KI und Transhumanismus als Bedrohung des Lebendigen

Videogesprächs im Mai 2023
mit Jochen Kirchhoff (JK) und Gwendolin Walter-Kirchhoff (GWK)

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=jH7SFqPcyLc

Transkript als PDF:

GWK: Spätestens das Jahr 2023 kann als das große Coming-Out der KI bezeichnet werden. Zwar war das Thema bereits zuvor präsent, jedoch durchstößt es erst seit relativ Kurzem die mediale Decke und dringt verstärkt ins allgemeine Bewusstsein. Mit der Frage nach der KI schwingt im Hintergrund auch die Frage nach dem Transhumanismus mit.
Auffällig ist, dass in diesem Zusammenhang Fragen nach der Zukunft des Menschen überhaupt gestellt werden, nach seinem Gebrauchtwerden (Wer braucht hier wen? Wessen Bedarf ist hier gemeint?), seiner Minderwertigkeit (siehe die promethetische Scham bei Gunter Anders) und seines nicht näher definierten Endes. Die KI würde das Ende der Menschheit bringen und sei die Atombombe des 21. Jahrhunderts laut Rachel Johnson oder die Reduktion von Menschen zu „hackable animals“, wie es Yuval N. Harrari nennt.
Gleichzeitig und eigentlich paradoxerweise wird in diesem Zusammenhang von Evolution gesprochen, also einer gleichwie biologischen Entwicklung hin zu einer Überschreitung des Menschlichen ins Technische hinein, eben dem Transhumanismus, der sogenannten bio-digitalen Konvergenz. Dies wie gesagt derzeit medial noch implizit und ohne den Transumanismus direkt zu nennen, aber doch deutlich hörbar.
Warum nun sollte eine Verschmelzung des Menschen mit der KI und technischen Bauteilen eine Evolution darstellen mit der impliziten Unterstellung einer Höherentwicklung. Man könnte doch genauso gut von einer Pathogenese sprechen, also einer fortschreitenden Symptomentwicklung einer bestimmten psychischen, sogar psycho-physischen Erkrankung. Der bis zur Amputation eskalierte Drang [da]nach, nur ein Bein zu haben, das haben tatsächlich manche Menschen, der als psychische Störung bei manchen Menschen auftritt, wäre auch nicht als Evolution zu beschreiben. Viel eher wären Kategorien der Besessenheit durch einen dem eigenen Leib feindlichen Gedanken zu vermuten. Würde eine Deutung als Pathogenese nicht viel besser zu den eigenartigen Prognosen passen, die mit der KI verbunden werden? Dass sie also gleichzeitig eine Evolution sein soll, eine ganz große Hoffnung, aber auch das Ende der Menschheit und die Atombombe des 21. Jahrhunderts: Das ist ja, sag ich mal so, ein perverses Kombinat. Und damit wollen wir uns heute auch beschäftigen und insbesondere auch das Lebendige von diesem Transhumanistisch-Technischen nochmal klar unterscheiden. Lieber Jochen: Wie sind wir hier eigentlich gelandet? Was soll das alles?

JK: Ja, die Frage, wo wir hier gelandet sind, und wie wir hier gelandet sind, ist wirklich eine zentrale Frage. Mich selbst hat übrigens das Thema Transhumanismus erst relativ spät beschäftigt. Ich dachte zunächst: Na ja, das ist so eine abstrakt-theoretische Vorstellung, die habe ich gar nicht ernst genommen. Ich dachte: Was soll das? Das sieht man doch sofort, dass das hinten und vorne gar nicht stimmt. Und dann, zunehmend rückte mir das näher, und ich habe verstanden: Das ist wirklich eine ernsthafte Bedrohung! Das ist gar nicht witzig, und das ist auch nicht irgendwie nur peripher, sondern das ist zentral. Und ich war zu der These gekommen, dass es ein fundamentaler Angriff ist auf das Lebendige überhaupt. Nun ist das nichts Besonderes in dem Sinne. Auch die abstrakte Naturwissenschaft ist ja ein solcher Angriff, aber sie ist ein … hier haben wir einen fundamentalen Angriff gegen das Lebendige, was wir eigentlich sind, was wir brauchen. Wir leben auf einem lebendigen Planeten, nicht, und all diese Dinge. Und dann habe ich begonnen, mich damit zu beschäftigen, habe Literatur gelesen und da ist mir deutlich geworden, dass sie schon sehr weit sind, also das sie viel weiter sind, als ich gedacht habe. Und dann denken viele: Naja, das ist irgendwie noch gar nicht aktuell, und für viele Menschen ist es auch so. Es ist irgendwie abstrakt, und sie beschäftigen sich gar nicht damit. Und dann habe ich mich natürlich gefragt, grundsätzlich, auch für unser Video, weißt Du: Von wo aus reden wir oder fragen wir eigentlich? Das wollen wir ganz kurz nochmal andeuten.
Ich meine, wir sind ja in einer extrem zugespitzten Lage auf diesem Planeten. Alle Welt spricht von Rettung des Planeten oder Untergang des Planeten. Gegenseitig wirft man sich vor, man würde sozusagen dazu beitragen, dass man den Planeten zerstört, nicht, das ist ja so das Universalargument, mit dem so ganz locker hantiert wird und auch oberflächlich hantiert wird. Aber wir sind in einer extrem zugespitzten Lage und auch alles, was geistig geäußert wird, ist heute völlig verflacht ins Ideologische, und zwar ins Ideologische, was vollkommen gar keinen Widerspruch duldet. Nicht, es gibt ja kaum, das wissen wir ja, ist ja fast banal, zu sagen, es gibt ja kaum ernsthafte kontroverse Auseinandersetzung. Da gibt die eine Ideologie gegen die andere Ideologie, und man hört gar nicht mehr zu einander. Man macht den anderen runter, das ist ja bekannt, nicht, es gibt also … der berühmte Debattenraum ist so was von eng, dass er praktisch kaum vorhanden ist. Also eine ernsthafte Diskussion findet kaum statt. Und das ist schon mal desaströs. Also es ist eine Phase der ungeheuren Verwirrung. Der normale Mensch, der weiß doch gar nicht mehr, der sogenannte normale Mensch, der „Normalo“, weiß doch gar nicht mehr, was eigentlich gespielt wird. Das heißt, wir sind in einer vollkommen verworrenen Situation. Extrem schwierig! Dieser Planet rast um die Sonne, und die Menschen auf ihm sind blind irgendwie, vollkommen blind und von Ideologien besessen. Und wie kann man da eine Schneise schlagen, eine Schneise der Vernunft und der höheren Intelligenz? Und das alles fehlt, und das ist wichtig, dass man da noch mal anknüpft und überhaupt weiß, wenn was gemacht wird, also wenn zum Beispiel die Natur zerstört wird, die wird ja allenthalben, an allen Ecken und Enden zerstören. Da gibt’s die einen die sagen, na ja, die nehmen das so apathisch hin: Kann man eh nichts machen, das ist halt ja der Fortschritt und so weiter. Aber da gibt es andere kleine fanatische Gruppen, die sozusagen den Weltuntergang gleich vor der Tür sehen, apokalyptisch, und da ist jedes Mittel recht.

GWK: … da kann man sich auch direkt festkleben …

JK: … ja, man kann sich da festkleben, die berühmten Klima-Kleber und so. Man kann dann auch sozusagen gleich sagen: Okay, wenn Du das nicht akzeptierst, dann bist Du sowieso … dann, dann trägst Du dazu bei, dass der Planeten ruiniert wird.
Also all diese Fragen. Wir sind in einer so verwirrenden Situation, und ein klares Wort, auch ein klares geistig-philosophisches Wort fehlt eigentlich. Also ich habe mich umgetan in der Literatur, [das] gibt es kaum. Ganz wenig findet man da überhaupt, und es ist ja so, dass eben keiner hört ja dem andern zu. Wir wollen hoffen, dass jetzt viele zuhören und mit uns mitgehen mit unseren Gedankengängen, die wir hier vortragen wollen. Es ist wirklich der Versuch, eine Klärung zu schaffen und auch diesen fundamentalen Angriff gegen das Lebendige geistig erst einmal abzuwehren, damit man erstmal sieht, was läuft hier überhaupt auf uns zu? Das ist ja, betrifft ja uns alle. Das ist ja nicht so, dass es irgendwie nur einige betrifft. Das betrifft uns alle! Wir alle sind extrem gefährdet, und das wissen wir ja auch. Und da anzusetzen noch mal ist wichtig und da muss man grundlegende Dinge noch mal nennen und benennen und auch durchdenken, sonst kommt man keinen Millimeter weiter. Und das versuchen wir hier auch, das wollen wir in diesem Video auch versuchen. Und vielleicht gelingt es uns, da den einen oder anderen neuen Impuls zu setzen, der wirklich was Weiterführendes hat, nicht. Das wäre erst mal eine Grundvoraussetzung.

GWK: Also man gewinnt den Eindruck, vor allem bei diesen PR-Schlachten, dass es a) PR-Schlachten sind, das heißt, der Mensch zum Transhumanismus hin überwältigt werden soll. Da gibt es also eine Machtförmigkeit, die dem Menschen das gegen seinen Willen überstülpt. Natürlich auch die Frage, was ist die Provenienz des Transhumanismus. Da wollen wir vielleicht als Allererstes darüber sprechen: Wo kommt das Ganze her, seine Verbindung mit der Eugenik, seine Verbindung auch mit Ideen einer technischen verbesserten Herrenrasse oder auch nicht technisch verbesserten Herrenrasse, einer bis zur Unkenntlichkeit kontrollierten Drohne des glücklichen Sklaven, der dann in einer technischen Scheinwelt lebt und dort … es gibt ja viele dystopische Ideen auch von einem Umbau einer Gesellschaft, sage ich jetzt mal, einfach nur in der Literatur, wenn wir schauen – Orwell und Huxley und so weiter – die sich verstehen … die haben, das ist nicht transhumanistisch gemacht, sondern per Genetik und so weiter. Aber solche Ideen klingen auch an, werden unter anderem als Warnungen dann von einem Harari aufgegriffen, dass sich die Weltmenschheit spalten könnte in eine technische verbesserte Übermenschen-Rasse, und der Rest der sinkt ins ins Drohnentum hinab. Deswegen auch noch mal die grundsätzliche Frage: Wo kommt eigentlich dieser Transhumanismus her? Was ist das für ein Geist? Ist es nicht einfach nur Herrschaftstechnik?

JK: Ja, die Frage ist natürlich zentral: Woher kommt das überhaupt, der Transhumanismus? Das ist ja im Grunde genommen eine Vorstellung, die im engeren Sinne erst in den 1980er Jahre entstanden ist, aber an sich viel älter ist. Es ist ja im Grunde genommen die Vorstellung … dahinter steckt im Grunde die Vorstellung, es gibt eine Zielvorstellung im Menschen. Der Mensch hat irgendwie die Aufgabe, zu Höchstem zu gelangen, sich selbst zu transzendieren, sich selbst zu überschreiten. Da steckt auch ein bisschen immer auch dann, Nietzsche, der Übermensch und so weiter mit drin. Das heißt, es gibt eine ganz alte Vorstellung, dass der Mensch sich sozusagen selber perfektioniert, nicht, und das schwingt da mit. Der Mensch ist unzulänglich …

GWK: … Warum? …

JK: … in seiner Leiblichkeit, wird dann gesagt, ja, wir sind sterblich. Das müsste nicht sein. Das ist dann …

GWK: … wir sind manipulierbar ..

