis.

Die fünfte und letzte Grundkonstellation, die Wilber hier nennt, bezeichnet er wie folgt: „Wissenschaft selbst ist keine Welterkenntnis, sondern nur Interpretation der Welt und besitzt daher denselben Geltungswert, nicht mehr und nicht weniger wie Kunst und Literatur.“ Das ist, mal vereinfacht gesagt, der postmoderne Gesichtspunkt, wenn man mal dieses Wort mit einiger Relativierung verwenden darf, also kurze Formel für die Postmoderne, den postmodernen Ansatz, den kann man bei Nietzsche orten, wenn man das möchte, Foucault, Jacque Derrida und viele andere im 20. Jahrhundert.

Also der postmoderne Ansatz sagt: Es gibt praktisch nur Interpretationen der Welt. Die Naturwissenschaft ist eine Interpretation neben anderen Interpretationen. Sie hat genauso viel oder wenig Gültigkeit wie Lyrik oder wie Literatur überhaupt oder wie Kunst oder wie eben auch Religion. Dann würde man der Brisanz dieses Widerspruchs ja aus dem Wege gehen. Das ist eine sehr verbreitete Auffassung. Man kann sagen, dass heute auch unter vielen Intellektuellen eine Mischung vorherrscht der dritten und der fünften Konstellation. Also auf der einen Seite wird gesagt, na ja, es ist nur eine mögliche Interpretation, neben anderen Interpretationen. Und die dritte Version besteht darin, dass man sagt: Spiritualität und Wissenschaft können mehr oder weniger nebeneinander existieren. Es gibt vielleicht eine große Hierarchie, aber letztendlich muss es zu keinem Konflikt kommen. Das ist kurzschlüssig, denn den Konflikt gibt es, der bricht immer wieder auf, und alle Versuche, hier eine Versöhnung zu praktizieren, sind bislang, das muss man ganz klar und deutlich sagen, gescheitert.

Es gibt keinen, soweit ich das richtig sehen kann, keinen wirklich gelungenen Versuch bisher, diese beiden Grund-Fakultäten des menschlichen Geistes so zusammenzuführen, dass eine Art Versöhnung stattfindet, in dem Sinne, dass nicht eine von beiden Seiten das, was ihr wesentlich ist, dabei aufgeben muss; das ist wichtig. Natürlich gibt es Annäherungsformen. Es gibt Naturwissenschaftler, die spirituelle oder religiöse Menschen sind. Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass in einzelnen Forschern natürlich eine Personalunion existiert zwischen einem technisch-rationalen Naturwissenschaftler und einem spirituellen Menschen. Es gibt ja genügend Beispiele im 20. Jahrhundert; Carl Friedrich von Weizsäcker ist eines von vielen Beispielen. Aber das ist keine wirkliche Zusammenführung, keine wirkliche Versöhnung. Aber dass das ein Thema ist, kann man deutlich verfolgen. Dass etwa in der modernen Kosmologie diese Fragen ständig gestellt werden und die Kosmologie immer mehr einer Kosmo-Theologie zu gleichen beginnt. Also diese Fragen werden ständig gestellt. Sie werden auch zum Teil beantwortet, ich meine unzulänglich, aber das Thema ist da.

Also, ich sage es noch mal, es ist also kein Randthema, kein Thema, über das man hinweggehen könnte, weil es andere, wichtigere Themen gäbe. Es gibt andere, gleich wichtige Themen, aber das ist eines der wichtigsten Themen.

Nun habe ich mir vorgenommen für heute Abend, dass ich einen Versuch mache, mal diese schwierige Wechselwirkung am Beispiel der Einheit zu zeigen, am Begriff, an der Konzeption, an dem Gedanken, an der Intuition, wie immer, der Einheit. Nun ist diese Einheit, und das ist zunächst schon im ersten Ansatz verblüffend und wird häufig nicht genug bedacht, für beide Grundrichtungen nicht nur essenziell, sondern geradezu konstitutiv. Das heißt, Naturwissenschaft kann gar nicht betrieben werden sinnvollerweise, wenn man nicht bis zu einem gewissen Grade von der Einheit der Welt, von der Einheit der Natur ausgeht. Ich will das im Einzelnen erläutern, und die großen spirituellen Ansätze, die es gibt, gehen alle, wenn auch auf eine ganz andere Weise, immer davon aus, dass die Welt in der Tiefe eine Einheit ist.

Insofern, wenn man einen etwas plakativen Begriff nehmen will, kann man sagen, dass beide eine starke monistische Tendenz haben. Die Naturwissenschaft ist, auch ohne dass man den Begriff immer heranziehen müsste, wie das Haeckel und andere getan haben, eine stark monistisch orientierte Disziplin. Sie sucht letztlich nach einem Einheitsprinzip, vielleicht nach DEM Einheitsprinzip überhaupt, nach der Urkraft des Universums, von mir aus, wie das Paul Davies mal formuliert hat, oder nach einer formelhaften Verdichtung aller komplexen Phänomene der Welt, Stichwort Weltformel, also in mathematischer Gestalt. Das ist das eine. Und es ist ja nie ganz aufgegeben worden.

Der von mir vorhin erwähnte Carl Friedrich von Weizsäcker gehört zu denjenigen, der nur ganz fern den Bemühungen um eine Weltformel steht, aber trotzdem sich das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, die Einheit der Physik als Einheit der Welt zu beweisen. Eine ehrgeizige Aufgabe, die er bisher nicht erfüllt hat, wahrscheinlich auch nicht mehr erfüllen wird. Aber er hält es für eine seiner großen Lebensaufgaben, das zu realisieren. Übrigens auch, neben der Erfüllung des Denkansatzes, dass die Einheit der Physik auch die Einheit der Welt ist, die Verbindung zum Religiösen. Also Weizsäcker, bekanntermaßen ein tief religiöser Mensch, versteht sich als Christ und versucht ja auch da eine Zusammenführung.

Also, es geht um den Grundimpuls der Einheit. Wieso soll die Welt denn eine Einheit sein? Und was ist überhaupt gemeint? Ich will das zunächst einmal ganz vereinfacht Ihnen versuchen zu zeigen, was überhaupt gemeint ist.

Zunächst mal ein Blick auf Asien, die großen spirituellen Weltsysteme des asiatischen Geistes, sagen wir die Vedanta-Philosophie in den Upanishaden, sagen wir auch der Mahayana-Buddhismus, sind beide auf eine ganz ähnliche Weise von dem Gedanken durchdrungen, dass die Welt in der Tiefe eine Einheit ist, obwohl sie sich auf der Oberfläche ungeheuer differenziert, komplex, undurchschaubar, vielfältig manifestiert und zeigt. Warum? Wie ist das zu erklären? In den ältesten Texten der indischen Philosophie oder Religiosität, was das Gleiche ist erst einmal, wird der Gedanke immer wieder ventiliert, dass die Einheit der Welt als Brahman bezeichnet, letztlich, in der Tiefe die gesamte phänomenale Welt nicht nur konstituiert, sondern auch zusammenhält; das heißt ihr ihre Gesetzlichkeit, ihre Eigenständigkeit überhaupt gibt, aber dass die Vielfältigkeit, dass die Vielheit im Letzten nur eine Täuschung ist, das ist ein wichtiger Punkt.

In der asiatischen Philosophie, mit gewissen Zwischenstationen, Zwischenstufen bis heute, wird häufig als Grundprämisse angenommen, dass die Vielheit der Welt, die undurchschaubare Vielheit der Phänomene, im Letzten auf Schein beruht, dass im Grunde die Welt eine Einheit ist, also jetzt in dem berühmten Bild des Ozeans, dass also die Wellen sich als separat fühlen, empfinden, wahrnehmen, aber im Grunde genommen nur Teile des Ozeans sind, aber quasi vergessen haben, dass sie mit diesem Ozean im Grunde und in der Tiefe identisch sind. Das ist der Ansatz, die ganze östliche Philosophie wird davon geprägt, am stärksten in den Veden und Upanishaden.

Dazu mal einige zentrale Sätze von dem bedeutenden Sanskrit-Forscher Hans Wolfgang Schumann in seinem Buch „Die großen Götter Indiens“. Er stellt diesen Punkt sehr eingehend dar. Er zitiert aus den Veden, mal einige Sätze: „Fürwahr dieses Eine – Sanskrit Ekam vaidam – hat sich zum All (sarvam) entfaltet. Das Eine (ekam) beherrscht alles, was sich regt und was feststeht, was geht und was fliegt, das Verschiedenartige, das verschieden Geborene, dieses Brahman ist das Höchste, denn es gibt nichts Höheres fürwahr. Zu Anfang war dieses All das Brahman. Es erschuf die Götter. Wahrlich, dieses ganze All ist Brahman“.

