Giordano Bruno zum 400. Todestag

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000 Dozent: Jochen Kirchhoff

Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 33

Transkript als PDF:


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Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich, wie immer zu der nunmehr elften Vorlesung in diesem Wintersemester. Thema ist heute ein konkreter Anlass, der eigentlich erst den 17. Februar 2000 berührt, nämlich der 400. Tag der Ermordung, muss man sagen, Giordano Brunos durch die Inquisition am 17. Februar 1600.

Zuvor, hier liegen wie immer Kassetten-Mitschnitte der letzten anderthalb Jahre aus. Sie können das käuflich erwerben. Das kostet vier Mark. Das steht Ihnen zur Verfügung. Dann habe ich zwei kurze Ansagen. Ich habe Anrufe bekommen, ich soll das auslegen. Ich identifiziere mich nicht damit, aber es könnte für den Einen oder Anderen von Interesse sein. Da gibt es eine Vortragsreihe über Buddhismus, die hier startet, an der Humboldt-Universität am dritten Februar. Das liegt hier aus; und eine weitere Veranstaltung in Rottenburg, auch bezogen auf einen Anruf, den ich … immer es war, damit ist der Sache Genüge getan. Wir müssen da nicht weiter ins Detail hineingehen.

Der Gedanke … oder das Gedenken an Giordano Bruno kommt in diesen Wochen sehr zögernd, sehr mühsam ins Rollen, was mich wundert. Es wäre eigentlich zu erwarten, dass in der Presse, im Rundfunk, im Fernsehen schon in irgendeiner Form etwas geschieht. Bisher ist das nicht der Fall. Meine Bemühungen beim Rundfunk, da etwas zu tun, sind bislang gescheitert. In der Urania, wo ich ja langjähriger Dozent bin, hat man mir mitgeteilt, es gäbe bereits für den 17. Februar einen Vortrag. Der ist schon festgelegt, müsste bald im Programm erscheinen. Also ich werde da nicht auftreten, was ich ursprünglich wollte. Und so beschränke ich mich auf einige Zeitschriftenbeiträge und auf diesen jetzigen Vortrag, der in gewisser Weise vorgezogen ist.

Ich will versuchen, Ihnen in kurzer Form etwas zu vermitteln von der ungeheuren Brisanz, der revolutionären Einzigartigkeit dieses Denkens, das auch für heute, für die Jetztzeit, nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Es ist hier ein sehr naheliegender Gedanke zu sagen: Da hat es einen Philosophen gegeben vor über 400 Jahren, dieser Philosoph ist, da ursprünglich Dominikaner und dann als Ketzer gebrandmarkt, in Rom verbrannt worden. Das sei sozusagen eine Thematik von vorgestern. Und Bruno wird ja in vielen Darstellungen der Philosophie und der Naturwissenschaft als bedeutender Denker gewürdigt, aber immer mit gewissen Einschränkungen.

Die Naturwissenschaftler zum Beispiel sagen, Bruno sei sicherlich wichtig. Man kann auch kaum leugnen, dass er wesentliche Gedankenimpulse weitervermittelt hat, etwa an Galilei, an Kepler, auch an Newton, überhaupt an die spätere Astronomie, auch Astrophysik. Aber meistens kommt dann eine Einschränkung: dass Bruno im Grunde genommen nicht wirklich Naturwissenschaftler gewesen sei. Er sei quasi Poet gewesen, letztlich ein Schwärmer, ein Mystiker, wie es auch manchmal heißt. Sie kennen vielleicht das berühmte Wort des Philosophen Ernst Bloch, der Bruno sehr schätzte, sehr verehrte, der gesagt hat in seiner „Geschichte zur Philosophie der Renaissance“: Bruno sei ein Minnesänger der Unendlichkeit. Das war positiv gemeint, hat natürlich eine gewisse, sagen wir mal, ironische oder spöttische Konnotation ‒ ein Minnesänger der Unendlichkeit. In vielen Darstellungen erscheint Bruno als ein Quasi-Mystiker.

Jetzt gerade wieder vor einigen Wochen ist ein Büchlein erschienen über Bruno von Gerhard Wehr im dtv-Verlag. Ich habe das überflogen, weil da im Wesentlichen nichts Neues für mich drinsteht. Aber mir ist aufgefallen, dass auch da wieder die Komponente des Mystischen herausgestellt wird. Und, auch bezeichnend, und das muss man im Vorfeld sagen, die eigentlich nicht christliche, um nicht zu sagen antichristliche Haltung Brunos, an der überhaupt kein Zweifel ist. Diese antichristliche Haltung wird runtergespielt, wird als eine Konfrontation dargestellt, die nur der Kirche gegolten habe. Das stimmt nicht. Das kann man sehr genau an den Zeugnissen belegen, dass, wie das Hans Blumenberg mal gesagt hat, ein guter Bruno-Kenner, dass die Bruno’sche Kosmologie ins Zentrum, in die Substanz des christlichen Glaubens reicht und dieses Zentrum, die Substanz, attackiert und zwar sehr scharf attackiert und nicht die historische Form, in der der christliche Glauben in den Kirchen sich manifestiert hat.

Dann natürlich ist es klar, dass im Rahmen der Philosophie auch Bruno immer wieder Erwähnung findet. Auch hier findet man eine ähnliche, sagen wir mal, Relativierung. Es wird nicht bestritten, dass Bruno ein wichtiger Denker sei, er hat seinen Platz in der Philosophiegeschichte, etwa in der Reihe beim Eugen Diederichs Verlag, herausgegeben von Peter Sloterdijk. Da werden 19 der wichtigsten Philosophen vorgestellt, unter anderem eben ein Band über Giordano Bruno. Eine sehr schöne Auswahl aus seinem Werk, zum Teil bis dato noch kaum übersetzt, noch nicht übersetzte lateinische Schriften. Also er wird herausgestellt, aber: In vielen Philosophiegeschichten taucht Bruno auf als ein Denker, der letztendlich auch eine Art mystischer Denker gewesen sei mit irrationalistischen Zügen, der nicht scharf, nicht präzise, nicht begrifflich exakt zu denken vermochte. Man bezieht sich dann auf seine oft recht blumige Sprache. Er war Italiener. Vor allen Dingen in seinen italienischen Schriften favorisiert Bruno eine ungeheuer bilderkräftige Sprache, die tatsächlich etwas Poetisches hat, aber im guten Sinne poetisch ist. Und das wird gegen Bruno ausgespielt. Also Brunos Bedeutung wird nicht bestritten, aber er wird letztlich als eine doch mehr oder weniger nur noch historisch bedeutsame Figur hingestellt.

Die dritte große Strömung im Abendland, die sich auf Bruno bezieht, ist natürlich die religiöse Strömung, vor allen Dingen hier die christliche, die christlichen Kirchen. Die tun sich nun in der Tat am allerschwersten mit Bruno. Für die katholische Kirche ist bis heute Giordano Bruno ein Todfeind. Daran muss man überhaupt nichts beschönigen oder verkleinern oder bagatellisieren. Sie werden das erleben, ich sage das voraus für den 17. Februar in Italien, in welcher Form die katholische Kirche dieses Datums gedenken wird. Man hat Galilei, wie Sie wissen, rehabilitiert. Johannes Paul II. hat Galilei rehabilitiert, eigentlich ein Absurdum ‒ wer rehabilitiert da eigentlich wen? Er hat Galilei rehabilitiert ‒ Bruno ist nie rehabilitiert worden und seine Schriften haben bis zum Jahre 1965, als der index librorum prohibitorum, das Verzeichnis der verbotenen Bücher, aufgelöst wurde, auf diesem Index gestanden. Und ich habe mir mal die Mühe gemacht vor Jahren, Lexikon-Artikel nachzuschlagen in Kirchen-Lexika über Bruno. Da stehen unglaub­liche, hanebüchene Dinge drin, eine Herabwürdigung auch der denkerischen Leistung. Noch vor 100 Jahren, als es um die Frage gehen sollte, soll in Rom ein Denkmal errichtet werden, das ist ja 1889 geschehen, hat die Kirche versucht, diesen Mord, diesen Justizmord überhaupt zu leugnen. Bruno sei nie umgebracht worden.

In der protestantischen Kirche ist es nicht wesentlich besser, es ist anders, aber … zumal auch Bruno ein großer Verehrer von Luther war, er hatte in seinen Reden immer wieder darauf hingewiesen, dass Luther für ihn ein wichtiger, bedeutender, auch revolu­tionärer Geist sei. Aber auch da tut man sich sehr schwer, diesen Denker einzuordnen. Kurzum, Bruno ist in gewisser Weise ein Ärgernis geblieben. Und so haben sich relativ wenige Denker, Philosophen, Wissenschaftler direkt und unmittelbar auf ihn bezogen, haben versucht, ihn weiterzudenken, ihn wirklich konsequent weiterzudenken. Von den heutigen Denkern, Philosophen bin ich offenbar der Einzige überhaupt, der das macht.

Ich will jetzt erst einmal in kurzer Form die Situation schildern, wie sie vor 400 Jahren war, damit sie auch mal ein bisschen den historischen Hintergrund haben, obwohl ich das relativ knapp halten will, weil es mir nicht primär um eine historische Darstellung geht. Wenn man das wirklich differenziert machen würde, würden die beiden Stunden dieser Vorlesung hier damit verbracht werden. Und das ist nicht der Fokus. Der Fokus ist eher die Bedeutung Brunos für die Kosmologie heute und für das ganze Verhältnis Mensch-Kosmos. Das will ich noch vorab sagen, dass [das] ein zentral wichtiges Thema ist und gerade heute, gerade in den letzten Jahren, von einer ungeheuren Aktualität und Brisanz ist und zunehmend aktueller und brisanter wird. Und gerade da ist Bruno ein ungeheuer wichtiger Kronzeuge für eine bestimmte Form von, im guten Sinn, im besten Sinne des Wortes, ganzheitlichem, kosmologischem, sehr lebendigem oder auch integralem Denken. Was geschah vor 400 Jahren? Jetzt mal historisch. ‒ An diesem 17. Februar des Jahres 1600 wurde Bruno auf dem Blumenplatz, [dem] Campo dei Fiori in Rom bei lebendigem Leibe verbrannt. Warum hat die Kirche einen Mann hingerichtet, genauer gesagt: ermordet auf brutale Weise? Was war ihm vorzuwerfen, was war der Grund? Kurz, warum wurde Bruno ermordet? Was führte dazu? Die Frage ist nicht in letzter Sicherheit zu beantworten, und zwar deswegen nicht, weil die Prozessakten verschwunden sind. Wir haben also nicht die Akten des Prozesses mit allen Details. Wir wissen, es hat in den langen Jahren der Kerkerhaft Brunos, Bruno war ja ein Jahr in Venedig in Kerkerhaft und dann sieben Jahre in Rom, man hat wiederholt Befragungen Brunos durchgeführt. Unter anderem war maßgebend bei diesen Befragungen beteiligt der Kardinal Bellarmino, der dann auch in den ersten Gesprächen mit Galileo 1616 eine Rolle spielte. Also man hat viele Befragungen durchgeführt. Es ist auch einiges durchgesickert, was der Gegenstand dieser Befragungen war. Aber wir wissen letztlich nicht genau, was die zentralen Punkte der Anklage waren. Bruno hat noch einige Wochen vor seinem Tode, er bekam da die Gelegenheit, etwas aufzuschreiben ‒ normalerweise durfte er nichts aufschreiben im Kerker ‒ eine kurze Schrift abgefasst und diese dem Papst öffentlich übergeben. Diese ist aber, wie ein Chronist bemerkt, ungelesen beiseite gelegt worden. Wir wissen nicht, was in der Schrift dringestanden hat.

