Polarität I – Bauprinzip der Natur

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 17

Transkript als PDF:

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So, ich begrüße sie sehr herzlich zu dieser fünften Vorlesung im Sommersemester. Ich starte heute einen Vierteiler, in gewisser Weise, über Polarität. Drei Teile stehen im Verzeichnis, der vierte ist nur nicht als vierter Teil ausgewiesen. Nicht, das heißt ja „Polarität, Gedanken zu einem Bauprinzip der Natur“, Teil eins heute. Räumliche Komponente oben, unten, innen, außen, dann kommt, dann wird dieser Vierteiler unterbrochen durch einen Gastvortrag von Marko Bischof, den ich herzlich begrüße, er ist heute da. Dazu will ich nachher noch einiges sagen, und dann kommt die zeitliche Komponente, in 14 Tagen. Und dann die Geiststoffkomponente und dann die Polarität im Sinne von Goethe am Beispiel von Licht und Finsternis. Ist also in gewisser Weise der vierte Teil dieser Polaritätsthematik. Ich will einleitend sagen, dass die Frage der Polarität mich gerade in den letzten Jahren existenziell als Philosoph und Denker intensiv beschäftigt hat. Mag sein, dass es mit einer gewissen Lebenserfahrung zusammenhängt, bestimmten Erfahrungen, die man einfach macht. Mir wird immer deutlicher, dass es ein ganz großes, ein wichtiges, ein zentrales Thema ist, was denkerisch, nicht nur naturphilosophisch, auch denkerisch existenziell, noch kaum wirklich aufgearbeitet ist. Ich werde ihnen versuchen heute Abend einen ersten Eindruck zu geben in die Grundfrage der Polarität. Und dann am Beispiel von oben und unten.

Was ist Polarität? Das in eine einfache bündige, jedermann überzeugende und alle Phänomene abdeckende Formel zu bringen, ist unmöglich. Man kann sich annähern, ich habe mal vier Zitate rausgesucht, aus ganz verschiedenen Zeitepochen, die andeuten worum es bei Polarität geht. Ich lese mal diese vier Zitate vor und erläutere das ein wenig. Natürlich kann man sagen, um das gleich doch vorab zu sagen, was ist die Polarität? Das Zweieinige, die Zwei in der Eins und die Eins in der Zwei, in der inneren Spannung. Also der Gründervater der Polaritätsphilosophie, natürlich der griechische Philosoph Heraklit, Herakleitos, bekanntermaßen hat sich in verschiedenen seiner ohnehin spärlichen Fragmente zu dieser Frage geäußert. Ich lese mal ein Zitat vor, gibt viele Übersetzungen, die sich ein bisschen widersprechen und auch abweichen voneinander. Heraklit sagt, vor zweieinhalb tausend Jahren: „Die Gegensätze sind das Gleiche.“ [Kommentar zum Verhalten einer Person im Hintergrund: Er hat sich offenbar geirrt, im Hörsaal oder sonst wo.] „Die Gegensätze sind das Gleiche, denn das Eine, in dem es sich von sich trennt, eint sich mit sich selbst. Denn das Eine, in dem es sich von sich trennt, eint sich mit sich selbst, wie die Harmonie des Bogens mit der Leier.“ [Offenbar zu einer Person im Hintergrund als Antwort: Gerne]. [Es] ist schwierig. „Die Gegensätze sind das Gleiche, denn das Eine, in dem es sich von sich trennt.“ Also … das Eine, dass sich von sich selbst trennt, dass sich selbst quasi gegenübersetzt, eint sich mit sich selbst, wie die Harmonie des Bogens mit der Leier. Ja ermöglicht eigentlich die Leier, also dieser Gegensatz ermöglicht in gewisser Weise, die Leier ermöglicht auch den Bogen. Und das ist ein wesentlicher Grundgedanke der Polarität, dass diese Gegensätze in ihren polarem Spannungsfeld einander konstituieren. Das heißt, das Eine bestimmt sich durch das Zweite, und das Zweite wird durch das Eine bestimmt. Also, wie ganz naheliegend, fast banal, Licht ja nur begreifbar ist und sich als Licht, als es selber konstituiert, durch seinen Gegensatz. Durch seinen polaren Gegensatz, nämlich durch die Finsternis. Man könnte überhaupt gar keine Vorstellung vom Licht gewinnen, wenn man nicht wüsste, erfahren hätte, innen und außen, existenziell, was Finsternis ist. Also, das ist gemeint, der große Renaissance Philosoph Giordano Bruno, von mir hoch verehrt und eingehend studiert, hat sich auch mit der Frage der Polaritäten im Kosmos und in der Seele beschäftigt. Vor allen Dingen mit der Frage der Extreme. Da gibt es ein sehr schönes Wort von ihm, ich darf das mal kurz vorlesen: „… ja wer also die tiefsten Geheimnisse der Natur ergründen will, beobachte und betrachte die Minima und die Maxima des Entgegengesetzten und Widerstreitenden. Es ist eine tiefe Magie, das Entgegengesetzte hervorrufen zu können, wenn man einmal den Punkt der Vereinigung gefunden hat.“Gerne noch mal: „ …. wer also die tiefsten Geheimnisse der Natur ergründen will,“ unterstellt, dass man das will, viele wollen das ja gar nicht, aber, wenn man das will, „ … , beobachte und betrachte die Minima und Maxima des Entgegengesetzten und Widerstreitenden. Es ist eine tiefe Magie, das Entgegengesetzte hervorrufen zu können, wenn man einmal die Punkte der Vereinigung gefunden hat.“ Also da haben sie ein ähnliches Moment der Einheit der Zwei, der Zwei in der Eins und der Eins in der Zwei.

Drittes Zitat, Goethe, der als Dichter und auch … Bitte? Ich habe es schon zweimal vorgelesen, ich kann es aber, im Laufe der Vorlesung wird es hoffentlich deutlich werden. Ich weiß, das es nicht einfach ist, Polarität ist ohnehin ein schwieriges Thema. Und wenn man es ganz oberflächlich behandeln will, ist es ganz einfach, dann kann man es schneller abhaken, wenn man es in der Tiefe behandeln will, ist es sehr schwer, aber ich mache es trotzdem. Also ein letztes Mal, zum dritten Mal: „Wer also die tiefsten Geheimnisse der Natur ergründen will, beobachte und betrachte die Minima“, also das ganz Kleine, „…und die Maxima,“ das ganz Große, „… des Entgegengesetzten und Widerstreitenden. Es ist eine tiefe Magie, das Entgegengesetzte hervorrufen zu können, wenn man einmal den Punkt der Vereinigung gefunden hat.“ Da liegt die Magie gerade, in dem Einheitspunkt, den Gegensatz zu begreifen. Drittes Zitat von Goethe, der als Dichter und Naturphilosoph, der er auch war, er war ein sehr bedeutender Naturphilosoph, der sich mit der Frage der Polarität mehrfach beschäftigt hat. Von ihm stammt die Formel: Polarität und Steigerung, also die Steigerung in der Natur durch Polarität. Er sagt einmal: „Der Gegensatz der Extreme, in dem er an einer Einheit entsteht, bewirkt eben dadurch die Möglichkeit einer Verbindung.“ Noch mal: „Der Gegensatz der Extreme, in dem er an einer Einheit entsteht, bewirkt eben dadurch die Möglichkeit einer Verbindung.“ Bei ihm ist das (exemplifiziert), etwa am Phänomen der Farben, darüber werde ich sprechen. Er meint ja, dass Farben das Produkt sind der Einander-Entgegensetzung von Licht und Finsternis.

Das vierte Zitat stammt von einem der großen Dirigenten des 20ten Jahrhunderts, dem vor drei Jahren verstorbenen Sergiu Celibidache, Chef der Münchener Philarmoniker, der sich mehrfach geäußert hat in seinen Mainzer Vorlesungen zu der Frage der Polarität in der Musik. Und da gibt es ein schönes Zitat, ich habe es übrigens gebracht, in meinem Buch „Was die Erde will“, im Anhang. Ich lese das mal vor, über die Quinte, das Intervall der Quinte, fünfte Stufe in der diatonischen Skala. „Das Wesen der Quinte ist die Opposition, Polarität, Zwei und Drei. Ich teile diese Seite in drei, also in drei Teile, wie auf einem Monochord, und nehme nur zwei Teile, da habe ich die Quinte. Opposition heißt zunächst das zwei Direktionen gegeneinander kämpfen. Wenn die Quinte auseinanderbrechen würde, gebe es eine Explosion, aber indem sie zusammenhält, schaffst sie die größte Einheit die am Werk ist, die am Handeln ist. Die Quinte ist die maximale Opposition in der Einheit“, ja die Quinte ist die maximale Opposition in der Einheit. „Also das musikalische Intervall der Quinte, ja das schlechthin konstituierende Intervall für das Dur-, Moll-tonale System des Abendlandes.“ Also diese Quinte ist für ihn ein Klangsymbol, in gewisser Weise für die Polarität selber. Die Quinte ist die maximale Opposition in der Einheit, wie in der Geometrie der Winkel von 90 Grad, wie die Schwerkraft. Ohne Quinte gibt es keine Struktur, was keine Struktur hat, ist nicht kommunizierbar. Ich gehe da also noch einen Schritt weiter, das heißt ja, ohne Polarität gibt es überhaupt keine Struktur. Das kann man leicht vorwegnehmend am Licht zeigen. Das Licht alleine hat keine Struktur, so vordergründig betrachtet, es bedarf des Dunklen, der dunklen Form. Und jede Form und Gestalt kann in einem Wechselspiel von Licht und Finsternis überhaupt begriffen werden. Und eine sehr plakative Weise noch mal, in ein Bild gebracht, mit allen Unzulänglichkeiten, kann man sagen, der Pol A und der Pol B sind vielfältig miteinander verwoben. Man will als Gesamtes wieder eine Einheit, wobei wichtig ist, dass diese beiden Pole qualitativ different sind. Es geht nicht darum, dass etwa der Pol A und der Pol B einfach nur eine bestimmte Marke auf einer Skala darstellt. Ich nehme mal an eine, nehmen wir mal eine Skala von zehn Einheiten, den Punkt drei und den Punkt sieben. Das ist auf dieser Skala, das ist keine Polarität, oder der Punkt vier oder der Punkt acht. Das ist ein verschiedener Ort, aber keine Polarität, es sei denn ich verbinde mit den Zahlen, denken sie an das, was ich im Wintersemester in einer Vorlesung gesagt habe, qualitativ Symbole für magische oder mystische oder numerologische Vorstellungen. Dann ist es etwas anderes, dann kann ich sagen, die Drei ist etwas qualitativ anderes als die Sieben. Dann mag eine Polarität hineinspielen, auf der normalen Skala ist das keine Polarität.