JK: … ja, wir sind manipulierbar sowieso, wir sind …

GWK: …wir irren uns …

JK: … wir irren uns bei jeder Gelegenheit, wo es möglich ist. Und wir sind natürlich auch unzulänglich. Der Mensch ist ja auch ein, dass kann man so sagen, ein bisschen apercuhaft, das unzulängliche Tier. Das also, wenn es denn so ist … der Mensch ist vollkommen unzulänglich, denn er ist verletzbar, er ist manipulierbar sowieso. Er ist eigentlich imperfekt, er ist nicht perfekt …

GWK: … und seine Imperfektion ist seine Verwundbarkeit, und seine Schwächen, die sollen überwunden werden …

JK: Richtig, seine Schwächen. Gibt es nicht die Möglichkeit, den Menschen auf eine höhere Ebene zu heben? Das ist ja eine uralte Vorstellung, die auch in der Politik immer eine große Rolle gespielt hat, auch im Marxismus z.B., nicht, berühmte Aussagen von Trotzki darüber, was der Mensch eigentlich sein müsste und so. Also es gibt immer die Vorstellung: Der Mensch ist nicht das, was er sein soll, und immer gibt es neue geistige Revolutionen, die groß angekündigt werden, dass der Mensch zu sich selbst kommt, wie er eigentlich ist. Der Mensch, der kleine unzulängliche Mensch, das ist irgendwie nichts Richtiges. Der Mensch muss richtig aufblühen, aufwachsen zu seiner eigentlichen Potenz. Und es ist natürlich naheliegend, dass man dann diese eigentliche Potenz und die eigentliche Größe dann auch technisch verortet.
Das ist früh gemacht worden, das war schon im 18. Jahrhundert, „L’homme machine“ von La Mettrie und anderen. Das geht ja auf das 18. Jahrhundert zurück, dass man dann schon gedacht hat, das könnte man technisch machen. Vielleicht kann man sogar diesen Menschen einfach neu bauen, nicht. So kam der Gedanke auf, so wie er gemacht ist, ist er irgendwie unzulänglich und je mehr auch irgendwelche göttlichen Faktoren in den Hintergrund treten, die kommt die Idee auf: Wir machen’s selber, nicht. Wir schaffen selber einen neuen Menschen. Es ist ja auch in vielen Revolutionen der Fall gewesen. Der berühmte neue Mensch, der ständig verkündet wurde, nicht, im Marxismus ja auch und so. Der neue Mensch, der eigentlich der eigentliche Mensch ist. Da liegt natürlich auch was Richtiges drin insofern, als natürlich der Mensch auch tatsächlich ein evolutives Potenzial in sich hat, sich weiterhin höher zu entwickeln, auch geistig. Es ist ja nicht so, dass es völliger Blödsinn für sich wäre. Aber es wird natürlich dann pervertiert. Und im 18. Jahrhundert kam der Gedanke auf: Das müsste man selber machen. Eigentlich schon vorher, zum Teil ja auch schon bei Paracelsus die Idee des Homunculus und so. Und im 18. Jahrhundert kommt die Vorstellung auf: Der Mensch müsste … man müsste eine Maschine bauen, die den Menschen eigentlich imitiert und gleichzeitig seine Unzulänglichkeiten überwindet. Also der künstliche Mensch. Und das ist ja auch viel ventiliert worden. Das ist ja ganz viel auch gemacht worden. Man hat es versucht, und es gibt ja Literatur, auch Beispiele davon, da kann man darüber reden. Zum Beispiel ja E.T.A. Hoffmann, nicht, „Der Sandmann“, die berühmte Erzählung. Da können wir gleich noch mal darauf eingehen, und dass da der Mensch auch perfektioniert wird. Also es ist im Grunde der Grundgedanke: Der Mensch, so wie er ist, ist nicht richtig. So, er muss anders sein und wir machen es, weil: Das Göttliche, darauf müssen wir nicht bauen. Das haben wir sozusagen abgelegt, und das ist ja auch eine eine letztlich atheistische Version.

GWK: … und natürlich auch verbunden mit anderen Ideen der Selbstüberwindung oder der Naturüberwindung. Nun kann ich mir dieses Anders-werden natürlich zweierlei vorstellen. Ich kann sagen: Okay, was stimmt denn nicht am Menschen? Er gehorcht nicht, macht nicht, was ich will. Ich meine, das merkt ja jeder mit sich selber. Die eigene Natur hat tatsächlich eine Eigenlebendigkeit, widersetzt sich auch dem einen oder anderen Vorhaben, was man hat und auch an Disziplinvorstellungen und verschiedenen anderen Dingen merkt man sich selbst, wird es nicht dasselbe. Und sobald man Menschen in der Menge hat, hat man auch mit Beknacktheiten zu tun, die sich dann auch eben so eigenlebendig widersetzen. Und das sind natürlich Probleme, die man angenehmerweise mit dem Roboter nicht hat. Da kann man von oben eine Eingabe reingeben und dann wird gehorcht. Da kommt dann auch das raus, was man angefragt hat, mehr oder weniger, oder doch zur eigenen Zufriedenheit. Also hier in dem Fall wäre es einfach eine reine Sache: Mein Problem mit dem Menschen ist, das er mir nicht gehorcht. Oder meine eigene Natur, dass sie mir nicht gehorcht. Und die Technik soll eben eine Art Mittel sein, mit der dieses Gehorchen sozusagen möglich gemacht wird. Das wäre die eine Möglichkeit. Das andere, zu sagen: Ja, mein Körper kann bestimmte Dinge nicht, ich kann bestimmte Dinge nicht, die ich aber gerne können würde. Und dann hilft die Technik als Prothese dazu, dass ich Dinge kann …

JK: … ganz genau, ja …

GWK: … die ich vorher nicht kann. Also insofern, da ist es sozusagen eine Selbstoptimierung. Und bei der anderen Seite kann man sagen, [es ist] quasi ein Herrschaftsinstrument auf der einen Seite, und die Selbstoptimierung …

JK: … richtig, das Wort „Selbstoptimierung“ taucht ja sogar in ganz banalen Schriften auf, die jeweils …, der also sozusagen immer, was weiß ich, Yoga macht jeden Tag oder der immer jeden Tag bestimmte Runden läuft und im Jogging der ist [auf] Selbstoptimierung [aus]. Nun muss man natürlich fragen, wenn es um Selbstoptimierung geht, das ist die Frage: Lässt sich der Mensch ganzheitlich selbstoptimieren, auch geistig-seelisch? Eigentlich kaum, denn er kann in Teilbereichen, [da] kann man natürlich extreme Leistung erbringen, nicht, verblüffende Leistung erbringen, das ist ja nicht zu leugnen. Aber was ist mit den anderen Feldern? Es geht, läuft ja nicht automatisch mit. Also die Selbstoptimierung ist ja, hat ja auch was Groteskes, nicht. Auf der einen Seite kann man es verstehen, wenn Menschen was machen und sich selber irgendwie auch auf eine andere Ebene bringen wollen. Das ist alles verständlich, aber es hat auch irgendwo was Lächerliches, weil es den Menschen ja auch wieder, auch wieder reduziert auf eine bestimmte Ebene, auf eine, auf eine bestimmte Fakultät. Aber das, was ich mich an dem Transhumanismus so kollosal [interessiert], das möchte ich noch mal sagen, weil es in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt, möchte es jetzt hier nennen: Manche Protagonisten des Transhumanismus gehen von dem Herrschenden, von der herrschenden Kosmologie aus. Sie sind letztlich erstmal Gläubige der modernen Kosmologie, die ich ja aus vielen Gründen auch anzweifle. Und sie halten diese Kosmologie, auch die Zufallsevolution, für letztlich unzulänglich und sie kritisieren das auch. Sie kritisieren also die herrschende Kosmologie als chaotisch, und sie haben nun die Wahn-, kann man sagen, Wahnvorstellung, der transhumanistische Impuls müsste jetzt sozusagen diese Unzulänglichkeit des Kosmos überwinden und überall Leben und Intelligenz schaffen, also sozusagen das Weltall, das Universum fluten mit Geist, ja, mit technisch fabriziertem Geist. Das heißt also eine aberwitzige, eine kaum fassbare, sage ich mal, würde ich mal fast sagen, Idiotie, weil der Transhumanismus mit Recht sieht, dass die herrschende Kosmologie so in dieser Form eigentlich, sag ich mal, abstrus ist, dass sie so nicht stimmen kann. Aber die ziehen daraus die Schlussfolgerung: Wir machen’s selber, also sozusagen der Demiurgos hat das unzulänglich gemacht, wenn es den gibt, dann hat er es schlecht gemacht. Man muss es anders machen. Und deswegen ist auch damit ein wir-sind-die-Herren-des-Universum-Verständnis verbunden. Das ist, das wäre übrigens ein Begriff, Masters of the Universe, was auch bei den, bei den Bankern, das wissen viele vielleicht gar nicht mehr … Die Top-Banker haben sich selber bezeichnet als Master of the Universe. Also ich meine eine vollkommen irrwitzige …, aber der Mensch neigt sowieso in seiner, in seiner technischen … in seinem technischen Wahn sowieso zum Größenwahn. Das ist Megalomanie pur, das haben die Naturwissenschaftler … sind ja auch letztlich Kosmologen, sind ja auch letztlich megalomanisch angefacht. Sie klopfen ja eh dem Weltgeist auf die Schulter und so weiter, sind mit ihm auf Du-und-Du, ist ja alles klar. Alles klar, alles schick, sozusagen.
Also da ist eine, eine ganz merkwürdige … da kommt dann der Größenwahn des Menschen, der Perfektionierungswahn, auf eine ganz perverse Weise raus. Und das ist so unglaublich gefährlich, weil natürlich alle Fakultäten des Menschen, die da stören, würden alle rausfallen. Und das ist ja in der Naturwissenschaft sowieso der Fall gewesen: Emotionen, Schönheit, Farbe, Sinn im Leben. Deshalb, der geistig-seelische Sinn, der dem Leben ja innewohnt, davon kann man ausgehen, viele gehen ja gar nicht davon aus, aber ich gehe davon aus. Und das sozusagen, das wird ja alles weggewischt, denn was wird dann da eigentlich perfektioniert? Doch nur der Geist, und letztendlich ist es die Perversion, sage ich mal ein bisschen ungeschützt, eines berühmten Satzes von Novalis aus den „Fragmenten“: „Einst soll keine Natur mehr sein, in einen Geist soll sie übergehen.“ Ja also sie soll dann in Geist übergehen. Das macht … das würden die Transhumanisten sagen, ist genau das was wir doch machen. Das sagt der Novalis als gnostischer Romantiker auch, und in einer Geisterwelt soll sie allmählich übergehen. Wir machen das. Der Novalis redet nur davon – das machen wir! Und da kommt eine eigenartige perverse Verbindung rein: das nämlich solche Gedanken sich verbinden mit ganz alten gnostischen Gedanken auch. Der gnostische Gedanke ist ja der: Der Mensch ist abgestürzt in die Materie, und er müsste sich ja aus der dunklen Materie, die ihn einengt, ja, müsste er sich befreien, ins Freie gehen, in die, in die Unsterblichkeit und in die, in die Größe seiner eigentlichen Bedeutung.
Also es ist auch was Gnostisches, auch was Religiöses. Das ist eigentlich religiöser Wahn, das Ganze, das ist auch religiös fundiert, und gleichzeitig wird der Mensch kastriert, klein gemacht, weil der Rest spielt ja sowieso keine Rolle. Einige ganz tolle Typen, die werden immer, immer großartiger. Der Rest ist ja unwichtig, der kann ja absterben sozusagen, also spielt gar keine Rolle. Sind ja unnütze Esser, wird ja auch zum Teil gesagt, viel zu viele und so weiter …

GWK: … Computerspiele kann man ihm geben, und ihn ruhigstellen, wird auch gesagt …

JK: …ja, ja, man ist aber mit diesem Transhumanismus in so eine merkwürdige, absolut perverse Ecke gekommen. Das hätte man …, hätte ich mir nie vorstellen können. Ich kenne ja gut die Naturwissenschaft, die Kosmologie, die wir in Jahrzehnten ja auch …, dann haben wir sie auch hier in Videos oft behandelt – aber dass das so weit gehen würde, dass man selbstständig meint, man müsste technisch, mental und so weiter das alles umbauen, und das Universum mit seiner Super-Intelligenz fluten – das hätte ich nie für möglich gehalten, muss ich sagen. Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, das kann nicht wahr sein. Das können nur Geisteskranke sein, die so was sagen, das gibt es doch gar nicht. Und doch habe ich immer mal wieder gelesen und habe gestaunt, ich glaube bei Kurzweil taucht das auch auf, bei Harari weiß ich nicht, kann aber auch sein. Der Mensch wird ja sowieso vergottet, ist ja klar, und der Gottwahn des Menschen – Dir wird noch mal bei deiner Gottähnlichkeit bange, heißt es im „Faust“, ja, sagt doch der Erdgeist zum Faust. Und also … man ist in einem … in einem irrsinnigen geistigen Bezirke gelandet, den muss man erstmal richtig klären: Worum geht es? Weil da verschiedene Dinge zusammenkommen.

