Quantentheorie und Mystik

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 7

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Innerhalb dieser Vorlesung gibt es einen Dreiteiler, eine Triade gleichsam, die sich beschäftigt mit der Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Spiritualität. Ich habe Ihnen vor einer Woche am Beispiel Newtons vorgestellt, wie Newton versucht hat, Spiritualität, was er darunter verstanden hat, mit Physik zu verknüpfen. Sie werden sich vielleicht erinnern, dass Newton die Auffassung vertreten hatte, dass eine Physik ohne Gott keine wirkliche Physik ist. Für ihn war also die Frage nach dem Göttlichen in der Welt nicht eine flankierende Frage, die einem je anderen Glauben vorbehalten ist, sondern eine zentrale Frage. Und der Briefwechsel, von dem die Rede war, des Newton-Schülers Samuel Clarke mit Leibniz, berührt ja immer wieder zentral die Frage: Was ist das Göttliche in der Welt? Was ist der Raum? Was ist die Zeit? Was ist die Materie? Gibt es Freiheit, Freiheit-Notwendigkeit, Determinismus, Kausalität ‒ und all diese Fragen. Also zentral auch philosophisch- spirituelle Fragen. Und ich habe Ihnen auch versucht darzustellen, dass sich Newton entgegen dem, was die gängige Überzeugung ist, primär als Philosoph verstand und nicht zufällig sein Hauptwerk genannt hat „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie“.

Es gibt den Begriff der „experimentellen Philosophie“, den er anwendet. Also das Ganze war als Naturphilosophie konzipiert. Newton war ein zutiefst spiritueller Mensch, auch das habe ich Ihnen dargestellt, der große Schwierigkeiten hatte, das ihm eigentlich in der Tiefe Wichtige auch in seiner Naturphilosophie zum Ausdruck zu bringen. So hat er die entscheidenden Passagen getilgt. Es blieben aber noch einige Stellen übrig. Ich habe das ja dargestellt, auf die natürlich Leibniz aufmerksam wurde, wo es dann eine scharfe, eine sehr kontroverse Auseinandersetzung gegeben hat.

Nun war in der Diskussion das letzte Mal kurz aufgetaucht, die Frage, was denn eigentlich Spiritualität sei. Das sei nicht klar genug bestimmt oder definiert worden. Das ist richtig. Ich habe ganz bewusst zunächst einmal ein, sagen wir mal, Allgemeinverständnis von Spiritualität vorausgesetzt, ich habe das nicht im strengen Sinne begründet. Ich will das auch jetzt nicht tun. Ich will aber einen Versuch machen, an einem Gedankengang von Ken Wilber Ihnen zu erläutern, wie man Spiritualität denken kann.

In seinem letzten Buch „The Eye of Spirit“, „Das Auge des Geistes“, noch nicht ins Deutsche übersetzt, setzt sich Wilber auch mit der Frage auseinander: Was ist eigentlich Spiritualität? Und er stellt zwei grundverschiedene Thesen einander gegenüber, die immer wieder diskutiert werden. Die erste These ist: Spiritualität ist eine Stufe. Es gäbe einen bestimmten Stufengang, beliebig jetzt auch noch fortzusetzen. Nehmen wir einen Stufengang von 1 bis 5, dann wäre im Sinne dieser Interpretation Spiritualität die oberste Stufe. Das ist Spiritualität. Dann wäre das hier vielleicht die mentale Stufe, das Mythisch-Magische darunter, das Archaische, nach Jean Gebser ‒ und so weiter. Also eine Möglichkeit ist: Ich definiere das Spirituelle als die höchste Stufe des Geistes überhaupt. Nicht, also das wäre dann die Essenz des Geistes und gleichzeitig seine Erfüllung. Also mit Hegel gesprochen: Der Geist, der Weltgeist, kommt zu sich selbst, der absolute Geist kommt zum Bewusstsein seiner selbst. Und das ist in diesem Sinne dann spirituell. Das wäre also keineswegs eine verblasene, schwammige, eher New-Age-mäßig gefärbte Version von Spiritualität, sondern eher eine streng philosophische.

Wilber neigt dieser Überzeugung zu und hat sich Vorwürfe damit eingehandelt, die naheliegend sind. Denn man kann ja fragen: Wenn das so ist, dann gibt es also hier keine Spiritualität oder nur rudimentär, etwa im Magischen-Mytischen oder im Mentalen oder im Archaischen, gäbe es dann ja keine Spiritualität. Und damit hat er, mit dieser Kritik an diesem Modell, hat er sich auseinandergesetzt und hat dann die zweite These vertreten. Mittlerweile lässt er beide gleichberechtigt gelten, ohne sich eindeutig auf eine festzulegen. Das hat er früher nicht getan. Jedenfalls ist das nicht so deutlich geworden, sagt er: Spiritualität ist eine Entwicklungslinie, also die Stufen des Geistes, der Selbstbewusstwerdung des Geistes, noch mal Hegel angeführt, sind vollkommen unabhängig von Spiritualität oder Nicht-Spiritualität.

Also es gibt eine Möglichkeit, eine Stufung im Moralischen, im Geistig-Mentalen, im Künstlerischen, im Sozialverhalten ‒ und eben auch im Spirituellen. Dann wäre das Spirituelle also eine, um einen Ausdruck von Bahro zu verwenden, eine Fakultät des Menschen, eine Grundfakultät des Menschen, die auf jeder Stufe genau so ihr Recht hat und auf jeder Stufe in einer eigenen Form konstelliert ist. Das ist vollkommen anderes, also entweder ist die Spiritualität eine letzte Stufe oder eine Entwicklungslinie, die im Prinzip auf jeder Stufe möglich ist. Ich sage das noch mal, Wilber selber lässt beide gelten, neuerdings. Früher hat er eindeutig diese Version favorisiert. Er sagt also heute: Beide Betrachtungsweisen sind möglich.

Und dann natürlich die Frage: Was ist dann Spiritualität? Ich meine, Spiritualität kommt von spiritus, da steckt Geist drin, und er gibt dann einen Versuch zu deuten oder zu erklären, was seiner Meinung nach Spiritualität sei, und er führt den berühmten Theologen Paul Tillich an. Und im Englischen heißt es dann, Spiritualität sei, so paraphrasiert er Paul Tillich, das, was den „ultimate concern“ ausmacht, also das, was den Menschen im Innersten und im Letzten angeht. Das, wo er, wie ich vielleicht sagen würde, den existentiellen Ernstfall praktiziert. Also spirituell ist jene Zone, wo der existentielle Ernstfall quasi Wirklichkeit ist, und jene Zone, in der die möglicherweise existierenden Letztwerte wurzeln, also die letzte, äußerste, subtilste und zugleich innerste Zone jenseits jeglicher festgelegten oder dogmatisch verbauten Religion, also nicht identisch mit Religion.

Insofern ist es ein bisschen verwirrend, wenn dieses Buch [von Wilber] „The Marriage of Sense and Soul“ in Englisch im Deutschen dann heißt „Naturwissenschaft und Religion“, weil das einen ganz falschen Eindruck erweckt. Es geht eigentlich gar nicht in diesem Buch im engeren Sinne um dieses Verhältnis Naturwissenschaft, Religion. Es geht um das Verhältnis von Wissenschaft überhaupt, unter anderem Naturwissenschaft, und Spiritualität, unter anderem in Form etablierter Religionen. Aber es geht um den essentiellen Kern. Das ist wichtig. Und dieser Titel ist zutiefst missverständlich. Also das nur vorab gesagt. Also der Versuch, Spiritualität zu definieren, ist fast unmöglich. Ich finde es legitim und auch fruchtbar zu sagen mit Paul Tillich, gut, jetzt mal Englisch, wie „ultimate concern“, also das, was das Äußerste und Innerste zugleich bedeutet das Letzte, wo der Mensch also aufs Äußerste herausgefordert ist in seiner existentiellen Befindlichkeit, das ist spirituell. Das könnte jedenfalls so interpretiert werden. Und das kann man dann natürlich in jeder kulturell kollektiven Stufe und in jeder Individualbiographie genau verfolgen, das wäre auch für ein Kind fest zu machen. Man kann ja nicht sagen, nur ein Erwachsener kann spirituell sein. Auch eine kindliche Stufe, eine vormentale Stufe, kann durchaus spirituell sein. Also das noch einmal zu dem, was letztes Mal jemand fragend in den Raum gestellt hat: Was sei denn nun eigentlich Spiritualität? Darüber hätte ich nichts Klares gesagt. Ich will das zunächst auch mal nicht weiter präzisieren, weil diese gewisse Unschärfe in dem Begriff zur Sache gehört. Ich möchte sie auch so stehen lassen.