Die Polaritäten, die dem Menschen am meisten bewegen, sind eigentlich drei Polaritäten, die jeden im Innersten aufwühlen. Das ist die Polarität natürlich von Leben und Tod, beziehungsweise von Werden und Vergehen. Leben gibt es nur um den Preis des Todes, den Tod gibt es nur, weil es Leben gibt. Jedes Neugeborene ist schon zum Tode verurteilt, also Leben und Tod sind innig miteinander verschwistert. Sie konstituieren einander. Dann natürlich die Polarität von Licht und Finsternis, der Tag und die Nacht. Im umfassenden Sinne, auch in einem spirituellem, in einem mystischen Sinne, das Dunkle, das Lichte. Also Metaphysik des Lichtes, Metaphysik der Dunkelheit und männlich, weiblich. Das Weibliche und das Männliche, das sind wohl die drei Polaritäten, die jeden in der Tiefe berühren, mit denen er ständig konfrontiert ist und die ihn unaufhörlich bewegen. Es wäre müßig, jetzt hier eine Skala der vielen Polaritäten, die es hier gibt, hier aufzuführen. Das wird im Zusammenhang mit dem Vortrag auch dann deutlich werden. Ich will anknüpfen an ein Buch, was ich jetzt mittlerweile fast zu Ende gelesen habe. Nämlich von Peter Sloterdijk „Spären 1. Blasen“. Ich war erstaunt festzustellen, dass Sloterdijk, und das konnte man zunächst gar nicht ahnen, auf den ersten 150, 200 Seiten, bei diesem immerhin über 600 Seiten umfassenden Buch, sich auch ganz intensiv in diesem Buch mit dem Thema Polarität beschäftigt. Und zwar mit einer bestimmten Polarität, einer, so fasst er das ursprungsmäßig zunächst einmal, interuterinen Polarität, nämlich der Polarität des Fötus mit der Plazenta. Das ist eine, ein Versuch, ein großartiger philosophischer Versuch, den rätselhaften Dialog im Uterus nachzuzeichnen, den das Noch-nicht-Subjekt, genannt Fötus, er nennt es auch das „Auch“, führt mit der Plazenta, nicht unmittelbar mit dem mütterlichen Organismus, mit der Mutter, sondern mit der Plazenta. Und er zeigt in diesem Buch hochinteressant, aufregend und spannend, dass der moderne Individualitätsgedanke, der zum Erblühen gekommen ist, sagen wir mal vor ungefähr 200 Jahren, parallel läuft, mit einer geringen Achtung, Geringschätzung, ja einer totalen Gleichgültigkeit gegenüber der Plazenta, die als Müll entsorgt wird. Wie das ja bekannt ist, mehr oder weniger die Plazenta, der Mutterkuchen, die Nachgeburt ist Müll, wird zerrieben, zum Teil wird es in der Müllverarbeitung benutzt. Es gibt in ganzen, [in] vielen Kulturkreisen ist das ganz anders gewesen, da werden, gibt es Heilrituale, zum Teil wird die Plazenta gegessen und so weiter. Er wendet sich dem Thema in einer Intensität zu, wie es noch nie ein Denker gemacht hat. Und es geht ihm letztlich, ich will das mal versuchen formelhaft zu verkürzen, was schwer ist bei dieser ungeheuer komprimierten, subtilen und ausdifferenzierten Sprache von Sloterdijk, es geht ihm letztlich darum zu zeigen, dass dieser Verlust der Plazenta quasi als ein Symbol auch steht für die Atomisierung und Vereinzelung des modernen Individuums. Und damit auch kausal verantwortlich ist für die ökologische Krise. Und da spannt sich ein interessanter Bogen, auch zu meiner These von der kollektiven Neurose. Und zu meiner These in „Was die Erde will“, dass die gelungene, die gute, die richtige Geburt, eigentlich und zwar kollektiv und individuell die Grundlage überhaupt einer synergetischen Verbindung von Mensch und Schöpfung darstellt. Auch das ist ein Thema bei ihm: die misslungene Geburt als ein Desaster. Und da führt er also die Plazenta hier ein und zwar sagt er: „Dass der Mensch immer zugeordnet ist, auf das jeweils Andere, den jeweils Anderen, die jeweils andere. Der Mensch ist nie der Eine, ohne den Anderen oder das Andere.“ Und in Anlehnung an Heidegger und auch an Weiterführung einiger Passagen aus seiner Zeit, die Heidegger nicht weiter verfolgt, spricht er von der existentialen Raumblindheit des modernen Denkens. Und überhaupt der Raumblindheit des Subjekts überhaupt. Und macht das verant-, mitverantwortlich für die desaströse Situation der Gegenwart. Er meint das nicht moralisch und stellt diese Thematik nicht so heraus, wie das möglich wäre. Wie ich das zum Beispiel getan habe, er meint das eher phänomenologisch. Ich will das mal versuchen, an einigen wenigen Beispiel ihnen zu verdeutlichen, weil das wirklich extrem ist, wie das hier Sloterdijk zu denken versucht. Und worum es hier geht, das moderne Individuum, das im 18ten Jahrhundert zu seiner Blüte kam, begreift sich als den Einzelnen oder die Einzelne, ohne ein Zweites. Und Sloterdijk behauptet, sehr weitreichende These, dass gerade darin die Neurose und die Abspaltung besteht. Dass man nicht mehr verstanden hat, dass im Raum sein, in einer Sphäre sein bedeutet, immer mit dem polaren Gegenstück sein. Das heißt, Sein ist immer Mitsein, immer mit dem Anderen, der Anderen, Sein ist immer ein Mit, ein Zwischen, im Grunde genommen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, das ist eine Philosophie des Mit und des Zwischen. Also der Einzelne ist nie der Einzelne und kann nie der Einzelne sein, sonst könnte er gar nicht existieren. Der Nihilismus ist ja im Grunde genommen die Behauptung der totalen Ortlosigkeit des Einzelnen. Also ist die existenzielle Frage, wo ist der Mensch existenziell, ontologisch, ja kaum zu beantworten. Er ist in gewisser Weise, was die moderne Bewusstseinsverfassung betrifft, ersteinmal im Nirgendwo. Er ist geradezu eine Definition des Nihilismus, der Mensch ist im Nirgendwo, er hat überhaupt keinen Ort. Er müsste sich erstmal einwohnen, und zwar, wie ich meine, und das deutet auch Sloterdijk an, doppelt einwohnen. In die Erde einwohnen – und in den Kosmos einwohnen. Ich will mal einige kurze Zitate bringen, die das vielleicht ein bisschen verdeutlichen. Das muss man mit aller Vorsicht sagen, denn der Rüdiger Safranski in seiner Besprechung dieses Buches sagt mit Recht: „Sloterdijk auf einfachere Formen zu bringen heißt ihn verkürzen.