Mensch und Kosmos – Verlust & Eschatologie einer Verbindung

Vortrag

Urania Berlin
18.12.1995
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 49

Transkript als PDF:

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Meine Damen und Herren, nun auch mal in diesem Saal, Sie kennen das noch nicht in diesem Saal. Ich war bisher immer in dem anderen. Ich freue mich, dass einige trotz dieser Glätte noch hierher gefunden haben, was für mich auch ein Problem war, als Radfahrer an die U-Bahn heran zu fahren. Ich musste mein Rad dann stehen lassen. Es war doch ein bisschen kritisch.

Ich will Ihnen heute Abend etwas erzählen über die Frage „Mensch und Kosmos“, die innere und die äußere Welt und will einleitend drei Zitate bringen, von denen ich meine, dass sie das Thema, um das es geht, beleuchten.

Das erste Zitat stammt von einem der bedeutenden englischen Schriftsteller dieses Jahrhunderts, von David Herbert Lawrence, besser bekannt als D. H. Lawrence vielleicht, der 1930 kurz vor seinem Tode ein Essay veröffentlicht hat, den die wenigsten kennen. Die anderen Bücher und Romane sind ja bekannt. Dieser Essay ist fast überhaupt nicht bekannt. Er heißt „Apocalypse“, „Apokalypse“. Es ist eine Interpretation der Johannes-Apokalypse mit folgender Kernthese, das muss ich vorab kurz sagen: Die Johannes-Apokalypse, meint D. H. Lawrence, ist im Kern ein kosmologischer Text, ein Text über den Kosmos, über das Mensch-Kosmos-Verhältnis, der auf vielfältige Weise schon im Judentum überarbeitet worden sei und dann schließlich auch im Christentum eine Überarbeitung erfahren hat. D. H. Lawrence schreibt in diesem Buch, wo es also um das Thema geht, was uns heute Abend beschäftigen soll, 1930 ist der Essay veröffentlicht worden:

„Zwischen unserem Blut und der Sonne besteht eine ewige, lebendige Beziehung. Ewige, lebendige Beziehung besteht zwischen unseren Nerven und dem Mond. Lösen wir uns aus der harmonischen Verbindung mit Sonne und Mond, dann wandeln sich beide in böse Drachen der Zerstörung und erheben sich gegen uns. Die Sonne ist eine große Quelle der Lebenskraft des Blutes. Aus ihr strömt Kraft in uns. Wenn wir aber uns der Sonne widersetzen und sagen, sie ist weiter nichts als eine Gaskugel, dann wandelt sich diese strömende Lebenskraft des Sonnenlichts in uns in eine feine, zersetzende Kraft und vernichtet uns. Und das gilt auch vom Mond, den Planeten und großen Sternen. Sie sind entweder unsere Schöpfer oder Vernichter. Entrinnen können wir ihnen nicht. Wir und der Kosmos sind eins. Der Kosmos ist ein großer, lebendiger Körper und wir sind immer noch seine Teile. Die Sonne ist ein großes Herz, dessen Klopfen bis in unsere kleinsten Adern dringt. Der Mond ist ein großes, glühendes Nervenzentrum, von dem aus wir immer und ewig uns bewegen. Wer kennt die Macht, die der Saturn über uns hat oder die Venus? Das ist eine lebenskräftige Macht, die all die Zeit herrlich durch uns rauscht. Verleugnen wir Aldebaran, dann durchbohrt er uns mit zahllosen Dolchstößen. Wir haben den Kosmos verloren. Die Sonne stärkt uns nicht mehr und auch nicht der Mond. In mystischer Sprache: Der Mond ist für uns schwarz und die Sonne wie ein härenes Tuch. Jetzt müssen wir den Kosmos wiedergewinnen, und das geschieht nicht durch irgendwelchen Trick. Die vielen Beziehungen zu ihm, die in uns erstorben sind, müssen wieder lebendig werden. 2000 Jahre hat es gedauert, sie zu töten. Wie lange mag es dauern, bis sie wieder lebendig sind? Höre ich heute Menschen über ihre Einsamkeit klagen, dann weiß ich, was los ist. Sie haben den Kosmos verloren. Uns fehlt nichts Menschliches oder Persönliches, uns fehlt das kosmische Leben, die Sonne in uns und der Mond in uns.“ Und so weiter.

Das ganze Buch ist eine vehemente Klage über diesen Verlust. Zentrale These: der alte, lebendige, organische, ganzheitliche Kosmos ist verloren gegangen, hat sich aufgelöst zugunsten eines mechanistischen, letztlich toten Kosmos, in dem der Mensch keinen Platz hat, in dem der Mensch keinen Raum hat. Das als erste Aussage von David Herbert Lawrence.

Das zweite Zitat stammt aus einer Zeit vor ungefähr 200 Jahren und geht zurück auf den romantischen Naturphilosophen und Dichter Novalis, Friedrich von Hardenberg. Und dieses Zitat berührt bereits auch eine Nahtstelle der Innen-Außen-Thematik. Novalis schreibt unter einem Fragment, das er „Kosmologie“ nennt: „Es ist einerlei, ob ich das Weltall in mich oder mich ins Weltall setze. Spinoza setzte alles heraus, Fichte alles hinein. So mit der Freiheit: Ist Freiheit im Ganzen, so ist auch Freiheit in mir.“

Ob das nun einerlei ist, wie Novalis sagt, ob wir das Weltall in uns oder uns in das Weltall setzen, sei dahingestellt. Auf jeden Fall sind hier zwei Ansätze formuliert. Der eine Ansatz geht von der Innenwelt aus, vom Primat der Innenwelt, das Universum ist auch in uns. Der andere geht vom Primat der Außenwelt aus, das Universum ist primär draußen, da draußen, und wir sind letztendlich Fremdlinge.

Das letzte Zitat stammt von einem zeitgenössischen Philosophen, von dem Amerikaner Jakob Needleman. Jacob Needleman hat ein interessantes Buch veröffentlicht, vor zwei Jahren mit dem Titel „Vom Sinn des Kosmos“. Und hier schreibt er, ich zitiere, 1993 erschienen: „Ein Universum, das nur von unvorstellbarer Größe ist, schließt den Menschen aus und zermalmt ihn. Aber ein Universum als Manifestation eines großen Bewusstseins und einer großen Ordnung weist dem Menschen einen Platz und verlangt daher nach ihm. Nur ein bewusstes Universum ist für das menschliche Leben im Ganzen von Bedeutung.“ Also eine sehr aufschlussreiche und in ihrer Form ja auch radikale Aussage. Also ein Universum, das nur groß ist, unermesslich groß, ob nun unendlich oder nahezu unendlich, zermalmt den Menschen, raubt ihm im Grunde genommen seine humane Würde. Das also als Vorabbemerkung, drei Zitate.

Nun, es geht in diesem Thema „Mensch und Kosmos“, die innere und die äußere Welt, eigentlich um zwei Fragen, von denen ich vermute bzw. die These aufstelle, dass sie im Kern eine Frage sind. Ich meine, wir alle sind bis zu einem gewissen Grade ja ständig, tagtäglich und nächtlich Pendler zwischen zwei fundamental verschiedenen Welten. Wir sind alle in irgendeiner Form Weltenwanderer. Kurz gesagt lebt jeder von uns in seiner eigenen Innenwelt und in einer Außenwelt, die wir alle gemeinsam haben. Das kann man am deutlichsten vielleicht im Traum sehen. Man erlebt eine bizarre, fremdartige Szenerie im Traum, die eine ungeheure Wirklichkeit hat, wacht dann auf und ist in einer vollkommen anderen Welt, die sich nicht wesentlich verändert hat, jedenfalls im Normalfall nicht verändert hat. Das Eigenartige der Außenwelt ist, dass sie stabil ist. Was immer wir an Veränderungen wahrnehmen, diese stabile Außenwelt hat bestimmte fassbare und beschreibbare Gesetze. Sie hat eine gewisse Verlässlichkeit. Jeder von uns geht mehr oder weniger davon aus, dass am nächsten Morgen die Sonne wieder aufgeht, dass die Nacht zum Tage wird, dass die Erde sich weiterdreht. Es ist extrem unwahrscheinlich, obwohl theoretisch möglich, dass morgen alles anders ist. Das heißt also, dass sich über Nacht die Naturgesetze so radikal geändert haben, dass wir keinerlei Verlässlichkeit mehr haben, was den morgigen Tag betrifft. Aber im Normalfall gehen wir von der Konstanz, von der Stabilität der sogenannten Naturgesetze aus. Die Innenwelt hat ja einen vollkommen anderen Charakter. Jeder Einzelne lebt in einer fluktuierenden, geisterhaften, sich ständig verändernden Innenwelt. Und die Frage hat Menschen seit je beschäftigt, mindestens seit drei- bis viertausend Jahren beschäftigt: Was hat eigentlich das Eine mit dem Anderen zu tun? Was hat diese Innenwelt, diese fluktuierende, sich ständig bewegliche, geisterhafte Welt in uns zu tun mit einer Außenwelt, die doch offenbar ganz festen, ehernen, unwandelbaren Gesetzen folgt?