Also Brahman ist nicht nur der Ursprung der Welt. Brahma ist kein Welt-Schöpfer im Sinne jüdisch-christlicher Religiosität. Er steht nicht als Ursprung am Anfang der Welt, weil es gibt diesen Anfang nicht: „Wahrlich dieses ganze All ist Brahman, dieses Brahman ist meine Seele im Innern des Herzens, die winziger ist als ein Reiskorn, ein Gerstenkorn oder ein Senfsamen. Dieses Brahman ist meine Seele im Innern des Herzens, die größer ist als die Erde, größer als der Luftraum, größer als der Himmel, größer als diese Welten, diese meine Seele im Innern des Herzens, sie ist das Brahman. In ihm werde ich, wenn ich von hinnen scheide, aufgehen.“

Hans Wolfgang Schumann identifiziert den Begriff des Brahman mit der Weltseele. Ich will über die Weltseele noch mal extra sprechen. Ich halte das nicht für sehr glücklich. Aber man kann es machen, man kann. Er macht es in verschiedenen seiner Bücher in den letzten Jahren immer wieder. Er sagt, Brahman, also was in den Veden als Brahman erscheint, ist im Grunde das, was die abendländische Philosophie seit dem Platonismus als Weltseele bezeichnet hat, weil die Einzelseele, die einzelne Individualität, das individuierte Selbst sich in der Tiefe als identisch empfindet mit Brahma, also Atman, die Einzelseele, wird als identisch gesetzt mit Brahman. Das ist überhaupt die Pointe, wenn man das etwas vielleicht flapsig formulieren möchte, die Pointe des ganzen Ansatzes, dass der einzelne Mensch kraft spiritueller Arbeit die Möglichkeit hat, sich daran zu erinnern, dass er eigentlich das Ganze ist, also im Grunde ein, wenn man das so nennen will, ein Prozess der Selbsterinnerung dieses absoluten Wesens, was sich in die Welt verstrickt hat und was wieder zu sich selber kommt.

Natürlich die Frage, die immer gestellt wurde in dem Zusammenhang und die die Traditionen natürlich dann auch verschieden beantwortet haben: Wie kommt es, dass ein absolutes Wesen, ein göttliches Wesen, sich überhaupt in die Vielheit der Phänomene zersplittert hat? Was ist passiert? Das wird dann in diesen Traditionen immer anders, aber doch in der Grundrichtung ähnlich beantwortet. Kurz gesagt wird die Vermutung ausgesprochen, es habe sozusagen eine Selbstentfernung, eine Spaltung im Absoluten gegeben. Das erinnert ja an Hegel. Also, sozusagen die Gottheit selber ist in sich dialektisch, wenn man es so nennen will und entfaltet sich quasi als Welt in diesem langen Weltprozess, um dann auf einer höheren Stufe wieder zu sich selber zurückzufinden.

Vorstellungen dieser Art gibt es auch in der jüdischen Kabbala zum Beispiel, dass die Welt also einen Riss enthält und dass die Aufgabe des Menschen sei, diesen Riss zu schließen als Partner der Gottheit. Also sehr weitreichende Gedanken, die dann in der lurianischen Kabbala etwa im 16. Jahrhundert verbreitet werden. Also, ein wesentlicher Punkt hier ist: Der Einzelne soll, müsste, könnte auch erkennen, dass er in der Tiefe identisch ist mit Brahman, also Atman ist Brahman.

Nun, dass ist die eine Strömung; die zweite, die sich bis heute durchzieht, in der ganzen Advaita-Lehre, auch bei den großen indischen Lehrern des 20. Jahrhunderts wie Sri Aurobindo, Maharshi und anderen, die alle mehr oder weniger von dieser Richtung ausgehen, von der Advaita-Lehre der All-Einsheit der Welt. Also nicht, dass die Vielheit, die bunte Phänomenalität geleugnet wird, sondern man sagt, in der Tiefe ist diese Welt eine Einheit, in der Tiefe ist die Welt durchdrungen von dieser Einheit, und diese Einheit, wie auch dann gesagt wird, und das kann man ja schon, wenn man das möchte, naturphilosophisch interpretieren, ist Licht. Es gibt ein Ur-Licht, ein Grund-, ein primordiales Licht, was sich in die Welt hinein entlässt und als Welt vervielfältigt. Das finden sie in fast allen Texten dieser Art, ganz stark in den Veden, Upanishaden, in der Vedanta-Philosophie, dass diese Einheit des Brahman letztlich als Licht gesehen wird, als absolutes Licht, als primordiales Licht, als Ur-Licht, wie immer, auf jeden Fall als ein Licht, was auch in spirituellen Erfahrungen dann geschaut werden kann.

Die zweite Strömung, die auf eine ganz andere Weise in Asien diese Einheit favorisiert, in Indien heute weitgehend verdrängt, aber doch aus Indien stammend, ist der sogenannte Mahayana-Buddhismus, der auf eine vollkommen andere Weise versucht, diese Einheit als Leere zu begreifen, mit Doppel-e, shunyata als Leere, als “die Nicht-Dingheit”. Ein schwieriger Begriff, der westliche Interpreten immer beunruhigt hat. Es hat immer wieder Versuche gegeben, zu verstehen: Was ist das überhaupt, wenn die Mahayana-Buddhisten von der Leere sprechen, der Leerheit – shyúnyata – der Welt, der Nicht-Dinglichkeit, der Nicht-Substanzialität der Welt? Damit ist gemeint, dass es ein letztes Etwas gibt, häufig genug auch als Bewusstsein vorgestellt, dann wird es als Einheitsbewusstsein bezeichnet, das der Mensch dann in der Erleuchtung erfährt; und da berühren sich diese beiden Strömungen. Hans Wolfgang Schumann gehört zu den Interpreten, die die These vertreten, die umstritten ist, aber immerhin möglich, dass der Buddha wesentliche Konzepte aus der Philosophie des Vedanta übernommen hat, ihnen nur einen anderen Impuls hinzugefügt hat. Also, Schumann ist der Meinung, dass eigentlich fast alle wesentlichen Gedanken des Buddha im Grunde aus der upanischadischen Tradition stammen, gegen die ja Buddha scharf polemisiert. Die hält er ja eigentlich für Unfug. Es gibt ja mehrere Äußerungen darüber, dass das also eine Irrlehre sei, eine Lehre letztlich für Narren.

Diese scharfe Polemik sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass gleichwohl Buddha stark davon beeinflusst ist. Also praktisch kann man dann sagen, wenn man das dann so zusammenbringen möchte, mit aller Vorsicht, dass also auf der einen Seite der Begriff des Brahman, auf der anderen Seite der Begriff der Leere dann zusammengeführt werden. Natürlich ist im Sinne der Advaita-Philosophie und der Upanishaden Brahma nicht die Leere, das ist etwas anderes. Also schwierig, diese Begriffe in gewisser Weise fast identisch zu setzen. Denn die buddhistische Leerheit als nicht Substantialität ist ja kein göttliches Wesen, und Brahman gilt als göttliches Wesen, nicht übrigens zu verwechseln mit dem Gott Brahma im Hinduismus, das ist nicht identisch.

Also, Brahman als das Grund- und Ur-Prinzip der Welt. Also es ist schon in gewisser Weise verwegen, das gleichzusetzen oder das in allzu große Nähe zueinander zu bringen. Aber es gibt auf jeden Fall den Zusammenhang. Also Hans Wolfgang Schumann, der diese These vertritt, begründet sie eigentlich auch, finde ich, recht intelligent. Er zeigt, dass die buddhistische Vorstellung der Leerheit der Welt sich zunehmend im Mahayana-Buddhismus annähert einer Vorstellung des Absoluten, was sie ursprünglich nicht war. Also in dem traditionellen, wenn man so will, dem Ur-Buddhismus ist Leere einfach die Nicht-Dinglichkeit, die Nicht-Selbstheit, das ständige fluktuierende Anderssein im Fluss der Phänomene, wo überhaupt gar kein Punkt ist, kein Haltepunkt, also der ständige Fluss der Phänomene, der überhaupt keinen Haltepunkt kennt. Und insofern ist da nichts Substanzielles, sondern alle Daseins-Augenblicke bewegen sich in rasender Geschwindigkeit, sie fluktuieren, sie wechseln ständig. Heute ist es anders als gestern, und morgen wird es wieder anders sein. Also dieser Grundgedanke des unaufhörlichen Sich-Verschiebens der Grund-Koordinaten.

Aber es bleibt ja doch hinter aller Fluktuation ein Etwas, was angestrebt wird. Und das ist ja der große Punkt, dann auch scholastische Punkt, kann man sagen. Es hat endlose Diskussionen im Buddhismus darüber gegeben. Was geschieht dann mit dem Erleuchteten wenn er also hier angekommen ist? Verschwindet er, löst er sich auf? Ist es dann doch der Tropfen im Ozean, wie das im Brahman vorgestellt wird? Und was ist denn diese Art Absolutheit? Was bedeutet das überhaupt? Und wie kann das zusammengehen mit der Vorstellung der Einzelheit? Schwierige Fragen, die wahrscheinlich intellektuell- philosophisch überhaupt nicht zu klären sind. Es gibt jedenfalls eine riesige, verwirrende Literatur auch in Asien darüber, so hat der Mahayana-Buddhismus Tausende von Schriften produziert zu dieser Frage der shunyata, was ist denn eigentlich die Leere? Und sie wird immer noch neu interpretiert bis heute.

Auf jeden Fall finde ich es interessant, wie Schumann das hier macht, die beiden Konzepte zusammenzubringen und in eine ganz enge Parallelität zueinander zu rücken. Ich meine, dass das legitim ist. Insofern kann ich mich der These bis zu einem gewissen Grade anschließen. Wahrscheinlich ist ein innerer Zusammenhang, wahrscheinlich, ganz vorsichtig gesagt, lässt sich das aus bestimmten Tiefenerfahrungen [heraus] gar nicht mehr unterscheiden. Und letztlich sind es derartige Tiefenerfahrungen, die dem Ganzen den Grundimpetus verschafft haben und weniger oder erst sekundär Schriften, die tradiert worden sind. Das also in einer ganz knappen Form, erstmal sehr vereinfacht, sehr plakativ, zu dieser Einheits-Vorstellung im asiatischen Denken.