“ In gewisser Weise ist das Buch auch ein Stück Literatur, das heißt also, das, was gesagt wird, hat nicht umsonst eine bestimmte sprachliche Form. Wenn man es übersetzt, in eine Vereinfachung, nimmt man ihm ein Stück weit seine Essenz. Wie man große Literatur, wirklich wichtige Texte, nicht einfach mal so in Thesen auf dem Paper rüberreichen kann. Dann verlieren sie einfach an Kraft, das kann man zwar tun bei Sloterdijk, dann wirkt das aber eigenartig und eher befremdlich, ja man kann es auch als monströs bezeichnen, als vollkommen abwegig. Denn es ist ja, was er hier macht, ist ein faszinierendes Beispiel für einen modernen Intellektuellen, sich einen Schleichweg zu bahnen in eine neue Form von Spiritualität und Mystik, ja Gnosis. Nicht zufällig ist ja Sloterdijk ein großer Gnosis-Kenner und -Forscher und hat ja eine der wichtigsten, vielleicht sogar die wichtigste Sammlung zur Gnosis herausgegeben: „Weltrevolution der Seele“, zusammen mit Thomas Macho, der hier an der Humboldt Universität auch lehrt, Weltrevolution der Seele, und er versucht sich von der modernen Bewusstseinsverfassung aus einen Schleichweg in die Gnosis zu bahnen. Es ist eigentlich eine Art von Mystik und Neo-Gnosis, die er hier vollzieht. Ich gebe ihnen mal kurz das Beispiel, auch wenn man das im Grunde genommen Satz für Satz interpretieren müsste. Ich will das auch nicht zu weit ausführen, nur ich will auf den Punkt kommen der Polarität. Das ist auch ein Buch über Polarität – und über den Verlust der Polarität. Über das Verhängnis des Verlustes einer guten Polarität, gut nicht im moralischen Sinne, sondern im Sinn der philosophischen Tradition des guten Lebens, eine gute Polarität. „Manches spricht dafür, dass der moderne Individualismus erst in seine heiße Phase eintreten konnte, als in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts die allgemeine klinische und kulturelle Exkommunikation der Plazenta begann.“ – Kurz um die Plazenta, die Nachgeburt, der Mutterkuchen gehört auf den Müll, was soll man damit noch? Fürderhin – „die verfasste Ärzteschaft nahm es auf sich, wie eine gynäkologische Inquisition sicherzustellen, dass der rechte Glaube an das Alleingeborenwerden in allen Diskursen und Gemütsverfassungen fest verankert wurde. Der bürgerlich individualistische Positivismus setzte gegen schwache Widerstände der Seelenpartnerschaftsromantik“ – jetzt schöne Formulierung – „die radikale imaginäre Einzelhaft der Individuen in den Mutterschößen, in den Wiegen und in der eigenen Haut durch.“ Sehr schön gesagt, sehr pointiert gesagt, der moderne Individualismus, das atomisierte Individuum, jeder für sich, vollkommen vereinsamt, elendig gekrümmt in sein eigenes Ego ist eigentlich eine radikal imaginäre Einzelhaft, jeder, das sagt er mehrfach in dem Buch: „Jeder ist eigentlich in Einzelhaft, jeder hat lebenslänglich.“ Und zwar muss er es mit selbst sich aushalten, weil der andere verloren­gegangen ist, der ist einfach weg. „Des Zweiten beraubt werden nun alle Einzelnen unmittelbar zu den Müttern“, – er meint das unmittelbar zur rein biologischen Natur – „und gleich danach unmittelbar zu der totalitären Nation, die durch ihre Schulen und Armeen nach den einzelnen Kindern greift.“ Seine These ist hier, wenn das Zweite, auch das spirituell, das metaphysisch Zweite, die Ergänzung, weg ist, dann wird der Einzelne zum Futter der totalitären Ideologien, oder er stürzt ab. Auf die Ebene der puren Bios-Natur, er wird pure Natur, purer Körper, oder er wird als Einzelner jetzt totalitär vereinnahmt. Das muss nicht unbedingt Faschismus bedeuten oder Nationalsozialismus, Kommunismus, sondern generell von den modernen Gesellschaften, die letztlich diesen vereinzelten Menschen auch brauchen, ja durch ihn konstituiert werden. Nicht umsonst findet man den Meisterdenker der Regression in die absorbierende Natur wie in den pathetischen Nationalstaat, Jean Jacques Rousseau. als charmant groteske Portalfigur am Eingang zu der strukturellen modernen Welt. … Rousseau war der Erfinder des Menschen ohne Freund, der das ergänzende Andere immer nur entweder als unmittelbare Mutter Natur, berühmt ja „Zurück zur Natur“ oder als unmittelbarer Nationaltotalität denken konnte. Mit ihm beginnt das Zeitalter der letzten Menschen, Nietzsche, „Zarathustra“, die sich nicht schämen als Produkte ihres Milieus und als Einzelfälle sozialpsychologischer Gesetze aufzutreten. Darum ist seit Rousseau die Sozialpsychologie die wissenschaftliche Form der Menschenverachtung. Und zwar deswegen, weil damit eigentlich, in dem die Ergänzung wegfällt, das Zweite, das metaphysisch Zweite, das spirituell Zweite, die eigentliche, auch kosmische Ergänzung, der Mensch eigentlich abstürzt und seine Menschenwürde ist dann erst einmal dahin und kann natürlich beliebig abgeräumt werden, vereinnahmt werden in jedwedes totalitäre System. Wohingegen wie in der Antike und in den populären Traditionen im kulturellen Imaginären ein Platz für das Double der Seele offengelassen war.“ Er bringt da eine Fülle von Beispielen aus der gesamten Weltmystik, der immer, der Zweite, die Römer nannten das den Genius. In Griechenland der Daimonion, immer das, der Zweite, der Andere. Der in gewisser Weise immer man selbst ist, aber doch ein Anderer ist. Also „wohingegen im kulturell Imaginären ein Platz für das Double der Seele offengelassen war, konnten die Menschen bis an die Schwelle der Moderne sich dessen vergewissern. Dass sie weder unmittelbar zu den Müttern,“ Absturz auf die Naturebene, Bios-Ebene, „sind, noch unmittelbar zu der Gesellschaft oder zum eigenen Volk. Sondern Zeit Lebens vorrangig verbunden bleiben“, jetzt pointiert, „mit einem innersten Zweiten“. Also diesem quasi metaphysischem Zweiten, also das ist, in gewisser Weise ist eine Metaphysik der Plazenta, jetzt mal vereinfacht gesagt. Mit einem innersten Zweiten, dem eigentlichen Alliierten und Genius ihrer besonderen Existenz. Also er fächert nun die gesamte Weltmystik und Weltspiritualität auf. Immer auf der Suche nach dem oder der Zweiten, dem Anderen. Ohne das oder den oder die der Mensch gar nicht existieren kann, wenn man Erfahrungsberichte hört von Menschen die transpersonale, holotrope, grenzüber­schreitende Erfahrungen gemacht haben, dann wird man immer wieder auf eine zentrale Aussage stoßen, in fast allen dieser Berichte, dass der Einzelne oder die Einzelne schockartig sich des Anderen bewusst wird, ja plötzlich begreift, dass es eigentlich immer der Andere war. Also der Genius, das Daimonion, der geheimnisvolle Zweite, der Engel und ähnliches. Es gibt eine berühmte Aussage des amerikanischen Dichters Walt Whitman, der eine solche Grenzerfahrung, grenzüberschreitende Erfahrung hatte. Der dann erschüttert, aufgewühlt gesagt hat: Ich bin der Andere. Also der Einzelne ist der Andere, er begreift, dass nur er selbst sein eigentlich, das Gefängnis ist. Wer immer er selbst sein muss, ist in der Falle, er ist im Gefängnis. Das ist an sich schon die Neurose, nur er selbst sein zu dürfen. Und das also hier einleitend, das verarbeitet der Sloterdijk zu einer Etüde über das Thema: Verlust des Anderen, der Anderen. Und damit auch Verlust der Polarität, und das ist ja unser Thema.

