Auseinandersetzung mit Sloterdijks „Sphären“

Vorlesungsreihe:

„Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 25

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Ja, da ging es ja um die Frage einer grundlegenden Diagnose der Jetztzeit, der Gegenwart, der zeitgenössischen, modernen, postmodernen ‒ wie immer ‒ Bewusstseinsverfassung im ausgehenden 20. Jahrhundert. Was wir hier machen, als einer Parallelveranstaltung in gewisser Weise, hat auch damit zu tun, obwohl es direkt in den Themen ja nicht auftaucht. Ich spreche ja nirgendwo direkt von einer Zeitdiagnose, obwohl implizit natürlich bei all diesen Themen immer auch ein Stück Zeitdiagnose im Spiel ist, wie denn auch anders. Die Frage nach Kosmologie, nach Mensch-Natur-Verhältnis, Mensch-Kosmos-Verhältnis ist ja immer auch eine Frage der modernen, postmodernen Bewusstseinsverfassung und insofern hat sie immer auch zu tun mit Zeitdiagnose. In gewisser Weise dann auch mit dem nächsten Schritt einer möglichen Therapie. Das ist natürlich besonders schwierig.

Wie kann man eine Therapie formulieren, die über eine Aufforderung, sagen wir mal, zu einem wie immer beschaffenen Aktionismus hinausgeht, wieder mal zum hundertsten Mal bestimmen, wenn ich zum zweihundertsten Mal, ließ ich den Satz von Karl Marx auf mich wirken, im Aufstieg hier hoch [zum Vorlesungsraum, die Aussage bezieht sich auf den nachfolgenden Satz von Marx, der im Gebäude zu lesen ist] und dachte immer wieder, er stimmt nicht. „Die Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Das ist auf einer, sagen wir mal, vordergründigen Ebene, vollkommen richtig, das ist klar. Also, in erster Lesart ist dem Satz nichts entgegenzusetzen. Die einen reden und denken, die anderen handeln. Auf der anderen Seite aber ist natürlich, und das wusste Marx sehr genau, gerade sein Beispiel ist ja sehr signifikant, ist natürlich jede Interpretation von Welt eine philosophische Interpretation, Deutung von Welt, der Erde, des Kosmos, des Menschen-Kosmos-Verhältnisses, ist immer auch eine geistige Tat, ist in diesem Sinne ein reales Geschehen. Geschichte ist immer auch, was immer sie sonst noch ist, die Geschichte von Ideenkriegen. Das kann man festhalten, ohne eine allzu kühne Interpretation der Geschichte hier zu liefern. Geschichte ist immer auch die Geschichte von Ideenkriegen, in der einen oder in der anderen Form. Und das zeigt gerade auch das 20. Jahrhundert auf eine sehr deutliche Weise. Insofern ist jede Deutung eine Tat und deswegen ist im Grunde genommen auch die fast schon leidige Frage, die immer wieder auftaucht: Ja wenn wir diese oder jene Einsicht gewonnen haben, wie lässt sich das umsetzen? Was mache ich nun, morgen, übermorgen, in einem Jahr, in zwei Jahren? Auch die Frage ist verständlich, aber auch wieder zu kurz gefasst, weil eine wirkliche Idee im Kontext dieses Ideenkrieges, deren Zeit gekommen ist, ist notwendig stark, wird sich notwendig früher oder später in der einen oder anderen Form, auf der einen oder anderen Ebene durchsetzen. Das muss nicht morgen sein oder übermorgen oder in 10 Jahren. Aber wenn mich meine Betrachtung der Geistesgeschichte nicht fundamental täuscht, dann ist das in den mir überschaubaren Fällen immer so gewesen. Und insofern, es ist kurz, zu kurz gegriffen, wenn man sagt: Ja, was folgt daraus? Wie setze ich das um? Wenn die Idee stark ist, wenn der Zeitpunkt stimmt, wenn der Kairos, altgriechisch gesehen, richtig ist, dann wird diese Idee auch ihren Weg gehen und wird sich dann auch in irgendeiner Form materialisieren. Und dann natürlich in ein Wechselverhältnis treten, das ist klar. Das muss man natürlich bei all diesen Fragen immer berücksichtigen, dass weiß im Grunde auch Jeder, dass es natürlich ein Wechselverhältnis gibt zwischen den Materialisierungen, die irgendwann eigene Trägheitskräfte entfalten und den Ideen.

Es kann eine Idee jahrhundertelang eine ungeheure Schubkraft entfaltet haben und hat sich so institutionalisiert und so materialisiert, dass die neue, andere Idee ganz große Schwierigkeiten hat, gegen diese Apparate in irgendeiner Form aufzutreten. Und auch dafür gibt es interessante Beispiele. Und gerade heute, bei dem Thema heute, ist das besonders augenfällig. Ich habe ganz bewusst mal, was ich ja sonst nicht mache, in den Ankündigungen der Vorlesungen einen anderen Philosophen und ein Werk eines anderen Philosophen mit in die Titelzeile reingenommen. Ich sag noch mal, das habe ich nicht getan, weil Sloterdijk nun wahrscheinlich der bekannteste und umstrittenste zeitgenössische Philosoph geworden ist, durch diese Debatte, die im Sommer und Spätsommer und Frühherbst losgetreten wurde, das wusste ich damals nicht, als ich die Konzeption gemacht habe. Allerdings war mir bekannt, dass Sloterdijk sicherlich der auflagenstärkste Philosoph der letzten fünfzig Jahre ist, was immerhin ein Signal ist, ein so hoch schwieriges, hoch differenziertes und wirklich nicht einfach zu durchdenkendes, mehr-als-tausend-Seiten-Buch, wie die „Kritik der zynischen Vernunft“ von 1983 hat sich immerhin, so prahlt Sloterdijk in einem Tagesspiegel-Interview, sag ich mal wohlwollend, 120.000 Mal verkauft. Das ist für ein philosophisches Buch enorm, also geradezu schwindelerregend. Man muss vielleicht fragen: Wie oft ist das Buch wirklich gelesen worden? Dann kommen wir wahrscheinlich zu ganz anderen Zahlen. Aber es dürfte bei doch recht vielen im Bücherschrank gestanden haben.

Das gilt auch für dieses monumental dreibändige Werk, von dem mittlerweile erst zwei Bände erschienen sind, der „Sphären“. Ich habe hier den Band in der Hand, über tausend Seiten, „Sphären II – Globen“, erschienen im Frühjahr. Im letzten Jahr erschien Sloterdijks „Sphären I – Blasen“. Im Frühjahr 2000 soll das längst fertiggestellte Werk erscheinen „Sphären III – Schäume“. Es ist klar, dass in dieser Diskussion natürlich auch die Bücher ins Spiel kamen, und vielleicht, ich weiß es nicht, jetzt einen Aufwind erfahren. Auch hier ist es so, dass ich festgestellt habe im Gespräch mit Menschen, die ich kenne, dass zwar der Titel sehr bekannt ist, aber kaum einer hat es wirklich gelesen, allenfalls drin rum gelesen oder rumgeblättert oder kennt so einige vage Ideen daraus. Dabei erschließt sich das Buch nur, und man hat auch den Gewinn davon, wenn man es wirklich ganz liest. Es gibt einfach Bücher, die kann man nicht diagonal lesen, ganz abgesehen von der ganz eigenen Sprache, die Sloterdijk entwickelt hat. Er sagt auch in einem anderen Interview, er habe für diese beiden Bücher eine ganz eigene Sprache entwickelt, die einfach nicht die des Nachrichtensprechers ist. Philosophie kann überhaupt nicht im Jargon der Alltagssprache und des Nachrichtensprechers Wirklichkeit werden. Das ist auch wichtig für das Thema überhaupt der Vorlesung. Deswegen muss ich das noch vorausschicken.

Man kann nur mit gewissen Abstrichen, philosophische Gedanken runterschrauben oder übersetzen in eine für Jedermann, sag ich mal, jede Frau, verständliche Form. Das geht nur bis zu einer bestimmten Grenze, und das ist gerade im Falle von Sloterdijk besonders schwierig, weil er die Dinge nicht von ungefähr in einer bestimmten Form formuliert. Wenn man diese Form außer Acht lässt und versucht, das zu paraphrasieren in der eigenen simplen Sprache, kommt was ganz anderes heraus. Und das ist auch einer der Gründe für diese enorme Debatte, die er losgetreten hat, die alles in den Schatten stellt, was sich in den letzten 50 Jahren, das kann man wirklich sagen, auf philosophischem Gebiet ereignet hat, weil in dieser berühmten Rede bestimmte Formulierungen enthalten sind, die in einem bestimmten Kontext stehen.

Diese Formulierungen herausgelöst aus dem Kontext, besonders da, wo Sloterdijk bewusst provokativ Tabu-Begriffe verwendet, ganz bestimmte Tabu-Begriffe in einer schillernden, einer changierenden, fluktuierenden Form neu fasst, waren die Missverständnisse vorprogrammiert. Sie wissen das vielleicht, es gab ja nur zunächst Mitschriften der Rede, es gab ja gar nicht den Text. Der ist erst sehr viel später dann in der „ZEIT“ veröffentlicht worden. Und dann, von einem bestimmten Punkt an konnte man ihn auch im Internet abrufen. Zunächst gab es ja nur Mitschriften und lange bevor irgendeiner die Möglichkeit hatte, den Text zu lesen, war er schon in der einschlägigen Presse, vor allen Dingen in der „ZEIT“ und im „Spiegel“. Dieser Text [ist] als ein quasi faschistischer abqualifiziert worden. Nicht, aufgrund dieser zugegebenermaßen mehrdeutigen, missverständlichen, in gewisser Weise auch literarisch-provokativen Formulierungen. Das ist wichtig. Und viele Interpreten haben sich in der Debatte selbst als Schlecht-Leser, sage ich mal, geoutet, weil sie offenbar nicht in der Lage waren oder sind, auch nur eine, sagen wir, saubere Philologie zu betreiben, von Philosophie gar nicht zu sprechen. Da ist ein Text, den Text kann man lesen, den Text kann man interpretieren, den Text kann man bis zu einem bestimmten Grade auch verstehen, wenn man sich wirklich der Mühe unterzieht, ihn gründlich zu lesen. Nicht, von vornherein, bei bestimmten Begriffen, die zugegebenermaßen bewusst provokativ eingesetzt werden, gleich einen ganzen, sagen wir mal, moralischen Film ablaufen zu lassen, als ob es bestimmte Tabus gäbe, die einfach nicht angerührt werden dürfen. Das wäre ein eigenes Thema. Ich will das nur vorab sagen, das ist nicht das Thema der Vorlesung heute.