Beide Vorstellungen gibt es heute noch als Einheits-Vorstellung, und es ist natürlich naheliegend, allzu naheliegend kann man sagen, so dass es schon fast nicht wahr sein kann, sag ich mal, wenn man jetzt diese Leere im Sinn der Nicht-Dinglichkeit nun zusammenbringt mit der Vorstellung der Nicht-Substantialität in bestimmten Vorstellungen der Quantentheorie, was ja sehr naheliegend ist. Die Nicht-Dinglichkeit ist ja ein Axiom in der Quantentheorie was den Mikrobereich anbelangt. Insofern ist es ganz naheliegend erstmal zu sagen: Warum sollte er nicht im Grunde genommen das gleiche sein? Die berühmte These von Capra in der Mitte der 70er Jahre sagt: Im Grunde genommen ist es das Gleiche.

Die Wissenschaft ist dahin gekommen in einem langen, mühsamen Prozess, ist sie dort angekommen, siehe der Hase und der Igel, kann man sagen, wo die östliche Spiritualität sich schon immer aufgehalten hat. Mittlerweile ist er [Capra] selbst von dieser These abgerückt, und sie hat aber ungeheure Auswirkungen bis in die New Age-Bewegung hinein. Viele halten sie irgendwie für ganz selbstverständlich, und in vielen Büchern taucht das auf, als Formeln, als wenn es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt gäbe, als [dass] auch natürlich die moderne Physik sozusagen die Lehre der Buddhisten entdeckt hätte.

Ich habe da schon einiges zu gesagt, als ich über Quantentheorie gesprochen habe, dass ich da meine großen Zweifel habe, ob dieser Zusammenhang so in der Form Wert hat und ob er nicht zu kurz, aber nicht kurzschlüssig ist. In der abendländischen Philosophie spielt der Gedanke der Einheit der Welt eigentlich seit Platon eine zentrale Rolle, und besonders im Neuplatonismus wird er gedacht, immer wieder neu, am vielleicht schönsten, sprachlich schönsten, von dem Mystiker-Philosophen Plotin, den auch Ken Wilber mit einigem Recht immer wieder heranzieht mit seinen Enneaden, die sind auf eine wunderbare Weise wie ein Gesang an diese Einheit.

Dann 1200 Jahre später, in der Philosophie Giordano Brunos, da will ich mal einen Abschnitt hier vorlesen aus einem Buch, mit dem er berühmt geworden ist, „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“. Und da gibt es im fünften Teil dieses Buches einen Hymnus auch, der an Plotin erinnert, an diese Einheit der Welt, an diese Ur-Einheit, die sich als Vielheit zeigt. Das hat viele Interpreten total verwirrt. Einige hielten Giordano Bruno für einen Materialisten, andere haben ihn für einen Pantheisten gehalten, wie Spinoza. Spiritualisten haben ihn für sich reklamiert, und es ist bis heute in der Interpretation undeutlich geblieben, was eigentlich genau bei Bruno gemeint ist, wenn er von der Einheit der Welt redet, obwohl ich glaube, dass, wenn man die Texte genau liest, das eigentlich relativ eindeutig ist. Häufig genug ist man mit einem bestimmten Vorurteilsblick darangegangen. Ein Beispiel mal aus dem fünften Dialog, 1584 geschrieben in italienischer Sprache, Titel also: „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“. Da heißt es bei Bruno: „In dem einen Unendlichen und Unbeweglichen, das die Substanz oder das Sein ist, findet sich die Vielheit oder die Zahl. Obgleich sie der Modus der Vielgestaltigkeit des Seins ist, welche Ding für Ding einzeln bezeichnet, macht sie das Sein nicht zu mehr als einem, sondern zu einem vielfältigen, vielförmigen und vielgestaltigen.“ ‒ Also die Zahl (das nur in Parenthese gesagt) konstituiert die Vielfalt der Welt.

Ich will hier in einer Woche dann noch mal reden auch über bestimmte Aspekte der Philosophie der Mathematik, auch über die Möglichkeit einer qualitativen Zahlenordnung anderen Typs. Bruno deutet das hier schon an, war auch auf der Suche nach einer eigenen anderen Mathematik, hatte sogar kurzeitig die Möglichkeit, als Professor für Mathematik zu wirken in Padua. “Wenn wir also mit dem Naturphilosophen gründlich darüber nachdenken und die Logiker ihren Einbildungen überlassen” ‒ meistens ist Aristoteles gemeint, wenn die Seitenhiebe gegen die Logiker und Sophisten gehen ‒ “so finden wir, dass alles, was Unterschied und Zahl ausmacht, bloß Akzidens, bloße Gestalt und bloße Beschaffenheit ist.” Akzidens ist das Nicht-Substanzhafte, also die Vielheit, die Einzelheit. Substanz ist das, was das Einheitsprinzip ausmacht, das Substrat, kann man sagen, jetzt materialistisch gesehen, der Stoff oder die energetische Substanz, Energie selber, Grund-, Ur-Energie, wie immer.

“Jede Hervorbringung, von welcher Art sie auch sei, ist eine Veränderung, während die Substanz immer dieselbe bleibt, weil sie nur eine ist, das eine unsterbliche göttliche Wesen. Es gibt ein unsterbliches, göttliches Wesen, das in gewisser Weise das Sein selber ist und die Substanz darstellt. Dies war Pythagoras fähig zu verstehen, der, statt den Tod zu fürchten, eine Verwandlung erwartet. Dies zu verstehen, waren auch alle Philosophen imstande, die gemeinhin Naturphilosophen heißen und die gelehrt haben, dass der Substanz nach nichts entsteht oder vergeht, wenn man nicht auf diese Weise nur die Veränderung bezeichnen will.” Also die Grundannahme wenn man es mit dem Begriff der Energie formuliert: Die Energie kann nicht entstanden sein, sie kann nicht vergehen. Es kann nur eine Grund- oder Ur-Energie geben, wenn man diesen Begriff für sinnvoll erachtet, und alle Figurationen der Erscheinungswelt sind nur Erscheinungsformen dieses Ur-Einen. Ebenso hat dies Salomo verstanden, der da sagt, es gebe nichts Neues unter der Sonne, sondern das, was ist, sei schon vorher gewesen. Da seht ihr also, wie alle Dinge im Universum sind und wie das Universum in allen Dingen ist, wir in ihm und es in uns und so alles in eine vollkommene Einheit einmündet. Daher braucht sich unser Geist nicht zu beunruhigen, wie wir auch wegen nichts zu verzagen brauchen, denn diese Einheit ist einzig und beständig und dauert immerfort.“

Dieses Eine ist ewig, das ist ganz Spinoza, in gewisser Weise können auch einige dieser Sätze mit gewissen Abschwächungen oder Modifikationen in den Upanishaden stehen. “Jedes Gesicht, jedes Äußere, wie auch alles andere ist eitel und gleichsam nichts.” Ja, alles ist nichts, außer diesem Einen. Also, das erinnert ja auch wieder an den späten Fichte: Es gibt nichts außer Gott, oder eine der anderen spirituellen Traditionen. Also Bruno sagt ganz zugespitzt: Letztlich ist alles in gewisser Weise nichts, außer diesem Einen. “In dem es ein und dasselbe ist, hat es nicht ein Sein und noch ein anderes Sein. Und weil es nicht ein Sein und noch ein Sein hat, hat es nicht Teile und wieder Teile. Und weil es nicht Teile und wieder Teile hat, ist es nicht zusammengesetzt. Es ist Grenze, auf solche Weise, dass es keine Grenze ist. Es ist solchermaßen Form, dass es keine Form ist. Es ist dergestalt Materie, dass es keine Materie ist. Es ist die Art Seele, dass es keine Seele ist. Denn es ist ohne allen Unterschied und deshalb ist es Eines. Das Universum ist eines. In ihm ist fürwahr die Höhe nicht größer als die Länge und Tiefe. Daher wird es einer gewissen Ähnlichkeit wegen als Kugel bezeichnet, ohne jedoch eine Kugel zu sein.“

Also ein altes mystisches Bild, die unendliche Welt als eine Kugel, deren Mittelpunkt bzw. deren Kugeloberfläche überall ist, bzw. bei einer unendlichen Kugel, wenn man es logisch weiterdenkt, fällt natürlich Peripherie und Mittelpunkt zusammen, sie werden ununterscheidbar.