Wenn man die gesamte Situation sich vergegenwärtigt, dann kommt man auf zwei Punkte, die mit großer Wahrscheinlichkeit den Anstoß gegeben haben. Nicht, dabei ist, entgegen einer verbreiteten irrigen Überzeugung, der Kopernikanismus. Bruno ist nicht als ein Märtyrer des Kopernikanismus auf dem Scheiterhaufen gelandet. Den Koperni­kanismus, die Lehre des Kopernikus, hat die Kirche bis zu diesem Zeitpunkt relativ gelassen betrachtet, entgegen dem, was in vielen Büchern geschrieben wird, aus einer ganz anderen Perspektive heraus. Dazu will ich nachher noch einiges sagen. Also die Kirche hat die Lehre des Kopernikus teils völlig missachtet, teils mit einer gewissen Gelassenheit betrachtet, und zwar im Sinne der Lehre von der doppelten Wahrheit: Es gibt eine religiöse Wahrheit, das glaubte die Kirche, [das] sei die von ihnen vertretene. Und dann gibt es eine davon abgetrennte philosophische Wahrheit. Also das war es nicht. Was war es dann?

Es war, wenn wir den Dokumenten glauben können, auch wenn man die Schriften Brunos sich anschaut, erstens, der Gedanke der Unendlichkeit des Weltalls, und zwar die Unendlichkeit des Weltalls als eines allbeseelten, als eines alllebendigen, als eines von unvorstellbar vielfältiger Intelligenz und Leben erfüllten Universums. Das war ein Punkt, der in den Gesprächen, die Bruno geführt hat mit den Kardinälen, soweit wir davon wissen, immer wieder angesprochen wurde, er solle Abstand nehmen von dem Wahn, von dem Wahn der vielen Welten. In diesem Zusammenhang kam nicht vor die Bewegung der Erde, ob sich die Erde um die Sonne bewegt, ob sie um ihre Achse rotiert und Ähnliches war überhaupt kein Thema in diesen Auseinandersetzungen. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, dieser Platztausch, den Kopernikus vorgenommen hatte von Erde und Sonne, war durchaus kompatibel mit dem katholischen dogmatischen System.

Die zweite Komponente betraf seine radikal antichristliche Haltung. Soweit wir wissen, hat da vor allen Dingen ein Buch eine Rolle gespielt, das bis heute zu den ganz großen Raritäten auf dem Büchermarkt gehört. Es ist nicht zu bekommen auf dem Büchermarkt, oder ganz schwer nur, man muss sehr große Mühe darauf verwenden, die Schrift ,Spacio della Bestia trionfante‘, zu deutsch ,Die Vertreibung der triumphierenden Bestie‘. Das ist eine große, sagen wir mal, moralische Allegorie, die davon ausgeht, dass die 48 Sternbilder gleichsam negative Eigenschaften, Laster, Fehler, Irrtümer verkörpern, und dass man in einer umwälzenden Revolution des Himmels nun alle diese Laster, Irrtümer, Fehler durch Tugenden, durch Wahrheit ersetzen müsste. Und in diesem Zusammenhang wird auch erwähnt der Grieche Orion, und wer den Text genauer liest, ich kann gerne, wenn das irgendwie infrage steht, das betreffende Zitat auch vorlesen, ich habe es in meinem Bruno-Büchlein auch gebracht, dieser Orion wird mit scharfen Worten attackiert, verspottet, angegriffen, dieser Orion ist Jesus von Nazareth selber. Es ist also gar kein Zweifel daran, dass Bruno zu den wenigen Kritikern des Christentums gehört, die auch den Stifter mitkritisiert haben. Das ist ein Skandal, auch heute noch für viele Christen, sie können sich damit nicht abfinden, wie wir … ich habe immer wieder, ja auch im Laufe der Jahre mit Lesern auch damals meine Biografie, Monografie gesprochen, die das gar nicht verstehen können und die sich dieser … Da hat wohl Bruno in irgendeiner Form einen kardinalen Irrtum begangen.

Aber es ist so, Bruno attackiert das Christentum nicht nur im Sinne der katholischen kirchlichen Institutionen, sondern er attackiert das Christentum im Kern. Es gibt sehr scharfe Worte über den Jesus von Nazareth, die er auch im privaten Gespräch, wie man aus Denunziantenberichten weiß, immer wiederholt hat. Und da könnte mal eine Stelle vielleicht als Beispiel dienen, die das untermauert. Ich sage noch mal, es gab zwei Gründe. Der eine Grund war die aktuale Alllebendigkeit des Universums und die Unendlichkeit. Das zweite war die radikale Frontstellung gegen das Christentum, wobei das Christentum im Kern, in der Substanz tatsächlich getroffen wurde. Dieses Buch ist nicht umsonst über die Jahrhunderte hinweg ein Skandal gewesen und ist auch heute noch, würde ich sagen, für Jeden, der das vorurteilsfrei liest, ein Schock. Wenn man nicht verblendet ist und gleich Abwehr entfaltet, muss man das erst einmal so zur Kenntnis nehmen. Das ist erstaunlich und verblüffend und auch wirklich skandalös, in einem jetzt mal wertfreien Sinne gesprochen. Es gibt verschiedene Äußerungen von Denunzianten, die das der Inquisition weitergetragen haben, dass Bruno solche Dinge auch im privaten Gespräch geäußert hat, das muss man sich mal vorstellen. Das, was ich jetzt vorlese, stammt aus dem Jahre 1591, dass ein Philosoph allen Ernstes im privaten Gespräch, als er sich unbelauscht fühlte, in unfassbarem Leichtsinn eigentlich, eine unfassbare Naivität, solche Dinge äußerte in Venedig, wo das der Boden der Gegenreformation war, die in mächtiger Form natürlich versuchte, den verlorenen, gegen die Reformation verlorenen Boden zurückzugewinnen und überall Spitzel hatte.

Er ist einem Spitzel auf geradezu unsagbar naive Weise auf den Leim gegangen, diesem venezianischen Adligen Giovanni Mocenigo, der ja einen legendären Ruf und Ruhm dadurch erlangt hat. Der schreibt in seinem ersten Denunziationsschreiben vom 23. Mai 1592. Wilhelm Reich zum Beispiel, der späte Wilhelm Reich, war ein glühender Bewun­derer von Bruno und bezieht sich auch immer wieder auf diese Schlüsselszenen, auch mit Mocenigo. Mocenigo schreibt, 23. Mai 1592: „Ich denunziere Ihnen hochwürdige Vater, gezwungen von meinem Gewissen und auf Befehl meines Beichtvater, dass ich den Giordano Bruno aus Nola bei verschiedenen Gelegenheiten, indem er sich mit mir in meinem Hause unterhielt, sagen hörte, es sei ein großer Blödsinn seitens der Katholiken zu behaupten, das Brot verwandele sich in Fleisch, er sei ein Feind der Religion, er sei ein Feind der Messe. Ihm gefalle keine Religion. Christus sei ein Betrüger gewesen und habe, wenn er, um das Volk zu verführen, betrügerische Werke ausübte, leicht voraussagen können, dass man ihn hängen werde. Es gebe unzählige Welten, und Gott schaffe deren unaufhörlich unzählige, denn er behauptet, Gott wolle auch alles, was er kann. Christus habe nur scheinbare Wunder verrichtet und sei ein Magier gewesen. Die Seelen, die von der Natur geschaffen würden, wanderten von einem Tier zum anderen, und wie die niederen Tiere aus der Verwesung entstehen, so entstünden auch die Menschen, so oft sie nach den Fluten ins Leben zurückkehren. Unser katholischer Glaube sei voll von Lästerung gegen die Majestät Gottes. Man müsse den Brüdern die Lehrtätigkeit und überhaupt das Einkommen wegnehmen, da sie die Welt beschmutzen und alle Esel seien, und unsere Ansichten seien die Ansichten von Eseln.“ ‒

Wer die Schriften Brunos liest, der weiß einfach, dass diese Dinge genau so gesagt worden sind. Selbst der Hinweis auf die Seelenwanderung, hier Reinkarnation, ist korrekt. Ungenau wiedergegeben in der Paraphrase, in diesem Denunziationsschreiben aber voll­kommen korrekt. Die Metapher des Esels spielt bei Bruno eine ganz große Rolle. Er hat eine eigene kleine satirische Schrift geschrieben über den Esel, und der Esel wird immer wieder herangezogen, um akademische Ignoranz und Dummheit zu geißeln. Also das ist …, daran kann kein Zweifel bestehen. Wir wissen übrigens auch, dass Bruno seinen Mitgefangenen schon in Venedig, in der Kerkerhaft in Venedig, sehr freimütig viele von diesen Dingen erzählt hat. Einige, selbst Angeklagte der Inquisition, haben das dann den zuständigen Inquisitoren weitererzählt, in der armseligen Hoffnung, sich selbst zu retten, den Anderen zu denunzieren: Der ist noch furchtbarer als ich selber, damit ich mich rette. Das ist überliefert worden. So sind diese Gedanken zum Teil dann auch noch weiter getragen worden. Allerdings, soweit wir das aus den Quellen wissen, hat keiner dieser Betreffenden, die da versucht haben, ihr Leben zu retten, auf diese Weise etwas davon gehabt. Sie sind alle genauso umgebracht worden durch die Inquisition. Also sie haben sich selber nicht gerettet mit dieser erbärmlichen Denunziation.