Nun geht es heute oder soll es heute gehen um die Frage, ob sich Quantentheorie und Mystik zusammendenken lassen. Diese Frage ist von Anfang an gestellt worden. Gibt es ein Tao der Physik? Das bezieht sich auf den berühmten Buchtitel von Fritjof Capra Mitte der 70er Jahre, ein österreichischer Physiker, der das in London konzipiert hat, später in Kalifornien, „[das] Tao der Physik“. Capra hat damals einen Gedanken aufgegriffen, den auch die Gründerväter der Quantentheorie schon ventiliert hatten, am stärksten wahrscheinlich Erwin Schrödinger, nach dem die berühmte Schrödinger-Gleichung benannt ist und Werner Heisenberg. Heisenberg war auch in Indien, hat sich mit Tagore unterhalten, hat viele Parallelen festgestellt, und Capra hat im Zuge der Abfassung seines Buches auch oft und lange mit Heisenberg konferiert. Also es ist ein wichtiger Punkt, grundsätzlich heraus­zustellen, dass die Behauptung eines möglichen Zusammenhangs nicht eine späte New-Age-Erfindung ist, sondern in der Sache selber wurzelt und auch ventiliert wurde. Also, nicht nur von Heisenberg und Schrödinger, auch von Pascual Jordan und anderen.

Also die Frage, wenn die Wirklichkeit so eigenartig, mal so gesagt, ist, wie es den Anschein hat, dann kann man diese Eigenartigkeit, diese Seltsamkeit, diese Paradoxien vielleicht besser mit asiatischem Denken erklären als mit europäischem Denken. Das war der Ansatz. Ob nicht vielleicht die aristotelische Logik und das rational-lineare Denken zu kurz greifen, um das wirklich in der Tiefe verständlich zu machen? Also der Ansatz ist alt, seit den vierziger Jahren wurde das immer wieder ventiliert. Berühmt geworden dann durch das Buch „Das Tao der Physik“ von Fritjof Capra. Der hat das in gewisser Weise popularisiert, und so geistert es nun auch in ziemlich abgeflachter, trivialisierter Form durch die New-Age-Zirkel. Und auf eine ganz plakative Formel mal gebracht ist die Aussage folgende, in mittlerweile hunderten von Büchern immer wieder neu dargestellt: Was die Quantenphysik an Holismus, an Einheit, an Ganzheit der Welt physikalisch-mathematisch enthüllt hat, das habe bereits im asiatischen Denken lange Fuß gefasst, das sei eigentlich schon die Grundvoraussetzung des asiatischen Denkens überhaupt. Das heißt, im asiatischen Denken habe man immer schon holistisch gedacht, man habe den Zusammenhang der Welt gedacht und weniger das Analytisch-Rational-Lineare bevorzugt. Nun ist es eine These, die in dieser Form, zumal dann, wenn sie sich sehr eindimensional und plakativ äußert, auch unbefriedigend. Und deswegen will ich versuchen, Ihnen mal ein paar Grundgedanken zu erläutern der Quantentheorie und den Ausgangspunkt darstellen, von dem aus man das Ganze vielleicht neu denken kann. Ich will gleich hier an der Stelle nicht verschweigen, dass ich nun große Zweifel habe an dieser These. Ich glaube, dass da eine Verwechslung vorliegt, wobei ich nicht abstreite, dass es tatsächlich bestimmte Zusammenhänge gibt, das ist wohl nicht zu leugnen. Aber man muss da wohl die verschiedenen Bewusstseinsebenen auseinanderhalten. Also philosophisch gesehen würde ich sagen, hier liegt ein Kategorial-Irrtum vor, man verwechselt verschiedene Ebenen miteinander.

Am schwierigsten wird das, wenn man Beobachtungsergebnisse der mikro­skopischen Welt, der Mikro-Welt, des ganz Kleinen, für die Makro-Welt unterstellt. Was ja ein wichtiger Schritt ist, der vollzogen wird, bis dahin, dass dann eine Art Quanten-Idealismus in vielen Büchern auftaucht, der ganz dicht liegt an dem abendländischen Idealismus etwa von George Berkeley, dass die Welt letztlich nur eine Phantasmagorie des Geistes ist. Es gibt auch eine Quanten-Mystik. Und da ist schon der erste Punkt, inwieweit es überhaupt legitim ist, diese Übertragung vorzunehmen.

Ich will das versuchen mal darzustellen. Worum geht es überhaupt in der sogenann­ten Quantentheorie? Ich will das in ganz kurzer Form Ihnen mal versuchen zu erläutern, was der Ausgangspunkt war. Ich will das mal noch an zwei Punkten zeigen: a) am Begriff der Kausalität und b) an der Frage Kontinuum oder Gequanteltheit, ein furchtbares Wort. Alle Begriffe sind da schwierig. Von Quantisierung ist häufig die Rede, von gequantelter oder gekörnter Wirklichkeitsstruktur. Alle Begriffe sind irgendwie schlecht. Es geht um den Gegensatz: Ist die Wirklichkeit ein Kontinuum, das, wie das ja auch Leibniz vermutet hat, also dass zum Beispiel eine Strecke beliebig verkleinert werden kann usque ad infinitum. Oder gibt es da eine letzte Grenze, z.B. eine Elementargröße, die nicht weiter reduziert werden kann? Dann würde man bei jeder Reduktion auf diese letzte Größe stoßen. Man würde auch in der Zeit auf eine letzte Zeiteinheit stoßen, man würde in der Natur auf letzte Einheiten stoßen. Das ist ja der atomistische Gedanke, dass es diese Einheiten gibt. Und die Frage ist ja, ob das so ist, oder ob das nur unserer Wahrnehmung entspringt.

Ich habe zur Kausalität schon einiges gesagt, letztes Mal. Ich will daran noch mal anknüpfen. In der sogenannten klassischen Physik wird unterstellt, dass die Welt kausal gebaut ist, dass eine lückenlos funktionierende Kausalität in der Welt herrscht. Und es wird niemals unterschieden zwischen Kausalität und Determinismus. Das ist [aber] wichtig, weil, das ist nicht dasselbe. Aber mir ist keine Darstellung aus der Feder von Physikern oder Wissenschaftshistorikern bekannt, die da eine klare Unterscheidung machte. Determinismus wird fast ausschließlich gleichgesetzt mit Kausalität. Kausalität heißt ja zunächst nichts weiter als nihil sine causa, alle Dinge haben eine Ursache. Nichts, was geschieht, kann ohne eine Ursache gedacht werden. Insofern ist, das sagt auch der Determinismus, insofern ist die Kausalität ein weiterer Begriff. Determinismus ist der engere Begriff. Determinismus greift den Gedanken auf von Kausalität, spitzt ihn aber auf eine bestimmte Pointe, wenn man so will, zu, nämlich diese Grundbeschaffenheit der Welt, die kausale Grundbeschaffenheit der Welt ist absolut notwendig. Das heißt, es gibt keinen Freiheitsspielraum. Die Welt einmal angeworfen, läuft quasi eigengesetzlich immer weiter. Es gibt keine Lücke in dieser Welt, keine Lücke, in die sich zum Beispiel eine Art von Freiheit einschleichen könnte, mit der man dann diese Kausalität als Determinismus irgendwie modifizieren könnte.

Das hat ja vor zweihundert Jahren zu dieser berühmten Denkfigur des Mathe­matikers und Astronomen Laplace geführt, der ja davon ausging, ganz anders Newton, ich habe das ja gesagt, Newton war gar nicht dieser Auffassung, also, Laplace ging ja davon aus, die Welt ist lückenlos kausal determiniert, deterministisch gebaut. Also wenn man einen Schnitt macht, zu einem beliebigen Zeitpunkt in dieser Welt, zum Beispiel jetzt, ein Schnitt macht in dieser Welt, meint Laplace, müsste es möglich sein, im Prinzip die gesamte nur denkbare Zukunft aus diesem Schnitt des Jetzt heraus zu berechnen. Das war seine berühmte Fiktion des Weltdämons. Er sagte, ein Weltdämon wäre denkbar mit einem übermenschlichen Bewusstsein, das in der Lage ist, die Welt in toto zu überblicken und sämtliche Facetten, sämtliche Nuancierung bis in die Ewigkeit hinein als absolut determiniert voraus zu bestimmen.