GWK: Also wir haben jetzt zuerst einmal den gnostischen Ursprung der Weltüberwindung, also dass die Welt zu Geist wird. Das wäre jetzt ein Aspekt, den Du genannt hast. und der zweite Aspekt, der natürlich auch drin ist, der alchemistische Aspekt. Und jetzt zunächst einmal fangen wir bevor [wir] uns dem Cyborg nähern, erst mal an mit dem ersten Grundgedanken, der nicht-geschlechtlichen Erschaffung eines Menschenwesens, also eines Homunculus oder wie es dann zum Beispiel aus Leichenteilen zusammengesetzt beim Frankenstein entsteht und dann mit Elektrizität wiederbelebt wird, einer der damaligen Vorstellung von Lebensenergie, dass man dadurch dann ein Wesen schafft, in einer nicht-geschlechtlichen Zeugung, dass ja ein eigenartiger Gedanke ist: Wieso brauche ich nicht-geschlechtliche Zeugung? Man könnte jetzt feministisch sagen, da wir so gewisse Symptome erkennen ja an dem, in dem ganzen Zusammenhang. Die Frage: Es klappt mit den Frauen nicht, was ist da los? Das geht schon ein bisschen jetzt ins Pathologische. Warum brauchst Du das überhaupt? Ja? Das wäre dann die Frage. Weil das ist ja keine Frau, die so was macht, das sind Männer, die auf so eine Idee, einer nicht-geschlechtlichen Zeugung [kommen] … übrigens bis hin zur künstlichen Gebärmutter heute …

JK: …ja, ja, allerdings …

GWK: …und so weiter und ganz viel ganz viele Zeugungsvorgänge finden außerhalb des weiblichen Körpers [statt] mittlerweile bis hin zum Schneidern von Gen-Babys und so weiter, was also, das ist sehr viel, was gemacht werden will an der Stelle, und das also wie der Wunsch, die Gebärmutter und die Mutter an sich zu überwinden, die eigene Mutter, die … an der was nicht stimmt, die nicht genug ist …

JK: Ja, das Kreatürliche überhaupt zu überwinden. Das ist ja … ich meine, die spirituellen Geister wollen ja auch irgendwie das Kreatürliche überwinden, weil es ist so unzulänglich, es ist sterblich und so weiter. Und die wollen sozusagen das Kreatürliche schlechthin, auch den Mann-Frau-Gegensatz … kein Wunder, dass dann solche Gedanken aufkommen: Man kann sich sein Geschlecht selber wählen, nicht. Die Kulturalisten dieser Provenience sagen: Na ja, bitte, das kann ich doch selber entscheiden und so. All diese Fragen gehören ja damit zusammen. Spielt ja gar keine Rolle mehr, das Menschlich-Natürliche wird ausgelöscht nach dem Motto: Wir können das besser…

GWK: … genau …

JK: … wir machen das besser.

GWK: Dann würde ich gerne mal einsetzen tatsächlich um diese Idee der nicht-natürlichen Zeugung oder Erschaffung eines Menschen, was der erste Akt vielleicht ist überhaupt der eigenen Apotheose, der Selbstvergottung, und mit der Idee des Homonculus, wo das auftaucht. Das ist noch kein Cyborg, also noch kein technischer Mensch in dem Sinne, sondern etwas anderes. Und [ich wollte] dich dazu einfach mal befragen.

JK: Ja, wir haben den Homunculus. Den gibt es bei Paracelsus auch schon, aber natürlich am berühmtesten in Goethes „Faust“. Wir haben ja damals unser …, vor knapp drei Jahren glaube ich war’s, ne, haben wir, oder zwei Jahren, haben wir unser Video gemacht über Goethe, und da haben wir auch ausführlich über den Homunculus gesprochen bei Goethe. Das ist ja bei Goethe auch eine heitere Vorstellung, „ein chemisch Menschlein, niemals noch gesehen“, ja, war dann so eine … das möchte gerne entstehen. Wieso? Der ist doch da. Weil, er ist der Knabe, ein allerliebster Knabe heißt es dann, ja, daran ergötzt sich dann auch der Faust, staunt und Mephistopheles staunt auch, der hat ja irgendwie mitgearbeitet an der Sache. Das ist ja auch was Heiteres, letztlich auch fast gar nicht ernst zu nehmen, denn, was heißt denn das Entstehen im „Faust“? Die Anthroposophen haben gesagt: Na, da ist eigentlich der Weltenlauf gemeint. Er will entstehen, er will Mensch werden. Das auch gar nicht falsch, weil nachher, da zerspringt ja der Homunculus. Bei Goethe ist es ja so, dass diese Fiole, in der sich dieses kleine Menschlein, dieses niedliche kleine Menschlein, der ja ganz klug daher redet mit allen, die ihn angucken, der ist ein ganz schlaues Kerlchen, .. dass das praktisch … da wird eine … der wird sozusagen … der zerbricht dann, er zerschmettert sich selber in der Flut, ja, sozusagen. Er schlägt seine zarte Umhüllung, zerschlägt er in der Flut und wird jetzt … „und von vorn die Schöpfung anzufangen“, heißt es dann. Also geh noch mal ganz von vorne. Also das ist auch ein Evolutionsgedanke bei ihm. Bei Goethe ist das halb spielerisch, kann man sagen, und doch ernst, aber man kann es auch spirituell positiv deuten, wenn man das möchte. Es ist nicht nur das Desaströse, obwohl auch der Spott darüber auch schon vorkommt. Das habe ich auch, glaube ich, damals auch einmal gelesen die eine Stelle, wo ja auch darüber gespottet wird, wie früher, „wie sonst das Zeugen Mode war, erklären wir für eitle Possen“ … „wie sonst das Zeugen Mode war, erklären wir für eitle Possen. Es muss der Mensch mit seinen Gaben höheren Ursprung haben.“ Also unappetitlich da, die niederen Regionen, die sich da überhaupt aufzeigen.
Goethe, in seiner typischen Art, der zieht das auch in so eine Mittelwelt, in so eine geistig aber nicht ganz klar negativ konnotierte Welt. Ganz anders gibt’s natürlich andere Vorstellung davon, und da kann man kurz vielleicht auch auf Hoffmann eingehen?

GWK: … können wir auf Hoffmann eingehen, können wir machen oder nicht machen. Jetzt noch zu Paracelsus Ursprung.

JK: Ja, Paracelsus hat ja eigene Anleitung gegeben, wie man den Homunculus baut. Nun muss ich sagen, da habe ich immer ein bisschen gewisse Probleme, weil ich bin ein großer Verehrer von Paracelsus, ja, und wenn ich dann so höre, was er auch noch so geschrieben hat, dann neige ich dazu, das ist vielleicht nicht richtig, aber ich tu es trotzdem, da muss ich nicht so genau hingucken. Das ist eine idealistische Vorstellung. Ich schätze einen bestimmten Denker und so weiter oder auch einen Menschen überhaupt, und da erfahre ich Dinge, die er sonst noch so getrieben hat. Die finde ich nicht so schön, aber das spielt dann für mich keine Rolle, weil es …, das andere ist wichtiger. Insofern bin ich auch gar nicht so informiert, wie das, wie das der Paracelsus sich vorgestellt hat. Im Detail ist das wohl ziemlich merkwürdig.

GWK: Ja, okay, dann werden wir das Thema an der Stelle lassen und ein bisschen eingehen mal auf jetzt eine weitere Ebene, weil, da kommt noch mal dieses … überhaupt die Beziehung, die man hat zu diesem künstlichen Geschöpf natürlich raus. Jetzt hast Du dir E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ vorgenommen. Was ja auch besonders eindrucksvoll ist, sind die gesamten Dialoge der Kreatur mit Frankenstein, seinem Schöpfer, be Mary Shelly, hocheindrucksvoll in wundervollem Englisch. Übrigens, wer es aber im Original lesen mag, das ist ein Hochgenuss, das ist auf Shakespeare-Niveau, wie die beiden miteinander sprechen und diese Kreatur sich auch fragt, was das jetzt sollte, dass sie in die, auf diese Art und Weise in die Welt gebracht wird. Also auch diese ganze Fragen, die sich ja vielleicht auch das eine oder andere Kind dann stellt, wenn es dann mal irgendwann rausfindet, wie es überhaupt in die Welt kam jetzt durch verschiedenste Einwirkungen technisch-biologischer Natur. Also das, also das ist erstmal eine grundsätzliche Geschichte, die Perspektive auch des anderen: Was will eigentlich dieses Geschöpf dann, in dem Fall, im Falle des Homunculus bei Goethe, selber eigentlich auf eine natürliche Art und Weise einmal doch mal in die Welt kommen noch mal …

JK: Richtig, das möchte er eigentlich, das Kerlchen.

