Pflanzen der Götter – Zur Tiefenwirkung psychoaktiver Pflanzen

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 45

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Ich möchte eine Ergänzung noch bringen zum letzten Mal, diese Ergänzung dann als Brücke benutzen zu dem heutigen Thema: Pflanzen der Götter. Es geht ja also um psychotrope, halluzinogene Pflanzen und Ähnliches.

Wir hatten ja am Ende die Frage gestellt bzw. ich hatte das versucht Ihnen zu verdeutlichen, dass die Mysterienkulte in der Antike nicht restlos kompatibel waren mit der Olympischen Homerischen Religion. Dass das eine im echten Sinne esoterische Unterströmung war, die zwar vielfältige Wechselbeziehung hatte mit der Olympisch-Homerischen Religion aber doch in vielerlei Hinsicht abwich. Die entscheidendste Komponente dieses Abweichen ist die Frage nach der Seele. Ich habe Ihnen das ja versucht darzustellen an dem Gegensatz von Thymos und Psyche. Psyche ist das Individualitätsprinzip im Menschen, schon das Selbst, schon das fokussierte Ich in seinen Vorformen, wenigstens im sechsten und fünften vorchrist­lichen Jahrhundert, bei Homer noch nicht ganz, und Thymos ist ein über-individuelles Prinzip. Ein „autonomer Regungsherd“, wie Hermann Schmitz das nennt oder auch eine Art Lebensprinzip, was den natürlich-kosmischen Kreislauf weitergeht, ohne sich mit dem Einzelnen zu verbinden.

In der antiken Welt der Olympischen Religion ist der Fokus ganz eindeutig gelegt auf die physisch-sinnliche Erfahrungs- und Erscheinungs­welt: der Mensch im Lichte, der Mensch im Lichte des Diesseits, in Anführungszeichen. Es gab Jenseitsvorstellungen vielfältiger Art, eben auch apokryphe, auf die Mysterien bezogene, aber eine restlos in sich konsis­tente Vorstellung im Rahmen der Olympischen Religion hat es nie gegeben. Ich habe das nochmal recherchiert an einem Buch, das mehr als alle anderen Bücher sich mit dieser Frage beschäftigt, das berühmte Buch von Erwin Rohde „Psyche ‒ Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Grie­chen“. Und der stellt hier sehr ausführlich diese Dinge dar und zeigt, wie in der Antike der Hades gedacht wurde, bei Homer und auch in den Jahrhun­derten danach, wie Psyche gedacht wurde, wie der Schatten gedacht wurde als eine Art astrales Double, allerdings eigenartig entpersönlicht, schemen­haft, also nicht herauskonturiert im Sinne einer höheren Individualität. Das ist ein Gedanke, den man erst in den Mysterienreligionen findet.

Zwei kleine Passagen mal aus diesem wunderbaren Buch von Erwin Rohde „Psyche“: „Der Mensch ist lebendig, seiner selbst bewusst, geistig tätig, nur, solange die Psyche in ihm verweilt, aber nicht sie ist es, die durch Mitteilung ihrer eigenen Kräfte dem Menschen Leben, Bewusstsein, Willen, Erkenntnis-Vermögen verleiht, sondern während der Vereinigung des lebendigen Leibes mit seiner Psyche liegen alle Kräfte des Lebens und der Tätigkeit im Bereiche des Leibes, dessen Funktionen sie sind. Nicht ohne Anwesenheit der Psyche kann der Leib wahrnehmen, empfinden und wollen, aber er übt diese und alle seine Tätigkeiten nicht aus, durch die oder vermittels der Psyche. Nirgends schreibt Homer der Psyche solche Tätigkeiten im lebendigen Menschen zu. Sie wird überhaupt erst genannt, wenn ihre Scheidung vom lebendigen Menschen bevorsteht oder geschehen ist“. ‒ Ganz wichtig ‒ „Als ein Schattenbild überdauert sie ihn und alle seine Lebenskräfte. Fragt man nun, wie es bei unseren homerischen Psychologen üblich ist, welches bei dieser rätselhaften Vereinigung eines lebendigen Leibes und seines Abbildes, der Psyche, der eigentliche Mensch sei, so gibt Homer freilich widerspruchsvolle Angaben.“ Und dann heißt es hier: „Der Mensch ist nach homerischer Auffassung zweimal da ‒ in seiner wahrnehmbaren Erscheinung und in seinem unsichtbaren Abbild, welches frei wird erst im Tode. Dies und nichts anderes ist seine Psyche. Eine solche Vorstellung, nach der in dem lebendigen, beseelten Menschen wie ein fremder Gast, ein schwächerer Doppelgänger“ ‒ das ist wichtig ‒ „ein schwächerer Doppelgänger, ein anderes Ich als seine Psyche wohnt, will uns freilich sehr fremdartig erscheinen“, schreibt Erwin Rohde 1895. „Aber genau dies ist der Glaube der sogenannten Naturvölker der ganzen Erde. Es hat nichts Auffallendes, auch die Griechen eine Vorstellung teilen zu sehen, die im Sinne ur-anfänglicher Menschheit so naheliegt. Wahrnehmen, nichts aus den Erscheinungen des Empfindens, Wollens, Wahrnehmens und Denkens im wachen und bewussten Menschen, sondern aus den Erfahrun­gen eines scheinbaren Doppellebens im Traum, in der Ohnmacht und Eks­tase ist der Schluss auf das Dasein eines zweifachen Lebendigen im Menschen, auf die Existenz eines selbstständig ablösbaren zweiten Ich in dem Innern des täglich sichtbaren Ich gewonnen worden.“ Und so weiter.

Bloß, dieses zweite Ich, im Sinne der Homerischen, der Olympischen Religion, ist eine abgeschwächte Form. Dieser astrale Doppelgänger, wenn man ihn so nennen will, ist eine sehr ausgedünnte Form des Menschen in seiner Leiblichkeit. Es gibt eine einzige Ausnahme in der offiziellen Religion der Griechen. Das war der sogenannte Heroen-Kult. Im Heroen-Kult war es anders. Da wurde auch die Vorstellung gedacht, dass es einzelne Menschen, nicht alle, dass es einzelnen Menschen gelingt, eine höhere jenseitige Bewusstseins- und Seinsform zu erreichen. „Der Mensch ist lebendig, seiner selbst bewusst, geistig tätig, nur solange die Psyche in dem verweilt.“ Das hatten wir schon diese Stelle … Das kann ich so paraphrasieren, das muss ich gar nicht vorlesen. Die Vorstellung war in Griechenland verbreitet, dass [es] sogenannte Heroen gibt, einzelne herausragende Menschen, die dann nach ihrem Tode in eine diesmal als höher vorgestellte Seinsform über­wechseln. Wunderbar drückt das aus Pindar [griech. Dichter] in einem Gedicht, das ich Ihnen vorlesen möchte. Ein Gedicht, in dem auch der Gedanke der metempsychosis eine Rolle spielt, der Seelenwanderung, ein Gedanke, der im griechischen Denken nur eine apokryphe Unterströmung war. Da heißt es bei Pindar, zitiert nach Thassilo von Scheffer, „Hellenische Mysterien und Orakel“, das ist ganz im Sinne des Heroen-Glaubens gedacht: „ Die aber vermocht drei Mal in beiderlei Leben verweilend“ ‒ also hier und dort ‒ „die Seele zu wahren unsträflich und rein die wallen hinan den Weg des Zeus zu Chronos‘ Burg, wo Lüfte des Meeres, die Insel der Seligen ewig umhauchen, wo golden erglühen die Blumenkelche von leuchtenden Bäumen am Ufersaum und sprießen dort aus des Wassers Schoß, davon die Gewinde, die flechtend sich legen um Stirn und Arm kraft Rhadamanthys‘ gerechtem Spruch.“ Rhadamanthys war ein als gerecht angesehener König auf Kreta.