Das war die, legendäre fast, Fiktion des Laplaceschen Weltdämons. Sie wissen, ich habe das dargestellt, Newton hat das ganz scharf kritisiert. Das war ja die Theorie auch von Leibniz. Newton war der Auffassung, dass es diesen Determinismus nicht gibt. Trotzdem hat er eine bestimmte Form von Kausalität favorisiert, er meint, es gibt sogenannte freie Ursachen. Das heißt, die Kräfte nach Newton, nicht, die innewohnende Kraft als Trägheitskraft, die von außen angreifende Kraft vis impressa, mit Abstrichen auch die Gravitation, sind Kräfte, die die Körper nicht in einem absoluten Sinne determinieren, aber doch bestimmen, aber es gibt Freiheitsspielräume. Und Gott habe, meint Newton, die Möglichkeit, in diese Welt einzugreifen. Er müsste es sogar tun, weil die Welt kein mechanistisch gebautes perpetuum mobile ist. Das war ja ein Hauptkonflikt mit Leibniz. Nun, wenn man die Diskussion um die Quantentheorie verfolgt, dann stellt man ja immer wieder fest, dass einer der Hauptpunkte dieser Theorie ja darin besteht, zu sagen, die Welt ist nicht determiniert, sie ist im Mikro-Bereich, wie es heißt, unbestimmt, und zwar nicht nur unbestimmt in dem Sinne, dass wir mit unseren Instrumentarien und mit unserem Denken die an sich bestehende deterministische Ordnung nicht erkennen, sondern an sich ist diese Welt in sich nicht deterministisch. Es gibt also Freiheit sozusagen in der Materie selber, um dann auch noch eine Stufe weiter zu gehen. Das war eine Diskussion, die heute weitgehend vergessen ist, die aber nach dem Ersten Weltkrieg, die die Intellektuellen in Europa kolossal bewegt hat, man kann geradezu sagen, das war eine Art Modeströmungen, 1919/20 bis in die späten zwanziger Jahre hinein, die Kausalität zu widerlegen. Wenn Weizsäcker mal gesagt hat, er habe als 14-jähriger ein Gespräch mit Werner Heisenberg gehabt, als dieser gerade seine Unbestimmtheitsrelation aufgestellt hat, Heisenberg hat dann dem jungen Weizsäcker gesagt, er habe das Kausalgesetz, das Kausalitätsgesetz, widerlegt, ‒ dann ist das eine in der Zeit liegende Grundhaltung gewesen, die unglaublich verbreitet war. Man kann geradezu feststellen, dass die Kausalität, die eben noch so mächtig dastand, zunehmend in Misskredit gebracht wurde. Sehr schön stellt das dar der Franko Sellérie, übrigens eines der besten Bücher, die es gibt zur Gesamtdarstellung der Quantentheorie, „Die Debatte um die Quantentheorie“, Mitte der 80er Jahre erschienen, der stellt das auf eine sehr eindrucksvolle Weise dar, dass das eine, wirklich eine Art Strömung war, eine ganz verbreitete Strömung, die Kausalität ist widerlegt. Das hieß immer für diese Physiker, für die damalige Physikergeneration, der Determinismus ist widerlegt. Ich muss es noch mal sagen: Kausalität und Determinismus wurde immer gleichgesetzt.

Es wäre also im Sinne der alten Kausalvorstellung unmöglich gewesen, dass es ein spontanes Ereignis in der Natur gibt. Genau das nimmt ja die Quantentheorie an, dass es spontane nicht kausal rückführbare Momente gibt in der Natur. Dann fragt man, woher kommen diese Momente? Warum emittiert jetzt ein bestimmtes Teilchen? Eine Kausalfrage in diesem Sinne gilt als nicht zulässig, weil es hieße, die alte Kausalvorstellung, deterministische Vorstellung wieder einzuführen.

Ich gebe mal eine kleine Passage aus diesem Buch, weil der Sellérie das auf eine sehr prägnante Weise darstellt. In vielen Büchern zur Quantentheorie taucht das so prägnant nicht auf. Deswegen sage ich das mal, ich lese mal ein paar Sätze hieraus vor aus dem Buch Franco Sellérie „Die Debatte um die Quantentheorie“: „In seiner wichtigen Studie über die Geschichte der Quantentheorie fand Paul Forman überzeugende Beweise dafür, dass in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, aber vor der Entwicklung der akausalen Quanten­mechanik, also schon vor der Quantenmechanik, sich zahlreiche deutsche Physiker unter dem Einfluss geistiger Strömungen und aus Gründen, die nur unwesentlich mit Entwicklungen innerhalb ihrer eigenen Disziplin zusammenhingen, von der Kausalität in der Physik distanzierten oder sie sogar explizit ablehnten. Kausalität im Sinne von Determinismus galt als tot, als leblos, und die Frage wurde ja damals vielfältig diskutiert: Wie kann ein deterministisch gebautes Weltganzes überhaupt Leben hervorbringen?“ Nicht, das ist ja schon die Frage im späten 18. Jahrhundert bei Kant „Kritik der teleologischen Urteilskraft“. „Der intellektuelle Druck war so stark, dass viele Physiker eine akausale Quantenmechanik erhofften, aktiv danach suchten und sie gerne akzeptierten. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg war die intellektuelle Hauptströmung in der Weimarer Republik eine existenzialistische Lebensphilosophie, die sich gegen den Rationalismus im Allgemeinen und in den exakten Wissenschaften im Besonderen aussprach. Diese Lebensphilosophie war keine systematische Philosophie, die von einer Gruppe oder Schule ausging, sondern eine allgemeine Tendenz in der deutschen Kultur, die sich gegen jede rationale Weltanschauung wie logische Systeme, kausale Erklärung, Mathematik, Dialektik wandte. Sie wurde von Intellektuellen, Politikern und sogar Wissenschaftlern verbreitet. Ihr vielleicht eindrucksvollster Vertreter war Oswald Spengler.“ Man könnte sagen, gut, was hat Spengler mit Physik zu tun? Er war Mathematiker, das nebenbei gesagt, aber sein [Buch] „Untergang des Abendlandes“ ist auch ein großes Plädoyer in entscheidenden Passagen über Mathematik und Physik gegen die Kausalität. Spengler meinte auch, dass die Physik vollständig historisch determiniert ist. Es gibt einfach keine anderen Begriffe als anthropomorphe Begriffe. Dies gilt sicherlich auch für jede physikalische Theorie. „Ein Hauptziel von Spenglers Angriffen war die Idee der Kausalität. Für ihn war der Gegensatz von Schicksalsidee und Kausalitätsprinzip, der wohl niemals bisher als solcher in seiner tiefen weltgeschichtlichen Notwendigkeit erkannt worden ist, der Schlüssel zu einem der ältesten und mächtigen Menschheitsprobleme. In Zeitungen, öffentlichen Veranstaltungen und Gesprächen wurden Wissenschaftler offen angegriffen und manchmal sogar von ihrer eigenen Familie kritisiert. Forman bezieht sich hier auf die Anschuldigung, die der arme Max Born täglich von seiner Frau, einer Amateurdichterin und Schriftstellerin, zu hören bekam. Auch mit Einsteins brieflicher Erklärung, dass Borns Materialismus einfach eine kausale Betrachtungsweise war, erklärte sie sich nicht zufrieden. Diesem starken Druck hatten die Wissenschaftler keinen einheitlichen Widerstand entgegenzusetzen. Bemerkenswert war auch die Bekehrung von Leuten, die an Kausalität geglaubt hatten. Forman berichtet dazu, Zitat: ,Die quasi religiöse Bekehrung zur Akausalität war im Sommer/Herbst 1921 ein häufiges Phänomen in der deutschen Physiker-Gesellschaft. Wie bei einem großen Erwachen bekannte ein Physiker nach dem anderen einem allgemein akademischen Auditorium, dass er die Doktrin der Kausalität ablehne und die frohe Botschaft verkünde, dass die Physik die Welt aus ihren Fesseln befreien würde. Richard von Mises zog bereits 1921 die Quantentheorie als Widerlegung der Kausalität heran und versuchte sogar zu zeigen, dass in seinem eigenen Gebiet, der klassischen Mechanik, die Kausalität nicht gelte’“… und so weiter.

Ich will damit nicht sagen, das wäre ein großes Missverständnis, dass das in irgendeiner Form eine Erklärung wäre für die Grundlage der Quantentheorie. Überhaupt nicht. Ich will nur erst mal darauf hinweisen, dass es eine geistesgeschichtlich mächtige Strömung gab in dieser Zeit, die diesen Gedanken einer möglichen Akausalität zumindest erleichterte, in gewisser Weise favorisierte. Diese Strömung gab es, daran ist nicht zu zweifeln. Man kann die Zeugnisse der einschlägigen Physiker daraufhin untersuchen, man wird immer wieder auf den Punkt stoßen, dass man bemüht war, die Kausalität zu widerlegen, im Sinne von Determinismus.