GWK: Genau, jetzt noch mal eine andere Form von Beziehung, mal von der anderen Seite aufrollen. Das ist sehr interessant von der Kreaturseite aus gegenüber dem Prometheus, mal von der anderen Seite aus, und was ist das eigentlich für eine Beziehung, die der Mensch hat zu sowas Künstlichem? Und da hattest Du, hatten wir uns überlegt, ein bisschen über den „Sandmann“ zu sprechen, wo nämlich genau eine solche Beziehung aufkommt zu der Puppe Olimpia …

JK: Richtig, man könnte … ich habe kürzlich … also schon als junger Mann, als 16-Jähriger, habe ich das in der Oper [gesehen], ist ja [eine] Oper von Jacques Offenbach. Manche sagen, ist ja eine Operette. Ja, es ist in gewisser Weise ein Operette, aber ist auch eine wirkliche Oper. „Les contes d’Hoffmann” , „Hoffmanns Erzählungen“, 1861 glaube ich, 1881 glaube ich, komponiert nach Hoffmann. Also andere Sachen von Hoffmann tauchen da auch auf. Und da taucht ja auch die Olimpia auf, Olimpia, also mit i, nicht Olympia, also Olimpia, eine Puppe. Das ist nun ein … auf der Bühne wird es immer eigenartig dargestellt, aber ich habe gestern nochmal, ich kenne die Erzählung eigentlich gut, der Sandmann, noch mal diese ganze Erzählung, das sind 40 Seiten, noch mal richtig durchgelesen. Ich sag ganz kurz noch mal, worum es geht. Es geht hier um einen gewissen Nathanael, einen jungen Mann, der ein bisschen überspannt, ist, sagen wir mal, der liest so okkultische Schriften, mystische Schriften, und seine Freundin Klara mag das nicht, weil dann verändert er sich so, er wird dann eigenartig. Das möchte sie nicht. Ach lass das, da, diese Sachen, ja? Also sie möchte das nicht, und er hat einen Bruder, der auch eigentlich dagegen ist und die streiten sich dann häufig, und es gibt da Unfriede. Und Klara ist unglücklich darüber, und … aber das ist alles noch irgendwie im Geistigen.
Aber dann plötzlich gibt es eine Szene, es kommt dieser kleine, dieser Nathanael, als Kind hat mitbekommen … ihm wird immer gedroht, sein Vater droht immer mit ihm abends: Du musst jetzt ins Bett, sonst kommt der Sandmann und macht mit dir furchtbare Dinge. Der hat’s auf deine Augen abgesehen, und der Kleine ist vollkommen entsetzt. Um Gotteswillen, was macht der mit mir und so. Und einmal … da kommt immer jemand. Irgendwie. Alchemistische Experimente macht er mit ihm, und das darf der Kleine nicht wissen. Und der Kleine schleicht sich aber einmal rein und sieht diesen Kerl da, diesen Coppelius, ja, der als Advokat beschrieben wird, und die machen irgendwas. Das weiß aber der Kleine nicht genau, was da geschieht. So. Nun kommt er … in seiner Wohnung passiert Folgendes: Es klingelt, und es kommt ein Typ nach oben, der sieht genauso aus wie dieser Coppelius, ist aber ein ein Italiener, Copolla, – Doppelgänger-Motiv – irgendwie, der Kleine ist geschockt, also Nathanael, junger Mann, ist geschockt. Der sieht, das ist doch der, den der Vater immer … der doch bei dem Vater war. Das ist doch der Gleiche. Nein, es ist ein völlig Anderer. Copolla sagt, er hätte … er verkauft Brillen. „Schöne Oken, schöne Oken“, „schöne Oken?“, und dann zeigt er ihm die Brillen, und er soll mal reingucken in die Brillen.
Nathanael will keine Brille. Und dann sagt der Copolla: Ich habe noch was Anderes, ich habe ein Perspektiv, ein kleines Fernrohr, da könnte man doch mal durchgucken. Das ist interessant. Das könnte er doch kaufen, drei Dukaten, ist nicht teuer. Da kauft er dieses kleine Perspektiv.
Und dann passiert ein Unglück im Nachbarhaus, dass da irgendwie ein Brand ausbricht … und so weiter. Ist ein bisschen kompliziert, und er guckt, er hat ja schon vorher mal festgestellt, da sitzt doch immer abends eine junge Frau ganz reglos am Tisch. Die sieht schön aus, aber sie macht gar nichts, sie ist verdammt starr. Und dann sagt er: Er könnte doch mal dieses Perspektiv auf diese … auf dieses Wesen richten. Plötzlich wird die ganz lebendig. Plötzlich lebt die, sieht wunderschön aus. Er fällt in Liebe, obwohl er eigentlich seine Geliebte hat, ja, seine Verlobte, er ist … fällt in Liebe und verliebt sich total und ist sozusagen hin und weg … So.
Dann verschwindet die wieder. Und dann hört er, dass da ein Ball gegeben wird. Das kommt ja auch bei „Hoffmanns Erzählungen“ vor, wo der … ein gewisser Spalanzani, ein Italiener, mit seinem Compagnon Copolla … dass die die Tochter des Spalanzani vorführen. Das ist die Puppe. Er führt seine Puppe als Tochter vor. Da ist so eine Tanzfestivität, und alle sind gespannt, und natürlich auch Nathanael. Er ist auch dabei. Der sitzt natürlich da mit seinem Perspektiv und bewundert dieses Wesen, was auch tanzen kann. Was ganz eigenartig sich bewegt. Bei „Hoffmanns Erzählungen“, in der Oper, ist es dann so, so eckig bewegt sich dann die Sängerin, die muss dann auch sehr eckig singen, weil die singt dann auch. Und sie macht noch Konversation wie so ein Wesen der KI. Die macht Konversation.

GWK: Wieso Roboter, wenn wir sagen Android?

JK: Ja, sie macht Konversation, sie kann ganz einfache Sätze sagen, aber bei bestimmten Sachen sagt sie immer: „Ach“. Dann sagt er: „Wunderbares Wesen“. „Ach“, sagt sie dann nur, und das entzückt den Mann, typisch Mann, in seiner Dämlichkeit, „ach“ findet er toll, ja. So. Und dann merkt er, dass aber in dieser Gesellschaft, um das noch kurz zu sagen, schon gespottet wird. Es kommt ein Getuschel, weil viele merken, dass es ein Roboter ist, aber er nicht. Das heißt, er hat das Perspektiv und sieht darin ein .. ein tatsächliches Wesen, dass er unbedingt gewinnen muss. Klara ist völlig vergessen. So. Jetzt geht … kommt der Punkt, dass also plötzlich dann, ein paar Tage später, also kurzum, alle … man lacht über ihn, verspottet ihn, aber es interessiert ihn gar nicht. Sie haben ja alle keine Ahnung, aber er weiß genau, das ist eine schöne Frau. Paar Tage später gibt es in dem Haus, wo er das beobachtet, eine Szene. Spalanzani und Copolla geraten in Streit miteinander, und er beobachtet den Streit. Dann sieht er zu seinem Entsetzen, dass es um die Puppe geht. Und einer zieht an den Beinen, der andere am Kopf. Das heißt, einer will dem Anderen die Puppe wegnehmen, weil sie meinen … sie beschuldigen sich oder bezichtigen sich gegenseitig, dem Anderen das zu stehlen. Also sie zusammen haben das gefertigt. So.
Und das sieht Nathanael. Er ist vollkommen geschockt. Jetzt begreift er, dass er eine Puppe sozusagen geliebt hat, eine Puppe, die plötzlich auseinandergenommen wird, auseinandergerissen wird. Und er ist vollkommen erledigt. Vollkommen erledigt, und danach dann aber fängt er sich wieder. Klara ist rührend zu ihm, und sie sagt: Na, Du musst doch immer diese Schriften, die Du dir immer anguckst … das ist doch furchtbar und so weiter.
Und dann gibt’s eine friedliche Situation. Also alle sind sie zufrieden, und man hat sich wieder auf dieser Ebene gefunden. Und dann gehen Sie spazieren, und so einVolksfest ist da zu sehen. Und dann gibt’s da so eine Anhöhe, von der von der aus man runterblicken kann. Und dann guckt der Natanael runter in die Menge und sieht plötzlich Copolla und wird wie wahnsinnig. Er fängt an, seine Braut zu beschimpfen, anzubrüllen, und ist nah dran, sie runterzustoßen von oben. Und der Copolla guckt nach oben und spottet zu seinen Umliegenden: Der kommt schon runter da, kommt der, kommt. Und dann stürzte er sich in den Tod.
So. Und das ist die Geschichte. Also eine tragische Geschichte von einer vollkom­men .. von einem Wahn …

GWK: Ja, aber auch interessant, dass also die Hinwendung auf diese … auf diesen Okkultismus rund um den Copolla mit einem plötzlich eintretenden auch intensiven Hass auf seine Klara plötzlich [einher]geht. Also, da ist sozusagen auch eine misogynes Element, was ja natürlich hier sehr deutlich, ja, was dabei rauskommt, weil die Frage natürlich auch überhaupt, die Überwindung der Natur: Ist da nicht immer … wer die Natur überwinden will,: Ist das nicht grundsätzlich nur vereinbar oder kommt das nicht immer im Kombinat mit Frauenfeindschaft?

JK: Ganz richtig. Es ist so, ganz richtig. Er hasst plötzlich Klara, weil sie ein menschliches Wesen ist. Er hasst natürlich auch … er weiß ja, er hat ja die Puppe gesehen, die zerrissen wurde. Das wusste er ja, er hat es ja gesehen, er wusste, dass er einem Wahn verfallen war. Aber als er den Copolla da unten sieht, plötzlich packt ihn das, so wie eine … dass er … er kann nichts dagegen tun. Er fängt an zu schreien und sie, sie ist entsetzt, dass ihr Natanael ihr Gewalt antut und fast da runterstürzt und …

GWK: Was wir mitbekommen: Hier gibt es einen Geist, mit dem er interagiert, der versteht … also der, sozusagen, der hat tatsächlich wie eine Art Nebel gegenüber dem Lebendigen. Interessanterweise ist Klara ja auch, jetzt mal symbolisch, also ich weiß nicht ob der E.T.A. Hoffmann das bewusst angespielt hat auf die Schrift über die Weltseele von Schelling, wo die Klara, da musste ich dran denken mit der Klara … Das heißt, etwas am Lebendigen wird nicht verstanden. Sonst, wenn ich es verstehen würde, müsste ich es ja nicht überwinden. Da müsste ich ja mir diesen Aufriss nicht geben, was die da machen. Und da wollte ich mit dir einfach mal eingehen auf dieses ganze Thema überhaupt, den Unterschied … oder das, was hier am Leben … anders gesagt, was das Lebendige ist, sondern was vom Lebendigen nicht verstanden wird und was das Lebendige ausmacht. Also sozusagen, dasjenige, was buchstäblich dort … ja, was der Wahn überschreibt wie bei bei E.T.A. Hoffmann im „Sandmann“ , diesen Teil.

JK: Genau. Man muss vielleicht sagen, wenn der Mensch heute vom Lebendigen spricht, dann meint er meistens eine sehr eingeschränkte Form. Das Lebendige, das hat ja sehr schön auch der Erwin Chargaff, über den wir ja auch mal, ne … den wir auch mal herangezogen haben für ein Video, gezeigt. Das [Lebendige] ist unvorstellbar komplex. Nun kann man einfach sagen: Was ist das Lebendige? Einfach, was nicht tot ist. Ganz einfach. Es gibt ja ganz viele Definitionen dessen, was eigentlich das Leben ausmacht.
Ich kann mich erinnern, dass ich mal einen Vortrag gehalten habe in Österreich. Da habe ich darüber gespottet, dass … über den Gedanken: das Leben ist einfach Stoffwechsel. Da war eine eine Biologin unter den Zuhörern, die hat sich dagegen empört: Das stimmt doch, ist doch richtig. Da habe ich gesagt: Wissen Sie, dass weiß ich … als ob ich das nicht auch wüsste, ja, aber [das] ist die simpelste Definition, einfach so wird sie heute auch gesehen von Biologen: einfach Stoffwechsel. So einfach. Wenn kein Stoffwechsel da ist, dann da ist es ist tot. Der Rest ist doch nicht wichtig, aber das Lebendige, was jeder normale lebendige Mensch doch ganz genau weiß, ist doch was vollkommen Anderes. Allein die, sagen wir mal, Menschen, die einander begegnen, die Du-Evidenz und die all diese ganzen Dinge, die … das Kreatürliche, das alles. Der Mensch ist etwas vollkommen Anderes, das sozusagen … man könnte diese Art von Lebendigkeit nie herstellen, auch wenn jetzt verschiedentlich behauptet wird, na ja, so weit wir noch nicht, aber so eine Puppe, die kann schon mal richtig lebendig werden, ja, uns vielleicht sogar auch bedrohen …

GWK: …ja sogenannte Killer-Roboter, oder dann übrigens auch, was es ja auch schon gibt, einen Sex-Roboter soll es auch schon geben, also ich meine, das wird buchstäblich … daran wird, an so was wird geforscht, ja?

