Wiedergeburt als wissenschaftliche Hypothese?

Vortrag

Urania Berlin
17.12.1997
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 48

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Ich möchte der Frage nachgehen, ob Wiedergeburt, Reinkarnation als eine wissenschaftliche Hypothese gelten kann. Wie wahr sind Reinkarnationsberichte? Ich will mal mit einigen Beispielen beginnen, die das Thema illustrieren und die gleichzeitig ein Schlaglicht werfen auf die Fragen, um die es hier gehen soll.

Mitte der 60er Jahre erschien ein Buch, was heute noch viel gelesen wird, von einem Autor namens Lama Anagarika Govinda. Das Buch trägt den Titel „Der Weg der weißen Wolken“, Lama Anagarika Govinda, 1898 bis 1985, ein weltweit anerkannter, großartiger Gelehrter, Buddhist, auch Dichter und Maler, ein Deutscher, ursprünglich Ernst Lothar Hoffmann, der in den späten 20er Jahren nach Asien ging, lange in Tibet gelebt und geforscht hat, dann in Indien lebte, zum Schluss in Kalifornien. Dieser Lama Govinda schreibt in seinem Buch „Der Weg der weißen Wolken“ ein Kapitel, das er überschrieben hat: „Eine Botschaft aus der Vergangenheit“. Ich darf mal einige Passagen aus diesem Kapitel vorlesen, das uns in die Thematik einführen kann. Lama Govinda, damals noch Ernst Lothar Hoffmann, auch Maler, ich sagte es, hat Anfang der 20er Jahre auf Capri gelebt. Und da ist er eines Tages mal von einem Freund zu einer sogenannten spiritistischen Séance eingeladen worden. Er sagt ausdrücklich, er als Buddhist, er war damals schon Buddhist, lehne diese Séancen, diesen ganzen Mediumismus ab, aber er hat sich darauf eingelassen.

„Als überzeugter Buddhist hatte ich zwar keine sehr hohe Meinung von diesen Dingen, nicht weil ich die Wirklichkeit okkulter Kräfte leugnete, sondern weil mir die Theorien und Praktiken der Spiritisten primitiv und unbefriedigend erschienen. Andererseits aber begrüßte ich die Gelegenheit, mir selbst einen Einblick in diese Dinge verschaffen zu können und Informationen zu gewinnen. Ich akzeptierte daher die Einladung und nahm an einer der Séancen teil. Wir saßen in einem von gedämpftem Tageslicht erfüllten Raum um einen großen runden Tisch herum und ließen unsere ausgespreizten Hände leicht auf der Tischplatte vor uns ruhen, indem wir die für solche Séancen vorgeschriebene Kette bildeten, in der die Außenfinger aller Hände sich gegenseitig berühren. Als der schwere Mahagonitisch sich zu bewegen begann, machte einer der Teilnehmer den Vorschlag, Fragen über die vorgeburtlichen Existenzen der Anwesenden zu stellen. Die Antworten, die durch vorher vereinbarte Klopfzeichen gegeben wurden, waren, wie so oft in solchen Fällen, zu vage, um von wirklichem Interesse zu sein und außerdem jenseits irgendeiner Nachprüfungsmöglichkeit. Als der Frager sich über mein früheres Leben erkundigte, buchstabierte der Tisch einen Namen, der augenscheinlich lateinisch war und den niemand der Anwesenden je gehört hatte. Auch ich war verwundert, obgleich mir war, als ob ich einen solchen Namen gelegentlich in einer Bibliografie gelesen hätte, und zwar als Pseudonym eines weniger bekannten Autors, dessen Name mir entfallen war. In jedem Fall maß ich dieser Antwort keine Bedeutung bei, noch war ich von der Prozedur der Séance beeindruckt, denn es schien mir unwahrscheinlich, dass irgendein mit Vernunft begabtes Wesen, sei es in Form eines Geistes oder irgendeiner anderen bewussten Entität, sich dazu hergeben würde, müßige Fragen dieser Art zu beantworten und die Fragen auf so primitive und schwerfällige Weise mitzuteilen. Wenn solche Entitäten mit menschlichen Wesen in Kontakt treten wollten, so würden sie sicher angemessenere Kommunikationsmittel ausfindig machen, sagte ich mir. Es erschien mir daher wahrscheinlicher, dass die auf diese Weise aufgerufenen Kräfte nichts anderes waren als diejenigen des Unterbewusstseins der Teilnehmer. Und wenn dem so war, schloss ich weiter, bestand keine Aussicht, dass durch diese Kräfte irgendetwas enthüllt werden könnte, was nicht bereits in der unterbewussten oder unbewussten Psyche der Séanceteilnehmer vorhanden war. Da ich noch keine klare Vorstellung darüber hatte, worin diese Psyche bestand, so ließ ich die Sache auf sich beruhen und schenkte ihr keine weitere Beachtung.“

Also Schritt Nummer eins, Lama Govinda, damals noch Ernst Lothar Hoffmann, nimmt an einer spiritistischen Séance teil, da wird ihm ein Name gesagt, ein Name, den er glaubt gehört zu haben, aber mit dem er zunächst nichts anfangen kann. Er lässt die Sache auf sich beruhen, weil er als Buddhist nicht glaubt, dass Spiritismus in irgendeiner Form etwas Erkenntniserhellendes mitteilen könnte.

„Einige Zeit danach geschah es, dass ich einem anderen Freund, einem jungen deutschen Archäologen, eine Geschichte vorlas, die ich in meiner Kindheit geschrieben hatte und die den Anfang einer mystischen Novelle darstellte, in der ich meinen religiösen Überzeugungen und inneren Erfahrungen Ausdruck verleihen wollte. Mein Freund war einige Jahre älter als ich. Ich hatte große Achtung vor seinem literarischen und kunstgeschichtlichen Wissen und schätzte sein reifes Urteil. Nachdem ich eine Weile gelesen hatte“, er liest da eine Novelle von sich selbst vor, „nachdem ich eine Weile gelesen hatte, unterbrach er mich plötzlich und rief: Woher hast du das? Hast du je etwas gelesen von …“ Jetzt tauchen in dem Buch drei Striche auf, der Name wird nicht genannt. „Hast du je etwas gelesen von …? Und hier erwähnte er denselben Namen, an dem ich und die anderen Teilnehmer an der erwähnten Séance herumgerätselt hatten. Das ist wirklich sonderbar, sagte ich. Das ist jetzt das zweite Mal, dass ich diesen Namen höre. Und dann erzählte ich ihm, wie der Name in der Séance aufgetaucht war. Mein Freund erzählte mir daraufhin, dass dieser Autor eine ähnliche Novelle zu schreiben begonnen hätte, ohne sie je zu beenden, weil er in sehr jungen Jahren gestorben sei und zwar an derselben Krankheit, die mich zum Aufenthalt in einem Sanatorium des Tessins gezwungen hatte, wo mein Freund und ich uns kennengelernt hatten. Nicht nur der Hintergrund meiner Geschichte und die darin ausgesprochenen Ideen glichen denen jenes Autors, sondern sogar der Stil, die besondere Art der Phantasie, die Symbole und gewisse typische Phrasen. Ich war aufs Höchste überrascht und versicherte meinem Freund, dass ich nie in meinem Leben eine Zeile dieses Autors gelesen hätte. Das war nicht weiter verwunderlich, denn er war vor etwa hundert Jahren gestorben und zu meiner Zeit noch nicht so populär, dass er in das normale Pensum einer höheren Schule aufgenommen worden wäre. Tief beeindruckt von den Worten meines Freundes beschloss, ich, mir sofort die Werke, von denen er gesprochen hatte, zu beschaffen. Bevor ich sie aber bekommen konnte, da sie in italienischen Buchhandlungen nicht zu haben waren, geschahen andere seltsame Dinge.“

Also zweite Phase. Er liest eine Novelle von sich einem Freund vor, der sagt, halt mal, wo hast du das her? Das kenne ich doch. Denn das ist ja von …

„Ich war eines Tages zu einer Geburtstagsgesellschaft eingeladen, auf der, wie dies in Capri meist der Fall war, die verschiedensten Nationalitäten vertreten waren. Unter den Gästen befand sich auch ein deutscher Gelehrter, der soeben erst auf der Insel zu einem kurzen Aufenthalt eingetroffen war und den ich bisher nicht kennengelernt hatte. Als ich den Raum betrat, in dem die Gäste versammelt waren, nahm ich den Ausdruck äußerster Überraschung auf dem Gesicht des Neuankömmlings wahr und selbst nachdem ich ihm vorgestellt worden war, fühlte ich dauernd seinen Blick auf mir ruhen. Einige Tage später begegnete ich der Gastgeberin jener Geburtstagsgesellschaft wieder und fragte sie: Wer war der Herr, dem sie mich neulich vorstellten? Ich wundere mich, dass er mich die ganze Zeit angestarrt hat. Ich habe ihn nie zuvor gesehen und kann mich nicht einmal an seinen Namen erinnern. ‒ Sie kennen Dr. X. nicht? Nun, der ist schon wieder abgereist, aber ich kann ihnen sagen, was ihn so sehr an Ihnen interessierte. Er schreibt gerade die Biographie eines deutschen Dichters und Mystikers, der vor etwa einem Jahrhundert starb und dessen Schriften er neu herausbringt. Als sie ins Zimmer traten, konnte er kaum seiner Überraschung Herr werden, wie er mir später sagte, wegen der frappanten Ähnlichkeit zwischen Ihnen und dem einzigen erhaltenen Porträt jenes Dichters aus der Zeit, da er in Ihrem Alter war. Die Ähnlichkeit sei so außergewöhnlich, dass es ihn fast wie ein Schock getroffen hätte.“

Dritter Schritt. Es wird auf eine frappante physiognomische Ähnlichkeit verwiesen, immer noch bezogen auf diesen Autor, der vor hundert Jahren, bezogen auf die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, gestorben war.