Es geht ja um die Frage, was Polarität ist und wie man ein Verständnis von Polarität ja auch fruchtbar machen kann für ein Verständnis der ökologischen Krise. Das ist ja wichtig, das ist ja unser Ausgangspunkt, warum zerstört der Mensch die Erde? Das ist ja die Frage, warum geschieht das? Und auch mir ist erst in den letzten Jahren zunehmend deutlich geworden, dass die Frage der Polarität hier tatsächlich zentral ist. Der Mensch hat auch die Polarität verloren, und zwar die gute Polarität. Natürlich bewegt er sich in polaren Gegensätzen, jeder ist ja der Feind des anderen, in gewisser Weise. „Homini hominus lupus est“, Thomas Hobbes, also das ist klar, dass natürlich auf der Ego-Ebene sowieso immer das andere Ego erstmal der Gegner ist oder die Gegnerin. Es ist also geht um eine innere, um eine gute Polarität, um den-, um die Einsicht, dass in der Welt sein immer bedeutet, in Verbindung sein. Eben am Beispiel der intrauterinen Zweiheit mit der Plazenta. Wenn man das mal in meine Thesen übersetzt quasi, diese Sprache, und das kann man, mit einem gewissen Recht und auch mit gewissen Abstrichen, aber das geht, dann könnte man das vielleicht so sagen, ich darf das mal vorlesen. Ich habe das heute Morgen mir mal klarzumachen versucht, wenn ich die These von Sloterdijk ernstnehme. Und das tue ich, bei allen Manierismen die natürlich in seinem Buch mitlaufen, dann könnte ich sagen: Sloterdijks „Sphären 1. – Blasen“ ist ein Buch über den polaren Innenraum des Menschen. Beziehungsweise dessen Verlust, Raumblindheit im modernen Individualismus. Nicht umsonst ist bei Descartes die res cogitans, die denkende Seele, ohne Raum. Sie ist-, hat gar keinen Ort, sie ist raumlos. Sie hat auch-, ja, hier geht es nicht um Ausdehnung, in diesen vordergründigem Sinne, es geht natürlich um Innenraum. Wie Rilke sagt: „Weltinnenraum, Seelenraum.“ Nicht, das ist ja auch eine wesentliche These, auch hier in dem Buch, dass der Mensch ohne diese kollektiven Seelenräume als Sphären gar nicht existieren kann. Er schafft sich ständig neue kollektive und soziale Blasen. Bei mir meint kollektive Neurose den kollektiven Verlust des Himmels und der Erde. Nicht, die Erdbindung und die Bindung zum Kosmos, Metakosmos, zu der transpersonalen Sphäre. Also den kollektiven Verlust des Himmels und der Erde und damit den Wegfall der polaren Spannung von mittlerer Sphäre, mit ihrem Oben und ihrem Unten. Es fließen von dort keine nährenden Kräfte mehr, ich habe ja verschiedentlich gesagt, wenn man den Menschen als einen Mesokosmos betrachtet, als ein mittleres Wesen, auch im Sinne der neuplatonischen Überlieferung eingehängt zwischen Himmel und Erde, nicht mehr Tier und noch nicht Gott, irgendwie unterwegs zwischen Tier und Gott, dann kann man ja aus dieser polaren Spannung auch etwas ableiten über dieses Wesen Mensch. Dann ist der Mensch ja ein Wesen im Zwischen, tibetisch, buddhistisch gesagt im Bardo, im Zwischenzustand. Und wenn man das wegschneidet, die lebendig nährende Erde da drunten, die zwar faktisch weiterexistiert, und selbst der größte Neurotiker kann ohne die ständigen nährenden Kräfte unter seinen Füßen nicht existieren, und wenn man gleichzeitig die transpersonale Sphäre, sozusagen nach oben den Blick auch, wegschneidet oder das zumauert, dann kann der Mensch und muss der Mensch mittel- oder langfristig sich und das Gestirn zerstören. Bei mir meint kollektive Neurose den kollektiven Verlust des Himmels und der Erde und damit den Wegfall der polaren Spannung von mittlerer Sphäre mit ihrem Oben und ihrem Unten, es fließen von daher keine nährenden Kräfte mehr. Das Außen ist einfach dröhnende Leere, mal abgesehen von spirituellen oder ufologischen oder astrologischen Bezügen, die es ja gibt, aber erst einmal im Mainstream-Denken ist das Außen dröhnende Leere, Panik machende Unendlichkeit, ein Nichts eigentlich, das den Menschen zermalmt.

Nimmt man dem mesokosmischen Wesen, dem Menschen das wirkliche Oben, Kosmos im tiefsten Ortssinn und das wirkliche Unten, den irdischen Boden, die atmende nährende Erde, zerstrahlt es in die nihilistische Ortlosigkeit, die ihn zu Surrogaten zwingt, zu selbstgemachten Sphären. Derart soll der Verlust kaschiert werden, sehr schön sagt das Sloterdijk einmal über die Globalisierung, nachdem die Sphären der alten weggesprengt worden sind in der Mainstreamkosmologie und der Mensch nun sozusagen nackt vor dem Nichts steht, schafft er sich in der Globalisierung und mittels der technischen Welt eine Scheinsphäre. Eine Scheinhülle, die ihn nun schützt vor dem gnadenlos eisigen Anhauch des Nichts. Ja, da soll der Verlust kaschiert werden, der moderne Mensch hat den Raum als existenziellen Mitraum verloren. Sloterdijk geht zurück in die intrauterine Phase, in die polare Verbundenheit von Fötus, dem Präsubjekt, dem Auch und Plazenta, dem Mit, dem ersten „Nobjekt“, wie Thomas Macho sagt. Thomas Macho hat auch den Begriff des Nobjekts geprägt, no Object und doch nicht Subjekt, also was jenseits von Subjekt und Objekt ist, existenzialer Raum ist immer polar gebauter Mitraum. Die Ortlosigkeit, Verlust des Innenmitraums und die Abspaltung vom inneren Anderen stoßen das moderne Individuum in die Sphären der puren biologischen Natur oder der kollektiven totalitären sozialen Gebilde. Auf andere Weise als ich, aber doch in gewisser Weise analog, sieht Sloterdijk die misslungene Geburt als Schlüsselelement zum Verständnis der Krise. Ist ja ein Leitmotiv in meinem Buch „Was die Erde will“, die misslungene Geburt. Viele verstehen das gar nicht oder lesen das Buch und wissen gar nicht, dass ich darüber spreche, als ein wesentliches Thema. Die misslungene Geburt, als ein desaströses Moment, und zwar kollektiv und individuell. Auf andere Weise als ich, aber doch in gewisser Weise analog sieht Sloterdijk die misslungene Geburt als Schlüsselelement zum Verständnis der Krise. Es geht umfassend um die gute und vollständige Inkarnation, Geburt. Dass, wie ich das nenne, das richtige, das wirkliche Sich-Inkarnieren. Nicht das Halbinkarniertsein und dann technisch imperial, machtförmig die Geburt in Szene setzen. Auf Teufel-komm-raus oder Erde-geht-zu-Grunde. Nur derart kann der Raum zum Mitraum, das Selbst ohne Raum, Sloterdijk, überwunden werden. Zugleich ist der Verlust des inneren Gegenpols im Sinne dessen was viele voreilig, die Esoteriker, aber doch im Kern zutreffend, als das höhere Selbst bezeichnen, angesprochen. Sloterdijk benutzt solche Begriffe nicht, niemals benutzt er den Begriff des höheren Selbst, weil es ja ein schon weitläufig abgenutzter Begriff, auch in der Esoterik- und der New-Age-Szene ist. Das höhere Selbst, davon spricht fast jeder zweite und dritte, hat fast Talkshowqualität schon, das höhere Selbst, „mein höheres Selbst“, er benutzt diese Begriffe nicht, obwohl man sie natürlich so deuten kann, dass er im Grunde das meint. „Ich bin der andere.“, sagt Walt Whitman nach einer grenzüberschreitenden Erfahrung. Ich habe das schon gesagt. In der transpersonalen Erfahrung kann sich der Einzelne als der eigene kosmische Genius erfahren. Das zu einer möglichen Verbindung zwischen den Thesen dieses Buches von Sloterdijk und meinen eigenen Thesen. Ist sehr schwierig, und es wäre ein eigener Dialog jetzt, der hier geführt werden müsste mit Sloterdijk über diese Fragen, und der steht an und wird auch demnächst passieren. Ich will jetzt noch mal die ganze Frage der Polarität von einem ganz anderen Blickwinkel aus zeigen.

Man kann ja die Frage der Polarität sich verdeutlichen auf vielfältige Weise. Eine Weise ist, indem man sich vorstellt, wenn sie das mal einen Moment machen, wäre das vielleicht hilfreich, worin besteht der Unterschied zwischen dem Raum innerhalb einer Kugel und außerhalb einer Kugel? Zunächst könnte man sagen, das ist überhaupt kein Unterschied, das ist der gleiche Raum. Innen ist der Innenraum und außen ist der Außenraum, worin soll der Unterschied bestehen? Man kann aber, wenn man das weiterverfolgt, zeigen, dass der Innenraum einer Kugel und der Außenraum einer Kugel nicht identisch sind. Das ist kosmologisch immer wichtig gewesen in diesen Zusammenhängen. Ich will das hier noch ein bisschen später bringen, das ist jetzt verwirrend, ich wollte noch mal eine andere Skizze bringen. Einfach nur die Kugel, wenn sie sich das vielleicht mal vorstellen, in einer gewissen Dreidimensionalität, als Kugel. Der Mensch hat sich ja immer beschäftigt mit dieser Kugelform, auch in ihrer polaren Funktion. Nicht umsonst haben die Platoniker die Kugel als, die sphairos, die Kugel, die Sphäre, als den idealen Körper bezeichnet. Und kosmologische Modelle, das habe ich ja auch immer wieder auch angedeutet, gehen immer wieder von der Kugel aus. Und auch die Seele ist in vielen mystischen spirituellen Traditionen als Kugel verstanden worden. Die Seelenkugel, als eine Lichtkugel, zum Beispiel, in der Mystik des großen Mystikers und Philosophen Jakob Böhme taucht das immer wieder auf. Die Seele als eine Kugel, und das hat zu interessanten Schlussfolgerungen geführt. Also kosmologisch gesehen, sie kennen das ja, ich habe es ihnen ja mehrfach angedeutet. Ich sage es noch mal kurz, weil es für das-, für den Kontext wirklich wichtig ist. Im traditionären mittelalterlichen Weltbild ist ja der Kosmos eine gewaltige Innenkugel, ohne Außenkugel. Da sind wir schon bei einer grundstürzenden