Tierethik und ökologische Ethik

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil I
Grundlagen der integralen Tiefenökologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale Sommersemester 2001
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 38

Transkript als PDF:


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„Tier-Selbst und Tier-Sein, zweiter Teil, zum Eigenrecht der Tiere, Tierethik und ökologische Ethik“. Der „Spiegel“ zitiert Peter Sloterdijk mit folgenden Worten: „Erst unter dem Druck der grausamen Bilder von torkelnden, verbrannten, zu Abfall reduzierten Kühen, regt sich eine neue Sensibilisierung. Man versteht wieder, dass ganz dicht unter der normalisierten Oberfläche das Grauen und die Infamie weiterhin präsent sind.“ Das mag als ein Motto für diese Vorlesung gelten.

Ehe ich im engeren Sinne auf die Frage Tier-Sein, Tier-Selbst und auch die Frage einer möglichen ökologischen Ethik oder Tierethik, eines Rechtes der Tiere eingehe, möchte ich einige Sätze sagen zu einem Brief, den ich bekommen habe. Ich weiß nicht, wer ihn geschrieben hat. Ich kann den Namen keinem Einzelnen zuordnen, aber der Brief enthält einige Punkte, die interessant sind, und ich will ganz kurz darauf eingehen. Vielleicht hat der Eine oder Andere auch diese Fragen gehabt, und es mag interessant oder wichtig sein, sie noch mal hier im Plenum zu erörtern. Ich will zwei Punkte herausgreifen. Da war die Frage aufgeworfen worden in dem Brief, ob ich der Auffassung wäre, dass durch die Entdeckung des Quastenflossers die Evolutionslehre im neo-darwinistischen Sinne entkräftet oder gar widerlegt worden sei. Nein, dieser Auffassung bin ich nicht, und das wäre auch naiv. An einem derartigen Fund oder an auch vielen derartigen Funden nun so weitreichende Schlüsse anzuschließen, als ob nun eine in sich konsistente Theorie über die Evolution der Lebewesen damit entkräftet worden sei. Was ich nur sagen wollte, war, dass dieses Moment des Auffindens eines Tieres, das viele Millionen Jahre ausgestorben sein sollte, es gibt viele ähnliche Beispiele, zumindest eine gewisse Verwunderung auslösen könnte, dass diese theoretischen Konstrukte auch anzweifelbar sind, vorsichtig gesagt, dass sie nicht so fest sind, wie es häufig hingestellt wird. Die Evolutionslehre als Ganze ist im Lauf von Jahrhunderten, Jahrzehnten so ausdifferenziert worden, dass man mit einzelnen Elementen, etwa so einem Auffinden eines ausgestorbenen Tieres, das nicht aus den Angeln heben kann. Übrigens gibt es wie in vielen Fällen dieser Art Zirkelschlüsse. Karl Popper hat es sehr schön gezeigt gerade am Beispiel des Darwinismus. [Das] kann man übrigens auch an anderen theoretischen Konstruktionen zeigen, sind natürlich Zirkelschlüsse drin, die sich einander bestätigen. Häufig genug wird das vorausgesetzt, was bewiesen werden soll. Also das ist ein riesiges Feld, das wollte ich nicht. Ich wollte nichts weiter als einen gewissen Akzent setzen in eine andere Richtung, sozusagen das Bewusstsein schärfen für derartige Überlegungen. Und das könnte vielleicht bei dem Einen oder Anderen auch gelungen sein.

Eine Entkräftung würde eine sehr weitgehende, differenzierte Argumentation erfordern, wie sie auch Hans-Joachim Zillmer in seinen Büchern nicht geleistet hat, obwohl er den Anspruch erhebt. Er liefert eine Fülle von hochinteressanten Gesichtspunkten, aber sein eigener Anspruch ist wesentlich weiter, und den hat er in dieser Form nicht eingelöst. Der zweite Punkt, der uns jetzt schon auf das Thema der Tiere führt, betrifft nochmal diese Vorstellung, die uns ja grundsätzlich beschäftigt in diesem Semester, die Frage nach der Erde als Ganzem, als Ganzheit, ob man sagen kann, dass dieses Gestirn, dieser Planet Erde, ein Organismus sei im Sinne der Gaia-Theorie, die sich ergibt in der eher starken und der eher schwachen Form. In dem Brief kommt übrigens ein Missverständnis vor, da wird gesagt, die Vorstellung der Erde als Bios-Wesen sei die eher schwache Form der Gaia-Theorie, dagegen sei die eher starke Form die geistbehaftete Erde. Das ist nicht so. Die Vorstellung der Erde als einem Bios-Wesen ist die starke Form der Gaia-Hypothese. Die schwache Form der Gaia-Hypothese besteht darin zu sagen, die Erde ist ein Quasi-Lebewesen, sie ist ein hochkomplexes, systemisch gebautes, hochorganisiertes Etwas, aber im eigentlichen Sinne kein Organismus, sie scheint ein Organismus zu sein, sie hat gewisse Eigenschaften eines Organismus, aber sie ist nicht wirklich ein Organismus. Die Vorstellung, dass die Erde als Ganzes wirklich ein Lebewesen sei, ist die starke Form der Gaia-Hypothese. Und jetzt kam die Frage in dem Brief oder der Hinweis in dem Brief, wenn das so wäre, dann müsste man ja alle oder die meisten Eigenheiten des Organisch-Lebendigen nun auch auf dieses Erdganze übertragen können, zum Beispiel das Moment der Reproduktion. Und das sei im Falle der Erde nun ganz offensichtlich eine Unmöglichkeit. Das mag so sein. Trotzdem gibt es eine ganze Reihe von Gründen weit über das hinaus, was ich dargestellt habe, die darauf schließen lassen, dass man gute Gründe hat also, die Erde im Gesamten als Organismus zu betrachten.

Auf dem Kongress, den ich erwähnt habe, im Schwarzwald über die Wirklichkeit, gab es auch einen großen Büchertisch, und da wurde auch ein Buch verkauft, was ich erworben habe, aber erst partiell lesen konnte, war ein umfangreiches Buch, die Zeit war knapp, ist ja erst etwas mehr als eine Woche her, von einem anthroposophischen Naturwissenschaftler, ich weiß nicht, ob Biologe oder Geologe, Guenther Wachsmuth, „Erde und Mensch“, das auch dieses Thema hat, das uns ja in dieser Vorlesungsreihe beschäftigt. Und Wachsmuth stellt eine Fülle von hochinteressanten Gesichtspunkten dar, immer mit einer bestimmten anthroposophischen Sprache, die ist nicht die meine, aber sie ist hinzunehmen, man kann mit ihr arbeiten, ich muss mich nicht sozusagen wortreich davon abgrenzen. Er stellt dar, in diesem Buch, dass wir von der Vorstellung des Rhythmus aus, von der Vorstellung der Pulsation aus, die Erde neu verstehen und begreifen können als pulsierendes, atmendes, kosmisches Lebewesen. Und da gibt er eine Fülle von faszinierenden Belegen, etwa Luftdruckschwankungen, Luftbewegungen, Wirbelbewegungen in der Atmosphäre, hochinteressant. Vieles kann ich nicht nachprüfen, ob das Material so stimmt oder nicht stimmt, [das] entzieht sich im engeren Sinne meiner Kenntnis, aber es ist hochinteressant. Ich gebe Ihnen mal nur eine kurze Passage aus dem Buch, und das mögen sie dann eventuell in das Literaturverzeichnis aufnehmen, das gehörte eigentlich dann zu dieser Reihe, Guenther Wachsmuth, „Erde und Mensch“. Das ist eine Ausgabe von 1980, der Text selber ist wahrscheinlich viel älter. Die letzte Fassung ist aus den frühen 60er Jahren, der Hauptteil ist schon aus den 40er Jahren.