„Eine weitere Überraschung harrte meiner. Als die von mir bestellten Bücher endlich eintrafen“‒ vierte Phase ‒ „erkannte ich nicht nur wesentliche Teile meiner Geschichte wieder, sondern fand, dass gewisse Stellen wörtlich mit denen von mir in meiner Kindheit geschriebenen übereinstimmten. Je weiter ich las, desto klarer wurde es mir, dass ich meine eigenen innersten Gedanken darin wiedergegeben fand und zwar genau in den Worten und Bildern, die ich selbst zu brauchen pflegte. Es war aber nicht nur meine Vorstellungswelt, die ich in jedem Detail widergespiegelt fand. Ich entdeckte dort noch etwas viel Wichtigeres, etwas, das mir als das Hauptwerk meines gegenwärtigen Lebens vorschwebte: die Umrisse einer Morphologie der menschlichen Kultur, die in einer magischen Schau des Universums gipfelte. Ich hatte bereits in jugendlichem Optimismus einen solchen Plan entworfen und auf verschiedenen Gebieten, Archäologie, Religion, Psychologie, Philosophie und so weiter zu arbeiten begonnen, in der Hoffnung, im Laufe meines Lebens das notwendige Material sammeln und zu einem einheitlichen Gebäude koordinieren zu können.“ Zitatende.

Es ist eigenartig, wie ich damals feststellen konnte, dass die wenigsten Leser darauf gekommen sind, von welcher Persönlichkeit hier die Rede sein könnte. Selbst Angehörige einer Gemeinschaft eines Ordens, den Lama Govinda gegründet hat, hatten keine Ahnung, von welcher Persönlichkeit hier gesprochen wird. Wenn man die Aussagen im Einzelnen sich anschaut, kommt man relativ schnell auf eine Persönlichkeit, die hier nur gemeint sein kann, auf einen relativ unbekannten romantischen Autor, Otto Heinrich Graf von Loeben, der sich nach dem Vorbild des Novalis „Orientalis“ nannte, „Isidorus Orientalis“. Er lebte von 1786 bis 1825. Zwei Schriften von ihm sind erhältlich, „Blätter aus dem Reisebüchlein eines andächtigen Pilgers“, 1808, und „Die Lotusblätter-Fragmente“, 1817. Natürlich hat es mich nun interessiert: Was hat es dann auf sich mit der hier angesprochenen Ähnlichkeit? Ich habe dann versucht, ein Portrait dieses Orientalis ausfindig zu machen. Ich habe es ausfindig gemacht in einem Buch über Eichendorff. Dieser Loeben-Orientalis war ein Freund von Eichendorff, und ich konnte das vergleichen mit einem Bild des jungen Ernst Lothar Hoffmann bzw. Govinda. In der Tat ist eine frappante physiognomische Ähnlichkeit gegeben. Das hat für diese Persönlichkeit Hoffmann-Govinda ungeheure Auswirkung gehabt. Nicht zuletzt deswegen ist er dann nach Asien gegangen, hat einen ganz bestimmten, konsequenten, meditativen, spirituellen Weg beschritten. Also eine ganz frühe, ungewollte Konfrontation mit einer Persönlichkeit, von der er annahm, ohne dass er deren Namen bewusst nennt, dass er selbst, wie wir erstmal vereinfachend sagen, mit ihm in irgendeiner Form reinkarnationsmäßig identisch ist. [Soweit] Beispiel 1.

Zweites Beispiel. Anfang der 80er Jahre erschien ein Buch von mir über den Renaissance-Philosophen Giordano Bruno bei Rowohlt. Die Folge war, dass ich in den Wochen und Monaten danach sehr viele Briefe bekam, Anrufe bekam, merkwürdigster Art. Ich erhielt zum Beispiel Kunde von einer Autorin aus München, die mir auch ein dickes Manuskript schickte, die nach langen, für sie bewegenden, eindrücklichen, aufwühlenden Erlebnissen zu der Auffassung kam, sie selber sei in einer früheren Inkarnation Giordano Bruno gewesen. Sie hat mir dann dieses dicke Manuskript zugeschickt. Ich habe es gelesen. Ich war erstaunt über diese Schlussfolgerungen, denn sie hatte sehr minutiös geschildert, was im Einzelnen in Rom passiert war. Ich konnte das nachvollziehen. Das waren bewegende Erlebnisse. Ich konnte aber die Schlussfolgerung, zu der sie gekommen war, an keiner Stelle wirklich mitvollziehen. Ich habe ihr dann einen freundlichen Brief geschrieben und gesagt: Ich bezweifle nicht den Text, den inneren Text ihrer Erfahrung, aber ich bezweifle ihre Interpretation der Erfahrungen. Das hat sie tief gekränkt, denn mein Buch gerade hatte sie so inspiriert.

Nun, bekam ich in diesen gleichen Tagen, Wochen, Monaten mehrfach abendlich einen Anruf von einem Herrn, dessen Namen ich vergessen hatte, der mir auch nie Manuskripte oder Texte zugeschickt hat, der mir erzählte, er würde immer wieder in bestimmten Grenzzuständen davon träumen, dass er verbrannt würde. Man muss wissen, Giordano Bruno ist im Jahre 1600 als Ketzer verbrannt worden, ein spektakulärer Justizmord der katholischen Kirche. Dieser Mann habe also immer wieder Bilder, Vorstellungen, Visionen gehabt, er wird verbrannt. Er fühlt sich in die Zeit zurückversetzt. Kurzum, irgendwann, ich hörte das schon raus am Telefon, ich ahnte das schon, rückte er damit raus: Ja, er glaube ganz sicher, er sei Giordano Bruno gewesen. Ich weiß noch, dass ich erstmal sehr zurückhaltend war. Ich war freundlich und höflich und kam nicht auf den Gedanken, was böse und sarkastisch gewesen wäre, ihm nun die Adresse der Dame aus München zu geben, dass beide sich verständigen könnten, wie es denn nun sei mit ihrer Vergangenheit. Das habe ich nicht getan.

Dann kam mir zu Ohren, dass im Rahmen der sogenannten Reinkarnationstherapie, ausgerechnet um diese Zeit, jemand in sich die Vorstellung gewonnen hat, davon ganz überzeugt war, subjektive Evidenz lag vor, er sei Giordano Bruno.

Vierter Punkt. Ich hatte dann vor zehn Jahren zu tun mit einem anderen Verlag wegen eines anderen Buches, und die Lektorin dieses Verlages sagte dann, nachdem sie mich eine Weile betrachtet hatte, lieber Herr Kirchhoff, wenn einer Bruno war, dann sie. Nun ist auf meine vorgebliche oder echte Ähnlichkeit mit Giordano Bruno oft hingewiesen worden. Ich muss aber diesen Punkt von mir weisen. Bei aller großen Verehrung für Giordano Bruno, vielleicht gerade wegen dieser großen Verehrung, auf jeden Fall: Ich bin es nicht.

Der fünfte Punkt. Die Anthroposophen vertreten die Überzeugung, fünftes Beispiel, jetzt bezogen auf Bruno, Annie Besant, die berühmte theosophische Autorin und Lehrerin, Schülerin von Madame Blavatsky, sei die Reinkarnation von Giordano Bruno gewesen. Sie selber habe auch diese Überzeugung geteilt, habe sie auch verschiedentlich in Vorträgen anklingen lassen. Steiner habe sich dann mehr oder weniger deutlich auch in diesem Sinne ausgesprochen. Ja, in der Tat ist es so, Annie Besant sei Giordano Bruno gewesen.