Nun, worum ging es in der Quantentheorie? Ich will das noch mal in ganz kurzen Worten ihnen versuchen zu erläutern, wenigstens was einige zentrale Punkte betrifft. Es gibt drei Hauptmomente in der sog. Quantentheorie, die damals leidenschaftlich diskutiert worden sind und die heute, 70 Jahre später, ungeklärt sind wie eh und je. Das muss man überhaupt und generell sagen, dass die Grundfragen, die in den 20er Jahren ventiliert worden sind zu diesem Thema, nicht geklärt worden sind. Also auch 70 Jahre später, muss man sagen, dass erst einmal in der sogenannten scientific community die Fragen rätselhaft sind wie eh und je.

Folgende drei Komponenten sind es: Die Erste Komponente besteht darin, dass man davon ausgeht, und das ist ja philosophisch dann ausgeweitet worden, dass die sogenannte objektive Realität der Elementarteilchen gar nicht im üblichen Sinne gegeben ist, wie zum Beispiel, dass hier ein Buch liegt, hier der Tisch steht oder hier eine Flasche steht. Das heißt, Heisenberg war der stärkste Vertreter dieser Auffassung, die objektive Realität der Elementarteilchen ist so nicht mehr gegeben. Heisenberg hat das wie kein anderer im Laufe von Jahrzehnten immer wieder formuliert. Ein Beispiel aus den 50er Jahren, Zitat: „Das unteilbare Elementarteilchen der modernen Physik besitzt die Qualität der Raumerfüllung nicht in höherem Maße als die anderen Eigenschaften, wie etwa Farbe und Festigkeit.“ Jetzt der entscheidende Satz: „Es ist seinem Wesen nach nicht ein materielles Gebilde in Raum und Zeit, sondern gewissermaßen nur ein Symbol, bei dessen Einführung die Naturgesetze eine besonders einfache Gestalt annehmen.“ Ich lese das noch mal, weil es ins Zentrum der Frage führt, also das Elementarteilchen nach Heisenberg, das hat er unzählige Male gesagt in Vorträgen, Aufsätzen, Büchern, immer wieder neu und anders gesagt, „das Elementarteilchen ist seinem Wesen nach nicht ein materielles Gebilde in Raum und Zeit, sondern gewissermaßen nur ein Symbol, bei dessen Einführung die Naturgesetze eine besonders einfache Gestalt annehmen.“

Das heißt, allein die Annahme, dass es so etwas geben könnte wie vollkommen für sich bestehende Elementarteilchen oder Elektronen, die da eine Bahn, einen orbitalen Kreislauf vollziehen um den Atomkern, hat Heisenberg immer wieder betont, sei so nicht mehr haltbar. Das ist ein wichtiger Punkt, weil die anschauliche Vorstellung des Atoms sich ja bis heute gehalten hat. Atomkern, die Elektronen umkreisen den Atomkern, hat noch nie einer gesehen, kann auch nicht gesehen werden, ist nie beobachtet worden. Noch nie hat einer ein Elektron gesehen, schon gar nicht ein Elektron, das einen Atomkern umkreist. Das sind erstmal die anschaulichen Bilder gewesen des Atommodells von Rutherford 1911, bevor die Quantentheorie ins Feld kam. Noch mal Heisenberg: „Denn die Atome sind nicht mehr körperliche Gebilde im eigentlichen Sinn. In ähnlicher Weise lehren die Erfahrungen der neuen Physik, dass es Atome als einfache körperliche Gegenstände nicht gibt, dass aber erst die Einführung des Atombegriffs eine einfache Formulierung der Zusammenhänge ermöglicht, die alle physikalischen und chemischen Vorgänge bestimmen.“

Also das ist der erste Punkt. Damit wird, Kritiker haben das natürlich gleich bemerkt und bis heute hat es ja nicht gefehlt an Kritikern der Quantentheorie, Einstein war der berühmteste dieser Kritiker, dass damit gleichsam die Geschäftsgrundlage einer rational bestimmten Physik eigentlich außer Kraft gesetzt wird. Denn man muss sich dann dazu bequemen, dass diese Elementarteilchen, was immer nun diese verfluchten Dinger wirklich sind, niemals eine vollkommen eigenständige Existenz haben. Bohr ging ja dann noch weiter, also der Lehrer und Freund von Heisenberg, der ging so weit zu sagen: Bevor wir nicht gemessen haben, können wir noch nicht einmal die Existenz des Elementarteilchens ernsthaft behaupten.

Nun die Frage, die natürlich sofort realistisch auftaucht: Ja aber, es kann doch nicht ernsthaft sein, dass im Messvorgang ein Elementarteilchen erst entsteht? [Das] hat Bohr zurückgewiesen. Einstein hat das, und viele andere Kritiker haben das gesagt: Das kann doch nicht sein! [Das] hat Bohr immer wieder zurückgewiesen: Diese Frage ist eine Scheinfrage, weil, es ist eine unsinnige Frage ist, behauptete er, sich vorzustellen: Was ist dieses Elementarteilchen, wenn keiner hinguckt? Das hat natürlich ungeheure Diskussionen ausgelöst. Einstein hat sich dann besonders in den dreißiger, vierziger Jahren ganz scharf dagegen ausgesprochen. Er hat es als eine Tranquilizer-Philosophie hingestellt, und das hat ja bis zum Zerwürfnis dann von Bohr und Einstein geführt, weil sie sich einfach nicht verständigen konnten: Was ist denn überhaupt Wirklichkeit?

Das ist ja letztlich die Frage, die dahinter steht: Was ist denn überhaupt die Wirklichkeit? Und wie weit ist das Bewusstsein mit dieser Wirklichkeit verbunden? Also das ist der erste Punkt. Das ist ja natürlich, wie man schon auch bei oberflächlicher Betrachtung erkennen kann, ein Moment, der tatsächlich in der asiatischen Philosophie eine Rolle spielt und natürlich in gewisser Weise populär ist, wenn man das jetzt verallgemeinert auf die makroskopische Welt, unterstellt mal, das stimmt überhaupt. Man überträgt es auf die mikroskopische Welt, ist natürlich schwindelerregend. Dann kommt man ja zu dem leicht Heiterkeit auslösenden Statement: Ja, was? Die Welt ist gar nicht da, wenn keiner sie betrachtet?

Der zweite Aspekt, der zentral war in der Quantentheorie, ist eine unvorstellbare, zentrale Bedeutung der Mathematik. Keine Theorie der Physik vorher hat so ausschließlich, fast ausschließlich auf die Mathematik gesetzt wie die Quantentheorie. Und bis dahin, dass diese Theorie im besonderen durch Heisenberg behauptete, was wir mathematisch von dieser an sich unerkennbaren Mikro-Wirklichkeit [er]fassen, ist die innerste Struktur der Wirklichkeit. Dahinter ist überhaupt nichts. Oder da zu fragen, was dahinter sei, sei bereits ein Rückfall in ein realistisches, in gewisser Weise materialistisches Denken. Also das ist die berühmte Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie. Noch einmal ganz vereinfacht gesagt: Wir beschreiben eine vollkommen rätselhafte Mikro-Welt mit einem bestimmten mathematischen Formalismus. Der wird weltweit auf allen Universitäten gelehrt. Physiker lernen das und können das anwenden. Das funktioniert, ohne Frage, das ist anwendbar. Die Voraussagen sind eminent, auf viele Stellen hinter dem Komma, das Ganze ist technisch vollkommen, sozusagen dicht. Daran ist nicht zu zweifeln.

Trotzdem sind die Behauptungen, die da drin stecken, wenn man sie auf ihren realen Gehalt anschaut, natürlich schwindelerregend. Und Kritiker haben an dieser Stelle immer wieder auch vermerkt, das sei überhaupt keine Erklärung der Wirklichkeit der Mikrowelt, sondern die Verweigerung der Erklärung. Am schärfsten hat das David Bohm formuliert, dass die Quantentheorie überhaupt keine Erklärung sei. Zitat noch mal Heisenberg, der ja davon ganz durchdrungen war als Platoniker. Zitat: „Wer den Blick einmal für die gestaltende Kraft mathematischer Ordnung geschärft hat, erkennt ihr Wirken in der Natur wie in der Kunst auf Schritt und Tritt. Als besonders einfaches und augenfälliges Beispiel hierfür sei das Kaleidoskop erwähnt, in dem durch eine einfache mathematische Symmetrie aus bloß Zufälligem etwas Sinnvolles und Schönes entsteht, wie in einer musikalischen Harmonie.“ Heisenberg bedient sich gern dieser Metaphern, er war selber ein sehr bemerkenswerter Pianist. Es gibt sogar eine Schallplatten-Aufnahmen mit ihm und einem Mozart-Klavierkonzert. „Wenn in einer musikalischen Harmonie oder einer Form der bildenden Kunst die mathematische Struktur als Wesenskern erkannt wird, so muss auch die sinnvolle Ordnung der uns umgebenden Natur ihren Grund in dem mathematischen Kern der Naturgesetze haben.“ Also das ist der nächste Punkt, eine bis dahin vollkommen einmalige Betonung der Mathematik, des mathematischen Formalismus so wie ihn die Quantenmechanik vorschreibt.