„Vor allem muss die organische Anschauung nun von der Atmosphäre auch auf den Organismus der Erde als Ganzheit erweitert werden.“ Das ist ein entscheidender Gesichtspunkt bei ihm, die atmosphärische Pulsation. Sie können das auch in der Lehre Wilhelm Reichs etwa, Pulsation [,sehen]. Sie kennen das von Hermann Schmitz, die Pulsation von Kontraktion und Expansion, von Weitung und Engung ist ja eine Grundbedingung lebendiger Prozesse. „Wir sehen also wiederum das Ringen zweier Anschauungen deutlich vor uns. Das im letzten Jahrhundert“ ‒ 19. Jahrhundert ‒ „dominierend gewordene Erdbild der Menschheit, das in der Erde einen der zahllosen unselbständigen, alle Energien und Lebensimpulse von außen erhaltenden, nach rein physikalischen und mechanischen Gesetzen von außen dirigierten Weltkörper sah, dessen Zerfall, Schrumpfung und Zusammenbruch wir beiwohnen und andererseits das Bild Keplers, Goethes und mancher seitheriger Denker und Forscher, dass in der Erde auch ein nach Eigengesetzen sich selbst entwickelndes Lebewesen sieht.“ Eine Grundhypothese, zu der ich auch zuneige, wie Sie wissen, ich habe das ja mehrfach auch angedeutet. „Gewiss war dieses Bild der Erde bei Goethe zunächst nur in seinen ersten Anfängen angedeutet, aber aus systematischer Beobachtung bestimmter Naturprozesse insoweit sie damals zugänglich waren und sicherer Intuition, stellte er bereits jene oben erwähnte These auf, deren Grundgedanken wir im Folgenden aus der heutigen Kenntnis der Tatsachen konsequent ergänzen und fortführen wollen. Es wird sich dann zeigen“ ‒ und das ist der Inhalt dieses Buches ‒ „dass gerade viele der schwierigsten Probleme der heutigen Geophysik, Meteorologie und Biologie sich nur dann sowohl in ihrer Ganzheit und Wechselbeziehung als auch im Ablauf der einzelnen Phänomene erklären lassen, wenn“ ‒ jetzt kursiv gedruckt ‒ „wenn wir die Erde als einen Organismus betrachten, der ein Eigenleben mit weitgehend selbständigen Gestaltungstendenzen, Rhythmen und Lebensprozessen besitzt. Wir stellen darum zunächst aus dem Wesen eines jeden Organismus heraus die folgenden weiteren Thesen auf, die aus den Phänomenen zu belegen sind.“ Es [geht um die Thesen], die die er in diesem umfangreichen Buch nun belegt oder zu belegen versucht, die partiell durchaus in einen Einklang zu bringen sind mit meiner eigenen Naturphilosophie. „Die Erde empfängt nicht nur Energien und Einflüsse von außen, ihr Wirken ist nicht nur durch exogene Kräfte erhalten und bestimmt, sondern sie ist als lebender Organismus auch selbst ein Agens mit eigenen endogenen Impulsen, Energiequellen und Aktionszentren, mit einer nach Eigengesetzlichkeit gestalteten Organisation. Sie ist eine weitgehend in sich geschlossene Einheit und Ganzheit mit einem stark ausgebildeten selektiven Reaktionsvermögen gegenüber der andersartigen Umwelt. Sie besitzt eine organisch regierte Grundstruktur.“ Da kann man vielleicht denken an das, was ich Ihnen ja in Grundzügen vorgestellt habe, Sie erinnern sich an die Gitterstruktur, das Gitternetzwerk auf der Erdoberfläche. „Diese Struktur und Gliederung weist nach außen und innen lebendig reagierende, schützende Hüllen sowie eigene Energie-Reservoire und bestimmte im Gesamtsystem angeordnete Organe auf, welche den Lebensprozess in Gang halten. Die Erde besitzt eine eigene Kräfte-Organisation, einen Kraftleib oder Bindekräfteleib, der die materielle physische Körperlichkeit durchdringt und der außer in den bisher besonders beachteten physikalisch deutbaren Vorgängen auch in dynamischen und vitalen Prozessen erkennbar ist, wie sie der Ganzheit lebender Organismen eigen ist. Sie besitzt Eigendynamik und Eigenrhythmik.“ Und so weiter.

Das zeigt er, Einiges konnte ich schon lesen, etwa an der Atmosphäre. Ich finde das hochspannend, dass eine bestimmte Pulsation durchschlägt in der Atmosphäre. Das wird hier im Einzelnen begründet und zurückgeführt auf ein gesamtorganisches Phänomen, etwa der tagesperiodische Rhythmus im Kräftefeld der Erde. Also wen das interessiert, ist ein hochinteressantes Buch mit einer Fülle von Materialien zu dieser Frage. Und was mich besonders interessiert hat dabei, letzte Bemerkung dazu, ist der Zusammenhang mit meiner eigenen Vorstellung von der Licht-Schwere-Polarität, die ich ja in diesem Saal mehrfach schon dargestellt habe, also die eigenartige Pulsation der Erde, die die Ursache sein mag für Wachen- und Schlaf-Vorgänge höherer Lebewesen. Denn Sie wissen ja, dass es ein weithin ungeklärtes, physikalisch und auch medizinisch ungeklärtes Phänomen ist, warum höher organisierte Lebewesen oberhalb der Ebene der Fische überhaupt schlafen. [Das] ist nicht geklärt. Und hier gibt es eine Erklärungsmöglichkeit, einen Ansatz, das taucht übrigens auch bei Wachsmuth auf, wie man das verständlich machen kann. Auf jeden Fall eine interessante Ergänzung zu unserem Gesamtthema hier. Ich werde auch noch in der nächsten Vorlesung im Zusammenhang mit der Geomantie auf das Buch etwas eingehen, bis dahin habe ich schon mehr gelesen, bislang hat die Zeit so noch nicht ausgereicht.

Nun will ich heute sprechen über die Frage Tier-Selbst und Tier-Sein im Besonderen in Zusammenhang mit einer ökologischen Ethik. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass ich Ihnen ja einen grundlegenden Ansatz vorgestellt habe, der auf der einen Seite auf Descartes zurückgeht und einen ebenso grundlegenden Ansatz, der von Schopenhauer herkommt und von ihm formuliert worden ist. Kurzformel: Tiere sind, was ihren Wesenskern anlangt, von den Menschen unüberbrückbar getrennt, das ist die These von Descartes. Tiere sind keine wirklich menschenähnliche, menschengleichrangige Lebewesen, sie sind ontologisch unüberbrückbar getrennt. Sie sind, extremste Zuspitzung, im Grunde genommen höhere Automaten. Descartes begründet das ja sehr scholastisch, minutiös, warum das so sein müsste. Ich habe Ihnen ja eine Passage vorgelesen. Auf der anderen Seite die Position von Schopenhauer, der meinte, Tiere und Mensch sind in ihrem Wesenskern, in ihrer ontologischen Grundstruktur identisch. Der Mensch ist nichts grundsätzlich Anderes als das Tier, obwohl er nicht im Tier-Sein aufgeht. Was ihn vom Tier trennt, ist eher ein Sekundärphänomen, eine Sekundäreigenschaft, nämlich, wie Schopenhauer das nennt, der Intellekt, der ein Werkzeug ist des Willens, der sowohl im Tier als auch im Menschen das eigentlich Zentrale und Dominierende sei. Also Grundthese, Mensch und Tier sind nicht voneinander unterschieden, sie sind wesensidentisch. Nur, der Mensch hat eine zusätzliche Fakultät, die Schopenhauer Intellekt nennt. Nicht nur auf die schmale Form von Intellekt im heutigen Sinne gebracht. Beide sind also identisch.

Nun hat das natürlich gravierende Auswirkungen für die Frage einer möglichen ökologischen Ethik grundsätzlich. Ich will mal, um Ihnen das an einigen Texten ganz anderer Autoren zu zeigen, einige Zitate bringen, die uns in dieses Thema einführen, das ja von einer, glaube ich, zentralen Bedeutung ist. Letztlich geht es um die Frage, zugespitzt: Hat der Mensch das Recht, das Tier zu töten, wenn es ihm gutdünkt? Aus welchen Gründen auch immer. Es geht letztlich um die Frage des Tötens.

Nun ist das Töten eine abgründige Konstante der menschlichen Wesenheit. Und ich habe schon angedeutet, dass es Untersuchungen gibt von Psychoanalytikern, die darauf hinweisen, dass möglicherweise der Mensch über den Tötungsakt ein Stück Bewusstsein gewinnt. Und was so scheinbar ein brutaler Akt der Zerstörung ist, ist für denjenigen, der es ausführt, ein Schub, ein Bewusstseinsschub, eine radikale These, etwa vertreten von dem Psychoanalytiker Wolfgang Dietrich in seinem Buch „Töten ‒ Gewalt aus der Seele“. Das ganze Buch ist der Versuch, das Töten als Movens des Bewusstseinsprozesses zu interpretieren, also eine radikale These, die radikalste überhaupt in dieser Form, die ich je gelesen habe.

