Pflanzen im Bewusstsein der Menschen

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 39

Transkript als PDF:


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Ich habe das heute genannt, „Die Pflanzen im Bewusstsein der Menschen ‒ zur Phänomenologie und Geschichte einer Grundkonstellation“. Ich will einleitend ein kleines, heiteres Aperçu, wenn man das so nennen will, Ihnen vorstellen mit Blick auf die vor uns liegende Nacht, die sogenannte Walpurgisnacht. Sie wissen, die Nacht vom 30. April zum 1. Mai ist die sogenannte Walpurgisnacht, wo allerlei geschieht oder geschehen kann, absonderliche Dinge, siehe Goethe, „Faust I“, aber nicht nur dort. Eines der Bücher, das ich im Literaturverzeichnis aufgenommen habe, das ich für sehr ergiebig halte für die ganze Thematik Mensch und Pflanze stammt von Wolf-Dieter Storl, ein exzellenter Pflanzenkenner … es gibt diese Pflanzen-Devas. Und heute Nachmittag stieß ich auf zwei Stellen hier, die sich beziehen auf die Walpurgisnacht. Das möchte ich Ihnen kurz, ich sage es noch mal, als heiteres Aperçu vorlesen, vielleicht als kleine Anregung für diese Nacht oder auch wie immer. Da heißt es in dem Abschnitt über Philanthropen, es geht um echte Heilpflanzen und Nahrungspflanzen. Da ist in Abschnitt Zwei, Nachtschattengewächse: „Ihnen verdanken wir Nahrungspflanzen wie Kartoffeln, Tomaten, Eierfrucht, Aubergine, Gewürze wie Paprika und Cayenne-Pfeffer und auch Genuss- und Rauschgifte wie Tabak, Bilsenkraut, Stechapfel oder Tollkirsche. Letztere sind richtige Zauberpflanzen. Ohne Tabak wagte kein Indianer den Geistern nahezutreten. Bilsenkraut und Tollkirsche, bekanntlich Bestandteil der Hexensalben, lockern die Seele vom Leib und lassen sie“ ‒ hier ist jetzt, was die Walpurgisnacht-Geschichten schildern ‒ „in der Astralwelt herumflattern. Dieser Familie wurde der Name ,Nachtschattenʻ gegeben, weil die giftigsten unter diesen Pflanzen der Seele Augen verleihen, mit denen die Schatten oder Schatten der Nacht sichtbar werden.“

Darüber werden wir noch sprechen, dass bestimmte Pflanzen, eingenommen, wie immer, auch in der Lage sind, Grenzzustände des Bewusstseins zu induzieren, die sogenannten „psychoaktiven Pflanzen“, auf die er sich hier bezieht, in diesem Falle auf Bilsenkraut, Tollkirsche und Stechapfel. Eine zweite Stelle: „Acht Liliengewächse, Lilienzwiebeln, Knoblauch, Lauch, Porree und Schnittlauch sind vitaminreich und stärken unsere Abwehrkräfte. Zudem sollen sie böse Geister vertreiben. Jeder Dracula-Fan weiß, hält Knoblauch die Vampire fern, und wer zu Walpurgis eine kräftige Bärlauch-Suppe isst, dem wird keine Hexe ein Leid antun können.“ Also das wäre sozusagen das Antidot dazu, die Bärlauch-Suppe. Das zuvor, ein Buch, was ich immer wieder heranziehen werde und Ihnen wirklich wärmstens ans Herz oder an die Seele lege, „Pflanzen-Devas“, hier noch in der alten Ausgabe von 1997, ich habe es im Literaturverzeichnis angegeben unter der neuen Ausgabe von 2001 mit einem geringfügig veränderten Titel „Pflanzen-Devas ‒ die geistig-seelischen Dimensionen der Pflanzen“.

Ich habe vor einer Woche ein Element unseres kollektiven Bewusstseins heute hervorgehoben, das ich genannt habe, „die kollektive Verlegenheit“ im Hinblick auf den jetzt aufbrechenden, aufquellenden, uns vielfältig durchströmenden und durchwaltenden Frühling. Wahrnehmungen dieser Art ergreifen viele Menschen, durchfluten sie gewissermaßen, aber es gibt eine Scheu, eine Hilflosigkeit auch, ein sprachliches Unvermögen, sich diesen Phänomenen auf eine adäquate Weise zu stellen, d. h. sie im sozial verbindlichen Raum wirklich zur Sprache zu bringen. Das ist der Punkt, das wissen wir alle, dass es diese Art kollektive Verlegenheit gibt, und allein das ist ein Zeichen für ein tiefgreifend gestörtes, neurotisch abgespaltenes Verhältnis zu diesen rätselhaften Wesen, die auf dieser Erde sich anfinden, nämlich den Pflanzen.