Und in diesem mathematischen Formalismus werden die Elementarteilchen nicht mehr als reale Wesenheiten betrachtet, und das wird hochgerechnet auf einen n-dimensionalen sogenannten Hilbert-Raum, also ein mehrdimensionales abstraktes Gefüge, wobei die einzelnen Teilchen tatsächlich als Korpuskeln in diesem Sinne verschwinden. Sie lösen sich quasi auf. Sie sind nicht vorhanden. Der mathematische Formalismus funktioniert, obwohl das ja eigentlich Schwindeln machen müsste, wenn man das weiterdenkt.

Der dritte Punkt, von den genannten drei Punkten, ist von mir vorhin schon in anderem Kontext angedeutet worden. Die Stetigkeit und Objektivität der Naturvorgänge im Sinne der klassischen Physik wird also aufgegeben. Das geht dann so weit, dass man sagt, es gibt nur eine bestimmte Beobachtungssituation und zu fragen, was die Dinge überhaupt sind, außerhalb dieser beobachteten Situation, ist eine vollkommen müßige Frage, eine vollkommen sinnlose Frage. Und wenn man heute auch Physiker, die mit der Quantentheorie arbeiten, fragt, was ist denn das eigentlich, sagen die meisten, das ist eine Frage, die wir nicht entscheiden können, das ist eine philosophische Frage ‒ und müssen wir auch nicht entscheiden.

Es funktioniert. Und damit ist natürlich ein kritischer Punkt angesprochen, der heute immer brennender wird, weil auch eine nachwachsende Physiker-Generation da rein geht an die Stelle und immer wieder den Versuch macht, weiter zu gehen und tatsächlich da eine Erklärung zu versuchen, wo keine Erklärung vorliegt. Also, es wird behauptet, dass das An-Sich der Vorgänge und Prozesse im Mikro-Bereich grundsätzlich unbeobachtbar ist, weil jeder Beobachtungsvorgang bereits einen so weitreichenden Eingriff darstellt, dass das, was beobachtet werden soll, dadurch auf eine irreversible Weise verändert wird. Also, das ist ja einer der wichtigen Punkte der sogenannten Unschärferelation von Heisenberg.

Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen lag zunächst in ganz anderen Bereichen. Ich will das nur ganz kurz sagen, weil das den Ausgangspunkt darstellte. Zunächst [um] noch einmal zurückzukommen auf die Frage Kontinuum oder Gekörntheit, Quantisiertheit, oder wie immer, der Wirklichkeit. Dass die Materie in irgendeiner Form gekörnt ist, ist eine alte Vorstellung, das ist die atomistische Vorstellung. Andere, etwa Leibniz haben gesagt, dass sei eine Täuschung, im Grunde gibt es nur ein Kontinuum. Dass aber Strahlung auch gequantelt oder gekörnt sein soll, war, bis zu Planck nicht gedacht worden. Es gab zwar Ansätze schon vorher, aber Planck war der erste, der das gedacht hat, selber große Scheu hatte, das überhaupt zuzulassen und sich leiten ließ, das ist auch nicht uninteressant, von Gedanken, nicht nur der Akustik, sondern der Musik. Und nicht zufällig haben viele Quantentheoretiker immer wieder die Musik herangezogen, denn in der Musik gibt es ja in der Tat nicht das Kontinuum. Wenn Sie also einen Ton als Kontinuum spielen, dann ist es ein Glissando, dann ist es eben keine klare Tonfolge mehr.

In der Tonordnung im Dur-Moll-tonalen Tonsystem des Abendlands zum Beispiel, gibt es eine ganz klare Quantisierung. Die Musik ist geradezu eine klingende Manifestation dieser Art von Quantisierung, in gewisser Weise eine klingende Manifestation auch einer bestimmten Zahlenordnung. Davon ist unter anderem auch Planck ausgegangen, er hat zögernd diese Vorstellung vertreten, die sich durch die experimentellen Befunde nahelegten, dass auch die Energie als elektromagnetische Strahlungsenergie nicht kontinuierlich abgestrahlt wird, [sondern] in kleinen Paketen gewissermaßen. Das ist das berühmte, mittlerweile ja legendäre, Plancksche Wirkungsquantum. Wahrscheinlich wird das zum hundertsten Geburtstag, in Anführungszeichen, dieses Wirkungsquantums dann, im Jahr 2000, wird dieses Wirkungsquantums gedacht. Und das ist zunächst mal eine Sache, die mit der Mikro-Physik oder der Atomphysik wenig zu tun hat.

Der Punkt, warum das in der Quantentheorie, wie sie dann sich entwickelt hat, auch für die Atome so wichtig war, bestand darin, dass, als Rutherford 1911 das Atom als ein Mikro-Sonnensystem begriff, was ja zunächst sehr einfach zu begreifen war, vieles [blieb] vollkommen rätselhaft, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es einen strahlungsfreien Umkreis, einen Umlauf eines Teilchens um den Atomkern geben könnte. Das kann nach der klassischen Theorie des Elektromagnetismus nicht sein. Das Teilchen müsste nach relativ kurzer Zeit, 10 hoch minus sechs Sekunden, in den Kern stürzen. Und daraus ergaben sich die berühmten Postulate von Niels Bohr, der sagt, es gibt eben ganz bestimmte Bahnen nur, die sind strahlungsfrei, und wenn da eine Veränderung sich vollzieht, der berühmte Quantensprung, dann wird Energie abgestrahlt, und zwar in kleinen Portionen ‒ und hier tauchte überraschenderweise wieder dieses elementare Wirkungsquantum auf. Und allein das ist zutiefst rätselhaft, denn [dann] haben die nachfolgenden Physiker rekurriert und ein System darauf aufgebaut, was tatsächlich mathematisch strukturell die Dinglichkeit, die Materialität dieser Mikro-Welt zunehmend aus den Angeln hob, so dass auch im vordergründigen Sinne gar nicht mehr gesagt werden kann, da ist etwas, das geschieht in einer bestimmten Zeit innerhalb eines bestimmten Raums, getrieben von einem Kausal­faktor, sondern das ist spontan.

Damit war die Mikrowelt eigentlich ein Abgrund von Rätselhaftigkeit, denn die herrschenden physikalischen Gesetze galten alle nicht mehr. Newton galt überhaupt nicht mehr, nicht, nach Newton ist es eine absolute Unmöglichkeit, was im Atom unterstellt wurde und auch nach der klassischen elektromagnetischen Theorie ebenso. Man musste also neue Überlegungen anstellen, und ich will das noch kurz vor der Pause sagen: Der entscheidende Punkt war, dass sich Heisenberg und andere darauf zurückzogen, indem sie sagten: Wir können grundsätzlich nicht wissen, wie die Dinge an sich sind, wir können nur unsere Beobachtung beschreiben, in gewisser Weise also ein auch positivistisches Programm, also ein Verzicht auf die Erkenntnis, wie die Dinge sind, in dem Sinne, dass man sagt: Das ist eine unsinnige Frage. Also, etwa die ja naheliegend realistische Frage, habe ich ja vorhin schon gesagt: Ja, wenn denn diese Elektronen gar nicht um den Atomkern kreisen, wie das Rutherford 1911 in seinem berühmten Atommodell angenommen hat, was dann? Wo sind sie eigentlich? Darauf gibt es keine Antwort, wie die Physik das versteht, das sind nur Bilder für eine bestimmte Energiestufen. Vielleicht gibt es diese Teilchen gar nicht. Vielleicht bewegen sie sich ganz anders, als man vermutet.

Heisenberg meinte, die Frage, ob sie existieren oder nicht, sei eine reine Geschmackssache. Auf jeden Fall, für diese Äußerung [ist er] sehr viel kritisiert worden, für diese und ähnliche Äußerungen bis hin, dass man ihm dann Irrationalismus vorgeworfen hat. Einige Amerikaner in den 80er Jahren haben ihm sogar dann ganz scharf vorgeworfen, dass er eigentlich Irrationalismus, deutschen Irrationalismus mathematisch-physikalisch sozusagen serviert. Also, das ist in der Form absurd, aber es hat diese Vorwürfe in der Tat gegeben. Man sagt, es ist eigentlich gar keine Physik mehr. Das ist nur noch ein Versuch, unsere Unkenntnis zu bemänteln. Und der erwähnte Physiker David Bohm, der eine alternative Quantentheorie vorgelegt hat, eine kausale Quantentheorie, hat das ja auch immer wieder dagegen angeführt, Einstein ohnehin, der da zum schärfsten Gegner der Quantentheorie wurde, immer wieder gesagt hat: Das kann nicht sein, das ist absurd, das ist unmöglich. Berühmter Satz, „Gott würfelt nicht“, die Welt kann so nicht sein, kann ja nicht ein Würfelspiel sein. Er hat immer wieder darauf gepocht zu sagen, wir wissen nur noch nicht die Bestimmungsstücke. Wir können doch nicht von vornherein sagen, die Bestimmungsstücke existieren überhaupt nicht.