Hören wir einige Zitate. Ich beginne mal mit Elias Canetti. Elias Canetti, ein hochrangiger Schriftsteller, 1905 bis 1994, hat sich sehr intensiv in vielen seiner Bücher zur Frage des Tier-Seins, des Tier-Selbstes und des Mensch-Tier-Verhältnisses geäußert, in einem häufig recht scharfen, scharfzüngigen, zynischen Sinne. Ich darf mal einige Passagen vorlesen, die das verdeutlichen und die auch die Frage der ökologischen Ethik in einem grellen Licht zeigt. Elias Canetti aus diesem Sammelband „Brüder, Bestien, Automaten“ von Manuela Linnemann herausgegeben, ich habe das hier auf der Literaturliste. Canetti schreibt 1972 in dem Text „Die Provinz des Menschen“:

„Es schmerzt mich, dass es nie zu einer Erhebung der Tiere gegen uns kommen wird. Der geduldigen Tiere, der Kühe, der Schafe, alles Viehs, das in unsere Hand gegeben ist und ihr nicht entgehen kann. Ich stelle mir vor, wie die Rebellion in einem Schlachthaus ausbricht und von da sich über eine ganze Stadt ergießt, wie Menschen, Männer, Frauen, Kinder, Greise erbarmungslos zu Tode getrampelt werden, wie die Tiere, Straßen und Fahrzeuge überrennen, Tore und Türen einbrechen, in ihrer Wut sich bis in die höchsten Stockwerke der Häuser hinauf ergießen, wie die Waggons in der Untergrund[bahn] von tausenden von wildgewordenen Ochsen zerquetscht werden und Schafe mit plötzlich scharfen Zähnen uns zerreißen. Ich wäre schon erleichtert über einen einzigen Stier, der diese Helden, die Stierkämpfer, jämmerlich in die Flucht schlägt und eine ganze blutgierige Arena dazu. Aber ein Ausbruch der minderen sanften Opfer, der Schafe, Kühe, wäre mir lieber. Ich mag es nicht wahrhaben, dass das nie geschehen kann, dass wir vor ihnen, gerade ihnen allen, nie zittern werden. Die neuen, die eigentlichen Entdeckungen an Tieren, sind nur darum möglich, weil uns unser Hochmut als Gottes-Oberste gründlich vergangen ist. Es stellt sich heraus, dass wir eher die Gottes-Untersten, nämlich Gottes Henker in seiner Welt sind.“

Aus dem Text „Das Geheimherz der Uhr“, 1987: „Das Wort ,Tier , alle Unzulänglichkeit des Menschen in diesem einen Wort. Ich bin zu den Tieren gegangen und bin an ihnen wieder erwacht. Es macht nichts, dass sie ebenso gern essen wie wir, denn sie reden nicht darüber. Ich glaube, es wird das Letzte, das Allerletzte in meinem Leben sein, das mir noch Eindruck macht: Tiere. Ich habe nur über sie gestaunt. Ich habe sie nie erfasst. Ich habe gewusst, das bin ich. Und doch war es jedes Mal etwas Anderes.“

Also hier kommt ja diese, von mir ja letztes Mal schon angedeutete Rätselhaftigkeit im Tier zum Ausdruck, die jeden Menschen anweht, anrührt, der sich die Offenheit bewahrt, da genau hinzuschauen. Das Tier, das einerseits wie man selber ist, fast ist man es selber, und doch ist es anderer Art, auf eine schwer greifbare Weise. Ich habe das versucht ja schon ein bisschen einzukreisen, dass das Tier, diese unmittelbare, nicht reflektierte gestalthafte Lebendigkeit hat und keine Reserven, keine Freiheit, sich gegebenenfalls anders zu verhalten. Also keine Freiheit über Distanz und über eine Ichhaftigkeit, sondern gesteuert von lebendigen Grundimpulsen, die man ganz unzulänglich mit dem Wort Instinkt bezeichnet. Ein Wort, das eher unsere Unwissenheit zeigt, als wirklich Erklärungs- oder Erkenntniswert hat. Also, „ich habe sie nie erfasst. Ich habe gewusst, das bin ich. Und doch war es jedes Mal etwas ganz Anderes. Wer die Angst der graziösesten Tiere fühlen könnte. Kein Tier habe ich im Arm. Ein ganzes Leben habe ich mit qualvollem Erbarmen an Tiere gedacht. Aber kein Tier habe ich umarmt.“ [Jetzt] eine Gesprächspartnerin: „Ich habe einmal den Dorfschlächter den Hals einer Gans aufschlitzen sehen und wie [er] das Blut auslaufen ließ. Ich wollte schreien, aber sein fröhlicher Blick schnürte mir die Kehle zu. [Sie] betrachtete seine Kehle und fuhr fort: Diesen Schrei fühle ich hier immer noch. Als ich als Kind ein primitives Porträt meines Lehrers zeichnete, versuchte ich mich von diesem Schrei zu befreien. Aber umsonst. Als ich den Ochsenkadaver malte, war es noch immer dieser Schrei, den ich loswerden wollte. Aber ich habe es noch immer nicht geschafft. Wohl gibt es Tiere, die Menschen durch ihren Stumpfsinn ähneln. Aber nie wird man es los, dass der Stumpfsinn von Tieren es nicht wirklich ist und jedenfalls unschuldiger ist als der unsere.“ Und jetzt, eigenartig formuliert. „Das Unerlangbare an Tieren: wie sie einen sehen.“

Das ist ja ein Gedanke, der einen immer wieder neu nachdenklich stimmen kann, in den verschiedensten Zusammenhängen, gerade im Zusammenhang mit höher organisierten Tieren, mit höheren Tieren: Wie sehen sie den Menschen? Was sehen sie in ihm? Was können sie in ihm sehen? Es gibt hier eine schöne Stelle von Nietzsche, die wird hier auch zitiert, in dem Band von Manuela Linnemann aus der „Fröhlichen Wissenschaft“, 1881/82, Kritik der Tiere: „Ich fürchte, die Tiere betrachten den Menschen als ein Wesen ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Tierverstand verloren hat, als das wahnwitzige Tier, als das lachende Tier, als das weinende Tier, als das unglückselige Tier.“ Wir wissen es nicht. Es ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, dass die Tiere den Menschen auch als Tier betrachten und vielleicht auf eine nicht greifbare, nicht bestimmbare, schon gar nicht klar zu reflektierende Weise den Menschen als ein fremdes, als ein fernes, vielleicht sogar als ein Wesen betrachten, das eine Entwicklungsstufe ihrer selbst ist. Diese These habe ich in meinem Buch „Was die Erde will“ aufgestellt, das mit einem großem Fragezeichen. Sollte das möglich sein, dass das Tier, das höhere Tier, wenn es den Menschen betrachtet, in seiner Tiefe ein Ahnen davon hat, dass dieses Wesen eine Entwicklungsmöglichkeit seiner selbst sein könnte? Auch das können wir nicht sagen, wir wissen es nicht. Alle Spekulationen darüber, wie das Bewusstsein der Tiere wirklich beschaffen ist, sind eben dies: Spekulationen. Wir können letztlich über das Bewusstsein, über die Innenperspektive des Tier-Seins keine wirklich objektivierbare Aussage machen. Alle Verhaltensforschung ist ja nur ein Versuch, über bestimmte Formen des Verhaltens, der Reaktion, bestimmte Formen des Außen, das Innen in irgendeiner Form zu erreichen, sich dem Innen zu nähern. Das ist äußerst schwierig, fast unmöglich, aber es wird immer wieder mit einigem Recht auch versucht.