Nun, der sechste Bruno in einem Buch eher obskurer Natur, fast wirkte es auf mich wie eine Karikatur, las ich in einem Sammelband „Wer ist wer?“. Eine kurze Zusammenstellung, wer nun wer war, was ja jeden interessiert, also schlug ich mal nach. Als ich das Buch in den Händen hielt, unter Giordano Bruno, siehe da, nein, nicht Madame Besant, sondern Madame Blavatsky herself. Gut, da haben wir also jetzt sechs Kandidaten für eine überragende Persönlichkeit der abendländischen Geistesgeschichte. Ich sage das jetzt nicht, um das ins Lächerliche zu ziehen. Ich will nur sagen, dass das offenbar ein sehr subtiles, sehr schwieriges Thema ist, denn hier sind offenbar doch Menschen ganz fest überzeugt, sie haben ganz feste, subjektive Evidenzerlebnisse. Sie glauben das wirklich. Und wenn man das anzweifelt, dann werden diese Menschen häufig genug sehr ungehalten bis aggressiv oder arrogant. Im Falle dieser Dame aus München hat das dann zum Abbruch des Kontaktes geführt. Wenn ich das nicht verstehe, wurde mir verdeutlicht, dann hätte ich quasi nichts verstanden von dieser Persönlichkeit, obwohl sie mir gerade vorher geschrieben hatte, mein Buch hätte sie so tief bewegt und hätte ihr so wichtige Impulse vermittelt. Also, wie sieht es aus damit?

Ein drittes Beispiel aus einem ganz anderen Bereich, was nochmal wieder ein Schlaglicht wirft auf dieses subtile Thema. Denn es ist ein sehr subtiles Thema, es ist überhaupt nicht einfach, und es erfordert ein Höchstmaß an Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Sensibilität, um sich damit überhaupt adäquat auseinanderzusetzen.

Es gibt einen Forscher, ein Psychiater, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, vorgebliche oder echte Erinnerungen von Kindern an frühere Inkarnationen, an mögliche frühere Inkarnationen zu erforschen, Jan Stevenson. Er will 1500 Fälle erforscht haben. Einige hundert offenbar, müssen, soweit man den Schilderungen trauen kann, wirklich frappant sein. Und zwar nicht, wie man annehmen könnte, nur aus Indien, aus Asien, nein, auch aus Europa, aus Australien und aus Amerika. Er hat diese Fälle gesammelt, die sehr häufig sind, dass Kinder ganz früh mit 3, 4, 5 [Jahren] plötzlich sagen, sie seien ganz jemand anderes. Sie könnten sich genau erinnern, sie hätten da diese und jene Geschwister, diese Eltern, diese Örtlichkeiten, dieses Haus, dieser Garten, dieser Strom, sie wollten da hin. Ich gebe mal ein Beispiel von diesem Jan Stevenson, dargestellt von einem amerikanischen Religionswissenschaftler, Christopher Bacher, in seinem Buch „Life Cycles“ oder „Das Buch von der Wiedergeburt“. Ein berühmter Fall: Prakash Varshnai , so der Name, wurde im August [19]51 in Chatai in Indien geboren. Als Kind zeigte er keinerlei auffälliges Verhalten, wenn man davon absieht, dass er vielleicht mehr als die meisten seiner Zeitgenossen zum Weinen neigte. Aber einmal, er war gerade viereinhalb Jahre alt, wachte er mitten in der Nacht auf und rannte aus dem Haus. Als seine Eltern ihn eingeholt hatten, behauptete er, sein Name sei eigentlich Nirmal, also nicht Prakash, sondern Nirmal und er gehöre nach Kuhi Kalan, einer etwa zehn Kilometer entfernt liegenden Stadt. Er sagte auch, sein Vater heiße Bolanath. In den nächsten fünf oder sechs Nächten zeigte Prakash das gleiche Verhalten. Er wachte mitten in der Nacht auf und lief auf die Straße. Danach geschah es seltener, kam aber noch einen Monat lang gelegentlich vor. Er begann tagsüber von seiner Familie zu reden in Kuhi Kalan. Er behauptete, er habe dort eine Schwester namens Tara und nannte auch mehrere Nachbarn. Sein Haus dort beschrieb er als ein Haus aus Backstein, im Gegensatz zu seinem jetzigen Haus in Chatai, da dessen Wände aus getrocknetem Schlamm waren. Er sagte, sein Vater habe vier Läden, darunter einen Getreideladen, einen Stoffladen und ein Geschäft, in dem Hemden verkauft würden. Er erwähnte auch den eisernen Geldschrank seines Vaters, in dem er eine Schublade mit einem eigenen Schlüssel dazu habe. Aus Gründen, die für seine Angehörigen unverständlich waren, wurde Prakash immer mehr von dem anderen Leben, an das er sich plötzlich wieder erinnerte, besessen und bat wiederholt, sie möchten ihn nach Kuhi Kalan bringen? Er quälte sie so lange, bis sein Onkel schließlich nachgab und versprach, mit ihm dorthin zu fahren. Zunächst versuchte er allerdings, ihn zu überlisten, indem er den Bus in die Gegenrichtung bestieg. Aber Prakash bemerkte die Täuschung, und sein Onkel gab sich geschlagen. In Kuhi Kalan fanden sie tatsächlich einen Laden, der einem Mann names Bolanath Jain gehörte. Aber da der Laden geschlossen war, kehrten Prakash und sein Onkel nach Chatai zurück, ohne ein Mitglied der Familie Jain gesprochen zu haben. Wieder zu Hause angekommen, identifizierte Prakash sich wieder stark mit Nirmal. Er verlangte oft, man solle ihn mit Nirmal anreden und hörte nicht mehr auf seinen eigenen Namen. Zu seiner Mutter sagte er, sie sei gar nicht seine richtige Mutter, und er beklagte sich über das einfache Haus. Mehrmals bat er unter Tränen, ihn wieder nach Kuhi Kalan zu bringen. Eines Tages brach er einfach auf eigene Faust auf, in der Hand einen langen Nagel. Das sei, sagte er, der Schlüssel zu einer Schublade im eisernen Geldschrank seines Vaters. Er hatte schon fast einen Kilometer auf der Landstraße hinter sich, als man ihn aufgriff und nach Hause zurückbrachte. Man kann sich vorstellen, wie beunruhigt Prakashs Eltern über die plötzliche Veränderung ihres Sohnes waren. Sie wollten ihren alten Prakash wiederhaben, ohne die aufwühlenden Erinnerungen, an deren Nachprüfung sie nicht im Mindesten interessiert waren.“ Gelinde formuliert, bei Fällen dieser Art sind die Eltern zuhöchst alarmiert. Es ist keineswegs so, gerade in Indien, wenn solche Fälle auftreten, dass die Eltern begeistert sind, sozusagen, jetzt spricht das Kind mit fremden Zungen, jetzt erinnert es sich, im Gegenteil, es gilt eher als ein Negativ-Zeichen, wenn sich Kinder früh erinnern und führt zu heillosen Komplikationen oder kann zu heillosen Komplikationen führen.

„Schließlich riss ihnen der Geduldsfaden, also den Eltern, sie haben es jetzt satt, und sie nahmen die Sache selbst in die Hand. Bei einem alten Brauch folgend, wirbelten sie ihn, den Kleinen auf einer Töpferscheibe herum, na gut, in der Hoffnung, er würde dadurch seine Vergangenheit vergessen. Als das nichts nützte, schlugen sie ihn. Ob Prakash durch dieses Vorgehen nun wirklich sein Leben als Nirmal vergaß oder nicht, jedenfalls sprach er nicht mehr darüber.“ Kein Wunder, das Kind wird geschlagen und drangsaliert, also schweigt es.