Und vielleicht als letztes vor der Pause, ein Buch, das auf eine wirklich sehr prägnante Weise die gesamte Diskussion, meine ich, darstellt, ist als Insel-Taschenbuch erschienen, basiert auf einer BBC-Reihe von Paul Davies „Der Geist im Atom“, Paul Davies, eine Diskussion der Geheimnisse der Quantenphysik. Da haben Sie auf eine populäre Weise, auf im guten Sinne populäre Weise, nicht negativ gemeint, sehr verständliche Weise, die gesamte Diskussion um die Quantentheorie und auch Interviews, die damals im BBC gelaufen war, 1984 mit den führenden Quantentheoretikern. Also, Bohr und Heisenberg haben nicht mehr gelebt zu dieser Zeit, aber mit den damals noch lebenden Quantentheoretikern, unter anderem eben John Wheeler, John Taylor und auch David Bohm und andere, wo sie sich zu dieser Frage auch äußern und übrigens auch zu der Frage äußern, einer der Konsequenzen, der philosophischen Konsequenzen, worum es ja heute Abend gehen soll, auch nach der Pause dann zentral: Was hat das für philosophische Konsequenzen? Wie kann man das überhaupt denken? Dass man es rechnen kann, ist vollkommen unbestritten. Also es ist einfach, wäre absurd, das auch nur eine Sekunde lang zu bezweifeln, dass das zu rechnen ist und dass das auch tatsächlich zu präzisen Voraussagen führt.

Einige sagen, die Quantentheorie sei die präziseste Theorie überhaupt, die es gäbe in der Physik ‒ mag sein, könnte sein, also ist durchaus möglich. Trotzdem wirft sie eine Fülle von rätselhaften, beunruhigenden Fragen auf nach der Natur der Wirklichkeit, und das will ich nach der Pause Ihnen versuchen noch genauer zu erklären. ‒

Wenn man davon ausgeht oder wenn man unterstellt, dass die Mikrowelt gar nicht für sich existiert, dass sie also keine eigenständige Existenz hat ohne ein sie beobachtendes Bewusstsein und wenn man auch die Frage, wie das ja einige Theoretiker annehmen, gar nicht stellen darf oder sollte, was denn diese Mikrowelt eigentlich sei, ohne dass sie beobachtet wird, dann ist natürlich die Frage nach dem Bewusstsein die entscheidende. Denn welche Rolle spielt in diesem Kontext das Bewusstsein? Wenn man die Quantentheoretiker daraufhin befragt, stößt man auf vollkommen unterschiedliche Interpretationen bis hin zu parapsychologischen Interpretationen, dass also das Bewusstsein des Beobachters buchstäblich und auf direktem Wege die Mikrowelt beeinflusst. Das ist also eine Interpretation: Der Beobachter beeinflusst durch den Akt der Beobachtung, das, was er beobachtet. Es wäre also eine direkte, geistig-willensmäßige Verbindung. Wenn man davon ausgeht, dass das so ist, hat das natürlich auch wieder weitreichende andere Konsequenzen. Das stellt auch hier Paul Davies in seinem Buch entscheidend dar in dem Abschnitt „Der Geist organisiert die Materie“.

Ich habe Ihnen ja verschiedentlich in diesem Kontext gesagt, dass in der herkömmlichen Naturwissenschaft das beobachtende Subjekt mehr oder weniger eliminiert wird. Das heißt, es spielt eigentlich keine direkte Rolle. Das ist das sogenannte Repräsentations-Paradigma: Das beobachtende Subjekt ist draußen, die Welt entfaltet sich da draußen als für sich existierend, wird abgespiegelt oder widergespiegelt, während hier ja angenommen wird, dass das Bewusstsein tatsächlich das, was es beobachtet, in irgendeiner Form verändert, und zwar nicht in einem psychologischen Sinne, das wäre viel zu schwach, sondern in einem wesentlich stärkeren Sinne, in gewisser Weise also auch in einem parapsychologischen Sinne.

Das wird ja auch verschiedentlich dann angenommen, dass tatsächlich also eine spirituelle Direkteinwirkung auf die Materie möglich ist. Die Schlüsselrolle, schreibt Paul Davies, die der Beobachtung in der Quantenphysik zukommt, führt unweigerlich zu Fragen über die Natur von Geist und Bewusstsein und ihrer Beziehung zur Materie. [Das] ist überhaupt die interessanteste Frage in dem Kontext: der Zusammenhang von Geist und Materie.

Einige Quantenphysiker gehen, soweit zu sagen, auch schon, die Elementarteilchen haben einen eigenen Willen, ein eigenständiges Bewusstsein. Dass der Zustand bzw. die Wellenfunktion eines Quantensystems, wenn es beobachtet wird, sich im Allgemeinen plötzlich verändert, erinnert an die Auffassung, wonach der Geist die Materie organisiert: „mind over matter“.

Da muss ich noch kurz einen Punkt nennen, den ich ergänzend jetzt anführen muss, die Frage nämlich, man kann die Mikrowelt mathematisch beschreiben mit Blick auf ihre Teilchennatur und mit Blick auf ihre mögliche oder reale Wellennatur. Die Frage, was nun wirklich sei, ist erst einmal, in erster Lesung, nicht zu beantworten. Und die realistische Frage, ja, irgendetwas muss es sein, es muss ja entweder ein Teilchen sein oder eine Welle, es kann doch schlechterdings nicht beides sein, ein Ding ist ein Ding, und eine Welle ist eine Welle. Darauf wird geantwortet, auch diese Frage sei eine Scheinfrage, die letztlich so in dieser realistischen Form nicht zu beantworten sei, und die Welle, etwa die Welle in der Schrödinger-Wellenmechanik, wird entweder interpretiert als eine reale Welle, dann erhebt sich als nächstes die Frage: Was schwingt da? Die Frage ist nicht zu beantworten, ein Etwas, eine wie immer geartete Energie des Raums selber, so wie einige avancierte Physiker heute annehmen, also eine Art von eigenständiger Raumenergie, oder ist es nur eine Wahrscheinlichkeitswelle, die letztlich nichts weiter darstellt als eine Aussage darüber, wo möglicherweise sich dieses Teilchen befindet. Wenn ich es denn habe, wenn ich es punktgenau habe, dann, wie das in der Quantentheorie heißt, kollabiert die Welle, dann ist die Welle weg, dann habe ich genau den Ort, aber ich habe nicht mehr seine Geschwindigkeit.

Es hat den Anschein, als ob der veränderte Bewusstseinszustand des Versuchsleiters, in dem Augenblick, in dem er sich des Messvorgangs bewusst wird, auf die Versuchsanordnung und damit auf das Quantensystem zurückwirkt, zurückwirkt und auch dessen Zustand verändert. Demnach verändert also der physikalische Zustand den Bewusstseinszustand, und der Bewusstseinszustand verändert seinerseits den physikalischen Zustand.

In einem früheren Abschnitt haben wir davon gesprochen, dass von Neumann, berühmter Mathematiker, Quantentheoretiker, sich eine unendliche Kette von Messvorrichtungen vorstellte, von denen jede die vorherige beobachtete, aber keine jemals den Zusammenbruch der Wellenfunktion herbeiführte. Ein Ende der Kette kann in diesem Falle nur durch die Mitwirkung eines Individuums zustande kommen. Nur wenn das Messergebnis von jemandem bewusst wahrgenommen wird, kann die ganze Pyramide und entschiedener Quantenzustände konkrete Wirklichkeit kollabieren. Für diese Sicht der Dinge trat vor allem der Physiker Eugen Wegener ein. Nach Wegener spielt das Bewusstsein eine grundlegende Rolle bei der plötzlichen und irreversiblen Veränderung des Quantenzustandes, wie er für einen Messvorgang charakteristisch ist.