Mir geht es wirklich um das philosophische Buch von Sloterdijk und um die Idee der Sphären und nicht um diese Debatte. Ich will das nur noch einmal erwähnen. Ich empfehle Ihnen dringend, wenn Sie das wollen, wenn Sie Internet-Zugang haben, diese Rede wirklich, wie man so schön neudeutsch sagt, herunterzuladen, oder wie das heißt. Also dass Sie die Rede, wenn Sie es überhaupt interessiert, wirklich lesen und nicht der unsäglichen Presse- und Mediendebatte auf den Leim gehen, sondern wenn schon, dann richtig. Ich finde schon, dass es sich lohnt. Man muss ja damit überhaupt nicht übereinstimmen. Man kann da ganz andere Positionen haben, kann sagen, das stimmt überhaupt nicht, das sollte und das darf man nicht so sagen, oder es ist falsch, halb gedacht, oder Sloterdijk selber weiß gar nicht, was er meint, weil viele Formulierungen so undeutlich sind. Alles legitim, aber das A und O erst einmal der Interpretation wäre eine genaue Lektüre. Das finde ich wichtig. Das macht man doch auch sonst. Man kann doch nicht Philosophie betreiben mit einer schlechten Philologie, wie Nietzsche immer wieder sagt. Apropos, Interpretation der Welt, er sagt: Die Interpreten der Welt sind meistens schlechte Philologen, weil sie den Welt-Text schlecht und oberflächlich deuten. Und das ist wichtig, dass man erst mal den Welt-Text als Philosoph so aufmerksam wie möglich liest, und das heißt auch den Text etwa der modernen Bewusstseinsverfassung, womit wir gleich beim Thema sind.

Diagnose und Therapie der herrschenden Bewusstseinverfassung. Ich will nur eins sagen, ich habe in dem Thema, das habe ich vergessen vorhin, das wollte ich sagen, da hat es doch Kugeln, Kreise, Spiralen, kosmologische, psycho-kosmologische Idee der Sphären. Ich will das mit den Spiralen hier weglassen. Ich will das verlagern auf den 4. Januar 2000, wenn ich spreche über Wirbel-Bewegungen, ausgehend von bestimmten Überlegungen zur Naturphilosophie des Wassers, dann will ich auch die Frage der Spiralen und der Spiral-Bewegung als einer Überlagerung von sphärischen und radialen Bewegungen verdeutlichen. Das will ich hier nicht bringen, nur zur Orientierung, ich will mich jetzt tatsächlich beschränken auf die Frage der Sphären bzw. auf die Frage der Kreise oder Kugeln. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als ob die Frage nach den Sphären, „sphaera“ heißt ja griechisch Kugel, eine rein historische wäre. Man weiß, auch der Halbgebildete oder Viertel- oder Achtel-Gebildete, hat irgendwann mal gehört, aha, die Platoniker haben doch die Kugel als die forma perfectissima betrachtet, wie es im Mittelalter dann hieß, die perfekte Form. Nicht, das haben viele gehört und glauben kaum, dass das Thema in irgendeiner Form noch eine Relevanz hätte außerhalb einer historischen Dimension. Das ist nicht so. Das Thema der Sphäre hat eine erstaunliche Aktualität, wenn man es mit der modernen Bewusstseinsverfassung zusammenschließt. Sloterdijk bemüht sich in verschiedenen Teilen seines Buches, keineswegs konsequent und nicht immer überzeugend, aber immer wieder diese Bewusstseinsverfassung der Gegenwart auf den Punkt zu bringen. Da gibt es erstaunliche Übereinstimmungen übrigens mit mir, ich weiß es nicht, ob er Sachen von mir gelesen hat. Letztes Mal habe ich gesagt, dass sei nicht der Fall. Derweil habe ich ihm ein neues Buch zugeschickt mit einem Begleitbrief, bisher noch nichts gehört von ihm, wir werden sehen. Ich habe aber nochmal beim Nachlesen einiger Stellen, ich habe das im Sommer gründlich durchgearbeitet, nochmal beim Nachlesen einiger Stellen jetzt in diesen Tagen festgestellt, dass einige Passagen erstaunlich erinnern an dieses Kopernikus-Büchlein in Teilbereichen, so dass ich fast den Verdacht habe, dass er das kennt, obwohl kein Literaturverzeichnis existiert und die Literaturangaben nur in Fußnoten vermerkt werden, da taucht es nicht auf. Und zwar sagt Sloterdijk, ich will das mal formelhaft an den Anfang, als eine Art Paraphrase an den Anfang stellen und dann anhand seiner Aussagen verdeutlichen. Sloterdijk sagt auf eine Kurzformel gebracht:

Die moderne Bewusstseinsverfassung, an der wir alle mehr oder weniger leiden, die uns eigentlich ständig beschäftigt, ob wir es wollen oder nicht, ist primär eine solche einer fundamentalen Raumkrise. Ich werde das gleich erläutern, sagt Sloterdijk mehrfach: Das ist eine Raumkrise. Und zwar führt er das zurück auf die ontologische Grundfrage, die man ja stellen kann und auch eigentlich stellen müsste: Wo sind wir? Ganz banal: Wo sind wir? Was ist unser Ort in der Welt, unser Ort, unser menschlicher Ort des Einzelnen und der Menschheit als kollektives Subjekt? Was und wo ist unser menschlicher Ort in der Welt? Und wie sind wir kosmologisch und psycho-kosmologisch verortet? Wo sind wir? Und da sagt er, dass der Mensch eigentlich, und da bezieht er sich auf Nietzsche zurück, gar keinen Ort mehr hat. Er bewohnt zwar in gewisser Weise diese Erde, diesen Globus, aber in einem ontologisch-metaphysischen Sinne ist dieser Raum, der einst ein Sphären-Raum war, der das Gestirn umhüllt hat, etwa in der Antike, noch weit darüber hinaus, also dieser Sphären-Raum ist zerstört worden, und da draußen ist gähnende, zermalmende, eisige Leere. Und er interpretiert das Schlagwort der Globalisierung dahingehend, dass er sagt, die Globalisierung ist ein letzter Versuch in gewisser Weise, diese alte Sphären-Metaphysik auf einer neuen Ebene wiederzugewinnen.

Man spricht von Globalisierung und denkt, wie er sagt, semi-metaphysisch, also halb metaphysisch, die alte Kugel mit. Er nennt das dann die letzte Kugel, nämlich die Erde, die letzte Kugel, die den Menschen in irgendeiner Form etwas angeht. Und da gibt es einige ganz wunderbare Passagen. Ich will mal einige Passagen Ihnen zeigen, die den Versuch machen, diese Bewusstseinsverfassung auf den Punkt zu bringen. Das muss ich zitieren. Wenn ich es paraphrasiere, dann kommt das, was in der Differenzierung der Formulierung drin steckt, so nicht voll zum Ausdruck. Deswegen einige Passagen einmal, die sich in verschiedenen Teilen dieses Buches finden. Er teilt das nicht ab, indem er sagt, jetzt spricht er über die Kosmologie, über die Bewusstseinsverfassung heute und dann über die Sphäre, sondern das taucht bei ihm ständig auf. Man muss diese Stellen raussuchen aus diesem großen Werk. Ich gebe Ihnen mal einige Stellen aus dem Mittelteil, betitelt „Der ontologische Kugel-Beweis“, dazu sage ich gleich Einiges. Es gab den gab Versuche in der Philosophie, die Kugel ontologisch, d. h. vom Sein aus als die ideale Form nicht nur zu postulieren, sondern zu begründen. Es gab viele Versuche zu beweisen, wenn das Welt-Ganze eine Form hat, dann kann sie nur Kugelform sein und eben kein Kubus oder sonst etwas sein, sie muss und kann nur eine Kugel sein.

Kapitel 4, „Der ontologische Kugel-Beweis“: „Das von Pascal, dem Jesuiten und Mathematiker, charakteristisch beschworene neuzeitlich atheistische Gefühl, ‒ Zitat Pascal: ,Das ewige Schweigen der unendlichen Räume versetzt mich in Schrecken.’“ Sie kennen das vielleicht, berühmte Passage von Pascal ‒ „das vom siebzehnten Jahrhundert an die schönen Seelen eskortierte, eine komplexe Vorgeschichte, die sich mit den Mitteln einer Theorie der Sphären, Katastrophen und der erworbenen psycho-kosmologischen Immunschwäche in Umrissen rekonstruieren ließe.“ In Umrissen, also die Sphären-Katastrophe entspricht einer psycho-kosmologischen Immunschwäche. Auch das ein Begriff, der in der öffentlichen Debatte eine ungeheure Rolle gespielt hat, dass Sloterdijk den Begriff des Immunsystems, ein medizinischen Begriff, auf Kulturen, auf Epochen überträgt, ohne dass er das in irgendeiner Form biologistisch verengt, also, „die sich mit den Mitteln einer Theorie der Sphären-Katastrophen und der erworbenen psycho-kosmologischen Immunschwäche in Umrissen rekonstruieren ließe. Die Geschichte der empirisch erworbenen Weltängste“ ‒ gibt es ja ‒ „unterschiede sich von einer allgemeinen Geschichte des verletzten Lebens darin, dass sie die Störungen der psycho-kosmischen Immunsysteme zum Gegenstand hätte. Sie handelt von Verschleppung, Exil, Entfremdung und vom Dasein in der inneren Burg der Trennungen.“ Immer wieder bringt er zum Ausdruck, dass die Lage des Menschen innerhalb der modernen Bewusstseinsverfassung die des Exils ist. Sie wissen das vielleicht von einigen meiner Schriften, dass das bei mir auch verschiedentlich auftaucht, unabhängig von Sloterdijk und lange vor diesem Buch, die Vorstellung von einem kosmischen Exil, in das sich der Mensch selber in irgendeiner Form hineinbegeben, hineinkatapultiert hat. „Sie unterscheidet sich zugleich von der Geschichte des Unbehagens in der Kultur ‒ Freud ‒ darin, dass sie nicht so sehr Triebverzicht thematisiert, als vielmehr Form-Entzug. Es müsste hier nicht von Trieb-Schicksalen, sondern von Raumgefühl-Schicksalen, weniger von Beziehungskrankheiten als von Raumkrankheiten der Seele die Rede sein.“ Das habe ich schon angedeutet mit der Formel von Der Raum-Krise. Und eine der stärksten Passagen zu diesem Punkt findet sich im Schlussteil des Buches, in dem letzten Kapitel „Die letzte Kugel“. Ich darf mal auch hier eine Passage vorlesen aus dem Unterabschnitt „Rückkehr zur Erde“. Vielleicht noch vorab. Da setzt sich Sloterdijk anhand einer Schilderung von Alexander von Humboldt aus seinem berühmten Bestseller „Kosmos“, setzt sich also mit einer berühmten Stelle aus diesem Buch „Kosmos“ auseinander, das einer Imagination entstammt, wie es wäre, wenn man die Erde von außen sieht, was damals nur eben mittels der Imagination möglich war. Jeder Globus, den irgendein Gelehrter oder ein Schulkind auf seinem Schreibtisch hatte, zeigte ja schon lange vor der Astronautik immer wieder den Blick auf das Ganze dieser Kugel. Und davon geht er aus, von dieser Überlegung, und entwickelt dann die Gedanken, dass der Blick von außen, als Blick auf einen überschaubaren Globus bereits die Hüllenlosigkeit des modernen Subjekts im All zeigt, letztlich schon sein kosmisches Exil. In ganz anderer Form habe ich das ja in dem Buch „Was die Erde will“ in einem kleinen Abschnitt verdeutlicht, der heißt „Welch Schauspiel, aber ach, ein Schauspiel nur, nach Goethe, warum der Astronaut den Blick auf die Erde möglicherweise in die Irre führt“. „Rückkehr zur Erde“. Aus dem letzten Kapitel dieses Buches:

„Folgerichtig sind es in der Neuzeit nicht mehr die Metaphysiker, sondern die Geographen und die Seefahrer, denen die maßgebliche Weltbildaufgabe zufällt. Ihre Mission ist es, die letzte Kugel im Bild zu präsentieren. Von allen runden Großkörpern kann der schalenlosen Menschheit“, also der ihrer Sphären beraubten Menschheit, „nur der eigene Planet noch etwas bedeuten, die Weltumsegler, die Kartographen, die Konquistadoren, die Weltkaufleute, ja sogar die christlichen Missionare und ihr Nachtrab aus Entwicklungshelfern und aus Touristen, die Geld für Erlebnisse auf fernen Schauplätzen ausgeben. Sie alle verhalten sich aufs Ganze gesehen so“, also auch der moderne Tourist, der von all diesen Dingen gar nichts weiß und vielleicht auch gar nichts wissen will, „verhalten sich aufs Ganze gesehen so, als hätten sie begriffen, dass die Erde selbst es ist, die nach der Dekonstruktion des Himmels dessen Funktion als letzter Großrundung zu übernehmen hatte.“

Er stellt dar, und das ist hochinteressant, das will ich hier einschieben, dass ungefähr um die Mitte des 19. Jahrhunderts herum ein eigenartiger Wechsel passiert ist. Und zwar haben bis dahin seit der Renaissance bis in die Bürgerstuben hinein immer zwei Globen existiert, der Himmels-Globus und der Erd-Globus, was man heute noch in einigen Geografie-Büchern der Schüler sehen kann, wenn man das aufschlägt vorne oder ganz hinten, also bis in die Bürgerstuben hinein gab es zwei Globen. Es gab immer den Himmels-Globus, den Blick gleichsam auf das Ganze, wie es sich darstellt, natürlich, erst einmal, geozentrisch, das heißt von der Erde aus gesehen, mit den Sternbildern, den geozentrisch verfolgbaren Bewegungen und so weiter. Und dann eben die Erde daneben. Aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts verschwindet rätselhafterweise dieser Himmels-Globus, und das ist ein kulturgeschichtliches Faktum, an dem nicht zu zweifeln ist, dass aber bis dato noch von Niemandem so interpretiert worden ist, wie das Sloterdijk tut. Er meint nämlich, dass mit diesem Verschwinden des Himmels-Globus aus den Bürgerstuben, das bis dahin niemand erklären konnte, letztlich auch der Himmel als eine bergende Sphäre, als eine bergende Schale, als eine in irgendeinem Betrachte als Heimat anzusprechende Sphäre verschwunden ist. Das heißt also, der letzte Schritt getan ist zu der Hüllenlosigkeit des modernen Subjekts. Ganz andere Frage, ob diese Hüllenlosigkeit nicht selber eine Illusion ist, was ich ja seit Jahren versuche auch zu zeigen. Das Ganze ist noch wesentlich subtiler und differenzierter gebaut, aber erst einmal phänomenologisch kann man zeigen, die Himmelskugel verschwindet. Das zeigt sich sogar im Begriff „Kosmos“. Der Begriff „Kosmos“, letztes Mal hab ich drüber gesprochen, wird teilweise verengt auf die Erde. Wenn Alexander von Humboldt in seinem berühmten Bestseller „Kosmos“ von Kosmos spricht, dann meint er nicht das All, er meint die Erde. Das zeigt sich noch in dem Begriff „Kosmopolit“, das ja nicht unbedingt den Weltall-Bürger meint, sondern den Erden-Bürger, jenseits der nationalen Grenzen. Der Kosmopolit ist der die Erde ganz bewohnender Mensch, jenseits der regionalen und nationalen Begrenztheit, aber nicht unbedingt der Kosmos-Bewohner. Das ist etwas anderes.

Und diese Verschiebung der Bedeutung kann man schon im Hellenismus, also in einigen Jahrhunderten vor Christus, nach Platon, Aristoteles verfolgen. Sehr eigenartig, dass schon da eine gewisse Verschiebung stattgefunden hat. Denken Sie an die Zeitschrift „Kosmos“, das ist eine Zeitschrift über Natur, Flora, Fauna auf dieser Erde. Die physisch reale Erde als unregelmäßig gewölbter, unberechenbar unebener, chaotisch gefalteter und geriffelter Körper galt es im Ganzen zu umrunden und zu erfassen. Darum musste das neue Erdbild, der terrestrische Globus, zur Leitikone der neuzeitlichen Weltanschauung aufsteigen, wie heute, wie ich ja verschiedentlich gesagt habe, das Bild der Erde aus astronautischer Perspektive eine Art Ikone des Zeitalters wirklich darstellt.

Eine Ikone, die sowohl sentimentale Gefühle auslöst, die Erde als zartes Gebilde inmitten der grausigen Kälte und Weite des Alls, aber auch Gefühle des Öko-Management wachruft, wenn das so ist, wenn wir das als Ganzes sehen und erfassen, dann können wir es auch in irgendeiner Form technokratisch bewältigen. „Vom Nürnberger Behaim-Globus von 1492“ ‒ dem Jahr der Amerikaentdeckung durch Kolumbus ‒ „dem ältesten erhaltenen Exemplar seiner Art bis zu den aktuellsten NASA-Erdphotogrammen, ist der kosmologische Prozess der Moderne geprägt von den Gestaltwandlungen und Präzisierungen des Erdbildes in seinen diversen technischen Medien.“ Das geht ja heute so weit, das wissen Sie, dass in vielen Fernsehsendungen, die global … das Bild des Globus wie selbstverständlich dabei ist, sodass man immer den Blick aufs Globale hat. Etwa im Beginn der ZDF-Nachrichtensendung sieht man dann einen stilisierten, einen technischen Globus und um diesen Globus mit irgendwelchen Klängen untermalt Kreise, Ringe, die sich drehen. Das ist die letzte, man könnte sagen, die platteste und abgeflachteste Version, technische Version, gleichsam Cyberspace-Version der alten Sphären, weil archetypisch in der Tiefe der Seele, der Mensch immer noch irgendwie davon angesprochen wird, auch wenn er längst mental glaubt, meint, fühlt, annimmt, das sei alles längst obsolet. „Zu keiner Zeit aber, nicht einmal im Zeitalter der Raumfahrt konnte das Unternehmen, die umrundete Erde zu visualisieren, seine semi-metaphysische Qualität verleugnen“, das hab ich ja schon angedeutet. „Wer nach dem Untergang des Himmels“, also in diesem alten Sinne Himmel, „das Porträt der ganzen Erde versuchen wollte, stand wissentlich oder nicht in der Tradition der alt-abendländischen metaphysischen Kosmografie. Der simpelste Globus-Hersteller, genauso alle diejenigen, die diese Bilder ins kollektive Bewusstsein einspeisen, stehen unbewusst noch immer in dieser Tradition und das ganze Unterfangen ist quasi semi-metaphysisch. Symptomatisch hierfür ist, dass noch Alexander von Humboldt es wagen konnte, seinem Opus Magnum, das zwischen 1845 und 1862 in fünf Bänden erschien ‒ die letzten davon posthum ‒ und zum prominentesten Wissenschafts-Bestseller seines Jahrhunderts aufstieg, den offen anachronistischen Titel „Kosmos“ zu geben. Es war, wie man rückblickend erkennt, die historische Chance, diese monumental-holistische physische Weltbeschrei­bung durch die Mittel der Bildung zu kompensieren, was der Verlust des Firmaments und der kosmischen Cloture den neuzeitlichen Europäern angetan hatte.“ Also, der Verlust der transzendenten metaphysischen Grundorientierung des Menschen, dass die letztlich verloren gegangen ist, ist fast platt, fast banal zu sagen. Aber man musste sich immer wieder vor Augen führen, wenn man überhaupt das Unterfangen versucht, die moderne Bewusstseinsverfassung zu verstehen, wenn man gleichsam in die Eingeweide des moder­nen Geistes hineingehen will, dann muss man an diese Fragen rühren, auch wenn diese Fragen merkwürdigerweise fast in der öffentlichen Debatte Tabu-Fragen sind und selten gestellt und selten direkt auf den Punkt gebracht werden.

„Die Menschen wissen jetzt, damals schon, heute noch mehr, was immer jetzt Wissen meint, die Menschen wissen jetzt, dass sie irgendwo im Grenzenlosen enthalten oder, was jetzt dasselbe bedeutet, verloren sind. Denn was sollte noch in diesem so vorgestellten Raum, ob er nun real oder imaginativ projektiv ist, der Mensch noch für einen wirklichen Ort haben. Dann kann ja nur dieser Globus, die Erde der einzige Bezugsort sein. Der Rest kann, in gewisser Weise, darf den Menschen dann nichts angehen, weil da hat er in gewisser Weise nichts zu suchen. Sie begreifen mit der Zeit, dass sie sich auf nichts so sehr verlassen können wie auf die homogene Gleichgültigkeit des infiniten Raums.“ Das ist auch wichtig, dass ja zur modernen Bewusstseinsverfassung gehört, dass der Mensch hineinkatapultiert worden ist in eine Bewusstseinsverfassung, wo ihm nun ein Raum entgegenatmet und nicht nur in eisiger Kälte, sondern auch ein Raum, der ihn eigentlich gar nicht meint, der ihn nicht betrifft, der ihn nicht wirklich als Mensch umschließt, der nicht wirklich einschließt, sondern der ihn eigentlich in eine trostlose Isolation verdammt.