Hier wird also eine Jenseitsvorstellung aufgestellt, aufgebaut. Die Seele weilt in einem anderen jenseitigen Zustand, der aber kein abstraktes, kein vollständig nicht-leibliches Etwas ist, sondern der vielerlei Verbin­dungen aufweist. „Die Lüfte des Meeres, die Insel der Seligen ewig umhau­chen, wo golden erglühen die Blumenkelche.“ Also eine Art gesteigertes Diesseits, als Wohnort einzelner, herausragender, in diesem Sinne heroisch verstandener Menschen. Das sind zwei völlig verschiedene Vorstellungen, und in den Mysterienkulten wird, ganz stark beeinflusst von der Orphik, ja der Gedanke gedacht und auch praktiziert, dass die physisch-sinnliche Existenz nur eine Durchgangsstation ist zu einem höheren jenseitigen Sein. Das Faszinierende an dem eleusinischen Demeter-Kult ist ja gerade, dass wir auf der einen Seite einen Naturkult haben, auf der anderen Seite aber einen Kult, in dem es um eine initiatorische Jenseitserfahrung geht, um ein Todes-Erlebnis, was in diesem Mysterium in Eleusis ganz bewusst über anderthalb tausend Jahre hinweg initiiert wurde. Wie das möglich war, ist und bleibt ein Rätsel. Es ist durchaus möglich, dass in diesem Falle eine psychotrope Substanz im Spiele war.

Es gibt aber auch zu der häufig dargestellten These vom Mutterkorn-Bier erhebliche Gegenargumente. Zum Beispiel bringt Terence McKenna, der an sich dieser These zuneigt, ein nicht unwichtiges Gegenargument folgender Art: Wenn Mutterkorn-Bier hinter dem eleusinischen Mysterium stand, wie konnte dies dann über so viele Jahrhunderte hinweg genommen werden, ohne dass in den Legenden irgendetwas über unangenehme Nebenwirkungen zu hören war? Die gab es nämlich bei Claviceps in erstaunlichem Maße. Es gab ja ganze Mutterkorn-Epidemien. Wie ist es gelungen, das herauszufiltern? Das wissen wir nicht. Das bleibt letztlich spekulativ. Auf jeden Fall ist es möglich, dass in Eleusis eine psychotrope Substanz eingesetzt wurde.

Nun will ich Ihnen heute darstellen die Frage: Was sind sogenannte „Pflanzen der Götter“ und welche Wirkung haben diese Pflanzen? Und auch, wie können wir diese Wirkung verstehen? Wie können wir uns damit auseinandersetzen? Man muss sich grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass man bei diesen Fragen ein schwieriges Terrain betritt. Das ist ein vielfältig vermintes Terrain, ein kontaminierter Boden. Alles was man sagt zu diesem Thema, fällt ja in eine bestimmte Bewusstseinsform, die sich als die herrschende darstellt. Und alles was zu diesem Thema gesagt ist, ist nicht loszulösen von der Dominanz dieser Bewusstseinsform, die ich immer wieder charakterisiert habe als eine im Grunde genommen pathologische, als eine kollektive Neurose, also was Arno Grün den „Wahnsinn der Norma­lität“ nennt. In dieser Bewusstseinsform müssen … bewegen wir uns, und in diesem Kontext sind alle Gedanken dazu einzuordnen. Das macht es schwierig. Man kann nicht sozusagen voraussetzungslos direkt auf diese Frage zugehen, nach dem Motto Wolfgang Neuss‘: Geh aufs Ganze, nimm die Pflanze. Das ist zu einfach. Das hieße eine, in einer völlig naiven Weise die These vertreten, als ob es möglich wäre, durch die gesamten neuro­tischen Verbiegungen, die ja in langen Jahren gewachsen sind gewisser­maßen, einen unmittelbaren Zugang zu finden. Als ob es möglich wäre, all das auf eine direkte Weise zu durchstoßen. Das glaube ich nicht. Jede Erfahrung dieser Art muss eingeordnet, muss interpretiert werden und verdient auch eine sehr gründliche Betrachtung. Das muss man vorab sagen, weil viele, die eine vollkommen naive These hierzu vertreten, die man eigentlich scharf zurückweisen muss.

Es gab in der letzten Woche einen Artikel im „Spiegel“ über Pilze. Vielleicht haben einige von Ihnen das gelesen, „Stoff aus dem Fleisch Gottes“. Und dieser Artikel ist sehr bezeichnend für diese Thematik. Ich lese nur mal eine kurze Passage vor, die das recht deutlich macht, „Stoff aus dem Fleisch Gottes“ heißt es hier, also letzte Woche: „In den High-Tech-Zuchtkammern einer niederländischen Firma sprießen Drogenpilze. Dank einer rechtlichen Grauzone ist ihr Verkauf legal. Deutsche Drogen-Experten warnen vor wahnhaften Horrortrips. In den 60ern und 70ern hatten psycho­delische LSD-Trips Konjunktur. In den 80ern lockten dann eher leistungs­steigernde Drogen wie Kokain oder auch Heroin. In den 90ern, auf dem Höhepunkt der Techno-Ära dominierte die Durchtanz-Droge Ecstasy. Seit einigen Jahren beobachten wir wieder einen Trend zur halluzinogenen Stoffen, erzählte Hurk. Für den Drogen-Forschungsbeauftragten der Ge­meinde Amsterdam, Tom Nabben, geht deren Erfolg vor allem auf das Interesse für Esoterik und Spiritualität, das ganze New-Age-Geschehen zurück. Da passen Psylos [halluzinogene Pilze] genau rein. Die Smartshops bieten neben den Psycho-Pilzen auch Vitamin-Präparate, Energy Drinks und natürliche Aufputschmittel feil, vor allem Kräutermischungen und Tees, etwa aus Guarana. Im Vergleich zu der Wirkung von Zauberpilzen verhalten sie sich aber ähnlich wie ein Glas Cidre zu einer Flasche Wodka. Der Gesetzgeber übt sich ähnlich wie bei Cannabis“ ‒ das wissen wir ja alle ‒ „in Pragmatismus. Laut Betäubungsmittelgesetz ist ein natürlicher Stoff erst als Rauschmittel zu bezeichnen, wenn er von Menschenhand behandelt wurde. Und in diesem Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof der Nieder­lande entschieden: Frische Pilze sind legal, getrocknete hingegen illegal.“ Und dann heißt es hier weiter: „In diesem Fruchtkörper, der von india­nischen Ureinwohnern Mexikos huldvoll ,das Fleisch Gottes‘ genannt wird, bildet sich ein Stoff, der im Magen in die psychoaktive Substanz Psilocybin umgewandelt wird. Die bewusstseinserweiternde Wirkung setzt 10 bis 60 Minuten nach der Einnahme der Pilze ein. Der Trip beginnt oft mit Lachanfällen. Danach entfaltet sich vor den Augen ein buntes Farbenspiel aus grünen oder rosafarbenen Nebelschleiern. Die Halluzinationen werden abgelöst durch eine extrem gesteigerte Wahrnehmung. Die Augen sehen schärfer, die Ohren hören besser, so Arno Adelaar, dessen Buch ,Alles über Psylos‘ in keinem Smart Shop fehlt.“ Na gut. „Auch die Fachzeitschrift …“‒ jetzt typisch der Schluss ‒ „Auch die Fachzeitschrift Kriminalistik sorgt sich um den Trend zur Öko-Droge. ,Verkannte Gefahr‘ lautet der warnende Untertitel eines Aufsatzes über biogene Drogen. Die Autoren warnen davor, das vermeintliche Naturprodukt als sauber, unschädlich und damit ökolo­gisch zu betrachten. Sorge bereitet den Drogenbekämpfern vor allem die rituelle Verklärung. Zitat aus der Fachzeitschrift ,Kriminalistik‘: ,Der Konsum beschränkt sich nicht auf die bloße Einnahme der Drogenzu­bereitung, sondern es erfolgt zunächst eine gewisse Einstimmung mit Musik bis hin zu einer regelrechten spirituellen Vorbereitung auf das Rausch­erlebnis‘, heißt es in dem Fachblatt.“ Gut. Dieser Artikel ist in dem üblichen und sattsam bekannten Stil abgefasst. Man findet hier grinsende Dealer, die daran Geld verdienen und die Häme der intellektuellen Distanzierung auf der einen Seite, aber auch der Spott über die spirituell und tiefe Verbin­dung mit diesen psychotropen Substanzen. (…)

Das nur [als] eines von ganz vielen Beispielen. Wer ein bisschen aufmerksam die Szene der letzten Wochen und Monate verfolgt, dem wird auffallen, dass das Thema immer wieder auftaucht. Also es scheint ein Thema zu sein, was in gewisser Weise auch Aktualitätsrang genießt. Aber ich sage es nochmal: Wir bewegen uns bei diesem Thema auf einem konta­minierten Gelände, auf einem verminten Boden. Wo immer man allzu freimütig und naiv hintritt, kann die nächste Mine hochgehen. Das ist einfach so.