Eine wichtige Argumentation bei Bruno, die sich schon durch dieses Buch zieht, ist der Gedanke, dass die Einheit nur als Unendlichkeit gedacht werden kann. Das ist nun wirklich ein schwindelerregender und auch vielleicht einer der tiefsten Gedanken überhaupt von Bruno, dass er sagt: die Einheit muss die Unendlichkeit sein, denn nur die Unendlichkeit, die absolut alles ist, was überhaupt nur sein kann, kann wirklich als Einheit bezeichnet werden. Eine Einheit, die kein zweites hat. Denn wenn es ein zweites gäbe, gäbe es ein Außerhalb, dann hätte dieses eine quasi ein anderes, zu dem es sich irgendwie stellen müsste. Dann wäre sie eben nicht das Eine. Und das Eine kann nur das Eine ohne ein Zweites sein. Also ein wichtiger Punkt. Bruno stellt das ausführlich dar, auch mit logisch mathematischen Argumenten, dass die Welt, dass der Raum als Ganzes, als Einheit verstanden werden kann und als Unendlichkeit, so dass man so weit gehen kann zu sagen, dass bei Bruno im Grunde genommen Unendlichkeit und Einheit praktisch zusammen­laufen und ununterscheidbar werden. „Jene Philosophen haben ihre Freundin, die Weisheit gefunden, die diese Einheit erkannt haben, denn völlig dasselbe sind Weisheit, Wahrheit und Einheit. Das haben alle zu sagen vermocht, dass das Wahre das Eine und das Sein ein und dasselbe sind. Aber nicht alle haben dies auch verstanden. Denn etliche haben nur die Worte übernommen, ohne damit wie wahre Weise, ihren Sinn zu begreifen. Aristoteles unter anderem, dem das Eine verborgen blieb, hat auch das Sein und das Wahre nicht erkannt, denn er wusste nicht, dass das Sein eines ist.“

Das wird von Bruno verdeutlicht am Beispiel des unendlichen Raumes. Sein Kernargument, ich glaube, ich habe es schon mal im Zusammenhang auch erwähnt, besteht ja darin, dass er sagt: Wenn ich mich dazu bequeme, zu sagen, dass der Raum wirklich ist, dann muss er unendlich sein; er kann schlechterdings nicht begrenzt werden. Das war ja das Problem in der Naturphilosophie und Kosmologie im Ptolemäisch-Aristotelischen System. Das habe ich ja auch schon dargestellt, dass man der Innenwölbung der Welt mit der Erde als Mittelpunkt keine Außenwölbung zusprechen durfte. Also da hat sich ja das Absurdon ergeben, dass die Welt zwar eine Kugel ist, eine endliche Kugel, aber diese Kugel hat keine Außenfläche. Es gibt also keine Kugeloberfläche. Was jenseits der Kugeloberfläche ist, ist nach Aristoteles, und das klingt ja ganz modern, weder Raum noch Zeit. Es ist das die totale Andersheit, die nicht gedacht werden kann.

Während Bruno, wie vor ihm übrigens schon die antiken Atomisten und in anderer Form auch der römische Philosoph Lucretius angenommen haben, dass natürlich hier der Innenwölbung eine Außenwölbung entsprechen muss; und wenn das so ist, dann kann der Raum nicht mehr begrenzt werden, dann ist die Frage schlechterdings unmöglich zu sagen, hier muss es irgendwo eine Grenze geben; das ist nicht widerlegbar. Also das ist sozusagen logisch, mathematisch einwandfrei.

Es gibt nur eine Möglichkeit, dem auszuweichen, nur eine einzige; und die wird auch favorisiert. Wenn man dem ausweichen möchte, dem unendlichen Raum, der dann das Eine sein muss, das ist logisch zwingend, dann muss man postulieren, man kann es nicht beweisen, aber man kann es postulieren, dass tatsächlich hier eine Art Andersheit existiert, ein Hyperraum, wenn man den Begriff verwenden will, der jegliche Qualität von Räumlichkeit, wie wir sie verstehen, nicht mehr aufweist. Er ließe sich vielleicht mathematisch fassen; es gibt hier verschiedene Möglichkeiten, auch in der modernen Mathematik solche Hyperräume mathematisch zahlenmäßig zu fassen. Aber nur so kann man dem ausweichen, wenn man das nicht akzeptieren kann, wenn man so will, realistisch sagt, der Raum ist so Raum, wie wir ihn als Raum empfinden ‒ usque ad infinitum. Da gibt es nicht einen Punkt, wo er quasi umkippt in eine Seins-Sphäre, die nichts mehr zu tun hat mit Raum, nichts mehr zu tun hat mit Zeit, was ja auch möglich ist ‒ man kann das denken. Das ist die einzige Möglichkeit, wie man dem ausweichen kann. Alle anderen Argumente brechen in sich zusammen irgendwann.

Schon in der Antike ist diese Grundkonstellation ja eigentlich gut durchdacht worden. Da gibt es nur nicht so viel Möglichkeiten, das Ganze zu denken, auch wenn man verschiedene Dimensionen einbaut; das kann man natürlich machen. Man kann natürlich sagen, die Vorstellung einer Dreidimensionalität ist nichts weiter als eine Ausweitung der sehr engen euklidischen Geometrie. Die hätte überhaupt keine Gültigkeit für den Kosmos als Ganzes; kann man machen, natürlich, man kann auch mathematisch fiktiv ganz andere Dimensionen bauen. Ob sie dann sinnvollerweise ontologisiert werden können, dass man sagt, das ist wirklich, oder ob das nur Fiktionen sind, sozusagen Kopfgeburten, ist eine andere Frage, ‒ eine schwierige Frage, ‒ aber man kann das machen.

Dann kann man doch eine endliche Welt aufrechterhalten und muss sich der Frage gar nicht stellen, ob diese endliche Welt vielleicht doch in einen unendlichen Kosmos eingebettet ist. Das geschieht ja. Man lässt ja diese Frage weitgehend erstmal offen. Man favorisiert eigentlich die Vorstellung, dass hier in diesem Sinne kein Raum ist. Das könnte man hier enorm ausbreiten. Mittelalterlich antik, relativ klein, heute, gewaltige Ausmaße. Aber die Grundfragen bleiben ja auch bei der größten Ausdehnung, die diese Kugel auch nur haben kann. Die größte Ausdehnung der Kugel ist gegen das Unendliche immer gleich Null. Auch das ist mathematisch logisch nicht zu widerlegen. Also so groß wie die Kugel auch nur sein kann, gegen das Unendliche ist sie immer wie nichts. Und die Fragen bleiben also.

Bruno führt dazu an in der Schrift “Vom Unendlichen”: Auch die längste Strecke ist gegen das Unendliche gesehen wie nichts, wie ein Punkt. Die Fragen sind aufwühlende Fragen, die kann man auf sich beruhen lassen, kann sagen, das muss mich ja gar nicht beschäftigen, ich muss mich ja davon gar nicht beunruhigen lassen. Aber das hängt mit der Vorstellung von dem Einen zusammen. Für Bruno ist das eine Denknotwendigkeit, dass die Welt als Ganzes, als Einheit auch unendlich sein muss.

Und dann der doch faszinierende Gedanke, dass er sagt, gut, wenn ich den Raum weiterdenke, der sich hier unendlich erstreckt, kann ich immer noch sagen, na gut, wie das Newton gedacht hat, diese Welt ist sozusagen eine endliche Kugel in einem unermesslichen Ganzen. Darauf hat Bruno geantwortet: Das kann nicht sein, weil wenn es so wäre, wäre diese Kugel quasi nicht nur ein Punkt, sondern sie ist im Nirgendwo; es gibt überhaupt keinen Ort, denn wenn das kein wirklicher Raum ist, kann die Kugel auch keinen Ort haben. Dann ist der Begriff des Ortes schon falsch. Dann muss man sozusagen vollkommen andere Begriffe schaffen. Und dann, wenn hier Raum ist, dann muss hier die Möglichkeit gegeben sein, auch Substanz, Stoff, Energie, Bewusstsein, wie immer, zu enthalten. Das heißt, wo Raum ist, sagt Bruno, muss es auch Wesen geben, Gestirne geben, Wesenheiten. Das heißt, es gibt diesen leeren Raum im Sinne des Vakuums nicht. Auch das ist konsequent, wenn man das weiterdenkt.

Ich habe das ja auch schon ein bisschen erläutert im Zusammenhang mit dem Clarke-Leibniz-Briefwechsel. Und da wird ja auch der Gedanke ventiliert, obwohl Bruno nie mit Namen erwähnt wird, wird doch ständig direkt oder indirekt Bruno herangezogen. Also eine interessante Frage für die Frage der Einheit der Welt. Und ist das nun Metaphysik oder springt Bruno da in die totale Transzendenz hinein; das sind Fragen, die schwer zu beantworten sind. Ich würde sagen, Bruno versucht, sagen wir mal vorsichtig, die Einheit von Transzendenz und Immanenz zu denken. Er entscheidet sich nicht eindeutig für die Immanenz, das Göttliche in der Welt, und entscheidet sich auch nicht für die Vorstellung der Transzendenz in der Welt. Und da berührt er sich auf eine doch hochinteressante Weise dann mit der Brahman-Vorstellung; mag sein sogar, wie ab und zu mal vermutet worden ist, dass Bruno vielleicht sogar über bestimmte Kanäle davon Kunde gehabt hat, über den Vorderen Orient, über den Neuplatonismus. Mag sein, dass der Neuplatonismus in Alexandria etwa, Plotin war ja erst in Alexandria, dass da Beeinflussungen vorliegen, die weiterreichen, die von Asien kommen, das ist möglich. Dass da also eine starke asiatische Unterströmung im Neuplatonismus existiert, die dann Bruno auch erreicht hat. Insofern wäre es immerhin denkbar, dass Bruno tatsächlich auch einen direkten Traditionsstrang, einen Vermittlungsstrang mit der asiatischen Philosophie hätte. Das lässt sich nicht beweisen. Ich bin dem Punkt mal nachgegangen und bin da gescheitert. Da gibt es also keine historisch belegbaren Dokumente. Man kann das nur vermuten. Es ist möglich. Klar beweisbar ist es nicht.