Diese Gegenüberstellung von Außenwelt und Innenwelt war menschheitsgeschichtlich in dieser Form so nicht von jeher gegeben. Sie ist erst in einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte in die Erscheinung getreten, wenn wir heute, sie, jeder von ihnen und auch ich uns als für sich seiende Subjekte empfinden und gleichzeitig die Außenwelt als eine Welt da draußen sehen, dann mag uns das als eine absolute Selbstverständlichkeit erscheinen. Sie haben gar nicht das Gefühl, dass das in irgendeiner Form überhaupt diskussionswürdig sei. Tatsache ist aber bewusstseinsgeschichtlich, dass dieses für-sich-seiende Subjekt und eine Außenwelt da draußen als etwas Anderes ein Resultat einer Bewusstseinsgeschichte ist undkeineswegsimmer so war.

Der Mensch hat sich in früheren Phasen der Geschichte mit der Außenwelt viel enger verbunden gefühlt, hat Außenwelt und Innenwelt in diesem Sinne, wie ich das angedeutet habe, noch gar nicht getrennt. Es ist in keiner Weise eine Selbstver­ständlichkeit, und die Frage bleibt, ob dies eine notwendige bewusstseinsgeschichtliche Entwicklung ist, oder ob wir im Speziellen, ja der Mensch des mentalen Selbst, der abendländisch-westliche Mensch im weitesten Sinne, nicht sozusagen in die Falle einer Schizophrenie hineingeraten sind, die uns heute auch diese Krisensituation eingetragen und eingebracht hat, an der wir alle leiden. Das einfach als Frage erst mal in den Raum gestellt. Das moderne Subjekt ist einsam, isoliert, fremd in der Welt. Gucken Sie sich die ganze moderne Literatur an, die kündet ja von nichts anderem als von der Fremdheit des Einzelnen in einem letztlich monströsen, geradezu unmenschlichen, inhumanen Kosmos.

Nun meine ich, dass die Frage von Innen und Außen zugleich verzahnt ist mit der Frage von Mensch und Kosmos, obwohl das ja auf den ersten Blick keineswegs selbstverständlich ist. Warum soll denn der Mensch innen sein und der Kosmos außen? Es könnte ja auch umgekehrt sein, der Mensch als Körper ist außen, der Kosmos als Innen-Kosmos ist innen. Aber hier ist die Problematik im Grunde genommen eine ganz ähnliche. Auch das kann man menschheitsgeschichtlich zeigen. Ich werde nachher Einiges dazu sagen, dass der Mensch den Kosmos, das Firmament, das Universum dort in einer ganz engen Verbindung immer zu sich und mit sich selber gesehen hat und in keiner Weise die Außenwelt des Kosmos so betrachtet hat, wie wir das heute im Normalfall tun. Ich sage es mal etwas überspitzt: nämlich als bloße Kulisse. Meine These hier zu Beginn ist: Der moderne Mensch betrachtet erst einmal die kosmische Außenwelt als gigantische Kulisse, die ihm im Grunde genommen in der Tiefe, sozusagen ontologisch, überhaupt nichts angeht. Dass es viele Gegenbewegungen gibt, unter anderem die Astrologie, ist eine ganz andere Frage, berührt aber erst einmal nicht den Kern des Dilemmas. Und wir sprechen ja auch, wenn wir an diese Schizophrenie denken, zwei oder drei vollkommen verschiedene Sprachen.

Wenn wir von der Außenwelt reden, im Normalfall, bedienen wir uns einer Sprache, die man als Es-Sprache bezeichnen kann. Wir reden von Dingen, von Gegenständen, von Sachen, die in irgendeiner Form gesetzlich ablaufen, es ist eine Es-Sprache. Wenn wir von uns selber reden, benutzen wir eine völlig andere Sprache. Wenn wir von uns als Ich reden oder wenn wir von uns als Du reden, oder wenn wir von uns als Wir reden. Auch das ist ja eine Entwicklung gewesen, dass sich das vollständig abgetrennt hat. Die wissenschaftliche Betrachtung der Dinge, der Sachen, der Gegenstände, die Betrachtung des Wir im Sinne der Moral, auch der Spiritualität und die Frage auch des Ich, unter anderem das Problem oder die Frage der Kunst ‒ das ist alles bei uns vollkommen auseinander gefallen und steht nun in einer vollkommen schizophrenen Form vor uns.

Nun bleibt die Frage, die uns ja auch jetzt beschäftigen soll, wenn wir diese Spaltungen, diesen Abgrund uns vergegenwärtigen, gibt es vielleicht doch Hinweise darauf, dass Innenwelt und Außenwelt, dass Mensch und Kosmos sich im Letzten dann doch auf eine Einheitswirklichkeit zurückführen lassen? Denn wenn das nicht so ist, wenn es diese Einheitswirklichkeit nicht gibt, dann würden wir vollständig auseinanderfallen in ganz verschiedene Fragmente unserer Existenz, in bewusstseinspartikuläre Instanzen, wir hätten überhaupt keine Möglichkeit im Grunde genommen, uns mit der Welt in ein sinnvolles, in ein seelisch vernünftiges Verhältnis hineinzubegeben.

Also meine These ist: es gibt eine Einheitswirklichkeit. Die Welt ist im tiefsten Innern eine Einheit. Diese Trennung, die wir bewusstseinsgeschichtlich vor uns haben, ist das Ergebnis einer ganz bestimmten Entwicklung, die vielleicht notwendig war, vielleicht aber auch nicht. Das kann man zunächst mal auf sich beruhen lassen. Auf jeden Fall, hier wäre etwas und hier ist etwas zusammenzufügen. Also zweite These wäre hier, es gibt diese Einheitswirklichkeit.

Nun, ich habe gesagt, dass der Kosmos für den modernen Menschen mehr oder weniger eine Kulisse darstellt, dass der Kosmos für den modernen Menschen eigentlich überhaupt keine Rolle spielt. Ich muss nun ein bisschen die Begriffe klären. Der Begriff „Kosmos“, das ist vielleicht wichtig hier zu sagen, entstammt einer Zeit, als das abendländische Denken zum ersten Mal versucht hat, Natur und Kosmos als Ganzheit zu denken, entstammt nämlich der vorsokratischen Philosophie, geht zurück auf den vorsokratischen Philosophen Anaximandros und heißt ursprünglich, und das ist für die griechische, altgriechische Geistigkeit zentral: Schönheit, Schmuck, Schönheit, Ordnung. Kosmos heißt Schmuck, Schönheit und Ordnung. Damit war im griechischen Weltver­ständnis gemeint, dass der gesamte Kosmos harmonisch, man kann auch sagen: harmonikal geordnet und gegliedert ist, dass er göttlich durchwaltet, göttlich durchwirkt ist, dass alle Dinge miteinander im Zusammenhang standen, dass der Mensch also eingeordnet war, integriert in einen kosmischen Gesamtzusammenhang. Der Gegenbegriff war Chaos. Das hat nun erst mal nichts zu tun mit dem, was wir heute als Chaostheorie kennen. Chaos war in der Theogonie, in der Entstehungsgeschichte der Götter des alten Hesiod der Urgrund der Welt, der formlose Urgrund der Welt, sozusagen die Nacht des Nichtseins. Aus der Nacht des Nichtseins, im Sinne des Chaos, erwuchs dann die Götterwelt, erwuchs die Menschenwelt und erwuchs der Kosmos. Aber auf dem Untergrunde dieser kosmischen Ordnung west immer auch das Chaos, die Existenz ist gefährdet. Sie ist immer gefährdet, dass sie umkippen kann in den chaotischen Urzustand.

Kosmische Ordnung war in der griechischen Philosophie immer auch Zahlen­ordnung, denken Sie an die Lehre von der Sphären-Harmonie des Pythagoras. Und man kann zeigen, dass es auch immer einen dionysischen, sozusagen chaotischen Untergrund gegeben hat, den man niederhalten wollte und auch mit Erfolg niedergehalten hat. Das hat dann eine große Diskussion, das nebenbei gesagt, auch in der feministischen Forschung gegeben an ähnlich gelagerten Forschungen, dass man sagte, dass der Kosmos, der griechische Kosmos der harmonikalen Ordnung, im Grunde ein patriarchaler Kosmos war, der also die weiblichen dionysischen Ur-Schichten unterdrückt und niedergehalten hat.

Nun will ich ein Zitat mal bringen, was das ganz schön beleuchtet, was ich vorhin angedeutet habe, dass der Kosmos für uns, wie ich das genannt habe, eine Kulisse ist. Ich beziehe mich hier auf ein Buch eines amerikanischen Anthropologen mit dem Titel „Der Mensch, die Nacht und die Sterne“. Der Anthropologe heißt Richard Grossinger, der schreibt in diesem Buch, 1988 erschienen: „Verglichen mit der fortdauernden und Ehrfurcht gebietenden Szenerie des Nachthimmels ist unser Leben so kurz und zerbrech­lich, und wir haben so wenig Verbindung zu unserem inneren Himmel, dass wir dort unsere Aufmerksamkeit nicht lange verweilen lassen. Man wendet sich von den Sternen ab, macht sich etwas zu essen, ruft einen Bekannten an. Was uns der Himmel lehrt, könnte uns elektrisieren und aufwühlen.