Es gibt einen sehr schönen kleinen Aufsatz von Peter Sloterdijk zu dieser Frage, 1993, „Wozu Drogen? ‒ Zur Dialektik von Weltflucht und Weltsucht“. Und da will ich Ihnen mal eine Passage vorlesen, auf die ich gestern gestoßen war. In dem Abschnitt „Heilige Drogen“, der stellt auf eine sehr schöne, präzise und kluge Weise ‒ Sloterdijks ist manchmal sehr klug ‒ auf eine kluge Weise schon den Begriff „Droge“ in Frage. „Heilige Drogen“, ich lese mal diese Passage vor, die man mitbedenken muss bei diesem Thema: „Zu Beginn jedes kritischen Nachdenkens über die Quellen menschlichen Drogengebrauchs müsste eine moderne Denkfreiheit geopfert werden. Die historische Drogen-Forschung hält die für zeitgenössische Menschen erstaunliche Lektion bereit, dass die Assoziation von Drogen und Sucht im Wesentlichen eine neuzeitliche Verknüpfung darstellt. Um die ältere Realität des Drogengebrauchs zu verstehen, wäre es notwendig, die vorherrschende unheilige Allianz von Droge und Sucht aufzusprengen und beide als grundverschiedene Größen zu begreifen. Die Herausforderung der Sache an zeitgenössische Forscher besteht darin, mithilfe von historischer Einbildungskraft zurückzugehen in eine Epoche, in der die Drogen über­wiegend als Vehikel eines ritualisierten metaphysischen Grenzverkehrs fungierten.“ ‒ Sehr schön gesagt: als Vehikel eines ritualisierten metaphy­sischen Grenzverkehrs. ‒ „Der rituell gehegte Gebrauch von Drogen gehört im psycho-historischer Sicht zu dem untergegangenen Weltalter des alten Mediumismus. In diesem begreift sich das menschliche Innere“ ‒ jetzt ganz wichtig und sehr präzise gesagt ‒ „begreift sich das menschliche Innere, sofern es überhaupt schon abgegrenzt ist, nicht so sehr als eine in sich geschlossene und selbstgesetzliche Seelensphäre, sondern als Erschei­nungsraum und Bühne für Ankommendes, Eintretendes, Durchgehendes, ganz im Sinne“ ‒ obwohl er es hier nicht erwähnt ‒ „des altgriechi­schen ,thymos‘, weniger der Psyche. Anders als beim homo clausus der neuzeitlichen Individualitätsauffassung bedeutet Subjektivität im Zeitalter der sakralen Drogen eine erhöhte Verfügbarkeit oder Zugänglichkeit für das nicht immer Manifeste und doch äußerst Wirkliche, das sich im psy­chischen Ausnahmezustand zu enthüllen pflegte. Das menschliche Innere öffnet sich und bildet sich heraus in dem Maß, wie es Klangkörper und Bildschirm ist für die Epiphanien über- und außermenschlicher Mächte. Deren sakrale Repräsentanten können jene Stoffe sein, die in moderner Apothekersprache ,Drogen‘ heißen. Das Wort Droge bleibt aber so lange eine Fehlbezeichnung, wie wir sie nur mit einem Interesse an ihrer chemisch-pharmazeutischen und kulturpolizeilichen Identifizierung auffas­sen. In der alten mediumistischen Weltordnung besitzen die Drogen einen pharmako-theologischen Status. Sie sind selber Elemente, Akteure und Mächte des geordneten Kosmos, in denen die Subjekte sich um ihres Überlebenswillens zu integrieren versuchten.“ ‒ Sehr schön gesagt ‒ „Elemente, Akteure und Mächte des geordneten Kosmos, in denen die Subjekte sich um ihres Überlebenswillens zu integrieren versuchen. Die pharmazeutischen Helfer werden besonders angerufen in Zeiten, in denen sich die Individuen krank und entfremdet fühlen. Zu ihnen nehmen Menschen Zuflucht, wenn sie sich am eigenen und am sozialen Körper davon überzeugt haben, dass eine Störung der globalen Harmonie vorliegt. Die psychotropen Stoffe dienen also nicht der privaten Berauschung, son­dern fungieren als Reagenzien des Heiligen, als Türöffner der Götter. Ernst Jünger hat einen bedeutsamen Aspekt früher Drogenpraktiken formuliert, als er in den durch sie induzierten Räuschen einen Siegeszug der Pflanze durch die Psyche erkennen wollte.“ ‒ Diese Formulierung haben wir schon genannt. ‒ „Der Ausdruck bringt das Prinzip medialer Durchlässigkeit gut zur Geltung, das zu den archaischen prä-autonomistischen Subjektver­fassungen gehört.“ Und dann ein paar Seiten später, das muss man auch mit dazunehmen zur Frage der möglichen Ekstase in diesen alten sakralen Zusammenhängen: „Und heute, wenn die Ekstase uninformativ wird, weil die Götter offenbarungsmüde sind wie heute …“. (…) Sloterdijk spricht mit einige Recht vom Verstummen der Götter. Die Götter reden zunächst einmal nichts. Man fragt sich, ob sie existieren, wenn sie existieren, schweigen sie erst einmal, in der normalen Bewusstseinsverfassung. „Weil die Götter offenbarungsmüde sind und die Rauschbilder ihre Profilschärfe verlieren. Dann setzt sich ein flacher und entritualisierter Umgang mit den mächtigen Substanzen durch“, wie wir es heute ja haben. „Sobald die rituellen Halterungen fallen, die dem Subjekt beim Gebrauch sakraler Drogen den Rücken stärkten, findet sich dieses“ ‒ also das Subjekt ‒ „in einer ungeschützten Direktbeziehung zu dem vor, was aller Erfahrung zufolge stärker ist als das profane Selbst. Zu den tragischen Lektionen der Droge gehört es, dass sie es dem Menschen verbietet, ein Privatverhältnis zum Überwältigenden aufzubauen. Unter Bedingungen des Privatkonsums nämlich erfüllt jede psychotrope Substanz früher oder später die Definition des Dämonischen. In der Beziehung zum Dämon verliert das Subjekt seinen Willen an den stärkeren Partner. Es sitzt von da an in der Falle, sofern er zum schwachen Teilhaber einer Überwältigungsbeziehung geworden ist. Sein legitimes Verlangen nach Teilhabe an einer Quelle von Kräftigungen und Erhöhungen führt im privaten Konsum von Rauschgift zu einer dämo­nischen Platzvertauschung. Statt an der Kraftquelle zu saugen, wird es selber zum Gesogenen. Es entleert sich zugunsten des Überwältigenden, von dem es zuvor gefüllt werden sollte. Diese Sogumkehrung gehört zu den Merkmalen der Sucht, an denen sich deren Herkunft aus missratener Metaphysik am deutlichsten ablesen lässt.“

Das finde ich sehr schön gesagt, dieses Wort von der „missratenen Metaphysik.“ Das muss man einfach dazu sagen, dass die Entritualisierung der Überwältigung den Einzelnen eine vollkommen ungeschützte, ihn letzt­lich vollkommen überfordernde Direktbeziehung mit diesen „Pflanzen der Götter“, mit diesem Übermächten bringt. Das spielt in diese ganze Thema­tik hinein.