Einer der besten Kenner Brunos in Italien, heute wahrscheinlich der beste Kenner Brunos, ist der Italiener Anacleto Verrecchia, mit dem ich seit kurzem in regem Kontakt stehe. Wir haben jetzt zum ersten Mal länger telefoniert und wollen uns in Kürze treffen in Wien. Und er will sich auch einsetzen, dass mein neues Buch ins Italienische übersetzt wird. Und er schreibt zu dem Punkt, das Buch ist 1999 erschienen, „Giordano Bruno – Nachtfalter des Geistes“, eine exzellente Biographie Brunos. Er schreibt in diesem Buch: „Manche seiner satirischen Attacken gegen das Christentum, zum Beispiel im ,Spacio‘, also ,Vertreibung der triumphierenden Bestie‘, sind noch vernichtender als jene von Voltaire. Sie sind aber auch radikaler als die Kritik Nietzsches. Denn sie schonen nicht einmal die Figur Christi, der im Gewand des Orion der Satire ausgeliefert wird. Sie erinnern eher an die antichristliche Kritik eines Celsus oder des Kaisers Julian, des berühmten Kaisers Julian Apostata. Wenn man genau hinsieht, ist die ganze Philosophie Brunos radikal antichristlich.“

Soweit also Anacleto Verrecchia. Wenn Sie eine Biographie lesen wollen, mein Büchlein von damals ist ja keine Biografie, ist ja eine Monografie, der biographische Teil ist ja nur ein kleiner Teil daraus, dann kann ich Ihnen unbedingt den Anacleto Verrecchia empfehlen, der mit einer ungeheuer differenzierten Recherche, nun würde ich behaupten, die zentrale, gewisserweise die Standard-Biographie von Giordano Bruno vorgelegt hat, die in gewisser Weise bisher gefehlt hat. Also, Bruno wurde angeklagt, behauptet zu haben, der Kosmos ist unendlich, überall gibt es lebendiges Wesen, es gibt überall lebendige Intelligenz. Warum war das ein Skandal für das Christentum? Naheliegenderweise, weil, wenn das so ist, wenn wir sozusagen umgeben sind von einem brodelnden Leben, wenn überall auf den verschiedensten Ebenen, in den verschiedensten Seinsformen, Intelligenz, intelligentes Leben existiert, dann ist die Einzigartigkeit der Erde dahin und natürlich auch die Einzigartigkeit dieser Religion. Und es ist kein Zufall, dass im Zusammenhang mit dieser Kontroverse gerade von christlicher, auch kirchlicher Seite die Urknalltheorie gerne herangezogen wird. Sie wissen, dass ich sie scharf kritisiere, dass die Urknalltheorie herangezogen wird, um gerade die christliche Schöpfung mit zu untermauern und die moderne Kosmologie in ihrer Grundüberzeugung, dass Leben nur oasenhaft da ist, wird herangezogen und geradezu favorisiert, begeistert aufgegriffen. Ich erinnere mich an eine lange Diskussion, die ich hatte vor 30 Jahren mit einem Pfarrer über diesen Punkt. Er sagte: Was wollen Sie denn? Es ist doch ganz klar und nun mittlerweile zweifelsfrei erwiesen, dass wir wahrscheinlich, das sagte er Mitte der 60er Jahre, allein sind im Universum. Dann ist das Ganze ja nur eine gigantische Veranstaltung, dann sind wir doch zentral, und dann ist das Christentum eben zentral. Dann müssen wir uns gar nicht damit beschäftigen, dass es vielleicht nur eine provinzielle Angelegenheit sei. Das war ein Einwand, der erst mal sehr stark war. Und die schroffe Kritik am Christentum tat das ihre.

Bruno hat auch andere, nicht nur die katholische Version, auch die calvinistische und die protestantische Version kennengelernt. Er war längere Zeit in Genf. Ich will jetzt kurz etwas zur Biographie sagen, und ist auch da in Ungnade gefallen, in den Kerker geworfen worden, hat dann Genf verlassen. Am gnädigsten mit ihm verfahren sind dann die Protestanten in Wittenberg, in der Luther- und Melanchthon-Nachfolge. Was insofern eigenartig ist, als gerade die Protestanten zunächst Diejenigen waren, die den Koperni­kanismus, als dessen revolutionären Vollender ja Bruno sich selbst sah, ganz scharf abgelehnt haben. Sie wissen ja vielleicht, dass Luther darüber spottete und auf Bibelstellen hinwies, die dem widersprechen. Auch Melanchthon tat das. Also was war vorausgegangen, jetzt rein biographisch? Ich will das in aller Knappheit skizzieren, um das zu verdeutlichen, wie kam das, dass Bruno in die Fänge der Inquisition geraten konnte?

Bruno ist 1548 geboren, wahrscheinlich im Januar oder Februar, wir wissen es nicht genau. Nur mal zum historischen Kontext: Galilei, Galileo Galilei, 1564 ‒ also ungefähr ein Generationsgenosse. Galileo ist ein bisschen jünger, Kepler 1570, nur um, dass Sie mal den Zusammenhang haben. Als Galilei im Jahre 1592 28-jährig Professor für Mathematik in Padua wird, er bekommt die Professur in Padua, bevor er später nach Florenz geht, gerät Bruno in die Fänge der Inquisition in Venedig. Also Bruno, Januar/Februar 1548 geboren, in Nola bei Neapel. Dort, wo auch ein Denkmal steht von Bruno, neben dem Denkmal in Rom auf dem Campus dei Fiori. Bruno ist sehr früh in den Dominikaner-Orden eingetreten. Und was wir wissen über diese Zeit im Dominikaner-Orden, er wurde noch zum Priester ordiniert und so weiter, deutet darauf hin, dass er offenbar sehr früh Schwierigkeiten hatte, Schwierigkeiten bekam mit den Ordensoberen. So wird berichtet, dass er als 18-Jähriger, also relativ früh, etwa alle Heiligenbilder aus seiner Mönchszelle verbannt habe, mit dem Hinweis darauf, dass sei Götzendienst, was immerhin erstaunlich [war] für einen 18-jährigen Dominikanermönch in dieser Zeit, dass er das als Götzendienst bezeichnete. Dann hat er wohl sehr früh in der Klosterbibliothek auch Schriften gelesen, die Zweifel geweckt haben, unter anderem schon damals offenbar die Schrift, die Hauptschrift des Kopernikus über die Kreisbewegung der Himmelskörper, die ja 1543 erschienen war. Ich sage es noch mal, das war wirklich in der Bibliothek des Klosters zu finden. Und zwar deswegen, weil dieses Buch in seiner Brisanz, in seiner revolutionären Sprengkraft gar nicht erkannt worden ist, weil der Platztausch zwischen Sonne und Erde erst einmal, ich sag es noch mal, im Grundsatz kompatibel war mit dem dem katholischen Dogma. Also, Bruno kam früh in Schwierigkeiten, wir wissen nichts Genaueres.

Man kennt nur eine kleine Episode, dass er einmal nach Rom beordert worden war vom damaligen Papst, der etwas wissen wollte über die Gedächtnisleistung von Bruno. Bruno war bekannt dafür schon als Mönch, dass er ein phänomenales Gedächtnis hatte. Er konnte seitenweise auswendig in Diskussionen Aristoteles zitieren. Das hat er später in Diskussionen mit seinen Gegnern auch immer gemacht. Er kannte seine Gegner immer besser als sie sich selbst. Er kannte die Originaltexte, auf die sie sich ja bezogen, Aristoteles war ja der philosophische Übervater der Epoche, kannte er viel genauer und besser als die, die diese Texte gegen ihn verwendet haben. Also der Papst hat ihn nach Rom beordert aufgrund seines hervorragenden Gedächtnisses, und er hat sozusagen eine Präsentation dieses Gedächtnisses geliefert. In seiner Philosophie spielt die Gedächtnisschulung eine zentrale Rolle. Er hat darüber auch viele Vorlesungen gehalten und auch einige Schriften abgefasst, von denen allerdings nicht alle erhalten sind, einige sind verlorengegangen. Bruno ist dann 1576 im Alter von 28 Jahren in eine schwierige, sehr schwierige Situation gekommen. Es gab Anklagepunkte gegen ihn. Er musste einen Prozess wegen Ketzerei gewärtigen. Wir wissen nicht genau die Punkte. Wessen wurde er angeklagt? Warum, wissen wir nicht. Tatsache ist, er kam in Schwierigkeiten und glaubte diesen Schwierig­keiten nur zu entgehen, indem er den Orden in einer Nacht- und Nebelaktion verließ. Das geschah 1576.

Bruno verließ den Orden und irrte nun erst einmal für die nächsten Monate in Italien umher, versuchte sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hat kurze Zeit später, das ist erhalten, ein Drama, ein satirisches Drama geschrieben, „Il Candelaio“, der Kerzenhalter, wo er das Mönchsleben verspottet. Und, ein wunderbares satirisches Theaterstück, was wirklich auf die Bühne gehörte und in dem er das Mönchsleben im Kloster geißelt. Also 1576 verlässt Bruno das Kloster, begibt sich also auf eine lange Wanderschaft, zunächst in Italien und dann, wichtig, zentral wichtig, in Frankreich, erst in Toulouse, dann längere Zeit Paris. Man muss wissen, wenn man von Frankreich redet, dass Frankreich damals ein wirklich schwieriger Boden war. 1572 war die berühmte Bartholomäusnacht, die Ermordung der Hugenotten. Es war ein riesiges Blutbad. Zehn­tausende wurden abgeschlachtet in einer einzige Nacht im August 1572. Es war also ein wirklich schwieriger Boden, und Bruno hat auf sich aufmerksam gemacht über seine Gedächtniskunst. Er hat erstmal Vorlesungen gehalten über die Gedächtniskunst und wurde vom damaligen König in Frankreich gefördert. Und hatte dann auch die Möglichkeit zu schreiben. Wenig ist erhalten aus der Zeit. Man muss sagen, dass Bruno in der ihm verbliebenen Zeit ein Riesenwerk hinterlassen hat von ungefähr 50 Schriften, von denen zwanzig verloren gegangen sind. Also wir haben nur dreißig Schriften tatsächlich erhalten, zwanzig Schriften sind verlorengegangen, vor allen Dingen die Schriften aus der frühen Zeit sind fast alle verloren gegangen. Mit Ausnahme dieser Schrift „Il Candelaio“, „Der Kerzenhalter“.

Bruno ging dann nach England in Begleitung von Michel de Castelnau, des französischen Botschafters in London. Und das war die berühmte, in vielen Biographien ja auch mit Recht herausgestellte fruchtbare und ruhigste Zeit überhaupt im Leben Brunos in den Jahren 1584/85, zum Teil auch 1586. Er lebte in der Butcher Road in London unter schwierigen Bedingungen. Zum Beispiel hat er sich geweigert, Englisch zu lernen, was schwierig war damals in London. Viele konnten Italienisch, aber er hasste die englische Sprache. Das hat ihm die Sache nicht erleichtert. Er hat also kein Englisch gelernt, er wollte es nicht. Und er hat dann in relativ schneller Folge hintereinander seine großen italienischen Dialoge abgefasst. Zunächst einmal die Schrift „La Cena de le Ceneri“, „Das Aschermittwochsmal“, bezogen auf ein Gespräch, eine Gesprächsrunde, die tatsächlich stattgefunden hat, wo er im Kreise von Gelehrten, Doctores, zum Aschermittwoch des Jahres 1584, also im Februar, also er hat über dieses Gespräch eine gigantische, brillante Satire abgefasst, und in diese Satire baut er nun, Stück für Stück, sukzessive seine neue und andere Kosmologie ein, ein einmaliges literarisches Meisterstück. Auch Kritiker Brunos sagen, es ist ein Meisterstück der Literatur, also ein großes Stück Literatur. Wie er das geschafft hat in einem packenden, brillanten, einem Prestissimo an Einfällen und Dialogen, witzigen Episoden, dann darin, seine Kosmologie zu verpacken, kann man sagen, aber auch mit scharfen, kritischen Tönen gegen die Engländer. Das hat ihn so in so große Schwie­rigkeiten gebracht, dass er fast des Landes verwiesen worden wäre. Er musste dann in der nächsten Schrift „De la causa principia et uno“, „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“ darauf Bezug nehmen, also die nächste Schrift dann „Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen“, wo er seine All-Einheits-Philosophie umreißt.