Ich habe eine Stelle gefunden heute Nachmittag in einem ganz anderen Buch, das auch noch einmal diesen Punkt anklingen lässt, mit einer anderen Sprache, aus einer anderen Perspektive. Das ist von Rupert Sheldrake „Wiedergeburt der Natur“ von 1991, da äußert er sich auch zu diesem Punkt. Ich darf das mal kurz vorlesen: „Auch moderne Städter möchten nicht ganz ohne Pflanzen und Tiere sein. Millionen von Menschen halten sich Hunde, Katzen und andere Haustiere. In Großbritannien kommen unzählige Tauben-Narren hinzu, die häufig eine sehr enge Beziehung entwickeln zu den Tieren, die sie selbst züchten und in die Wettkämpfe schicken. Millionen von Haushalten verfügen über liebevoll gepflegte Gärten und Gärtchen, und Topfpflanzen gibt es fast überall.“ Das wissen wir, man könnte zunächst einmal vordergründig von einer sehr intensiven seelisch-geistigen Beziehung des Menschen zu den Pflanzen sprechen, wenn man das als Maßstab nähme. „Zu Darwins Zeiten wurde nicht so scharf getrennt zwischen ernsthafter wissenschaftlicher Forschung und der eher von Amateuren betriebenen Naturgeschichte. Darwin selbst war solch ein Naturkundler. Er lebte als Privatgelehrter ohne akademische Stellung. Die Professionalisierung der Biologie, die Ende des vorigen Jahrhunderts begann, also des 19. Jahrhunderts, hat jedoch inzwischen eine tiefe Kluft entstehen lassen zwischen den akademischen und sehr auf ihre Karriere bedachten Naturwissenschaftler einerseits und den Naturkundlern, die einfach aus Liebe zur Sache forschen, andererseits. Beim Amateur geht man generell davon aus, dass seine Kenntnisse und Erkenntnisse an die der akademischen Wissenschaft nicht heranreichen.“ Das ist Konsens allgemein, Du weißt nichts, der Experte weiß alles. „Mir scheint das Gegenteil zuzutreffen. Die Erkenntnis des Naturkundlers, die aus einer innigen Beziehung zur Natur erwächst, ist tiefer und wahrer als die Fakten, die man mittels distanzierter mechanistischer Analyse gewinnt. Im Idealfall ergänzen und erhellen die unmittelbare Erfahrung des Naturliebhabers und die systematischen Forschungen des professionellen Wissenschaftlers einander. So hat sich bei der Erforschung des Vogelzugs eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Amateur-Ornithologen ergeben. Erkenntnis, die wir aus der Erfahrung von Pflanzen und Tieren gewinnen, ist nicht etwa ein minderwertiger Ersatz für wissenschaftliches Faktenwissen, sondern das Eigentliche und Primäre. Nur direkte Erfahrung führt uns über das rein intellektuelle Verstehen hinaus zu einem intuitiven und praktischen Erfassen der Dinge, an denen nicht nur der Verstand, sondern auch Herz und Sinne beteiligt sind.

Auf dem Land, im Wald, in den Bergen, an der See, irgendwo in der Natur finden wir manchmal eine direkte Verbundenheit mit der Lebendigkeit der Welt, und es ist wichtig, diese unmittelbare Naturerfahrung zur Kenntnis zu nehmen. In seltenen Fällen hat dieses Gefühl tiefer Übereinstimmung die Kraft mystischer Erfahrung voller Licht, Staunen und Freude. Sobald wir aber in den Alltag zurückkehren, sind wir versucht, solche Erfahrungen als bloß subjektiv ad acta zu legen, als etwas, das nur in uns selbst stattfand, aber keine reale Teilhabe an einem größeren Lebensganzen darstellte. Wir sollten dieser Versuchung widerstehen. Unsere intuitive Naturerfahrung ist realer und direkter als alle Theorien, die mit der Mode kommen und gehen.“ Und so weiter.

Das wird [uns] noch immer wieder beschäftigen, dass eine wesentliche Dimension in dem Bemühen, so etwas wiederzugewinnen wie eine authentische Beziehung mit den Pflanzen, dass da die eigene ganzheitliche, integrale Erfahrung zentral ist. Das heißt nicht, dass die Theoriebildungen, Modelle unwichtig wären, aber das Primäre ist zunächst einmal die unmittelbare, ganzheitliche Erfahrung, die den Einzelnen auch unmittelbar betrifft, die ihn unmittelbar ergreift als ganzen Menschen. Das wird uns immer wieder hier beschäftigen.

Es gibt ein berühmtes Fragment des griechischen Philosophen Herakleitos bzw. Heraklit, das sehr bekannt ist und das ich hier anführen möchte: „Die Natur liebt es, sich zu verbergen.“ Natur hier verstanden, gedacht als Physis. Ich habe Ihnen das erläutert, was Physis im Altgriechischen bedeutet, nicht das im engeren Sinne, was heute Natur ist. „Die Natur liebt es, sich zu verbergen.“ Hierzu findet sich eine ganz interessante Passage bei Gernot Böhme, diesmal nicht aus dem Buch „Phänomenologie der Natur“, das ich das letzte Mal erwähnt habe, sondern aus einem anderen Buch „Natürlich Natur ‒ über Natur und Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“. Er greift diesen Satz des Heraklit auf und gibt ihm eine für unseren Zusammenhang sehr aufschlussreiche signifikante Wendung. Gernot Böhme schreib: „Eine der frühesten Formulierungen der von uns betrachteten Art ist wohl der Ausspruch des Heraklit ,Die Natur liebt es, sich zu verbergenʻ. Dieser Satz enthält eine innere Spannung, um nicht zu sagen einen Widerspruch, weil Natur, das griechische Wort ist Physis, ja selbst das Aufgehende, das Hervortretende meint.“ Das griechische Wort „Physis“ kommt von „phyain“, „blühen“, das hatte ich erwähnt, „aufgehen“. Das lateinische Wort „Natur“ von „nasci“, „geborenwerden“. „Diese innere Spannung ist von Heidegger auch an einem anderen Spruch des Heraklit nachgewiesen worden, der da lautet ,Wie könnte sich einer vor dem niemals Untergehenden verbergen?ʻ, bestimmt zusammen mit der Grundauffassung des Heraklit von der Natur, dass sie nämlich eine Harmonisierung von Gegensätzen sei. In seinem Spruch ,Die Natur liebt es, sich zu verbergen.ʻ bringt er eine solche Grunderfahrung mit der Natur zum Ausdruck, dass sie nämlich in ihrem überwältigenden, Sich-zeigen“ ‒ und jetzt der entscheidende Satz ‒ „dass sie nämlich in ihrem überwältigenden Sich zeigen zugleich dunkel bleibt und das Eigentliche häufig verschließt. [Was] für eine eigenartige Paradoxie: auf der einen Seite ein ungeheureres Sich-zeigen, wie ja jetzt auf eine überwältigende Weise im Frühjahr, dieses Sich-zeigen ist aber zugleich dunkel und verschließt das Eigentliche. Auch hier handelt es sich offenbar um die Nennung eines Charakterzuges der Natur, der zugleich die Summe von Erfahrung zieht, von einer Maxime zur Untersuchung der Natur darstellt.“