JK: Ja, wir sind ja in einer Zeit heute in der das Lebendige eigentlich in totaler Bedrängnis sich befindet. Ich meine, wenn man davon ausgeht, dass der Planet auch lebendig ist. Selbst Kritiker der herrschenden Kosmologie würden das ja immer noch einräumen, okay, der Planet ist lebendig. Was bedeutet das, was bedeutet diese Lebendigkeit? Die wird ja überall eingeschränkt. Der Mensch wird ja allein … allein im heutigen normalen beruflichen Alltag wird ja der Mensch vollkommen reduziert auf irgendwelche absurden Einzelheiten. Es hat ja gar nichts zu tun mit der Ganzheitlichkeit des Menschen. Also der Mensch wird sowieso nur noch reduziert wahrgenommen und als ob da sozusagen gar nichts Wichtiges vorhanden ist. Und der Chargaff sagt ja sehr schön auch: Allein die Biologie ist nicht in der Lage zu definieren, was Leben ist. Das kann sie nicht. Und er hat mal dann in einem seiner Essays, hat er mal verschiedene Wörterbücher durchgeguckt, wie denn das überhaupt definiert wird. Es wird immer nur tautologisch argumentiert. Also es wird immer nur sozusagen nie substanziell hingestellt: Was ist eigentlich das Leben, was unterscheidet ein Leiche von einem lebendigen Organismus? Das weiß doch im Grunde jeder, ist doch was Elementares. Aber in der Biologie ist es … das zentrale Sujet der Biologie ist nicht definierbar. Und der Mensch weiß überhaupt nichts davon, er weiß eigentlich … es ist für mich immer wieder fantastisch: Auch der Mediziner, der jeden Knochen des Körpers, des toten Körpers auch benennen kann, weiß trotzdem nichts vom Lebendigen, weil das Lebendige entsteht ja erst, das Lebendige ist ja das immer Anwesende, das Grundsätzliche, das Nicht-Hintergehbare.

GWK: Nun behaupten ja also die Transhumanisten generell, und wenn man auch Texte liest zur biodigitalen Konvergenz, dass selbige, also die direkte Anwendung der technischen Verschmelzung mit dem … mit organischer Materie beweisen würde, dass der Vitalismus falsch ist. Es gibt keine Lebensenergie, es gibt nichts, was das … was das Leben auszeichnet gegenüber dem Technischen. Die Vorstellung, dass man, was ja mit dem Stoffwechsel geschieht, dass man die Vorgänge einer körperlichen Leiblichkeit in einzelne Funktionskreise unterteilen kann und selbige Funktionsweise dann nachstellt in einer technischen Simulation, ja, das ist ja letztendlich nichts Anderes, ist ja ein jedes künstliche Gelenk, jeder künstliche Organ-Kreislauf, der gebaut wird, dann wäre dieses Nachgebaute quasi gleich auf mit dem, was natürlich entstanden ist. Und da würde ich nochmal auf das eingehen, was Du in deiner „Erlösung der Natur“ geschrieben hast. Du hast ja hier relativ zu Anfang eine Liste gemacht von Punkten, was das Lebendige ist.

JK: Ja, habe ich den Versuch gemacht, ja.

GWK: Genau, und dass wir für einen Moment einfach mal anfangen zu unterscheiden, weil ja dieser Unterschied immer weiter verloren geht eben in dieser ja merkwürdigen Feindschaft gegenüber dem Vitalismus. Also das Lebendige wird an sich angegriffen durch diese auch transhumanistische Gedankenwelt, und was das Lebendige an sich ausmacht.

JK: Ganz kurz nochmal zum Vitalismus. Natürlich ist das diese berühmte Lebensenergie, Lebenskraft sagte man früher, wie man immer überhaupt, nur kurz eine Erinnerung daran, früher Energie und Kraft gar nicht getrennt hat, nicht, das war eigentlich das Gleiche. Und die Kraft ist immer eine Größe gewesen, forces, die die Kräfte … die ein Schwachpunkt in der herrschenden Physik waren. Bei Newton ist es ja anders, der hat ja doch die forces für göttliche Kräfte gehalten. Und also die .. die forces sind ja nicht sichtbar, die forces sind ja nicht sichtbar. Das sind Kräfte. Kräfte sieht man nicht, sie agieren im Raum, sind im Raum vorhanden. Also auf jeden Fall ist das die … und dann ist es verständlich, dass man angenommen hat, es gibt einen Lebenskraft. Gut, das haben viele gedacht. Hahnemann ist ein Beispiel, der Matador, kann man sagen, der Lebenskraft war. Seine ganze Homöopathie beruht eigentlich darauf, nicht. Das ist … auf der Lebenskraft oder Lebensenergie. Später wurde es einfach gestrichen. Das gibt’s nicht. Ja warum nicht? Weil es natürlich etwas impliziert, was man wissenschaftlich nicht genau fassen kann, nicht, man ist da in einem sozusagen, auch wenn man so will, spirituellen oder auch okkulten Raum und kommt da nicht weiter.
Also der Vitalismus war auch dann sehr verengt worden, das muss man doch auch dazu sagen, nicht, das war ja auch dann auch ein bisschen vereinseitigt und verengt. Aber man hat eigentlich, das Lebendige völlig gestrichen, weil man dachte, das brauche ich eigentlich gar nicht.

GWK: Man kann es zurückführen auf die physikalischen Grundkräfte. Im Prinzip spielt es ja auch … oder [man] hat auch unter anderem erwogen, dass eventuell Elektrizität selbige Kraft dann schon ist, nicht, also das ist ja dieses ganze Thema: Was macht den modernen Prometheus, wie sie es nennt, bei Frankenstein, das Wesen lebendig, aus den Leichenteilen zusammengesetzt. Es ist dann Elektrizität, da wird er mit der Elektrizität belebt.

JK: War im späten 18. Jahrhundert so ein bisschen modisch, das so zu denken. Das findet man auch bei einigen Sätzen von Beethoven, der gesagt hat: Ich bin elektrisch. Als Beispiel, ja, hat Bettina von Arnim überliefert, er hätte gesagt: Ich bin elektrisch. So, das ist so, das Elektrische als, sozusagen, als Stimulator des Ganzen …

GWK: … genau, letztendlich: also der erste Punkt in der Kritik oder der Ablehnung des Vitalismus ist: Es gibt keine vitalen Kräfte, sondern eigentlich nur tote physikalische Kräfte, und die sind einmal mit organischer Materie zusammengesetzt.

JK: Physik plus Chemie plus …

GWK: Genau, genau, und einmal einfach rein mit anorganischen Kräften zusammengesetzt und deswegen: Warum sollte ich nicht den eigenen Funktionskreislauf mit dem anderen quasi mischen können, also den organischen Funktionskreislauf und die organische Maschine mit der anorganischen Maschine, nicht? Also wenn ich … es fängt ja immer damit an, dass ich erst einmal überhaupt das, was ich sehe, bereits als Maschine definiere. Weil das ist ja das, was Du auch angedeutet hast mit dem L’homme machine. Auch Descartes mit der Kunstmaschine sah das so, sagte, das alles … alle Wesen sind letztendlich Kunstmaschinen, nicht, ein mechanistischer Gedanke. Also ich definiere alles als Maschine, und dann kann ich natürlich aus meiner Definition auch nicht mehr raus, denn die habe ich jetzt schon mal gesetzt.
Jetzt gibt es aber dennoch Dinge oder auch Zugänge, wenn ich jetzt einfach mich nicht nur auf diese Funktionskreisläufe beschränke und dort fixiere, was Du ja auch immer wieder groß kritisierst, auch was geschehen ist seit Galilei, was eine eigene Form von Blindheit erzeugt, wenn ich alles wegreduziere: Farbe, Gestalt, Figur und alle subjektiven Elemente, und ich z.B. dich jetzt nur auf Verhaltensweisen abklopfe, sehe ich ja den ganzen Menschen nicht.

JK: Jochen Kirchhoff siehst Du dann nicht, das ist klar …

GWK: Das ist auf jeden Fall eine unmittelbare … , also da merkt man, also wenn man das auf einen Menschen als Ganzen anwendet, merkt man, wie unmittelbar geisteskrank [es] ist, dass ich einen Menschen nicht einfach auf chemische Vorgänge reduzieren kann. Dann lerne ich nichts von ihm und lerne den auch nicht kennen. Also das ist einfach absurd. Dass das alles, was den Anderen ausmacht, ist weg, und ich blicke darauf nicht, sondern ich blicke auf auf einen … ich blicke auf was Anderes. Das ist jetzt tatsächlich eine Blickverschiebung, durch die etwas nicht wirklich aus der Existenz verschwindet, aber einfach nur aus dem Blick verschwindet. Und dieses, was da aus dem Blick verschwunden ist, das würde ich gerne mit dir noch in den Blick nehmen, bewusst, mit dem Lebendigen, denn Du hast ja natürlich einen ganz anderen Kraftbegriff in deiner Philosophie.
Also der Kraftbegriff leitet sich sowieso von einem strukturell lebendigen Ätherfeld ab, insofern gibt es diesen schroffen Gegensatz zwischen physikalischen Kräften und Lebenskräften gar nicht, denn …

JK: In gewisser Weise ist es so.

GWK: Genau, weil die Kraft an sich hat eine, ist eine, hat eine ganz andere Grundenergie, könnte man sagen. Das heißt einfach eine Grundqualität, allerdings würde ich trotzdem nochmal sagen: Was ist es genau, was dieses Maschinendenken, dieses Cyborgdenken, dieser ganze Hinblick auf den Menschen und dieses Nicht-definieren-können des Lebendigen oder diese Art der Definitionsversuche des Lebendigen nicht sehen und strukturell nicht in ihren Theorien fassen können und dazu noch mal eingehen auf die „Erlösung der Natur“.

JK: Na ja, das ist richtig. Es gibt im lebendigen Wesen, in jedem lebendigen Wesen immer einen Faktor, der nie erklärt werden kann. Also das hat viele Gründe, das habe ich ja in diesem, was Du da anführst, auch in diesem Buch ja gebracht. Ich habe ja den Versuch gemacht, das kann man ja auch kritisieren, aber ich finde es ganz legitim, in 26 Thesen von dem Menschen aus gesehen, von dem Ich-Wesen Mensch in seiner Komplexität aus, aus seiner eigenen Erfahrung heraus, zu definieren, was das Lebendige ist. Also sozusagen, wenn ich gucke … Beispiel: In der Mathematik ist die Bewegung einfach einen Punkt von A nach B verlagern, oder in der Physik kommt ein Punkt von A nach B. Da passiert eigentlich in dem Sinne gar nichts. Wenn aber ein Mensch durch einen bestimmten Raum schreitet von A nach B, und seien es nur wenige Meter oder 100 Meter, dann ist es ständig anders. Jeder Schritt hat eine andere Perspektive auf die Umwelt. Er hat Emotionen, er denkt an Dinge, er ist glücklich oder unglücklich, er fühlt sich leer … ganz anders. Das heißt, es ist was völlig Anderes. Das heißt, die Bewegung der Physik ist tot, die Mathematik ist auch tot in dieser Form, und der Mensch ist es aber nicht.
Und das ist dann … dadurch … hat es gewisse Unschärfen auch da drin, bestimmte Unschärfen, und von denen aus kann man aber auch verstehen. Ich habe es jedenfalls versucht in diesem einleitenden Kapitel, und ein Homöopath, der das auch gelesen hat, der sagt: Das ist besonders gut, gerade dieser Teil, weil ich phänomenologisch argumentiert habe, ganz klar phänomenologisch. Wie empfindet sich ein lebendiges Wesen? Da ist ja alles verschieden, vorne und hinten ist was ganz Anderes. Der Mensch fühlt hinten was völlig anders als vorne. Der Mensch fühlt den Raum vorne anders als den Raum hinten. Rechts und links fühlt er vollkommen anders, oben und unten, und so weiter. Das heißt, der ist in einer kolossalen Komplexität, die man niemals auch sozusagen restlos fixieren kann. Das ist das Lebendige … ist letztendlich, das schreibt auch Chargaff, ein absolutes Mysterium. Das hat noch nie ein Mensch in der Tiefe wirklich erschlossen. Und, noch kurz zu sagen: die Behauptung, dass Lebendiges aus Totem entstanden ist, ist eine pure Fiktion. Noch niemals ist aus Totem Lebendiges entstanden, hat es noch nie gegeben, hat noch nie einer gesehen, ist eine pure Behauptung. Leben entsteht aus Leben. Man kann Leben zerstören, das kann, das wird ja auch … geschieht ja auch. Aber Leben aus Totem ist noch nie gesehen worden, dass es jemals entstanden wäre, das ist pure Behauptung, ist nichts weiter als eine Ideologie, eine schlechte Ideologie.