Viele halten dieses Buch für die Hauptschrift von Giordano Bruno. Es ist das am meisten zitierte und auch erwähnte Buch Brunos. Schopenhauer zum Beispiel war ein so großer Verehrer dieses Buches, dass er es ins Deutsche übersetzen wollte, was dann nicht geschehen ist, aber er hatte es geplant, „Von der Ursache ..“ ins Deutsche zu übersetzen. Dann gleichzeitig entstand 1584 die zweitwichtigste kosmologische Schrift Brunos, die Schrift „Vom Unendlichen, dem All und den Welten“. Hier stellt Bruno seine Kosmologie der Unendlichkeit dar. Er stellt diese dar in einer argumentativen Konfrontation mit Aristoteles. Er geht jeden einzelnen Punkt der aristotelischen Kosmologie durch und versucht, ihn zu widerlegen. Ich meine, ich habe diese Texte mehrfach gründlich durch­gearbeitet. Ich meine, dass diese Argumente, die er bringt, auch intellektuell von einem ungeheuren Scharfsinn sind und auch heute überhaupt nichts von ihrer Brisanz eingebüßt haben.

Eines der Hauptargumente etwa von Aristoteles war, es könnte nur eine Welt geben, weil, wenn man sich dazu bequemen würde, dass es mehrere Welten gäbe, dann würde kein Halten mehr sein. Ich habe das ja schon mal in anderem Zusammenhang angedeutet, es könnte nur eine Welt geben, eine kugelförmige Welt, und diese Welt dürfte keinen Ort im Raum haben. Sie erinnern sich vielleicht an diese Ausführung. Wenn man annehmen würde, diese Welt habe einen Ort im Raum, dann wäre es eine Kugel im Raum, und es könnte da noch andere Kugeln im Raum, andere Kosmen im Raum geben, und dann wäre der Raum nicht mehr zu befrieden, dann würde er ins Unbegrenzte quasi sich ausweiten und das ließe sich gedanklich argumentativ nicht mehr einbinden. Deswegen müsste man sich dazu bequemen: Es kann nur eine Welt geben und so weiter. Dann die genannte Schrift „Spaccio de la bestia trionfante“, 1585, eine Satire, eine moralisch-ethische Satire mit diesen genannten Ausfällen, auch was den Orion betrifft, und dann eine Schrift, die den Titel trägt „Die heroischen Leidenschaften“ [„De gli heroici furori“], wo er eine Sammlung von Gedichten vorführt, zum Teil von ihm selbst, und diese Gedichte dann philosophisch interpretiert.

Bruno ist dann in Schwierigkeiten geraten, wie immer in seinem Leben, und musste London verlassen. Er ist dann nach Paris zurückgegangen. Wir sind jetzt im Jahre 1586. Immerhin hat er sein … hatte er sich schon einen gewissen Namen gemacht durch diese Bücher, die in gewissen Kreisen auch gelesen wurden, ganz bewusst übrigens [für] die Verwendung der italienischen Sprache [entschieden]. Er war der Erste überhaupt, der diese Gelehrtensprache Latein zugunsten des Italienischen zur Seite legte. Die Schriften sind also aus gutem Grund [in] Italienisch abgefasst. Er war der Erste bis dato, der das gemacht hatte. Er ist dann allerdings später zum Lateinischen zurückgekehrt. Er ging dann nach Paris zurück, 1586. Und es kam da zu einem der spektakulärsten Ereignisse in der Biographie Brunos, zu einer Diskussion im Collège de Cambrai, zu einer öffentlichen Disputation über seine Thesen. Er hatte dann eine Reihe von Thesen aufgestellt gegen die Peripatetiker und Aristoteliker seiner Zeit und hat über einen Schüler, Jean Honnequin, wie das damals üblich war, in der öffentlichen Disputation diese Thesen verteidigen wollen. Es gab dann turbulente Szenen, es gab Gebrüll im Saal, es gab Angriffe, es gab Prügeleien der Studenten untereinander. Das, was wir davon wissen, muss ziemlich heftig gewesen sein. Und Bruno hat es dann vorgezogen, was ihm Biographen zum Teil verübelt haben, nicht wieder zu erscheinen, was verständlich ist. Er ist dann zu einer anberaumten Diskussion am nächsten Tag nicht mehr gekommen, um dem auszuweichen. Kritiker haben natürlich gesagt, seine Thesen seien schwach gestützt, er hatte Angst vor der Argumentation. Das ist kaum anzunehmen, dass er Angst vor der Argumentation hatte. Er hatte nur Angst vor der aufgeheizten, vor der mob-ähnlichen Stimmung im Saal, die ihm das überhaupt gar nicht mehr ermöglichte, seine Sachen vorzutragen.

Bruno ist dann nach Deutschland gegangen, also damals das Deutsche Reich, und hat lange Zeit in Wittenberg gelebt. Wittenberg, da toleriert von den Lutheranern, das muss man sagen. Die Lutheraner haben zwar in keiner Weise seine Philosophie akzeptiert, auch nicht mal honoriert, aber er ist in Ruhe gelassen worden. Er konnte in Ruhe arbeiten. Von Wittenberg ging er nach Helmstedt, hat auch da längere Zeit gelebt und gearbeitet und ist dann nach Prag gegangen. Wie er es überhaupt fertiggebracht hat, in diesem unruhigen Wanderleben unter ständigen finanziellen Schwierigkeiten auch unter ständiger Anfeindung, dann noch ein viele tausend Seiten umfassendes weiteres, nun in lateinischer Sprache abgefasstes Werk an, ans Licht zu bringen, ist rätselhaft. Denn allein der pure Umfang dieses Werkes ist so erstaunlich, dass es kaum vorzustellen ist, dass Jemand in diesen schwierigsten Lebensumständen überhaupt in der Lage war, das aufzuschreiben. Die vielleicht wichtigste kosmologische Schrift Brunos hat den Titel „De Immenso“, „Vom Unermesslichen“. Diese Schrift ist bis heute nicht übersetzt. [mittlerweile übersetzt]. Das ist eigentlich einer der ganz großen Skandale der Geistesgeschichte, dass eine der größten Schriften der Kosmologie bis zum heutigen Tage nicht übersetzt worden ist. „De Immenso“, ein großes Lehrgedicht nach dem Vorbild des Römers Lucretius über den Kosmos, das noch hinausgeht über die Schrift „Vom Unendlichen“. Hier findet sich übrigens nur ein kleiner Aspekt unter ganz vielen Aspekten, der erste Hinweis jemals eines Menschen auf die Rotation der Sonne, 1591. Bruno ist der erste Mensch überhaupt, der klar sagt, dass auch die Sonne rotiert. In fast allen Darstellungen über die Frage der Sonnenrotation wird entweder Kepler oder Galilei als erster angegeben. Kepler war der zweite und Galilei der dritte, wenn man denn überhaupt in solche Prioritäten denken möchte, wenn die überhaupt einen Sinn ergeben.

Auf jeden Fall, Bruno. In dieser grandiosen Schrift verkündet er noch einmal, noch wieder auf einer neuen, höheren Ebene seine These von einem alllebendigen, allbeseelten, von einem von hoch differenzierter Intelligenz auf allen Ebenen erfüllten Universum. Jetzt kommt der entscheidende Punkt, der rätselhaft in der Biographie bleibt: Warum ist er nach Italien zurückgegangen? Er war doch … , konnte doch relativ ruhig leben in Wittenberg und in Helmstedt, in Prag schon weniger. Warum ist er nach Italien zurückgegangen? Er hatte in Frankfurt auf der Buchmesse, schon damals ein wichtiger Umschlagplatz, 1592, eine Einladung bekommen, dieses venezianischen Adligen Mocenigo. Der wollte ihn als Haus­lehrer praktisch in sein Haus holen, in seine Villa. Diese Villa steht noch, die kann man heute besichtigen, besuchen in Venedig. Auch die Gasse vorne heißt nach Mocenigo. Also er hat Bruno eingeladen, bei ihm zu wohnen. Bruno hat es abgelehnt, hat in Padua gewohnt, ist immer gependelt, ist dann zum Unterricht für Giovanni Mocenigo nach Venedig zurückgegangen, hat den unterrichtet, und wir wissen nicht genau, worin eigentlich unterrichtet. Vermutlich handelte es sich um eine Technik, das Gedächtnis zu schulen, und das war in den Augen von Mocenigo so eine Art, eine Art von Magie. Bruno galt als Magier, als Künstler, weil sich keiner vorstellen konnte, dass einer so ein phänomenales Gedächtnis hat. Schließlich hat er den ganz großen Fehler begangen. Er hat sich dann einquartiert in die Villa Mocenigos. Keiner weiß, warum. Alle Biografen haben darüber gerätselt, wie konnte er einen so unvorstellbaren Fehler machen. Wie konnte er so naiv sein, nicht zu wissen, dass der Mocenigo nur darauf lauerte, dass der längst seine Kontakte zur Inquisition hatte und ihm längst das merkwürdig vorkam, was der Bruno ihm erzählt hat. Schließlich hat er ihn denunziert bei der Inquisition. Ich habe hier einen kurzen Auszug aus dem Schreiben vorgelesen.

Bruno ist dann festgesetzt worden und zunächst in die berüchtigten Bleikammern in Venedig gekommen. Dann hat es erste Verhöre gegeben, Bruno ist gefoltert worden und hat zunächst in einem ersten Aufwallen der Verzweiflung, auch Biographen unverständ­licherweise haben sich zum Teil auch darüber erregt, über diese Zugeständnisse, hat er einen Teil seiner Lehre zurückgenommen. Im allerersten Moment, Anfang Juni 1592 aufgrund dieser Folterung. Nun wahrlich hätte keiner der Biographen irgendwie Grund, sich über diesen Punkt gerade zu erheben, aber es taucht immer wieder auf. Man wundert sich darüber (…) als Fürst der Ketzer, dass man den Venezianern von Seiten Roms das nicht mehr zutraute. Es gab ein Tauziehen zwischen Rom und Venedig. Irgendwann ist dann Bruno in Rom gelandet, und dann verlieren sich die Wege Brunos. Wir wissen nur den Kerker, in dem er gesessen hat. Ich habe lange vermutet, dass es die sogenannte Engelsburg gewesen sei. Durch … eine Engelsburg, in der sogenannten … Durch Anacleto Verrecchia erfahre ich, dass es nicht stimmt, sondern [dass es] ein anderer Kerker [war]. Man muss wissen, geschichtlich noch, um das zu verstehen, dass ungefähr zur gleichen Zeit war der große Prozess gegen Tommaso Campanella, 1599, auch ein Dominikaner, berühmter Philosoph, Verfasser ja des Buches „Der Sonnenstaat“, utopischer Sozialismus. Marx hat ihn sehr geschätzt, [hat] ein Riesenwerk hinterlassen, das nicht übersetzt ist. Also Campanella, zwanzig Jahre jünger als Bruno, hatte einen politischen Aufstand inszeniert gegen die Machthaber, hat also versucht, seine Ideen vom Sonnenstaat politisch durchzusetzen, ist in Kerkerhaft gekommen. Seine Mit-Aufrührer sind alle umgebracht worden. Er selber kam mit dem Leben davon, blieb aber 27 Jahre in Kerkerhaft, konnte dann aber fliehen. Ihm ist es tatsächlich gelungen zu fliehen. Er ist nicht hingerichtet worden. Er konnte dann vieles … ist dann nach Frankreich gegangen, nach Paris und hat da noch relativ friedlich lange Jahre gelebt.