Das kann man generell zeigen, dass Pflanzen als ein wesentliches Element dessen, was wir auch alltagssprachlich als Natur bezeichnen, auf der einen Seite sich entbergen und gleichzeitig auch verbergen. Das Entbergen ist immer auch ein Verbergen. Das ist einerseits zeitlich, im zyklisch-rhythmischen Ablauf des Jahres, der Jahreszeiten, jedermann geläufig. Aber das gilt auch grundsätzlich, prinzipiell, für jedes Phänomen, für die Knospe, für die Blüte, für das Blatt und vieles mehr. Immer ein Entbergen und ein Verbergen. „Geheimnisvoll offenbar“ nannte das Goethe mit einer sehr treffenden Formulierung, nicht, „geheimnisvoll Offenbares ist offenbar jedermann zugänglich, phänomenologisch erschließbar. Zugleich deutet es auf etwas, was nicht zur Erscheinung kommt.“

Der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson, stark beeinflusst von der deutschen Philosophie, hat Mitte des 19. Jahrhunderts in einem großen Essay „Nature“ diesen Punkt ganz zentral herausgehoben. Natur enthüllt sich, verspricht, kündigt gewissermaßen etwas an, aber verbirgt sich dann, taucht dann wieder ab in das Rätsel, in das Mysterium, in das nicht Offenbare. Sie ist Erfüllung und Versprechen gleichzeitig, sie erfüllt sich niemals selbst, sie regt im Menschen etwas an, was sie gewissermaßen übersteigt, was sie gewissermaßen transzendiert.

Nun wollte ich heute sprechen über den Zusammenhang von Pflanzen im Bewusstsein der Menschen und Bewusstseinsgeschichte. Das ist ein so riesiges Thema, dass man sich beschränken muss auf einige Aspekte, die ich auch bringen will. Ich will mich beschränken auf den Zusammenhang bzw. auf den Bruch, wenn man das so nennen will, des mythischen Bewusstseins, am Beispiel der Pflanzen, hin zum mentalen, zum rational ichhaften Bewusstsein. Das kann man sehr schön zeigen an einem weltberühmten Mythos, den Richard Strauss zu einer Oper gefasst hat, geformt hat, das habe ich letztes Mal schon angedeutet, nämlich zu der Oper „Daphne“. In dieser „Daphne“ geht es ja zentral um einen mythischen Stoff. Dazu gleich mehr. Daphne ist eine Nymphe, die in der Flucht, in der Flucht vor Apollon, der ihr nachstellt, sich verwandelt in einen Lorbeerbaum, also [es geht] um eine Verwandlung eines nichtmenschlichen Wesens, aber auch nicht rein göttlichen Wesens, die Nymphen sind halbgöttliche Wesen, in diesem Falle eines Baumwesens. Das Baumwesen flieht vor Apollon und verwandelt sich in einen Lorbeer.

Zunächst zu den Nymphen. Ich habe mich da noch einmal ein bisschen sachkundig gemacht, um das Ihnen möglichst umfassend darzustellen. Zu den Nymphen. Karl Kerényi, der große große Mythenforscher, äußert sich in seinem Buch „Griechische Mythologie“ zu den Nymphen. Das ist ganz zentral wichtig für das Mensch-Pflanze-Verhältnis in der mythischen Sphäre. Darauf will ich jetzt primär eingehen, auf die mythische Sphäre und dann den Schritt machen zu jenem rätselhaften Bruch vom Mythischen zum Mental-Ichhaften, einem Bruch, dem wir ja letztlich als Bewusstseinswesen entstammen und, von dem wir tief beeinflusst und durchdrungen sind. Nymphen, das Wort „Nymphe“ bedeutet „ein weibliches Wesen“, sagt Kerényi, durch das ein Mann zum Nymphios, das heißt zum Glücklichen, am Ziel seiner Männlichkeit angelangten Bräutigam wird. Die Bezeichnung gebührte einer großen Göttin ebenso wie einem sterblichen Mädchen, [es] wurde aber von einem Wesen nur gesagt, dass es eine Nymphe sei, und selbst wenn es ausdrücklich Göttin und Tochter des Zeus hieß, so war darin die Unvergänglichkeit der großen Götter noch nicht mit einbegriffen. Ewig waren zum Beispiel die Nereiden, die den Nymphen am nächsten standen, ewig wie das Meer, ihr Element. Doch jene unter den Wassernympfen, Najaden oder Najades, die zu Quellen und nicht zu größeren Gewässern gehören, waren ebenso wenig unvergänglich wie die Quellen selbst. Noch weniger waren es die Nymphen, die mit Wald und Wiese, besonders mit einzelnen Bäumen verbunden waren, wie die Dryaden oder Hamadryaden, die Eichen-Nymphen.
… und der Gedanken, die in vielerlei Hinsicht heute in den letzten 20, 25 Jahren wieder ins Bewusstsein gezogen werden, gerade im Zusammenhang mit den Bemühungen, diese tiefere Dimension der Pflanzen, unter anderem auch der Bäume, wiederzufinden. „Sie starben mit ihren Eichen. Es gab eine alte Berechnung der Lebensdauer der Nymphen.“ ‒ kann ich jetzt auslassen ‒ „ähnlich hieß es schon in der Erzählung von Aphrodite und Anchises, wo die große Göttin ihren sterblichen Sohn den Nymphen des Ida-Gebirges, tiefbrüstigen Göttinnen anvertraute, denn häufig als Mütter waren die Nymphen Ammen der Götter und Helden, Stellvertreterinnen der Mutter und deren Doppelgängerin. Sie sind weder Menschen noch Unsterbliche, so lautete es in jener Erzählung. Sie leben lang, nähren sich von Ambrosia und tanzen mit den Göttern ihren Reigen. Mit ihnen treiben die Selene und Hermes das Liebesspiel in den Winkeln der lieblichen Grotten. Fichten und Eichen begannen zu wachsen bei ihrer Geburt und gediehen wie sie. Mächtig stehen die Bäume, Götterhaine nennt man sie, weil die Sterblichen hüten sich, sie mit Eisen zu berühren. Doch wenn das Schicksal ihnen den Tod bringt, verdorren zuerst die schönen Bäume. Sie verlieren ihre Rinde, die Zweige brechen ab, und damit verlässt auch die Seele der Nymphen das Sonnenlicht.“