Wir könnten wie neugeboren sein, aber wir sind nicht gelehrig. Stattdessen erleben wir eine Art kosmischer Einsamkeit und schieben die Sterne beiseite, um unser Leben zu leben. Doch ist diese kosmische Einsamkeit das Ergebnis unserer gegenwärtigen unend­lichen Einschätzung der Sterne und Milchstraße als gefühllose Objekte? Oder ist es umgekehrt? Sind wir selbst ein Symptom dieser kosmischen Einsamkeit, die wir selbst in einer Gesellschaft spüren, die ihre spirituelle und ökologische Orientierung verloren und den Menschen auf seinem Lebensweg schon weiter nichts mehr mitzugeben hat als Sprüche wie den folgenden: Du läufst nur einmal herum, also greife nach allen Genüssen und so weiter. Niemand würde so einen Spruch wirklich ernst nehmen, und doch verhalten wir uns alle ein wenig in dieser Weise. Wir zahlen einen schrecklichen Preis dafür. Die Alternative bestünde darin, unsere eigene kosmische Dimension auszudrücken, aber wir haben vergessen, wie und es wird fast nirgends mehr gelehrt.“

Also Grossinger vermutet, dass es möglich wäre, unsere innerste kosmische Dimension wiederzubeleben, aber keiner weiß eigentlich wie. Wie soll das funktionieren? Wo könnte man überhaupt ansetzen?

Nun ist der griechische Kosmos bereits ein relativ später Kosmos. Diese harmo­nikale Ordnung, zahlenmäßig, klanglich figuriert; der ältere, der archaische Kosmos hatte noch eine ganz andere Qualität und war noch von ganz anderer Struktur. Kosmos war für die Alten, ich sage das mal jetzt ganz pauschal, für die Alten, auch in der vormythischen Welt, ständige Präsenz, eine flammende, unerbittliche Dauerpräsenz, eine flammende, unerbittliche Dauerpräsenz, die gleichzeitig etwas mit Schrecken und Angst zu tun hat. Der Kosmos ist immer anwesend, er durchdringt uns immer, er ist unsere Herkunft und unser Ziel. Wenn Sie die gesamten Fixsternmythen, die gesamten kosmischen und kosmolo­gischen Mythen der Menschheitsgeschichte sich anschauen, dann werden Sie immer wieder auf ähnliche Grundmotive stoßen. Der Mensch stammt aus den Gestirnen, und er wird in irgendeiner Form wieder in die Gestirne eingehen. Also sehr häufig findet man in den alten Kosmologien die Vorstellung vom nächtlichen Firmament als eine Art astrale Region der Toten. Das können Sie also weltweit beobachten. Es ist zum Teil der Mond, dann sind es andere Gestirne, die das Totenreich darstellen, oder dieses Totenreich wird dargestellt durch ganz spezielle Sternbilder. Auf jeden Fall, der Kosmos ist gleichzeitig die Sphäre und das Reich der Toten und damit der Ewigkeit.

Ich gebe mal ein Beispiel aus der ägyptischen Mythologie, auf das ich kürzlich erst gestoßen bin in einem Buch, was im letzten Jahr erschienen ist, über die Pyramiden. Da heißt es über den ägyptischen Sternenmythos bezogen auf das Sternbild Orion und auf das Gestirn Sirius, das ist ja das bekannteste Sternbild überhaupt, der Orion, ich zitiere mal Bauval/Gilbert in ihrem Buch über das Rätsel des Orion („Das Geheimnis des Orion“, 1994): „Aus den altägyptischen Bestattungstexten und den Pyramidentexten geht eindeutig hervor, dass Orion die Seele des Osiris war und man die Himmelsregion, in der sich dieses helle Sternbild befand, als idealen Aufenthaltsort für die Seelen der Könige ansah, nachdem diese die Phasen des Todes und der Wiedergeburt durchlebt hatten. Randall Clarke, ein Ägyptologe, schreibt dazu: ,Der Aufgang Orions am südlichen Himmel nach einer Periode der Unsichtbarkeit ist ein Zeichen. Osiris ist in eine lebendige Seele verwandelt worden.‘ Das Hauptziel der Bestattungsriten bestand darin, den Verstorbenen in diese zweite Osiris-Form zu überführen, damit sich der tote König nach den gebotenen Vorkehrungen durch seinen Nachfolger als neuer Osiris mit der Seele des eigentlichen Osiris vereinigen konnte. Der erste Schritt in diesem astralen Transfigurationsritual bestand in der Umwandlung des Leichnams in einen Osiris, d. h. in die Mumienform. Indem man den toten König, oder besser seine Mumie Osiris Unas, Osiris Pepi und so weiter nannte, bereitete man ihn darauf vor, eine Seele, das heißt ein Stern in der Orion-Region des Himmels zu werden. Dies geht aus den Pyramiden-Texten deutlich hervor.“

Man kann also an ganz vielen Beispielen zeigen, das haben Ägyptologen auch nachgewiesen, dass die Himmelsregion des Orion als Totenreich gedacht war. Bestimmte Präparationen, bestimmte Manipulationen auch mit der Mumie dienten dazu, den toten Pharao mit seinem Ursprung wieder in Verbindung zu setzen und dieser Ursprung war zugleich sein Telos, sein Ziel. Und Herrschaft, das können sie in alten Kulturen immer wieder auch beobachten, legitimiert sich immer durch den unmittelbaren Bezug zum Himmel. Der Herrscher kommt von oben, er wird legitimiert von oben, er leitet seine Ahnenkette von oben ab, häufig genug wird er selber als ein Sachwalter dieser himmlischen Region auf Erden dargestellt. Nun hat man, das wissen Sie, diese Dinge natürlich vielfältig interpretiert, auch so gedeutet, Däniken ist ja nur ein Beispiel dafür, dass die Götter vom Himmel letztlich Astronauten waren. Sie kennen diese These und dass das deswegen seine, sozusagen seine relativ einfache Erklärung findet, dass das nun weltweit überall auftaucht, ganz einfach: Die Götter kamen einfach aus dem Firmament, sie kamen aus den Tiefen des Kosmos. Und deswegen werden sie in allen Mythen als die von oben Herabgestiegenen auch so gewertet und gesehen. Das können sie auch in der gesamten Science-Fiction-Literatur ja beobachten, dass das also eine ganz zentrale Denkfigur ist. In der Literatur dieser Art spielt der Fixstern Sirius eine ganz zentrale Rolle. Das ist also auch heute noch in der einschlägigen Literatur ein [vom] Mysterium umwitterter Stern. Und immer wieder wird angedeutet, auch in der sogenannten Channel-Literatur, dass sozusagen aus der Region des Sirius Impulse hier auf die Erde kommen und dass Sirianer sozusagen mit der Erde ein großes Experiment vorhaben. Das gibt auch ganz verschiedene Persönlichkeiten heute, für die der Kontakt dazu ganz im alten Sinne eine Selbstverständlichkeit ist. Vielleicht wissen sie, dass einer der berühmtesten zeit­genössischen Komponisten, Karlheinz Stockhausen, seit Jahren unermüdlich von sich gibt in der Öffentlichkeit, dass er all seine wesentlichen Impulse aus dem Gestirn Sirius hätte, von den Sirius-Bewohnern hätte. Für die Bewohner des Sirius ist die Musik die höchste Form der Schwingungen und Musik deshalb dort auch am vollkommensten entwickelt. Also, viel belacht in der Szene und auch in der gängigen Presse, aber Stockhausen ist vollkommen davon überzeugt, dass er seine entscheidenden Impulse dem Gestirn Sirius oder dem Sirius-System, wie immer, verdankt, also im Grunde ganz altes Gedankengut.

Nun, der Begriff „Kosmologie“, auch der muss kurz erläutert werden, weil er schon gefallen ist. Kosmologie ist die Lehre vom Kosmos und damit aber auch die Lehre vom Ganzen, vom Universum überhaupt. Und man muss sagen, dass jede Kultur der Menschheitsgeschichte, nicht nur die sogenannten Hochkulturen, ihre ganz eigene Kosmologie hatte. Ich spreche da in diesem Zusammenhang öfter von der „inneren Kosmologie“. Jede Kultur hat ein Grundverständnis vom Ganzen. Und diese sogenannte innere Kosmologie, letztlich also eine kollektive, eine kollektiv psychische Projektion, wenn man das psychologisch nennen will, bestimmt dann auch, was man draußen findet. Ich würde behaupten oder vermuten, es gibt dafür gute Indizien, dass das im Prinzip heute noch genauso ist. Sie kennen vielleicht ein berühmtes Wort von Einstein, was er 1927 dem damals sehr jungen Physiker Heisenberg gegenüber geäußert haben soll: Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann. Das ist ja für das Alltagsverständnis absurd, ich sehe, was ich sehe, wieso brauche ich eine Theorie? Erst die Theorie en­scheidet darüber, was ich beobachten kann.