GWK: Also Du schreibst hier zum Beispiel: „Das Eigenlebendige der menschlichen Selbstwahrnehmung und Weltwahrnehmung wurzelt im Selbstsein. Hinter allem und in allem, was wir erfahren und erleben können, spüren wir einen Kern, ein substanzielles Zentrum, das wir in der Tiefe sind. Wir sind dieser Kern, dieses Zentrum, dieses Innerste und Tiefste, in dem wir zugleich unsere letztwirkliche Identität, unseren Seinsort wissen, der nicht geräumt werden kann, ohne uns zu zerstören, strahlt durch alles hindurch. Eine seiner wirkmächtigsten Emanationen ist die Ichheit, das Ich-Bewusstsein, wobei das wachbewusste Ich nur einen, wahrscheinlich sehr schmalen Ausschnitt repräsentiert.
Zweitens. Dieses nicht reduzierbare Selbstsein, Strahlungszentrum und Primärquelle unseres In-der-Welt-Seins fühlen wir nicht als formlosen Nebel oder Lichtfleck oder unbestimmbare Substanz, sondern als Gestalt. Dieses Selbstsein als Gestaltsein geht in keiner Weise auf im Leib, in dem leiblichen Innen, dass wir in der Gegend unseres Körpers spüren, siehe das oben gebrachte Zitat von Hermann Schmitz, schon gar nicht in diesem Körper selbst, der sich als Objekt für andere und in gewisser Weise auch für den Einzelnen, der darin steckt, in der Außenwelt befindet.
Und drittens. Das Eigenlebendige als gestalthaftes Selbstsein ist unteilbar. Es ist eine Einheit und nicht reduzierbare Ganzheit.“
Also das sind mal drei Aspekte, die den ersten fundamentalen Charakter, sag ich mal, der menschlichen Eigenlebendigkeit ausmachen. Unteilbarkeit, Gestalthaftigkeit und Ichheit.

JK: Man würde natürlich … viele Rationalisten sagen: Na ja, Herr Kirchhoff, das ist nicht legitim, was sie machen. Sie gehen ja von der Lebendigkeit des Menschen aus und machen nur einen Analogieschluss. Das darf man nicht, das geht nicht.

GWK: Aber sie gehen … sie machen einen Analogieschluss von der Maschine oder vom Computer auf etwas anderes. Ist das dann legitim? Das ist ja sogar ein viel illegitimerer Analogieschluss.

JK: Ich meine, wir sind ja uns darüber einig, dass man ohne Analogien überhaupt nicht denken kann. Analogien muss man … man muss in Analogien denken. „Der Mensch ist eine Analogienquelle für das Weltall“, nochmal Novalis. Ja, da gibt’s ja noch … das gibt im Ganzen, glaube ich, 26 Punkte, und das ist der Versuch, von der menschlichen Innen-Erfahrung phänomenologisch einfach weiterzugehen. Das muss man auch, weil der Mensch letztendlich auch in der Erkenntnis, in seinem Streben nach Erkenntnis und so weiter ja doch von sich selber ausgehen muss, und der Andere … wenn das nicht so wäre, dann wäre man ja nur für einen Anderen immer ein Objekt oder umgekehrt, die anderen wären für einen selber nur Objekte.
Das ist ja nun .. geschieht ja häufig. Wer irgendwie politisch irgendwas radikal festgelegt, das wird eben so gemacht, dann sind ja die Einzelnen nicht als Menschen gefragt, die vielleicht Einwände hätten oder die vielleicht darunter leiden. Das spielt jagar keine Rolle, das macht man einfach ganz von oben herab, abstrakt, autoritär bis hin zu faschistisch, von oben herab.
Aber das Wesen des Lebendigen gehört doch … gehört doch dazu, dass man den Anderen als man selbst in gewisser Weise begreift: Man begreift, hier sind zwei Wesen, die einander berühren, die einander spüren auch. Und der Andere ist doch nicht nur das Objekt. Ich kann zwar sehen, so sehen die Füße aus, so sehen die Hände aus, oder gefällt mir der, oder nicht. Alles das kann man machen. Aber der Andere ist doch nicht das Objekt nur, und letztlich ist die Objekthaftigkeit der Dinge, die behauptet wird in der herrschenden Physik, für meine Begriffe einfach ein Wahn. Wir leben in keiner Es-welt, das wäre dann ES, wir leben in keiner Es-Welt, sondern wir leben einer lebendigen Welt, weil wir selber auch lebendig sind. Wir würden in der ES-Welt gar nicht entstanden sein. Sonst würden wir ja, sagen wir mal, auch aus dem Nichts herausgewirbelt sein, aus dem Nicht-sein gewirbelt sein in ein belebtes Nichts, was man ja dann wäre, notwendig. Und was hat es damit auf sich? Daher ja auch, und das muss man … vielleicht werden wir nachher noch drauf eingehen, im Transhumanismus der irrwitzige Gedanke: Man kann auch das Leiden, ja den Tod überwinden. Das ist einfach … das ist ja nicht richtig, dass das hier … hier wird gestorben, das geht nicht.
Ja wenn ich alleine, wenn ich irgendwie alleine sowas höre, denke ich mir, stelle ich mir so vor: um Gottes Willen, was diese, diese Wesen, die so reden und dann auch noch … die verschwinden gar nicht mehr, die sind immer da, und ist ja ein purer Albtraum, den übrigens sehr schön der von mir sehr geschätzte Jonathan Swift in seinen „Gullivers Reisen“ gebracht hat, wenn Menschen nicht sterben können. Wenn es immer … wenn die immer da sind …

GWK: Das nervt …

JK: Das nervt total. Also da zeigt er [Swift] dann, wie die dann vollkommen hässlich sind, und sie sind aber dann da. Ich bin hier, ja. Und das muss man also … die Verheißung der Tod-Überwindung. Ich bin ja nun älterer Herr und habe im Laufe meiner …. vieler Dinge, die ich gelesen habe, taucht immer mal wieder in der Medizin, auch in der Presse, immer wieder der Gedanke auf: Eigentlich müsste man ja 4, 5 hundert Jahre leben oder so oder überhaupt gar nicht mehr sterben. Und die Menschen sind so vordergründig, dass sie sich überhaupt gar nicht sozusagen vorstellen können … das ist so ein absurdes und vordergründiges Wahn-Gebilde, dass man eigentlich das gar nicht ernsthaft betrachten kann.
Aber das ist eine wesentliche Verheißung. Viele … O Gott, ja, ich lasse mich einfrieren, und dann, was weiß ich alles, dann bin ich ewig an Deck. Um Gottes willen, was macht er da ewig an Deck? Nur Unfug macht er…

GWK: Genau, die Sache ist die, quasi der Ursprung des Leidens oder das was Leiden und Schmerz [sind], was jetzt zum Menschen dazugehört oder zum Leben und zum Fühlen dazugehört, dass da Verlusterfahrungen sind und so weiter … der Grundgedanke bei den Transhumanisten ist derjenige, dass all das keine Bedeutung hat in sich sondern einfach ein reiner Negativfaktor sei und das gleiche eben auch zu den ganzen extra und sonstigen Gefühlen, die mich zum Beispiel vielleicht abbringen würden von meinen Vorhaben. Die Vorstellung, dass der Mensch, das ist auch wie Du weiter das beschreibst, in den Raum, in den seelisch gefühlten Raum eingehängt ist, aus dem er auch Kommunikation empfängt. Das bedeutet, ich schalte alle Kommunikation stumm, ich empfange gar nichts mehr außer die Signale von einer Verstandesfixierung, und damit gehen enorme … eine ganz große Bandbreite der menschlichen Kontaktfähigkeit nicht nur verloren, aber es gehen einfach irrsinnig viele Informationen verloren. Das wäre ein bisschen so, als würde man sagen: Das Problem mit der Welt ist, dass es mehr Kanäle gibt als RTL, und jetzt sozusagen machen wir RTL auf allen Kanälen. Das sozusagen, wir bauen den Menschen um, bauen alle Geräte um, dass nur noch RTL empfangen wird. Und dann würde man auch nach einer Weile vielleicht auch merken: OK, all das Andere ist auch noch da, aber hatte vielleicht einen Sinn. Da kamen ganz viele Informationen durch, die auch noch andere Impulse und andere Gestaltungen eigentlich mit sich bringen. Und das wird … diese Art, woher die Gestalten kommen, ihre Gestaltetheit, woher das alles kommt, ihre Form kommt, dass es vielleicht aus dem Raum kommen könnte, das es vielleicht also … all diese, all diese Ebenen werden gar nicht beachtet und eben ausgeblendet in dieser maschinellen Reduktion auf Funktionskreise. Der Funktionskreis kann nicht abbilden, woher die Form kommt …

JK: Richtig, ganz genau …

GWK: … kann nicht abbilden, woher die Gedanken kommen, und da kann er auch nicht abbilden, welche Bezüge meine Atmosphären und Gefühle in den Raum hinein haben. Und insofern reduziert der etwas oder missversteht etwas als Aussage oder sinnlos oder ihm nicht dienlich, weil es eben nicht in seinen Funktionskreis passt, sagen wir mal in seinen industriellen Fertigungskreis z.B., weil jetzt der andere ausschlafen will oder nicht wirklich arbeiten will und all diese Dinge nicht machen will, aber die trotzdem eine ganz großen Sinn haben für das Lebendige als Ganzes.

JK: Ganz richtig, da wird … all das wird eliminiert, das wird weggeschnitten, das ist sozusagen …. das braucht man nicht.

GWK: Genau, da ist erst mal die Gefühlsganzheit, die man meint, nicht zu brauchen, die aber sehr viel trägt, eventuell auch die ganze Form trägt. Und das zweite, was man nicht meint zu brauchen, ist tatsächlich die Leiderfahrung. Dass man nicht kriegt, was man will, zum Beispiel meint man nicht zu brauchen. Obwohl man sagen kann: Es ist nicht gut, wenn bestimmte Wünsche sich nicht erfüllen, ja, könnte man auch sagen, der eine oder andere Wunsch ist vielleicht auch ganz gut, wenn der mal sich nicht … also würdest Du bei näherem Bedenken dich vielleicht dann doch auch noch mal anders entscheiden, ja.

JK: Oft genug …

GWK: Und dass der Tod nicht sein muss, weil vielleicht werden wir jetzt … in der alten vedischen Kosmologie, der buddhistischen vielleicht, Du mal die Identifikation mit dieser einen Gestalt auch irgendwann auflösen möchtest, ja, dass also das sozusagen auch einen Sinn hat, dass ein Tod mit reinkommt, der diese spezielle leibliche Organisation auch wieder auflöst hin zu einer, zu einer ganz anderen Form der Überschreitung.
All diese Dinge finden da nicht statt. Es wird einfach gesagt, was in meinen Funktionskreis nicht passt, ist ein Fehler, ein Makel, ein Hindernis ein Wegzumachendes.