Ich will jetzt eingehen auf den Gedanken der Einheit in der modernen Physik. Ich will nicht auf die ungeheuren Schwierigkeiten und Subtilitäten dieser Raum-Frage eingehen. Das habe ich sehr vereinfacht und sehr plakativ dargestellt. Ich meine aber, da einen zentralen Punkt berührt zu haben. Natürlich ist das sehr komplex, auch wenn man es jetzt noch mathematisch weiterdenkt. Was ist denn diese Raum-Unendlichkeit für die Mathematik oder für die Geometrie? Diese Zeichnung hier soll noch etwas anderes andeuten. Sie findet sich so direkt bei Bruno nicht, aber faktisch taucht diese Figur bei Bruno immer wieder auf. Das ist noch ein weiterer Impuls in seiner Einheitslehre, dass er davon ausgeht, dass das Minimum und das Maximum letztlich identisch sind. Das heißt, im Raum-Unendlichen ist auch die größte Ausdehnung, die noch in irgendeiner Form messbar, quantifizierbar ist, quasi ein Nichts, wie in der größten zeitlichen Erstreckung auch die längste Zeit-Strecke quasi ein Nichts ist.

Bruno hat diese Lehre vom Minimum und Maximum seiner eigenen Mathematik und Geometrie ausgebaut, die sehr interessant und sehr subtil ist. Diese Schriften gibt es erst seit kurzem teilweise auf Deutsch. Das will ich im Einzelnen nicht darstellen.

Wichtig für unseren Zusammenhang ist noch folgendes, auch, was die Parallelität zu Brahman betrifft: Bruno meint, dass die Erscheinungswelt in gewisser Weise einer Kugel­oberfläche gleicht. Eine alte Metapher, die Erscheinungswelt als Kugeloberfläche. Es soll Aufgabe des Geistes sein, gleichsam Schicht für Schicht tiefer zu dringen in diese Kugel hinein, in die Kugel des Geistes. Bruno verwendet immer wieder, einer alten Tradition folgend, das Bild der Seele, des Geistes, was bei ihm nicht klar unterschieden war, Seele und Geist bei ihm sind mehr oder weniger das Gleiche. Diese Kugel ist in gewisser Weise auch die Kugel der Welt, die nur metaphorisch Kugel ist, weil sie ist unendlich, und dass der Mensch in der Zusammenziehung, Kontraktion, wie das Bruno nennt, Meditation könnte man auch sagen, die Fähigkeit hat, wenn er eine bestimmte Tiefen-Schicht der meditativen Tiefenschau erreicht hat, dass er dann an einen Punkt kommt, wo er quasi ins All zerstrahlt, wo dieser Zentralpunkt identisch wird mit der Zerstrahlung ins Ganze. Das heißt, der Einzelne, der auf der Oberfläche der Welt ganz nach innen geht, so tief, wie es irgend geht, das nennt Bruno Kontraktion, Zusammenziehung, stürzt hier im Mittelpunkt seiner selbst auf das Ganze, und so ist das auch eine Erkenntnislehre, dass der Einzelne dergestalt auch das Ganze in sich trägt. Und das ist ja immer wieder mit Verblüffung konstatiert worden, auch dass Bruno so viele Dinge gesehen hat und fand, auch ohne ein Fernrohr zu benutzen, ohne überhaupt jemals irgendwelche Beobachtungen angestellt zu haben – wie das kommt.

Also, eine Erkenntnistheorie, wo man auch viele Parallelen herstellen kann zu dieser Brahman-Atman-Vorstellung, also quasi, wenn man diese Begriffe übernimmt, diese Kugel als Atman, und wenn sie ihren äußersten Zusammenziehungspunkt erreicht hat, in der Tiefenmeditation wird Atman zu Brahman. Da zerströmt gleichsam das Erkenntnis-Licht ins All und spiegelt das Licht im Universum. Bei Bruno eingehend dargestellt und bei Eugen Drewermann. (…) Drewermann macht daraus dann den Bruno, der irgendwo am Strande läuft und dann in der Dunkelheit, alles ist bewölkt, und plötzlich bricht ein Lichtstrahl hervor, und er sieht eine schöne Frau, und das ist dann für ihn dieses Erlebnis. Also, sie können das nachlesen, in dem mit einigem Recht auch in der Öffentlichkeit kritisierten Buch von Eugen Drewermann über Giordano Bruno, und der hat sich so in Bruno hinein versetzt, er schreibt ein fiktives Tagebuch und stellt sich so vor, wie es wäre, wenn man Giordano Bruno wäre. Da überhebt sich, glaube ich, Herr Drewermann ein bisschen. Aber gut, das sei nur am Rande erwähnt. Also, das ist ein wichtiger Gedanke bei Bruno.

Nun zurück zu Grundvorstellungen der Einheit, wie sie eigentlich die Naturwissen­schaft ansieht. Diese Figuren tauchen zunächst einmal so in den Naturwissenschaften gar nicht auf, spielen jedenfalls keine zentrale Rolle. Ganz vereinfacht kann man sagen: in der Naturwissenschaft ist Einheit die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Naturgesetze im Universum. Das heißt, die Grundannahme, das, was ich hier messen kann, was ich hier denke, durchdringen kann, muss im Prinzip auch überall sonst gelten. Das ist in eine wichtige Prämisse, die ja nicht selbstverständlich ist, denn in der geozentrischen Sicht oberhalb der Mond-Sphäre, mit Erde als Mittelpunkt des Kosmos, galten ja ganz andere Gesetze. Hier galt die physisch-sinnliche Gesetzmäßigkeit nicht. Das ist wichtig. Oberhalb der Mond-Sphäre beginnt eine andere Welt mit vollkommen anderen Gesetzen. Und das wird in der neuzeitlichen Naturwissenschaft in dem Sinne ausgehebelt, dass man sagt: Im Prinzip müssen im gesamten Universum überall die gleichen Grundgesetze gelten, in diesem Sinne ist das Universum eine Einheit. Es wird also weniger jetzt darüber spekuliert, wie ist diese Einheit erfahrbar in der Tiefe, in der Seele, wie ist sie spirituell zu begreifen, sondern ganz schlicht, die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Gesetzesordnung im gesamten Universum. Auch hier muss man natürlich die Frage der Dimension ansprechen. Man kann natürlich sagen, gut, ich kann von einem Experiment, was ich zum Beispiel hier in diesem Raum mache, weitreichende Schlussfolgerungen ableiten auf den Kosmos, auf das Universum, auf das Weltall, – überspringe damit natürlich die mit dieser Situation gegebene kosmische Relativität dieses Raums hier, zu diesem Zeitpunkt, und muss natürlich Zwischenschritte vollziehen. Aber im Prinzip wird es als möglich erachtet.

Wenn das nicht so wäre, wenn das nicht angenommen würde, würden alle Aussagen über das Weltall letztlich in sich zusammenbrechen. Dann könnte man gar nichts mehr sagen. Dann könnte man nur sagen: Wir haben gewisse Segmente der Wirklichkeit, die durchdringen wir, denken, die messen wir. Aber man kann überhaupt nicht extrapolieren. Man kann nicht sagen, die Welt als Ganzes müsste so sein. Davon wird aber ausgegangen. Das ist der Gedanke der Einheit in der Naturwissenschaft im Kern, also die Einheit dieser Gesetzesordnung der Welt, die es erlaubt, vom Einzelnen auf das Allgemeine zu schließen, also induktiv und dann aber auch in der Gegenbewegung deduktiv. Es wird eine Einheit vorausgesetzt.

Nun kann man sagen, diese Einheit kann, das sagt übrigens auch Weizsäcker hier in seinem Buch „Die Einheit der Natur“, diese Einheit kann keine materielle, keine physische sein. Sie ist im Letzten natürlich auch gar nicht beweisbar, das ist unmöglich. Sie hat aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sie muss in der Tiefe eine metaphysische sein. Sie ist ein Grund-Konstituent der Welt überhaupt. Und wenn man jetzt die Dimensionsfrage einbezieht, kann man natürlich sagen, das stimmt alles nur innerhalb einer bestimmten Dimension, also von mir aus innerhalb der sogenannten dreidimensionalen oder vierdimensionalen Welt, wie immer. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass das Ganze eingebettet ist in andere Dimensionalitäten, siehe Burkhard Heim, zwölfdimensionaler Hyperraum, dann bekommt das natürlich einen anderen Charakter. Also dann muss ich das Ganze neu fassen, dann muss ich das Physisch-Sinnliche zum Sonderfall erklären. Dann, das kann man machen, das kann man auch mathematisch logisch durchrechnen, dann wird es natürlich aber schwierig. Es könnte natürlich sein; das ist dann nicht unbedingt sicher, dass man so ohne Weiteres extrapolieren kann.