Ich würde also behaupten, dass es im Prinzip in der Grundanlage heute noch genauso ist. Auch wir alle haben eine unausgesprochene, häufig ganz unartikulierte innere Kosmologie, und wir finden draußen das, was im Letzten auch in uns selber ist. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass bestimmte zeitgenössisch populäre Figuren der Kosmologie wie der big bang oder die Schwarzen Löcher im Letzten Projektionen kollektiv psychischer Energien sind, denn sie lassen sich nicht eindeutig und zweifelsfrei aus dem objektiv gegebenen Befunden ableiten. Es gibt ja auch Alternativ-Kosmologien, man kann die Dinge anders interpretieren. Dass sie kollektiv mehrheitlich in einer bestimmten Weise interpretiert werden, hängt mit dieser sogenannten inneren Kosmologie zusammen. Also jede Kultur hat ihre eigene innere Kosmologie, und der Kulturphilosoph Oswald Spengler, der diesen Dingen auch auf der Spur war, hat in seinem berühmten „Untergang des Abendlandes“ 1919 diese Dinge zurückgeführt auf die Raumfrage.

Jede Kultur hat eine eigene Vorstellung vom Raum. Was ist der Raum? Wenn man zum Beispiel die arabische Kultur [nimmt, die] würde den Raum als eine magische Höhle begreifen, sozusagen als einen magischen Mutterschoß, während die abendländische Kultur den Raum als letztlich unbegrenzt denkt und ihn im Letzten auch mit der Gottheit identifiziert. Also jede Kultur hat ihre ganz eigene Raumkonzeption. Und diese Raum­konzeption ist letztlich vorgelagert allem, was man dann später findet und misst. Das also vorab nochmal die These auf den Punkt gebracht: Auch bei uns ist es nicht anders. Auch unsere innere Kosmologie, die ja in vielen Facetten eine geradezu monströsen Charakter trägt, geht letztlich zurück auf innerpsychische, kollektivpsychische Projektion.

Projektion, ein Begriff aus der Psychologie, liegt ja immer dann vor, wenn wir in ein unbekanntes Etwas, in ein X, in eine dunkle Stelle unser eigenes Inneres hineintragen, hineinprojizieren. Insofern ist die moderne Kosmologie ein Spiegelbild unserer eigenen Seelenbefindlichkeit, ein Spiegelbild unserer eigenen Geistesbefindlichkeit und insofern auch schwer erst einmal aus den Angeln zu heben, denn wenn wir das könnten, müssten wir und könnten wir Andere sein. Wir sind so, wie wir sind. Deswegen haben wir die Kosmologie, die wir haben. Der naive Betrachter würde ja schnell sagen: Ja, was ist denn daran kollektivpsychisch, projektiv, wenn es doch Befunde sind, messbare Befunde, das kann man doch nachprüfen, das kann man doch messen, hier gibt es doch Kausalzusam­menhänge, die sich beweisen lassen.

Nun behauptet D. H. Lawrence in diesem Essay „Apokalypse“, dass der Kosmos verloren gegangen sei. Welchen Kosmos meint er? Er meint, wenn man seinen Text genauer liest, nicht primär den Kosmos der Griechen. Er meint nicht den harmonischen oder harmonikalen Kosmos der Sphärenharmonie. Er meint einen viel weiter zurück­liegenderen Kosmos, einen archaischen Kosmos. Er meint letztlich den Kosmos der flammenden Dauerpräsenz, der flammenden, bedrohenden und den Einzelnen ständig aufs Äußerste herausfordernden Präsenz einer Götterwelt. Und Lawrence, sie wissen, dass er ein Skandal-Autor in seiner Zeit war, der im viktorianischen England ja mit seinen Thesen über die Befreiung des Eros also sich unmöglich gemacht hat. Besonders berühmt ist ja sein Buch „Lady Chatterley’s Lover“. Und er glaubte, dass man diesem alten Kosmos über den Eros nahekommen kann. Das war seine Grundthese, die zieht sich durch sein ganzes Werk. Das erinnert ganz an Wilhelm Reich ein paar Jahrzehnte später. Er meint also, wenn wir ganz tief in die erotische Erfahrung reingehen, dann erfahren wir eine Entgrenzung, eine innere Entgrenzung und Weitung, die uns dann in die Dimension der Weite draußen im Kosmos wieder zurückführt, und wir können dann auch die seelische Dimension, die lebendige Dimension des Kosmos draußen erfahren und für uns wieder verlebendigen. Wir können also die tote Gaskugel wieder zu einem lebendigen Erfahrungsphänomen machen. Nun behauptet Lawrence, um noch mal kurz bei ihm zu bleiben, 1930, dass dieser Verlust des Kosmos drei Stufen durchlaufen hätte. Und das ist interessant, wenn man das mal koppelt an heutige, sagen wir mal weit gefasst, New-Age-Vorstellungen, wie denn der alte Kosmos einer sinnvollen Einheit der Welt verlorengeht. Er behauptet, die erste Stufe habe sich bereits im klassischen Griechenland abgezeichnet und sei verbunden mit der Person des Sokrates. Das hat er von seinem Gewährsmann Nietzsche, der den Sokrates als eine Schlüsselfigur sah. Sokrates oder den Sokratismus sieht er als Symptom der griechischen Aufklärung, als eine Gegenbewegung gegen den großen, mächtigen, flammenden Kosmos. Es gibt ein Zitat bei ihm, in dem Buch da schreibt er „Mit dem Erscheinen des Sokrates und des Geistes, im Sinne von Intellekt, starb der Kosmos.“ Hinzu kommt der Gedanke der Erlösung, das heißt Lawrence verdächtigt, das findet man dann bis in die Gegenwart hinein bei anderen Autoren, zum Beispiel bei Peter Sloterdijk, Lawrence verdächtigt den Erlösungsgedanken, für die Zerstörung des alten Kosmos verantwortlich zu sein, und zwar in diesem Sinne, dass der Erlösungshungrige oder Erlösungsbedürftige tief durchdrungen ist von der Annahme: Er in seiner Eigentlichkeit ist etwas vollkommen anderes als diese Welt. Ich bin nicht von dieser Welt. Ich lebe zwar in dieser Welt, aber ich bin nicht von dieser Welt. Und im Moment, in dem ich so denke, fühle und empfinde, nehme ich mich quasi auch aus der Welt raus. Es ist in gewisser Weise eine Art A-Kosmismus. Und alle Erlösungsvorstellungen gehen ja zunächst einmal davon aus, dass der Mensch sich vollständig herauskatapultiert aus diesem ganzen Zusammenhang, übrigens auch im Buddhismus, die Vorstellung: erst einmal raus aus der Welt, jedenfalls im Ur-Buddhismus ist es so, im späteren Mahayana-Buddhismus ist es anders.

Damit eng zusammen gehört der Gedanke, den man dann in der Gnosis findet, dass die Gnosis, aber auch in Teilen des Christentums, dass der Kosmos, das Universum als Ganzes eschatologisch gesehen der Transformation anheim gegeben wird. Der Kosmos wird verschwinden, soll und muss auch verschwinden, der ganze Kosmos, soll und muss sich auflösen, denn das Ende der Dinge ist nah. Das ist die Johannes-Apokalypse, ja einer der Schlüsseltexte dieser Art von Eschatologie bis in die Gegenwart hinein und darauf bezieht sich ja Lawrence als einen dieser Schlüsseltexte. Die Grundannahme: Der Mensch, die Erlösung steht kurz bevor, der Kosmos als Ganzes löst sich auf, es bleibt das neue Jerusalem der befreiten und erlösten Menschen. Das ist ja früh kritisiert worden, bereits auch schon von den neuplatonischen Philosophen, zum Beispiel von Plotin. Das war ja einer der Hauptkritikpunkte der neuplatonischen Philosophen an den Gnostikern und auch an Teilen des Christentums, dass sie den sinnlichen Kosmos, den Kosmos in seiner Einheit, der immer auch Physik und Metaphysik zusammen war, zerstören. Das muss ich noch ergänzen zu dem, was ich vorhin gesagt habe. Der Kosmos der Alten, insbesondere dann auch der Kosmos der harmonikalen Ordnung der Griechen ist immer Physik und Metaphysik zusammen. Es ist auch Physik, wie auch der altgriechische Physis-Begriff, Naturbegriff immer ein ganz anderer war. Es ist immer Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit. Der Mensch geht also nicht etwa auf in der reinen Sinnlichkeit. Das wäre ein ganz großes Missverständnis, sondern der Kosmos ist immer durchdrungen und durchwaltet von einer Art Metakosmos, wenn man das so nennen will. Das wäre die zweite Zerstörung des Kosmos nach Lawrence.

Nun gibt es nach Lawrence eine dritte Zerstörung. Das ist also die neuzeitliche abstrakte Naturwissenschaft und Technik gewesen, behauptet er. Das hat also dem Kosmos, den letzten Resten, die noch da waren, den Garaus gemacht, die neuzeitliche Naturwissenschaft und Technik.