Nun, „Pflanzen der Götter“ ist zunächst mal ein Synonym für, ganz weit gefasst, psychotrope Substanzen oder auch halluzinogene Substanzen bzw. Pflanzen. Ich habe das entnommen einem Buchtitel, „Pflanzen der Götter ‒ die magischen Kräfte der Rausch und Gift-Gewächse“ von Albert Hofmann und Richard Schultes. Richard Schultes, Botaniker, Direktor des Botanischen Museums von Harvard und emeritierter Professor für Natur­wissenschaften an der Harvard-Universität. Zu seinen Hauptgebieten zäh­len die Ethno-Botanik sowie die Erforschung und Konservierung von Pflan­zen. Albert Hofmann, ja bekannt, heute 95-jährig, Chemiker, ehemaliger Leiter der Abteilung Naturstoffe der pharmazeutisch-chemischen Labora­torien der Sandoz AG Basel, Entdecker der halluzinogenen Wirkung des LSD, 1943. Dadurch ist er ja weltberühmt geworden. Erforschung weiterer psychoaktive Substanzen, so unter anderem der mexikanischen Zauber­drogen mit ihren heilkräftigen Wirkungen. Chemische Erforschung, Isolie­rung und Synthese der Wirkstoffe wichtiger Arzneipflanzen.

„Das Wort ,halluzinogene Pflanzen‘ ist nur mit gewissen Einschrän­kungen zutreffend, denn viele der „Pflanzen der Götter“ sind im engeren Sinne nicht halluzinogen. Insofern hat es immer schon im 19. Jahrhundert einen Streit um diese Bezeichnung gegeben. Eine berühmte Bezeichnung im 19. Jahrhundert war von dem Toxikologen Levin ,die Phantastika‘. Die Phantastika. Es ist in der Tat unmöglich, die so vielfältig psychoaktiv wirksame Gruppe von Pflanzen unter einen einzigen Begriff zusammen­zufassen. Der deutsche Toxikologe Levin, der als erster den Ausdruck Phantastika gebrauchte, räumte ein, dass dieser nicht alles umfasst, was nach meiner Vorstellung darunter verstanden werden sollte. Das Wort Halluzinogen ist leicht zu verstehen, doch rufen nicht alle als Halluzinogene bekannten Pflanzen wirklich Halluzinationen hervor. ,Psychotomimeticum‘, ein ebenfalls häufig gebrauchter Begriff, wird von manchen Spezialisten nicht anerkannt, weil nicht alle Pflanzen aus dieser Gruppe psychose­ähnliche Zustände bewirken.“ Das ist eine Klassifizierung, die davon aus­geht, dass letztlich Psychosen, temporäre Psychosen, ausgelöst werden. „Unter den vielen vorgeschlagenen Definitionen der Halluzinogene ist dieje­nige von Hoffer und Osman umfassend genug, um allgemeine Anerkennung zu finden. Halluzinogene sind Chemikalien, die in nichttoxischen Dosen“, also nicht giftigen Dosen, es ist immer eine Frage der Dosis, wie man nicht erst seit Paracelsus weiß, also, „Halluzinogene sind Chemikalien, die in nichttoxischen Dosen Veränderung in der Wahrnehmung, im Bewusstsein und in der Gemütslage hervorrufen, selten jedoch geistige Verwirrung, Gedächtnisverlust oder Desorientierung in Bezug auf Personen, Raum und Zeit bewirken. Hofmann unterteilt die psychoaktiven Drogen, sich dabei auf die ältere Gliederung Levins stützend, in Anagetika und Euphorika, Opium, Kokain, Beruhigungsmittel, Reserpin, Hypnotika, Taba Kava und Halluzino­gene, Peyote, Marihuana.“ Und so weiter.

Also, wir können uns auf den Begriff der „Pflanzen der Götter“ erst einmal einigen. Es geht also um vielleicht 150 Pflanzenarten, die offensicht­lich psychoaktive, psychotrope Wirkung haben. Man schätzt die Gesamtzahl der Pflanzenarten auf dieser Erde auf eine halbe Million. Andere Botaniker setzen die Zahl viel höher an, auf 700’000, 800’000. Es mag ein Schätzwert sein, der einige Richtigkeit hat, eine gewisse Plausibilität. Eine halbe Million Pflanzenarten gibt es auf dieser Erde, und davon sind 150, soweit wir das sagen können, psychotrop oder psychoaktiv oder halluzinogen. Interessant ist es übrigens, dass von diesen 150 psychotropen Pflanzen 130 in den tropischen Gebieten Amerikas wachsen und nur 20 zusammenge­nommen in Afrika, Europa und Asien. Also der überwiegende Teil der psychotropen Substanzen stammt aus den tropischen Regionen Amerikas. Hofmann, in diesem hochinteressanten, faszinierenden und sehr informa­tiven Buch, stellt immer wieder die Frage: Wie ist es zu erklären, dass einige Pflanzen so weitreichende Wirkungen auf die menschliche Psyche auslösen können, dass die gesamte Wahrnehmung von Raum, Zeit und Selbst auf eine fundamentale, eine oft dramatische Weise verschoben wird und der Einzelne das Gefühl hat, eine vollkommen andere Welt, in diesem Sinne eine Anderswelt, einzutauchen, die ihm häufig genug wirklicher, lebendiger, tatsächlicher erscheint als die physisch-sinnliche Welt? Und das ist ja ein wesentlicher Faktor, den man weltweit beobachten kann, dass diese auf diese Weise induzierten Zustände einen ungeheuren Wirklichkeits­charakter haben und überhaupt die Frage aufwerfen: Was ist eigentlich Wirklichkeit, wenn man diese Zustände vergleicht mit der physisch-sinnlichen Wirklichkeit?

„Halluzination“ ist ja ein eher negativ besetzter Begriff, der davon ausgeht, dass die physisch-sinnliche Wahrnehmung die eigentlich wirkliche ist. Dann ist natürlich die Halluzination die Täuschung. „Es bleibt also ein ungelöstes Rätsel der Schöpfung“, schreibt Hofmann immer wieder, ähnliche Formu­lierung, „warum manche Pflanzen Stoffe erzeugen, die auf die psychischen Funktionen des Menschen einzuwirken vermögen. Von den vielen hundert verschiedenen Substanzen, die den chemischen Aufbau einer Pflanze aus­machen, sind nur ein, zwei oder selten bis zu einem halben Dutzend für die psychische Wirkung der betreffenden Pflanze verantwortlich. Chemiker haben mittlerweile sehr genau herausdestilliert, wo die eigentlichen Wirk­stoffe liegen. Der gewichtsmäßige Anteil beträgt meistens nur Bruchteile von Prozenten, oft nur von Promille der Pflanze. Hauptbestandteile der frischen Pflanze, in der Regel über 90 Prozent des Gewichtes, sind Zellu­lose, die als Gerüststoff dient, und Wasser, dem die Rolle des Lösungs- und Transportmittels für die Nährstoffe und Stoffwechselprodukte der Pflanze zukommt. Kohlenhydrate wie Stärke und verschiedene Zucker, Eiweiße, Farbstoffe, Mineralsalze machen weitere Prozente aus.“