Das hat ja Johannes Heinrichs vor einer Woche hier auch angedeutet, vielleicht erinnern Sie sich daran, im ersten Teil seiner Vorlesung, wo er einen der wenigen Dissenzpunkte sieht mit einer These von mir, dass ich von den Provinz-Gesetzen der Erde gesprochen habe. Das hat er missverstanden. Ich meine damit erst einmal in erster Linie nur die kosmische Relativität und dass man die Frage zunächst mal offenlassen kann, ob das so auf eine direkte Weise übertragbar ist. Das trifft ja auch für die Zeiträume zu. Denn alle diese Zeiträume, die gemeinhin angenommen werden, sind ja festgelegt oder werden ja behauptet aufgrund der Annahme, dass die Zeit sich nicht fundamental ändert, dass die Zeit ja doch in irgendeiner Form eine absolute Erstreckung ist, die aus einer wie immer gearteten Vergangenheit in die Zukunft führt; dass da nicht ein Bruch passiert ist, ein qualitativer Sprung, was ja möglich ist. Warum soll es nicht passiert sein? Also, es lässt sich nicht absolut sicher sagen, dass die Zeit überhaupt sozusagen so gleichförmig und ohne sich zu verändern dahinrast oder schleicht, wie immer, wie das ja Newton angenommen hatte in seiner Vorstellung der mathematischen, gleichmäßig dahinfließenden Zeit. Das muss nicht sein. Es könnte ja genauso gut sein, dass in irgendeinem nicht weiter fixierbaren Punkt die Zeit auch kollabiert, sodass also das Ganze plötzlich auf eine andere Ebene gedreht wird.

Also die Prämisse ist weitführend; letztlich geht die Physik dann doch irgendwie von einer linearen Zeit aus, auch wenn sie das abstreiten und das relativistisch deuten. Im Grunde geht man dann doch von so einer Zeitachse aus, die sich nicht ändert, sonst wären ja diese ganzen Zeitangaben ohnehin absurd. Da müsste man sie ja gar nicht irgendwie postulieren.

Dann könnte man ja immer sagen: Es kann ja im Zeitpunkt X ein Zeitsprung passiert sein oder eine qualitative Verschiebung passiert sein, dann kommt man ja in ganz andere Dimensionen hinein, und das hat ungeheure Auswirkung auf das Bewusstsein. Also die Dimensionenfrage ist die heikelste dabei. Das alles bewegt sich erst einmal noch, und bei Bruno auch, erstmal weitgehend auf der Vorstellungsebene der räumlichen Erstreckung, wie wir sie aus der Erfahrung, aus der Empirie kennen. Eine ganz andere Frage ist es, wenn ich diese räumliche Erstreckung in der Erfahrungswelt von vornherein relativiere und sage: Das ist gar nicht der eigentliche Raum, das ist sozusagen nur gleichsam die Ausfaltung eines ganz anderen Raums, der gar nicht quantifizierbar ist. Dann muss man ganz neu denken, das ist möglich. Das lässt sich auch nicht widerlegen im absoluten Sinne. Aber dann muss man das Ganze noch mal neu denken, dann muss man auch die Frage der Einheit neu denken. Dann könnte diese Einheit natürlich noch ganz anders gebaut sein.

Also könnte man sich fragen: Wieviele Dimensionen gibt es? Und sind das jetzt nur mathematische Kopfgeburten? ‒ was ja Kritiker oft sagen, es ist halt überhaupt keine Wirklichkeit. Der Raum ist dreidimensional und nichts weiter. Und er ist eben nicht fünf-, sechs- oder zwölf-dimensional. Es gibt keinen Hyperraum, das sind nur mathematische Fiktionen, ‒ oder diese sogenannten Fiktionen haben eben doch eine gewisse Wirklichkeit. Dann wäre die Welt in der Tat auf eine schwer begreifbare Weise multidimensional. Und dann, in der Tat, greifen die Argumente nicht mehr in dem Sinne, wie ich sie vorgetragen habe, das ist klar. Also wenn man das ausklinkt und sagt, das gilt nicht, oder das ist dann nur unser Erfahrungsraum, brechen sie erst einmal in sich zusammen. Mal dramatisch gesagt, – schlichter formuliert: Sie relativieren sich. Insofern kann man die Frage vielleicht offenlassen, man muss das nicht da heißblütig debattieren: Ist der Kosmos endlich oder unendlich, das mag auch irgendwo müßig sein, darüber erregt hier zu diskutieren, aber man muss sich zumindest darüber im Klaren sein, wenn man überhaupt argumentiert, muss man wissen, auf welcher Ebene man sich aufhält. Was meint man? Das finde ich wichtig. Sonst ist eine Diskussion weitgehend sinnlos. Also wovon redet man eigentlich, wenn ich vom Raum rede und sage, dieser Raum ist eine Einheit, der ist nicht begrenzbar. Was für eine Art von Raum meine ich? Meine ich den uns doch zugänglichen Anschauungsraum? ‒ Auch wenn wir den Raum nicht sehen, der Raum ist bekanntlich nicht sichtbar, er ist ein ungreifbares Etwas. Er ist ja nicht ein Ding, nicht Materie. Also was für einen Raum meine ich, und ist der Raum dann leer? ‒ Ich will ja auch im Januar noch über die Vorstellung der Vakuumenergie sprechen, die ja in den letzten Jahren viel diskutiert wird. ‒ Dann muss man das Ganze auf eine andere Ebene verlagern. Aber man muss wissen, wovon man redet, sonst redet man hoffnungslos aneinander vorbei. Also wenn einer jetzt auf der Ebene redet und meint dann den Anschauungsraum, der andere meint aber eine Art Hyperraum, dann gibt es keine Verständigung, das ist klar. Also man muss sich dann von vornherein verständigen, was man eigentlich meint. Insofern ist dann doch eine gewisse Klärung der Begriffe ganz sinnvoll. Also die Frage, ob der Raum tatsächlich eine unendliche Erstreckung hat oder nicht, oder ob auch die Naturgesetze, die wir hier haben, in dieser Form universell gültig sind, kann letztendlich nicht entschieden werden.

Es ist eine Setzung ‒ und eine metaphysische Setzung. Weizsäcker weiß das auch und stellt das in seinem Buch mit dem Titel „Die Einheit der Natur“ immer wieder auch dar. Er glaubt bis heute, soweit ich das weiß, dass die Physik als eine Einheitswissenschaft tatsächlich vollendbar ist. Er bezieht sich da auf Kant als das Ensemble der Bedingungen, der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt. Ich weiß nicht, ob er den Gedanken dann aufgegeben hat, in den 70er, 80er Jahren, jedenfalls war er davon überzeugt, dass das möglich sein müsste, dass also die Physik in gewisser Weise da abgeschlossen werden kann, indem sie die Gesamtheit der Erfahrung der Welt dann auch so weit beschreibt, wie das physikalisch-mathematisch überhaupt nur möglich ist.

Weizsäcker ist natürlich durch und durch Metaphysiker. Er meint natürlich in der Tiefe, dass diese Einheit der Welt, die Einheit der Physik im Letzten wurzelt in einer Einheit der Welt. Und er ist auch Platoniker in dem Sinne, dass er meint, dass natürlich die mathematischen Formalismen die Natur so abbilden, wie sie ist, dass also die mathematischen Formalismen in der Natur selber enthalten sind. Das tun ja auch avancierte Theorien etwa, auch die bekannte von Burkhard Heim ebenso, Heim ist ja im Grunde genommen Absolutist. Er setzt natürlich auch seine Fiktionen als Weltkonstituenten. Sonst würde die Argumentation ja in sich zusammenbrechen, es wäre das ja nur eine Selbstbespiegelung des Geistes, man käme nicht weiter.

Auf jeden Fall ist das wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, worüber man eigentlich redet. Also der Begriff der Einheit ist auf der einen Seite in der Physik sehr einfach zu fassen, die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Naturgesetze im Universum, auf der anderen Seite aber wieder sehr schwierig, weil, man kann die Einheit dann wesentlich weiter fassen, und dann könnte man auch die Frage, und muss sie auch ventilieren: Was ist mit dem Bewusstsein?

Und das ist ja auch in der indischen Philosophie ventiliert worden. Übrigens in beiden Strömungen, nicht, im Buddhismus, gibt es dann den Gedanken, dass diese Leere der Welt – shunyata – im Grunde das universale Ur-Bewusstsein ist. Also die Ur-Leere ist das Bewusstsein selber, nicht, also hat nicht Bewusstsein als eine Qualität neben anderen, sondern ist Bewusstsein. Und wenn das dann der Raum ist, das findet man beim Mahayana-Buddhismus, dann hat der Raum nicht Bewusstsein, sondern der Raum ist Bewusstsein. Der Raum ist das Bewusstsein selbst, eine weitreichende, ja man kann wirklich sagen, schwindelerregend These. Aber es gibt bis hin übrigens zum Dalai Lama viele Mahayana-Buddhisten, die letztlich dahin kommen zu sagen: Der Raum ist das Universal-Bewusstsein selber, in diesem Sinne die Einheit und auch das Absolute. Und hier wird es ähnlich gesehen, in den Brahman-Gedanken. Das ist ja nicht jenseits von Bewusstsein. Nur in unserem Sinne ist dieses Bewusstsein, da wir ein Partikular-Bewusstsein haben, nicht vorstellbar und nur in einer Tiefen-Meditation zu erfahren.

Und bei Bruno ist es ähnlich. Und da gibt es schon einen interessanten Zusammenhang zwischen der Raum-Vorstellung bei Bruno und der Raumvorstellung in der Brahman-Lehre.