„Seit Kopernikus rollt der Mensch aus dem Zentrum ins X“, heißt es formelhaft bei Nietzsche. „Sie begreifen mit der Zeit, dass sie sich auf nichts so sehr verlassen können wie auf die homogene Gleichgültigkeit des infiniten Raums.“ Giordano Bruno hat das vollkommen anders gesehen. Das kann man auch anders sehen. Aber erst einmal geht es hier um die kollektive Bewusstseinsverfassung und nicht, wie es hätte anders sein können. Das ist wichtig, dass man das erstmal sieht. „In diesem ist der gemütliche Anteil vernichtet. Das Außen dehnt sich am Ort des Menschen vorbei als eine fremde Größe eigenen Rechts in sich selber aus. Es scheint sein erstes und einziges Prinzip zu sein, mit Menschen nichts im Sinn zu haben.“ Der Raum als gewissermaßen tote Erstreckung, als abgründiges immer weiter, immer weiter, ohne einen metaphysischen Sinnbezug zum Menschen. „Die Einbildungen der Sterblichen, draußen etwas suchen zu sollen, man denke an die Raumfahrt-Ideologien der Amerikaner und Russen, bleiben notwendigerweise sehr labile entmutigbare, wesenhaft autohypnotische Projekte vor dem Hintergrund von Sinnlosigkeit. In jedem Fall gilt, dass der veräußerlichte Raum die Ur-Gegebenheit der neuzeitlichen Naturwissenschaften sei. Aber auch den Wissenschaften vom Menschen liefert der Satz vom Vorrang des Außen ihr Axiom.“

Einige oder vielleicht auch viele werden sich erinnern, dass ich ja wiederholt in dem Zusammenhang, wenn ich von der Bewusstseinsform heute spreche, eine Formel verwende, die einen ähnlichen Charakter hat, schon vor Jahren verwendet habe. Ich sage ja, dass der moderne Mensch in gewisser Weise abgestürzt sei auf die Betondecke des puren Außen. Ich meine das in einem umfassenden metaphorischen Sinne. Der Mensch ist abgestürzt auf die Betondecke des puren Außen. Alles Innen wird immer letztlich als Außen hingestellt. Alle Innenwelten des Menschen werden konsequent reduktionistisch, das wissen Sie alle, denken Sie an die moderne Neurophysiologie, zurückgeführt auf materiell-energetische Vorgänge. Das heißt, damit sind alle Innenwelten als eigene ontologische Größen verdunstet erst einmal im kollektiven Bewusstsein. Das ist nur subjektiv, was der Einzelne glaubt, meint, fühlt, das kann er, das wird ihm nicht abgesprochen. Aber von der Gesamtheit der Bewusstseinsverfassung [her] hat das keine ontologische Wirklichkeit.

Auch das ist ein, kann man sagen, ein furchtbarer, ein deprimierender, ein schockierender Tatbestand. Verständlich, dass dagegen natürlich Fundamentalismen aller Richtung, aller Religionen Sturm laufen, natürlich genau das immer wieder anpreisen. Ich war auf der Buchmesse und da hielt einer einen Vortrag über eine Neuübersetzung des Koran und dieser selbe Herr hat auch ein Buch geschrieben, das wohl Aufsehen erregt hat, ich habe es nicht gelesen: „Islam als Alternative“. Er sagte auch in seinem Vortrag: Das Abendland hat die metaphysische Dimension eingebüßt, hat durch Aufklärung, Wissen­schaft und so weiter diese Dimension eingebüßt, das ist alles abgeräumt worden und mit wohlgesetzten Worten meinte er dann, der Islam sei eigentlich die Alternative, also hier ein plötzlich, so schlagartig, ein fundamentalistisches Konzept als Rettung für die verfahrene Moderne.

Das kann es nicht sein, glaube ich. Aber es ist verständlich erst einmal, dass solche Konzepte dann auch aus den verschiedensten Richtungen auftauchen. Genau den Punkt immer wieder anvisieren. Letztes Stück noch hier. „Was die terrestrische Globalisierung, von der ja ständig die Rede ist, wirklich bedeutet, enthüllt sich, wenn man in ihr die Geschichte einer raumpolitischen Entäußerung erkennt. Eine raumpolitische Entäußerung, die für die Gewinner unerlässlich, für die Verlierer, wie wir wissen, unerträglich, für alle gemeinsam unvermeidlich zu sein scheint. Die letzte metaphysische Information des zu handelnden Erd-Globus an seine Benutzer hatte von Anfang an gelautet, dass alle Wesen, die seine Oberfläche bevölkern, in einem absoluten Sinne draußen sind,“ also hinaus gepeitscht worden sind in dieses Außen, was ich nenne: Abstürzen auf die Betondecke des Außen, „auch wenn sie sich nach wie vor in Paarungen, Wohnungen und kollektiven Symbolhüllen, Systemiker würden sagen in Kommunikationen, zu bergen suchen. Solange die Denkenden angesichts des offenen Himmels den Kosmos als ein solides Gewölbe meditierten, so unermesslich es erscheinen mochte, blieben sie vor der Gefahr geschützt, sich an einer absoluten Äußerlichkeit zu erkälten. Nicht, solange immer noch diese sphärenen, sphäroiden Schalen in irgendeiner Form sich bergend um die Erde legten, das muss man nicht eng geozentrisch denken oder vor-kopernikanisch, auf jeden Fall solange das noch da war, war der Mensch geschützt vor dem eiskalten Anhauch, was auch schon Nietzsche sagt in der „Fröhlichen Wissenschaft“, dieses unermesslichen, kalten, den Menschen gar nicht meinenden Raumes. „Noch war ihre Welt das Haus, das nichts verliert. Seit sie aber den konkreten Planeten, den kleinen Irrstern, der Klimata, Faunen und Kulturen verschiedenster Art trägt, umrundet haben, also haben nun alles, der Globus, den haben sie quasi in der Hand, sie zeigen ihn ständig vor, sie haben ihn, er ist beherrschbar, er ist anschaubar, klafft über ihnen ein Abgrund auf, durch den sie, wenn sie die Augen heben, in ein eisiges Außen hinaus blinzeln. Ein zweiter Abgrund tut sich vor ihnen auf in den Kulturen ferner Erdteile.“ ‒ und so weiter.

Also, dann heißt es hier noch an einer Passage, die ich noch kurze dazunehme. „In diesem Sinne ist die Geschichte der Neuzeit zunächst nichts anderes als die Geschichte einer Raum-Revolution ins Außen.“ Das finde ich eine sehr prägnante Formel, also die Geschichte, die geistige Geschichte der Neuzeit als die Geschichte einer Raum-Revolution ins Außen. Es ist, wenn man das verfolgt und das mal als eine Hypothese gelten lässt, die aber durchaus Einiges für sich hat, also wenn man diese Hypothese verfolgt, dann kommt man dazu, zu sehen das tatsächlich alle Innenwelten, die Menschen gehegt haben, kollektiv, kulturell, immer mehr ausgesetzt dem kalten Windhauch eines Raums, der sie nicht meint, zerfetzt sind, sich aufgelöst haben, verdunstet sind. Also eine Hüllenlosigkeit des Menschen, der nun vollkommen zurückgeworfen auf sich selbst, im extremsten Falle nur noch seinen mehr oder weniger interessantes Privatleben kultivieren kann, weil nichts weiter da ist. Übrigens, das ist nun ein Punkt, der offen bleibt, weil Sloterdijk im dritten Band, hat er noch nicht veröffentlicht, den er „Schäume“ nennt, wo er dann auch den Versuch macht, das jedenfalls kündigt er an, man weiß es nicht, weil man kann den dritten Band ja erst ab März April 2000 dann lesen, kündigt er an, dass er den Versuch macht, sich diesem Faktum zu stellen, das nicht zu beschönigen, nicht schön- oder kleinzureden, das wirklich ernst zu nehmen, dass der Mensch wirklich in der Hüllenlosigkeit sich befindet, aber gleichzeitig dann doch die Seele, das Seelische als eine eigene Wertigkeit, als eine eigensinnige Größe, wie er wörtlich sagt, zu bewahren, also nicht reduktionistisch zu eliminieren. Also einen Mittelweg versucht er offensichtlich, wenn man das so sagen kann.

Das Eine wäre zu sagen, diese Entwicklung hätte nie passieren dürfen, das ist eine Fehlentwicklung. Dann könnte man fragen, wie kommt diese Fehlentwicklung zustande? Wo sind Weichenstellungen, die dazu geführt haben? Oder man kann sagen, diese Entwicklung war unvermeidbar und sie musste so laufen, wie sie gelaufen ist, und es gibt vielleicht die Möglichkeit, auf einer neuen Ebene etwas anderes zu realisieren. Das bezeichnet er mit der Metapher der Blasen, ist undeutlich, man kann nur ahnen aus den Andeutungen der zwei anderen Büchern, was er wirklich damit meint. Auf jeden Fall ist das erst einmal eine grundlegende Analyse der Bewusstseinsverfassung, in dem Sinne eine Diagnose. Die sieht nicht gut aus, diese Diagnose, sie ist nicht hoffnungsfroh, sie ist nicht religiös, sie ist nicht tröstlich, aber sie hat zumindest erst einmal die, sagen wir mal, philosophische Würde, dass sie etwas trifft, was man nicht einfach so aus den Augen verlieren sollte. Man sollte nicht so tun, als ob das so nicht wirklich sei, jedenfalls bewusstseinsmäßig. Phänomenologisch ist das kaum ernsthaft aus den Angeln zu heben. Was immer man im Einzelnen dazu meint und was immer es natürlich an Bewegungen, an Gegenbewegungen immer gegeben hat, bis in die Gegenwart hinein, das ist klar. Aber in einer kollektiven Schicht ist das erst einmal so doch zu konstatieren, wie das Sloterdijk macht, davon geht er aus.

Und jetzt, das will ich nach der Pause Ihnen dann zeigen, versucht er von dort aus, die alte metaphysische Idee der Kugel noch mal neu zu beleuchten und zu zeigen, dass das gesamte Denken der Menschheit, wenigstens soweit es …, also jetzt mal eingeschränkt, das Denken der abendländischen Menschheit, mit Abstrichen auch der nicht-abendländischen Menschheit, der Versuch war, Sphärenbildungen kollektiv zu schaffen. Das ist sein Schlüsselbegriff überhaupt zur Kulturgeschichte, der Begriff der Sphäre und damit auch dann, und das wurde ja viel angegriffen, des Immunsystems. Kulturen schaffen sich eigene Immunsysteme, wo sie gefährliche Viren gleich im Vorfeld unschädlich machen. Nicht, eine biologische Sprache, kann man sagen, ist das legitim? Er bezieht sich manchmal auf Spengler, Sie wissen auch Spengler [ist] sehr viel kritisiert worden, dass er Kulturen als Organismen gesehen hat, die wie Pflanzen sind, werden, wachsen und vergehen, was ja auch bei Spengler nicht biologistisch gemeint ist, aber natürlich gewisse Konnotationen hat, die auch etwas, sagen wir mal, Hinterfragenswürdiges haben. Ist das legitim?