JK: Ja, vollkommen richtig. Es ist auch noch ein anderer Punkt, den dieser Thomas Fuchs hier in seinem Buch „Verteidigung des Menschen“ bei Suhrkamp, was mir empfohlen wurde von einem Journalisten, das ich nicht kannte – da habe ich mal ein bisschen drin geschmökert. Der bringt zum Beispiel auch das Argument: Der Mensch stellt sich vor, dass er seinen Tod überschreitet, technisch, auf dem Chip. Sie übertragen jetzt – ernsthaft – zum Chip wird. Das ist sozusagen … er macht sich nicht klar, dass damit auch der Rest verschwindet von dem, was das Menschliche ist. Also sozusagen, er denkt irgendwie zu kurz.

GWK: Er versteht nicht, dass er mit dem ganzen Leib, in dem er ist, überhaupt der Wahrnehmende ist, und derjenige, der er ist, weil das die Gesamtgestalt ja wahrnimmt …

JK: Richtig.

GWK: Was übrigens jeder, übrigens jeder weiß, der sich mal mit Körperarbeit beschäftigt hat, was es ausmacht, wenn in bestimmte Gewebe jemand sich mal reinmassiert und so weiter, kommen Tränen, kommen Gefühle hoch.

JK: Ganz richtig.

GWK: Das heißt, die Gesamtleiblichkeit der ganzen menschlichen Erfahrung, die ist sozusagen gar nicht zu haben. Umgekehrt, wer die Erfahrung mal haben möchte übrigens, leiblos zu sein, dem empfehle ich, mal Lachgas auszuprobieren, und dann hat man in etwa eine Vorstellung davon, was es bedeutet, ohne Leib ein Chip zu sein. Für einen Moment setzt komplett die Leibempfindung aus, und dann schwebt der Geist einfach so im Raum. Es ist ganz, ganz irritierend.

JK: Also okay, ich nehme das mal einfach jetzt so hin. Ja, auf jeden Fall hast Du vollkommen Recht, und wenn man alle diese Fakultäten der Menschen und das ganze ungeheure Geflecht des Leiblichen, was uns ja auch ausmacht, nicht, wenn das alles wegfällt, dann sind wir Geistwesen. Aber was ist denn dieser Geist? Ist doch letztlich ein vollkommen … was soll dieser Geist denn sein? Das ist eine Perversion eigentlich des spirituellen Gedankens einer eventuell körperlosen Existenz. Also wenn ich zum Beispiel vom Kosmischen Anthropos spreche, dann ist diese Vorstellung eines Cyborg eigentlich eine absolute Pervertierung dieses Gedankens. Aber ist immer noch eine … letztlich ein gnostischer Grund-Impuls, ein pervertierter gnostischer Grundimpuls dahinter, und das können viele nicht auseinanderhalten. Und es ist im Grunde … der Irrsinn, der da drin steckt, der wird nicht gesehen. Und es ist natürlich auch … es fügt sich ein in die gesamte Grundunlebendigkeit. Die Menschen sind lebendig, aber sie agieren eigentlich unlebendig, das heißt, sage ich mal so formelhaft: Überall regiert letztlich das Tote. Das Tote, das bringt das Lebendige in Bedrängnis. Überall ist das so, und das ist … wir sind ständig in … deswegen ist ja auch die Frage, was macht man dann, wenn man so bedrängt wird vom Toten und das wird man. Die Maschinenwelt ist ja auch in dieser übersteigerten Form eine absolute Bedrohung auch des Lebendigen, nicht. Also das ist ja auch nicht zu leugnen, und der hier, der Thomas Fuchs, den ich erwähnt habe, „Verteidigung des Menschen“, der macht das auch deutlich, dass der Mensch, der sich so etwas vorstellt, dass er eventuell Unsterblichkeit über einen Chip oder wie auch immer gewinnt, der macht sich nicht klar, dass er dann weg ist. Dann ist er ja gar nicht mehr der, denn die Identität geht dann auch verloren.
Genauso, wenn man diese fantastischen Vorstellungen, dass Du, wenn Du in der KI, in der künstlichen Intelligenz, ein bisschen normale irdische Intelligenz wäre auch nicht schlecht, aber jedenfalls die KI-Intelligenz … ja, was ist, was man … dass Du die anzapfen kannst – Du bist dann sozusagen, wie sozusagen im Mausklick, aber Du hast ja keine Daumen mehr, weil dann, wenn Du dann da auf dem Chip bist, hast Du auch keine Daumen mehr. Was bist Du dann noch? Wo ist die Identität?

GWK: Genau, da kommen wir jetzt ja [dahin], was wir gesehen haben als Merkmal des Lebendigen des Menschen, Gestalthaftigkeit, Ichheit …

JK: Die Gestalt, ja …

GWK: … und Unteilbarkeit. Diese Ichheit, in diese Vorstellung, man könnte sozusagen das Göttliche Selbst, ja also das Selbst oder die Ichheit des Menschen in seiner tiefsten Substanz ist etwas Göttliches, es ist etwas Transzendentes. Und diese Transzendenz, die hinter und in dem Ich wirkt und durch das Ich hindurch wirkt, die könne man … die könne man auf dem Chip lagern. Es ist also der Gedanke. Und das ist in sich unmöglich, das ist einfach vollkommen unmöglich, ja, deswegen ja auch übrigens mittlerweile auch mit Simulationen gearbeitet wird. Manche sagen ja auch, sie könnten ja auch das Gleiche machen, indem sie einfach quasi … die KI bildet dich nach als Persönlichkeit, und dann stellt er, fragt er, was ist das denn jetzt …

JK: Also das hat ja schon in … vor Jahrzehnten der berühmte Quantenphysiker Frank Tippler gezeigt. Das habe ich hier in meinem Buch „Was die Erde will“ auch gebracht. Der hat das ja alles schon vorweggenommen. Der, auch ein älterer Herr, ist so meine Generation, der lebt noch und ist noch ganz munter. Der hat das damals in die Welt gesetzt: „Physik der Unsterblichkeit“, war ein absoluter Bestseller über Monate hinweg, „Physics of Immortality“. Das heißt, die Physik beweist, dass Du unsterblich sein kannst, auch über die Simulation, ja, und das … der hat alles vorweggenommen eigentlich. Und nun könnte man sagen: Ist ja genial, ist ja fantastisch, dass der alles schon gewusst hat. Ja aber der war einer der Vordenker da in diesem Sinne. Aber tatsächlich – die Simulation, wie ja natürlich auch in der Physik ohne Simulation gar nichts mehr läuft, nicht.
Ein 14-Jähriger kann heute die Entwicklung von Galaxien am Computer berechen … ist [Ausdruck} vollkommener Geisteskrankheit, weil er weiß weder, was eine Galaxie ist, noch weiß er, wie diese Galaxien wirklich sind. Er weiß gar nichts, aber er kann … es wird vorgegeben … wenn Du ein paar Parameter hast, durch ein paar hübsche Parameter, die irgendwie stimmig sind, kannst Du den Rest erschließen. Und genauso da werden fantastische Evolutions-Szenarios einfach aus dem Hut gezaubert, nicht. Alles kannst Du … wie die Sonne sich entwickelt und wie die Erde sich weiterentwickelt, alles wird ja simuliert, und es haben ja auch diese, die Simulationen auch in der Corona-Krise ne [Rolle gespielt]. Ständig waren irgendwelche Modelle, die alle, Ferguson zum Beispiel vom Imperial College in England war ja einer der Matadore, der das Ganze ins Rollen gebracht hat. Alle … es war alles falsch, es stimmte nichts, also alles komplett falsch. Und trotzdem hat man mit diesen, mit diesen abstrakten Simulationen auch natürlich dann auch Politik gemacht. Das kann man machen. Da wird der Mensch natürlich sowieso so zum Objekt, weil was der Einzelne dagegen einwenden kann, ist vollkommen unwichtig, weil es muss … wird jetzt gemacht. Das müssen wir machen, ja, alternativlos. Und genauso ist ja auch dieses fantastische, irrwitzige Wort von der Alternativlosigkeit dann so immer im Raum gewesen, dass man auf gar keinen Fall da etwas sehen, da einwenden kann. Das ist auch religiös.
Wir leben sowieso, vielleicht banal, das ist ja eigentlich bekannt, im Grunde genommen in einer pseudoreligiösen Welt, in einer vollkommenen technoreligiösen Welt, weil alles irgendwie soll alternativlos sein. Das sind eigentlich religiöse Dogmen, die die Menschen einander um die Ohren hauen. Mit Empirie oder mit solider Wissenschaft oder mit klarem Denken hat das überhaupt gar nichts zu tun. Das ist nur noch … das ist einfach nur noch furchtbar.
Deswegen, es gibt gar keine Diskussionen mehr, haben wir anfänglich schon gesagt, ne. Die normale Diskussion, die gibt’s ja gar nicht.

GWK: Wie gesagt, das ist ein Überwältigungsvorgang auch. Das soll durchgesetzt werden gegen diesen Menschen.

JK: Richtig, ja …

GWK: … und gegen die Ichheit des Menschen auch selber. Das ist natürlich die Frage: Was steht hinter dem Transhumanismus? Wem dient das Ganze genau? Warum sagt der Elon Musk jetzt, die KI könnte die Menschheit beenden? Da hätte er total Angst vor, spezifiziert es aber nicht. Er sagt dann einfach nur so: Ja, da … also er deutet an, dass dann ein großes Manipulationspotenzial möglich werden könnte in Bezug auf zukünftige Wahlen …

JK: … nach dem Motto „Haltet den Dieb“ … Warren Buffet hat das ja auch kürzlich gesagt, der berühmte Milliardär Warren Buffet, hat doch gesagt: Na ja, das ist auch schon gefährlich. Das ist wie die Atombombe, das darf nicht sein. Aha, denkt man plötzlich, plötzlich werden der Alarmsignale auf Vorsicht und so [gestellt]. Also …

GWK: Oder Koketterie, kann man genauso …

JK: … vielleicht auch nur Koketterie, kann auch sein, nach dem Motto „Haltet den Dieb“, ja …

GWK: … also wer so große Zerstörungspotenziale in den Händen hält sich auch [, denkt]: Ich bin so mächtig, ich warne euch mal vor meiner Macht …

JK: Ja, natürlich, das spielt auch hinein …

GWK: Ich muss echt aufpassen mit meiner Macht …

JK: … ja, ja, ganz richtig, also man ist in einem … man muss da einfach wissen, man ist in einem Gelände, wo der klare Geist, auch die klare Vernunft, die klare normale Vernunft, der gesunde Menschenverstand, würde ich auch sagen, alles ausgeschaltet ist. Also man würde ja … auf bestimmte Dinge muss man ja gar nicht als tiefsinniger Philosoph, wenn man sich so empfindet auch, wie immer, kommt man mit ganz einfachen Grundüberlegungen: das ist, was gar nicht gehen kann. Also es gibt bestimmte Dinge, die kann der sogenannte gesunde Menschenverstand, kann die wirklich leisten. Man kann sehen, was nicht gehen kann, aber auch das wird ja ausgeklinkt. Und die Philosophie im Allgemeinen mit wenigen Ausnahmen hat ja auch völlig versagt an der Stelle, total versagt. Die hat ja nichts gebracht, nichts, da kam gar nichts und oder ganz wenig nur. Also die Intellektuellen überhaupt, wie ich ja gerne sage, haben eigentlich auf ganzer Front versagt mit wenigen Ausnahmen, was die da geboten haben, wie sie den Kotau gemacht haben vor all diesen Dingen, ist so was von peinlich. Das gibt es gar nicht. Also vertiefteres Denken ist ja vollkommen ausgeschaltet. Auch die bekannten Namen alle, die ich jetzt nicht erwähnen möchte, so viele bekannte Namen gibt es ja gar nicht, die haben auch alle total versagt. Also was sie da geliefert haben, ist einfach unter aller Kritik. Das ist überhaupt kein Denken. Also da wird nichts gedacht, da wird nichts hinterfragt, ernsthaft hinterfragt. Da werden vor allem die Prämissen gar nicht hinterfragt. Da wird alles nachgeplappert, und das ist ja so, dass viele Intellektuelle sowieso so eine Angst haben, das habe ich ja nun oft gesagt, erlaube ich mir nochmal zu sagen, so eine Angst haben, sich lächerlich zu machen, wenn sie dann es wagen, die herrschende Kosmologie oder das herrschende Denken überhaupt zu kritisieren, weil sie in die Ecke gedrängt werden und vielleicht als Schwätzer …