Also, Chemiker haben sehr genau herausdestilliert, welche Stoffe kristallisierter Form, hat man festgestellt, nun die eigentliche Wirkung aus­lösen, und man konnte hier Beziehungen herstellen. Das ist ein Erklä­rungsansatz, der aber bei Licht besehen nicht sehr weit trägt, dass es chemisch sehr ähnliche Stoffe, körpereigene Drogen gewissermaßen, wie das der Psychiater [Josef] Zehentbauer gibt, und dass aufgrund dieser Analogie und ganz großen Ähnlichkeit der nahen chemischen Verwandt­schaft eine Möglichkeit besteht, dass also diese Stoffe den im Körper vorhandenen, vom Gehirn produzierten Neurotransmitter oder Botenstoffen chemisch sehr ähnlich sind. „Dabei stellt sich heraus, dass sie eine nahe chemische Verwandtschaft mit im Gehirn natürlich vorkommenden Substanzen aufweisen, die bei der Regulation einer psychischen Funktion, eine gewisse Rolle spielen.“ Ich sage es nochmal, der Psychiater und Arzt Zehentbauer nennt das „körpereigene Drogen“, was ein ganz sinnvoller Begriff ist. „Mithilfe der genau dosierbaren Reinsubstanzen konnten unter reproduzierbaren Bedingungen die pharmakologischen Wirkungen im Tierversuch und das psychische Wirkungsspektrum beim Menschen ermit­telt werden. Das war mit den Pilzen nicht möglich gewesen, weil der Wirkstoffgehalt starken Schwankungen unterworfen ist, beträgt 0,1 bis 0,6 Prozent der getrockneten Pilze, wobei Psilocybin den Hauptanteil ausmacht und Psilocin meist nur in Spuren vorkommt. Die mittlere wirksame Dosis beim Menschen beträgt 4 bis 8 Milligramm Psilocybin oder Psilocin. Statt zwei Gramm des schlecht schmeckenden getrockneten Pilzes zu essen, genügt es, etwa 0,008 Gramm [8 mg] Psilocybin einzunehmen, um einen mehrere Stunden dauernden Pilzrausch zu erzeugen. Der Beitrag des Chemikers an der Erforschung sakraler Drogen soll am Beispiel der Untersuchung der mexikanischen Zauberpilze anschaulich gemacht wer­den.“ Das war auch nur über den Selbstversuch möglich. Also alle entschei­denden Forscher, auch Mykologen, Pilzforscher, haben das über den Selb­stversuch gemacht. Auch übrigens Hofmann und Schultes.
Ich will dann erstmal eine kleine Pause machen. Ich will nach diesen einleitenden Bemerkungen dann den Versuch machen, an einigen Bei­spielen zu zeigen, wie bestimmte psychotrope Pflanzen in die Seele einwir­ken, welche rituellen sakralen Verbindungen sich hier aufweisen lassen, und dann in einem nächsten Schritt, der vielleicht der entscheidende, aber auch der schwierigste Schritt ist, wenigstens umrisshaft den Versuch machen, diese Zustände, die durch die „Pflanzen der Götter“ induziert werden in der Psyche, im Spektrum der menschlichen Bewusstseinsphäno­mene einzuordnen, ohne dass man das hier schematisch machen könnte oder sollte. Aber das ist wichtig, denn nur indem man den Willen aufbringt, eine geistig seriöse, in diesem Sinne wirklich integrale Denkarbeit auch bei diesen Zuständen aufzubringen, nur dann wird man in der Lage sein, diesen Phänomenen wirklich adäquat zu begegnen. Ich sage es nochmal: Eine direkte, gewissermaßen naive, unreflektierte, undurchdachte Zugangsweise kann es so in Ansehung des heute herrschenden kollektiven Bewusstseins­zustands und der einzelnen Individuen, die davon nie restlos abzutrennen sind, nicht geben. Insofern ist eine geistige Arbeit bei dieser Frage unbedingt notwendig. Es ist unabdingbar, und gerade an dieser mangelt es auf ganzer Linie – leider.

(…) und 150 im eigentlichen Sinne als psychotrop oder psycho-aktiv oder halluzinogen gelten, und davon, ich sagte es, 130 im tropischen Bereich Amerikas. Mir fiel, als ich unten im Hof war, eine Stelle ein aus diesem interessanten Buch von Terence McKenna „Die Speisen der Götter ‒ die Suche nach dem Baum der Erkenntnis“, die ich Ihnen vorlesen möchte. Am Ende dieses Buches gibt es ein Kapitel mit dem Titel „Zur Geschichte psychedelischer Drogen“, und das fängt folgendermaßen an. Das ist für uns ein ganz guter Übergang. Das Buch ist vor zehn Jahren erschienen, wie Sie vielleicht wissen, ist Terence McKenna vor zwei Jahren verstorben. Er war einer der Autoren, die sich wie wenige Andere vehement für diesen Weg der Bewusstseinsarbeit mit psychotropen Substanzen eingesetzt haben. Das war für ihn geradezu der Königsweg, seitdem er in Südamerika Ayahuasca entdeckt hatte. Er hatte vorher lange in Indien gelebt und hat dann fest­gestellt, da lebt gar nichts mehr, behauptet er, an Spiritualität. Aber diese eigentlichen pflanzlichen sakralen Stoffe haben ihm eine Tür geöffnet. Und so glaubte er, und er hat vehement das in der Öffentlichkeit vertreten, auch mit der Vehemenz desjenigen, der ideologisch, kann man auch sagen, festgelegt war. Denn diese einseitige Form, mit der er das Thema vorstellt, hat auch etwas Bedenkliches, weil sie vielerlei Reflexion für entbehrlich hält, ja geradezu herabgewürdigt. Da heißt es am Anfang des 14. Kapitels: „Psychedelische Pflanzen und psychedelische Erfahrung“, es ist jetzt egal, wie treffend oder nicht dieses Wort ist, „wurden von der europäischen Kultur zunächst unterdrückt, dann ignoriert und schließlich vergessen. Das vierte Jahrhundert erlebte die Unterdrückung der Mysterien, Religionen, der Bacchus- und Diana-Kulte, der Kult um Attis und Kybele. Der für die hellenische Welt typische reichhaltige Synkretismus war Vergangenheit“, also eine Zusammenführung der verschiedensten geistigen Strömungen im Mittelmeerraum der Spätantike. „Das Christentum triumphierte über die Sekten der Gnostiker, über Valentinen, Marcioniten und andere, die letzten Bastionen des Heidentums.“ Wir hatten das ja letztes Mal auch dargestellt, dass, als das Christentum sich als Staatsreligion etabliert hatte, [es] rabiat brutal gegen Eleusis vorgeht. Nicht, weil es in diesem eigenartigen Mysterium auch des göttlichen Kindes, was da in der psychotropen Schau, wenn man das so nennen will, gezeigt wurde, wie eine Verhöhnung sah der eigenen Glaubensvorstellungen.

„Diese repressiven Episoden in der Entwicklung des westlichen Denkens schlossen mit Erfolg die Tür zu einer Kommunikation mit der Intelligenz Gaias, mit der Intelligenz der Erde.“ ‒ Für ihn ein ganz wesentlicher Verbindungssstrang ‒ diese Pflanzen eröffnen den Zugang zur Intelligenz der Erde, was ich bis zu einem gewissen Grade auch für richtig halte, dazu habe ich mich hier ausführlich geäußert. „In einem hierar­chischen System aufgezwungener Religion und später über eine hierar­chische Struktur verbreitete wissenschaftliche Erkenntnisse ersetzten jedes direkte Erleben der Intelligenz hinter der Natur. Die Rauschmittel der christlichen Herrschaftskultur waren unabhängig davon, ob es sich dabei um Pflanzen oder synthetische Drogen handelte, unweigerlich Anregungs- oder Betäubungsmittel.“ Die ganze neuzeitliche Kultur ist ja gar nicht denkbar ohne Drogen, nur durch ganz bestimmte Drogen, die sozusagen einen Betäubungscharakter haben, die den herrschenden Irrsinn also erträglich machen. „ … Unweigerlich Anregungs- oder Betäubungsmittel, Drogen für den Arbeitsplatz und Drogen, um Fürsorglichkeit und Schmer­zen zu dämpfen. Im 20. Jahrhundert dienten Drogen nur noch medizini­schen Zwecken oder waren Genussmittel und Freizeit-Drogen. Doch selbst der Westen hat sich noch einen dünnen Faden einer Erinnerung an das archaische und ekstatische Potenzial bestimmter Pflanzen bewahrt, die in das Mysterium einführen konnten.“

Kurz noch zu dem Buch. Interessant sind seine Aussagen zur Geschichte des Kaffees und des Zuckers. Er stellt auf eine wunderbare, sehr überzeugende Weise Zucker als eine fatale Droge [dar], die auch ökono­misch verheerend war. Alkohol, Zucker und dann auch Nikotin. „Tabak aus den nordamerikanischen Kolonien, destillierter Alkohol und Rohzucker aus dem mehr in den Tropen gelegenen Randzonen waren der Motor dieses ökonomischen Systems. Das Zeitalter der Aufklärung stützte sich auf ein auf Drogen basierendes Wirtschaftssystem, nur eben andere Drogen.“ Das ist eine eigenartige Entwicklung in der Geist- und Kulturgeschichte, dass eine Sparte, eine Art von Drogen legalisiert war, ja geradezu erwünscht war, während andere verteufelt wurden. Ein schwieriges Thema. ‒