Zu dieser von mir skizzierten, kollektiven Bewusstseinsverfassung, wie sie Sloterdijk beschreibt an vielen Stellen dieses Buches, einige Stellen habe ich genannt, kommt noch ein Weiteres. Sloterdijk sagt ausdrücklich, auch an mehreren Stellen seines Buches, dass die moderne Bewusstseinsentwicklung das alte „Projekt Weltseele“, wie er das nennt, endgültig zerstört habe. Denn das Projekt, in Anführungszeichen, Weltseele, ist für ihn mehr oder weniger identisch mit der Vorstellung einer göttlichen, einer ontolo­gischen, einer kosmischen Kugel als der Gesamtgestalt der Welt. Das ist wichtig. Das ist bei Platon übrigens ganz deutlich, wo ja zum ersten Mal der Begriff der Weltseele auftaucht, im „Timaios“. Da wird die Welt ja auch als eine kugelförmige vorgestellt, also der gesamte Kosmos hat Kugelform, und die Weltseele als ihr Mittelpunkt ist ein integraler Teil einer Medialzone, wie ich das gesagt habe, zwischen dem göttlichen und der physisch-sinnlichen Welt innerhalb dieses Universums. Und die Weltseele, die Vorstellung einer Weltseele als einer geistig-seelischen Wirklichkeit, die alles durchdringt, sei, so Sloterdijk, und mit ihm ja viele andere, unwiederbringlich dahin. Man müsste nun heute von einer ganz neuen Ebene aus zu denken versuchen.

Und, die zur Vorstellung der Weltseele und zur Vorstellung einer ontologischen, einer göttlichen Kugel gehört, nach Sloterdijk, dass es eigentlich im tiefsten Sinne in dieser Kugel kein Außen gibt, das ist jetzt ein ganz wesentlicher Punkt, den man verstehen muss, um die weiterführenden Gedanken auch hier jetzt nachzuvollziehen. In dieser Kugel gibt es nur Innen, kein Außen, eine in toto, also vollkommen von der Weltseele durchpulste Welt, die als sphäroid, als kugelförmig vorgestellt wird, kann es kein Außen geben, und das wissen Sie, das habe ich in verschiedenen anderen Zusammenhängen ja auch verschiedentlich gesagt, dass die antike Kugelvorstellung der Weltganzheit auch in diesem Sinne kein Außen kennt. Das, Sie werden sich erinnern, das sage ich ja manchmal in ganz anderen Zusammenhängen, dass zu den Eigenarten dieser Gesamt-Kugelgestalt der Welt, der kosmischen, der göttlichen, der ontologischen Kugel gehört, dass sie überhaupt kein Außen hat. Warum nicht? Wir würden doch zunächst denken, von unserer normalen Kugelvorstellung, dass jede Kugel, das ist ja fast die Definition einer Kugel, natürlich eine Oberfläche hat. Was sollte eine Kugel sein, die nur eine Innenseite hat, aber keine Außenseite? Das ist unmöglich. Ich habe mir den Spaß gemacht, kann man sagen, mal im Lexikon nachzuschlagen heute morgen, was steht eigentlich in einem normalen bürger­lichen Lexikon unter dem Schlagwort Kugel? Da steht Folgendes, ich lese das mal vor: Kugel, Duden-Lexikon: „Gleichmäßig gekrümmte, allseitig geschlossene Fläche, deren Punkte von einem festen Punkt, Mittelpunkt, gleichen Abstand haben, Radius r.“ Einmal, und dann zweite Bedeutung: „Auch Bezeichnung für den von dieser Fläche begrenzten Körper“, was ja nicht das Gleiche ist. Nicht, das kann man ja auch quasi als sphäroide Blase denken, es muss in diesem engeren Sinne kein Körper sein, also eine Doppelbedeutung. „Auch Bezeichnung für den von dieser Fläche begrenzten Körper, ist r der Radius der Kugel“, das ist jetzt elementare Mathematik bzw. Geometrie, „dann ist die Kugeloberfläche 4 pi r², der Inhalt 4/3 pi r³“, egal wie groß die Kugel ist, egal wo sie sich befindet. Jede Kugel, und das ist ja immer ein großes Argument gewesen der Platoniker und Kugel-Metaphysiker, überhaupt der Metaphysiker, die Platoniker waren, so zu sagen: Ja, das ist doch schon ein Beweis für die reale metaphysische Existenz der Kugel. Denn egal was für eine empirische, eine reale Kugel vorliegt, es werden immer diese gleichen Werte rauskommen, und es wird nie eine Differenz geben, niemals bis in alle Ewigkeit und überall: 4/3 pi r³, dieser Wert ist absolut in diesem Sinne. Also: Was soll eine Kugel, die überhaupt kein Außen hat? Das ist ein Unding, im Grunde eine Absurdität. Was soll das sein?

Wenn ich jetzt noch ein Stück Kreide hätte, wäre es auch schön hier, ja.

Und in der Tat ist die antike, in gewisser Weise auch mittelalterliche Kugel, als eine Kugel ohne Außen dargestellt worden und vorgestellt worden, denn wenn es ein Außen dieser Kugel gäbe, einer Kugel, die auf den Menschen einer kosmozentrischen Erde konzentriert ist, dann ist die Frage nicht mehr aufzuhalten, ob es vielleicht noch eine zweite Kugel gibt, eine dritte, eine vierte, vielleicht gar unendlich viele, solche sphäroiden Blasen in einem dann nicht mehr begrenzbaren Raum, wenn man so weit kommt, überhaupt zu sagen, es gibt eine reale Außenfläche dieser Kugel. Wenn diese Kugel also in einem empirischen Sinne irgendeine Realität hätte, dann müsste man die Frage stellen: Wo ist diese Kugel, wo befindet sie sich? Das ist ein Argument, was schon die Pythagoreer ventiliert haben. Und Aristoteles hat dagegen das ja schlaue Argument vorgetragen: Man darf so nicht fragen. Wenn man nämlich so fragt, dann muss man dahin kommen, weiter zu fragen, was ist denn dahinter? Aristoteles hatte gesagt: Die Frage kann man nicht stellen, weil es ist eine Scheinfrage, weil das sogenannte Dahinter oder Jenseits dieser Kugel ist kein wirkliches Dahinter in einem räumlichen Sinne oder hat kein Jenseits in einem räumlichen Sinne, sondern was da vorliegt, ist so vollständig, qualitativ und ontologisch anders, dass jegliche Vorstellung einer wie immer gearteten Räumlichkeit dahin ist bzw. sich selbst auflöst, dahinter ist kein Raum. Nicht, das war ja die große Frage in der antiken Kosmologie. Die Pythagoreer hatten da zart angeklopft. Ist das denn möglich, dass es vielleicht noch weiter geht? Und Aristoteles hatte gesagt, die Frage kann man nicht stellen, das ist eine Scheinfrage, letztlich ja eine Frage, wie Sie wissen, die in jeder Endlichkeitsvorstellung eine wichtige Rolle spielt.

Sie kennen ja, ich habe das oft gesagt, auch meinen Spott über die Urknall-Fiktion, die ja immer davon ausgeht, dass tatsächlich das Ganze sich ausdehnt. Wohin soll es sich ausdehnen? Ist da Raum, oder ist da kein Raum? Wenn da aber bereits Raum ist, dann kann dieser Raum schlechterdings nur ein unbegrenzter Raum sein. Oder es ist kein Raum. Der Raum entsteht durch sich selber, wohin wächst er, wohin dehnt er sich aus, dann in einen anderen Raum, in einen Hyperraum? Ist das nur ein Begriff oder dieser wiederum ein Hyper-Hyperraum, dann landet man bei Begriffen, die schwierig sind. Dann fragt man, was hat das noch zu tun mit unserer Raum-Vorstellung? Dann landen wir bei vollkommen anderen Raumvorstellungen, was auch möglich ist. Das kann man, das kann man mathematisch, bekanntlich, man kann ja auch andere Dimensionen ins Spiel bringen, man kann sagen, die Frage ist deswegen eine Scheinfrage, weil hier eine fundamental andere Dimension ansetzt, so dass das eine naive Frage ist, eine naiv-realistische Frage zu fragen, wie geht das eigentlich weiter? Auf jeden Fall, in der Antike wurde diese Frage nicht gestellt, und im Mittelalter war es dann so gedacht worden, dass außerhalb dieser Sphäre, nicht als ein wirkliches Außerhalb, das Impereum sich befindet, die göttliche Wirksphäre, das Göttliche, und da eine zweite Kugel auftaucht, eine göttliche Kugel. Das ist also in vielen Abbildungen der mittelalterlichen Sphärologie ganz deutlich zu erkennen. Es gibt diese Welten-Kugel mit der Erde als Mittelpunkt und den verschiedenen Planeten-Sphären drumherum und dann jenseits davon noch eine zweite Kugel, die aber oft deckungsgleich gesetzt wurde. Man darf das nicht allzu naiv betrachten. Selbst diese Kugel, die man sich vorstellte im Mittelalter und in der Antike, war riesenhaft.

Ich habe das in meinem Kopernikus-Buch anhand von Quellen mal rekonstruiert, wie groß man sich das vorstellte, das ging immerhin auf 100 Millionen Kilometer. Man kann sagen, dass ist winzig, gut, aber es ist erst einmal eine recht beachtliche Größe. Man stelle sich vor, dass von der Erdoberfläche bis zur Fixstern-Sphäre ungefähr 100 Millionen Kilometer Abstand ist, nicht, immerhin eine gigantische Entfernung. Winzig vielleicht und sicherlich winzig im Vergleich mit anderen kosmischen Größenordnungen, von denen wir gehört haben, zu denen wir empirisch ja überhaupt keinen Zugang haben, aber von denen wir gehört haben, die wir im Kopf mit uns herumtragen, ist das eine beachtliche Größe. Und das aber ist eine Frage, die so Sloterdijk gar nicht beschäftigt, weil er sich im Detail mit den Fragen gar nicht auseinandersetzen will. Ihm geht es um etwas ganz Anderes. Also diese Frage, die ich eben angedeutet habe, spielt bei Sloterdijk eigentlich keine Rolle. Also diese, sagen wir mal, realen kosmografischen Dimensionen, damit beschäftigt er sich gar nicht, als ob das sozusagen eine Ebene darunter wäre.