„Unterdessen lebte in Kuhi Kalan eine Familie, die 16 Monate bevor Prakash geboren wurde, ein Kind durch Pocken verloren hatte. Sein Name war Nirmal gewesen, sein Vater hieß Bolanath Jain und seine Schwester Tara. Nirmals Vater war Kaufmann und hatte vier Läden, ein Kleiderladen, zwei Lebensmittelläden und einen Gemischtwarenladen, in dem unter anderem auch Hemden verkauft wurden. Die Familie Jain wohnte in einem bequemen Ziegelhaus und der Vater hatte dort tatsächlich einen großen eisernen Geldschrank, in dem jeder seiner Söhne eine Schublade für sich hatte, mit einem eigenen Schlüssel dazu. Die Familie Jain hörte bald von dem Besuch des Kindes, das behauptete, Nirmal zu sein, machte aber fünf Jahre lang keinen Versuch, der Sache nachzugehen. Im Frühsommer des Jahres 1961 hatte Nirmals Vater mit seiner Tochter Memo geschäftlich in Chatai zu tun und traf zufällig auch mit Prakash und dessen Familie zusammen. Bevor diese Ereignisse sie zusammenführten, hatten die beiden Familien nichts voneinander gewusst. Sie hatten auch keine gemeinsamen Bekannten. Prakash erkannte seinen Vater sofort und war überglücklich, ihn zu sehen. Er erkundigte sich nach Tara und seinem älteren Bruder Djaktish. Als der Besuch beendet war, folgte er seinen Gästen bis zur Bushaltestelle und bat sie weinend, ihn mit nach Hause zu nehmen. Prakashs Verhalten muss einen tiefen Eindruck Eindruck auf Bolanath Jain gemacht haben, denn schon wenige Tage später kam auch seine Frau, seine Tochter Tara und sein Sohn Devendra nach Chatai, um Prakash mit eigenen Augen zu sehen. Als Prakash Nirmals Bruder und Schwester, besonders Tara, sah, brach er in Tränen aus. Beide nannte er beim Namen. Er kannte auch Nirmals Mutter. Auf Taras Schoß sitzend deutete er Frau Jain und sagte: Das ist meine Mutter. Die Familie Varshnai war von den plötzlich über sie hereinbrechenden Geschehen nicht begeistert, und es gefiel ihnen auch nicht, dass Prakashs Erinnerungen, Sehnsüchte wieder zum Leben geweckt wurden. Aber genau das war mit aller Macht geschehen. Dennoch ließen sie sich schließlich dazu überreden, Prakash noch einen letzten Besuch in Kuhi Kalan zu gestatten. Im Juli desselben Jahres, als Prakash knapp zehn Jahre alt war, fuhren sie zum zweiten Mal mit ihm nach Kuhi Kalan. Er führte sie ohne Hilfe von der Bushaltestelle zum Haus der Jains, obwohl der fast einen Kilometer lange Weg mit seinen Windungen und Abzweigungen gar nicht so leicht zu finden war und Tara ihn durch falsche Hinweise in die Irre zu führen versuchte. Als er schließlich beim Haus der Jains ankam, stutzte er und war verwirrt. Es stellte sich heraus, dass der Hauseingang seit Nirmals Tod umgebaut und die Tür ein gutes Stück seitlich versetzt worden war. Innen fand Prakash richtig das Zimmer, in dem Nirmal geschlafen hatte und das, in dem er gestorben war. Nirmal war kurz vor seinem Tod in ein anderes Zimmer gebracht worden. Er entdeckte den Geldschrank der Familie und erkannte einen Kleinwagen, der zu Nirmals Spielzeug gehört hatte. Die Familie Jain erkannte Prakash schließlich als Reinkarnation von Nirmal an, was die ohnehin schon beträchtliche Angst der Varshnais noch verstärkte. Sie hatten sich von Anfang an dagegen gewehrt, Prakash angebliche Erinnerungen zu überprüfen und schließlich nur nachgegeben, um seine lästigen Bitten zu beenden.“

Beispiele dieser Art gibt es sehr viele. Meistens verlieren sich die Erinnerungen relativ früh, häufig sind sie nicht nachprüfbar. Oft sind sie nachprüfbar. Und Jan Stevenson ist sehr vielen dieser Fälle nachgegangen, auch in Europa, in Australien und Amerika, und ist zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Das als Einstieg zunächst einmal in diese Thematik.

Wir haben also Phänomene, wir haben ganz bestimmte Fälle, wir haben Erinnerungen, wir haben schon bestimmte Kriterien, die möglicherweise für eine Erinnerung gelten können, wir haben subjektive Evidenzerlebnisse, und die Frage ist naheliegend und sinnvoll: Ist es möglich, die Frage so weit voranzutreiben und so weit geistig zu differenzieren, dass man fragen kann: Kann dies als eine wissenschaftliche Hypothese gelten? Wie wahr sind Reinkarnationsberichte?

Zunächst noch einmal zu dem Begriff, der hier im Thema auftaucht, der sich ja so in keinster Weise einfach von allein versteht: Wiedergeburt, Reinkarnation. Man kann sagen, es gibt da ein eher populäres, gleichsam exoterisches und ein eher subtiles oder esoterisches Verständnis. Reinkarnation, Wiederfleischwerdung, ein wie immer geartetes Wesen, eine Geist-Essenz, ein Bewusstsein, eine Seele, was auch immer, ein Etwas, ein Wesen, ein Bewusstsein verlässt einen Körper und begibt sich in einen anderen Körper oder baut einen anderen Körper auf, zunächst einmal auf der Ebene und im Kontext menschlicher Existenzen. Ich lasse im Moment und für diesen Abend überhaupt draußen vor die Möglichkeit einer Wiederverkörperung in anderen Seinsregionen, von denen ja auch der tantrisch-tibetische Buddhismus überzeugt ist. Also, es geht immer um die Frage, es gibt ein Wesen, das einen Körper verlässt beim Tode, wie immer wir dieses Wesen nennen, Bewusstseinsprinzip, Bardokörper, was immer, und dieses Wesen reinkarniert sich wieder. Es nimmt Fühlung auf, es baut einen neuen Körper auf. Wie das geschieht, und wann es geschieht, ob gleich zu Beginn bei der Zellteilung, bei der Verschmelzung von Ei und Samenzelle, sei dahingestellt. Es gibt andere Überlegungen, die sagen, diese Verbindung geschieht erst viel später im Laufe der Schwangerschaft, manchmal sogar erst kurz vor der Geburt. Das möge zunächst einmal dahingestellt sein. Und bei dieser Frage, Reinkarnation als wissenschaftliche Hypothese, hängt natürlich alles von der Frage ab: Was ist dieses Wesen, das sich da wiederverkörpert? Eine ja essentielle Frage. Wenn ein bestimmter Mensch stirbt und als toter Körper, als unbeseelter, nicht mehr von Geist erfüllter Körper einfach daliegt, dann als toter Körper, dann ist irgendetwas von ihm abgezogen, ist weggegangen, hat sich abgelöst, wie immer ich das nennen will. Und es ist wichtig zu fragen: Was könnte dann und was wird dann möglicherweise in eine andere, eine nächste Inkarnation hineingehen? Extrem kann man ja sagen, als extreme Pole, als extreme Denkmöglichkeiten: Was da weiter geht, ist der Betreffende selbst als Essenz, er selbst, natürlich nicht als physischer Körper mit seiner Leiblichkeit, seiner bestimmte Biografie, seine Haar- und Augenfarbe, seinen Vorlieben, wie immer, der Betreffende, wie er war, ist unwiederbringlich dahin. Aber eine geistige Essenz geht weiter. Wäre eine Möglichkeit, vielleicht eine Essenz, die ich-begabt ist, dann wäre es ein Ich, vielleicht sogar das Ich überhaupt. Die andere extreme Möglichkeit ist anzunehmen, und das geschieht ja im traditionellen Buddhismus: Was da weitergeht in eine mögliche nächste Inkarnation, ist gar nicht das Ich. Das ist ein schwer greifbares Bewusstseinsprinzip, das ist ein karmischer Willensstrom, eher ein Nicht-Ich, was weitergeht. Und das Ich ist dann erst wieder vorhanden, wenn dieses Prinzip sich verbindet mit einem neuen Körper.

Natürlich hat es schon vor zweieinhalbtausend Jahren, als Siddharta Gautama über diese Erde wandelte, zu Fragen geführt, die bis heute nicht nachgelassen haben. Schon die Zeitgenossen haben gefragt: Ja, wenn das so ist, wenn es gar keine Seele gibt, kein Bewusstseins Prinzip, was da weitergeht – wer oder was reinkarniert sich eigentlich? Das war ja ein bewusster Akzent, den Buddha gesetzt hatte gegen die Lehre seiner Zeit. Nicht ein atma, eine Individualseele, die als sie selbst erhalten bleibt nach dem Tode, inkarniert sich, sondern ein an-atma eine Nicht-Seele. Zeitgenossen, Kritiker, auch aus der Tradition der Upanishaden, haben Buddha vorgeworfen, das sei Nihilismus, denn er würde ja die Seele leugnen, und die Frage, wer oder was reinkarniert sich, hat Buddha immer mit einem Paradox beantwortet, hat immer gesagt: Der Einzelne in seiner späteren oder früheren Inkarnation ist er selbst und ist nicht er selbst. Ich und nicht-Ich gleichzeitig. Also etwas, was der aristotelischen Logik total widerspricht. Wir würden ja sagen: Ist er das nun, oder ist es er nicht? Er ist es, und er ist es nicht. Also Ich und nicht-Ich zugleich.