Also, oft wird gesagt, erst durch den Messvorgang wird etwa ein Teilchen zu dem, was dann beobachtet wird. Also z.B. das ist ja, findet man dann sogar in Physik-Lehrbüchern, dieses eigentlich beängstigende Paradoxon, dass man zum Beispiel, wenn man der Auffassung ist, wenn man sucht, wo ist ein Teilchen in einer Box in der rechten Hälfte oder in der linken Hälfte, nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür angeben kann, dass es sich in der einen oder anderen Hälfte befindet. Und wenn man dann eine Trennwand einzieht, dann, was passiert dann? Dann ist immer noch unentschieden, ob das Teilchen sich links oder links oder rechts befindet. Der reale oder normale Verstand würde sagen, es kann nicht sein, das Teilchen kann nur rechts oder links sein, und wenn die Trennwand gezogen wird, muss das Teilchen in der einen oder anderen Teil der Box sein. Auch das wird als eine realistische Interpretation abgelehnt, so dass eigentlich die Welt unter unseren Füßen, wenn man das weiterdenkt, etwas absolut Gespenstisches hat. Wenn das, wie ich sagen würde, ontologisiert wird, also, wenn man sagt, das sind nicht nur mathematische Beschreibungsvorgänge, sondern ich erkläre diese Beschreibungsvorgänge für eine wie immer geartete Wirklichkeit, ich sage, die Dinge sind wirklich so, also, nicht nur, dass wir das nicht verstehen, weil unsere Instrumentarien dazu nicht ausreichen, sondern die Dinge sind wirklich so ‒ das wäre schwindelerregend, wenn es sich so verhielte. Das hieße ja, dass im Mikro-Bereich nicht nur eine Unbestimmtheit existiert, sondern dass da quasi Wille, Bewusstsein und auch Freiheit existiert, dass also [ist] denn Spontaneität ohne eine kausale Unterfütterung, was ist sie anderes als Freiheit? Denn wenn ich davon ausgehe, dass ein Phänomen kausal determiniert ist, in diesem eingeschränkten Sinne, dann ist die Freiheit dahin. Und es ist kein Zufall, dass Quantentheoretiker seit den 50er Jahren, angefangen mit Pascual Jordan, immer wieder den Versuch gemacht haben, das zieht sich dann bist zu John Eccles auf, in seinem letzten Buch, den Versuch gemacht haben, die Freiheit, die Freiheit des Willens so zu begründen, indem man sagt, gut, dieses Freiheitsmoment existiert schon in der Materie.

Und wenn wir Menschen uns frei fühlen, dieses oder jenes zu tun, dann ist das bereits angelegt, dann setzen wir einen Freiheitsimpuls fort, der in der Materie selber angesiedelt ist. Denn im traditionellen Sinne, das wissen sie, ist Freiheit nicht zu erklären. Also wenn ich davon ausgehe, dass die Welt kausal determiniert ist, kann ich nicht einmal erklären, warum überhaupt der Wille den eigenen Leib bewegen kann. Nicht, das ist keine banale Frage, sondern tatsächlich eine ungeheuer wichtige und zentrale Frage, übrigens eine ungeklärte Frage. Ich sage es nochmal, weil es dem normalen Verständnis vollkommen widerspricht: Die Frage, warum der menschliche Wille als Geistwille tatsächlich den Leib beherrscht, ist eine physikalisch nicht entscheidbare und nicht fundiertere Frage. Denn das hieße, dass da tatsächlich quasi aus einer anderen Ebene ständig in diese physikalische Ebene eingegriffen wird, was auch wirklich der Fall ist, und wie das möglich sein kann, ist ein Mysterium, ein Mysterium, das ja auch, ich sagte es ja vor 14 Tagen, John Eccles in seinem letzten Buch „Wie der Geist das Gehirn bestimmt“, dargestellt hat.

Nun ist die Frage: Was hat das mit Spiritualität zu tun? Wenn ich mich auf diese Schiene begebe und sage gut, die Wirklichkeit, die Mikro-Wirklichkeit hat diesen unbestimmten Charakter, diesen rätselhaften Charakter, diese ständige Verbindung mit dem Bewusstsein, was ist daran spirituell? Und da muss man genauer hingucken. Man kann natürlich sagen, rein vordergründig, gut, das beweist das, was die Mystik immer gesagt hat, die Welt als eine solche da draußen, existiert gar nicht. Sie ist nur eine Phantasmagorie, ein Maya, ein Gespinst, ungreifbar wie eine Traumerscheinung. Sie hat keine wirkliche Wirklichkeit, kann man sagen, unterstellt immer natürlich, das muss ich noch einmal sagen, dass es legitim ist, von dem Mikro-Bereich auf den Makro-Bereich zu schließen. Das ist in der Tat die Crux dabei: Ist das legitim oder es ist nicht legitim? Nicht, das muss ja natürlich unterstellt werden.

Man kann natürlich sagen, die Makro-Objekte funktionieren nach einer ganz anderen Physik als die Mikro-Objekte. Ist das befriedigend? Das ist natürlich zutiefst unbefriedigend. Dann müsste man der Auffassung sein, dass die Welt ganz verschiedene Wirklichkeitsebenen hat, was ja auch durchaus möglich ist, wobei jede dieser Wirklichkeitsebenen andere Gesetze hat. Dann hätte zum Beispiel die Mikro-Ebene ganz andere Gesetze als die Makro-Ebene und da wird es sehr schwierig, wenn es um die Frage geht, kann es überhaupt so eine Art einheitliche Physik geben? Kann das möglich sein, dass da ganz andere Gesetze herrschen?

Nun hat diese schnelle Zusammenführung eine ungeheure Popularität. Nicht, das ist in den letzten Jahren ein bisschen zurückgegangen, aber in den 80er Jahren hat kaum einer der einschlägigen Autoren sich das entgehen lassen. In dem Kontext, wenn es um spirituelle Dinge geht, immer darauf hinzuweisen: Wie schon die Quantentheorie bewiesen hat, sind alle Dinge miteinander verbunden und hat das Bewusstsein Einwirkung auf den Mikro-Bereich. Es wurde ständig wie eine Selbstverständlichkeit eingeführt.

Zu kurzschlüssig meine ich, zu schnell auch, weil doch eine Fülle von Fragen dabei vollkommen unbeantwortet bleiben. Und ich finde es eigentlich bedauerlich, dass in der Diskussion um diese Fragen man mit ganz wenigen Ausnahmen da nicht wesentlich weitergekommen ist.

Ken Wilber in seinen Büchern, hat das schon in den späten 70er Jahren, schon vor zwanzig Jahren, scharf angegriffen und mit dem Hinweis darauf, dass hier eine Verwechslung vorliegt, dass man nämlich dem Trugschluss erliegt, dass man das, was im Subatomaren, im Mikro-Bereich zu beobachten ist, da den Geist ortet und nun im Schnellverfahren das mit dem menschlichen Geist, womöglich noch in seinen spirituellen Höhenstufen, zusammenbringt. Das heißt, die unterste Stufe, im Sinne dieser Skala, wird mit der obersten Stufe zusammengebracht, als ob es nicht jede Menge Zwischenstufen erst einmal zu vollziehen gälte. Und das ist in der Tat eine große Schwäche aller dieser Überlegungen ‒ dass sie viel zu schnell die Zwischenstufen alle überspringen.

Es ist ja nicht so, dass man mit Hilfe der Quantentheorie zum Beispiel auch nur die Chemie wirklich erklären könnte. Selbst ein Physiker wie Stephen Hawking hat das vor einigen Jahren einmal ganz eindeutig gesagt, geschweige denn die Biologie, geschweige denn das Mentale, geschweige denn Transmentale, höhere und spirituelle Stufen, wie immer. Das ist nicht möglich. Das heißt, die Schwäche dieser Gleichsetzung besteht darin, dass man etwas ganz unten im elementarsten Bereich, was man in bestimmter Weise interpretiert, im Schnellschussverfahren gleichsetzt mit der höchsten spirituellen Stufe und dass man die Verbundenheit auf der materiellen Ebene, auf der energetischen Ebene einfach gleichsetzt, wenn sie denn existiert, gleichsetzt mit einer ganz anders gearteten Verbundenheit, die auf der höchsten Bewusstseinsstufe möglicherweise existiert. Und da müsste man noch wesentliche Schritte vollziehen. Ganz zu schweigen davon, dass natürlich eine rein theoretisch intellektuelle Überlegung dieser Dinge eigentlich wenig bringt. Und mit Recht weist Wilber immer wieder darauf hin, dass man das eigentlich nur entscheiden kann aufgrund einer spirituellen Praxis, die dann möglicherweise diese Zusammenhänge herstellt. Besonders scharf und schärfer als sonst hat das Wilber in seinem Hauptwerk bisher „Eros, Kosmos, Logos“, „Sex, Ecology, Spirituality“ auf Englisch, dargestellt. Und wenn Sie das nachlesen wollen, das ist in den Anmerkungen dieses Buches, wo er sich auseinandersetzt mit der Modeströmung, sag ich mal, dieser schnellen Gleichsetzung, die ich auch für schwindelerregend halte in ihrer Oberflächlichkeit. Es kann so nicht sein. Man muss da wesentliche Zwischenstufen erst einmal noch vollziehen, sonst bleibt das einfach eine ganz vage Geschichte, genau wie das, was ich dann in 14 Tagen darstellen möchte: die Sache mit der Einheit, ja, alles ist eins, alles ist verbunden, wir sind alle verbunden miteinander, ja, wunderbar. Aber das mag stimmen und wird wahrscheinlich auch stimmen, aber das ist ja nicht gedacht. Mit einer solchen verschwommenen unio mystica kommt man, glaube ich, nicht weiter.