Es gibt ja viele brennende Fragen, die sich da auftun, die er ja alle unter den Tisch fallen lässt, die ihn offenbar nicht interessieren. Ihn interessiert die Frage des Bewusstseins. Was für eine Welt wird hier imaginiert? Letztlich eine Welt, wie diese Skizze ja schon zart andeutet, wo der Mensch auf dieser Erde-Sphäre ständig, gleichsam in einem ontologischen Scheinwerferlicht steht. Er wird ständig von allen Seiten angestrahlt. Er ist zwar ganz in der Mitte und in diesem Sinne auch ganz unten, aber er befindet sich ständig in einem ontologisch-kosmischen Scheinwerferlicht. Er ist ständig der Angestrahlte und in irgendeiner Form auch immer der Wichtige und der Gemeinte, wenn man ihm das wegnimmt und nun diese Mittelpunktposition zu einer Staubkornposition irgendwo am Rande des Alls macht, ist natürlich dieses Angestrahlt-werden, erst einmal, jedenfalls auf dieser Ebene, unwiederbringlich dahin. Und da darf man natürlich auch einen zweiten Punkt nicht vergessen, den Sloterdijk nun ausgiebig darstellt. Und dafür ist mein Verdacht, dass er dann doch das Kopernikus-Büchlein gelesen hat, denn ich kenne sonst keinen, der außer mir das damals in den 80er Jahren dargestellt hätte, diesen Punkt. Ich habe nämlich gezeigt, 84/85, dass die berühmte kopernikanische Kränkung, die Freud erfunden hat, nicht, Sie kennen das berühmte Wort ‒ die Darwinsche Kränkung, die Kopernikanische Kränkung und jetzt die Kränkung der Psychoanalyse, dass diese Kopernikanische Kränkung nie existiert hat, die gab es nicht, ist eine Erfindung, ein reines Phantasiegebilde, es hat nie eine Kopernikanische Kränkung gegeben. Die hätte so ausgesehen haben sollen, dass der Mensch nun herauskatapultiert aus dem Mittelpunkt des Alls nun plötzlich seiner Würde beraubt sei ‒ das Gegenteil war der Fall. Gerade durch die Erkenntnis der Planeten-Posi­tion, der Planeten-Qualität der Erde und einer veränderten Position im All ist die Würde des Menschen enorm angestiegen. Gucken Sie sich die Literatur an seit der Renaissance, die menschliche Würde dreht, kann man sagen, etwas umgangssprachlich gesagt, erst richtig auf, auch der Größenwahn, die Megalomanie des Menschen gewinnt so richtig an Schwung. Denn vorher ist zwar der Mensch, der von allen Seiten kosmisch Angestrahlte, aber was wird angestrahlt? Der Mensch nicht unbedingt im Mittelpunkt als einer privilegierten Position, sondern der Mensch ganz unten. Unten, Mitte ist hier unten, der Mensch ist unten, und zwar so tief wie nur möglich. Und deswegen konnten die christlichen Theologen dann mit Thomas von Aquin und anderen im 13. Jahrhundert dieses Weltbild auch so schön, sag ich mal, aufgreifen, weil es in ihr Lösungskonzept reinpasste, weil der Mensch ganz unten ist, auch der erlösungbedürftige Mensch, während Kopernikus ausdrücklich sagt, dass er durch seine Reform, die sich dann zur Revolution auswuchs, bei ihm eher eine Art Reform der Kosmologie, dass er dadurch die kosmische Würde des Menschen wiederherstellt, sagt er ausdrücklich und die kosmische Würde des Menschen, denn das Ganze, sagt er wörtlich propter os, also unseretwegen von dem Demiurgen geschaffen worden. Und das war der eigentliche Skandal für die Kirche, nicht die Umbesetzung der Position, das war es eben nicht, im Gegensatz zu dem, was in fast allen Darstellungen drin steht, die alle nicht richtig gelesen haben diese Texte, steht eindeutig drin, das ist es nicht gewesen. Und [sonst] hätte auch Kopernikus niemals ein Grußwort an den Papst richten können, eine Vorrede, seinem Werk voranstellen können, wo er den Papst direkt anspricht. Das war nicht der Skandal, war nicht die Positionsveränderung, sondern das war etwas Anderes.

Das war eine ontologische Verschiebung des Menschen aus dem kleinen Wesen ganz unten in eine wirkliche kosmische Würde. Und ganz unten heißt auch in einer Welt, die ontologisch gesehen den niedrigsten Rang im Kosmos hat. Hier wird gelitten, hier wird gestorben, hier ist Werden und Vergehen, hier ist Chaos. Während da oberhalb, so war ja die Annahme, sind die himmlischen Sphären immer wunderbarer, je weiter man aufsteigt. Denken Sie an Dante, die berühmte Jenseits-Reise von Dante, der Aufstieg durch die Sphären an einer berühmten Stelle aus der „Divina Commedia“, wo Dante ganz außen ist, in der siebenten Schale und guckt runter auf die Erde, die ganz klein und erbärmlich aussieht. Und er muss darüber lachen. Er musste lachen, ich musste lachen, heißt es, wegen der Kleinheit dieser Erde, könnte man sagen, Dante hat eine sozusagen psychonautische Reise vorgenommen, sozusagen eine außerkörperliche Reise. Tatsächlich, er hat die Erde dann so gesehen und hat das dann in diese Bilder gekleidet. Auf jeden Fall ist da ein Unterschied. Der Einzige, der das überhaupt außerhalb dessen, was ich vor 15 Jahren geschrieben habe, aufgreift, ist eben Sloterdijk. Genau das sagt er auch. Das findet man sonst kaum, weil immer wieder wird es genau umgekehrt dargestellt. Der Mensch sei erst in dem Mittelpunkt des Kosmos gewesen, dort habe er eine würdevolle Position gehabt, dann habe ihn der Kopernikanismus da herauskatapultiert, und nun soll seine Würde dahin sein. Das Gegenteil ist eingetreten. Das Selbstbewusstsein des Menschen ist seit der Kopernikani­schen Revolution enorm angestiegen.

Kurzum, das ist eine Erfindung von Sigmund Freud. Diese Kopernikanische Kränkung hat es nie gegeben. Da könnte man dann auch fragen: Hat es die Darwinistische Kränkung überhaupt gegeben? Man könnte sagen, auch die hat es eigentlich gar nicht gegeben. Und auch die Psychoanalytische Kränkung ist vielleicht auch eine Fiktion. Denn wenn überhaupt, dann müsste man ganz andere Kriterien hier heranziehen. Vielleicht gab es wirklich und sicherlich gab es wirklich eine Art von Kränkung. Nach Sloterdijk würde das höchstens bedeuten, dass es eine sphärologische Kränkung gab, dass der Raum kein bergender Raum mehr war, was aber ein anderes Thema ist. Das war zunächst ja keineswegs in der Kosmologie so gedacht. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein war das … , auch in der Philosophie der Aufklärung galt ja der gesamte Kosmos, das Universum, als von der göttlichen Vernunft durchwaltet. Voltaire noch ventiliert den Gedanken, dass Außer­irdische, von denen er wie selbstverständlich überzeugt war, etwa Sirius-Bewohner, eine viel höhere Intelligenz hätten, als Erdbewohner. Der Kosmos wurde selbstverständlich von den Aufklärungs-Philosophen als alllebendig betrachtet, auch wenn man heute gerne dazu neigt, in der Rückschau die Aufklärung so als eine missratene Entwicklung zu betrachten und das Ganze nur im Sinne [von] Adorno, Horkheimer, von der Dialektik der Aufklärung aus betrachtet, sehr verkürzt. Denn wenn man sich das wirklich anschaut, was damals gedacht wurde, staunt man, und man müsste dann merken, dass noch im 18. Jahrhundert, im aufklärerischen Gedankengut, übrigens auch zum Teil im freimaurerischen Gedanken­gut, von einem wie selbstverständlich vernünftig-allbeseelten Universum ausgegangen wurde. Noch Mozart vertont ein Freimaurer-Lied „Du Seele des Weltalls“. Aber das sind Dinge, die merkwürdigerweise in der Bewusstseinsgeschichte verschoben dargestellt werden.

Diese radikale … , wollen mal sagen, der radikale Bruch der dann einsetzte, war später, und das ist genau die Stelle, die Sloterdijk meint, ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts, als dann die letzten Reste dahin waren und eine ganz neue Entwicklung einsetzte, die man sich genauer angucken muss, das kann ich jetzt hier nicht in der schnellen Form darstellen, aber da verschwand dann der Himmels-Globus aus den Bürgerstuben, wie ich gesagt habe, und es blieb der Erd-Globus, der nun plötzlich der ganze Kosmos war ‒ eigenartigerweise.

Die Vorstellung, dass die Welt eine Kugel ist, ob sie nun eine Außenfläche hat oder nicht, ich habe Ihnen das versucht zu erläutern, ist naheliegend, ist wirklich naheliegend. Denn wenn immer man sich vorstellt, welche Gesamtgestalt die Welt in einem irgendwie vernünftig fassbaren Sinne denn überhaupt haben soll, dann müsste man eigentlich auf die Kugelform kommen. Man wird sie kaum als Würfel imaginieren können. Die Kugel ist eine naheliegende Form, auch wenn man die Kugel so groß denkt, dass sie praktisch quasi unendlich groß ist. Kann man natürlich sagen, gut, eine unendlich große Kugel müsste allein aus logischen Gründen eine unendlich große Oberfläche haben. Dann wird jede Krümmung aufgegeben zugunsten einer Fläche, das ist klar, nicht, eine unendlich große Kugel hat eine Oberfläche, die praktisch eine plane Fläche ist, wenn man dann überhaupt logisch-geometrisch so weiterdenken kann, wenn nicht der Verstand da ohnehin Amok läuft. Aber wenn man überhaupt so weiterdenken will, dann müsste man da hinkommen. Es hat etwas Naheliegendes.