Nun kann man zeigen, das nur ganz kurz gesagt, dass … als das Christentum, ich will das nur ein ganz knapper Form sagen, überhaupt gezwungen war, die antike Kosmologie zu übernehmen, hat man sich dann im Mittelalter, Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert, auf die Kosmologie des Aristoteles bezogen, die ein Zwei-Kugel-Universum vorsah bzw. imaginiert [hat], [das] wissen Sie, die eine Kugel ist im Zentrum des Kosmos, das ist die Erde, es gibt eine zweite Kugel, die in sehr großem Abstand um diese Erde herum gelagert ist. Dazwischen sind die sogenannten Sphären, durchsichtige Hohlkugeln, an denen die Planeten, an denen die Gestirne befestigt sind. Auch Sonne und Mond galten ja bekanntlich in der antiken Kosmologie als Planeten. Es gab sieben Planeten, also Merkur, Venus, dann Mars, also der Mond, dieser Mond war die erste Sphäre, dann die Sonne und Mars und Jupiter und Saturn. Neptun wurde erst wesentlich später entdeckt, erst 1781 durch Herschel.

Der Mensch war in diesem Bild, entgegen einer weitverbreiteten Auffassung, nicht etwa im Zentrum, in einem, sozusagen, in einem Zentrum hoher humaner Würde, er war ganz unten. Die eigentliche göttliche Sphäre war oben. Das haben wir heute noch in den ganzen Vorstellungen von oben, unten, diesseits und jenseits, das ist noch genau diese Denkfigur, der Kosmos, der … im Mittelpunkt der Welt ist der Teufel. So ist es dann bei Dante, in der „Divina Commedia“, also in der in der Mitte des Universum ist der Teufel, ist die Hölle, der Mensch ist in einer gewissen Entfernung von der Hölle, aber weit entfernt von den himmlischen Sphären, er ist zwischengelagert sozusagen, und seine Orientierung geht nach oben, die ist also ganz vertikal gerichtet. Und was danach war, jenseits dieser Schale bzw. die Frage darnach, galt als Scheinfrage. Das muss man sich in aller Deutlichkeit vor Augen führen, auch wenn man heute, wie ich jetzt hier gelesen habe, als ich hier vorbei zur Urania ging, morgen Abend wird ein Vortrag sein, ob der Kosmos unendlich oder endlich ist, begrenzt oder nicht begrenzt ‒ diese Fragen hat man ja schon vor zweiein­-halbtausend Jahren diskutiert, und man hat immer wieder ähnliche Grundargumente angeführt. Schon Aristoteles hat ja gesagt, wenn ich danach frage, was denn jenseits dieser Hohlkugel ist, dann stelle ich eine sinnlose Frage, weil jenseits dieser Hohlkugel ist kein Raum, keine Zeit, sondern der unbewegte Beweger, die Gottheit, das Göttliche. Die Frage danach ist eine sinnlose Frage. Also hat diese Hohlkugel im Grunde nur eine innere Wölbung, sie hat überhaupt keine äußere Wölbung, was sich ja für den naiven Realismus als absurd ausnimmt. Schon ganz früh hat man ja dagegen Einwände erhoben.

Zum Beispiel der römische Dichter Lukrez hat das berühmte Beispiel gebracht oder die berühmte These aufgestellt, wenn ich am Rande des Kosmos stehe und schieße den Pfeil ins Leere, was passiert? Verschwindet der Pfeil, oder bewegt er sich weiter? Wenn er sich weiter bewegt, ist auch jenseits dieser Grenze noch Raum, da ist letztendlich der Raum nicht begrenzbar. Aristoteles meinte aber, das ist unmöglich. Aber die Frage blieb ja bis heute. Das können Sie in der gesamten modernen Kosmologie, auch in dem sogenannten Big-Bang-Universum verfolgen. Es ist genau die gleiche Grundkonstellierung der Frage. Wenn das Weltall sich ausdehnt, gar der Raum sich ausdehnt, wohin dehnt er sich aus? Dehnt er sich in den Raum hinein aus, dann ist der Raum schon vorher da. Dann kann ja der Raum selber sich nicht ausdehnen. Wenn der Raum selber sich ausdehnt, dann ist ja ein vollkommen anderes Moment gegeben, das heißt dann, wohin dehnt der Raum sich aus? Offenbar in einen Nicht-Raum. Auf jeden Fall, diese Fragen sind noch die alten, brennenden, spannenden Fragen wie eh und je. Und die Frage bleibt natürlich, was hat der Mensch überhaupt damit zu tun? Das ist ja unser Thema: Mensch und Kosmos.

Man kann ja fragen, wie der Kosmos ist. Ob das nun [den] Big Bang gibt oder nicht, oder ob der Kosmos endlich ist oder unendlich. Was hat das mit uns zu tun? Das ist ja die entscheidende Frage: Was haben wir mit dem Kosmos, mit dem Universum da draußen überhaupt zu tun? Gibt es da irgendwie einen Zusammenhang, oder sind wir letztlich ameisenhafte, winzigste Wesen, die letztlich in diesem monströsen Kosmos überhaupt keine Funktion haben?

Nun hat das früh zu großem Pessimismen geführt, berühmtes Beispiel, ja zum Nihilismus sogar, berühmtes Beispiel ist Jean Paul, 1798, vor knapp zweihundert Jahren seine Schrift „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“. Wenn der Kosmos also, wenn diese ungeheuren Räume der Leere sich nicht füllen lassen, sind wir verloren. In der Aufklärungsphilosophie wurden die Räume ja noch gefüllt mit belebten Wesen. Man glaubte an die Allgegenwart der Vernunft. Alle Himmelskörper sind bewohnt. Auch Voltaire, [das] wissen Sie vielleicht, spekulierte darüber, ob vielleicht die Sirianer, von denen war ja bereits die Rede, die Sirius-Bewohner, vielleicht intelligenter sind als wir. Er vermutete, das seien sie, vielleicht stimmt es auch, wer weiß. Auf jeden Fall war das eine heiß diskutierte Frage. Und die Frage war ja immer auch: Wie ist es überhaupt möglich, dass wir eine Außenwelt, dass wir einen Kosmos überhaupt verstehen können und dass wir bis zu einem gewissen Grade überhaupt Naturwissenschaft betreiben können? Das muss ja irgendwie auch etwas mit Geist zu tun haben. Denn wenn der Kosmos nur ein Außen ist und der Geist nur das Innen, dann ist es vollkommen rätselhaft, was dieses Innen mit dem Außen zu tun hat. Wenn es außen Gesetze gibt, die ich erkennen und beschreiben kann, dann muss das auch beides miteinander zu tun haben, berühmte Antwort Kants „Kritik der reinen Vernunft“: Wir selber schaffen die Gesetze der Natur, das heißt, wir projizieren, er hat das Wort nicht verwendet, aber wir projizieren letztlich in ein vollkommen rätselhaftes, unbekanntes Etwas unsere Anschauung.

Das haben Sie noch bis heute hinein im sogenannten Konstruktivismus. Sie wissen es vielleicht, es ist eine der bekanntesten erkenntnistheoretischen Positionen heute, Konstruktivismus, wir konstruieren ständig Wirklichkeit. Wir wissen überhaupt nicht, was Wirklichkeit ist. Universum, groß geschrieben, Kosmos groß geschrieben, Wirklich­keitswelt groß geschrieben, ist das große X. Wir erfahren Universen, Kosmoswelt, klein geschrieben, das heißt unsere Welt, unser Universum. Das heißt, wir projizieren ständig, und wir können auch gar nicht anders. Wir sind ständig letztlich unseren eigenen Projektionen verfallen.

Nun hat es da immer Gegenbewegungen gegeben. Man hat sich ja niemals vollständig damit arrangiert und hat das niemals vollständig akzeptiert. Schon im 19. Jahrhundert können Sie beobachten, dass in der, sagen wir mal, esoterischen Bewegung ganz früh Gegenbewegungen da waren. Die früheste Bewegung, die auch heute noch sehr einflussreich ist über Umwege, ist die Theosophie. Nicht, also im späten 19. Jahrhundert, als das mechanistische Universum seine größten Triumphe feierte, ist die berühmte „Secret Doctrin“, Geheimlehre von Madame Blavatsky, ein Gegenversuch gewesen, den Kosmos spirituell zu fundieren und eine spirituelle oder esoterische Kosmologie zu formulieren. Diese Art von esoterischer Kosmologie der Madame Blavatsky hat dann bis in weiteste Strömungen des 20. Jahrhundert hinein die spirituelle Szene mitbestimmt, nicht nur die Anthroposophie, auch viele andere Strömungen, das war immer ein Gegenmodell, ein inneres Gegenmodell gegen den monströsen, sinnlosen Kosmos da draußen. Und man hat große Probleme gehabt, immer das Eine mit dem Anderen zu verbinden. Und wir haben ja heute, seit zwanzig Jahren vielleicht, den Versuch sehr vieler Forscher, Denker, Naturwissenschaftler, aber auch einiger Philosophen, diese verlorenen Enden wieder zusammenzuführen, also den verlorenen Kosmos der Alten, den verlorenen Kosmos einer sinngefügten Ordnung zusammenzufügen mit den „Errungenschaften“, in Anführungs­zeichen erst einmal gesagt, der neuzeitlichen Naturwissenschaft.