Also, viele der Inquisitoren witterten in Bruno auch einen politischen Revolutionär. Und schließlich hat man dann den Versuch unternommen, die Hinrichtung, die lange geplant war, auf die Centenar-Feier zu legen, ganz bewusst auf das Jahr 1600. Das sollte ein Höhepunkt sein dieser Feier, denn in diesem Jahr war in Rom, das weiß man aus den Quellen, zwischen einer und drei Millionen Menschen anwesend. Also Rom war angefüllt mit Pilgern, und der damalige Papst Clemens VIII. glaubte, mit der Hinrichtung eines in Europa mittlerweile sehr bekannten Denkers ein Zeichen zu setzen. Bruno wurde dann … , das wurde noch immer wieder hinausgeschoben, und schließlich in einer Zeitungsnotiz vom 12. Februar heißt es, und das zeigt gut die Stimmung im damaligen Rom, da heißt es in einer Zeitschrift am 12. Februar: „Heute glaubten wir eine feierliche Hinrichtung zu sehen, und man weiß nicht, warum sie verschoben ist.“ Also richtig Enttäuschung, wenn man dieses Spektakel nicht hat. „Es handelt sich um einen Dominikaner aus Nola, einen sehr hartnäckigen Ketzer, der vergangenen Mittwoch im Palast des Kardinals Martinuzzi abgeurteilt wurde, als Vertreter verschiedener ungeheuerlicher Ansichten, bei denen er mit Hartnäckigkeit verblieb. Und gleichwohl hört man, das jetzt noch täglich Theologen sich um seine Bekehrung bemühen. Und in summa, wenn ihm der Herrgott nicht hilft, will er als verstockter Ketzer sterben und lebendig verbrannt werden.“

Man weiß nicht, warum die Hinrichtung aufgeschoben wurde. Man weiß nur, dass am 8. Februar 1600 formal das Todesurteil verkündet wurde. Das war in der damaligen Inquisition so, dass der Delinquent den weltlichen Mächten ausgeliefert wurde, mit dem Hinweis, ihn möglichst milde und ohne Blutvergießen hinzurichten. Also eine abgrundtiefe Verlogenheit, die darin steckte. Die Kirche selbst war [es] nicht, haben sich nicht sozusagen die Finger mit Blut beschmutzt. Sie haben das an die weltliche Macht, an den Gouverneur von Rom weitergegeben, der faktisch ein Büttel des damaligen Papstes war. Man weiß, dass, als Bruno am 8. Februar 1600 das Todesurteil verkündet worden war, er nur einen Satz gesagt haben soll, der mehrfach von verschiedenen Quellen überliefert worden ist. Der Satz hat folgenden Inhalt. Nachdem er das Urteil sich angehört hat, er musste niederknien, hat sich das Urteil angehört. Vor ihm waren also die prunkvollen Kardinäle aufgebaut im Ornat. „Ihr verhängt das Urteil vielleicht mit größerer Furcht, als ich es annehme.“ Ein berühmter Satz, viel zitiert, auch bewundert. Denken Sie an Bertolt Brecht „Mantel des Ketzers“. Also ein Satz, der wirklich ein weltgeschichtlicher Satz, ein wahrer Satz, kein kolportierter Satz, keine Legende. Ihr verhängt das Urteil vielleicht mit größerer Furcht, als ich es annehme. Dazu schreibt Anacleto Verrecchia in seiner Bruno Biographie: „Das sind furchterregende und denkwürdige Worte, die das Fundament der Peterskirche erschüt­tern, die man am Felsen der Geschichte festmachen möchte und die allein schon genügen, die Größe des moralischen Charakters Giordano Brunos verständlich zu machen.“ Und dann der Schlusspunkt, der 17. Februar selber, Rom, ich sage es noch einmal, war angefüllt mit Schaulustigen, war vollgepackt mit Pilgern. Und dann heißt es hier, das ist [erst] sehr spät aufgefunden worden in einem Bericht über diese Hinrichtung, von einer Bruderschaft von Sankt Johannes dem Enthaupteten. Da heißt es wörtlich, ich zitiere das als Letztes zu diesem biographischen Teil. Dieses Dokument war lange verborgen und ist erst im 19. Jahrhundert ans Licht gekommen: „Um zwei Uhr nachts wurde die Bruderschaft benach­richtigt, dass am nächsten Morgen die Hinrichtung eines Unbußfertigen stattfindenn werde. Um sechs Uhr morgens versammelten sich die Trostspender und der Kaplan entsandt aus Sola und gingen zum Gefängnis in der Tor di Nona.“ Dort hat Bruno einge­sessen, nicht in der Engelsburg. „Dort betraten sie die Kapelle und sprachen die üblichen Gebete für den zum Tode verurteilten Giordano Bruno, ein abtrünniger Bruder aus Nola, ein verstockter Ketzer. Er wurde von unseren Brüdern mit Liebe ermahnt. Auch riefen wir zwei Patres der Dominikaner, zwei von den Jesuiten, zwei von der neuen Kirche des heiligen Hieronymus. Sie zeigten ihm mit großem Eifer und mit großer Gelehrsamkeit seinen Irrtum. Er jedoch beharrte bis zum Ende in seiner verdammten Widerspenstigkeit und verdrehte sich das Gehirn und den Verstand mit tausend Irrtümern. Ja, er ließ nicht nach in seiner Halsstarrigkeit. Nicht einmal, als ihn die Gerichtsdiener zum Campo del Fiori abführten. Dort wurde er entkleidet“, auch [eine] äußerste Demütigung, der Hinzu­richtende wurde also ausgezogen. „Dort wurde er entkleidet, an einen Pfahl gebunden, lebendig verbrannt“, übrigens geknebelt. Vielen wurde die Zunge herausgerissen. Das hat man bei Bruno nicht gemacht. Man hat ihm aber einen Knebel in Mund gestopft, dass er nichts sagen kann, weil man Gefahr [sah], weil man Angst hat, dass Bruno noch in seinen letzten Minuten etwas sagen würde. Man hat ihn also geknebelt. „Dort wurde er entkleidet, an einen Pfahl gebunden und lebendig verbrannt. In all dieser Zeit wurde er von unserer Bruderschaft begleitet, die ständig ihre Litaneien sang, während die Confrontatori bis zum letzten Augenblick versuchten, seinen hartnäckigen Widerstand zu brechen, bis er schließ­lich sein elendes und unglückliches Leben aufgab. Ein Augenzeuge berichtet, was noch geschehen ist, als ein schauriger Schlusspunkt. Man hat ihm dann durch die Flammen hinweg an einem langen Stab, damit sich die Betreffenden nicht ihre Arme irgendwie ankokeln, an einem langen Stab ein Kruzifix vors Gesicht gehalten, das er küssen sollte, er hat sich angeekelt abgewandt, wie ein Zeitgenosse berichtet, der dieser Szene beigewohnt hat.

Und was dann geschah in der Wirkung danach, ist beispiellos. Die Schriften wurden, soweit die Kirche ihrer habhaft werden konnte, alle eingezogen und vernichtet. Das hatte zur Folge, dass tatsächlich für zwei Jahrhunderte hinweg zum Beispiel diese Schrift ,Die Vertreibung der triumphierenden Bestie‘ in Europa kaum aufzufinden war. Die war wie verschollen. Es war wie eine Sage in Europa, dass [es] überhaupt dieses Buch gibt. Die Schriften Brunos kamen auf den Index, und erst jetzt ging die Kirche in Konfrontation zum Kopernikanismus. Erst jetzt. Das heißt, die Haltung, die dann eingenommen wurde der aufkommenden modernen Naturwissenschaft, Kosmologie gegenüber, geht zurück auf diese Auseinandersetzung mit Bruno. Erst jetzt wurde die Kirche hellhörig, und das kann man ganz deutlich zeigen an den Gesprächen, die Bellarmin, einer der Kardinäle, die das Todesurteil mit unterzeichnet haben, dann mit Galilei führte. Alle haben sie geschwiegen. Galilei erwähnt in seinem, in seinen Büchern, Bruno nie, mit keinem einzigen Wort, obwohl man nachweisen kann, dass er in vielerlei Hinsicht auch von Bruno stark beeinflusst ist. Zum Beispiel übernimmt er zum Teil wörtlich in seinem Dialog die Argumentation Brunos, warum man nichts merkt von einer bewegten Erde. Das berühmte Beispiel mit dem Stein, den man an einem Mast runterfallen lässt auf einem Schiff. Da war ja immer das Argument gewesen, dass der Stein ein bisschen hinter dem Mast aufkommen müsste, weil sich ja das Schiff unter dem fallenden Stein wegbewegt hat. So meinte man also, dass wenn ein Stein zu Boden fällt, die sich bewegende Erde ja unter dem Stein hinweg drehen müsste, hinwegbewegen müsste. Bruno hat nachgewiesen, dass es nicht der Fall ist. Und das hat Galilei in seinen Discorsi übernommen. Kepler erwähnt Bruno meines Wissens nur einmal, nur in einem Brief, in einer Briefstelle erwähnt er Bruno und erwähnt die Unhaltbarkeit der Theorie von den unendlichen Welten, vom unendlichen Weltall mit einem interessanten Argument; und zwar bringt Kepler folgendes Argument: Das kann nicht stimmen, weil, wenn es stimmen würde, dann hätte die Bewegung kein Bezugssystem. Also das ist ein eigenartiges Argument, das hat er gegen Bruno gewandt. Also Kepler in einer Briefstelle an einen Freund äußert sich zu Bruno in diesem Sinne negativ, absolut negativ. Das haben übrigens dann im Laufe der nachfolgenden Generationen fast alle gemacht, fast alle Philosophen, fast alle Naturwissenschaftler, die Kirchenleute sowieso, fast ausschließlich sich negativ geäußert, wenn sie überhaupt sich geäußert haben. Und eine gewisse Verän­derung hat sich dann erst im späten 18. Jahrhundert ergeben.

Und darauf will ich dann eingehen nach der Pause. Ich mach eine kleine Pause, ich habe ein bisschen überzogen. Das macht aber nichts. Wir machen mal fünf Minuten vielleicht nur Pause. [Ich möchte Ihnen jetzt einige] zentrale Punkte der Kosmologie darstellen und auch die Wirkungsgeschichte in einigen zentralen Aspekten beleuchten.