Nicht nur, dass man sagt, die Gestirne, soweit wir sie erst einmal beobachten können und konnten, sind offenbar Kugeln, zwar nicht vollkommene Kugeln, aber doch in einer gewissen Annäherung Kugeln. Und auch die Gestirnbewegungen sind erst einmal kreisförmig und im Sinne des Kopernikus ja auch angebracht auf gewaltigen sphäroiden Hohlkugeln, aus einem feinen ätherischen Stoff angefertigt, da sind also die Planeten, die Gestirne dran befestigt. Und das war ein hochkomplexes System der Bewegung und mit diesem System, das sei nur am Rande erwähnt, wen das näher interessiert, der könnte das dann im Speziellen auch hier unter anderem beim Kopernikus nachlesen, mit diesem System konnte man tatsächlich erstaunliche Voraussagen machen, Sonnenfinsternisse, Mondfinsternisse, Gestirnpositionen konnte man präzise voraussagen, indem man zwei Kreise übereinander schichtete, einen direkt um die Erde und dann auf diesen Kreis gesetzt, ein Epizykel, einen zweiten Kreis, der sich gleichfalls drehte. Und so entstand ein sehr komplexes System von Bewegungsmustern. Die gingen alle von der Grundform des Kreises aus und noch Keplers berühmte Neuerung nach Jahren des Zögerns, also die Annahme, dass die Planeten-Form einen elliptischen Charakter hat, bedeutet keine fundamentale Entthronung des Kreises, denn die damals bekannten Umlaufbahnen waren doch immer noch angenähert kreisförmig. Auch wenn man sagt, sie sind elliptisch, dann ist die elliptische Verformung eine relativ geringe, so dass man aufs Ganze gesehen immer noch sagen kann, die Bewegung ist ungefähr eine kreisförmige, und die Kreisform ist ja auch die einzige Bewegung, die in sich selbst zurückläuft. Und die Kugel hat in diesem Sinne auch eine eigene Ästhetik, eine eigene Schönheit, wenn man so will. Und so kann man, wenn man die antiken Texte sich anguckt, staunen, welche wunderbaren Elogen, Hymnen gesungen wurden von Philosophen auf diese Kugel. Es gibt in einem sehr eindrucksvollen Abschnitt im ersten Teil der „Sphären II“ einen Abschnitt mit dem Titel „Das morpho­logische Evangelium und sein Schicksal“, „morphes“, die Form, Morphologie ist die Lehre von der Form, das morphologische Evangelium ist die Lehre von der Kugel. Und da schreibt er in einer wunderbaren Weise wie in der Antike die Kugel hymnisch-philosophisch gedacht wurde.

Ich les mal eine kleine Passage hier vor, weil es wirklich großartig ist, das könnte ich so nicht paraphrasieren, wie es hier im Original dann klingt. Also das morphologische Evangelium und sein Schicksal, Seite 117, „Sphären II – Globen“: „Für die Modernen, deren Denken von den Tagen der dissidenten Hegel-Schüler an, durch Dezentrierungen und existenziale Exzentrik geprägt ist, gibt es kaum noch einen Zugang zu den vergessenen Welten metaphysischer Kugel-Herrlichkeit. Sie können nicht mehr wirklich begreifen, in welchem Maß die Geistesgeschichte der letzten 2000 Jahre der Triumphzug eines alles überflügelnden morphologischen Motivs gewesen ist“ ‒ also eines Form-Motivs ‒ „auch wenn die Lehrbücher der Philosophie, ja sogar die Archivare der philosophia perennis“ ‒ der ewigen Philosophie, Begriff von Leibniz – „bestenfalls in Andeutungen von der alten Kugel-Ontologie reden und die durchschnittlichen Agenten der Zunft, ihre jungen Wilden inbegriffen, längst wie hinter einer Wand des Vergessens leben, durch die kein Erinnerungsstrahl hindurchdurchdringt. So ändert dies doch nichts daran, dass die alteuropäische Metaphysik, wo sie am meisten bei sich war, eine einzige überschwängliche Meditation der beseelten Kugel und des mitwissenden Daseins in ihr gewesen ist.“ –

Also Philosophie als Meditation über die beseelte Kugel. Er zeigt das ja auch in vielen Beispielen bis in die imperialen Symbole hinein, das wissen Sie, Reichsapfel usw., überall taucht die Kugel als gleichsam kosmisch legitimiertes Herrschaftssymbol auf. – „Es war den klassischen Denkern darum nie um das zu tun, was man heute mit falschem Zungenschlag Letztbegründung nennt, sondern um Letztumfassung, oder wie wir im Folgenden auch sagen werden: um Letzt-Immunität. Nahezu definitorisch ist festzustellen: Die klassische Metaphysik als Onto-Theologie, als philosophische Kosmologie verstanden, war nichts anderes als ein unermesslich umständliches und komplexes Theorieritual zu Ehren Ihrer Majestät, der runden Form.“ – Wunderbar gesagt, nicht, „ein unermesslich umständliches und komplexes Theorieritual zu Ehren Ihrer Majestät, der runden Form.“ Jetzt zu der Frage, die ich vorhin angedeutet habe mit dem Innen-Außen. Sloterdijk interessiert nicht diese, sagen wir mal, raum-ontologische Frage, kommt bei ihm nur am Rande vor, nur am Rande, er eliminiert sie nicht vollständig, aber sie ist nicht wirklich zentral bei ihm. – „Dies hat nur eines zur Voraussetzung. Ich müsste zugeben und nachvollziehen, dass alles Seiende, einschließlich meiner selbst mit meinen Abgründen und Verneinungen etwas ist, was in einem eminenten Sinn innen im Einzugsbereich einer organisierenden Form liegt, woraus nichts anderes folgt, als dass alles, was ist“ – buchstäblich alles, was überhaupt ist, im Sinne dieser antiken Metaphysik – „von einer größten Peripherie umfangen, enthalten, geortet wird.“ – Es gibt in diesem Sinne kein Außen, weil es gibt eben nur Innen, weil die Kugel ist das Ganze und dann auch das Eine bei dem Neuplatoniker Plotin, wenn er von dem Einen redet, das auch das Schöne und das Wahre ist, dann meint er immer die absolute Kugel. Dort bei Plotin, dem großen, Neuplatoniker ist das vollkommen deutlich. – „Im Bild der Kugel verbreitet sich das Evangelium“ – also nicht das christliche, sondern das Kugel-Evangelium – „das Evangelium der totalen Inklusion“ – also des Einschließenden – „nichts Wirkliches kann wirklich draußen sein. Kein Ding existiert abgetrennt vom Korpus und Kontinuum, das des Einen“ – des Einen, das eben als Kugel imaginiert wird. – „Wo alle Gewalt von der Mitte ausgeht, dort gibt es kein absolutes Außen, keinen verlorenen Punkt, kein Seiendes, das schlechthin abseits stehen müsste.“ – Kann es nicht geben, weil, es gibt in dem Sinne räumlich kein Außerhalb, da ist kein Raum, und alles ist durchstrahlt von dieser kosmischen Beleuchtung im ständigen Angeblickt-werden – „es sei denn es stellte sich selbst in rebellischer Absicht hinaus. Weil das zentrierte Ganze alles nach innen holt, indem es jede abständige Stelle ringsum auf sich als Mitte bezieht“ – das ist das Wesen der Kugel, alles ist dann das absolute Bezugssystem, physikalisch gesprochen jeglicher Bewegung, notwendig es kann nicht anders sein – „bildet die Kugel-Totalität niemals nur einen reglosen Block“, dann wäre sie langweilig, dann wäre es eine tote Kugel. Es ist aber eine beseelte, durchpulste, eine alllebendige Kugel. Das macht gerade die Kraft dieser Denkfigur aus über mehr als 2000 Jahre. Also „bildet die Kugel-Totalität niemals nur einen reglosen Block. Sie ist durchpulst von Beziehungsleben der Mitte und von den überreichen Korrespondenzen der epizen­trischen Punkte untereinander. Das ist es, was die Anhänger des Fülle-Prinzips euphori­siert bekennen. Die intelligible Kugel lebt.“

Also diese Kugel ist keine tote Kugel, das ist eine alllebendige, von vielfältigem Leben durchpulste Kugel. Alles ist auf dieses göttliche Zentrum bezogen, und so fern sie lebt, tut sie diese Kraft der Strahlungsmacht und Beziehungsfreude des Zentrums. Das ist auch wichtig. Jetzt muss man einen Schritt weitergehen und aus diesem System den nächsten Schritt wagen in die theozentrische Kugel, so wie sie philosophisch imaginiert wurde. Dann kommt man noch zu einem anderen Bild dessen, was die Kugel überhaupt als Kugel konstituiert. Das ist die göttliche Strahlung. „Die intelligible Kugel lebt, und so fern sie lebt, tut sie dies kraft der Strahlungsmacht und Beziehungsfreude des Zentrums. Dieses“ – also das Zentrum – „sendet in einem unaufhörlichen Platzen seine Radien aus und stellt seine Ganzheit kontinuierlich wieder her, indem es die epizentrischen Punkte zu sich zurückzieht“ – also eine unaufhörliche, radiale Strahlung, die gleichzeitig immer wieder auf das Zentrum zurückstrahlt. „Der Mittelpunkt, Inhaber der Gottes-Stelle im absoluten Kreis, vergewissert sich stets aller Punkte im Raum um sich herum, indem er sie erzeugt und erkennt.“ Erzeugt sie nicht nur, sondern die Dinge sind in diesem Selbstdenken nie getrennt und können nie getrennt sein vom göttlichen Zentrum. „Er formt um sich ein Ganzes, indem er sich ständig ergänzt um jeden noch so fernen Punkt. Ganz ist, was Macht hat, sich zu verausgaben und zu sammeln. Darum lässt die lebendige Mitte die Punkte auf den Radien nicht los. Sie hält sie alle in einem flimmernden Konvent um sich geschart. Und wie der Gotteskinder liebsten Sterne, so hat das Zentrum die Punkte gezählt, das nicht einer ihm fehle an der ganzen unfassbar großen Zahl. Die Ontologie der Kugel, die Grundlehre alt-abendländischer Metaphysik, die umso geheimer wirkte, je offener sie ausgesprochen war und umso mächtiger, je mehr sie in Latenz blieb, ist ihrem Wesen nach“ – jetzt kommt ein wichtiger Punkt – „eine philosophische Meditation über die Unmöglichkeit, das dem Sein etwas verloren gehe. Das Sein wie das Haus verliert nichts, kann nichts verlieren, weil das ist das Ganze.“

Es kann nichts verloren gehen. Und das ist im Sinne der platonischen antiken Philosophie auch eine Denknotwendigkeit, und natürlich hat sich Platon mit der Frage beschäftigt: Was ist dann, wenn die Vernunft zu dieser Einsicht nicht kommen will? Wenn sie sich störrisch stellt, wenn sie dumm bleibt, wenn sie unerleuchtet bleibt? Was macht man dann mit den Menschen, die es einfach nicht einsehen wollen, was so absolut ist? Weil alle Beweise deuten darauf hin. Da gibt es dann richtig, das zitiert auch Sloterdijk, dann deutliche Worte des Königsphilosophen Platon: Diese betreffenden Menschen sind eigent­lich dann gar keine Menschen mehr, weil sie sich der Vernunft verschließen, die doch ganz klar zeigt, dass die ontologische Kugel die absolute Realität ist. Die müssen dann hinter Gitter. Ja, das ist dann die Konsequenz des Königsphilosophen Platon. Da gibt es ja viele sehr herbe Stellen bei Platon. Das ist nicht liberal, das ist nicht demokratisch. Das hat nichts zu tun mit allem, was uns so beschäftigt. Das ist halt ein ganz anderer Charakter. Das sage ich nur mal so am Rande, dass natürlich Platon … , auch schon seine Zeitgenossen haben ihn gefragt, was machst du mit denen, die das gar nicht einsehen wollen, weil sie es für falsch halten oder denen das egal ist, … darf keinem egal sein, weil, so ist doch die Wirklichkeit. Und da ist natürlich noch die alte Gleichsetzung des Sokrates drin: Vernunft, das Vernunftgemäße ist auch das Lehrbare, das steht auch in der Aufklärung drin, man kann das lehren. Und auch das Wahre, das Wahre kann man lehren, und das ist auch vernünftig, ist ja der Grundgedanke der Aufklärung, [dass] man letztlich durch Über­zeugungsarbeit jeden dahin bringen kann, dass er einsieht, wie die Dinge wirklich sind und seinen privaten Phantasien dann den Laufpass gibt.