So, mich hat in der Pause, zu Beginn der Pause, jemand gefragt, ob es nicht auch diese Widersacherseite gäbe in Bezug auf die Devas. Das ist richtig. Natürlich sind „Pflanzen der Götter“ immer auch Pflanzen der Dämonen und diese Überwältigungszustände, die durch psychotrope Pflanzen ausge­löst werden, sind häufig genug auch dämonischer Natur. Das ist natürlich eine Form der Überwältigung, die auch in Tiefenschichten der Psyche hineinreicht, die nicht harmlos sind, überhaupt nicht harmlos und den Einzelnen in der tiefsten Tiefe packen und ja auch aushebeln. Das ist ja gerade das Wesen der Überwältigung. Und die Frage ist ja grundsätzlich bei derartigen Überwältigungserfahrungen, bis zu welchem Grade kann das menschliche Selbst integrativ wirken? Bis zu welchem Grade hat das Ich noch die Navigationsfähigkeit? Denn wenn das Ich die Navigationsfähigkeit überhaupt nicht mehr hat, wird es ja zum Spielball von mächtigen Flutungen und Strömungen. Und die Frage ist keine nur rhetorische oder theoretisch abstrakte: Was hat es mit dem Ich überhaupt auf sich? Inwie­fern soll und kann es sich hier gewissermaßen einmischen? Wie weit kann es hier den Steuermann spielen, oder wie weit muss es sozusagen sich selbst aufgeben? „Shoes and minds are to be left at the gates“, hieß es ja bekanntlich in Poona. Also nicht nur die Schuhe, auch den Geist an der Haustür abgeben.

In diesem Buch „Pflanzen der Götter“ werden viele Beispiele gegeben für psychotrope Pflanzen. Ich will hier mal herausgreifen zwei, die eher im Randbereich liegen, ich greife jetzt nicht Cannabis raus und auch nicht das Mutterkorn und die Bezüge mit LSD, sondern ich nehme mal hier eine Pflanze, die einen ganz eigenen Charakter hat, nämlich Datura, Stechapfel. Eine Pflanze, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, nebenbei gesagt.

„In der Alten Welt hat diese Gattung, wie es scheint, nie die gleiche Bedeu­tung als zeremonielle Droge besessen wie in Amerika. Aber auch hier ist datura oder Stechapfel“, ähnlich wie auch Bilsenkraut, galt ja auch als Hexenmitttel schon im Mittelalter, „auch hier ist datura seit alter Zeit als Arzneimittel und heiliges Halluzinogen benutzt worden.“ Das kann man zeigen, Datura ist eine der am weitesten verbreiteten psychotropen Pflan­zen überhaupt, ähnlich verbreitet wie Cannabis, vielleicht sogar noch verbreiteter. „In verschiedensten Zeiten und Kulturen wurde Datura ein­gesetzt, auch im Mittelalter, auch in Europa. In frühen sanskritischen und chinesischen Schriften wird Datura Metel erwähnt. Die vom arabischen Arzt Avicenna im 11. Jahrhundert unter dem Namen Jusmatal beschriebene Pflanze war zweifellos mit dieser Art identisch. Die Beschreibung wurde in den Schriften des [Pedanios] Dioscurides übernommen. Die Bezeichnung „Metel“ entstammt diesem arabischen Wort. Der Gattungsname „Datura“ ist eine von Linné vorgenommene Latinisierung des sanskritischen Wortes „dhattūra“. In China galt die Pflanze als heilig.“

Also das ist wichtig, hier gibt es immer bei diesen psychotropen Pflanzen zwei Stränge der Interpretation. Auf der einen Seite gelten diese Pflanzen als mediale Wesen, die das Menschliche mit dem Göttlichen, mit der Anderswelt vermitteln. Auf der anderen Seite sind sie selber Götter. Das ist natürlich ein anderes Kapitel. Auf der einen Seite also mediale Wesen, sie vermitteln nur, sie sind, wie Sloterdijk sagt, Reagenzien des Heiligen Türöffners, auf der anderen Seite sind sie selber Götter. Das liegt ja der Vorstellung der Devas zugrunde. Man findet das ja bei Wolf-Dieter Storl ganz extrem, also einem Zeitgenossen, einem heutigen Etno-Botaniker, für den Pflanzen tatsächlich makrokosmische Wesen sind, in gewisser Weise Götter, denen der Mensch sich einfügen muss, sozusagen heilige kosmische Wesen, also nicht etwa Stufen einer Bewusstseinsevolution.

„In China galt die Pflanze, wir sind bei Datura, als heilig. Wenn Buddha predigte, besprengte der Himmel sie mit Tau oder Regentropfen.“ Es gibt viele Bilder in dieser Richtung, auch Reliefs, Gemälde. „Nach einer daoistischen Legende ist Datura einer der Zirkumpolarsterne. Von diesem Stern zur Erde gesandte Boten sollen eine Blüte dieser Pflanze in der Hand tragen. Mit Cannabis und Wein vermischt, diente sie bei kleineren Opera­tionen als Anästhetikum. Die Chinesen kannten ihre betäubende Eigen­schaft, denn Li Ching Yuen persönlich erprobte sie am eigenen Körper und schrieb: ,Die Tradition sagt, pflückt man die Blüten lachend zu dem Gebrauch mit Wein, wird der Wein einen zum Lachen verleiten. Pflückt man die Blüten tanzend, wird der Wein einen zum Tanzen verleiten.‘ In Indien nannte man die Pflanze den Busch Shivas, des Gottes der Zerstörung. Tanzende Mädchen verfälschten manchmal den Wein mit Datura-Samen. Wer von diesem Getränk kostete, verlor jede Willenskraft, wusste nicht, zu wem er sprach.“ Das ist extrem bei Datura, wird immer wieder beschrieben. Negativ gesprochen wird sie als eine der tückischsten psychotropen Sub­stanzen überhaupt angesehen, mit einem ganz lang dauernden Rausch, in Anführungszeichen, um das Wort mal zu verwenden, mit einer vollständigen Verschiebung der Grundkoordinaten von Raum, Zeit und Selbst. „Verlor jede Willenskraft, wusste nicht zu wem er sprach und vermochte sich nach dem Rausch an nichts mehr zu erinnern, obwohl er scheinbar bei vollem Bewusstsein war und auf Fragen reagierte. Viele Indianer nannten die Pflanze deshalb Trunkenbold, Verrückter, Betrüger und Schwindler. In anderen Teilen Asiens schätzte man Datura als Volksheilmittel ebenso wie als Rauschdroge. Noch heute werden in Indochina häufig die mit Cannabis oder Tabak vermischten Samen oder zerstoßenen Blätter dieser Pflanze geraucht. 1578 wurde sie als ein in Ostindien gebräuchliches aphrodisiches Mittel erwähnt. Schon im frühen klassischen Altertum war man sich der Gefährlichkeit von Datura bewusst. Der englische Botaniker Gerald hielt Datura für identisch mit Hippomanes, das nach der Meinung des grie­chischen Dichters Theokrit die Pferde verrückt mache.“ Im alten Grie­chenland, wahrscheinlich eine erstaunliche Aussage, die ich nirgendwo sonst gefunden habe, zu den vielen auch ungestützten Behauptungen in diesem Buch. „Im alten Griechenland verhalf wahrscheinlich Datura den apollinischen Priestern zu ihrem Traumzustand, in dem sie ihre Prophe­zeiung machten.“ Das habe ich nirgendwo sonst gelesen. Das ist eigenartig, zumal man ja gerade den apollinischen Priestern eine besondere Art der Nüchternheit und kosmischen Klarheit zuordnet. Ob das so war? Ich weiß es nicht. Mir ist keines, kein Beispiel aus der Antike sonst bekannt, wo das dargestellt worden wäre.