Also grundsätzlich muss man sagen, was die Innenperspektive des Bewusstseins der Tiere betrifft, sind wir wohl schon davon durch eine Art Barriere getrennt. Die mag aber nicht unüberwindbar sein. Jedenfalls ist sie im normalen Bewusstseinszustand eine nicht überwindbare, durch die mehrfach genannte Ichhaftigkeit des Menschen. Da liegt der entscheidende Unterschied, dass über die Ichhaftigkeit des Menschen auch ein Moment der Freiheit ins Spiel kommt. Und diese Freiheit unterscheidet sich radikal, grundlegend von der Nicht-Freiheit, von der Gebundenheit des Tiers in der gestalthaften Lebendigkeit. Mark Twain, ein bedeutender Schriftsteller, Amerikaner, 19. Jahrhundert, schreibt in einem Buch „Briefe von der Erde“, 1863, Folgendes mit ähnlichem, sagen wir mal, Impetus wie Elias Canetti: „Der Mensch ist das religiöse Tier. Er ist das einzige religiöse Tier, das es gibt.“ Das erinnert an eine Stelle, die Goethe mal zitiert in einem seiner naturphilosophischen Aphorismen, rezitierte einen Franzosen mit dem folgenden Wort: „tout les animaux sont résonable, l’homme seul est réligieux“ ‒ alle Tiere sind vernünftig, nur der Mensch ist religiös. „Der Mensch ist das religiöse Tier, er ist das einzige religiöse Tier, das es gibt. Er ist das einzige Tier, welches die eine und allein selig machende Religion hat, mehrere davon. Er ist das einzige Tier, das seinen Nächsten wie sich selber liebt und wenn dessen Theologie nicht stimmt, ihm die Kehle aufschneidet. Aus dem Erdball hat er einen Friedhof gemacht im ehrlichen Bestreben, seinen Nächsten, seines nächsten Pfad zu Glück und Seligkeit zu ebnen. Das war zu Cäsars, zu Mohammeds und zu Zeiten der Inquisition der Fall. Es war vor wenigen Jahrhunderten in Frankreich der Fall und zu Marys Zeit in England, und es war so, seit er das Licht der Welt erblickte. Der Mensch ist das vernünftige Tier. So lautet sein Einspruch. Ich dächte, das ist eine offene Frage. Meine Experimente ergeben, dass er das unvernünftige Tier ist. Man überdenke seine Geschichte, wie oben skizziert. Für mich steht es fest, dass er, was immer er sonst sein mag, kein vernünftiges Tier ist. Seine Akte sind die eines manisch Irren. Ich finde, der stärkste Einwand gegen seine Intelligenz ist die Tatsache, dass er sich angesichts dieser seiner Akte selber als die Krone der Schöpfung bezeichnet, während er doch aufgrund seines eigenen Niveaus ihren Hintern darstellt. In Wahrheit ist der Mensch unheilbar töricht. Einfache Dinge, die andere Tiere ohne Weiteres lernen, ist er nicht fähig zu lernen. Unter meinen Experimenten befand sich das Folgende.“ Nun noch Mark Twain: „In einer Stunde habe ich einen Hund und eine Katze gelehrt, Freunde zu sein. Ich setzte sie in einen Käfig. In einer weiteren Stunde brachte ich ihnen bei, auch mit einem Kaninchen Freundschaft zu schließen. Im Verlauf von zwei Tagen konnte ich einen Fuchs, eine Gans, ein Eichhörnchen und mehrere Tauben hinzutun, zuletzt einen Affen. Sie alle lebten in Frieden, ja sogar voller Zärtlichkeit miteinander. Als nächstes sperrte ich einen irischen Katholiken aus Tipperary ein und sobald er gezähmt schien, tat ich einen schottischen Presbyterianer hinzu, sodann einen Türken aus Konstantinopel, einen griechischen Christen aus Kreta, einen Armenier, einen Methodisten aus der Wildnis von Arkansas, einen chinesischen Buddhisten und einen Brahmanen aus Benares, zuletzt dann einen Obersten der Heilsarmee aus Worthing. Dann blieb ich volle zwei Tage weg. Als ich wiederkam, war mit den höher entwickelten Tieren [alles] in Ordnung, aber in dem anderen fand ich nur noch ein Chaos von zerfressenen Fetzen, Turbanen, Fetzen, Tüchern, Knochen und Fleisch. Nicht ein einziges Exemplar war mehr am Leben. Die vernünftigen Tiere waren über eine theologische Streitfrage einander in die Haare geraten und hatten die Entscheidung in die Hände des Höchsten gelegt. Man kann nicht umhin zuzugeben, dass was Lauterkeit des Charakters betrifft, der Mensch nicht beanspruchen kann, auch nur an das Niedrigste der höher entwickelten Tiere heranzureichen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass er wesensmäßig außerstande ist, das Niveau desselben zu erlangen, dass er wesensmäßig mit einem Defekt belastet ist, der einen Vergleich auf immer ausschließt, denn dieser Defekt gehört permanent und unzerstörbar zu ihm. Ich habe gefunden, dass dieser Defekt im Moralgefühl oder dem Gewissen liegt. Der Mensch ist das einzige Tier, das dieses besitzt. Hier liegt das Geheimnis seiner Erniedrigung. Es ist diejenige Eigenschaft, die ihn befähigt, das Böse zu tun. Ein anderes Amt übt es nicht aus. Es ist unfähig irgendeine sonstige Funktion zu verrichten. Es kann auch nie zu einer solchen gedacht gewesen sein. Ohne sein Gewissen könnte der Mensch kein Unrecht tun, er würde als dann zugleich zu dem Niveau der höher entwickelten Tiere aufsteigen. Was nur den Stil betrifft, so denke man an den bengalischen Tiger, in idealer, in anmutschöner körperlicher Vollendung, Majestät. Dagegen der Mensch, dieses klägliche Etwas, er ist das Geschöpf mit der Perücke, den Schädelnähten, dem Höhrrohr, dem Glasauge und der Plastiknase, den Porzellanzähnen, der silbernen Speiseröhre, dem Holzbein, geklebt und bepflastert vom Scheitel bis zur Sohle. Wenn er für all das Stückwerk in der nächsten Welt keinen Ersatz bekommt, wie wird er da erst aussehen? Nur einen kolossalen Vorrang besitzt er: sein Intellekt ist hervorragend. Die höher entwickelten Tiere können sich da nicht mit ihm messen. Da ist es nun kurios und bemerkenswert, dass ihm kein Himmel geboten wird, wo diese Urgabe auch nur die leiseste Chance hat, sich zu entfalten.“ Denn es geht ja nicht um diese Intelligenzen dort, wahrlich nicht. „Selbst wenn er diesen Himmel selbst erfunden haben sollte, hat er doch darin keinerlei intellektuelle Freuden vorgesehen. Ein schlagendes Manko, das deutet auf ein stillschweigendes Eingeständnis hin, dass der Himmel nur für die Tiere da ist. Das stimmt nachdenklich, gibt Anlass zu ernsten Überlegungen und birgt eine grimmige Ahnung, wie wenn wir gar nicht so wichtig sind, wie wir uns alle Zeit eingebildet haben.“ Und so weiter.

Also auch eine sehr deutliche, zynische Sprache, letztlich eine verständliche Form von Zynismus, wie man sie sehr häufig findet. Die bekannteste literarische Form wird Ihnen vielleicht vertraut sein, stammt aus dem vierten Teil des Romans „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift. Da wird von einer Gesellschaft berichtet, die von Pferden, Hauyhnhnms genannt, geleitet und organisiert wird, und als ihre sozusagen unteren Wesen, als die von ihnen verachteten Wesen werden Menschen gehalten als Yahoos, und alle Ingredienzien der Bestialität, der Dummheit, der Armseligkeit, der Engstirnigkeit, des dumpfen Egoismus werden auf diese Yahoos übertragen, während die Pferde die eigentlich menschlichen Wesen sind. Auch Swift, der große Misanthrop, wenn man ihn so nennen will, der große Menschenverächter, wenn man dies überhaupt so nennen darf, hat also, wie so viele Andere den Tieren eine höhere Seinswürde zugesprochen.