Nun, die Frage, ob diese Vorstellung als eine legitime wissenschaftliche Hypothese gelten kann, ist natürlich nicht loszulösen von der Frage, was überhaupt eine wissenschaftliche Hypothese ist. Auch das ist ja überhaupt nicht selbstverständlich. Man muss vielleicht sagen, dass Hypothesen zunächst einmal Annahmen sind, Vermutungen über einen Sachverhalt der Natur. Diese Vermutungen, diese Annahmen, häufig in Modellform oder in mathematisierter Form, haben die gesamte Geistesgeschichte geprägt und bestimmt. Hypothesen sind Vermutungen, sind Annahmen, sind Behauptungen, von denen aber angenommen werden muss, dass sie bis zu einem gewissen Grade auch belegt, verifiziert oder falsifiziert werden müssen. Nun wissen wir heute alle, nicht erst seit den frühen 70er Jahren, siehe die Wissenschaftskritik Karl Poppers, dass eine restlose Verifizierbarkeit einer wie immer gearteten Hypothese unmöglich ist. Also jede nur denkbare philosophische, wissenschaftliche Hypothese, Annahme über die Welt, lässt sich nicht in toto, lässt sich nicht restlos verifizieren. Diese Messlatte jetzt anzulegen an die Frage: Gibt es Reinkarnation oder nicht, ist absurd, weil bei jeder anderen Theorie ist es genauso. Hier sind wir angewiesen, wenn wir nicht ein Buddha-Bewusstsein haben, auf Vermutungen, auf Hypothesen, meistens in Form von mathematischen Modellen. In der Frühzeit der Naturwissenschaft, das will ich noch ergänzen, ist Hypothese fast synonym mit Fiktion. Der berühmteste Satz der abendländischen Wissenschaftsgeschichte stammt, was die Hypothesen betrifft, stammt aus den mathematischen Prinzipien der Naturlehre von Newton und ist bezogen auf die Gravitation und heißt: „hypothesis non fingo“, Hypothesen erfinde ich nicht. Newton hat es abgelehnt zu fragen: Was ist denn diese mysteriöse Gravitation, die Schwerkraft eigentlich, und hat dann hinzugesetzt: hypothesis non fingo – ich spekuliere darüber nicht. Ich denke mir keine Hypothesen aus, ich stelle keine Fiktionen auf. Er hat darüber dann doch spekuliert, halböffentlich in Briefen an Richard Bentley, hat Vermutungen geäußert, war immer zutiefst unzufrieden, dass er nie rausbekommen hat, was ist denn nun diese rätselhafte Attraktionskraft, diese Gravitation wirklich. Auf jeden Fall: hypothesis non fingo. Zunächst also reine Fiktion.

Nun ist es immer schwierig zu unterscheiden, das ist für unser Thema sehr wichtig, was ist denn eine Hypothese, die verifiziert werden kann, und was ist eine Fiktion? Ich würde zum Beispiel sagen, dass die sogenannte Urknalltheorie auf gar keinen Fall eine Hypothese ist, denn sie kann nicht verifiziert werden. Es ist unmöglich. Kein Experiment der Erde kann hierfür in irgendeiner Form einen Beleg finden. Es ist eine Fiktion. Es gibt viele Fiktionen, die sinnvoll oder weniger sinnvoll sind. So kann man zum Beispiel die Masse eines Körpers in einem Massenpunkt fiktiv zusammengeballt denken und damit ganz gut rechnen. Es gibt also durchaus funktionierende Fiktionen. Ist die Reinkarnation eine solche Fiktion, die überhaupt gar nicht verifiziert werden kann oder auch gar nicht falsifiziert werden kann? Das glaube ich nicht. Ich glaube, es gibt sehr wohl Indizien dafür, dass diese Reinkarnation in den Bereich einer gewissen Verifizierbarkeit gerückt ist, zumindest kann man das sagen aus den sehr eingehenden Forschungen der letzten 20 bis 30 Jahre.

Der nächste Schritt ist dann natürlich, dass man Hypothesen absolut setzt und zu Wahrheiten erklärt. Das geschieht ja allenthalben. Es gibt Fiktionen, die werden zu Hypothesen. Schließlich glaubt jeder, sie sind wahr, und sie werden wie selbstverständlich gehandelt. Und es ist wichtig, dass jede Hypothese, jede Vermutung über die Wirklichkeit, ob nun mathematisiert oder rein verbal denkerisch, nicht zu trennen ist von dem kollektiven kulturellen Verbund, nicht zu trennen auch von einem Paradigma, was einer Gesellschaft zugrunde liegt. Das heißt, es gibt gar keine Hypothese für sich und an sich. Wenn ich aus einem anderen Kulturkreis komme, beispielsweise aus einer ganz anderen Haltung und ganz andere Prämissen habe, werde ich ganz bestimmte Prämissen, die andere haben, überhaupt nicht akzeptieren. Es gibt viele Beispiele in der Wissenschaftsgeschichte, wo das geschah, etwa der berühmte Dialog von Albert Einstein und Niels Bohr, der schließlich so weit ging, dass man sich nichts mehr zu sagen hatte, weil Einstein grundsätzlich alle Prämissen der Bohrschen Physik, der Quantenphysik, der Kopenhagener Interpretation, ablehnte, sagt: Das ist Tranquilizer-Philosophie, das ist überhaupt keine Physik. Also eine harsche Kritik, die er nie aufgegeben hat.

Und man war an ein Punkt gekommen, wo man sich überhaupt nicht mehr verständigen konnte darüber, was ist überhaupt eine legitime wissenschaftliche Hypothese, und was ist keine legitime wissenschaftliche Hypothese. Also, die Frage muss man immer im Kontext sehen. Und wenn die Reinkarnation vielleicht in die Nähe einer möglichen wissenschaftlichen Hypothese rückt, dann könnte sie ja auch einen solchen Charakter tragen, dass sie unser Paradigma, unser Muster, unser kulturelles kollektives Muster überschreitet. Es könnte ja etwas enthalten, was tatsächlich uns zwingen würde, wenn es denn legitim wäre, dieses Muster zu überschreiten. Das ist wichtig. Ich glaube auch, dass das so ist, dass es in der Tat so ist. Wenn wir wirklich reingehen in das Thema, müssten wir zu der Auffassung kommen, dass tatsächlich die mögliche Reinkarnation das wissenschaftliche Paradigma schlechthin transzendiert, überschreitet. Denn es ist ja vollkommen selbstverständlich und bedarf eigentlich gar keiner besonderen Hervorhebung, dass von einem materialistisch- dogmatischen Weltbild aus Reinkarnation eine Unsinnigkeit ist, eine pure, eine blanke Unmöglichkeit. Wenn ich Materialist bin, wenn ich für mich die Auffassung vertrete, im Sinne eines metaphysischen Naturalismus, nur das sei wirklich, was ich sinnlich erfahren kann oder mittels ganz bestimmter Instrumente erfahren kann oder mathematisieren kann, wenn es sozusagen keine wie immer geartete übersinnliche metaphysische Welt gibt, dann kann es auch keine Reinkarnation geben. Dann ist die ganze Frage überhaupt vollkommen absurd und ist ja auch von Materialisten aller Couleur immer für völlig absurd gehalten worden. Nicht, Materialisten haben immer gesagt, diese These ist überhaupt gar nicht diskussionswürdig. Wir müssen darüber überhaupt gar nicht reden, das ist so völlig unmöglich, dass es einfach aberwitzig ist, das ernsthaft anzunehmen.

Also wenn diese Reinkarnation eine wissenschaftliche Hypothese ist oder in die Zone einer solchen rückt, dann muss damit verbunden sein ein fundamental anderes Verständnis von Wissenschaft, was sich ja auch andeutet, es kann nicht das herkömmlich mechanistisch-mathematisierte Wissenschaftsverständnis sein, es muss ein anderes Wissenschaftsverständnis sein. Reinkarnation und alles, was damit verbunden ist, hat ja zu tun mit Bewusstsein. Menschen haben Erlebnisse, Menschen haben Erinnerungen, Menschen haben ganz bestimmte Evidenzerfahrungen. Es geht ja um die Innenseite der Dinge. Es geht ja nicht um die Außenseite. Reinkarnation als ein reines Phänomen betrachtet von außen, gar statistisch, ist in der Tat absurd. Das hieße ja im herkömmlichen Paradigma bleiben. Und wenn wir etwas gelernt haben in den letzten 20, 25 Jahren, denke ich, dann ist es dies, dass wir heute eine Weltbetrachtung [haben], die Bewusstsein als eine eigene Seins-Entität einbezieht, wenn wir das nicht sehen, dann können wir nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion sein.