Nirgends, ich zitiere mal kurz den Wilber hier aus dem Schlussteil der Anmerkungen hier von „Eros, Kosmos, Logos“: „Nirgends wird die Katastrophe,“ schreibt Ken Wilber, „die monologische Wissenschaft zu nehmen und zu versuchen, sie zu einem vollständigen neuen Paradigma zu machen, offensichtlicher als bei den Schriftstellern und Theoretikern, die sich mit neuer Physik und Mystik befassen. Also die Katastrophe einer im Grunde monologischen Wissenschaft, einer Wissenschaft, die nicht davon ausgeht, dass wir dialogisch mit der Natur umgehen, sondern, die Natur gibt keine Antwort. Es sind ihrer zu viele, um sie hier aufzählen zu können, wenn Reduktionististen eine spirituelle Erfahrung machen, etwas, was in Physikbüchern meist nicht vorkommt, wirkt dies gewöhnlich als Ansporn, Philosophie zu verbrechen, und das Ergebnis ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Ganz gleich wie löblich die Absichten auch sein mögen, die meisten dieser Theorien, die das Thema ausspinnen, die neue Physik unterstützen, suggerieren Beweise, eine mystisch einheitliche Weltsicht, sind verunstaltet durch den Versuch, einfach das monologische Flachland-Paradigma in dialogische und translogische Bereiche auszuweiten. Meist nehmen sie bestimmte mathematische Formalismen, besonders die Wellenfunktion Schrödingers und ihr Kollabieren bei der Messung, und interpretieren sie sehr großzügig. Trotz der Tatsache, dass die Physiker selbst sehr gespaltener Ansicht darüber sind, wie diese Formalismen zu interpretieren sind, und dann verheiraten sie diese sehr ungenaue und großzügige Interpretation mit ihrer ebenso freien Interpretation der mystischen Spiritualität. Dabei kommt dann etwas heraus, wie, die neue Physik unterstützt oder beweist sogar eine mystische Weltsicht.

Formalismen, die die niedrigsten unbewusstesten, am wenigsten in die Tiefe gehenden Holons beschreiben, also sozusagen den Bodensatz der Wirklichkeit, die es nur gibt, auszuweiten zu einem Paradigma des dialogischen, intersubjektiven kulturellen Austausch umfassen soll, der auf gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Erkenntnis beruht, das ist mehr als ein Quantensprung, jetzt sehr scharf polemisch, ist ein Glaubenssprung, der ins Guinness-Buch der Rekorde gehört. Quanten-Formalismen können nicht einmal die Grundlagen der Biologie und der Autopoesie erklären und schon gar nicht Ökonomie, Psychologie, Literatur, Poesie, Moral, Ethik, um nur einige wesentliche Bereiche zu nennen. Aber Physiker sind so daran gewöhnt zu denken, dass das Grundlegendste, also das Elementarste gleichzeitig das Bedeutendste bedeutet, dass sie glauben, alle höheren Ebenen von Wissen seien in den oberflächlichsten Holons begründet, sonst halte sie für gar nicht begründet, da die fortwährende Neigung, die Physik, die phantasievoll interpretiert, auch immer auf alle beliebigen Bereiche direkt auszuweiten.“ … 781. Ich habe jetzt nur einen kleinen Passus zitiert.

Der Grundgedanke ist klar, dass die Elementarebene, die in irgendeiner Form wahrscheinlich wirklich holistisch arbeitet, im Überstieg mit der höchsten Ebene gleichgesetzt wird. Und das tut beiden Ebenen, meine ich, dann Unrecht, dann hat das weder eigentlich in der Tiefe was mit Physik noch mit Mystik zu tun. Dann ist das letztlich eine sehr flache und vordergründige und monologische Art von Ganzheitsvorstellung. Und das ist mir wichtig in dem Kontext hervorzuheben. Wenn man da überhaupt weiterkommen will, muss man das, glaube ich, noch mal ganz neu wirklich denken. Und da hat das Denken, glaube ich, eine eigene Würde und Kraft auch, denn an der Stelle wird relativ wenig eigentlich gedacht. Und ich will versuchen oder habe es zum Teil ja auch schon versucht in dieser Vorlesung, hier wirklich einen Zusammenhang herzustellen. Man muss die Zwischenschritte vollziehen und wenn man die Zwischenschritte nicht vollziehen will, wird man da auf keinen Fall weiterkommen. Das heißt, was die mystische Dimension betrifft, muss das aus der Erfahrung eigenständig erwachsen, was ja nicht ausschließt, dass dann selbstverständlich auch solche Art von Holismen, wie sie in der Physik zum Beispiel behauptet werden, dann herangezogen werden. Aber sie beweisen es nicht. Es ist ein Wahn, glaube ich, anzunehmen, dass eine wie immer geartete physikalische Theorie, auch wenn sie geschlossen wirkt, Spiritualität beweisen kann. Das ist der Grundirrtum, glaube ich, der immer wieder vollzogen wird. Man sieht eine gewisse Schlüssigkeit, interpretiert diese Schlüssigkeit in bestimmter Weise und glaubt, dass hier ein quasi Gottesbeweis vollzogen ist. Also das ist extrem jetzt.

Newton etwa sah es so, er sah seine Physik als Gottesbeweis, und diese Vorstellung ist alt, und ein Schluss, auf den man immer wieder kommen kann. Er ist aber nicht begründet, weil die wirkliche Tiefenerfahrung dieser Art von Einheit eine ganz andere Ebene betrifft. Man muss einfach sehen, dass es eine vollkommen andere Bewusstseinsebene ist. Und es ist einfach fatal, wenn oben und unten auf diese Weise vertauscht werden. Und, es ist wichtig, die Zwischenschritte sehr genau und behutsam zu vollziehen. Und ich werde das noch in 14 Tagen genauer darstellen. Ich will es aber jetzt kurz andeuten.

In dem Buch „Naturwissenschaft und Religion“ äußert sich Wilber auch zu diesen Fragen einer möglichen Beweisbarkeit spiritueller Überlegungen mittels naturwissenschaftlicher Vorstellung und kommt auch zu dem Ergebnis, dass im Grunde genommen in der Tiefe das naturwissenschaftlich nicht bewiesen werden kann. Was soll denn die Quantentheorie an Spiritualität beweisen? Das kann sie doch gar nicht. Das ist doch absurd, wenn man nicht die Ebenen auseinanderhält. Das ist etwas vollkommen Anderes und schon gar etwas anderes, wenn es nur darum geht, intellektuell, mental diese Dinge zusammenzustellen. Und um überhaupt in den Vorhof, sag ich mal, einer Art von Spiritualität zu kommen, müsste man, was Wilber mit Recht immer wieder hervorhebt, ganz bestimmte Schritte vollziehen, müsste man ganz bestimmte Übungen machen. Es ist ein langer, schwerer Weg, eine Art von Wissenschaft für sich auch, insofern durchaus mit bestimmten Methoden und methodischen Prinzipien. Ein Weg, der gegangen werden will. Und da kann es einem erst mal ganz egal sein, was die Naturwissenschaft dazu meint. Es wäre traurig, wenn Spiritualität abhängig wäre von naturwissenschaftlichen Theorien, die sich häufig genug ja auch ändern.
Wer also sein spirituelles Herz jetzt an eine Theorie hängt, zum Beispiel an diese Art von Quantentheorie, könnte ja bitter enttäuscht werden, wenn in einigen Jahrzehnten sich herausstellt oder vielleicht schon in wenigen Jahren sich herausstellt, dass die Theorie so nicht stimmt bzw. eine sehr vorläufige, unzulängliche Theorie ist. Also, da muss man sehr vorsichtig sein, dass man da nicht zu schnell voranschreitet. Und das will ich einfach mal zu bedenken geben in dem Zusammenhang, gerade weil in fast allen Büchern zu dem Thema genau das Gegenteil behauptet wird. Und da ist Wilber eher eine Ausnahme. Also wirklich, [er] gehört zu den wenigen, die dieses Thema überhaupt in der Schärfe in den Blick genommen haben.


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