Polarität. Wie kann das sein, eine Innenkugel, ohne Außenkugel, rein stereometrisch ist das unmöglich. Eine Innenkugel muss, die Innenfläche einer Kugel, die Kugelinnenfläche, muss eine Außenfläche haben. Das Konvexe und das Konkave müssen zusammengehören. Das ist nicht so gedacht worden, im aristotelischen-ptolemäischen, auch im mittelalterlichen Weltbild. Nicht, das ist eben das, was erst einmal schwierig ist zu begreifen, aber was für die ganze Diskussion, auch für die Polarität wichtig ist. Man nahm ja an, dass die Innensphäre, hier die Fixsterne, in der Mitte des Kosmos die Erde, umgeben von verschiedenen planetaren Körpern, das eine ist. Während außen eigentlich gar kein Außen ist, weil, außen ist kein Raum, auch kein Nichtraum, sondern etwas, was nicht vorstellbar ist. Das war ja eine Polemik der Naturphilosophen gegen Aristoteles, auch der pythagoreischen Naturphilosophen gegen Aristoteles, zu sagen: Das kann nicht sein, wenn es einen Innenraum gibt, an dem die Fixsterne befestigt sind, nicht, Erde, sondern meistens als Siebensphären gedachten Bahnen, Kreise, Schalen der Himmelskörper, dann muss dem auch ein Außenraum entsprechen, dann fiele die Polarität weg. Das ist wichtig, also etwa Giordano Bruno viele andere Argumente aufgreifend, und auch aus der römischen Antike Lukretius, vertrat die These, es gibt eben keine substanzielle Polarität von Innenraum und Außenraum. Sondern der Innenraum ist der Außenraum und umgekehrt, dann muss der Raum unendlich sein, das ist klar. Wenn man sich dieser, wenn man meint, dass der Raum, wie wir ihn kennen, so beschaffen ist, dann kann er nur und muss er unendlich sein. Dann kann man der Frage der Unendlichkeit nicht mehr ausweichen. Nun kann man natürlich sagen, der Innenraum und der Außenraum sind eine wirkliche Polarität, weil der Innenraum auch im Sinne von Bruno, ist ja immer der endliche Raum. Und der Außenraum in diesem Sinne ist immer der unendliche Raum, dann wäre man bei der Polarität von Endlichkeit und Unendlichkeit. Man könnte so weit gehen zu sagen, dass man einen derartigen-, eine derartige Kugel sowohl von innen aus denken kann, von der Radialität, vom Mittelpunkt aus, in alle Richtungen, als auch von außen. Dann hätte man eine ganz andersartige Vorstellung, nicht, das ist möglich. Man kann die Dinge sozusagen von innen und von außen betrachten, und man kann jetzt auch, und das führt uns ja in die Frage dieser Vorlesung noch hinein, nach der oben-unten-Polarität, auch des Organismus, man hat das natürlich immer verbunden mit den jeweilig konkreten Gestalten. Aristoteles, und mit ihm viele andere, war ja der Auffassung, das Unten unter unseren Füßen ist ein absolutes Unten. Die Gravitation ist eine Raumbeschaffenheit, also die Gravitation wirkt zentrierend zum Weltmittelpunkt hin. Sie ist in diesem Sinne eine absolute Größe. Wenn ich das aufhebe, dann komme ich natürlich erst einmal zu einem kosmischen Relativismus. Dann ist das Unten was wir spüren, wie wir hier im Raum miteinander sind, haben wir ja ein klares Gefühl von unten, aufgrund der Gravitation, dann wird das zu einer durch und durch relativen Größe, und doch hat jeder von uns, und das ist eigenartig, elementar, existenziell das Gefühl, dass es doch einen Unterschied macht. Nun könnte man sagen, das ist nur einfach ein Relikt einer nicht überwundenen Bewusstseinsstufe. Wir reden ja davon die Sonne geht auf oder unter, und wir sind alle unserer Alltagssprache mehr oder weniger Ptolemäer, also Antikopernikaner. Nicht, die Sinne, der Leib glaubt nicht an Kopernikus, er kann da auch nicht daran glauben, weil er in seiner unmittelbaren Verfassung erst einmal das Unten als unten und das Oben als oben begreift. Und das hat immer auch, denken sie an das, was Sloterdijk gesagt hat, eine spirituelle Komponente. Die Jenseitsvorstellung der, etwa der mittelalterlichen Kosmologie, ging ja darauf aus, dass das Jenseits, das räumliche Anderswo, tatsächlich auch ein spirituelles Anderswo ist. Also jenseits im räumlichen Sinne, das Jenseits war tatsächlich woanders. Also nicht im Sinne einer anderen Dimensionalität, die auch hier ist, man könnte ja auch sagen, das Jenseits ist auch hier, in diesem Moment, in diesem Raum. Nur eben in einer anderen Dimension, nein, das Jenseits war buchstäblich woanders. Und der Blick nach oben zum Firmament war letztlich der Blick in eine göttliche Sphäre. Nicht, die Fixsternsphäre war die letzte Grenze des von allen Seiten hereinflutenden Göttlichen. Insofern war der Blick zu den Gestirnen der Blick zum Göttlichen und damit auch die aufgerichtete Gestalt des Menschen, das erhobene Haupt war immer gegen den Himmel gerichtet, und so ist es in vielen spirituellen Traditionen ja vollkommen ungeachtet der kosmologischen Entwurzelung und des Relativismus geblieben, die aufgerichtete Wirbelsäule etwa in vielen Meditationsformen, Kopf gen Himmel, zeugt davon. Also, kosmologisch gesehen ist diese oben-unten-Polarität aus den Angeln gehoben worden. Existenziell nicht vollständig. Oben hat immer noch einen letzten Rest von Andersartigkeit, ja geradezu von anders Anderswelt. Der Blick nach oben ist immer ein Stück weit noch etwas anderes als das Irdisch-Sinnliche hier unten. Und das, da liegt der Punkt, und auch dort wird wieder, nur eben anders, nachmittelalterlich die Vorstellung vertreten, dass das Kosmische da drüben, da oben tatsächlich auch etwas Göttliches ist. Also etwas anderes und damit auch ein anderer Raum, nicht, wenn da oben etwas anderes hereinflutet, ein anderer Raum, dann ist das nicht einfach Materie, die da einfach nur sinnlos unendlich weitergeht. Das würde ja den totalen Relativismus bedeuten, und da liegt genau der Punkt, wenn man versuchen will zu verstehen, was es mit der Polarität der menschlichen Gestalt auf sich hat. Traditionell ist es immer so verstanden worden, dass der Mensch in seiner aufgerichteten Gestalt, mit seinem Haupt tatsächlich diese Sphären abbildet. Das kann man an ganz vielen spirituellen Überlieferungen sehen, dass das Haupt der-, die Quasi-Kugel des Kopfes, auch ein Abbild ist der Himmelskugel. Nicht, das findet man noch wortwörtlich dann in einigen Vorträgen von Steiner bei den Anthroposophen, der Kopf, die Kugel, als Kopf ein Abbild dieser Sphärenharmonie, trotz Kopernikanismus. Nicht, das ist ja an sich erstmal geistesgeschichtlich kosmologisch ein Unterschied. Wieso soll denn eigentlich der menschliche Kopf ein Abbild einer Sphäre sein, die gar nicht existiert? Nicht, denn erst einmal sind ja nach Kopernikanismus diese Sphären radikal abgeräumt worden. Es wird ja-, es ist ja nur ein Scheinbild, man kann natürlich auf eine tiefere Weise, auf einer tieferen Ebene diese Sphären wiederherstellen, aber dann anders. Dann muss man sozusagen eine andere Ebene berühren, also in der traditionellen Spiritualität der letzten zweieinhalbtausend Jahre ist der Kopf, die Kugelform des Kopfes, ein Abbild der Sphären. Und damit ist in gewisser Weise eine absolute oben-unten- Polarität hergestellt. Die auch eine qualitative Differenz bedeutet, denn oben, auch im Sinne der asiatischen Chakralehre, ist höherwertig. Das heißt nicht, dass das Untere deswegen geringgeachtet wird, aber der Kopf, der Brustraum, die Kopfform ist mehr, höher, qualitativ anders, als die unteren Regionen, Partien des Körpers. Im-, in den Yoga-Sutras von Patanjali zum Beispiel wird mehrfach gesagt: Menschsein beginnt erst vom Herzzentrum an, darunter ist dieser Organismus noch nicht Mensch. Es ist in gewisser Weise vormenschlich oder tierisch, damit wird also eine klare Wertung in der oben-unten-Relation vorgenommen, entlang der Vertikalachse. Und die Schwierigkeit, das will ich kurz sagen, vor der Pause, für uns heute überhaupt in diese Gedankengänge uns wieder hineinzufinden, besteht ja darin, dass wir kosmologisch das Ganze abgeräumt haben. Und nun große Mühe haben einen derartigen Gedanken überhaupt zuzulassen. Dass es so etwas geben könnte, wie eine holarchische Stufenordnung in dieser organischen Gestalt. Sehr schwierig, weil ja schnell auch der Begriff des Holarchischen oder Hierarchischen politisch besetzt rüberkommt. Und Misstrauen auslöst, als ob es hier um eine hierarchische Wirklichkeits­überzeugung ginge. Um die es in der Tat auch geht, bloß in einer anderen Form, als es im traditionellem Sinne der Fall ist. Also das erstmal zu diesem im ersten Durchgang, auch, wenn das jetzt vielleicht etwas schwierig und nicht in allen Facetten nachvollziehbar gewesen sein mag. Zu diesem Problem der kosmologischen Entwurzelung den-, des Verlustes der Polarität und dem Versuch diese Hierarchie von oben und unten auf eine andere Weise wiederzugewinnen. Auch im Nachkopernikanismus, können wir das, geht das? Auch, wenn wir meinen, fühlen, denken, glauben, dass diese Sphären so nicht existieren. Und das ist genau das Thema, und da will ich dann auch versuchen ihnen eigene Denkansätze vorzustellen, die es dazu gibt. Und ich will versuchen zu zeigen, wie man das auf eine neue Weise denken kann. Das ist extrem schwierig und subtil. Und die wenigsten Denker machen sich überhaupt die Mühe, sich an diese Thema ranzuwagen. Insofern mag auch in meinen Ausführungen vieles unzulänglich und vorläufig sein, das liegt aber an der ungeheuren Schwierigkeit der Thematik. Und da ist wirklich noch Neuland zu erschließen, ich mache mal eine kleine Pause.