Ja, an der Stelle, das finde ich richtig. Die ist damals revolutionär gewesen, und das ist sie auch heute noch. Da sollte man sich keinen Illusionen darüber hingeben. Das ist sie auch heute noch. Bruno musste dafür am 17. Februar [1600] in Rom auf dem Scheiterhaufen sterben, doch seine Gedanken [werden] noch im neuen Jahrtausend Wege weisen. Gut, dass das ganze Universum selbst göttlich, lebendig und überall von Geist erfüllt sei, das ist im Prinzip richtig hier paraphrasiert. Das wird häufig mit dem Schlagwort oder Stichwort vom Pantheismus versehen. Bruno wird ja in vielen Philosophiegeschichten als ein quasi-Pantheist hingestellt, der deo sive natura im Sinne von Spinoza, also, der mehr oder weniger die Gottheit, das Göttliche, den Gott gleichsetzt mit dem Universum. Das stimmt nicht. Da macht Bruno sehr wohl einen Unterschied, obwohl er, ich greife jetzt nur mal auf, weil das hier in der Formulierung auftaucht, Bruno vertritt weder die These von einem vollständig transzendenten Gott noch die These von einem vollständig immanenten Gott. Er vertritt die These von der paradoxen Einheit von Transzendenz und Immanenz, das wichtig, in diesem Sinne ist er im engeren Verständnis, kein Pantheist. Für ihn hat die Gottheit auch eine transzendente Dimension. Sie geht nicht vollkommen auf in der Welt. Insofern ist eine Gleichsetzung von Universum und Gott nicht zutreffend. Aber es fließt auch die gesamte Weisheit, die unendliche Schöpferkraft in dieses Universum ein. Das war ja ein wichtiger Gedanke überhaupt bei Bruno, dass er sagte, und das ist in der Tat ein Argument, was in direkter Konfrontation mit Aristoteles entwickelt wurde, er sagte, es hieße die göttliche Schöpferkraft beschränken und einschränken, verkleinern, wenn man annähme, dass die Gottheit, die eine unendliche Welt hätte schaffen können, sich begnügt hätte mit einer nur endlichen Welt. Und das ist eine wesentliche These bei Bruno, dass die Göttlichkeit … , die Unendlichkeit der göttlichen Schöpferkraft, müsste ihr Äquivalent haben, in der Unendlichkeit der Schöpfung. Deswegen ist die Schöpfung selber im engeren Sinne nicht identisch mit Gott, wiewohl göttlich.

Das ist ein schwieriger Punkt. Ein gewisses Paradoxon taucht da auf, eben die Einheit von Transzendenz und Immanenz. Das hat die Wirkungsgeschichte Brunos übrigens entscheidend mitbeeinflusst. Denn dass Bruno aus der Vergessenheit heraus­geholt wurde, fast zwei Jahrhunderte nachdem seine wichtigen Schriften entstanden waren, geht genau auf diesen Punkt zurück. Denn der Goethe-Freund Friedrich Heinrich Jacobi hatte im Zusammenhang mit seiner Polemik in den 80iger Jahren des 18. Jahrhunderts gegen den Spinozismus, gegen diese Lehre der Einheit von All und Gott, eine Lehre, die er als Atheismus bezeichnete, scharf polemisiert und nun nach Quellen gesucht dieses Pantheismus. Und im Zuge dieser Recherche nach Quellen des Pantheismus stieß er dann auf Giordano Bruno, hat nur eine einzige Schrift herangezogen, „Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen“, und hat hier Auszüge aus dieser Schrift veröffentlicht. Und diese Auszüge haben dann eine ungeheure Wirkungsgeschichte Brunos ausgelöst. Denn diese Auszüge haben dann zum Beispiel die deutschen Idealisten aufgegriffen, allen voran Schelling, haben diese Texte gelesen, auch Goethe hat das gelesen, er hatte auch schon einen anderen Kontext Giordano Bruno gelesen, und das hat dann eine enorme Wirkung in Deutschland ausgelöst.

Überhaupt [war] die Hauptwirkung Brunos in Deutschland zu verzeichnen, nicht in Italien. Das geht so weit, ich habe mit Verrecchia darüber korrespondiert, auch kürzlich lange telefoniert, warum sein Buch, das in Deutsch erschienen ist, nicht auf Italienisch erschienen ist. Also ein Italiener schreibt eine Biographie über seinen großen Landsmann Giordano Bruno, aber dieses Buch ist nur auf Deutsch erschienen. Er selber spricht fließend Deutsch, hat es italienisch geschrieben, aber auch mitübersetzt mit einem Freund. Er sagte mir, es gibt es einen Grund dafür, Herr Kirchhoff: Italien ist beherrscht von Pfaffen und von Kommunisten. Deswegen, die mögen alle den Bruno nicht, deswegen ist es nicht so. Ich war also verwundert darüber, dass dieses wunderbare Buch nicht auch im Italienischen erschienen ist und habe mich immer gewundert darüber, dass meine Bruno-Monografie, die vor zwanzig Jahren erschienen war, überhaupt nicht ins Italienische übersetzt worden ist. Ich meine, die Italiener, das ist doch einer ihrer bedeutendsten Geister, vielleicht überhaupt der bedeutendste Geist der italienischen Geistesgeschichte. Es wäre doch naheliegend, dass sie sich auch damit auseinandersetzen. Das tut man Italien nur sehr bedingt. Es gibt neuerdings eine Zeitschrift, die „Bruniana und Campanelliana“ [korrekter Titel] heißt, eine gerade ins Leben gerufene Zeitschrift, die sich dem Thema widmet. Aber es ist sehr, fast möchte man sagen, unterkühlt. Und es gibt im Wesentlichen nur auch eine akademische Auseinandersetzung damit, und keine wirklich lebendige Auseinander­setzung. Also diese Texte, die Jacobi in Auszügen veröffentlicht hatte, haben dann eine enorme Wirkung ausgelöst im deutschen Idealismus und haben dann eine Bruno-Welle hervorgerufen, die bis weit ins 20. Jahrhundert hineinging. Aber immer gab es diese Vorbehalte gegen Bruno, das habe ich ja schon angedeutet. Immer diese Vorbehalte: Ist er denn wirklich ein ernst zu nehmender, exakter Denker, Naturphilosoph oder Naturwissen­schaftler? Da gab es immer Fragen. Ist das nicht letztlich Schwärmerei, zu sagen, das Universum sei unendlich belebt? Noch Sloterdijk in seinen dicken Bänden über Sphären, vor allem im zweiten Band, äußert sich dazu und sagt: Wer heute noch ernsthaft solche Thesen vertritt, das sei heute pure Literatur, schon im 19. Jahrhundert, pure Literatur oder schlechte Poesie. Obwohl er andererseits ein großer Bewunderer von Bruno ist und auch immer wieder bewundernde Worte für Bruno findet, so ist doch für ihn die Leblosigkeit des Universums ausgemachte Sache. Dass wir da draußen im All nichts zu suchen haben, ist für ihn ausgemachte Sache. Wir müssen uns beschränken auf diesen Globus. Und da, meint er, irrte Bruno entscheidend.

Wovon war Bruno ausgegangen? Das muss man nochmal im Moment in seine Erinnerung rufen, weil das viele nicht mehr wissen. Was war denn überhaupt die Frage, nachdem das epochemachende Buch von Kopernikus erschienen war? Worum ging es denn? Auch wenn es zunächst gar nicht verstanden worden war. Welche Fragen standen an? Das sind vor allen Dingen sieben Fragen, die ich als kopernikanische Herausforderung bezeichne. Ich nenne mal diese sieben Punkte, mit denen sich nun jeder Naturwissen­schaftler, jeder Kosmologe seitdem auseinandersetzen musste, ob er wollte oder nicht. Kopernikus’ Werk hat sieben Grundfragen aufgeworfen, und diese sieben Grundfragen mussten in irgendeiner Form behandelt werden. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass das Werk des Kopernikus 1543 erschienen war, mit einer Vorrede an den Papst, in dem sicheren Gefühl, dass von der Kirche keine Opposition kommen könnte und dass Kopernikus die Fixsternsphäre, die gewaltige Hohlkugel, die die Welt umgibt, in der geozentrischen [solarzentrischen] Kosmologie beibehielt. Folgende sieben Punkte mussten alle seitdem behandelt [werden], [sind] auch behandelt worden.

Erster Punkt: Unsere Sinne glauben nicht an Kopernikus. Warum? Warum wirkt der irdische Boden unter unseren Füßen so, als ob er ruhe? Wie kann etwas wie ruhend wirken, sich aber zugleich rasend schnell bewegen? Das war eine Frage, die ungeheuer brisant war. Denken Sie auch an die berühmte Stelle in dem Galilei-Drama von Brecht, wo darüber gespottet wird, wenn die Erde sich tatsächlich so rasend schnell bewegt, müsste doch ständig ein Gegenwind wehen, müsste man irgendwie merken. Das war Punkt eins. Für die gesamte Naturwissenschaft und Philosophie danach, die sich mit dem Kosmos beschäftigt, war es die Frage: Warum merken wir nichts von dieser rasenden Bewegung? Zweiter Punkt: Warum bewegen sich die Gestirne, einschließlich der nun aus der kosmischen zentralen Position entbundenen Erde? Die Warum-Frage in Bezug auf die kosmische Bewegung ist zugleich die Frage nach den bewegenden Kräften. Sie wissen ja, ich habe das ja verschiedentlich gesagt, dass die moderne Physik die Fragen letztlich nicht geklärt hat, dass man letztlich eine ursachelose Perpetual-Bewegung annimmt. Ich habe Ihnen ja in der letzten Vorlesung auch versucht, meine Überlegungen dazu vorzustellen. Also die Warum-Frage in Bezug auf die kosmische Bewegung, ist zugleich die Frage nach den bewegenden Kräften. Die Nachfolger des Kopernikus eliminierten auch die die Planeten tragenden Kristallsphären oder -schalen. Damit schwebten oder hingen die Gestirne nun frei im Raum. Das war ja die Annahme, dass die Gestirne daran befestigt sind an diesen gigantischen, unsichtbaren Hohlkugeln.

Drittens: Wie lässt sich die Gravitation erklären, die nun jedem Himmelskörper zugesprochen werden musste? Was ist überhaupt diese Gravitation? Welche Kraft liegt ihr zugrunde und welchen Ursprung hat sie? Warum ist sie so raumüberbrückend und mächtig? Auch da, das habe ich ja schon angedeutet, hat die Mainstream-Physik eigentlich keine Antwort.

Viertens: Ist der Kosmos endlich oder unendlich? Die Frage kam auf. Kopernikus sagt an einer Stelle seines Werkes: ob die Welt endlich oder unendlich ist, wollen wir dem Streit der Naturphilosophen überlassen. Er wollte sich zu der Frage nicht äußern. Auch Galilei hat die Frage zurückgewiesen. Diese Frage hat er in der Schwebe gelassen, während Kepler sich eindeutig gegen eine Unendlichkeit ausspricht. Ist der Kosmos endlich oder unendlich? Sollte er endlich sein, wie lassen sich die Grenzen dieser Endlichkeit bestim­men? Was ist jenseits dieser Grenzen, wenn da überhaupt etwas im raumzeitlichen Sinne ist? Die Frage war mächtig, und Bruno ist augenscheinlich der erste Denker, der konsequent mit seinem ganzen intellektuellen Scharfsinn die Frage der Unendlichkeit des Universums denkt. Das ist ja ein Gedanke, der eigentlich nicht gedacht werden kann. Nicht, Sie erinnern sich, Sie kennen das vielleicht aus der Philosophiegeschichte, dass ja Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“, in den „Antinomien der reinen Vernunft“, die These vertritt, diese Frage ist nicht entscheidbar, vom Geist aus. Man kann beides verfechten. Man kann die Endlichkeit, und man kann die Unendlichkeit genauso logisch intellektuell dar­stellen. Genau die Frage: Hat die Welt einen Anfang, oder hat sie keinen Anfang? Beides ist möglich und beides ist ein nicht auflösbarer Widerspruch. Der Geist, der Intellekt kann das nicht entscheiden.