Also, die Möglichkeit, über den Gedanken der Einheit hier was zusammenzuführen, die gibt es. Es gibt diese Möglichkeit, aber sie ist sehr schwer zu denken. Und man muss sich davor hüten, dass man allzu pauschal und schnell auch, sagen wir mal, Begriffe aus einem gänzlich anders gearteten Kulturkreis mit einer ganz anderen Tradition vorschnell gleichsetzt. Das geschieht natürlich, auch was das chinesische Chi-Konzept betrifft.

Natürlich haben das viele Physiker längst entdeckt und sagen, es ist doch das, was wir auch sagen, wovon wir auch reden, ‒ das ist schwierig. Also man kann das immer nur mit einer gewissen Relativität [verbinden], da muss man sehr, sehr vorsichtig sein. Insofern sage ich es mit aller Behutsamkeit. Mag sein, dass in der tiefsten Tiefe diese Konzeptionen mahayana-buddhistische shunyata, Advaita-Lehre Brahman, Bruno’sche Raumunendlich­keit, vielleicht auch die modernere Vorstellung des Quanten-Vakuums, dass es in der Tiefe das Gleiche ist. Mag sein, dass dann eine Ebene berührt [wird], die sich jeder Verifizierbarkeit im üblichen Sinne entzieht. Dann müsste man tatsächlich, das kann man ja auch, Praktiken [sich] vorstellen, mittels deren man überhaupt in der Lage ist, Bruno tut das ja, solche Erfahrung zu machen, nicht, dass man das nicht nur postuliert und in einen intellektuellen Disput einander zuwirft wie Bälle. Dann ist es mehr oder weniger unfruchtbar. Das ist klar, dass man da so Konzepte… man kann auch noch andere Begriffe dann einfügen und man kann dann diese spielballartig sich zuwerfen und das hat dann [nurmehr] einen geringen Erkenntniswert.

Also man müsste dann schon fragen: Wie komme ich zu diesen Vorstellungen? Welche Methoden gibt es denn überhaupt? Naturwissenschaftler haben ja ihre Methoden entwickelt, die haben auch ihre Berechtigung bis zu einem gewissen Grade. Und wie weit kann man da gehen? Und da wird es wirklich interessant. An der Stelle wird es hochinteressant und ungelöst. Da beginnen nämlich wirklich dann die Fragen und Probleme, auch die Frage der Messbarkeit: Was ist überhaupt messbar? Wie weit geht die Messbarkeit? Wird sie nicht überschätzt heute und auch von fast allen Lagern? Was ist das denn überhaupt, diese Messbarkeit? Wie muss man sie interpretieren? Welche Ebene kommt ins Spiel? Die Fragen sind äußerst subtil, aber da wird es dann wirklich interessant.

Aber ich halte das alles letztendlich für ganz offene Fragen, und ich kann da auch keine Lösung anbieten, dass ich sagen würde: Ja, so verhält es sich. Das ist, wer da mehr eingedrungen ist in diese Fragen, der kann einfach nur, wenn das nicht Scharlatanerie sein soll, das mit aller Behutsamkeit so darstellen und auf der Ebene erst einmal versuchen, das Thema überhaupt zu betrachten, wo es eine gewisse Chance gibt, dass man sich da annähern kann. Sonst bleibt das, finde ich, ein, polemisch gesagt, ideologisches Gerede und bringt eigentlich gar nichts.

Also, das Einheitskonzept, um das abschließend zu sagen, ist eines der stärksten Konzepte, die jemals Menschen gedacht haben, ein ganz großes, eines der ganz großen Konzepte überhaupt des menschlichen Geistes. Und es ist wahrscheinlich, dass hier in irgendeiner Form eine Möglichkeit besteht, dass sich hier was berührt, mal vorsichtig gesagt. Und vielleicht ist das ein Ansatzpunkt. Das taucht bei Wilber fast überhaupt nicht auf, diese Frage, nur am Rande. Also in der “Naturwissenschaft und Religion” kommt er ja dann zu einem ganz anderen Ergebnis, zu einem ganz anderen Resümee, was auch fragwürdig ist. Sein Resümee ist dann folgendes, ich sage es ganz kurz plakativ, in dem Buch: Er lehnt diese fünf Facetten, die ich eingangs genannt habe, ab und sagt dann, es gibt nur die Möglichkeit, dass sich die etablierten Religionen sozusagen von allen geschichtlich bedingten Dogmen befreien und ihren spirituellen Kern hervorheben. Und das müsste die Naturphilosophie, Kosmologie auch tun. Das ist leicht gesagt, wenn das so einfach wäre. Das ist letztlich das Resümee. Denn wenn das so wäre, dann würden manche, selbst religiöse Streitigkeiten gar nicht so brachial aufbrechen. Natürlich kann man sagen, es ist ja immer wieder gesagt worden, es gibt eine Einheitsweisheit. Im Sufismus wird das gesagt, von der letztlich alle abzweigen. Dann könnte man sagen, es muss diese Einheit geben. Aber warum gibt es dann diese grimmige Feindschaft der religiösen Systeme? Warum kann man sich nicht darüber verständigen, dass man in der Tiefe doch das Gleiche will? Das ist eben ungeheuer schwer. Man braucht ja nur mal in den Nahen Osten zu schauen. Was haben denn diese drei monotheistischen Religionen für große Schwierigkeiten? Warum gelingt es denn nicht, sich zu einigen? Das ist eben extrem schwierig. Und nicht nur aus politisch-sozialen Gründen, sondern auch aus Gründen der Lehre selber.

Das finde ich zu kurz gedacht von Wilber als eine Lösung, wenn da überhaupt eine Lösung existiert. So, das wollte ich Ihnen eigentlich im Wesentlichen vorstellen, indem ich diese Kernpunkte hier genannt habe.


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DISKUSSION

Und ich fände es ganz schön, wenn wir noch ein bisschen ins Gespräch kommen können. Und Sie können dann selber vorschlagen, wo wir noch mehr reingehen wollen. Ich bin gerne bereit, zu jedem dieser Punkte hier noch detaillierter was zu sagen, wenn Sie das möchten. Das erst mal nur ein… das Thema so aufgefächert. Ja?

Teilnehmer: Meine Frage geht hauptsächlich auf den Begriff oder auf das Thema der Ratio. Also sowohl ein Wilber als auch Jean Gebser sprechen ja von gewissen kulturellen Welt-Epochen und eine davon sei die rationelle, gleichgesetzt mit der Moderne.

JK: Mentale sagen die meisten ja.

Teilnehmer: Es gibt hier gewisse logische Grundgesetze, die wohl gelten müssen, damit etwas als rational anerkannt wird. Und wenn nicht, dann sei es eher irrational. Meine Frage ist jetzt, bezieht sich auf die Frage, auf die Problematik, die die Postmoderne gerne hervorhebt. Kann man denn überhaupt davon ausgehen, dass das überhaupt als Prämisse haltbar, dass es eine einheitliche Rationalität gäbe? Und zwar ist das ja ein Abendland-Konzept über die Logik. Aber kann man denn auch vom Denken, vom rationalen Denken so weit dahin gehen, dass man sagt, all dieses rationale Denken, was nach diesen abendländisch postulierten Gesetzen sich abspielt, ist dann ein rationales Denken. Also gibt es wirklich nur eine Art rationales Denken?

JK: Ja, ich bin sehr dankbar für diese Frage. Da sprechen Sie in der Tat eine gewisse Schwäche dieser Modelle an, nicht, die, wenn man das genau verfolgt, tatsächlich auch eigentlich aufbricht. Denn das klingt bei bei diesen Modellen immer irgendwie an, dass es quasi eine mentale Stufe gäbe, menschheitlich universell, letztlich durch alle Kulturen hindurch. Nun, dann müsste man, wenn man das klären will, was sie gefragt haben, dann müsste man die Kriterien formulieren. Dann müsste man sagen: Was wären denn die Kriterien für eine rationale Weltauffassung? Wäre das dann Naturwissenschaft in unserem modernen Sinne? Wäre das Objektivierbarkeit, Reproduzierbarkeit der Experimente, das Vertrauen auf die Empirie, auf die Erfahrung, nicht, das Kontrollierbare und so weiter. Wären das Kriterien, würden Sie sagen: Das ist so, oder nicht? Wären das Kriterien?

Teilnehmer: Wenn ich jetzt Ratio als kulturell, als kulturelle Epoche begreifen will, die eine Gesellschaft hervorbringt über eine kulturelle Leistung, … dann kann ich, dann gibt es natürlich dieses Konzept. Aber mal davon abgesehen, ist Ratio weiter gefasst, ist ja nicht nur … erstens nicht die Wissenschaft in ihren Methodiken…

JK: Ich habe nur eins vorgeschlagen als Möglichkeit.

Teilnehmer: …ein Denken wäre, … welches logischen Gesetzen unterliegt. Und wenn es das nicht tut, dann sei es eben irrational. Und dann ist es eben meine Frage: Wenn ich sehe bei anderen Kulturen, wie zum Beispiel in Mittelamerika, wie äußerst plausibel dieses Denken ist oder bei den Hopi. Aber das es nach unseren Kriterien der Schlussfolgerung überhaupt nicht diese Plausibilität besitzt.