Ein ganz anderer Gesichtspunkt, dann gibt es ja auch ganz bestimmte Vorstellungen von dem feinstofflichem System des menschlichen Körpers. Auch mit einer bestimmten oben- unten-Zuordnung, die gibt es ja überall. Ich habe ihnen ja das Beispiel der Yoga-Sutras von Pantanjali erwähnt, dass Menschsein erst oberhalb des Herzzentrums überhaupt beginnt. Ich war im letzten Wochenende, das gehört hier hinein, auf einem Kongress für Ärzte, Therapeuten und Heilpraktiker, ich habe da teilgenommen als Vortragender und habe da auch über diese Dinge gesprochen, im Plenum. Nur 250, 260 Leute, und da sind auch diese Fragen zu Sprache gekommen. Auch, wie man das ganz praktisch umsetzen kann, wie man damit praktisch arbeiten kann? Diese Fragen sind nicht ausschließlich oder vielleicht nicht einmal primär intellektuell-philosophische Fragen, sondern ganz praktische Fragen. Nicht, wie man mit diesem oben-unten-System des Körper, auch mit der Erde-Kosmos-Schwebestellung des Menschen auf diese Weise umgeht. Auf der Tagung habe ich jemanden kennengelernt, den ich seit vielen Jahren schon kennenlernen wollte. Wir haben vor zehn Jahren mal miteinander korrespondiert über Musik, nämlich Peter Michael Hamel. Und wir haben zusammen ein Seminar gemacht, mit Atem und elementarem Yoga. Und Übungen dieser Art, wo auch diese Fragen eine Rolle spielten, wenn man ja auch in bestimmten Atemtherapien die Möglichkeit hat, die einzelnen Körperräume oder Körperregionen durch bestimmte Vokale auch zu öffnen. Marko Bischof weiß das besser als ich, in der Tradition etwa von Else Mittendorf und anderen Traditionen gibt es die Vorstellung ja auch über Vokale. Also etwa über das O im Bauchraum, über das A im Brustraum, über das I im Kopfraum und so weiter. Ich kann nachher dazu noch einiges sagen, wenn wir die Zeit noch dazu haben.

Ich will versuchen ihnen das, diese schwierige Frage noch mal an einem Denker vorzustellen, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, aber hochinteressant ist. Marko Bischof und ich haben schon über ihn gesprochen, er kennt ihn, die wenigsten kennen ihn, einen Naturphilosophen und Biologen, Herbert Fritsche. Der hat in, ich weiß nicht mal die Lebensdaten, ich glaube 1911 geboren, irgendwann in den 60er Jahren gestorben. Und er hat sich mit dieser Frage sehr intensiv auseinandergesetzt, am intensivsten in einem Buch, was den Titel trägt „Der Erstgeborene – ein Bild des Menschen“, der Erstgeborene meint den Atem. Das ist im Grunde ein Buch über den Atem. Die in der Wintervorlesung 97, 98 dabei waren, werden sich erinnern, vielleicht dass ich den Herbert Fritsche erwähnt habe im Zusammenhang mit Hahnemann. Der hat eines der wichtigsten Bücher geschrieben, [über] Hahnemann, die Idee der Homöopathie, über Homöopathie, Anfang der 40er Jahre. Was ich hier habe ist eine alte Ausgabe, 1948 dieses Buches, von mir vor 30 Jahren erworben. Das Datum steht noch drinnen, 22.07.68, immerhin 31 Jahre, ja erschreckend, wie man das nennen will, gespenstisch. Ein auseinanderfallendes Exemplar, in der Nachkriegszeit gedruckt , Suhrkamp-Verlag. Und Fritsche beschäftigt sich auch mit dieser Frage der oben-unten-Polarität in der menschlichen Gestalt. Er hat ein faszinie­rendes Kapitel, was ich jetzt in den letzten Tagen mir noch zweimal sehr gründlich durchgelesen habe. Mit dem Titel: Polare Anthropologie, und da zitiert er einleitend ein Wort von Goethe. Was das Thema gleich im Zentrum anpackt. Vielleicht auch im Zusammenhang mit dem Goethejahr ganz interessant. Nächste-. In ein paar Tagen werde ich in Weimar sprechen, über Goethe und Bruno und neue Naturphilosophie, Pfingsten. Also Goethe sagt einmal, wo weiß ich nicht, er zitiert das ohne Quellenangabe. Ich kann nicht feststellen, woher das Zitat stammt: „Wie die ganze Gestalt des Menschen als Grundpfeiler des Gewölbes dasteht, indem sich der Himmel bespiegeln soll! Wie..“ Ausrufungszeichen, „wie unser Schädel sich wölbt gleicht dem Himmel über uns, damit das reine Bild der ewigen Sphären drinnen kreisen könne.“ Noch mal der zweite Satz: „Wie unser Schädel sich wölbt gleicht dem Himmel über uns, damit das reine Bild der ewigen Sphären drinnen kreisen könne.“

Also Goethe greift hier die von mir genannte traditionelle spirituelle Figur auf. Das ja die Schädelform eine Art Abbild ist, der kosmischen Sphäre. Das heißt nicht, dass Goethe hier Geozentriker oder Ptolemäer oder Antikopernikaner sei, im Gegenteil. Goethe hat sich verschiedentlich zu den grundstürzenden Elementen des Kopernikanismus positiv geäußert. Und das ist nicht der Punkt, es kann also nicht gemeint sein ein Rückschritt zu einem kosmologisch früheren Modell. Die ewigen Sphären, von denen hier die Rede ist, müssen etwas anderes bedeuten. Muss gleichsam eine andere Ebene angesprochen sein, damit das reine Bild der ewigen Sphären drinnen kreisen könne. Nun mal zu Fritsche, ich habe mir das in den letzten Tagen noch mal eingehend angesehen. Jetzt, er gehört zu den ganz wenigen, die sich eingehend mit der Frage überhaupt beschäftigen. Ich will mal einige Teile hier ihnen verdeutlichen, worum es geht. Fritsche geht der Frage nach, ob es eine polare Grundstruktur in der menschlichen Gestalt gibt. Also eine Grundpolarität in dem eingangs erwähnten Sinne. Dafür mal einige Zitate, ein sehr schöner Abschnitt, der das Thema zentral berührt lautet wie folgt. Ich bin übrigens nicht sicher, ob das Buch noch erhältlich ist, „Der Erstgeborene“ von Herbert Fritsche. Das ist in den 80er Jahren mal wieder nachgedruckt worden, da gab es eine gewisse Fritzsche-Renaissance, aber im Moment bin ich mir nicht sicher, ob es das Buch noch gibt. Sonst ist es jedem an das Herz zu legen, ein wirklich wunderbares Buch. Das immer noch lesenswert ist, abgesehen von dem einen oder anderen Aspekt da drinnen, den man heute vielleicht anders formulieren würde oder formulieren müsste. Das ist hier Suhhrkamp Verlag. Glaube, ich bin mir nicht sicher, ob es das noch gibt. „Der Mensch ist leiblich ein Kind, Organprimitivismen kennzeichnen ihn, er ist ein Ursprung nahes Geschöpf unter den Säugern. Hirnlich aber ist er ein Spitzenprodukt, im wortwörtlichem, auch im leiblichem Sinne. Der Mensch hat sich unter den Geschöpfen am wenigsten im Bios breitgemacht. Er ist seinem Wesen nach ein starker Geist in einem schwachen Leibe.“ Nicht, als Tier ist das höhere Tier Mensch sehr unzulänglich, sehr verwundbar. Ein kaum überlebensfähiges Tier, außerhalb des Logos, jetzt nur als Bios-Wesen. „Er ist seinem Wesen nach ein starker Geist in einem schwachen Leibe, leiblich vermag er mit der Tierheit nicht zu konkurrieren, aber er hat sich der Signatur des Tierheitlichen, der Horizontale, entrissen. Und damit ist die Wanderung der Nervenzentren zum Schädel hin nicht nur eine Wanderung nach vorne, sondern auch eine nach oben. Damit hat er, was auch leiblich gilt, sein Haupt aus dem Banner der irdischen Schwerkraftgesetze emporgehoben.“ Denken sie an das, was sich kurz angedeutet habe in der letzten Stunde, über die antigravitative Wirkung von Licht. Das kann ich in gegebener-, zu gegebener Stunde noch mal eingehender erläutern. Ich habe das in meinem Buch, in meinem Buch was im Herbst rauskommt, eingehender dargestellt. Ein faszinierender Punkt, den ich aber jetzt in diesem Moment nicht darstellen möchte. Also: „Leiblich vermag er mit der Tierheit nicht zu konkurrieren, aber er hat sich der Signatur des Tierheitlichen, der Horizontale, entrissen. Und damit ist die Wanderung der Nervenzentren, also der Stammesgeschichte zum Schädel hin, nicht Abwanderung der Kerndrüsen nach unten, nicht nur eine Wanderung nach vorne, sondern auch eine nach oben, damit hat er, was auch leiblich gilt, sein Haupt aus dem Banner der irdischen Schwerkraftgesetze emporgehoben.