Also wenn die Nymphen sterben, dann manifestiert sich das für das sterbliche Auge als das Sterben der Bäume. „Man ersieht aus diesen Worten, wie die Nymphen zuerst mit den Bäumen der Götterhaine in Verbindung traten, vor allem mit Bäumen, die einer größeren Göttin lieb waren und auch deren Leiden, so wurde erzählt, der Göttin selbst weh taten. Früher wie später erschienen die Nymphen auch ganz für sich schönen Angesichts mit langen Gewändern bekleidet, von Hermes angeführt, meist drei an der Zahl.“ Im Daphne-Mythos ist nun … Karl Kerenyi, der berühmte Mythen-Jugendforscher und Freund Thomas Manns, der sich ja mit dem griechischen Mythos intensiv beschäftigt hat in seinem Buch „Griechische Mythologie“, schreibt dies über die Nymphen.

Nun erzählt die Oper von Richard Strauss ja einen ganz spezifischen Mythos, in dem es um die Nymphe Daphne geht, die, wie ich schon gesagt habe, sich in einen Lorbeerbaum verwandelt, eine magische Metamorphose in die Pflanze, in den Baum. Dazu heißt es, auch das habe ich mir noch mal rausgeschrieben aus dem „Lexikon der antiken Mythen und Gestalten“ von Michael Grant und John Hazel über Daphne. Das muss ich vorabschicken, um dann den Bogen zu spannen von der von Richard Strauss behandelten Geschichte, die mir dann den Anhaltspunkt gibt, um das Mensch-Natur-Verhältnis im Mythos abzugrenzen zum Rational-Mentalen. „[Daphne ist eine] Nymphe, Tochter des thessalischen Flusses Peneios, eine jungfräuliche Jägerin, die 18 ist. Es gibt zwei Geschichten über Daphne. In der ersten verliebte sich Leukippos in sie. Da er doch ihre Unerbittlichkeit erkannte, verkleidete er sich als Mädchen, um in ihrer Nähe sein zu können. Sein Haar ließ er ohnehin lang wachsen zu Ehren des Flusses Alpheios. Nun nannte er sich Oino und bat mit Daphne zusammen jagen zu dürfen. Sie willigte ein. Der eifersüchtige Apollon gab ihren Gefährten den Gedanken ein, zu baden und als der als Oino verkleidete Leukippos nicht mitbaden wollte, entkleideten sie ihn. Als sie sein Geschlecht entdeckten, brachten sie ihn für seinen Betrug um.

Nach der zweiten bekannteren Geschichte über Daphne vermochte auch Apollon selbst nicht, sie zu gewinnen. Weil der Eros, den Gott der Liebe, verspottet hatte, musste sich Apollon in Daphne verlieben. Eros schoss zwei Pfeile vom Parnass ab. Der eine durchbohrte Apollons Herz mit seiner vergoldeten Spitze und machte ihn wahnsinnig in Liebe nach Daphne. Der andere Pfeil war stumpf und hatte eine Spitze aus Blei und machte Daphne für jeden Liebhaber unzugänglich. Apollon verfolgte sie durch die Wälder, bis er sie an den Ufern von ihres Vaters Fluss Peneios beinahe eingefangen hätte.“ Jetzt kommt die entscheidende Szene, die ja letztlich das Ganze aufbaut. „Sie schickte ein Stoßgebet um Rettung zu dem Flussgott, schlug augenblicklich Wurzeln und verwandelte sich in einen Lorbeerbaum, dem sie ihren Namen gab. Apollon musste sein Werben aufgeben, aber als Gott der Musik und des Bogens bestimmte er, dass künftig ein Lorbeerkranz seine Leier, seinen Köcher und das Haupt der Sänger zieren sollte.“ Diese Oper, übrigens läuft sie immer noch in der Deutschen Oper, seit drei Jahren, ein wunderbares musikalisches Werk von Richard Strauss und einer gelungenen, suggestiven, magisch schwirrenden Musik, sehr zu empfehlen, weil Richard Strauss hier den Versuch macht, der gelingt, ein Verwandlungsmysterium eines menschenähnlichen Wesens, in diesem Falle der Nymphe, auch in Musik zu versetzen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, wenn diese Oper eine Unterzeile hätte oder tragen könnte, dann könnte diese auch lauten: „Der Mensch, das Licht und die Pflanzen“, denn es geht letztlich um den Menschen, in diesem Falle um Loikippos, es geht um das Licht Apollon, der auftritt, es geht um den Lorbeerbaum, in den sich Daphne verwandelt. Am Ende gibt es diese wunderbare Verwandlungsmusik, übrigens interessant, sie steht in Fis-Dur, nur eine kleine musikologische Randbemerkung.