JK: Sie sprechen den Punkt an, ob es nicht, das ist, liegt in Ihrer Frage drin, ob es nicht eine Art von Rationalität gibt, eine kulturspezifische, die durchaus nicht deckungsgleich ist mit unserer Form der Rationalität. Gut, da hat es ja eingehende Untersuchungen drüber gegeben. Man hat ja auch nachweisen wollen, dass der Mythos letztlich auch rational ist, also letztlich auch einen rationalen Weltzugang hat. Dann käme man auf den Punkt der Interpretation.

Diese postmoderne Geschichte, dass man sagt: gut, das sind verschiedene Welt- Interpretationen. Das würde aber dem Anspruch der abendländischen Rationalität immer widersprechen, denn die abendländische Rationalität ging ja immer davon aus, dass Ihre Erscheinungsform universell gültig ist. Also ganz vereinfacht: Das Fallgesetz gilt auch in Asien oder in Afrika oder Südamerika. Da fallen die Körper nicht anders. Also wenn ich das dann beschreibe mathematisch, dann stimmt es oder stimmt es nicht. Das war ja der… das Argument immer der Rationalität, dass man sagt, das ist universell, egal was du glaubst, ob du Moslem bist oder Buddhist oder Christ, wenn du zu Boden fällst, dann fällst du als physischer Körper so zu Boden wie halt Körper auf diesem Planeten fallen. Ja, das war ja der, der… ist ja auch ein starkes Argument, das kann man ja nicht einfach so beiseitelegen, nicht. Also ist ja kein Scheinargument, es ist ja ein starkes Argument.

Eine andere Frage ist, wie weit das geht, nicht, wie weit das reicht. Und da wird es schwierig. Nicht, an dem Extrembeispiel würde ja jeder sofort sagen: naja, so ist es. … Oder wie hier Max Planck einmal gesagt hat: Diese Gesetze, die er entdeckt hat, müssten auch den fernsten Galaxien gelten. Zu jeder beliebigen Zeit, in jeder nur denkbaren Kultur im gesamten Universum. Noch eins drauf. Ja, dann wäre also die die Mental-Stufe praktisch sozusagen das universell Gültige schlechthin. Das ist schwierig. Also ich würde sagen, bis zu einem gewissen Grade muss man von der Universalität des Rationalen ausgehen, bis zu einem gewissen Grade. ‒ Aber wo genau die Grenze ist, weiß ich auch nicht. Also da wird es sehr schwierig.

Teilnehmer: In der klassischen modernen Wissenschaft des Abendlandes ist es so, dass diese Frage in sich überhaupt nicht mehr untersucht wird…

JK: Das ganze Projekt der Moderne geht ja davon aus, dass die… Die Gründerväter dieses Projektes der Moderne waren ja keine Relativisten, die meinten ja wirklich, ihre Erkenntnisse entschlüsseln die Welt, wie sie ist, nicht wie sie irgendeine Kultur sieht, sondern wie sie ist. Und hatte ja auch immer ganz gute Gründe dafür. Es war ja nicht einfach Wahn, muss man ja auch angucken. Man kann ja sagen: Gut, es gibt diese Interpretation und jene Interpretation. Aber immerhin hat sie doch ein weitreichendes Maß an Universalität manifestiert, etwa in der Technik und unbezweifelbar dargestellt. Das ist nicht zu bezweifeln, das kann man ja ablehnen. Kann sagen, das will ich nicht, aber es bleibt erst mal ein Faktum.

Insofern haben die, die dann von der Ebene aus argumentieren, auch wieder recht, wenn sie sagen: Das ist eben das Universelle schlechthin. Das heißt, das Rationale bestimmt sich als das Universelle und gerade nicht als das Kulturspezifische. Das war der Witz der Sache. So hat sich die Aufklärung jedenfalls gesehen. Das ist sozusagen… das ist implizit. Die Universalität ist implizit in dem Gedanken der Vernunft überhaupt. Ich würde ja auch… wenn sie an die ganze Frage der Menschenrechte denken, zum Beispiel, wird es ja auch jetzt politisch manifest ‒ kann man das universell setzen, oder nicht? Aber die Frage ist wichtig, ohne Frage.

Teilenehmer: Ich finde es auch wichtig, dass wir erkennen, dass es subjektive Wahrheiten und objektive Wahrheiten gibt, und dass man also nicht das eine mit dem anderen ausschließen sollte.

JK: Vermischt. Kannst Du das mal ein bisschen genauer sagen: Was wäre eine subjektive Wahrheit für Dich? Gib mal ein Beispiel.

Teilnehmer: Also, subjektiv wäre, wenn ich jetzt sagen würde, ich liebe eine gewisse Frau und andere sagen, ich finde überhaupt nicht, dass sie…

JK: Hat das was mit Wahrheit zu tun? Na gut, … Sie meinen, wahrscheinlich noch ein bisschen was anderes. Es geht ja nicht nur um Gefühle. Also, na ja, gut, also das ist nun auch wieder ein Punkt. Das ist ja die Frage, wie weit das einzelne Subjekt, der Einzelne, die Einzelne überhaupt in der Lage ist, das Ganze zu spiegeln. In der Grundlinie der abendländischen Erkenntnis wird davon ausgegangen, dass das möglich ist. Die Naturwissenschaft basiert auf der Annahme, dass die Welt bis zu einem gewissen Grade tatsächlich erkennbar ist, jenseits der Subjektivität.

Also was einer denkt und fühlt, wie einer liebt, der seine Frau liebt oder hasst, spielt in dem Zusammenhang keine Rolle. Ja, das kann man ja bedauern. Man kann sagen, das sollte nicht so sein. Die Liebe sollte auch in der Erkenntnis eine Rolle spielen. Richtig, dem würde ich zustimmen, aber dann muss man das Ganze wieder anders fassen. Aber so gesehen ist der Anspruch der Naturwissenschaft und im Grunde genommen auch der Anspruch der klassischen Philosophie immer der gewesen, dass man ein Stück Wahrheit erschließt, jenseits des Meinens und der Subjektivität, nicht, sonst kommt man in Teufels Küche. Also ist man auch gekommen. Da ist man ja schon drin, weil ja dann kommt man irgendwann an den Punkt, das ist die Schwäche des postmodernen Ansatzes, wenn man sagt, das alles nur Interpretation, ob ich in Lyrik verfasse oder ob ich die Klampfe schlage oder ob ich irgendwelche Körperbewegungen physikalisch untersuche, das ist alles das Gleiche. Gut. Ist ja eine Ansatz, ist ja ein Ansatzpunkt, aber da ist ein qualitativer Unterschied in dem Anspruch drin. Also das lässt sich nicht klären. Dann müsste man… deswegen habe ich nachgefragt: Was meinen sie mit Subjektivität.

Teilnehmer: Naja, so gibt es ja diese Mystiker, die sagen, ich bin Gott oder : Ich bin die ehrliche Wahrheit oder so.

JK: Also nun ja, also jetzt das, das ist wieder was anderes. Ob ob man seine Frau liebt oder nicht, ist das eine, ob man dann eine Gotteserfahrung hat, was also einer sagt, er tritt in die Welt, er hat das erlebt, nicht, ‒ das ist natürlich dann ein hoher Anspruch. Und dann ist die Frage, … dann ist die Frage: Wird es von der kulturellen Gemeinschaft akzeptiert, oder wird es nicht akzeptiert? Wenn es nicht akzeptiert wird, ist man Ketzer, kann auf dem Scheiterhaufen landen oder sonstwie in Schwierigkeiten kommen, oder es wird kulturell offiziell akzeptiert. Und dann: Warum wird es akzeptiert? Ist das dann subjektiv? Und da sind wir wieder in einem ganz anderen Punkt, wie weit dann solche tiefen Erlebnisse überhaupt objektivierbar sind? Die Kritiker sagen, das wissen sie ja, die Kritiker sagen ja immer: Na ja, das ist doch nur die Innenschau des Einzelnen ohne jegliche Objektivierbarkeit.

Obwohl Mystiker aller Zeiten auch immer darauf hinweisen, dass es bestimmte Schritte gibt; Bruno ist kein Mystiker in diesem Sinne, aber er gibt Stufen und Schritte an, über die man bestimmte Erfahrung machen kann. Man kann sagen, ich will diese Erfahrung gar nicht machen. Diese Erfahrung interessieren mich überhaupt nicht. Ist ja auch legitim, aber es gibt zumindest nicht die blanke Willkür. Denn die Rationalisten sind ja sehr schnell, dass sie sagen: Wir haben unsere Methoden, die Methoden funktionieren. Die mystischen Schauungen, Erlebnisse, wie immer, sind nicht objektivierbar, und es gibt auch keine klare Methodik darin, …: es kann sein, es kann nicht sein ‒ pure Glaubenssache.

Aber alle spirituellen Traditionen der Welt haben zumindest den Anspruch erhoben, vorsichtig gesagt, dass es diese Methoden doch gibt, also dass man bestimmte Übungen machen kann, zu bestimmten Ergebnissen kommt. Dann kann man sagen, gut, wenn du diese Methoden nicht anwenden willst, weil es dich nicht interessiert, kannst du auch nicht urteilen über diese Zustände. Und dann muss man doch sagen, gut, versuche es zu machen, dann kommst du vielleicht zu diesen Erfahrungen, aber wenn du gar nicht den Anfang machst, oder zumindestens wie die Buddhisten sagen…: Wenn du nicht sitzt und auch keine schlauen Bücher liest, wirst du nicht weiterkommen. Also dann kommt es tatsächlich auf die Erfahrung an.

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