“ Quasi gegen die Schwerkraft, er ist zu einem Wesen geworden, dessen Besonderheit oben liegt. Das von oben nach unten, nicht von unten nach oben verstanden werden will. Was natürlich auf die Grundfrage nach dem Wesen des Menschen überhaupt abzielt. Was-, wie kommt denn der Geist, wie kommt denn der Logos überhaupt in den Bios. Überhaupt in die Materie, überhaupt in den Stoff, das ist ja die Grundfrage der Gnosis gewesen, nicht, dieser großen Strömung, zweites, drittes, viertes, fünftes nachchristliches Jahrhundert, die ja eine kryptische, eine Geheimströmung immer war, bis heute. Ich habe vor ein paar Tagen erst formuliert oder gestern, eigentlich erkannt erst, dass Sloterdijk eigentlich Gnostiker ist. Ist mir gestern überdeutlich geworden, dass er so ein moderner Repräsentant der Gnosis ist, ein Neo-Gnostiker, und auch begriffen, wie aktuell das ist. Also die Frage, wie kommt denn die Geistseele, wie kommt denn Individualität, Ichheit in diesen Stoff? Und das Licht des Geistes in den dunklen Stoff hinein, und wo zeigt sich dann der Logos, wo zeigt sich die Geistseele am deutlichsten? Anderes Zitat: „Der Individualität eines Lebewesens“, schreibt Fritsche, „steht ein anderer Pol entgegen, der der Fortpflanzung.“ Heute würden wir sagen Sexualität. „Je weniger die Individualität innerhalb der Tierreihe ausgeprägt ist, desto verschwenderischer pflanzen sich die Geschöpfe fort. Also überbordender Bios versus polar entgegengesetzt Individualität. Es knospt, teilt sich, zerfällt zu neuen Lebewesen in reicher Fülle überall dort, wo der Individualitätspol, das zentrale Nervensystem mit seinen Zentren, noch nicht oder nur gering ausgebildet ist. Ein wildes Zeugen und Keimen kennzeichnet den Bios in seinen niederen Formen. Allmählich opfert sich der Bios in Organe der Empfindung und der Bewusstwerdung hinein.“ Eine eigenartige Formulierung: „… allmählich opfert sich der Bios in Organe der Empfindung und der Bewusstwerdung hinein.“ Das findet man auch in anderer Form, in anderen Traditionen, etwa bei den Anthroposophen, dass die Sterbe- und Zerfallprozesse im Grunde Bewusstsein bewirken. Also nicht dort, wo der Höhepunkt des Bios ist, ist auch der Höhepunkt des Logos, im Gegenteil. Im Abbau, in den Abbauprozessen des Bios entfaltet sich überhaupt erst der Geist, die Individualität. Das geht also nicht zusammen. „Allmählich opfert sich der Bios in Organe der Empfindung und der Bewusstwerdung hinein, in gewisser Weise nimmt der Logos dem Bios etwas. Womit nach und nach Individuelles die Vorherrschaftüber die schrankenlose Massenproduktion im puren Bios gewinnt. Ganz offenkundig zielt die Schöpfung auf Herausarbeitung der Individualitäten.“ Da war die Frage auf diesem Kongress, als ich ähnliche Dinge vorgetragen habe, nicht in Bezug auf Fritsche, sondern in ganz anderer Sprache, in ganz anderer Akzentsetzung, woher man denn die Gewissheit nehme, fragte einer der Ärzte dort, dass das so sei, wieso denn die Evolution dieses Telos überhaupt habe? Nicht, ich habe das da auch vorgetragen, meine Kritik am Neodarwinismus, ich habe das hier auch schon mal gemacht. Vor ein paar Stunden, ich glaube vor zwei, drei Wochen habe ich das hier vorgetragen, den Selbstwiderspruch des Neodarwinismus, das habe ich da auch getan. Im anderen-, in anderer Form. „Regenwurm, Eidechse, Storch, Fuchs, einige Tiere in systematischer Stufenfolge, die zugleich eine Stufenfolge des Individualisierungsprozesses ist. Im Menschen ist schließlich ein Wesen entstanden, das im Stande ist, die eigene Individualität bewusst zu erfassen. Ein Ichbewusstsein zu haben und von diesem Ichbewusstsein her zu sich selbst Stellung nehmen zu können.“ Also was man in der etwas abstrakten Sprache der Tradition als die Selbstreflexivität des Menschen bezeichnet. Also die-, das Ich hat die Fähigkeit zu Selbstreflexivität, also Ichbewusstsein, gehört es doch geradezu zur Definition des Menschen, dass er dasjenige lebendige Wesen ist, das zu sich selbst Stellung nehmen kann und muss. Und wenn man den Versuch macht, zu definieren worin denn nun das Wesen des Menschen bestünde, was würde man sagen, was ist der Mensch? Man könnte sagen, er ist, mit Nietzsche, ein Werte Setzender, ein Werte Schaffender. Man kann jetzt mit Sloterdijk sagen, er ist ein sphärenbildendes Wesen. Menschsein heißt immer in Sphären sein, in einer Sphäre sein. Was ist der Mensch? Ist er ein Ichwesen, ist das Ich das wesentliche am Menschen, die Ichheit? Dieses rätselhafte Phänomen, dass der Mensch sich auf sich selbst zurückbeziehen kann. Dass er einen Fokus, einen Ichfokus, es ist ja ein Abgrund, auch erkenntnistheoretisch, dass das überhaupt so ist. Wir wissen ja nichts über eine potenzielle Ichhaftigkeit höherer Tiere. Das kann ja nur erschlossen, vermutet werden, man kann das allerdings vermuten, dass Ansätze zu Ichhaftigkeit auch in höheren Tieren gibt, aber erst im Mensch kommt ja die Ichhaftigkeit zu einer gewissen Blüte. Insofern gehört die Ichhaftigkeit dazu und die Möglichkeit am universalen Logos zu partizipieren, am universalen Geist und Individualität zu entfalten. Da gibt es eine wunderbare Passage, auch beim Sloterdijk über die Gesichter. Das gehört auch in dem Zusammenhang, er stellt raus, auf eine sehr intelligente Weise, das habe ich so in der Form noch nirgendwo so gut gelesen, wie die Herausbildung des menschlichen Gesichtes bewusstseinsgeschichtlich geschah. Dass das Gesicht ja immer auch das Gesehenwerden bedeutet. Das Gesicht, was der Einzelne nur für sich hat, ist überhaupt kein Gesicht. Gesicht ist immer das Gesehenwerden, er nennt das „interfaciale Sphäre“, also ein etwas abstrakter, vielleicht unglücklicher Begriff. Also die interfaciale Sphäre, also Gesicht zu Gesicht. Das Gesicht ist immer nur Gesicht in der polaren Spannung mit einem anderen Gesicht. Und hoch interessant, also das sich nur selbstbespiegelnde Gesicht ist in dem Sinne kein Gesicht. Sondern zum Gesicht gehört immer der Andere, denn die pure Selbstbespiegelung ist eher deprimierend. Ich will das nur kurz sagen, ich war auch auf diesem-, ich war in diesem-, auf diesem Kongress. Hatte ich ein Hotelzimmer in einem super modernen Hotel, da war das Bad vollkommen verspiegelt, wenn man sich runterbeugte und die Zahnbürste in die Hand nahm, man hat die totale Bespiegelung, aus jeder Perspektive. Das war furchtbar, deprimierend und auch unmenschlich, das hat eine Unmenschlichkeit, wenn der Einzelne sich selber total bespiegelt sieht. Das ist eigentlich ein Albtraum, man hat das Gefühl, man ist monströs. Man ist sich selber eigentlich ein monströses Ding plötzlich. Ja, es gibt ja diese schöne Stelle bei Rainer Maria Rilke, im „[Die Aufzeichnungen des]Malte Laurids Brigge“, wo das genauso ist. Da guckt sich nämlich der Ichheld Malte Laurids Brigge in den Spiegel, plötzlich wird er zum Ding. Ein Schock für ihn, er wird zum Ding, zum Gegenstand, zum Etwas, er verliert seine Ichheit, gerade im Spiegel. Also die Herausbildung des Gesichtes als ein wesentliches Moment der Polarität. Noch mal Herbert Fritsche, „So besitzt der Mensch zwei Wesenspole, die weit voneinander abrücken. Also in der Chakralehre das Stirnchakra und das Kronenchakra und das Sakralchakra oder Muladhara-Chakra. „So besitzt der Mensch zwei Wesenspole, die weit voneinander abrücken. Der Hirnpol fasst das Individuelle stark zusammen. Der Sexualpol will es zerstreuen, vervielfältigen. Mit ihren entgegengesetzten Bestrebungen haben sich die Polle auch entgegengesetzt verleiblicht, aber dennoch gehören sie zusammen. Der Mensch ist nicht reiner Geist, er ist Geist in Seelen- und Leibeshüllen. Ohne die Mitarbeit von Seele und Leib wäre der Mensch im Geist im Erdenleben kraftlos, würde sich verjenseitigen. Na gut, und damit seiner eigentlichen Aufgabe in der „Pflanzschule für Geister“ [Goethe] nicht gerecht werden können.