Es geht ja nicht darum zu sagen, wir verzichten grundsätzlich und ohne alles Wenn und Aber auf all das, was die naturwissenschaftliche Forschung herausbekommen und herausgefiltert hat, [das] wäre ja eine mögliche Perspektive. Man kann ja sagen, das alles ist so furchtbar gewesen, der ganze Ansatz hat so in ein monströses Vakuum geführt, in Nihilismus, also verzichten wir auf das Ganze. Das wäre, wenn man es genau nimmt, im Grunde genommen der Schritt in die Regression, das wäre ein Weg oder ein Schritt zurück. Auch das ist natürlich ein verständliches Bedürfnis. Es gibt also sehr viele heute, denen die gesamte, sagen wir mal nachkopernikanische Kosmologie eigentlich ein Unding ist, ein Etwas, mit dem sie nichts anfangen können und auch nichts anfangen wollen und die in gewisser Weise zurück wollen in eine „Heimeligkeit“, mal in Anführungszeichen jetzt gesagt, einer geozentrischen, einer eher zentrierten Welt.

Nun ist das bis zu einem gewissen Punkt auch verständlich. Ich meine, unsere Sinneserfahrung, auch die Grunderfahrung des naiven Realismus, spürt und merkt und empfindet ja nichts erst einmal von der kosmischen Wirklichkeit. Wenn wir hier sitzen in diesem Raum, dann wissen wir ja nicht, dass wir auf einer Steinkugel mit 30 Kilometer pro Sekunde dahinjagen, die ungefähr 12784 [12713 km Poldurchmessser – 12756 km Äquatordurchmesser] Kilometer groß ist, dass wir.., dass das ganze System sich bewegt, dass wir in einem gewaltigen, wie immer beschaffenen Universum uns befinden. Unsere Sinnlichkeit zeigt uns ja erst einmal eine ruhende, eine für sich seiende, letztlich Vertrauen erweckende Erde. Wenn in letzter Zeit, im Zuge der Vorstellung über mögliche Kometen­einschläge, siehe das berühmte Spektakel letzten Sommer auf dem Jupiter, nun Gedanken auftauchen, es könnte demnächst ein Komet, ein Meteor hier einschlagen, dann wird plötzlich schlagartig erhellt, das ist gar nicht so stabil, so für alle Zeiten, so auf alle Ewigkeit festgelegt, wie man das annahm.

Sie wissen vielleicht, dass ja hier, [Alexander] Tollmann hat ja hier auch in der Urania gesprochen, der Geologe Tollmann aus Wien, der die These vertreten hat, er war nicht der erste, aber er hat sie sehr plausibel gemacht, dass vor 8000 Jahren ein Meteor hier eingeschlagen ist und die gewaltige Flutwelle verursacht hat. Der Komet sei in sieben Teile zersprungen, er sei in vielen Teilen der Erde eingeschlagen, hat Tausende von Dokumenten untersucht und hat plausibel gemacht, dass es so ein Vorfall mit aller großer Wahrscheinlichkeit gegeben hat. Wenn es so eine kosmische Katastrophe gegeben hat, dann ist die Frage, kann die Katastrophe wieder eintreten und wenn ja, wann? Statistisch gesehen, sagen einige Astrophysiker, passiert das nur alle 20.000 Jahre. Bloß die Frage ist ja natürlich, wo befinden wir uns in diesen 20.000 Jahren? Wir können uns ja gerade am Ende befinden. Auch Kernkraftwerke sollen ja auch nur alle 15- bis 20.000 Jahre große Unfälle erleben, im Sinne der Super-GAUs, und trotzdem passiert es.

Also das gibt plötzlich ein Element der Unsicherheit, der Boden könnte wankend werden, natürlich kann man sagen, das passiert nicht, das kann gar nicht passieren, es ist unmöglich, dass so etwas passiert, morgen nicht und übermorgen auch nicht. Ich sehe zwar im Fernseher von meinem Sessel aus, dass da ein Komet einschlägt auf dem Jupiter, aber das ist weit weg. Ich bin hier, und es wird aller Wahrscheinlichkeit [nach] nicht passieren. Da gibt es viele Überlegungen, dass das doch öfter passiert ist, als wir denken und dass es durchaus auch in nächster Zeit passieren könnte. Ich will das vollkommen auf sich beruhen lassen. Ich bin kein Anhänger der Impakt-Theorie. Es ist jedenfalls eine Plausibilität, dass es vielleicht auch tatsächlich passieren könnte, wenn wir überhaupt noch diese Phase erleben können und uns nicht vorher ökologisch oder sonstwie den Garaus selbst fabriziert haben, wofür eigentlich alles spricht.

Nun, die Grundfrage dieses Abends und die Grundpfeiler des ganzen Themas ist ja: Wenn uns da wirklich etwas verloren gegangen ist, was ich ja ganz knapp jetzt mal gesagt habe, mit der flammenden Allgegenwart eines Kosmos, der auch unsere Heimat ist, unser Ursprung und unser Ziel, siehe die astrale Region im Orion oder auch die harmonikale Struktur des Kosmos ‒ was können wir denn tun heute? Was kann denn eigentlich der Mensch im ausgehenden 20. Jahrhundert tun? Wie kann er sich denn überhaupt stellen dazu? Wie soll er sich denn verhalten, wenn er vielleicht ganz tief innen spürt oder ahnt, dass diese ihm von der Öffentlichkeit, auch übrigens ja von den Massenmedien, servierte Kosmologie vielleicht in der Tiefe ihn gar nicht berührt und auch gar nicht berühren kann? Was soll er tun? Und das ist ja das Thema sehr vieler Bücher und Ansätze in den letzten Jahren. Und ich selber habe ja auch in verschiedenen Veröffentlichungen und Büchern mich dazu geäußert. Und ich finde es auch eines der spannendsten Themen überhaupt, sich klarzumachen, was für Ansätze, was für Möglichkeiten gibt es hier überhaupt? Ich will mal versuchen [darzustellen], was für Möglichkeiten gibt es überhaupt, hier irgendetwas wiederzugewinnen? Also was können wir tun, um die alte, lebendige Kosmologie wiederzubeleben?

Ich meine, der alte Kosmos existiert ja nach wie vor in uns allen. Er ist ja, um es mal so zu formulieren, auch unsere Sternenseite, die Nacht- und Sternenseite, mit der wir ständig verbunden sind. Das Tagesgestirn der Sonne überstrahlt ja immer nur mit seiner gleißenden Helligkeit die Sterne, die ja immer da sind. Sie wissen, dass es ja auch in einem Brunnen bestimmter Tiefe zu einem bestimmten Sonnenstand ja auch möglich ist, am hellichten Tage die Sternbilder gespiegelt zu sehen. Das heißt, die Sternbilder sind immer da. Sie sind immer da, wie der Kosmos immer da ist, die flammende Gegenwart ist immer da. Sind das nun einfach glühende Gaskugeln? Sind das beseelte, belebte Gestirne? Oder sind das einfach nur Lichtpunkte, was ja für die meisten der Fall ist? Die Gestirne sind einfach Lichtpunkte, wie immer sie nun da oben befestigt sein mögen. Was mag die Kosmologie dazu sagen, was die will?

Nun will ich versuchen, mal ein paar Ansätze zu zeigen, wie das eigentlich gedacht wird in den letzten Jahren und was sich da bewegt auf diesem Felde. Folgende Facetten beobachte ich, und ich bin ja zum Teil auch an diesem Diskurs beteiligt seit 20 Jahren. Einen Punkt habe ich schon genannt, das ist die schlichte Regression, sehr verbreitet. Das können sie auch in hochintelligenter Form zum Teil verfolgen. Es ist keineswegs, dass Regression hier so von oben herab von mir gemeint ist. Es gibt immer hochintelligente Formen der Regression. Ich erinnere mich daran, dass ich vor drei Jahren oder zweieinhalb Jahren in der Humboldt-Universität im Audimax eine Podiumsdiskussion hatte mit Rudolf Bahro und einem Biologieprofessor, wo es um die Frage Kosmologie ‒ Ökologie ging. Und da hat dieser Biologieprofessor damals gesagt, ja, der ganze Kopernikanismus und die ganze Phase nach Kopernikus ist doch für die Ökologie-Frage vollkommen uninteressant. Sie ist nicht nur uninteressant, sie ist eigentlich eher hinderlich. Das heißt, viel besser wäre es, wir würden den Kosmos wie eh und je begreifen als die bergende Erdmutter inmitten dieses lebendigen Kosmos. Dass das ein Wandelstern ist mit dieser ungeheuren Geschwindigkeit, ist also eine Erkenntnisstufe, die uns nur ruiniert. Ich habe das dann im Disput und in der Öffentlichkeit also dagegen gesprochen und meinte also, man könnte sehr wohl eine andere und neue Sichtweise des Kopernikanismus finden. Man müsste nicht zurück. Aber dieses Zurück ist, ich sage es nochmal, verständlich.