„In Mexiko erfreut sich Datura nach wie vor großer Beliebtheit als therapeutische und magisch-religiöse Droge. Bei den Yaqui beispielsweise, nehmen die Frauen sie als schmerzlinderndes Mittel bei der Niederkunft ein. Die Huichol machen in der Heilkunde sehr häufig von der Totoache“, das ist das Gleiche, „Gebrauch. Der Pflanze wird eine so starke Wirkung zugeschrieben, dass nur jemand, der dazu befugt ist, sie beherrschen kann. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die Datura Wirkung extrem ist und alles in den Schatten stellt, was gemeinhin als die psychotrope Wirkung gilt. Und da alle Datura-Arten weitgehend identische chemische Grundstoffe enthalten, gibt es auch in ihrer Wirkung kaum Unterschiede. Die physio­logische Aktivität äußert sich zuerst in einem Gefühl der Mattigkeit, das in eine halluzinatorische Phase übergeht und schließlich mit tiefem Schlaf und Bewusstlosigkeit endet. Überdosen können zu dauernder Geistesgestörtheit oder zum Tode führen. Die psychoaktive Wirkung ist bei allen Datura-Arten so stark, dass man sich nicht zu fragen braucht, weshalb sie auf der ganzen Welt von Naturvölkern als ,Pflanzen der Götter‘ betrachtet worden sind.“

Nur als Beispiel, eine extreme Form der Überwältigung, eine extreme dramatische Form der Verschiebung der Grundkoordinaten von Raum, Zeit und Selbst. Hier kommt man immer wieder notwendig bei allen diesen psy­chotropen Substanzen auf die gleiche Frage: Was wird hier im wahrneh­menden Subjekt eigentlich an Wirklichkeit wahrgenommen? Ist es eine halluzinatorische Wahnwelt, die letztlich erklärbar wäre, vielleicht sogar reduktionistisch erklärbar wäre? Oder gibt es hier tatsächlich eine Enthüllung, eine Offenbarung einer tieferen Wirklichkeit, vielleicht gar einer wirklicheren Wirklichkeit? Denn was alle diese Substanzen gemein­sam haben, Datura steht da ganz oben, das gilt auch für Peyote zum Beispiel, das gilt für Psilocybin und andere, ist ja, dass die Wirklichkeit des Wahrgenommenen so überwältigend ist, dass die physisch-sinnliche Wirk­lichkeit in unserem Verständnis, in unserem mentalen Verständnis von Raum, Zeit, Kausalität und so weiter dagegen wie blass, schemenhaft wirkt, wie von außen betrachtet werden kann. Und das ist eine Frage, die letztlich die Wirklichkeit überhaupt berührt, die ungeklärt ist, der man sich aber nähern muss. Es bringt überhaupt nichts, wenn man naiv einerseits die physisch-sinnliche, raumzeitlich-kausale Welt für die einzig wirkliche und legitime hält und sie gegen diese psychotrope Wirkung ausspielt. Genauso wenig, wenn man nun meint, man würde gewissermaßen einen direkten Zugang, gewissermaßen durch einen Zaubergang nun einen Zugang gewin­nen zur wirklichen Wirklichkeit. Beides sind sehr vordergründige Zugänge, und sie führen letztlich nicht weiter.

Interessant ist natürlich, dass das etablierte Christentum alle diese Zugänge rabiat verteufelt hat. Das ist verständlich, weil natürlich auf diese Weise eigene Zugänge eröffnet werden, die der Offenbarungswahrheit radikal widersprechen. Ganz spürbar wird das an der Verteufelung von Peyote, dem Peyote-Kaktus durch die christlichen Missionare und durch die Spanier und Portugiesen und Andere, die in Mittelamerika herrschten.

„Seit der Ankunft der ersten Europäer in der Neuen Welt hat Peyote immer wieder Diskussionen, Unterdrückung und Verfolgung hervorgerufen. Die Pflanze wurde schon von den spanischen Eroberern, wegen ihrer teuflischen Durchtriebenheit“, Zitat, „verurteilt und vor nicht allzu langer Zeit wieder von den Behörden und von religiösen Gruppen in Amerika ange­griffen.“ Immer wieder, eine ganz entscheidende Polemik des etablierten Christentums ist es immer, derartige Zugänge grundsätzlich zu verteufeln. Das ist … also, daran hat sich nichts geändert, bis heute. „… Vor nicht allzu langer Zeit wieder von den Behörden und religiösen Gruppen in Amerika angegriffen. Dennoch spielt die Pflanze nach wie vor eine große Rolle bei den heiligen Handlungen der mexikanischen Indianer. Ihre Verwendung hat sich in den letzten hundert Jahren sogar bis zu den Stämmen in Nord­amerika ausgedehnt. Die Hartnäckigkeit, mit der sich der Peyote-Kult behauptet und zunehmend verbreitet hat, stellt ein fesselndes Kapitel in der Geschichte der Neuen Welt dar, gleichzeitig auch eine Herausforderung an Anthropologen, Psychologen, Botaniker und Pharmakologen, die Pflanze und ihre Substanzen ihrer Wirkung auf den Menschen zu erforschen.“ Von Philosophen ist hier nicht die Rede. Offenbar geht man von vornherein davon aus, dass Philosophen hier[zu] nichts zu sagen haben. Haben sie auch meistens nicht, die meisten jedenfalls nicht. Aber es ist trotzdem wichtig, dass man sich auch als Philosoph dieser Frage widmet. Das tue ich ja. Und dass man auch eine philosophische Herausforderung darin sieht, denn die besteht. Es ist eine philosophische Herausforderung, der man sich stellen kann und auch stellen soll, das ist letztlich die Frage nach der Wirklichkeit und die Frage nach dem Bewusstsein.

„Wir können in diesem wolligen mexikanischen Kaktus ein Musterbeispiel für ein Halluzinogen der Neuen Welt sehen. Peyote war eine der ersten von den Europäern entdeckten Drogen und zweifellos die aufregendste der Visionen auslösenden Pflanzen, auf die die spanischen Eroberer stießen. Sie bildet einen festen Bestandteil der religiösen Zeremo­nien der Eingeborenen. Die Bemühung der Europäer, diese Praktiken zu unterbinden, bewirkten, dass sie nur noch heimlich in den Bergen abge­halten wurden, wo sich der Brauch aber bis heute behauptet hat.“

Dann wird darüber spekuliert, wie alt dieser Peyote-Kult ist. Das weiß keiner. Die Schätzungen gehen bis auf 2000 Jahre. Und es ist interessant, dass, wie ich das gesagt habe, diese Verteufelung von Seiten der etablierten Religionen ganz massiv vorgetragen wurde. Das ist verständlich, weil natür­lich, wenn es diese Zugänge gibt, wenn man auch nur die Möglichkeit einräumt, dass es eigenständige Zugänge dieser Art geben könnte, sozu­sagen eigenmächtige Offenbarungen, dann stellt sich natürlich die Frage nach der Offenbarung überhaupt vollkommen neu. Und diese Verteufelung hat sich natürlich auf vielfältige Weise bis in die Gegenwart hinein fortge­pflanzt und bestimmt auch immer noch das Klima.

„Die meisten frühen Aufzeichnungen aus Mexiko stammen aus der Hand von Missionaren, die sich dem Peyote-Gebrauch in den religiösen Handlungen der Indianer widersetzten. Für sie hatte Peyote im Christentum keinen Platz, weil damit heidnische Vorstellungen verbunden waren.“ McKenna interpretiert das vollkommen eindeutig. Das Christentum mit seiner einseitigen Gottesvorstellung habe die alte planetarisch-kosmische Intelligenz von Gaia verleugnet und im Bunde mit der mental-rationalen Ichhaftigkeit letztendlich die Menschheit in die völlige Neurose gebracht, in die herrschende Pathologie. „Für sie hatte Peyote im Christentum keinen Platz, weil damit heidnische Vorstellungen verbunden waren. Die Intoleranz der spanischen Kirche, die keinen anderen Kult neben dem ihren duldete, führte zu strengen Verfolgungen, sogar rabiat mit polizeilichen Mitteln wurde da vorgegangen. Aber die Indianer gaben ihre während Jahrhun­derten gepflegte Tradition nicht so leicht auf. Die Unterdrückung von Peyote dauerte lange Zeit an. So publizierte ein Geistlicher bei San Antonio, Texas, im Jahre 1760 ein Handbuch, in dem unter anderem folgende Fragen an die zu Bekehrenden standen.“ Ich lese Ihnen das mal vor. Ich habe mir das hier angestrichen, weil das bezeichnend ist, also die zu Bekehrenden wurden folgendermaßen gefragt: „Hast du Menschenfleisch gegessen? Hast du Peyote gegessen? Ein anderer Priester, Padre Nicolas de León, prüfte die Bekehrungswilligen in ähnlicher Weise: Bist du ein Wahrsager? Kannst du Ereignisse voraussehen, indem du Zeichen und Träume deutest oder Kreise und Figuren auf dem Wasser ziehst?“ Offenbar wurde das mit Peyote in Verbindung gebracht. „Bekränzt du Götzenbilder und Altäre mit Blumen­girlanden, saugst du anderen das Blut aus, wandelst du nachts umher und rufst Dämonen zu Hilfe?“ Das sind die alten Verdachtsmomente, die auch schon im Mittelalter den Hexen gegenüber aufgebracht, vorgetragen wurden. „Bekränzt du Götzenbilder und Altäre mit Blumengirlanden? Saugst du andern das Blut aus? Wandelst du nachts umher und rufst Dämonen zu Hilfe? Hast du Peyote getrunken oder anderen zu trinken gegeben, um Geheimnisse zu erfahren oder gestohlene und verlorene Gegenstände wiederzufinden?“ Also das Verdikt, dass derartige Zugänge in die Tiefen des Seins einfach illegitim sind, dass sie aufs Schärfste zu bekämpfen sind.