Vielleicht kennen einige die berühmte Aussage von Franz Schubert, der Ton Fis repräsentiere die Farbe Grün. Das ist viel umrätselt, man hat viel darüber spekuliert, was meint Schubert damit? Wieso sagt er, die Note Fis sei grün oder repräsentiere Grün? Ist das ein Aperçu? Liegt dem ein tieferes Ahnen zugrunde? Wir können dazu direkt nichts sagen. Auf jeden Fall, die Verwandelungsmusik am Ende ist in Fis-Dur. Also Apollon verfällt in Liebe zu Daphne. Leukippos liebt Daphne. Diese beiden Männer werden Rivalen. Der Gott und der sterbliche Mensch. Beiden verweigert sie sich. Sie flieht. Apollon ist auch gleichzeitig das Licht und schließlich flieht sie, Leukippos wird getötet, und in ihrer Verzweiflung verwandelt sie sich in diesen Lorbeerbaum. Und dann gibt es diese eigenartige, rätselhafte Musik am Ende, die im Werk von Richard Strauss eine Einmaligkeit darstellt. Ich habe hier mal das Programmheft mitgebracht der Deutschen Oper. Da wird diese Musik am Ende wunderbar beschrieben: „… in der Singstimme mit einzelnen solistisch behandelten Instrumenten, vor allem der Holzbläser, konzertiert. Hier sind behutsame Regungen und Stimmungen der Naturverbundenheit in Klänge gefasst, die man nicht so leicht vergisst. Wo findet sich bei Strauss ein Klangbild, das sich mit dem eigentlichen Croma des stillen Naturfriedens von Daphnes Verwandlung in den Lorbeerbaum vergleichen ließe? Wie sich diese Metamorphose musikalisch in schleierzartem Fis-Dur vollzieht, der Klang aus dem reinen … immer mehr in das vielverästelte Farbenflimmern der geteilten Streicher, der Harfe und der übrigen Instrumente sich aus- und auflöst, schließlich aufgenommen und fortgesponnen in den vogelhaft zwitschernden Koloraturen des freischwebenden Soprans. Das ist Empfindung, die Empfindung Gleichnis der großen Offenheit der Natur in meisterlicher Formgebung.“ Und so weiter. Auf jeden Fall ein faszinierendes Beispiel, wie künstlerisch, musikalisch ein solches Verwandlungsmysterium dargestellt ist, anhand eines Stoffes aus dem antiken Mythos.

Und nun muss man grundsätzlich sich erst einmal im Klaren werden: Was ist eine solche Pflanze? Was sind Pflanzen überhaupt in der griechisch-mythologischen Vorstellung, um dann den entscheidenden Bruch zu verstehen, der sich abgezeichnet hat hin zum Mental-Rationalen.

Ich habe eine Stelle gefunden, die ich Ihnen vorlesen möchte von Hermann Schmitz, die zunächst einen ganz anderen Zusammenhang hat. Hier ist nicht von Pflanzen die Rede, nicht von Natur im engeren Sinne, aber hier ist von diesem Bruch die Rede, der sich vollzogen hat, von der mythischen Welt, von dem Mythischen In-der-Welt-sein, das eine ganz eigene Beziehung auch zum Pflanzlichen beinhaltet, das Pflanzliche immer als beseelt, immer als selbstlebendig. Das ist zentral wichtig. Die Natur, die Pflanzen in der mythischen Welt, ist immer das Selbstlebendige, das ist niemals das Draußen, niemals das Objekthafte für die Subjekthaftigkeit des Menschen, das ist immer das dialogisch mit dem Menschen Kommunizierende, das Andere seinerselbst in einem lebendigen Wechselspiel, also das Selbstlebendige. Sehr schön hat das, bevor ich den Schmitz vorlese, Wolfgang Schadewaldt mal in einem seiner Bücher formuliert. In seinen „Tübinger Vorlesungen“, 1978, schreibt er dazu: „Entscheidend müssen wir nur hervorheben, dass auch für diesen nüchternen griechischen Denker ‒ selbst noch für eher rational geprägte Denker ‒ die Natur immer das lebendige Handeln ist, nie Objekt wird, sondern immer ein Du, nicht bloß ein Es. Die Pflanzen als ein Du, als ein lebendiges Gegenüber, mit dem es zu einer lebendigen seelisch-geistigen Interaktion kommt. Kein Es, das abstrahierend oder objektivierend da draußen hingestellt werden könnte. Sie, die Natur, auch die Pflanzen, wird als göttlich verstanden. Nicht einfach, dass sie ein Gott sei. Dazu ist sie zu unbestimmt. Sie ist ein Prinzip, und das nennen die Griechen nicht Gott. Aber neben den Göttern gibt es andere fruchtbare Aspekte auf das Seiende hin, indem wir das Ganze des Seienden unter diesem Aspekt sehen, als ein sich entfaltenes Wachsen und Walten, das heilig und göttlich ist, haben wir die Naturvorstellung, die bei den Griechen gültig bleibt bis zum Ende der Antike und damit auch die mythische Vorstellung.“ Also selbst bei den Philosophen, die das Mythische im engeren Sinne überschreiten, finden sich noch Restbestände des mythischen Bewusstseins, was die Natur und die Pflanzen betrifft. „Der größte Unterschied des modernen Naturbegriffs von dem antiken liegt darin, dass sie nun säkularisiert wird im christlichen Bereich, zumal bei Descartes mit seiner Trennung von res extensa und res covitans, wo der denkende Geist des Menschen gegenübergestellt wird der ganzen übrigen Welt, zusammengefasst in dem großen abstrakten Begriff der Ausdehnung. Das große, treibende Wesen, bei dem Form und Leben vielmehr zusammengehört wird jetzt zur Materie unter dem Aspekt der Ausgedehntheit, noch dazu nicht mehr göttlich durchwaltet, sondern nur Schöpfung.“ Und so weiter.