Nun sind solche Überlegungen natürlich schwierig. Das ist ja letztlich eine Aussage des Menschen über sich selbst. Es ist ja nicht wirklich das Urteil der Tiere über den Menschen. Wie das ausfallen würde, das wissen wir nicht. Es ist letztlich das Urteil des Menschen über sich selbst, über eine bestimmte Unfähigkeit, die offenbar mit seiner Intellektualität, seiner Ich-Natur, seinem unseligen Drang [zu tun] hat, dieses Projekt anzustoßen und voranzutreiben, [das] technisch-mentale Eroberungsprojekt, das ihn immer mehr in die Selbstzerstörung hineinpeitscht. Und dabei kommen natürlich dann diese seine Mitgeschöpfe unter die Räder. Noch mal Nietzsche im „Verkehr mit den Tieren“: „Man kann das Entstehen der Moral in unserem Verhalten gegen die Tiere noch beobachten. Wo Nutzen und Schaden nicht in Betracht kommen, haben wir ein Gefühl der völligen Unverantwortlichkeit. Wir töten und verwunden zum Beispiel Insekten und lassen sie leben und denken für gewöhnlich gar nichts dabei. Wir sind so plump, dass schon unsere Artigkeiten gegen Blumen und kleine Tiere fast immer mörderisch sind, was unser Vergnügen an ihnen gar nicht beeinträchtigt. Es ist toll, das Fest der kleinen Tiere, der schönste Tag des Jahres. Es wimmelt und krabbelt um uns, und wir zerdrücken, ohne es zu wollen, aber auch ohne achtzugeben, bald hier bald dort ein Würmchen und gefiedertes Käferchen. Bringen die Tiere uns Schaden, so erstreben wir auf jede Weise ihre Vernichtung. Die Mittel sind oft grausam genug, ohne dass wir dies eigentlich wollen. Es ist die Grausamkeit der Gedankenlosigkeit. Nützen sie, so beuten wir sie aus, bis eine feinere Klugheit uns lehrt, dass gewisse Tiere für eine andere Behandlung, nämlich für die der Pflege und Zucht, reichlich lohnen. Da erst entsteht Verantwortlichkeit gegen das Haustier und die Quälerei gemieden. Der eine Mensch empört sich, wenn ein anderer unbarmherzig gegen seine Kuh ist, ganz in gemäßer primitiver Gemeinde-Moral, welche den gemeinsamen Nutzen und Gefahr sieht, so oft ein Einzelner sich vergeht. Der in der Gemeinde ein Vergehen wahrnimmt, fürchtet den indirekten Schaden für sich. Und wir fürchten für die Güte des Fleisches, des Landbaus und der Verkehrsmittel, wenn wir die Haustiere nicht gut behandelt sehen. Zudem erweckt der, welcher roh gegen Tiere ist, den Argwohn, auch roh gegen schwache, ungleiche, der Rache unfähige Menschen zu sein. Er gilt als unedel, des feinen Stolzes ermangelt. So entsteht ein Ansatz von moralischen Urteilen und Empfinden. Das Beste tut nun der Aberglaube hinzu. Manche Tiere reizen durch Blicke, Töne und Gebärden den Menschen an, sich in sie hineinzudichten. Manche Religionen lehren im Tiere, unter Umständen den Wohnsitz von Menschen und Götterseelen sehen, weshalb sie überhaupt edlere Vorsicht, ja ehrfürchtige Scheu im Umgang mit den Tieren anempfehlen. Aber auch nach dem Verschwinden dieses Aberglaubens wirken die von ihm erweckten Empfindungen fort und reifen und blühen aus. Das Christentum hat sich bekanntlich in diesem Punkte als arme und zurückbildene Religion bewährt.“

Erst mal ein Schnitt an dieser Stelle. Wir sollten versuchen, uns soweit das möglich ist, nochmal grundlegend darüber im Klaren zu werden, was eigentlich Mensch-Sein von Tier-Sein trennt. Ich habe noch einmal in meiner Bibliothek verschiedene Bücher daraufhin befragt und bin auf ein Buch gestoßen, was ich schon mal in verschiedenen Zusammenhängen hier erwähnt habe. Ein Buch eines Naturphilosophen und Biologen, 1948, „Der Erstgeborene“ von Herbert Fritsche, der sich intensiv auch zu dieser Frage äußert, zu dieser Frage Mensch und Tier äußert. Und ich will Ihnen mal eine kleine Passage hier vorlesen, die ich im Wesentlichen, abgesehen von sprachlichen Nuancierungen, ich würde das ganz anders formulieren, für produktiv halte, für fruchtbar. Man kann da anknüpfen, und das möchte ich auch. Also in dem Buch „Der Erstgeborene“ von Herbert Fritzsche, „ein Bild des Menschen“, 1948 entstanden, findet sich eine längere Betrachtung über den Unterschied von Mensch-Sein und Tier-Sein. Fritsches Lebenszeiten sind mir unbekannt, ich glaube, dass er 1911 geboren wurde, irgendwann relativ früh in den 60er Jahren gestorben ist und mehr weiß ich nicht. Er war von Hause aus Biologe und Zoologe, und ist ein wirklich erstaunlicher Naturphilosoph und dieses sein Buch „Der Erstgeborene“ ist eines seiner Hauptwerke. „Der Erstgeborene“ bezieht sich übrigens auf den Atem, auf den Rhythmus. Das ist wichtig, gerade im Zusammenhang mit dem, was ich über das Buch von Guenter Wachsmuth gesagt habe. Für ihn ist, und nicht nur für ihn, die Rhythmisierung der Stoffe ein zentrales Merkmal des Lebendigsein, also was man auch schlicht und abstrakt als Metabolismus, Stoffwechsel bezeichnet, ist ja in einer anderen, subtileren Betrachtungsweise eine Pulsation. Das heißt, die Stoffeswelt, die Materie wird, aus welchen Gründen auch immer, immanent oder durch einen von außen kommendes transzendentes Wirkprinzip, in Pulsation versetzt, wird rhythmisiert. Insofern kann man sagen, Metabolismus, Stoffwechsel ist Rhythmisierung des Stoffes. Und damit ist man bei einem wesentlichen Charakteristikum des Lebendigen, dass man dann noch auf die Erde als Ganzes übertragen kann, mit einigem Recht, glaube ich.

Jetzt vor der Pause noch diese Aussage hier von Herbert Fritsche. „Man mag nun zu einer Differenzierung des viel zu weit gefassten Begriffes Instinkt vordringen.“ Er kritisiert das, Instinkt ist letztlich ein schwacher Begriff, der ganz viele verschiedene Momente einschließt. Also: „Man mag nun zu einer Differenzierung des viel zu weit gefassten Begriffs Instinkt vordringen oder ihn auch bequemerweise schlagwortartig verwenden. In beiden Fällen sind Instinkte etwas enorm Spezialisiertes, Eingeschliffenes, Festgelegtes. Das Tier wird von seinen Instinkten gelebt. Es wird, wie Goethe sagt, tyrannisiert von seinen Bildern. Der Bauplan ist innig verbunden mit vorgezeichneten Verhaltensabläufen, eng gekoppelt daran. Diese Verhaltensabläufe spiegeln sich ganz eng in der Leibes-Organisation. Ein guter Zoologe sieht der Leiblichkeit eines Tieres sozusagen seine Verhaltensnotwendigkeiten an. Was ein Maulwurf instinktiv mit seinen Grabschaufeln tun wird, bedarf keines langen Rätselratens. Je tiefer man in die innersten Baugeheimnisse eines Tierleibes Einblick gewinnt bis in die des zentralen Nervensystems hinein, desto deutlicher zeigt sich das Zusammenklingen von Körperbau und Verhalten. Das Tier hat sich in seine Glieder und hat sich zugleich in die ihm von den Gliedern diktierten Verhaltensweisen hineinspezialisiert. Es wird tyrannisiert von seinen Gliedern. Das Tier ist festgelegt.“

Sehr schön also die Rede von dem Hineinspezialisieren in bestimmte Gliedmaßen, in bestimmte Gestaltformen der Leibes-Organisation. „Der Mensch ist frei, nicht nur als der große Indifferente, als der noch weitgehend Nicht-Spezialisierte kann er verstanden werden. Nicht hat er seine Instinkte, die keinesfalls mit den Reflexen seines Nervensystems verwechselt werden dürfen, verloren, denn etwas Spezialisiertes, Eingeschliffenes kann kein Lebewesen wieder rückgängig machen, vielmehr hat er sein Verhalten gar nicht erst festgelegt. Wer den Menschen klar als das erkennen will, was er wahrhaft ist, muss ihn als Stauungs-Phänomen werten, als Lebewesen, das seine Potenzenfülle in sich zurückhielt. In jeder Hinsicht ist der Mensch das bildsam gebliebene Kind der Schöpfung.“ Schöne Formulierung, das bildsam gebliebene Kind der Schöpfung. „Im gleichen Maße entging er der Versuchung leibliche Spezialanpassungen, Schnauze, Hörner, Pranken, … , Hangelhände und so weiter wie auch seelische starre Instinkte zu erwerben. Damit wurde er der Heros der Organismenwelt, der das Risiko auf sich nahm, die Lebensversicherung des Spezialisiertseins an Leib und Seele auszuschlagen.“ Eine sehr schöne Formulierung. Also „der das Risiko …

