Das Tor zur Seele der Pflanzen

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 40

Transkript als PDF:


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Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zu dieser dritten Vorlesung im Sommersemester. Gerade dachte ich wieder mal, wie übrigens öfter, hier vorne vor dem Senatssaal gucke ich um mich und sehe diese Ehrfurcht gebietenden Köpfe von Celebritäten, die hier an der Humboldt-Universität gelehrt haben, gewirkt haben. Und ich denke, wie schon so oft: Wie vielem von dem, was diese Männer hier gelehrt haben, muss ich widersprechen! Und die … , meine, sagen wir mal, Ehrerbietung, hält sich in Grenzen, und vieles von dem, was ich hier sage, wird wahrscheinlich oder würde das Missfallen dieser strengen Herren finden. Das nur [als] ein kleines gefühlsmäßiges Aperçu.

Ich möchte zwei Dinge ergänzen zur letzten Vorlesung. Wir haben am Ende in der Diskussion ja eine Frage aufgeworfen, wie es kommt, dass Menschen gelernt haben, giftige von nicht giftigen Pflanzen zu unterscheiden. Sie kennen die herrschende These des Durch­probierens, die in dieser Form mir schlecht gestützt erscheint. Dann hat eine Dame, die hier das letzte Mal war, ein Beispiel gebracht von Tieren, die mittels der Selbstmedikation ganz bestimmte Pflanzen zu sich nehmen, um zu gesunden. Und dann habe ich verwiesen auf einen Artikel vom letzten „Spiegel“, der genau davon handelt. Ich will ihn nicht hier ganz vorlesen. Ich will Sie nur darauf hinweisen, letzter „Spiegel“, [Artikel]„Heilkräuter im Vogelnest“. Nur eine kurze Passage, ein sehr interessanter Artikel. „Brüllaffen schützen sich mit Fruchtstielen vor Karies, Elefanten fressen Dreck gegen Verstopfung, Stare stärken ihr Immunsystem mit Blumen. Zoologen entdecken, wie kranke Tiere sich selbst kurieren. Können die Tierarzneien aus dem Pflanzenreich auch den Menschen helfen?“ Und dann fängt der Text an. „Jäger lauern dem Hasen meist am Waldrand auf. Dort wachsen wilder Majoran, Pfefferminze und Kamille. Diese Heilkräuter mümmeln die Feldtiere angeblich besonders gern, weshalb Waidmänner auch über die Hasenapotheke spötteln. Michael Boppré hält die seltsame Angewohnheit der Hasen nicht für Jägerlatein. Der Freiburger Zoologe vermutet, der Hase bekämpft mit den Kräutern lästige Parasiten in seinem Magen und Darmtrakt. Als Indiz wertet der Forscher eine Tragödie, die sich derzeit auf deutschen Wiesen abspielt. Seit Jahren schon beobachten Biologen ein mysteriöses Sterben des Ostertieres. Äußerlich scheinen die Hasen wohl ernährt und kerngesund. Dennoch werden sie vielerorts immer weniger. Mit den einfallsreichsten Hypothesen hat man ihren Rückgang zu erklären versucht, sogar damit, dass sie wegen des Klimawandels häufiger Regen abbekommen und an Unterkühlung zugrunde gehen. Nun glaubt Boppré“, also dieser Biologe, der hier angeführt wurde, „die wahre Ursache gefunden zu haben.“ Und das hängt ganz dicht zusammen mit unserem Thema. „Gift und Dünger aus der industriellen Landwirtschaft zerstören den Kräutergarten der Hasen und damit ihren natürlichen Schutz gegen Parasiten. In den nächsten Wochen will Boppré den wissenschaftlichen Beweis für seine Vermutung antreten. Dafür wird er Hasen mit Parasiten infizieren und sie dann, bewährtes Verfahren, vor verschiedene Futtertröge setzen. Schlagen sich die kranken Hasen häufiger den Bauch mit Heilkräutern voll als gesunde Artgenossen, so Boppré, hätten wir einen weiteren Beweis, dass auch Tiere Arzneimittel schlucken.“ Und so weiter.

Ich muss das nicht im Einzelnen hier ausführen. Diese Art von Versuchsanordnung ist bestimmt bedenklich. Das hat viele Komponenten, die ich hier dahingestellt sein lassen möchte. Wen das interessiert, kann das gerne dann im „Spiegel“, wenn er ihn noch zur Verfügung hat, nachlesen. Sehr aufschlussreich die Frage: Wie kommt diese Wahrnehmung der Tiere für bestimmte Pflanzen, für bestimmte Kräuter zustande?