Was für uns Heutige das so schwierig macht, uns in eine Bewusstseinsform auch mehr versuchsweise hinein zu verlieren, allenfalls vielleicht im Künstlerisch-Musikalischen, liegt darin, dass wir Erben einer geistig-seelischen Entwicklung sind, die wir kaum noch als solche infrage stellen und kaum noch als solche überhaupt durchschauen. Man muss erstmal diesen Punkt begreifen, um dann in tiefere Schichten vorzudringen. „Unter der Abstraktionsbasis einer Kultur“, schreibt Hermann Schmitz in diesem wunderbaren kleinen Buch „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, „verstehe ich“ ‒ schreibt er ‒ „die zähprägende Schicht vermeintlicher Selbstverständlichkeiten zwischen der unwillkürlichen Lebenserfahrung einerseits, den Begriffen, Theorien und Bewertungen andererseits den Filter bilden, der in jedem Bewusstsein zunächst erstmal vorhandenen ist, ein geschichtlich bedingter und geprägter Filter.“ Ein Filter, der jede Naturwahrnehmung, jeder Pflanzenwahrnehmung tagtäglich ständig bestimmt. „Die Abstraktionsbasis entscheidet darüber, was so wichtig genommen wird, das durch Worte und Begriffe Eingang in Theorien und Bewertungen findet. Die Abstraktionsbasis einer Kultur wird teilweise durch die Suggestionskraft sprachlicher Strukturen, zum anderen durch epochale geschichtliche Prägung bestimmt.“ ‒

Jetzt sehr schön ‒ „Wir stecken gleichsam in einem Urwald geschichtlicher Vorprägungen, der nicht durch den bloßen Entschluss zur Unbefangenheit in freies Feld verwandelt werden kann.“ Das geht so naiv im Schnellverfahren nicht. Also der bloße Entschluss, hier unbefangen zu sein allein, führt so zunächst nicht weiter. „Vielmehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzungen zu sein.“ Was schwer ist, weil das moderne Denken, unser aller Denken bis zu einem gewissen Grade ja genau auf diesen Voraussetzungen basiert. Die ganze neuzeitliche Naturwissenschaft, auch die Biologie basiert ja zunächst einmal auf diesen geschichtlich geprägten Voraussetzungen. „Deswegen ist Phänomenologie nur im Zusammenhang mit kritisch-historischer Einstellung sinnvoll. Diese muss für die Zwecke der Neuen Phänomenologie“ ‒ sagt er jetzt hier ‒ „ohne auf Pflanzen und Natur sich zu beziehen“ ‒ kann man trotzdem für unseren Zusammenhang fruchtbar machen ‒ „diese muss für die Zwecke der Neuen Phänomenologie hauptsächlich den für die prägende Dominanz in der europäischen Intellektual-Kultur entscheidenden Paradigmenwechsel bei den Griechen in der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts ins Auge fassen.“

Da ist eine Schlüsselstelle. Grob gesagt, ein halbes Jahrtausend vor der Zeitenwende bemerkt man einen Bruch. Das kommt leider nicht genügend deutlich in der Antiken-Ausstellung, die jetzt im Martin-Gropius-Bau [Ausstellungsort in Berlin] zu sehen ist, zum Ausdruck, kommt implizit heraus, wird aber nicht klar genug artikuliert in den Exponaten und in den jeweiligen Erklärungen. Also wenn Sie die Ausstellung vielleicht gesehen haben, werden Sie das nachvollziehen. Dieser Bruch kommt nur implizit heraus. „Die meisten Versuche, sich durch das Labyrinth der Verkünstelungen des Denkens und Wollens historisch zurückzutasten, brechen viel früher ab, nämlich bei den großen Barockdenkern des 17. Jahrhunderts wie Francis Bacon, Hobbes, Galilei, Descartes und Leibniz. Diese Denker haben keine neue Abstraktionsbasis gelegt, sondern auf der ererbten weitergebaut, um durch Formulierung des Prinzips und der Methode der Weltbemächtigung“ ‒ den Begriff hat er von Heidegger übernommen ‒ „das in der längst etablierten Perspektive schlummernde Potenzial in der folgenden Explosion des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts zu befreien. Indem man sich davon mitreißen ließ, ist die Verkünstelung inzwischen so weit gediehen, dass das Denken den Spezialisten der Computermanipulation und das Zeugnis vom Sichbefinden und Zumutesein der Menschen dem nahezu ausgestorbenen Volk der Dichter überlassen werden muss. Diese Scherung ist gefährlich, weil es unter der Oberfläche der Rationalisierung die ungesichtete Dynamik des affektiven Betroffenseins staut und irgendwann unkontrolliert durchbricht, zum Beispiel in Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus.“

Interessant, seine These hier, kann man hier nur am Rande mal berühren. Dass gerade weil in der herrschenden Abstraktionsbasis diese ganzheitlich-leiblichen, integralen Momente unterpflügt worden sind, dass gerade dadurch diese Elemente in der Tiefe, tiefenpsychologisch gesprochen, neurotisieren und dann ein gefährliches Aggressionspotenzial darstellen. „In der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, kurz vor Platon und Aristoteles, ereignet sich im europäischen, das heißt hier griechischen Denken, ein Bruch, durch den sich an die Stelle eines archaischen Paradigmas für das menschliche Welt- und Selbstverständnis, ein neues Paradigma setzt, das seither die dominante europäische Intellektual-Kultur bestimmt. Das alte Paradigma bezeichne ich als archaischen Dynamismus. Seine Abstraktionsbasis besteht in vielsagenden Eindrücken, die typisiert und in einem polarisierten Schema von Kräften und leiblich gespürter Grundlage geordnet werden.“ Wichtig ist, dass in dieser mythischen Weltbefindlichkeit, in diesem mythischen In-der-Welt-Sein, das rationale Ich, die mentale Ichhaftigkeit noch nicht jene Stufe erreicht hat, die dann dazu führte, dass das sich quasi selbst ergreifende, zu sich selbst ermächtigende Ich sich nun als getrennt empfindet. Das ist ja eine magische Stelle in der Geistesgeschichte, zu sehen, wo das Ich sich herauskristallisiert, das mentale Selbst sich zu sich selbst hin ermächtigt und dann in gewisser Weise ein Schnitt passiert, eine Abtrennung und dann solche Vorstellungen, wie zum Beispiel eine magische Metamorphose von Wesen ineinander, im Sinne des Daphne-Mythos praktisch unmöglich wird. Das ist also eine ganz entscheidende Stelle, dass man das zunächst einmal grundlegend versteht.