Die zweite Möglichkeit, die ungeheuer verbreitet ist, ist ja ist die Astrologie. Ich meine die Astrologie, das muss man einfach mal klar sagen, war ja ursprünglich verbunden, ganz eng verzahnt mit einem all-lebendigen, mit einem animistisch verstandenen Universum, wo es ein Kommen und Gehen gab astraler Energien, astraler Wesenheiten, der Götter und abgeschiedener Seelen und sich inkarnieren wollender Seelen, als ein ständiges fluktuierendes gewaltiges organisches Ganzes. Die moderne Astrologie ist einfach Psychologie. Ich habe kürzlich eine polemische Bemerkung gefunden von Jemandem, der sagte, eigentlich könnte die Astrologie auf die Gestirne ganz verzichten, weil sie braucht im Grunde genommen die Gestirne gar nicht. Sie hat auch gar kein Alternativmodell zur mechanistischen Kosmologie. Sie übernimmt ja letztendlich, auch computerisiert, übernimmt letztendlich genau dieses mechanistische Universum, passt sich dann immer den jeweiligen Strömungen in der Naturwissenschaft neu an, hat aber kein eigenes, fundiertes und wirklich aus der Tiefe, aus einem eigenen Sein, aus einer eigenen, lebendigen, authentischen Ontologie gespeistes Gegenbild. Das mag im Einzelnen anders aussehen, also einzelne Individuen mögen in der Tiefe da durchaus ein anderes Bild in sich tragen. Aber das, was erst einmal rüberkommt, ist eng gebunden an das mechanistische Denken, bedient sich aber ganz alter Formen und Bilder, die nun neu psychologisiert werden. Es ist ja letztlich ein Element, ein System, ein sehr subtiles und hochinteressantes System der Psychologie. Die meisten astrologischen Bücher sind also eigentlich psychologische Bücher.

Nun, den Weg des Eros habe ich bereits genannt. Nun kann man fragen, das ist ja auch alt, nun kann man fragen, wie bringt uns der Eros den Kosmos nahe? Ich meine, die Literatur ist voll davon, auch die Musik, denken Sie an Richard Wagner, den Schluss von „Tristan und Isolde“. Da ist ja auch so eine kosmische Vereinigung dargestellt, in der Musik sinnfällig gemacht. Und denken Sie an die gesamte Bio-Energetik von Wilhelm Reich und seiner Lehre von der Orgon-Energie, die im biologischen Organismus genauso drin ist wie in den Galaxien. Das ist natürlich eine schwierige Sicht, eine schwierige, problematische Sicht: Kann man einfach sagen, weil es viel diskutiert wird, kann man sagen, da sozusagen die Galaxien auch von Eros-Energien in Gang gehalten werden, ist es letztendlich das Gleiche, da und dort. Dann hätte man ja auch die alte Einheit wiedergefunden. Die glaubte ja auch Wilhelm Reich wiedergefunden zu haben. Über die Orgon-Energie glaubte er tatsächlich, er habe sozusagen diese alte Spaltung überwunden. Über die Orgon-Energie können wir nun eine neue Brücke finden zwischen Kosmos und Erfahrungswelt.

Nun, was gibt es noch für Ansätze? Es gibt Versuche auch seit 20, 25 Jahren, diesen alten Dimensionen des Kosmos mittels bestimmter nur durch eine bestimmte Schulung zu erlangender Erfahrungen nahe zu kommen, sogenannte transpersonale Erfahrungen. Es gibt ja die Möglichkeit, in Grenzsituationen, Dinge, Elemente oder Facetten der Wirklichkeit zu erfahren, die dem normalen Bewusstsein nicht zugänglich sind. Man hat dafür einen Begriff geprägt, der ein gewisser modischer Begriff ist, ich liebe ihn eigentlich nicht so sehr, obwohl er eine gewisse Teilberechtigung hat, der Begriff „kosmisches Bewusstsein“. Der Begriff ist geprägt worden von einem kanadischen Psychiater im ausgehenden 19. Jahrhundert. Er meinte damit visionäre, grenzüberschreitende Erfahrung. Er meinte, ganz bestimmte Persönlichkeiten in der Geschichte, Dante, Moses, Buddha, Jakob Böhme und andere hätten diese Erfahrung gehabt. Das zieht sich ja durch die gesamte spirituelle Kosmologie bis in die Gegenwart: die Vorstellung von einem kosmischen Bewusstsein, dass man also auf diese Weise in einer transpersonalen Erfahrung wieder in die alte Dimension des Kosmos in irgendeiner Form hineinkommen kann. Die Dimension ja auch der Weite und der Bewusstseinssstrahlung und der sinngefügten Ordnung, also sozusagen sich befreien kann und diese Stufe transzendieren kann. Man wäre dann wieder in einem sinnvoll gefügten, ganzheitlichen Zusammenhang. Das hat ja auch der Psychiater und Bewusstseinsforscher Stanislav Grof in seinen Büchern und Praktiken immer wieder zu zeigen versucht, dass wir mittels dieser Erfahrungen, die man in der Meditation finden kann, mit bestimmten Formen des Atmens und Anderem tatsächlich in der Lage sein könnten, in eine Tiefendimension der kosmischen Erfahrung wieder neu hinein zu kommen. Auch die Bewusstseinsforschung, die sich beschäftigt mit den Grenzerfahrungen der sogenannten Nahtodeserfahrungen, geht hier in eine ähnliche Richtung. Da ist ja mittlerweile die Literatur kaum noch überschaubar zu dem Thema, aber es ist ja immer wieder die gleiche Grundrichtung, dass der Mensch an der Grenze seiner irdischen Existenz plötzlich, schockartig in eine Erfahrungsdimension hinein gerät, die ihm sein Bewusstsein ins Kosmische hinein für einen Moment weitet, für einen Moment, sei es für Minuten, sei es für zehn Minuten, eine Viertelstunde vielleicht sogar für Stunden oder auch nur für Sekunden. Auf jeden Fall, in einem kurzen Moment kann diese Verpanzerung des Bewusstseins aufgebrochen werden.

Wir alle haben hier erstmal im Normalfall ein absolut zugepanzertes Bewusstsein. Wir laufen auf diesem Planeten rum, sind beschäftigt mit tausend Dingen, die uns tagtäglich und ständig irgendwie den Tag, die Zeit des Tages in Beschlag nehmen, und das um uns herum vielleicht, was diese Erfahrung andeuten könnte, sozusagen eine brausende, eine unermessliche, vieldimensionale, ständig durch uns hindurch wirkende Bewusstseins­strahlung wirkt, ist ja normalerweise vollkommen unbekannt, ja wird geradezu als eine vielleicht poetische oder sonstige Fantasie bezeichnet. Man kann aber erst einmal, auch sei es nur als Arbeitshypothese, davon ausgehen, die herrschende Kosmologie umdrehen oder auf den Kopf stellen und sagen: Wir sind sinnvoll in diesen Kosmos eingefügt, wir haben einen Sinn, wir haben eine Funktion, wir müssen bloß rauskriegen welche. Das ist natürlich die entscheidende Frage. Und diese Bewusstseinsforschung behauptet ja nicht, nun wüsste man, was der Sinn der menschlichen Existenz im Kosmos sei. Es sind ja Signale nur, es sind ja nur Öffnungen, sind ja in keiner Weise, irgendwie klare, verifizierbare und schon gar nicht irgendwie naturwissenschaftlich belegbare Aussagen: Das ist der Mensch, so verhält es sich mit seinem Verhältnis zum Kosmos.

Ich meine, in der herrschenden Kosmologie und Evolutionsbiologie ist es ja vollkommen einfach: Der Mensch ist ein höheres Tier, hat sich entwickelt, er ist ein Seitenzweig einer im Grunde bewusstseinsblinden Evolution. Wo ist eigentlich das Problem? Dann haben natürlich einige Kosmologen, schlau kann man sagen, das sogenannte anthropische Prinzip eingeführt, haben gesagt, na ja, das ist zwar so, aber im Grunde genommen zielt die ganze kosmische Evolution auf die menschliche Intelligenz. Anthropos ist der Mensch, anthropisch ist also die Entwicklung zum Menschen. Es gibt also dann doch ein Telos, doch ein Ziel, nämlich die menschliche Intelligenz.

Nun ist diese Art von menschlicher Intelligenz vielleicht nicht so hoch zu veranschlagen. Im Zuge dieser uns allen bekannten Krisenhaftigkeit auf diesem Planeten hat man ja wirklich gute Gründe, an dieser Intelligenz zu zweifeln. Dieser blöde Witz, der mir kürzlich untergekommen ist, wenn ich das kurz mal sagen darf, in irgendeinem Buch: Unterhalten sich zwei Planeten, und dieser so schlecht aussehende Planet sagt zu dem anderen: Wieso siehst du so furchtbar aus? Ja, ich kann es auch nicht ändern, ich habe Homo sapiens. Darauf sagt der andere: Na ja, mach dir nichts draus, es dauert ja nicht mehr lange, es geht vorbei.