Fünfter Punkt: Kopernikus entdeckte die Planeten-Natur der Erde. Er macht ja die Erde zum Planeten. Warum sollte dieser Planet, wenn er schon derart erhoben und auch kosmisch relativiert wurde, eine Sonderrolle einnehmen? Gibt es auch anderswo intelligentes Leben? Die Frage ist ja sofort naheliegend. Wenn dann der Planet Erde keine Einzigartigkeit im Kosmos hat, dann muss man fragen: Gibt es auch anderswo intelligentes Leben? Im Sinne der kopernikanischen Logik müsste die Frage bejaht werden. Bruno hat die Frage bejaht. Galilei hat sich zu dieser Frage überhaupt nicht geäußert. Übrigens auch noch Newton nicht. Die Frage hat dann erst eine Rolle gespielt in der Kosmologie des 18. Jahrhunderts und ist dann auch im Sinne Brunos positiv bejahend beantwortet worden, von Voltaire und vielen anderen.

Sechster Punkt: Wie stellt sich das Mensch-Kosmos-Verhältnis in der nun unvor­stellbar entgrenzten Welt dar? Wie kosmisch ist der Mensch? Also die Frage: Was ist denn jetzt, wenn die Welt unvorstellbar entgrenzt ist, überhaupt mit dem Mensch-Kosmos-Verhältnis? Dann muss man das ja erst vollkommen neu denken.

Und die siebente Frage, die theologisch natürlich die brisanteste ist: Was ist mit Gott, der Gottheit, dem Göttlichen in der neu entdeckten Weite des Raumes? Mit anderen Worten: Wo bleibt Gott, wenn denn die Welt sich ins Unvorstellbare ausweitet? Diese Frage hat ja noch im 18. Jahrhundert in vielen Diskursen eine zentrale Rolle gespielt, so zum Beispiel in der ganzen Auseinandersetzung, von mir ja schon mehrfach erwähnt, zwischen Leibniz und Newton. Da geht es immer um die Frage: Wo bleibt Gott im Universum? Und der Vorwurf des Atheismus wurde schnell erhoben, das war auch politisch, auch soziologisch ein gravierender Vorwurf, das darf man nicht vergessen von heute aus. Noch Fichte musste seine Professur in Jena, seine Philosophie-Professur aufgeben, ich glaube 1792, wenn ich es richtig weiß, weil er den Verdacht auf sich zog, Atheist zu sein. Also der Vorwurf des Atheismus war noch dazu angetan, Jemanden von seinem Lehrstuhl zu entbinden. Insofern war die Frage wirklich eine auch politisch-soziologische Frage, eine wirklich brisante Frage: Wie steht es eigentlich mit Gott im Universum? Ist der Gott in der Welt? Ist er ein transzendentes Wesen, wie Newton annahm, außerhalb der Welt? Und, greift er in das Universum ein? Repariert er sozusagen sein kosmisches Uhrwerk immer wieder? Oder läuft das vollkommen von alleine, wie das Leibniz annahm? Einmal angestoßen, läuft es unendlich weiter. Und Leibniz und andere haben ja darüber gespottet, dass Newton ja meinte, Gott muss immer wieder in die Welt eingreifen, damit dieses Räderwerk nicht zum Stillstand kommt. Damit hat er natürlich … also mit diesen sieben Fragen war jeder konfrontiert.

Bruno hat versucht, diese sieben Fragen zu beantworten auf eine ungeheuer weitreichende und revolutionäre Weise, auch von heute aus, das muss man noch mal sagen, das kommt ja auch hier in dem … , in den Sätzen zu dem Urania-Vortrag zum Ausdruck. Auch von heute aus ist das eine ungeheuer brisante und weitreichende Frage, auch die Frage des möglichen extraterrestrischen Lebens: Welche Formen hat dieses Leben? Welche organischen Formen gibt es? Welche Bewusstseins-Formen gibt es? Wie steht es überhaupt mit dem Lebendigen in der Welt? Das wird häufig in den geschichtlichen Darstellungen so dargestellt, übrigens falsch dargestellt, als ob Bruno der Auffassung gewesen wäre, dass es eine unendliche Zahl von Sonnensystemen gäbe, wobei jeweils immer ein Planet in einer bestimmten Sonnenentfernung Leben tragen könne. Bruno hielt ja die Sonnen und Fixsterne selber für bewohnt, worüber viele Nachfahren, Nachkommen eher irritiert waren. Was meint er damit? Er war ernsthaft der Auffassung, es gibt sozusagen, es bedarf gar keiner Planeten. Auch die für ungeheuerlich heiß und glühend gedachten Himmels­körper sind im Grunde genommen, auf eine für uns unvorstellbare Weise bewohnte Himmelskörper. Also Bruno glaubte wirklich an die Allgegenwart des Lebens in diesem Universum, also ein wirklich in toto lebendiges Universum. Wobei er immer wieder gesagt hat, dass wir uns nicht unbedingt eine Vorstellung machen könnten von der Erscheinungs­form, von der Manifestation, von dem Wesen, von der Art dieses Lebendigen. Aber er war davon … ging davon aus, dass das Lebendige überall vorhanden sein müsste.

Ich will mal eine kurze Passage vorlesen von Bruno, die seine, auf eine wunderbare Weise, seine Erkenntnistheorie zeigt. Bruno ging von einer bestimmten Grundannahme aus in seiner Erkenntnistheorie, er hatte eine Erkenntnistheorie. Auch das haben viele gar nicht gesehen. Bruno selber, das muss man vielleicht noch ergänzen, führt seine Philosophie zurück auf eine zentrale Intuition, auf eine zentrale Intuition, ich habe das ja schon mal angedeutet, im Alter von 30 Jahren, auf ein quasi Erleuchtungs-Erlebnis, das er auch eingehend beschreibt. Er hätte im Jahre 1578 als 30-jähriger eine Art von, wie würde man heute sagen, kosmisches Bewusstsein erlangt und habe in diesem einen Moment, in einem blitzartigen Augenblick der Erhellung seine gesamte Kosmologie geschaut. Das kann man so stehen lassen. Immerhin muss man sagen, wenn man das jetzt mal anzweifeln möchte, dass in dieser Intuition eine Fülle von Elementen drin waren, die er auf gar keinen Fall [vorher] wissen konnte. Beispiel ist die Rotation der Sonne. Er war der erste Mensch überhaupt, der die Rotation der Sonne behauptet hat. Er war der erste Mensch, lange vor Kepler, der gesagt hat, dass die Planeten[bahnen] nicht kreisförmig sind, sondern elliptisch. Er war der Erste, der gesagt hat, das jenseits des Saturns, der noch als der letzte Planet galt, weitere Planeten sind und so weiter. Woher wusste er das? Wie konnte er das wissen? Es gab kein Fernrohr zu Brunos Zeit. Das Fernrohr wurde bekanntlich erst 1609/1610 erfunden, also viel später. Er hat nie durch ein Fernrohr geschaut. Er hat es einfach erschlossen aufgrund von einfachen Überlegungen oder geschaut in irgendeinem verän­derten Bewusstseinszustand, den [hat man] bei ihm durchaus unterstellen können, ja, in gewisser Weise unterstellen müssen.

Ich geb jetzt mal diese Stelle seiner Erkenntnistheorie, die stammt aus einer lateinischen Schrift. Ich habe das aus dem Lateinischen ins Deutsche hier übersetzt. Da geht es um die Stufung der Erkenntnis. Ich lese das mal vor, es ist eine halbe Seite hier:

„Im eigentlichen Sinne wird die Erkenntnis aufgefasst als ein Vermögen zur Aneignung der erkennbaren Dinge. Und dies geschieht auf vielerlei Weise.“ Jetzt stuft er das. „Es gibt zunächst die Sinnes-Erkenntnis. Es folgt der Verstand, welcher allein dem Menschen eigentümlich ist, also das Vermögen, welches aus dem durch die Sinneswahr­nehmungen erfüllten und im Gedächtnis Gespeicherten etwas außerhalb der Sinneswahr­nehmung hervorbringt und erschließt, so aus den einzelnen Dingen das Allgemeine und aus dem Nacheinander eine gewisse logische Aufeinanderfolge. Und diese Erkenntnis wird diskursiv genannt.“ Also das ist relativ vertraut. Immer erstaunlich, dass Jemand das um 1590 formuliert, aber relativ vertraut, „insofern als der Intellekt aus einem erkannten Ding zu einem anderen zu Erkennenden fortschreitet.“ Also die intellektuelle Erkenntnis, die sinnliche Erkenntnis. Dann gibt es die intellektuelle Erkenntnis, die verstandesmäßige Erkenntnis, die diskursive, die logisch-diskursive Erkenntnis. Dritte Stufe: „Es folgt die Vernunft“, als eine höhere Stufe gesehen, „die Dasjenige, was der Verstand auf diskursive Weise und mittels der Beweisführung und, wie ich auf eigene Weise sage, mittels der logischen Schlussfolgerung und des kausalen Ablaufs erfasst und begreift.“ Also der Intellekt als Kausal-Sinn. Nimmt in gewisser Weise Kant vorweg, „durch eine gewisse einfache Intuition ein unmittelbares Anschauen aufnimmt. Sie wird intellectio genannt, gleichsam eine interne Lectio, ein innerliches Lesen, und sie ist eine Art lebendiger Spiegel, zugleich sehend, und die sichtbaren Dinge in sich selbst bergend.“

Also, die Sinnes-Erkenntnis, dann der Verstand, das Logisch-Diskursive, dann die Vernunft als die dritte Stufe, als die höhere Stufe, die er auch als eine Art von lebendigem Spiegel bezeichnet, eine Art Schau „zugleich sehend und die sichtbaren Dinge in sich selber bergend“. Vierte Stufe. „Es folgt der Geist.“ Der Geist wird noch darüber gelegt, über Verstand und Vernunft, mens [lat.], oft auch als intellectus bezeichnet, meint nicht Intellekt. „Es folgt der Geist [mens] über aller Vernunft und rationalen Erkenntnis, welcher in einem einfachen Akt des Schauens ohne vorher Vorausgehendes oder Begleitendes, logisch-diskursives Denken und ohne Zahl und Trennung alles erfasst, einem Spiegel vergleichbar, der lebt und zugleich so vollkommen ist, dass das Licht, der Spiegel und alle Formen und Gestalten miteinander identisch sind.“ Unglaubliche Aussage, „also einem Spiegel vergleichbar, der lebt und zugleich so vollkommen ist, dass das Licht, der Spiegel und alle Formen und Gestalten miteinander identisch sind, welche eher ohne Trübung und Vereinzelung sieht und ohne zeitliche, der Veränderung unterworfene Aufeinanderfolge, wie ein Haupt, welches vollständig Auge ist, und überallhin in einem Akt das Höhere und Tiefere, das Vorher und Nachher und das unteilbar ist, auch das Innere und das Äußere sieht.“

Also, der Geist als mens ist eine höchste Stufe. Wie könnte man das nennen, um das verständlich zu machen, eine Art intuitive Gesamtschau jenseits der Vereinzelung, auf die sich Bruno immer wieder in seinen Schriften beruft. Also: sinnliche Erkenntnis, Verstand, Vernunft und dann Geist als diese höchste Bewusstseins-Fakultät, die das Ganze unmit­telbar schaut, auch in einem Akt, in dem Subjekt und Objekt zusammenfallen. Also eine sehr weitgehende, hochinteressante und auch brisante erkenntnistheoretische Grundfigur, die hier aufgefächert wird.