Das Mythische In-der-Welt-sein ist ein Welt-Sein, ist ein In-der-Welt-Sein, was nicht primär rational, mental, ichförmig geprägt ist. Und in diesem Zusammenhang spielen auch die Pflanzen herein. Die Pflanzen sind nicht selbst Götter, aber sie sind göttlich. In ihnen und hinter ihnen webt und waltet ein Göttliches, das Göttliche, zum Beispiel in der Mittagshitze, wenn die Sonne senkrecht steht, das eigentümliche Erscheinen des Pan, das den einzelnen in einen panischen Schrecken versetzen kann und ihn jäh die numinose, sakrale Kraft der Natur erkennen lässt. Alle Pflanzen sind in diesem Sinne göttlich, sie sind sakral, sie sind seelisch-geistig, primär seelisch-geistig. Ihre physisch-sinnliche Erscheinungsform ist nur in gewisser Weise die Auswirkung, das Epiphänomen. Dahinter wirkt ein seelisch-geistiges Prinzip. Das muss man zunächst einmal verstehen. …

In-der-Welt-sein. Jetzt blickt [man] auf das gegenwärtige in-der-Welt-sein, das im mental-ichhaften Bewusstsein. Dann erhebt sich natürlich sofort die Frage, die uns auch immer wieder beschäftigen wird in diesem Sommersemester: Ist es möglich, dass der Mensch in seiner mentalen Ichhaftigkeit, die er im Laufe eines langen Prozesses erworben hat, trotzdem eine tiefe, eine integrale, ja geradezu eine kosmische Rückbindung an die Pflanzen gewinnen kann? Oder ist das, was ich häufig die ontologische Barriere nenne, zwischen Mensch und Pflanze, unübersteigbar?

Einige werden sich daran erinnern, dass ich das im Zusammenhang mit Mensch und Tier gesagt habe: Es gibt eine ontologische Barriere, die uns erst einmal grundsätzlich durch unsere Ichhaftigkeit, durch unsere Mentalstruktur den Zugang zu Bereichen vor dieser Ichhaftigkeit verwehrt. Wir haben zunächst einmal kein genuines bewusstseinsmäßiges In-ein-Tier- oder In-eine-Pflanze-Eindringen. Sicherlich gibt es in Grenzzuständen des Bewusstseins das immer wieder, das wird ja auch berichtet in den verschiedensten mystischen Zusammenhängen, auch im Zusammenhang mit psychoaktiven Pflanzen. Das ist richtig, aber wir haben keinen, wir haben kaum eine Möglichkeit, diese ontologische Barriere grundsätzlich zu überschreiten. Und da liegt der entscheidende Punkt bei diesem Thema: Ist es möglich, bei Aufrechterhaltung der mentalen Ichhaftigkeit trotzdem tiefere Schichten des Pflanzlichen zu erschließen, als sie sich erschließen können in einer abstraktionistischen von-außen-Betrachtung, die wir ja kennen, einer analytischen, antagonistischen Sichtweise, die ja die herrschende ist. Daneben diese subjektiven Räume, die wir auch kennen, die jeder auf seine Weise erschließt, poetisch, mystisch, schwärmerisch, auf jeden Fall unverbindlich, kollektiv sozial unverbindlich. Das habe ich ja auch schon gesagt. Diese Räume sind subjektive Innenräume, sie haben keine sozial verbindliche Gestalt, und es fehlt eine sozial verbindliche Sprache, die sich in einer Hilflosigkeit bekundet. Auch was die Schöne, das Schöne betrifft.

Das hat zum Beispiel auch Gernot Böhme in seinem Buch hier dargestellt, in einem eigenen Essay über Natur-Ästhetik. Einer der Wenigen heute in Deutschland, die sich um diese Fragen Gedanken macht. Gibt es das naturästhetisch Schöne? Könnte das wiederbeleben, ohne dass es peinlich wird oder dass es obsolet ist? Dass es einfach nicht adäquat ist. Ich will Ihnen kurz eine Ergänzung bringen zu dem Verwandlungsmysterium. Natürlich gibt es Verwandlungsmysterien ganz ähnlicher Art, wenn auch anders gebaut, auch in magischen Bewusstseinsformen, in archaischen Bewusstseinsformen weltweit, auch in anderen mythischen Zusammenhängen. Ich bin heute Nachmittag auf einen Punkt gestoßen, den ich Ihnen kurz darstellen will. Der betrifft den Stechapfel, Datura, wo auch ein ähnliches Verwandlungsmysterium, vollkommen anders dargestellt wird. Hier wird ein Mensch in eine Pflanze zurückverwandelt, also kein halbgöttliches Baumwesen wie die Daphne. Wolf-Dieter Storl schreibt in seinem Buch „Pflanzen-Devas“: „Die Zigeuner sehen sich als Kinder des Stechapfel-Deva.“ Deva, darüber sprechen wir noch hier, jetzt einmal nur verstanden als das seelisch-geistige, gleichsam kosmische Wesen, was hier Storl unterstellt für die Pflanzenwelt, als Hypothese erst einmal. „Viele Ethno-Botaniker glauben, der Stechapfel, datura stramonium, sei im Mittelalter mit den Zigeunern nach Europa gelangt. Der Pflanzenkenner Ritter von Perger vertritt die Ansicht, dass alle Künste der Zigeuner auf der genauen Kenntnis der Säfte des Stechapfels beruhen. Eine von Zigeuner-Forscher Heinrich von Wlislocki wiedergegebene Sage erzählt vom Ursprung der Zigeuner.“ Jetzt kommt dieses Verwandlungsmysterium, ganz anders als das von Daphne. „Einst heiratete ein heilkundiger Zauberer eine Frau unter der Bedingung, dass sie ihm ohne Widerspruch gehorche.“ ‒ Soll vorkommen. ‒ „Ständig war der Mann unterwegs, um den Kranken zu helfen. Einmal kehrte er spät in der Nacht, erschöpft von einem Krankenbesuch heim. Er bat seine Frau, ihn am nächsten Morgen rechtzeitig zu wecken, da er einen weiteren Patienten besuchen wollte. Da er aber besonders tief schlief, brachte es die Frau nicht übers Herz, ihn zu wecken, sondern ließ ihn bis Mittag ausschlafen. Dieser Ungehorsam erboste ihn so sehr, dass er sie verfluchte und mit diesen Worten in eine Stechapfel-Pflanze verwandelte, jetzt sein Fluch: Werde nun eine Pflanze, von Tieren und Menschen gemieden, die in ihrer Frucht so viele Körner enthält, als sie Kinder auf die Welt gebracht hat. Deine Kinder sollen die ganze Welt durchwandern und dich überall hin führen. Hierauf verschwand der Magier und aus der Frau entstand der Stechapfel, den ihre zahlreichen Kinder mit sich in die Welt führten und überall verbreiteten. Man sagt, die Zigeuner stammen von den Kindern dieses Ehepaares ab.“