der Mensch, der das Risiko auf sich nahm, das nicht festgestellte Tier in Nietzsches Anklang, die Lebensversicherung des Spezialisiertseins an Leib und Seele auszuschlagen.“ Das macht ja seine Dramatik aus, seine Verwundbarkeit und auch seine unvorstellbare Macht, die er ja über diese Erde ausübt, weil er eben nicht Spezialist ist, sondern in gewisser Weise Universalist. „Für das Tier sorgt der Bios. Das Tier ist tief hineingebettet in seinen Leib und in seine Arteigentümlichkeiten, erblichen Verhaltensweisen. Das Tier wird gelebt vom Bios. Der Mensch lebt selber. Der Mensch ist schwach im Bios, aber stark im Handeln, im Selbstbestimmen seiner Lebensweise. Eine der modernsten anthropologisch-philosophischen Definitionen des Menschen lautet geradezu: das handelnde Wesen.“ Ein Leitmotiv dieses Buches ist immer wieder, dass der Mensch als Tier das nicht festgestellte, das nicht spezialisierte, das unzulängliche, das unvollkommene Tier ist. Und gerade weil er das nicht festgelegte, nicht spezialisierte … (Audiolücke) … Instinkt wählt, um jetzt mal diesen Begriff in einem allgemeinsten Sinne zu verwenden.

Ich mache eine kleine Pause. Ich will dann nach der Pause noch mal auf einige zentrale Punkte versuchen zu kommen und dann den ganz vorsichtigen Versuch machen, Einiges zu sagen, wie eine ökologische Ethik, wie auch eine Tierethik sein müsste, aussehen könnte, wenn sie mehr ist oder sein soll als nur ein Katalog von Postulaten. Das ist ja der entscheidende Punkt. Eine Ethik, die nur ein Postulatenkatalog ist, kann nicht in der Tiefe greifen. Sie ist nicht wirklich im Bewusstsein lebendig verankert. Das kann nicht funktionieren und hat auch bisher nie funktioniert. Also wenn ökologische Ethik, dann muss sie tiefer gelagert sein, dann kann sie nicht nur eine Postulatsethik sein und auch keine Institutionen-Ethik. Dann muss sie im Tiefenbewusstsein des Menschen verankert sein. Und was das bedeuten soll oder kann, dazu will ich ein paar Bemerkungen machen, nachher nach der Pause.

Ich sage mal, wir machen maximal zehn Minuten [Pause].

Ich will ganz kurz einen Traum erzählen, den ich heute hatte, in der Nacht zu heute, in dem interessanterweise Tiere vorkamen. Das ist natürlich klar, wenn die Seele arbeitet, dann produziert sie Bilder bestimmter Art oder nimmt Bilder auf, wie immer. Auf jeden Fall hatten diese Traumbilder, jedenfalls einige davon, etwas mit Tieren zu tun. Das war interessant. Einmal tauchten zwei gewaltige Hunde auf, einer schwarz, zottig, zottlig, den ich liebevoll umarmte und packte, was überhaupt nicht meine Art ist, weil ich mit Katzen aufgewachsen bin und eine sehr innige und tiefe Beziehung zu Katzen habe, weniger eine solche zu Hunden. Insofern ist das eher ungewöhnlich. Der zweite Aspekt in diesem Traum ist eher ein Kuriosum. Tiefenpsychologen unter Ihnen mögen darüber grübeln oder sich darüber amüsieren. Ich träumte von einem Tier, das aussah wie eine Mischung aus Bison und Rhinozeros, von der Größe eines Schoßhündchens, so groß, von bläulich schimmernder bis schwärzlich übergehender Farbe, was handhabbar war und ich bequem und kuschelig mir auf die Schulter setzen konnte. Und also wirklich eine Miniaturausgabe eines, wie gesagt, eines Bisons oder eines Rhinozerosses, irgendwo in der Mitte, aber in Taschenformat. Also, aber es war eine sehr heitere und angenehme Beziehung zwischen uns. Und so geht das in der Seele weiter, und man mag darüber jetzt grübeln oder man kann daraus Schlussfolgerungen ableiten. Tierträume sind ja ein eigenes Thema für sich. Tierverwandlungen ist wieder ein anderes Thema. Darüber haben wir schon das letzte Mal gesprochen, im Zusammenhang mit Schamanismus, dass man in bestimmten Grenzzuständen ja die Möglichkeit hat, sich in die vielleicht nur dort, nur in diesen Grenzzuständen, sich in die Innenperspektive eines Tiers, eines bestimmten Tieres, einer Gruppe von Tieren quasi hineinzuversetzen und dann von innen und als dieses Tier oder diese Gruppe von Tieren dann zu agieren und das Bewusstsein aus dieser Innenperspektive heraus zu erfahren. Das geht nicht von außen, das geht nur in ganz bestimmten meditativ-träumerischen, grenzüberschreitenden Zuständen. Und immer ist dabei wichtig, das ist ja schon angeklungen vor einer Woche, dass die Ichheit des Menschen, seine Ich-Fokussiertheit zurückgenommen wird. Das ist der entscheidende Punkt. Im Zuge der Aufrichtung des Menschen, ich meine das nicht jetzt platt evolutionistisch oder biologistisch, im Zuge der Aufrichtung des Menschen, im Zuge der Herausbildung dieser Polarität von Kopf, aufgerichteter Wirbelsäule, Kopf und die Oben-Unten-Polarität hat der Mensch natürlich auch über die Selbstheit eine Grunddistanz erworben und damit auch die erwähnte Universalität, den erwähnten Universalismus und damit sich auch getrennt. Zwar hat er noch starke Anteile in sich, die man als Tier-Selbst bezeichnen kann, ich tue das ja, aber diese sind ihm nicht unmittelbar über das Ich-Bewusstsein zugänglich. Nun kann man das jetzt, wenn man das jetzt modern, neurophysiologisch im Sinne der Gehirnforschung deuten will, auch als Anteil des limbischen System und des Stammhirns und so weiter deuten. Aber darum geht es mir nicht primär. Mir geht es erst einmal weniger um die neurophysiologischen Korrelate oder gar um genetische Prozesse oder Merkmale, sondern um die Bewusstseinsdimension, wie immer das jetzt seine Entsprechung hat im Genetischen oder im Neurophysiologischen. Das ist ein eigenes Thema für sich wieder, das ich in dem Zusammenhang erst einmal auf sich beruhen lassen kann. Also diese Ichheit hat ihn getrennt in der Aufrichtung und hat ihm erst einmal den Zugang versperrt, den er nur dann wieder erlangen kann, wenn er ein Stück weit regrediert, in Anführungszeichen, wenn er ein Stück weit regressiv, wenn man das so nennen will, die Ichheit zurücknimmt und eintaucht in eine elementare Leiblichkeit. Darüber haben wir hier auch schon mehrfach gesprochen, dass Leiblichkeit als das eigentlich Elementare, in gewisser Weise auch Vor-Ichhafte des Menschen ihn grundsätzlich verbindet über das, was Hermann Schmitz die Einleibung nennt mit anderen organischen Wesen, auch mit den Tieren natürlich. Da gibt es also eine ganz elementare, gewissermaßen unter-ichhafte Verbindung mit den Tieren, die jeder kennt und vielleicht auch schätzt, wie immer. Auf jeden Fall ist es eine phänomenologische Realität, die nichts im eigentlichen Sinne mit dem Ich zu tun hat. Und da gibt es Anknüpfungspunkte. Also über die elementare Leibhaftigkeit kann der Mensch über die Brücke der Einleibung, wie das Hermann Schmitz nennt, das Tier kontaktieren, unmittelbar kontaktieren. Das ist ein Stück Tier-Selbst im Menschen oder des Menschen.