Nun will ich nicht jetzt in der Phänomenologie weiter fortfahren. Man könnte jetzt viele andere Pflanzen ja auch anführen und die Wirkungsweise im Einzelnen darstellen. Das würde uns jetzt im Moment nichts nützen. Wenn Sie das wollen, müssten Sie das im Einzelnen nachlesen. Viel wichtiger ist jetzt erst einmal die Frage, wenn man das sich vergegen­wärtigt, was ich jetzt in knapper Form und im Hinblick auf Peyote und Datura angedeutet habe: Was heißt das? Man muss hier nochmal, was ich ja immer wieder versuche zu sagen, den Ablauf, den evolutionären Prozess von Bewusstsein überhaupt sich klarmachen. Was heißt das? Ich meine, die Frage bleibt doch: Was wird da eröffnet? Ist es eine archaische, vor-ichhafte, prämentale, sozusagen Unterwelt, die sich da öffnet? Wird der Mensch in gewisser Weise zurückgesogen in eine Seinsstufe, die er im Grunde genommen in seinem evolutionären Prozess überwunden hat? Oder noch schärfer gesagt: Handelt es sich letztlich um regressive Momente? Ist das eine Art von Regression in eine Pflanzennähe, die das Ich gemeinhin überwunden hat?

Ich spreche hier wiederholt von der ontologischen Barriere, die besteht zwischen der Ichhhaftigkeit des Menschen und dem unterichhaften Bewusst-Sein der Pflanzen. Und da ist eigentlich die entscheidende Stelle. Was passiert hier? Handelt es sich um eine regressive Form des Bewusst­seins, die letztlich überschritten werden muss? Werden wir hier überflutet von Strömungen, die letztlich das Ich aufzehren, überwältigen, ja zerstören, in einem dämonischen Sinne? Oder gibt es hier im Sinne von Ken Wilber und Anderen eine höhere Öffnung, eine transmentale Öffnung, sozusagen eine kosmische Öffnung? Oder, was die Sache noch schwieriger macht, vielleicht aber den wahren Sachverhalt am besten beschreibt: Es liegt beides vor.

Diese Wirkungen sind auf eine schwer begreifbare Weise beides. Ich spreche öfter vom sogenanntem mentalen Fenster, und ich habe immer wieder die These vertreten, dass bei bestimmten Überwältigungs­erfahrungen das mentale Fenster in beide Richtungen durchlässig wird, dass also nicht nur eine Durchlässigkeit nach unten passiert, sozusagen in die Unterwelt der Psyche, in die Abgründe auch des Magisch-Mythischen, des Pflanzlich-Tierhaften, genauso eine Öffnung nach oben. Und für das menschliche Bewusstsein in seiner Selbsthaftigkeit am schwierigsten zu verkraften ist, wenn beides gleichzeitig passiert, wenn es also eine Öffnung nach unten und nach oben gleichzeitig gibt, und wenn sich das auf eine schwer entwirrbare Weise ineinanderfügt. Dann ist das Bewusstsein zunächst einmal überfordert.

Insofern ist es verständlich, wenn viele, wenn die gesamte mentale Ichhaftigkeit erstmal darauf aufbaut, die Barriere nach unten und die Barriere nach oben möglichst festzuziehen, das mentale Selbst zu festigen und alle Zugänge nach unten und nach oben erst einmal abzuschneiden.

Das muss man wissen bei dem Thema und alle Erfahrungen, über die man lesen kann, die man machen kann, bestätigen eigentlich immer wieder dieses eine, dass wir offenbar bei den „Pflanzen der Götter“, bei der Tiefenwirkung der psychoaktiven Pflanzen auf eine rätselhafte Weise beides vorliegen haben. Und es öffnet sich sozusagen die Unterwelt, jetzt symbolisch-metaphorisch gesprochen, es öffnet sich aber auch oder kann sich öffnen, eine kosmische Überwelt, und beides überflutet die rationale Ichhaftigkeit, beides überflutet das mentale Fenster und stellt das Ich vor eine extreme Zerreißprobe. Und da ist die entscheidende Stelle der geistigen Arbeit, die geleistet werden muss, wenn man an dieser Stelle weiterkommen will, auch übrigens bei dem elendigen und vielfältig, wie ich schon sagte, kontaminiertem Thema der Frage nach Drogen, nach soge­nannten Drogen überhaupt, muss diese Frage geklärt werden. Und sie ist schwer. Sie ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt auch im Zusam­menhang mit der Frage, kann es so etwas geben wie ein „Neues Eleusis“, wie das ja manche behaupten?

Ich habe mich ja selbst auch in meinem Buch „Was die Erde will“ zu diesen Fragen geäußert. Kann es so etwas geben? Gibt es eine neue Form der Wiederanbindung, der Wiedereingliederung derartiger Zustände in ein anderes Bewusstsein? Oder ist das blanker Illusionismus in Ansehung der herrschenden Bewusstseinslage, der überhaupt keine Basis hat in der Wirk­lichkeit? Ist das pure Ideologie? Das kann man zunächst mal offen lassen. Aber die Frage ist wichtig, gibt es so etwas? Kann man da anknüpfen? Kann man da etwas Neues erschließen, ohne dass man, regressiv sozusagen, dem eigenen Pflanzen-Selbst in diesem Sinne der Öffnung der Unterwelt anheim­fällt? Diese Frage ist weitgehend ungelöst. Ganz naiv, sage ich mal, bei aller doch Wertschätzung auch der Forschungsleistung von McKenna, sind seine Thesen hierzu. Er bringt geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie es nach meiner Überzeugung, wie es gerade nicht geht.

Und ich will das aber in der nächsten Vorlesung weiterführen, weil das jetzt zu weit führen würde. Ich will den Bogen spannen dann, in der letzten Folge im Sommersemester, zu der Frage: Wie können wir eine authentische Verbindung mit den Pflanzen realisieren? Wie können wir, wie ich das mit Ralf Metzner sagen möchte, eine Wiedervereinigung des Heili­gen und des Natürlichen realisieren? Und darum geht es. Kann das Sakrale mit dem Natürlichen in irgendeiner Form zusammengeführt werden? Lässt sich das Natürliche resakralisieren? Dass es entsakralisiert worden ist, das wissen wir alle, das ist die Bewusstseinsrealität nicht erst unserer Zeit. Gibt es da eine Möglichkeit der Resakralisierung, also Wiedervereinigung des Heiligen mit dem Natürlichen? Ich habe das ja genannt: Der „neue Bund von Mensch und Pflanze“ ‒ wie können wir uns den Pflanzen geomantisch, tiefenökologisch und existenziell neu verbinden. Das will ich das nächste Mal aufgreifen und damit auch die Frage nochmal neu stellen und in umrisshafter Form beantworten, ob es die Möglichkeit gibt, eines „neuen Eleusis“ oder ob das in dieser Form letztlich Illusionismus ist.

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