Also, Bewusstsein, das stellt sich heute immer mehr heraus, ist offenbar ein integraler Teil der Welt. Und Bewusstsein ist innen, Bewusstsein ist die Tiefe, Bewusstsein ist ja das ichhafte oder wirhafte Bewusstsein Desjenigen, der überhaupt fragt. Ich meine, jede Wissenschaft, jedes wissenschaftliche Subjekt fragt ja aus sich heraus. Und der Wissenschaftler selber, was immer er für Hypothesen im Kopfe hat, ist ja ein lebendiges Subjekt, und für ihn und für andere Subjekte existieren alle wie immer gearteten Weltmodelle. Das versteht man heute zunehmend mehr.

Also, Reinkarnation kann nur dann eine wissenschaftliche Hypothese sein, wenn ein Wissenschaftsverständnis vorliegt, das Bewusstsein als einen integralen Teil der Welt einbezieht. Wenn ich sage, Bewusstsein ist ja ohnehin nur ein Gehirnphänomen, wenn ich, wie das die moderne Neurophysiologie tut, sage, die Gehirnprozesse sind der Geist, also eine Identität da proklamiere, dann ist die Frage müßig. Dann ist ja auch die Frage einer möglichen Reinkarnationserinnerung vollkommen absurd. Denn wie sollte es denn eine Erinnerung geben, wenn das Gehirn mit dem physischen Tode unwiederbringlich dahin ist? Dann kann es gar keine Erinnerung geben, oder ich muss nach ganz anderen Möglichkeiten suchen, wie solche Erinnerungen möglich sein könnten. Es gibt solche Ansätze. Vielleicht können wir dann in der Diskussion noch darauf kommen, die auch eine Art von Erklärung bieten können für diese Erinnerungsphänomene, auch wenn man eine buchstäbliche oder reale Reinkarnation nicht annimmt.

Was geschieht, wenn ein Mensch stirbt? Kürzlich ist ein sehr enger Freund von mir gestorben, und ich stand lange, saß lange an seinem toten Körper, und wie viele Menschen in ähnlichen Situationen habe ich mich gefragt: Wo ist der Betreffende, denn das, was da vor mir lag, erschien mir wie eine Puppe. Drei Tage nach dem Tod des Betreffenden, wie eine Hülse, wie eine Puppe, wie ein Gegenstand. Heraklit sagt, Leichen sollte man eher wegwerfen als Mist, also auf gar keinen Fall irgendwie konservieren. Wo ist der Betreffende? Der Körper ist abgelegt. Der Mensch ist tot, wie man sagt, wie immer man das jetzt gehirnphysiologisch definiert: Wo ist der Betreffende? Auf jeden Fall nicht mehr dort, in diesem toten Körper, in dieser Hülse, in dieser Puppe. Und natürlich haben Menschen immer zu allen Zeiten und in allen Kulturen gefragt: Was passiert in dem Moment eigentlich, wenn der Tod eintritt? Was löst sich vom Körper ab? Der Betreffende selber, wie ich das vorhin schon gesagt habe, eine Geistessenz, vielleicht er selber in einer ätherischen, in der gleichsam verklärten Gestalt, wie die Buddhisten sagen würden im Bardoleib oder im Sambhogakaya? Was löst sich ab? Oder vielleicht ein Bewusstsein, ein reines, nicht-stoffliches Bewusstsein, was sich dann herauskristallisiert, vielleicht nach einer gewissen Übergangsphase, wenn dann ein feinstofflicher Körper, der dem physischen Körper sehr ähnlich sieht, abgelegt ist. Das nehmen ja auch die tibetischen Buddhisten an und in ganz extremer Form, sehr vergröbert, wird es ja auch im sogenannten Spiritismus oder Spiritualismus angenommen.

Was ist das? Ist es ein Ich? Ein Es, ja wohl kaum, eine Art Selbst, oder wie immer wieder vermutet wird, ein Bewusstseinsprinzip, was dem Bewusstsein des Einzelnen überlegen ist. Im tibetischen Buddhismus, im „Bardo Tödol“, wird verschiedentlich gesagt, das Bewusstsein des Verstorbenen im Bardokörper ist 6 bis 7 mal intensiver, wirkmächtiger und differenzierter als das Bewusstsein in der Inkarnation selber. Das heißt, der Verstorbene nimmt viel mehr wahr, weiß viel mehr, ist viel mehr als in seiner inkarnierten Gestalt.

Das wird ja verschiedentlich gesagt, und, er habe auch, wird immer wieder gesagt, nicht nur dort, die Möglichkeit, sich in dieser Grenzsituation an sich selbst und an seine früheren Erlebnisse, Erfahrungen, Geburten zu erinnern, also der Bardokörper, der die Materie durchdringt, anfänglich noch ganz ähnlich wie der physische Körper, als solcher kann er auch in bestimmten Grenzzuständen wahrgenommen werden. Das wird dann später abgelegt und das Bewusstseinsprinzip geht seinen eigenen Weg, um dann irgendwann wieder in einen erneuten Körper einzutreten. Und die nächste Frage, und das ist ja das Thema: Was passiert in dieser Zeit zwischen den Inkarnationen, und was passiert eigentlich, eigentlich substanziell, essenziell, in dem Moment der Wiedereinkörperung? Und da haben wir heute durch die Bewusstseinsforschung, durch die Hypnoseforschung und viele andere Forschungen in dieser Richtung bestimmte Indizien, die wir auch zusammenschließen können mit den Weisheitstraditionen verschiedener Kulturen, unter anderem mit dem tibetischen Buddhismus, was dann nämlich tatsächlich passiert, und wann sich dieses Geistwesen wieder mit dem Körper verbindet.

Vielleicht kommen wir nachher noch in dem Gespräch auf diese Frage zurück, denn sie ist eine essentielle Frage, also: Was löst sich ab? Wer ist das? Was ist das? Was geschieht in der Zwischenzeit? Ist das eine Dunkelzone? Ist es eine black box? Ist das nicht erkennbar? Was passiert da? Auch da haben wir aus vielen hypnotischen Erfahrungen interessante Hinweise darüber, was da möglicherweise passiert, was da Raum ist oder sein mag, und was da letztlich auch Zeit ist.

Alles spricht dafür, dass die Dinge, mal ganz vereinfacht gesagt, fundamental anders sind, als wir sie aus der Inkarnation erkennen.

Nun, wissenschaftliche Hypothese oder nicht? Was heißt das? Welche Möglichkeiten gäbe es denn, wirklich zweifelsfrei, und das wollen ja viele Menschen, zu beweisen: Ja, es gibt Reinkarnation und nicht nur dies, sondern es gibt ganz bestimmte Reinkarnation. Oder dieser Mensch ist tatsächlich dieser andere Mensch, der er zu sein glaubt. Und ein riesiger Fächer von Fragen schließt sich sofort an, die aber wichtig sind.

Ich darf jetzt mal auf den Anfang zurückkommen der Beispiele. Erinnern Sie sich an das Beispiel mit Hoffmann-Govinda? Was lag da vor? Hoffmann-Govinda war ja nicht ausgezogen, sich selbst in einer früheren Inkarnation zu suchen. Es war ihm quasi von außen angetragen oder zugetragen worden. Es lag vor, eine spiritistische Séance, ein Name taucht auf. Konnte dieser Name aus dem Unbewussten der beteiligten Séanceteilnehmer aufgestiegen sein? Eher unwahrscheinlich. Wie sollte er in dieses geistige Feld hineingekommen sein? Könnte er aus dem Unbewussten von Govinda selber aufgestiegen sein? Das schon eher. Könnte er aus einem wie immer gearteten kollektiven Bewusstsein oder Unbewusstsein aufgestiegen sein? Auch möglich. Dann war da die Rede von einer physiognomischen Ähnlichkeit. Das wäre ja dann ein wunderbares Kriterium, sage ich mal etwas salopp. Man müsste gucken, wer sieht wem ähnlich. Dieses Spiel ist ja leicht zu betreiben und hat ja auch einige Faszination. Wer sieht denn nun aus wie wer? Und dann muss es ja wohl so sein.

Natürlich ist es nicht auszuschließen, wenn man davon ausgeht, dass es eine Geistessenz gibt, die weitergeht, dass da tatsächlich auch bis in die Physis, bis in die Physiognomie Analogien, Ähnlichkeiten auftreten, aber es [ist] offenbar doch keine Notwendigkeit. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, wo man, wenn man dann auf physiognomische Ähnlichkeit setzt, sehr schnell zu der Auffassung kommen könnte, das ist der oder die Betreffende; es gibt dafür auch mal einige berühmte Beispiele. In der Antike etwa gab es den großen Tyrannen und Herrscher von Athen, Peisistratos, der 527 vor Chr. gestorben war. 27 Jahre später wurde ein Anderer geboren, später genauso berühmt wie Peisistratos, Perikles. Perikles konnte sich viele Jahre nicht in der Öffentlichkeit zeigen, weil er wie eine Doublette von Peisistratos [war]. Er sah genauso aus, er hatte die gleiche Statur, er hatte den gleichen Klang der Stimme, er war wie ein zweiter Peisistratos. Und die Alten in Athen, die noch Peisistratos kannten, wussten das auch und haben das verkündet. Das hat seiner politischen Karriere in Athen nicht genützt, im Gegenteil, das hat ihm geschadet. Also, 27 Jahre später wird diese Persönlichkeit, wenn wir mal annehmen, er sei es gewesen, wieder hineingeboren. Eine erstaunliche Reinkarnation, wenn es denn eine solche ist. Interessant auch insofern, als beide Persönlichkeiten ganz ähnliche Dinge gemacht haben. Denn auch Perikles war ja eine Art Tyrann im Kontext dieser attischen Demokratie.