Ich meine, man kann ja, wenn man das ganz vereinfacht oder ganz formelhaft verkürzt, ja sagen, dass der Mensch eine Vierheit darstellt. Das wird ja in vielen Traditionen auch so gesehen, mit einigem Recht auch, man kann das ja auch als Dreiheit oder als Siebenheit verstehen, aber eben auch als Vierheit, das ist durchaus plausibel, eben als jemanden, der eine physische Leiblichkeit hat. Eigentlich müsste man sagen: physische Körperlichkeit, denn der Leib ist nicht physisch, das habe ich ja oft genug gesagt. Der Leib ist die Innenperspektive, das ist eigentlich nicht physisch, der Leib ist nicht dimensional, er ist nicht materiell. Also eine Körperlichkeit, man kann das Stoff-Selbst nennen und eine Innenseite, die man wieder davon abgrenzen könnte, also eine innerleibliche Wesenhaftigkeit. Dann eine schwer greifbare Bios-Organisation, eine Rhythmisierung dieser Stofflichkeit, die den physischen Körper ausmachen, eine Leibes-Organisation: Man kann das auch als eine feinstoffliche bezeichnen oder im Sinne der Philosophen oder Anthroposophen auch als Ätherleib. Das ist eigentlich nicht so wichtig, wie das genannt wird. Auf jeden Fall gibt es ein … oder Energieleib, wie es bei manchen auch heißt, also eine Art Organisationsprinzip, das ihn ganzheitlich durchwirkt, durchwaltet und auch antreibt und seine Form bestimmt. Das mag etwas von dem Seelischen völlig Getrenntes sein, mag aber auch mit dem Seelischen ganz eng zusammenhängen. Das wissen wir nicht. Es ist nur eine Frage vielleicht der Begrifflichkeit, denn die dritte Ebene, die man dann anführen müsste, wäre ja die eigentlich seelische Ebene, die ja auch dem Tier zugesprochen werden muss, [in] unterschiedlichen Graden.

Eine Seelenhaftigkeit ohne Ichhaftigkeit im Sinne eines Kollektiv-Seelischen. Theosophen haben von Gruppenseele gesprochen und die Anthroposophen dann von den Theosophen übernommen, ist auch berechtigt und auch legitim und auch fruchtbar, Gruppenseele oder Kollektivseele, auf jeden Fall eine nicht-individualisierte Seelenhaftigkeit. Ein schwer greifbares auch Gefühlsleben, was damit verbunden ist, das Seelische der Tiere ist ein eigenes schwieriges Feld: Dass da viele Projektionen mitlaufen ist klar, eine Anthromorphisierung ist immer sehr schnell bei der Hand. Das muss nicht das sein, was wirklich die Innenperspektive der Tiere ausmacht. Und dann, im Menschen, das wäre das Tier-Selbst, vielleicht eine eigene Hülle oder eine eigene Wesenhaftigkeit innerhalb dieses ganzen Organismus Mensch, möglicherweise. Und dann eben die Ich- und Selbsthaftigkeit, und über die Ich- und Selbsthaftigkeit emanzipiert sich der Mensch von dem Tier- und Pflanzen-Selbst, gewinnt ein Stück Freiheit, auch Entscheidungsfreiheit, das zu tun oder nicht zu tun und sich universalistisch auszurichten, sich abzukoppeln von engen, leibgebundenen, instinktmäßigen Bahnen und auf diese Weise eine auch fatale Trennung vorzunehmen ‒ das ist ja die entscheidende Nahtstelle, die ja den Menschen ausmacht. Und da liegt auch die Chance vielleicht drin, das habe ich ja letztes Mal ja schon angedeutet, eine Art Rückkoppelung zu versuchen. Das kann nicht so sein, dass der Mensch seine Ichhaftigkeit, seine mentale Teilhabe, auch erkenntnismäßig, an den Weltgesetzen nun zurückschraubt oder zurücknimmt zugunsten eines tierisch-seelischen oder eines nur Bios-Wesen. Das geht nicht. Das ist ein Irrtum in vielen, auch wirklich wohlmeinend ökologisch orientierten Kreisen, die häufig das favorisieren, was aber der Bewusstseinsentwicklung des Menschen, glaube ich, Gewalt antut. Das kann nicht gehen.

Es kann nur darum gehen, diese pointierte, diese zugespitzte und in diesem Sinne pathologische Ichhaftigkeit, die Perversion des Ichs, des Ich-Impulses, zurückzunehmen und das Ich wieder wirklich integral-ganzheitlich einzubinden in die große Ordnung. Nur das kann funktionieren, in Anführungszeichen. Das heißt nicht das Ich-Selbst ist der Fehler, sondern eine bestimmte, pervertierte und pathologische Form der Ichhaftigkeit, heute nun extrem zugespitzt zum Körper-Ego, das von allem sich abgetrennt hat. Und das ist aber nicht eigentlich das Ich. Ich glaube, dass das Ich in der Tiefe, wenn man es integral oder ganzheitlich versteht, diesen Kontakt auch halten kann. Und wenn ich das, ich habe das ja wiederholt so formuliert und weiß, dass das schwierig ist und dass das weitgehend ist und dass das vielleicht auch kaum realisierbar ist, so wie wir das zur Stunde begreifen können, dass der Mensch über seine Ichhaftigkeit, dass der Mensch durch seine Ichhaftigkeit und über die Ichhaftigkeit doch Kontakt gewinnt zu diesem unter-ichhaften Bewusstsein der Tiere und Pflanzen, das in diesem Sinne auch ein kosmisches Bewusstsein ist, weil die Tiere und die Pflanzen, wenn sie sie selber sein dürfen, ja nicht rausfallen können aus der großen Ordnung, weil sie das nur könnten, wenn sie frei wären, wenn sie in diesem Sinne entscheidungsfreie Wesen wären, das sind sie nicht.

Wenn es Störungen auch dort gibt, dann sind sie menscheninduziert, das kann man nachweisen. Also es gibt da bestimmt natürlich mittlerweile auch im Tier- und Pflanzenreich menscheninduzierte Grundstörungen, die diese relativ klaren, einfachen Verhältnisse verdunkelt haben. Das ist klar. Aber das ist jedenfalls eine große Aufgabe, dass der Mensch über eine integrierte ganzheitliche Ichhaftigkeit Zugang gewinnt zu einem Bewusstsein, was in der großen Ordnung oder in die große Ordnung integriert ist in einer unter-ichhaften Form, das ist nicht regressiv, das ist nicht eigentlich schamanisch, das ist etwas anderes. Es ist eine andere Bewusstseinsstufe, die da und dort auch erkennbar ist. Vielleicht ist sie, sagen wir mal in nächster Zeit nicht in größerem Maßstab realisierbar, aber es gibt sie in Ansätzen. Das ist ja ein zentraler Aspekt, eine zentrale These, die ich mehrfach in dem Zusammenhang auch formuliere. Und damit hängt natürlich eng zusammen die Frage der ökologischen Ethik überhaupt. Ich meine, es hat wenig Sinn, und alle Versuche dieser Art sind weitgehend gescheitert, wenn man versucht, ich habe das ja vor der Pause kurz angedeutet, einen Katalog von Postulaten aufzustellen. Das geht ja. Das gibt es ja auch zum Teil, einen kategorischen Imperativ, jetzt vielleicht bezogen auf ökologische Belange oder bezogen auf unser Verhältnis zu den Tieren. Also ein Postulatskatalog, ein Katalog der Wünschbarkeiten. Das ist das Eine.

Genauso wenig wird es sinnvoll sein, nach neuen Institutionen in diesem vordergründigen Sinne Ausschau zu halten und [zu] glauben, dass man institutionell diese Dinge in irgendeiner Form bewältigen kann. Das kann man nicht. Natürlich gibt es politische Grundakzente, die gesetzt werden können, und die mögen auch institutionell sein, und da mag auch ein Katalog von Postulaten enthalten sein. Das ist ja nun nicht, dass das ganz schlecht wäre, ist es ja nicht. Aber es wird nicht in der Tiefe greifen, weil das Entscheidende, was passieren müsste und was vielleicht nur über kollektive Erschütterungen möglich ist, wie wir sie ja vor einigen Monaten auch gehabt haben ‒ also was passieren müsste, wäre einfach zu begreifen, dass da ein tiefer, ein ganzheitlicher Zusammenhang über das eigene Tier-Selbst mit den Tieren besteht. Dass wir über die Schädigung der Tiere nicht nur uns selber schädigen, sondern tiefe, todbringende Schnitte legen, die letztlich in unserer eigenen Bewusstseinsverfassung wurzeln. Und da liegt der Punkt. Es liegt letztlich in unserer eigenen kollektiv verankerten Bewusstseinsformation ‒ da liegt der Punkt ‒ die ja längst eigene Trägheitskräfte entwickelt hat, Trägheitskräfte, die nun wiederum wechselwirken, natürlich ja längst auch Institutionen herausgebildet hat, Apparate, politische Formationen, die aber in der Tiefe immer wurzeln in einer bestimmten kollektiven Bewusstseinsformation. Und da liegt der Punkt. Wenn da nicht über eine nicht nur den Einzelnen ergreifende, also eine kollektive Erschütterung, erste Risse erkennbar werden, wenn es da nicht gelingt, um das mal in dieser Sprache zu formulieren, einen Virus einzuschleusen, der das ganze System erst einmal aus den Angeln zu heben droht, dann wird es sinnlos sein. Insofern ist die erste Voraussetzung für eine sinnvolle ökologische Ethik, dass in der Tiefe des Bewusstseins sich etwas regt. Das kann sich erregen über kollektive Erschütterungen, ich sagte es schon. Das kann und muss immer wieder neu verankert sein in der lebendigen Erfahrung. Das weiß man ja nun wahrlich genugsam, dass ein theoretisch abstraktes Über-die-Dinge-Reden, wie es sein sollte, so gut wie nichts bewegt. [Es] kann nur erwachsen aus einem lebendigen Erfahrungshorizont heraus, es muss erlebbar sein.