Was übrigens die genannte Intuition anbelangt im Alter von 30 Jahren, so will ich noch diese eine Stelle wenigstens kurz vorlesen, weil sie zeigt, was hier gemeint ist. „Sie“, die Strahlen Apollons sind gemeint, „offenbaren die göttliche Güte, Einsicht, Schönheit und Weisheit, die je nach den verschiedenen Wesensordnungen, wie sie durch leidenschaftlich Liebende aufgenommen werden. Das aber geschieht, sobald der Getroffene nicht mehr mit diamantartiger Oberfläche das eindringende Licht zurückwirft, sondern durch die Glut und Helligkeit aufgeweicht und bezwungen, in seinem ganzen Wesen lichtartig wird. Er selbst wird gleichsam Licht, indem dieses sein Fühlen und Denken durchdringt.“ Das haben sie in allen, auch spirituellen Traditionen der Welt, die Lichtwerdung des Geistes. Das finden Sie in den „Upanishaden“, das finden Sie überall, in der Sufi-Mystik und sonstwo, immer diesen Grundgedanken. „Er selbst wird gleichsam Licht, in dem dieses Sein Fühlen und Denken durchdringt. Das ist am Anfang, bei der Zeugung, noch nicht der Fall, wenn die Seele gerade eben berauscht aus dem Lethe und ganz durchtränkt aus den Wassern des Vergessens und der Verworrenheit hervorgeht. Da ist der Geist noch zu sehr in die Gefangenschaft des Körpers und in den Dienst des vegetativen Lebens eingeengt.“ Und jetzt auf sich bezogen: „Der Begeisterte, der hier spricht, bekennt, sechs Lustren, das sind 30 Jahre, in dieser Verfassung verharrt zu haben und in ihrem Verlaufe noch nicht zu jener Reinheit der Einsicht gelangt zu sein, die ihn befähigt hätte, zur Wohnstatt der fremden Gestalten zu werden, die immer an die Tür der Vernunft pochen und sich allen in gleicher Weise darbieten. Schließlich aber ließ die Liebe, die ihn bis dahin vergeblich von verschiedenen Seiten her und zu verschiedenen Malen angegriffen hatte, ebenso wie man sagt, dass die Sonne für jene, welche im Innern der Erde im tiefen Dunkel sind, vergeblich leuchte und wärme, sich in den geheiligten Lichtern nieder. Sie zeigte ihm durch zwei intelligible Gestalten die göttliche Schönheit. Diese band ihm nämlich durch die Sinngestalt der Wahrheit die Vernunft, und erwärmte ihm durch die Sinngestalt der Güte das Gefühl. So wurde das materielle und sinnliche Begehren überwunden, das vorher triumphierte, das trotz der Vortrefflichkeit der Seele ungebrochen blieb. Nun konnten jene Strahlen, welche vom erleuchtenden und wissenden Geist, von der Sonne der Einsicht ausgesandt wurden, leicht durch seine Augen eingehen, und zwar die der Wahrheit, durch die Pforte der erkennenden Kraft, die der Güte durch die Pforte des Begehrens ins Herz, das heißt ins Grundwesen des Gefühls. Als er so zum ersten Mal in dieser Weise erwärmt und im Geist erleuchtet wurde, war jener siegreiche Punkt und Augenblick erreicht, von dem gesagt wird: vicet instant, der Augenblick siegt.“

Also eine ganz klare Schilderung, eine Art von Erleuchtungserfahrung mit Bildern der neuplatonischen Licht-Metaphysik, das ist klar. Bruno bedient sich hier der Bilder der philosophischen Tradition. Bruno versucht, diese sieben Fragen auf seine Weise zu beantworten. Und was ihn auszeichnet, ist, dass er niemals die lebendige Ganzheit, niemals die lebendige Gestalt aus den Augen verliert. Sein Denken ist niemals ein analytisch- intellektuelles Ding, obwohl er hochgradig intellektuell auch denkt und argumentiert, wirklich messerscharf und luzide argumentieren kann. Ich sage es noch mal: Seine Argumente, die er bringt in dem Buch „Vom Unendlichen“ gegen die Endlichkeitsvor­stellung des Aristoteles sind auch intellektuell ein Bravourstück. Das ist so messerscharf durchdacht, dass ich bis zum heutigen Tage noch niemanden kennengelernt habe, der in der Lage gewesen wäre, diese Argumente aus den Angeln zu heben. Man kann natürlich sagen, diese Prämissen stimmen gar nicht. Allein diese ganze Argumentation ist in sich falsch, das sei unhaltbar ‒ kann man machen. Aber wenn man erst einmal auf bestimmte Grundprämisse sich einlässt, und das muss man immer beim Denken, dann muss man anerkennen, dass diese Argumente wirklich stark sind. Und wie gesagt, ich kenne bis zum heutigen Tage keine wirklich substanziellen oder diese aushebelnden Gegenargumente. Der Skandal Brunos besteht darin, dass er es nie lassen kann, polemisch zu werden, dass er unermüdlich fast jeden Zeitgenossen und aus der Vergangenheit attackiert. Und das haben ihm viele Biographen als Unduldsamkeit ausgelegt oder als Unfähigkeit, Frieden zu halten. Er hat unermüdlich scharfe Attacke, hat wo er es konnte, ist er aufgetreten und hat irgendwo Fehler ausfindig gemacht. Kaum war er in Genf bei einer seinen ersten Vorlesungen an der Universität, da hat er mitgeschrieben und hat dann genau alle Fehler aufgelistet, die gemacht worden sind und hat dann dieses Paper mit den Fehlern des Professors an der Universität angeschlagen. Und kurze Zeit später ist er der Universität verwiesen worden und wegen Verunglimpfung des Lehrpersonals auch eingekerkert worden vorübergehend.

Also eine Grundeigenschaft, die ihm anhaftet, und in allen Diskussionen hat er eine ungeheure Vehemenz und Leidenschaftlichkeit an den Tag gelegt, immer auch getrieben von einer Leidenschaft im Denken, die in der Geistesgeschichte singulär ist. Also ihm war, was immer zu tun, um die vollständige Deckungsgleichheit von Denken und Leben. Es wäre für ihn undenkbar gewesen, dass Jemand das eine sagt, verkündet und denkt und das Andere lebt. Also diese Schizophrenie, die ja doch sehr verbreitet ist, wäre für ihn unlebbar gewesen. Er hat immer versucht, tatsächlich eine Deckungsgleichheit zu realisieren und sich damit im Grunde nur Feinde gemacht. Auch in den nachfolgenden Jahrhunderten, kann man sagen, nur Feinde gemacht, denn er macht es vielen seiner Leser auch heute kolossal schwer, denken Sie an das, was er über das Christentum gesagt hat, da mitzugehen. Da versucht man dann zu relativieren, abzuschwächen und das Ganze in seiner ungeheuren Schärfe nicht gelten zu lassen. Und gerade das ist aber die Herausforderung. Gerade das immer wieder kolossal Unbequeme und ich finde das so schön, schön ist gar kein Ausdruck, also zutiefst adäquat, dass Anacleto Verrecchia in diesem Buch auch diese Schicht bei Bruno immer wieder heraushebt. Das ist also ein Buch, das auch mit einer Leidenschaft geschrieben ist und keineswegs irgendwie abgeklärt, akademisch von außen. Und natürlich haben wir uns da gefunden an der Stelle, das ist klar und auch erkannt. Und es gibt natürlich jetzt einen sehr guten und interessanten Dialog, sozusagen. Das ist genau der hier, auf den ich gewartet habe, in Italien. Ich war immer verblüfft darüber, dass in Italien sich so wenig tut. Das scheint tatsächlich sich zu ändern.

Also, um zu einem gewissen Schluss zu kommen, wenn man das überhaupt sagen kann. Ich bleibe ja sowieso am Thema, denn ich will ja nächstes Mal auch über Weltseele, Weltäther und Weltgeist sprechen, noch einmal über diese kosmische Triade, da greife ich ohnehin das noch mal auf, es ist ja ohnehin ein Leitthema. Also um zum Schluss zu kommen, erst einmal vor der Diskussion sei noch ergänzt kurz, dass in diesem Band hier über Bruno vom Diederichs Verlag auch erstmalig seine sogenannten Magischen Schriften übersetzt sind. Bruno hat auch Schriften zur magia naturalis abgefasst, zur Natur und Magie und zu Fragen der psychischen Wechselwirkungen. So erwähnt Sloterdijk etwa in seinem Buch „Sphären II“ auch eine Schrift von Bruno, die er für eine der interessantesten hält, die sich mit der psychischen Fesselung beschäftigt, auch in der Liebe. Also Bruno war auch ein leidenschaftlicher Mensch und hat sehr viel geschrieben, auch über die Fesselung in der erotischen Liebe als Grundmuster von Zusammenhang überhaupt. Und er war auch Derjenige, der in seiner Schrift „Die heroischen Leidenschaften“ erkennt, es immer verstanden hat, als Leidenschaft, niemals als eine rein intellektuell von der Person des Einzelnen abgelöste Erkenntnisbemühung.

[Ein Handy klingelt …] Schönen Gruß! Das kam sogar im Tristan, gestern war ich in der Philharmonie, und da war tatsächlich bei einer leisen Stelle, einer Gustav- Mahler-Sinfonie, da ging das Handy los bei jemand.

Ich will das erst einmal dabei bewenden lassen. Ich selber, wie Sie wissen, versuche ja auf meine Weise viele dieser Gedanken weiterzudenken, auch wenn Sie an diese beiden letzten Bücher denken, da ist es sehr dezidiert geschehen. Da spielt Bruno eine ganz zentrale Rolle und insofern ist er für mich ein wichtiger Gewährsmann, was nicht bedeutet, dass ich in irgendeiner Form nun alle Aussagen so nehme, wie sie vor über 400 Jahren formuliert worden sind. Das wäre absurd. Darum kann es auch gar nicht gehen. Es kann nur darum gehen, die entscheidenden Impulse dieses Denkens aufzugreifen und weiter zu denken. Und dass das so wenig geschieht, ist bedauerlich. Das hat Gründe, die vielfältig sind.

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