Nun, für uns mag dieses Kurze sehr lang sein, und dieser Witz hat ja so eine, eigentlich so eine frostige, zynische Form, dass wir alle darüber lachen oder sagen wir mal, einige darüber lachen, ist natürlich schon ein Zeichen für unsere Situation. Wir verstehen den Witz sofort, auf irgendeiner Ebene verstehen wir den Witz, wir lachen, es ist eigentlich ein zynisches Lachen über uns selber. Im Grunde müsste uns das Lachen im Halse stecken bleiben. Wenn es wirklich so ist, ist es doch furchtbar. Was ist denn dann mit unserer Intelligenz hier auf diesem Planeten, wenn wir sozusagen so locker darüber lachen können, dass wir hier in Kürze verschwinden werden?

Also es gibt Ansätze auf diesem Gebiet, ich sage es noch mal, transpersonale Erfahrungen zu machen und diese vielleicht rückzukoppeln an bestimmte kosmologische Vorstellungen. Es gibt verschiedene Bücher in der Richtung. Ich kann Ihnen hier nicht die ganze Literatur nennen. Eines von diesen Büchern ist vor zwei Jahren im Insel Verlag erschienen, „Am Fluss des Heraklit – neue kosmologische Perspektiven“, verschiedene Autoren äußern sich hier. Ich habe hier auch einen Essay drin mit dem Titel „Grenzüberschreitung ins kosmische Sein“. Und hier ist auch der Versuch gemacht worden nun, mehr oder weniger erfolgreich, die neuere Kosmologie mit diesen Erfahrungen zusammenzukoppeln, ob da vielleicht doch sich eine Brücke finden lässt?

Nun kann man das auch von der Gesamtbewusstseinsentwicklung aus betrachten, wie das der von mir hochgeschätzte Ken Wilber macht. Das heißt also, dass unsere mentale Stufe im Moment in der pathologischen Form sich diesen Kosmos sozusagen kreiert, diese Projektionen schafft, dass wir aber im Durchgang durch ein möglicherweise transmentales Stadium dann auch sozusagen von selbst zu einer anderen Kosmologie kommen. Wir können natürlich nicht durch einen Willensakt einfach eine andere Kosmologie aus dem Hut zaubern. Das ist nicht möglich, genauso wenig, wie wir zum Beispiel eine jetzt grundsätzlich andere Physik oder eine grundsätzlich andere Biologie oder Chemie einfach so schaffen können. Das ist schon deswegen nicht möglich, weil hier ja eine große Zahl von Generationen unermüdlich an diesem einen Werk gearbeitet haben. An Gegenelementen mangelt es ja, und die sind sehr zersplittert und in keiner Weise zusammenhängend, das heißt, man müsste erst einmal eine ganz grundlegende Arbeit leisten, das können Einzelne in keiner Weise. Man kann nur vermuten, dass im Zuge eines Bewusstseinssprungs eventuell dann die Möglichkeit sich herstellt, tatsächlich auch uns plötzlich in einem anderen Kosmos vorzufinden, als wir immer gedacht haben. Das ist meine These und auch meine Vermutung. Ich vermute, obwohl ich es nicht beweisen kann, dass wir ganz tief innen ganz genau wissen, ganz genau wissen, dass wir in einem völlig anderen Kosmos leben. Genauso wie ich oft sage und bin davon tief durchdrungen, dass jeder Einzelne ganz genau weiß, dass er seinen Tod überlebt, ganz, ganz in der Tiefe weiß es jeder in der einen oder anderen Form. Die Angst letztendlich vorm Tod ist nicht die Angst zu verschwinden, das ist im traumlosen Tiefschlaf ja jede Nacht der Fall, sondern ist dass da in irgendeiner Form eine Konfrontation passiert, eine Konfrontation, die den Einzelnen gnadenlos mit sich selber konfrontiert, wie das auch in diesen Nahtodeserfahrungen, Grenzerfahrungen ganz häufig und in einer großen Zahl dargestellt wird und berichtet wird. Und es bleibt letztendlich die Frage, und das kann nur eine offene Frage sein: Ist es möglich, oder wird es noch möglich sein, im ausgehenden Jahrtausend sozusagen, diese kosmische, die spirituelle, die tiefe Dimension unserer Existenz eigentlich ins Bewusstsein hinein zu führen, uns tatsächlich damit zu verbinden? Oder wird das nicht mehr gehen? Wird das nur über vielleicht schockartige Erfahrungen schubhaft passieren? Aber auch das ist unsicher. Das Bedürfnis jedenfalls ist gewaltig.

Also, ich habe nun wahrlich in diesen letzten zwanzig Jahren so viele Gespräche geführt mit den verschiedensten Leuten, mit Mathematikern, Physikern, Biologen und Philosophen und unzählige Vorträge gehalten und viele Diskussionen geführt. Ich weiß wirklich, dass das Bedürfnis gewaltig ist. Ganz tief innen hat Jeder ein elementares Bedürfnis, seine eigene Position im kosmischen Gesamtzusammenhang zu verstehen, weil er ganz tief innen spürt, dass ihm die menschliche Würde geraubt wird, wenn er die kosmische Dimension einfach so ausklammert. Und wenn er die einfach so abgibt, gewissermaßen an die dafür zuständigen sogenannten Fachleute, etwa Astronomen oder Astrophysiker oder wie das neuerdings heißt, Kosmologen. Also das glaube ich ganz tief innen. Und ich glaube, wenn das so stimmt, meine These, dass die innere Kosmologie auch die äußere Kosmologie tatsächlich trägt, ja vielleicht sogar identisch mit ihr ist, dann könnte es nur aus den Tiefen dieser inneren Kosmologie selber kommen. Das kann wahrscheinlich nicht von Einzelnen geleistet werden. Es müsste ein Bewusstseinssprung sein, der in irgendeiner Form kollektiven Charakter hat. Das bedeutet nicht, dass Einzelne nichts beitragen können. Aber Einzelne mit einem Willensakt können auf gar keinen Fall hier irgendetwas verändern. Dass das Bedürfnis so groß ist, können sie doch an allen Fronten sehen, das ungeheure Interesse etwa an Science Fiction, an Science Fiction-Filmen, das ungeheure Interesse an der Ufologie, die ganze Diskussion um UFOs, dieses leidenschaftliche Interesse der Menschen, mit der sie über diese Fragen zu diskutieren.

Das sind doch alles nur Symptome oder Signale dafür, hier ist ein elementares Interesse, man will das irgendwie wissen: Sind wir allein im Kosmos? Sind wir es nicht? Und das geht Jeden irgendwie an, und da sollte man sich nicht, meine ich abschließend, bevor wir vielleicht ins Gespräch kommen, da von sogenannten Fachleuten die Meinung vorprägen lassen und sich sagen lassen, was möglich oder was nicht möglich ist oder sein kann. Weil diese Fragen sind extrem komplex und schwierig, und ein wirklich fundiertes Wissen besitzt darüber keiner. Auch wenn Evolutionsbiologen manchmal dann forsch, nassforsch verkünden, das ist eigentlich ziemlich klar, dass die Evolution nur ein einziges Mal diesem Universum zum Menschen geführt hat, nämlich auf der Erde, so ist das eine dogmatische Behauptung ex cathedra, die durch nichts belegt ist. Und auch wenn einer, was weiß ich, sonstige Meriten sich erworben hat oder gar den Nobelpreis: Es ist kein Grund für Irgendjemanden dieser Art solche Dinge zu sagen, weil es kann nicht gewusst werden. Das eine ist eine dogmatische Aussage, genauso, wenn ich die Gegenaussage so dogmatisch einfach in den Raum stelle. Beides ist erst einmal eine vollkommen offene Geschichte, und ich finde, dass wir da ein riesiges Stück Bewusstseinsarbeit leisten können und auch leisten müssen. Und meine These ist seit Langem, dass das auch was zu tun hat mit der Ökologie-Frage. Also letzte Bemerkung, der Philosoph Hans Jonas hat kurz vor seinem Tod 1992 mal, denke ich, mit Recht gesagt, dass die Ökologie-Frage nur sinnvoll anzugehen ist, wenn man sie mit der oder an die Kosmologie-Frage koppelt. Die Mensch-Kosmos-Frage ist letztlich auch eine ökologische Frage und umgekehrt. Man kann die Mensch-Kosmos-Frage nicht vollständig lösen von der ökologischen Frage, was übrigens meistens passiert. Meistens ist sie ja gar kein Thema. Die Mensch-Kosmos-Frage ist das eine Paar Schuhe, und die Ökologie-Frage ist das andere Paar Schuhe. Ich meine aber, dass beide Paar Schuhe ganz eng miteinander zusammenhängen und ganz viel miteinander zu tun haben.

So, ich habe ein bisschen überzogen. Wir wollen ja auch noch ins Gespräch kommen. Wenn Sie das wollen, dann können wir es vielleicht gleich anschließen.

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