Nun, Govinda spricht von dieser frappanten Ähnlichkeit. Da hat einer dort gesessen, der kannte das Porträt von Orientalis, der hat den Hoffmann gesehen und war frappiert. Der sieht doch ganz genauso aus, das kann man auch feststellen, also verblüffend. Es gibt andere Beispiele. Immer wieder wird gesagt, und alle Biographien schreiben das, die meisten, dass der berühmte Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, in seinen späten Jahren ganz genauso aussah wie Paracelsus, bis in die Kopfform hinein, die Nase, die gesamte Struktur des Gesichtes. Der alte Hahnemann wirkte wie Paracelsus. Nun weiß jeder, der sich ein bisschen in Geistes- und Medizingeschichte auskennt, dass tatsächlich Paracelsus, wenn man das so will, ja eine Art Vorläufer auch der Homöopathie war, dass er viele Impulse, Gedanken von Hahnemann vorweggenommen hat. Wenn ich davon ausgehe, dieser Hahnemann war tatsächlich in seiner früheren Inkarnation, einer früheren Inkarnation, Paracelsus, dann könnte ich einen großen Zusammenhang herstellen, und das wäre wichtig. Denn was würde eine Reinkarnation denn kosmisch, metaphysisch, existenziell für einen Sinn machen? Es wäre ein absurdes Spektakel mehr, wenn nicht ein Zusammenhang bestünde, ein wie immer gearteter karmischer Zusammenhang.

Das ist ja nicht selbstverständlich. Es könnte ja auch eine Reinkarnation geben, die einem blinden Würfelspiel folgt, und das könnte zu einem genauso monströsen, nihilistischen Weltbild führen, wie es auch andere Weltbilder gibt. Aber meistens, fast immer, wird mit der Reinkarnation verbunden ein sinnvoller Seinszusammenhang, ein karmischer Zusammenhang. Und ich meine das Wort Karma, was hier mehrfach gefallen ist, als Adjektiv karmisch, ist auch schwierig, gehört aber in den Kontext. Ich meine Karma gibt es im Buddhismus, im Hinduismus als Begriff, heißt so viel wie Ursache, Wirkung, Karma oder Kama, also die Ursache-Wirkung-Kette bezogen auf das, was einer tut. Karma ist eigentlich die Tat, also was ich jetzt tue, hat Auswirkungen in dieser, in einer möglichen späteren Inkarnation, so nehmen es ja die Buddhisten auch an. Wenn ich Leid zufüge, erleide ich Leid. Jetzt mal im einfachsten Verständnis von Karma. Viele glauben das ja auch heute, auch in der sogenannten Reinkarnationstherapie. Ich verursache Leid, also werde ich dann auf eine ähnliche Weise auch leiden, wie ich Leid zugefügt habe, sozusagen im Sinne eines karmischen Ausgleichs. Einer stirbt früh, einer wird gequält, drangsaliert, kommt nie zum Zuge. Aber es gibt eine Art ausgleichende, übergreifende, kosmisch waltende Gerechtigkeit, die dann auch die Balance, die kosmische Balance wiederherstellt. Das wäre in diesem Sinne Karma. Und dann ist zu fragen, und es ist durchaus wissenschaftlich in diesem eingangs genannten Sinne, im Sinne des Bewusstseins als integralem Bestandteil der Welt, dann wäre zu fragen: Hat dieses Karma, wenn es denn existiert, einen Sinn, ein Ziel, ein Telos? Ist das vielleicht ein Prozess, der mit Bewusstsein zu tun hat? Da gibt es ja gute Gründe anzunehmen, dass die kosmische Evolution sich vorwärts bewegt im Hinblick auf zunehmend größere Komplexität und Tiefe und Bewusstsein. Teile der neueren Evolutionsforschung nehmen das ja auch an, auch in den avanciertesten Vorstellungen der modernen Philosophie, etwa Ken Wilber nimmt ja auch an, dass die kosmische Evolution ein Telos hat, ein Ziel hat. (… )Beide treten auf als die Reinkarnation des 16. Karmapa, den einen hat der Dalai Lama autorisiert, den anderen nicht. Es gibt ein heilloses Chaos und eine bittere Gegnerschaft. Jeder favorisiert seinen Prätendenten. Nun, diese Frage ist wichtig, wenn man daran denkt, wie etwa diese sogenannten Tulkus, wie sie heißen, im tibetischen Buddhismus, als solche auftreten. Was geschieht? Häufig genug sind es Orakel, die befragt werde, manchmal ist es ein Brief, den es geben soll, eines der großen Meister oder Lamas. Und im Fall des Karmapa soll es einen Brief geben. Der Brief ist nicht veröffentlicht, er soll angeblich die genauen Umstände seiner Reinkarnation genau angegeben haben. Auf jeden Fall eine wichtige und eine schwierige Frage, die sich da auftut. Genauso kann man fragen, es gibt offenbar diesen engen Zusammenhang in einem Volk. Das kann man auch bei den Chassidim beobachten, den mystischen Strömungen im Judentum, die auch davon ausgehen, dass ein Jude „once a jew always a jew“, dass er also einer immer wieder in diesem Volk als Jude wiederkehrt. Also bleibt einer in einem engen kulturellen Verband. Müsste man ihn dort dort suchen und auch orten? Oder kann er beliebig irgendwo anders geboren werden, vielleicht, wenn dann die Zeit so in dieser Form gar keine Rolle spielt, dann kann er ja auch in einem anderen Kulturkreis, in einer ganz anderen Epoche und als ein ganz Anderer wiedergeboren werden.

Auch das sind schwierige Fragen. Und alle laufen auf die Frage hinaus, die ich ganz bewusst hier zentral herausgehoben habe: Was ist oder wer ist dieses Wesen, diese Geist-Essenz, wie immer, das sich da reinkarniert. Das ist letztlich die entscheidende Frage: Wer reinkarniert sich eigentlich? Wer oder was verlässt diesen toten Körper? Und wer oder was inkarniert sich dann, und was passiert in der Zwischenzeit? Kann es sein, auch das ist eine viel gestellte Frage in den letzten 20 Jahren, kann es sein, dass es gravierende Umwandlungen, Metamorphosen, Transformationen gibt dieser betreffenden Geist-Essenz, so dass sie quasi als etwas ganz Anderes auf der anderen Seite erscheint, als sie hineingegangen ist in diese Zone, in diese Bardozone. Es können sich ja ganz viele Wandlungen abgespielt haben. Und wenn diese Reinkarnationen tatsächlich einen Lernprozess bedeuten, dann kann man ja fragen: Ist es nicht sinnvoll, dass dieses Geistprinzip immer wieder neue Schauplätze erlebt und immer wieder neue Zusammenhänge, neue Kontexte ihrer Existenz kennenlernt? Auch das sind wichtige Fragen, die bei der Nachprüfbarkeit eine Rolle spielen.

Natürlich kann man sagen, es gibt diese Fälle der Rückerinnerung von Kindern, das hat man nun nachgeprüft, die sagen Dinge, die sie nicht wissen können, also stimmt das. Könnte sein. Das kann man offen lassen und das muss man wohl auch offen lassen. Möglich ist es, dass diese Kindheitserinnerung tatsächlich auf frühere Inkarnationen weisen. Es gibt aber auch andere Erklärungsmöglichkeiten. Es könnte natürlich sein, dass diese Erinnerungen in irgendeiner Form eingespeist sind in ein feinstoffliches, ein immaterielles Feld sozusagen als Imprint in diesem feinstofflichen Feld existieren und dort auch in gewisser Weise wieder abgerufen werden können, sozusagen angezapft werden können. Das ist möglich. Es könnte ja einen Fundus geben von Erlebnissen aller nur denkbaren Individuen, der als solcher kontaktierbar ist. Und dann könnte etwas abrufbar sein aus diesem Fundus, was nicht unbedingt dann ich selber bin. Es gibt Theorien in diese Richtung, etwa der berühmte Systemtheoretiker und Philosoph Erwin Laszlo in seinem Buch „Kosmische Kreativität“ versucht sogenannte Reinkarnationserinnerungen auf diese Weise zu erklären. Er meint, das ist keine wirkliche Erinnerung. Auch Rupert Sheldrake in seiner These der morphischen Felder lässt das offen und in der Schwebe. Er meint, es könnte sein, dass hier ein Imprint vorliegt in diesen morphischen Feldern und dass die Erinnerung eine Art Resonanzphänomen ist und nicht unbedingt bedeutet, dass der Betreffende selber dieser oder jener war. Nun, will ich abschließend, bevor wir dann ins Gespräch einsteigen, versuchen, das einmal zu resümieren.