GWK: … Schwurbler …

JK: … oder als jemand, Schwurbler, ja, als ob sie sozusagen gar keine Ahnung hätten. Es wird ja immer gesagt: Der hat doch gar keine Ahnung, und wenn Du irgendwie kritisierst, das kann doch eigentlich, ist doch einfach ahnungslos. Kurzum, das ist ein trauriges Kapitel. Das gehört auch mit zu dem, was wir anfangs gesagt haben, dass … dass … es gibt keinen konturierten Geist oder wenige konturierte Geister überhaupt, die in der Lage sind, dann eine ernsthafte Kritik vorzubringen. Das ist alles merkwürdig, sage ich mal, also ganz … ja, also das ist …

GWK: Die Frage ist, von welcher, von welcher Basis aus sie diese Kritik … wenn tatsächlich die Basis ist, dass der Kosmos nicht belebt ist und eine große Himmelswüste sein soll und all diese Dinge und das Du-bist-nicht-gemeint-Universum darstellt, dann ist im Prinzip nicht unmittelbar einsichtig, was … ich kann aus so einer, aus seiner humanistischen Scheu heraus mich der vollen Machtentfaltung irgendwie entgegenstemmen. Aber gegründet ist die in … also der, sozusagen der reine Macht-Mensch könnte das einfach nur als Hemmung werten, ja, und dem sozusagen das so wegschmettern, denn es hat ja erstmal keine … es hat ja keine, keine reale Substanz sozusagen. Das ist einfach, ein Oh-bitte-nicht, ein Besser-nicht.

JK: Ganz richtig, ich würde auch sagen, …

GWK: I prefer not to …

JK: … richtig, wenn man also mich fragt: Na was, Du kritisierst das alles, kann man ja machen …

GWK: Und wenn die intellektuell dazu alles nichts sagen können, etwas, dass über das I-prefer-not-to und bestimmte Dingen hinausgeht. Ja, was sollen sie denn dann sagen? Denn letztendlich geht es ja darum, dass dieser … dass dieser Gedanke überhaupt, wie Welt und Kosmos wahrgenommen werden … dass da ja ein fundamentaler … es ist ja, es gibt ja eine Basis im Realen für die Kritik, die ist ja nicht nur eine Art …

JK: … Nein gar nicht …

GWK: … humanistischer Widerstand, sondern sie ist … also es gibt eine Basis im Realen. Und das ist dasjenige, was ein Philosoph oder ein Intellektueller auch herausarbeiten müsste und oft nicht kann.

JK: Richtig, es gibt natürlich eine Basis, selbstverständlich, das ist ja kein Fantasiegebilde, im Gegenteil – das, was da geliefert wurde, ist ein Fantasiegebilde. Also ich würde es ja ganz umdrehen und … was kann man machen? Also das ist ja auch die Frage: Wie kann man dagegen vorgehen? Noch ist das alles ja noch in den Kinderschuhen, zum Teil, aber es ist weiter, als wir denken. Es ist nicht nur in den Kinderschuhen. Denn, was da im Einzelnen passiert, was man auch gelesen hat oder was man lesen kann oder zur Kenntnis nehmen kann, ist grauenvoll genug.
Es ist also … ich würde sogar so sagen, ist ein fundamentaler, auf ganzer Front geführter Angriff gegen das Leben selbst. Es ist ein fundamentaler Angriff auf das Lebendige auf diesem Planeten und auf das Lebendige überhaupt. Und dagegen muss man mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, auch vorgehen. Und das kann man wahrscheinlich nur, indem man das … indem man sich für das Lebendige einsetzt. Aber das auch versteht, weil der, sozusagen, der Verteidiger des Lebendigen muss auch gute Waffen haben, um es zu verteidigen. So simpel ist es eben nicht, dass man es einfach aus den Angeln heben könnte. Manchmal ist der gesunde Menschenverstand ausreichend, aber bei der komplexeren Ding ist er es eben nicht, und die Menschen haben eine solche Angst, wie heute überhaupt ja die Leute, wissen wir ja alles, die Angst [haben] sich zu äußern. Es könnte ja falsch sein, oder ich könnte mich lächerlich machen, oder ein falscher Satz und Du bist den Job los und solche Sachen. Ist ja alles passiert. Also ist ja nicht witzig.
Insofern haben die Leute auch Angst und auch eben immer die Angst, dass sie plötzlich im Regen stehen, oder dass sie irgendwie grotesk wirken. Einer behauptet das Gegenteil, und dann bist Du einfach lächerlich. Dann …, wenn Du … da muss man schon sich gut wappnen, und da bin ich ja ganz gut bewaffnet seit mehr als einem halben Jahrhundert, und das mache ich auch weiter.
Aber da, von dieser Warte aus muss man immer wieder … also man muss, wenn man das kritisiert, muss man versuchen, wirklich starke Argumente zu finden, dass man denen nicht, dass man denen da nicht zuarbeitet, indem man schwache Punkte nennt, die dann alle widerlegbar sind. Natürlich sind Leute wie Harari oder Kuzweil und so, die sind überhaupt nicht ansprechbar. Die kannst Du nicht ansprechen. Die sind … wie es überhaupt viele da [gibt], die verweigern die Diskussion. Also da kannst Du gar nichts machen. Da würde sich keiner auf dem Podium mit Jochen Kirchhoff setzen, würden die nicht tun. Also das würden sie nicht tun, und das ist traurig eigentlich.

GWK: Allerdings wird deutlich, muss ich sagen, dass in dem, was Du oft sagst, dass … Du sprichst ja häufig in deinen kosmologischen Vorträgen von so einem kosmischen Faschismus, der fast angenommen wird mit den schwarzen Löchern. Was sich die Leute alles vorstellen. Und im Transhumanismus ist der Faschismus gleich unter der Decke. Das muss man einfach so klar benennen, dass wir hier nicht einfach nur das Lebendige verteidigen, weil wir das Lebendige verteidigen, sondern weil einem … also das faschistische Potenzial dieser Entwicklung stellt alles in den Schatten, was je existiert hat.

JK: Ja, ja ich sag das ja manchmal halb im Scherz, aber dann auch richtig, denn, wenn das wirklich so wäre, wie der Kosmos hier gesehen wird in der herrschenden Kosmologie, dann ist er nicht nur absurd … er ist auch … ein schwarzes Loch frisst das andere und so weiter und so weiter. Es ist purer … da ist der irdische Faschismus sozusagen Kleinkram dagegen, was da ständig geschehen soll. Alles absurd, nichts stimmt. Das habe ich alles versucht ganz klar zu widerlegen, zu entkräften, und von dort aus kann man es auch versuchen, weil das ist einfach nicht wahr. Es ist Lüge, es ist einfach schlicht Lüge. Es ist nicht wahr, und es ist auch nicht wirklich bewiesen.
Aber ich finde es wichtig, dass man, auch hier jetzt in unserem Video, man sich noch mal aufrafft und Worte findet, um da ein bisschen eine kleine Schneise nur zu schlagen. Das können wir ja nur in diesem Video jetzt hier, ne kleine Schneise zu schlagen, dass der eine oder andere vielleicht denkt: Na ja, lasst uns doch noch mal nachdenken, was da an Kritik vorgebracht wurde. Vielleicht ist es doch … kann man daraus was ziehen. Das will ich ja. Mehr als einen, das können wir auch nicht, mehr als einen Denkhorizont, wie ich das gerne nenne, aufbauen … kann man ja gar nicht in so einem Video. Das ist ja unmöglich. Du kannst einen Denkhorizont aufmachen, und da muss der Einzelne, der da zuschaut, für sich entscheiden: Ist für ihn das plausibel? Möchte er sich damit weiter beschäftigen oder schaltet er gleich ab? Also die Frage … das kann man einem dann ja nicht abnehmen. Ich kann ja nicht den zwingen, oder wir können ja keinen zwingen, eine bestimmte Denkrichtung einzuschlagen. Das ist ja sein guter freier Wille, kann es ja machen, er soll ja nicht autoritär [etwas] übergestülpt bekommen. Ich sage ja sogar manchmal ein bisschen, sagen wir mal vielleicht kokett: Ihr müsst auch nicht Jochen Kirchhoff folgen. Es ist auch gar nicht der Fall, das muss auch gar nicht sein, sondern selber denken, selber denken wär nicht schlecht . Hin und wieder mal wirklich selber denken. Ja?
Es gibt ein schönes Buch, gibt ein Buch, was den Titel hat, von Harald Welzer, okay, will ich jetzt nicht mich weiter groß äußern, das heißt „Selber denken“, ja. Und schon lange vor Corona und so weiter … also selber denken. Und das finde ich einfach wunderbar, wenn das gelingen würde, wenn man da an dieser Stelle einfach mal ganz einfache Fragen stellt, wie wir sie jetzt zum Teil auch hier gestellt haben. Und das kann man dann auch in die Öffentlichkeit bringen. Da muss keiner Angst haben, dass er sich lächerlich macht, wenn er sich wirklich damit beschäftigt. Da muss …, kann ich jeden ermuntern. Das …

GWK: … wäre ein kleiner Rückschlag des Lebendigen gegen die angemaßte Alternativlosigkeit der transhumanistischen Entwicklungsrichtung …

JK: … ja, außerdem ist ja auch das Ganze … die Lebendigkeit, darüber sind wir uns wohl einig, ist ja auch hoch interessant. Das ist ja auch eigentlich spannend, hoch interessant, nicht, und das Andere ist eigentlich langweilig, obwohl es auch wieder auf eine perverse Weise interessant ist, dass Menschen ernsthaft so denken. Ich bin immer wieder fassungslos, wie man so denken kann, weil diejenigen, die zum Beispiel auch ganz abstrakte Modelle aus dem Hut zaubern, sind ja letztlich auch leibliche Wesen, und das Basislager ihres eigen Leibes, das gehört immer mit dazu. Und das sind ja auch ganz normale Menschen, die gierig sind, die vielleicht durch Wald und Flur streifen und vielleicht auch mal gerne eine Platte auflegen oder auch vielleicht ihre Frau lieben oder eben nicht, wie auch immer. Auf jeden Fall, die sind ja auch lebendige Menschen. Das nenne ich ja oft genug die Schizophrenie. Das fällt völlig auseinander.
Gut, ich denke mal, wir haben doch schon ein bisschen was erschlossen und hoffen, dass wir, liebe Zuschauer, dass wir doch das eine oder andere hier angesprochen haben und Anregungen gegeben haben. Und die Frage, die Du kurz angesprochen hast, die können wir gelegentlich auch noch mal extra machen: die Frage der Form, der Gestalt. Wie kommt Gestalt zustande? Chargaff sagt, das ist das größte Rätsel der Biologie. Das ist die Frage der Gestalt, ja.

GWK: Vielen Dank, Jochen Kirchhoff und vielen Dank, liebe Zuschauer.

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