Die Einheit, die viel beschworene Einheit, ethische, ökologische Einheit mit der Natur muss eine gelebte sein. Wenn sie das nicht ist, ist auch das dann letztlich nur Makulatur oder eben nur Postulat. Da liegt der entscheidende Punkt. Niemand hat zur Stunde irgendeine passable, greifbare, handhabbare Lösung. Ich auch nicht. Aber es ist wichtig, dass man sich erst einmal im Grundlegenden verständigt. Wenn hier unten der Spruch von Karl Marx mir immer wieder neu aufstößt, wenn ich die Treppe da hoch gehe, dass die Philosophen immer nur interpretiert hätten, es käme darauf an, die Welt zu verändern, dann würde ich sagen, das stimmt, aber eine bestimmte Form der Interpretation ist immer auch eine Veränderung. Insofern ist das Über-etwas-Nachdenken, das In-der-Tiefe-Reflektieren, das geistige Durchdringen und das Verstehen kein abgehobener intellektueller Prozess. Als ein solcher wäre er wirklich müßig, sondern [es ist] etwas, was tatsächlich sich einspeist in einen kollektiven Prozess. Nur wenn man diese Hoffnung hat, dass ich das wirklich einspeisen kann in diesen kollektiven Prozess, kann man ja nicht resignieren. Andernfalls müsste man resignieren aufgrund der unvorstellbaren Trägheitskräfte.

Ich habe das ja schon gesagt, Ervin Laszlo, hat in seinem Schluss-Statement dieser Zivilisation noch 20 Jahre gegeben. Nach allen Daten, die man heute festmachen kann. Nun, es hat andere Prognosen schon dieser Art gegeben, die sich alle als falsch herausgestellt haben. Diese Zeitprognose muss nicht stimmen, aber eine gewisse Größenordnung wird erkennbar, dass dieser Kurs ungebremst weitergeht und natürlich auch etwas zu tun hat mit der Bewusstseinsform, unser aller Bewusstseinsform. Und dass der Zusammenhang besteht mit der Bewusstseinsform und in der Weise wie wir mit Tieren umgehen, kann man schon bei Autoren lesen, von denen [man] es vielleicht gar nicht vermutet. Ich habe das letzte Mal schon angedeutet, ich war erstaunt, in diesem Sammelband hier auch Aussagen zu finden von Horkheimer und Adorno, die erstaunlich hellsichtig und weitgehend sind, etwa Adorno, Horkheimer, 1947, in ihrem berühmten Buch „Dialektik der Aufklärung“, das liest ja heute kaum noch jemand. Aber es ist trotzdem ein hochinteressantes Buch, denn wir sind in der zweiten oder dritten Stufe dieses dialektischen Prozesses der Nach-Nach-Aufklärung. Da gibt es also interessante und sehr präzise Aussagen genau zu diesem Zusammenhang von Bewusstseinsformation, Gesellschaftsformation und der Haltung zu den Tieren.

Die Idee des Menschen, Horkheimer, Adorno: „Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allem Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, dass er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört. Auch heute ist er anerkannt.“ Heute ist 1947 in diesem Fall. „Die Behavioristen haben ihn bloß scheinbar vergessen. Dass sie auf die Menschen dieselben Formeln und Resultate anwenden, die sie entfesselt, in ihren scheußlichen physiologischen Laboratorien wehrlosen Tieren abzwingen, bekundet den Unterschied auf besonders abgefeimte Art. Der Schluss, den sie aus den verstümmelten Tierleibern ziehen, passt nicht auf das Tier in Freiheit, sondern auf den Menschen heute. Er bekundet, indem er sich am Tier vergeht, dass er und nur er in der ganzen Schöpfung, freiwillig so mechanisch, blind und automatisch funktioniert wie die Zuckungen der gefesselten Opfer, die der Fachmann sich zunutze macht. Der Professor am Seziertisch definiert sie wissenschaftlich als Reflexe. Der Mantiker am Altar hatte sie als Zeichen seiner Götter ausposaunt. Dem Menschen gehört die Vernunft, die unbarmherzig abläuft. Das Tier, aus dem er den blutigen Schluss zieht, hat nur das unvernünftige Entsetzen, den Trieb zur Flucht, der ihm abgeschnitten ist. Der Mangel an Vernunft hat keine Worte. Beredt ist ihr Besitz, der die offenbare Geschichte durchherrscht. Die ganze Erde legt für den Ruhm des Menschen Zeugnis ab, in Krieg und Frieden, Arena und Schlachthaus, vom langsamen Tod des Elefanten, den primitive Menschenhorden aufgrund der ersten Planung überwältigen, bis zur lückenlosen Ausbeutung der Tierwelt heute haben die unvernünftigen Geschöpfe stets Vernunft erfahren, wie der sichtbare Hergang verdeckten Henkern, den Unsichtbaren, das Dasein ohne Licht der Vernunft, die Existenz der Tiere selbst. Sie wäre das echte Thema der Psychologie, denn nur das Leben der Tiere verläuft nach seelischen Regungen. Ob Psychologie die Menschen erklären muss? Sind sie regrediert und zerstört?“ Und so weiter. Also sehr scharfe, sehr präzise Aussagen, die mich erstaunt haben, muss ich sagen. Ich hatte lange nicht mehr Adorno gelesen und bin doch verblüfft auch über manche andere Zitate in dem Buch, wie scharfsinnig und tief diese Dinge erfasst worden sind, wie der Zusammenhang wirklich begriffen worden ist zwischen dieser Dialektik der Aufklärung und ihren furchtbaren Konsequenzen und auch unserm Verhältnis zu den Tieren und zur Erde schlechthin.

Also, Sie werden kaum von mir erwartet haben, dass ich Ihnen eine plakative Lösung vorstelle, die man sozusagen auf einem Blatt abhaken kann, um nun zu wissen, wie die Dinge sich verhalten. Das kann es nicht sein, das wäre einfach Scharlatanerie oder blanke Hybris. Es kann nur darum gehen, erst einmal ein Verständnis für diesen Zusammenhang zu gewinnen, ein Tiefenverständnis, das nicht nur ein reduktionistisches ist, wie wir es ja kennen von der herrschenden, der Mainstream-Naturwissenschaft, das kann es nicht sein. Da werden wir so keinen Millimeter weiterkommen.

Ich will, bevor wir ins Gespräch kommen, vielleicht dann noch ein paar Fragen klären. Das nächste Mal werde ich auf die Frage eingehen, wie der Mensch sich der Erde verbinden kann, was heißt das? Naturphilosophisches und Tiefenökologisches zur Geomantie. Ich werde Einiges zur sogenannten Geomantie sagen. Und, es ist interessant, ich habe das erfahren, dass in der Herbst-Ausgabe der „Hagia Chora“ nochmal das Gaia-Thema im Mittelpunkt stehen soll. Ich werde mich dann auch dazu äußern [zur] Frage starke und schwache Theorie und [werde] auch meine eigene Vorstellung von Gaia-Demeter, wie ich Ihnen das ja umrissen habe, darstellen und werde sicherlich schon einige weitere Passagen des Buches dann gelesen haben und kann das hier dann einbeziehen. Auf jeden Fall ist das eine Fundgrube hier, dieses Buch von dem Wachsmuth, ich sage das bei aller Distanz zur Sprache der Anthroposophen und auch zu ihrer ganzen Weltanschauung, aber sie ist trotzdem fruchtbar und führt wirklich weiter, also eine vordergründige Distanzierung davon ist un[nötig].

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