Also „ihrem Wesen nach eine Meditation über die Unmöglichkeit, das dem Sein etwas verloren gehe. Das Sein wie das Haus verliert nichts kann nichts verlieren. Unmöglich. Wo das Ganze als Kugel angeschaut wird, doch darf und muss im Zweifelsfalle auch jedes Einzelne sich zu ihrem Umfang hinzuzählen.“ Jetzt schöne Formulierung danach – „Ein Umstand, in dem Trost und Zwang ununterscheidbar werden.“ Das ist einerseits sehr tröstlich, natürlich dieses Umfangensein. Andererseits ist natürlich dieser Trost vom Zwang nicht zu unterscheiden, weil, man hat ja keine Freiheit. Da hört dann auch die Freiheit auf, wie ja überhaupt im Denken, die Freiheit in dem Moment aufhört, wo Argumente vorgetragen werden, die eine eigene Stringenz und Evidenz dann noch haben. Man kann dann nicht beliebig sagen: Das sehe ich nicht ein, das will ich nicht. Es gibt bestimmte Evidenzen, die nicht auf der Ebene liegen, die auf jeden Fall nicht auszuklinken sind. Das ist wichtig. Ist ja nicht eine Frage dann eines demokratischen Diskurses, ob die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist. Das ist einfach gewissermaßen eine nicht-demokratische Größe, einfach eine Wirklichkeit.

Das Denken in diesem Sinne, wenn es echtes Denken ist, ist übrigens nie demokratisch, kann es gar nicht sein. „Wo das Einzelne sein Glück in der Teilhabe am Ganzen finden kann, dort wird das Andenken der Kugel-Mitte selbst unmittelbar zur therapeutischen, ja zur rettenden Übung.“ Das ist ja witzig gesagt, nicht, „das Andenken der Kugel-Mitte wird für den Menschen zur therapeutischen Übung.“ Er kann sich immer darauf zurückbeziehen, was für Chaos er privat hat – schreibt Sloterdijk an mehreren Stellen – wie schlecht es ihm geht, wie er leidet und sich quält, es bleibt doch immer nur eine partikulare Ansicht, eine Facette in dem absoluten Kugelganzen, auf das sie letztlich immer bezogen ist in dieser Vorstellung, in dieser Imagination. „Denn die Kugel aufzeigen bedeutet dann nicht weniger als die frohe Botschaft von der Zugehörigkeit der zerstreuten Punkte zum organisierenden Zentrum zu verbreiten.“ Und das bringt er in engsten Zusammenhang mit dem, was er das „Projekt Weltseele“ nennt. Das, meint er, ist nicht zu trennen. Das glaub ich in der Form nicht. Das kann ich aber heute Abend nicht mehr ausführen, dazu werden wir noch kommen. Er setzt das identisch. Er sagt: Die Vorstellung einer kosmisch-ontologischen, der göttlichen Kugel, ist praktisch identisch mit dem Gedanken der Weltseele. Das muss nicht sein, aber es ist erst einmal in diesem Zusammenhang in sich konsequent, das so zu denken.

Und nun zeigt er, dass auf diese Weise alle Individuen als Geborgene im Kugelganzen natürlich einen gemeinsamen Innenraum haben. Denn wohin sollte auch der Einzelne in seinem je individuellen Innenraum denn gelangen, wenn nicht im Letzten immer wieder nur in diese Kugel? Denn wenn es möglich wäre, dass Jeder sozusagen eigene unregelmäßige Blasen aus sich herauspusten könnte gegen die gesamte Kugel, dann wäre das Ganze letztlich nicht so schön, wie es neuplatonisch und bei Plotin im Besonderen unterstellt wird. Es ist ja immer die alte Frage, die ja auch schon an Plotin gestellt worden: Wie kann er denn ernsthaft von dem Schönen, dem Guten und den Wahren als den Einen sprechen im Angesicht des Elends, des Leides, des Furchtbaren, des Chaos in der Welt? Ob er das nicht sähe? Darauf war immer die Antwort der Kugel-Metaphysiker dieser Spielart, auch der ontologischen Einheitsdenker, dass das nur eine Partikularität ist, sozusagen eine Einzelheit, und dass … keine Einzelheit kann das Ganze sein, und deswegen kann nur das Ganze wirklich in einem absoluten Sinne dann auch schön sein, das ist die berühmte Gleichsetzung des Wahren, des Guten und des Schönen. Was übrigens in unserer Zeit interessanterweise Ken Wilber wie kein anderer immer wieder in den letzten Jahren in seinen Büchern betont hat, und vielleicht kein Zufall, dass er sein letztübersetztes Buch, was im Original den Titel trägt „The Eye of Spirit“, dass das im Deutschen, rätselhaft, vom Krüger-Verlag übersetzt „Das Wahre, Schöne, Gute“ im Titel, „Geist und Kultur im 3. Jahrtausend“ als Untertitel. Da kommt da nochmal diese Grundgleichung zum Vorschein. Darauf würde wahrscheinlich, vermute ich mal, Sloterdijk, wenn er sich der Mühe unterzöge, Wilber zu lesen, das tut er nicht, den liest er nicht, den schätzt er nicht, hält er nicht für für lesenswert, arrogant wie er ist, also dann würde er wahrscheinlich so argumentieren, dass das eine Wiederaufwärmung ist dieses alten Allbeseelungsprojekts der ontologischen Kugel, was auch stimmt, ist es auch in gewisser Weise, das ist vollkommen richtig.

Also dieser Vorwurf, den man da erheben könnte an die Adresse dieses Neo-Idealismus von Ken Wilber, wäre eigentlich auch, wenn man es wertneutral sagt, und nicht in einem abwertenden Sinne meint, vollkommen korrekt. Es ist wirklich eine Art Wiederbelebung, wie überhaupt jedwede Form einer authentischen spirituellen Welt­betrachtung mehr oder weniger, so oder so, sich mindestens nähert einer solchen Vorstellung, sich von ihr nährt und sich ihr nähert. Also beides. Also nicht vollkommen abgekoppelt werden kann, das ist immer eng miteinander verbunden und Sloterdijks Anspruch, das als endgültig erledigt zu betrachten, wirkt eigenartig, zumal er in seinen besten Passagen selber vollkommen dieser Faszination der Kugel verfällt, kann man sagen. Und wunderschöne, über Seiten sich erstreckende Hymnen nochmal singt, als ob er selber Kugel-Metaphysiker wäre und dann in den nächsten Sätzen das alles abräumt und die Bühne freigibt. Da ist überhaupt nichts, das sind alles Gedanken von gestern, die müssen wir und dürfen wir geradezu gar nicht mehr denken, weil, dann würden wir die ganze geistige Entwicklung leugnen, die ja dahin führt, dass das alles nicht mehr existiert, dass der Einzelne hüllenlos vom Eiszeitenhauch des Weltraums angeblasen, vereinsamt in den Trümmern seiner Würde sitzt. Und das ist ja immer noch ein Stück von Würde, die dadurch bewahrt wäre.

Also, die kosmologische, psycho-kosmologische Idee der Sphären, habe ich versucht, Ihnen auf eine ganz knappe Weise, mehr kann das nicht sein in zwei Stunden, auf eine ganz knappe Weise umrissen. Und ich finde es auf seine Weise großartig, dass der Sloterdijk den Versuch macht, nochmal dieses Thema aufzugreifen und in seiner metaphysischen Kraft auch zu zeigen. Das kann ich nicht nur nachvollziehen, sondern das finde ich auch richtig. Das ist eine Denkbemühung, die man begrüßen kann und die tatsächlich vielleicht auch was Zukunftsträchtiges in sich birgt. Ich sage nochmal, ich weiß nicht, was der dritte Band hier mit dem Titel „Schäume“, was das eigentlich jetzt sein soll. Das ist undeutlich, und ich weiß, ich habe auf der Buchmesse mit einem Doktoranden von Sloterdijk gesprochen, der auch sagte, dass Sloterdijk auch in seinen Vorlesungen, Seminaren das gleiche Muster verfolgt wie in seinen Büchern. Er entrollt in wunderbarer Form diese Kosmen alter Denkvorstellung, um am Ende ironisch-zynisch das alles in den Schornstein zu blasen, etwas übertrieben gesagt. Und immer wieder Irritation bei seinen Studenten, so sagte mir der Betreffende: Was ist das? Was, wo steht er wirklich? Was glaubt er wirklich? Das mag viele Gründe haben, vielleicht auch biografische Gründe, das weiß man nicht, warum er sich bemüßigt fühlt, das wo wirklich auch sein Herz schlägt, das spürt man einfach bei diesen Texten, die sind einfach sehr stark, also dass dann in zynischen Bewegungen wieder wie Heinrich Heine und andere, der ja auch die Fähigkeit hatte, das aufzubauen und dann ironisch wegzuwischen, dann wieder zu zerstören. Auf jeden Fall ist es eine lohnende geistige Beschäftigung, und auch in meinem Denken spielt die Kugel eine wichtige Rolle, anders als bei Sloterdijk. Und ich finde es wunderbar, wenn sich da ein Dialog ergeben könnte. Man weiß es nicht. Es ist ja leider heute so, dass leider, dass auch, dass die Denker untereinander, die Wenigen, mit denen es sich überhaupt lohnt, Kontakt zu haben, dann auch wieder so mit ihren Dingen beschäftigt sind und eingepuppt auch wieder in ihrer eigenen Sphäre, dass sie Mühe haben, den Anderen wirklich wahrzunehmen. Das ist leider der Fall. Da gibt es Ausnahmen, sicherlich. Eine Ausnahme, etwa zum Beispiel hier ist Johannes Heinrichs an der Universität und ich. Es gibt schon Ausnahmen, aber häufig genug ist das so, vielleicht ist es in diesem Fall auch anders. Also ich werde Ihnen auf jeden Fall davon Kenntnis geben.

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