Ich meine, dass die Frage, ob es Reinkarnation gibt oder nicht, in der Tat eine seriöse, eine ernstzunehmende, eine wirklich wichtige wissenschaftliche Hypothese darstellt. Das setzt voraus, dass wir unser Verständnis von Wissenschaft erweitern, dass wir Bewusstsein einbeziehen, dass wir Bewusstsein begreifen als integralen Bestandteil des Universums, dass wir überhaupt erst mal lernen, da haben wir große Mühe zu verstehen, was es mit uns selber und der Innenperspektive unserer selbst in der Welt auf sich hat. Wissenschaft ist ja meistens Wissenschaft des Außen. Aber es muss auch eine Wissenschaft des Innen geben und beide müssen auf irgendeine Weise zusammengeführt werden. Keiner weiß vorderhand noch wie das der Fall sein soll. Die Wissenschaft ist außen und die Wissenschaft ist innen, stehen weit voneinander entfernt. Und im Moment kann man kaum erkennen, wo die Überschneidungen, wo die Korrespondenzen, wo die Berührungspunkte tatsächlich liegen.

Und ich finde, man muss das ganze Thema dann wirklich auf einer sehr subtilen Ebene angehen und nicht nur auf einer statistischen Ebene. Also wen das dann sehr interessiert, der hat auch Gewinn davon. Ich will das nicht von einer arroganten Warte aus runtermachen. Ich meine aber, dass diese Ebene nicht reicht. Man kann da forschen, es gibt ein überwältigendes Material, also allein das Material zu studieren, braucht Jahre. Also wer das wirklich studieren will, er hat ein riesiges Material. Und wenn ein großer Teil dieses Materials auf Betrug, auf Autosuggestion, auf blanker Täuschung, auf Irrtum, auf Unwahrhaftigkeit und so weiter zurückzuführen ist, bleibt immer noch ein erheblicher Teil übrig, der einen das Staunen lehren kann und der einen eigentlich zu der Auffassung führen müsste: Das kann so sein. Und wenn es denn so ist, und das muss mitgefragt werden, was für Konsequenzen hätte das dann? Denn es ist ja nicht nur eine Frage, ist es so oder ist es nicht so, sondern wenn es so ist, hat es ja auch fundamentale Konsequenzen für unser gesamtes Welt- und Seinsverständnis. Wer sind wir denn, wenn wir nicht wie Schopenhauer spottet, einfach belebte Nichtse sind, irgendwie herausgewirbelt aus einem blödsinnig in sich selbst verkrümmten Strom des Zufalls, aus dem Nichts heraus heraufgespült in diese Welt, um dann wieder ebenso zufällig und blödsinnig, sinnlos im Nichts zu verschwinden? Wenn das nicht so ist, dann muss es eine andere Konstellation in der Existenz geben, die dann auch so etwas wie Reinkarnation einbezieht.

Und dann werden die Fragen wirklich interessant. Und dann wird es auch sehr schwierig und subtil, und dann muss man ganz neue Forschungskriterien noch aufstellen. Da sind wir erst in den ersten Anfängen, was das betrifft. Und es müssen genauso dann Fragen gestellt werden, die auch von der Reinkarnationslehre aus sehr schwer zu beantworten sind, aber man kann sie beantworten. Etwa die Frage,: Wie kommt es zu einer ständig steigenden Weltbevölkerung? Wo sind die denn alle, wenn sie jetzt hier auftauchen? Und viele andere Fragen mehr. Und, ich denke aber, ich möchte das prognostizieren, dass diese Frage in den nächsten Jahren noch zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, auch im Zusammenhang mit der sogenannten Bewusstseinsforschung. Ich meine die sogenannten Near Death Experiences, die Nahtoderfahrungen, die ja nun wirklich tausendfach dokumentiert sind. Die belegen nicht unbedingt und beweisen nicht unbedingt, dass das Bewusstseinprinzip den Tod überlebt. Aber sie legen doch zumindest nahe, dass da eine Möglichkeit besteht. Und wenn das so ist, dann ist es ja genauso naheliegend anzunehmen, dass dieses Bewusstseinsprinzip, wenn es denn nicht sich, wie die Buddhisten sagen, mit dem Ur-Licht vereinigt, wieder hineintaucht in einen Körper, sich wieder verbindet mit einem Körper, mit einem bestimmten Erbstrom natürlich. Und dann muss man fragen: Was hat denn der Betreffende oder die Betreffende, der oder die sich da einkörpert zu tun mit den betreffenden Eltern, mit den Geschwistern, mit dem ganzen Kontext? Ist das einfach ein zufälliges Würfelspiel? Oder gibt es da Bezüge, Beziehungen? Und das wirft natürlich ein ganzes Paket von Fragen auf, auch hinsichtlich der gemeinhin bekannten Psychologie von Mann und Frau, Eltern und Kindern, überhaupt der existenziellen Verankerung und Verortung in der Welt.

Und ein letztes Wort vor der Diskussion zu den sogenannten Reinkarnationstherapien, ein, wie sie wissen, seit über 20 Jahren, 25 Jahren sehr populäres Mittel, an frühere Inkarnationen heranzukommen. Sehr schwer zu entscheiden, was da wirklich passiert. Dass es oft therapeutisch heilend wirkt, ist offenbar unbestritten. Aber es ist äußerst schwer und müsste immer im Einzelfall entschieden werden, welche Dimensionen der Existenz da wirklich zum Tragen kommen. Und da habe ich ein bisschen das Gefühl, dass viele dieses Thema allzu leichtfertig und obenhin behandeln. Die einen sind die totalen skeptics, die lassen überhaupt nicht mit sich reden über dieses Thema oder halten es für diskussionsunwürdig, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Privat dann oder in Todesnähe oder in einer intimen Stunde dann reden sie ganz anders. Aber erst mal in der Öffentlichkeit ist das kein Thema. Und die anderen nehmen sozusagen alles für bare Münze, was [ihnen] da entgegenquillt. Wenn das so wäre, dann … deswegen habe ich das Beispiel Giordano Bruno gebracht, dann hätten wir ja ganz verschiedene Reinkarnationen von Giordano Bruno. Meine Vermutung ist, es stimmt alles nicht, weder Annie Beasant noch Blavatsky, noch die Dame aus München, noch die Reinkarnationstherapie, noch Jochen Kirchhoff, noch … Wen haben wir da noch? Da fehlt noch jemand. Gut, also es stimmt alles nicht. Und da wird es natürlich dann auch schwierig – wenn das nicht stimmt, wo habe ich denn dann die Kriterien? Ich meine die Evidenz, die subjektive Evidenz der Dame aus München oder des Anrufers am Telefon Anfang der 80er Jahre, die war überwältigend, der Mann war den Tränen nahe, hat ungeheure Dinge erzählt. Aber ich hatte gleich das Gefühl, von Anfang an, das Gefühl, das stimmt alles gar nicht. Ich habe seine … , nicht, dass ich glaube, dass er ein Betrüger war, gar nicht, der war vollkommen subjektiv ehrlich. Aber der hat da andere Dinge erlebt. Und vielleicht wirklich kam die Erinnerung, da kamen vielleicht Erinnerungen hoch, aber nicht die konnten nicht so auf den Punkt gebracht werden, das war mir viel zu schnell, viel zu kurz gedacht. Plötzlich sollte das dann dieser Eine sein. Und da war mir überhaupt keine Brücke erkennbar an der Stelle.

Gut, wir haben Zeit hier, um ins Gespräch zu kommen. Auf jeden Fall bis halb zehn, wenn Sie möchten. Und es ist jetzt an Ihnen, jetzt noch Fragen zu stellen oder Kommentare vielleicht, [die] in diese Facetten ein bisschen mehr reingehen können. Ich habe Ihnen jetzt erst mal einen Survey, einen Überblick, gegeben über die Thematik, wie sie sich vielleicht heute im ausgehenden Jahrhundert darstellt, kann man vorsichtig sagen. Wenn hier ein Anthroposoph stünde, würde das einen ganz anderen Charakter haben, ist klar, oder ein tibetischer Buddhist. Er würde die Frage so in der Form gar nicht stellen.

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