Der Igel … habe ich mit Überraschung gelesen. Der Igel ist den Zigeunern heilig, weil er stachelig wie ein Stechapfel ist. Er ist der Datura-Deva in Tiergestalt. Derart gibt es ganz viele solcher Verwandlungsmysterien menschlicher Wesenheiten in Pflanzenwesenheiten, übrigens auch umgekehrt, in beiderlei Richtung. Das lässt auf eine im Frühbewusstsein der Menschheit vorhandene, ganz tiefe, seelisch-geistig-stoffliche, feinstoffliche wie immer, Verbindung schließen, die zwischen Mensch und Pflanze besteht. Wenn man davon ausgeht, dass diese Verbindungen letztlich zu tun haben mit einer Instanz im Menschen, mit einer Qualität im Menschen, mit einer Fakultät im Menschen, die ich das Pflanzenselbst nenne. Darüber möchte ich das nächste Mal sprechen. Sie wissen, dass ich davon ausgehe, dass es eine Art Tierselbst im Menschen gibt. So gibt es auch ein Pflanzenselbst. Über das Pflanzenselbst, das uns noch beschäftigen wird, kann man, so meine ich, dass man das plausibel machen kann, auch in der ichhaften Bewusstseinserfahrung in einer tieferen Schicht das Pflanzliche kontaktieren. Und doch, und das ist wichtig, nicht im Sinne einer Regression, denn das ist ja der entscheidende Punkt: Müssen wir gewissermaßen regredieren oder können wir das in die wachbewusste Ichhaftigkeit, auch in die ganze Dimension der Freiheit rücken?

Storl scheint sich auch mit diesen Fragen beschäftigt zu haben, wenn auch nur ansatzweise. Er zitiert hier einmal ein Wort Friedrich Schillers wie folgt: „Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren.“ ‒ Jetzt die entscheidende Zeile ‒ „Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist’s. Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist’s.“ Leicht poetisch, metaphorisch dahingesagt, aber was heißt das konkret, was heißt das in der lebendig gelebten Wirklichkeit? Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist’s. Also, über dieses Pflanzenselbst werden wir uns noch eingehend unterhalten. Die Frage wird uns immer wieder beschäftigen: Ist das möglich? Oder ist es eine Fiktion? Das müssen wir immer zumindest in Erwägung ziehen, ob es vielleicht dann doch nur eine Art Fiktion ist, eine Phantasmagorie und keine Wirklichkeit. Wenn es die ontologische Barriere dann wirklich so gibt in dieser radikalen Form, dann kommen wir letztlich aus unseren eigenen Projektionen, auch was die Pflanzen betrifft, nicht hinaus.

Wer mehr darüber forschen und nachdenken möchte, den möchte ich verweisen, ohne dass ich im Einzelnen das hier darstellen möchte, auf dieses Buch: „Was die Erde will“, wo ich die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit auch im Zusammenhang mit dem angedeuteten Sprung vom mythischen Verbundensein zum Rational-Ichhaften dargestellt habe. Übrigens auch ein großes Kapitel hier über Pflanzen: „Was wissen die Pflanzen?“ Ich habe hier einen Zusammenhang hergestellt zwischen den Pflanzen und der planetaren Intelligenz und die These vertreten und die auch bis zu einem gewissen Grade, denke ich mal, begründet, plausibel gemacht, dass es des Menschen Aufgabe sein müsste, das quasi kosmische Bewusstsein, in Anführungszeichen, der Pflanzen, übermittelt über die planetarische Intelligenz, in die eigene Ichhaftigkeit zu überführen. Also eine sehr weitreichende und man kann auch sagen kühne, schwierige These, den Pflanzen eine Art kosmisches Bewusstsein zuzuweisen und nun anzunehmen, der Mensch könne über seine mentale Ichhaftigkeit und auch über die Dimension der Freiheit diese Schicht für sich erschließen und dadurch in gewisser Weise, mit aller Vorsicht gesagt, erst das Pflanzliche, jetzt in Anführungszeichen gesprochen, erlösen. [Das sind] ganz weitreichende, im Grunde äußerst subtile und schwierige Gedanken, die hiermit angesprochen werden.

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