“ Auch das ist ein Goethebezug, -Wort, glaube ich, zu Eckermann sagt Goethe irgendwann mal: „Die Erde ist eine Pflanzstätte für eine Welt von Geistern.“ Also „…ohne die Mitarbeitung von Seele und Leib wäre der Menschengeist im Erdenleben kraftlos, würde sich verjenseitigen.“ Könnte fast von Rudolf Steiner sein, „und damit seiner eigentlichen Aufgabe in der Pflanzschule für Geister nicht gerecht werden können.“ Vielleicht noch eine letzte Passage hierzu. „Der Mensch kann zuweilen genötigt sein, seine aufgerichtete Haltung zu verleugnen und auf allen vieren umherzulaufen, wenn er ein frisch eingefangenes oder ein scheues Tier an sich gewöhnen will.“ Dass das Krabbeln als nicht menschlich gilt, ist in vielen Kulturen sehr verbreitet. Zum Beispiel in der balinesischen Kultur, kleine Kinder dürfen nicht krabbeln. Nicht auf der Erde rumkrabbeln, es wird immer verhindert. Also so jedenfalls ist es in der Tradition das Krabbeln ist was Tierisches, das Kind soll nicht krabbeln, ja. Es wird getragen, es darf auch den Boden als krabbelndes Wesen nicht berühren. „Vor dem aufgerichteten Menschen flieht ein solches Tier, was aber horizontal umherläuft ist ungefährlich, ist nicht so beängstigend, wesensverschieden, wie jener empor gereckte, schutzlose, nackt und blasshäutige Schwächling, dessen Macht über die Tierheit keine physische ist, dessen Macht über die Tierheit, wir dürfen es aussprechen eine metaphysische ist. Auch die Tierheit in sich selbst bändigt der Mensch durch sein Aufgerichtet-Sein. Der Hirnpol und der Himmel suchen einander, ganz auch im goethischen Sinne. Das Wesen, das den Logos zu ergreifen im Stande ist, hebt sich der Welt der Ideen aktiv entgegen.“ Dann gibt er hier Beispiele von Dompteuren, dass häufig genug Todesfälle passiert sind in dem Moment, in dem ein Dompteur gestürzt ist und nicht mehr das aufgerichtete Wesen war, was auf diese Weise auch Macht ausüben konnte über die Tierheit. Dass dann eben oft schwere Verletzungen passieren oder auch Todesfälle passiert sind. Also der Dompteur muss die aufgerichtete Position beibehalten, die von den Tieren in irgendeiner Form registriert wird. Das gehört ja zu den großen Mysterien überhaupt in dem Kontext, wie das Tier den Menschen wahrnimmt, nicht. Wie nimmt das Tier den Menschen wahr, überhaupt? Als ein anderes Tier ?- Nicht, auch da muss man verschiedene Bewusstseinsebenen unterscheiden. Ich glaube, ich habe an einer Stelle in „Was die Erde will“ auch geschrieben, dass das Tier, das höhere Tier, den Menschen wahrscheinlich quasi erspürt oder erahnt als eine höhere Stufe seiner selbst. Und dass daraus auch die Macht des Menschen resultiert, dass das Tier, das irgendwie begreift, dass der Mensch eine eigene höhere Entwicklungsstufe und eine Evolutionsmöglichkeit seiner selbst [des Tieres] darstellt. Also das Ganze läuft auf Grundfragen der Anthropologie hinaus, die letztlich, ich scheue das nicht zu sagen immer in eine metaphysische Anthropologie einmünden muss, weil der Mensch als pures Bios-Wesen oder als pures Naturwesen so nie begriffen werden kann. Deswegen vertrete ich ja auch die für viele verwirrende und auch irritierende These, dass der Mensch gar nicht Teil der Natur ist. Im Gegensatz zu dem, was alle Ökologen ständig sagen, sondern dass eher umgekehrt die Natur Teil des Menschen ist. Natürlich ist klar, der Bios, der Mensch als Bios-Wesen ist Teil der Bios-Natur. Und das Physische des Menschen ist Teil der physischen Natur. Das ist klar, aber der Mensch in einem höheren Sinne, als Geistseele, Leibgestalt, ist mehr als jede nur denkbare Natur. Und jedes nur denkbare Ökosystem, das nicht verstanden zu haben, scheint mir einer der Hauptgründe für die Ökokatastrophe zu sein. Denn, wenn man das nicht versteht und den Menschen dann quasi auf eine neue Weise, jetzt ökologisch, moralisch noch sozusagen angereichert, reduziert auf Natur, dann macht man die Natur genauso zum puren Objekt. Ganz genauso, wie das im mechanistischen Denken geschieht. Das ist eine Tragik in der Entwicklung, dass viele ökologische Ansätze im Grunde die Natur genauso verdinglichen, wie das in den viel kritisierten mechanistischen Denken geschieht. Und wenn man das nicht begreift, glaube ich, wird man keinen Millimeter weiterkommen. Und deswegen, glaube ich, stagniert auch seit 30 Jahren diese Frage, weil man das einfach nicht verstehen kann. Also ich glaube, dass der Mensch in seiner eigentlichen Würde im letzten nur von der Ichheit begriffen werden kann. Und ich betone das immer wieder und habe das hier auch auf dem Kongress vorgestern, vor ein paar Tagen getan, dass ich an die metaphysische Würde dieser Ichheit auch tatsächlich glaube und daran festhalte. Und immer wieder betone, dass diese, nur aus dieser metaphysischen Ich-Würde überhaupt ein Verständnis des Menschen möglich ist. Auch in der, dieser Aufteilung längs der Vertikalachse. Dass der Kopf tatsächlich durch, auch durch die Physiognomik, durch das Gesicht in dem genannten Sinne, eine ganz andere ontologische Position hat, als das Tier. Das muss man erstmal verstehen, das ist nicht mainstreammäßig, weil das entweder religiös traditionell besetzt ist, oder es ist irgendwie in dem postmodernen Relativismus und dem fröhlichen Nihilismus und Zynismus, der allenthalben herrscht, vollkommen plattgemacht worden. Man muss das erstmal neu wieder überhaupt in das Bewusstsein rücken und setzt sich da natürlich sofort einer ganzen Lawine von Missverständnissen aus. Als ob man da alte Menschenbilder wiederbeleben wolle und so weiter, aber die Frage bleibt ja in dem Zusammenhang. Es muss in irgendeiner Form gelingen, oder wie es gelingen kann, dass der Mensch sich neu einwohnt in den Oikos. Und das kann er nur, wenn er ein Verständnis hat über seinen metaphysischen Ort, im Sinne dessen was Sloterdijk als den Mitraum bezeichnet. Wenn der Einzelne den metaphysisch Anderen oder das metaphysisch Andere vollkommen kappt, eliminiert, leugnet, ausstreicht, zerstört, dann stürzt er notwendig auf sich selber zurück. Und dann bleibt es tatsächlich bei dem, wie Gottfried Benn sagt: „Es gibt nur zwei Dinge, die Leere und das gezeichnete Ich“. Dann ist der Einzelne das atomisierte Individuum ohne Raum. Nicht, das Selbst ohne Raum, wie der Sloterdijk das eigentlich sehr schön nennt. Also das muss-, geht wirklich um im tiefen Sinne um eine Wiederfindung des Raumes. Um eine Wiederfindung des kosmologischen, des ontologischen und auch des spirituellen Raumes des Menschen. Das Wesen des Menschen, worin besteht es? In seiner zum Kosmos geöffneten und der Erde entspringenden schöpferischen Ichheit, beides. Eine Ichheit, die im irdischen und kosmischen Mitraum wohnt, als ihrem eigentlichen Oikos. Also das als eine Grund-, als ein Grundansatz, es ist gleich Acht, wir können … . Ich will das erst einmal so weit führen, ich wollte ursprünglich noch einiges sagen zu den traditionellen Bewusstseinszentren, Chakras. Und auch zu dem was ich am-, in den letzten Tagen wieder neu mir bewusstgemacht habe über die Arbeit mit den Vokalen und den Atemräumen des Körpers, durch Peter Michael Hamel. Lass das mal jetzt draußen, und man kann da tatsächlich mitarbeiten und praktisch arbeiten. Also einige Therapeuten haben das immer wieder betont, dass gerade die Vorstellung einer integrierten Ichheit in einer wirklichen Geburt, in einer wirklichen Holarchie der Ebene tatsächlich auch praktisch umsetzbar ist. Das ist keine blanke Theorie, viele von diesen Therapeuten arbeiten mit, wirklich mit Kranken, auch künstlerische Therapeuten. Da geht es ja wirklich erst einmal darum, die Ichheit zu stärken, ein integriertes Ich überhaupt erstmal wieder entstehen zu lassen. Bevor man es auf eine andere Weise dann überschreitet, gut wir wollen- , können gleich in das Gespräch einsteigen.

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