Dann wird hier ein wenig erklärungsstarkes Wort benutzt, was ja immer herhalten muss, wenn man es nicht genau sagen kann, dass sei eben der Instinkt, und was ist der Instinkt? Darüber habe ich im letzten Sommersemester im Zusammenhang mit dem Tier-Selbst ausführlich gesprochen, ein Mysterium eigentlich, was ist überhaupt der Instinkt? Ein erklärungsschwaches Wort [dazu].

Zweite Ergänzung. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung zu dieser Vorlesung habe ich ein Buch entdeckt, das ich mir vor zwei Jahren gekauft hatte. Das ist das letzte Buch des berühmten Joachim-Ernst Berendt kurz vor seinem tragischen Unfalltod im Februar 2000. Sie wissen, er ist durch einen Unfall in Hamburg ums Leben gekommen. Und er hat kurz vor seinem Tode noch ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Es gibt keinen Weg, nur Gehen“. Interessant für unser Thema an diesem Buch ist, dass der Großteil dieses Buches sich beschäftigt mit der Frage Mensch und Pflanze, genauer mit der Frage Mensch und Baum. Mehr als die Hälfte des Buches ist diesem Thema gewidmet, unter der Überschrift „Bäume und Menschen“ trägt Berendt in langen Jahren gemachte Beobachtungen ein über Bäume, über das Verhältnis des Menschen zu den Bäumen. Sehr interessant, hochinteressant, auch für unser Thema essenziell. Ich bin auf eine Passage gestoßen, die ich Ihnen kurz in Auszügen vorlesen möchte mit dem Titel „Heilige Bäume“. Sie erinnern sich, ich hatte Ihnen ja in der letzten Vorlesung anhand des Daphne-Mythos, genauer der Oper von Richard Strauss, versucht zu zeigen, wie in der mythischen Weltbefindlichkeit, in dem mythischen In-der-Welt-sein, das Mensch-Pflanze-Verhältnis konstelliert war. Das war ja der Ausgangspunkt der ganzen letzten Vorlesung, also Mensch und Pflanze im sakral-mythischen Raum. Die Daphne, die sich in einen Lorbeerbaum verwandelt, das habe ich ja als Ausgangspunkt genommen. „Heilige Bäume“ heißt es hier in einem Unterabschnitt des großen Kapitels „Bäume und Menschen“ in dem Buch von Joachim-Ernst Berendt „Es gibt keinen Weg, nur Gehen“. Hermann Hesse, Zitat am Anfang: „ ,Ein Baum spricht. In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen. Ich bin Leben vom ewigen Leben. Einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut, einmalig das kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein Amt ist“ ‒ immer noch Hermann Hesse ‒ „dem ausgeprägten Einmaligen das Ewige zu gestalten und zu zeigen. Ich vertraue, dass Gott in mir ist, vertraue, dass meine Aufgabe heilig ist, aus diesem Vertrauen lebe ich.‘ Hesse-Kenner Volker Michels weiß zu erzählen, dass der Dichter die ihm Heimat gewordene Casa Camuzzi in Montagnola, oberhalb des Luganer Sees, hauptsächlich der beiden Bäume wegen, in deren Laub Balkon und Wohnung verborgen waren, wie der Horst eines Vogels bezogen hat. Als die Bäume während seiner Abwesenheit gefällt worden waren, verlor er sein Heimatgefühl, malte noch einmal das alte Gemäuer und zog aus. Dass Bäume heilig sind, dieses Bewusstsein gibt es in den meisten Kulturen der Menschheit. Indianer, Germanen, Kelten, Afrikaner, die Völker Sibiriens, Inder, Malaien, Poly- und Mikronesier verehrten Bäume.“ Und so weiter, und hier ist von heiligen Linden, von heiligen Buchen die Rede, vom Weihnachtsbaum als einem letzten Relikt der Sakralität des Baumes. Ein urheidnisches, in gewisser Weise kosmisches Mysterium, was ins Christentum auf eine eigenartige Weise integriert worden ist. Das am Rande nur erwähnt. Ich kann Sie sehr auf dieses Buch hinweisen, da gibt es sehr viele wunderbare, präzise, zarte, poetische Beobachtungen zu Bäumen.

Mir fällt etwas ein, das ich vergessen habe zu erwähnen, das hole ich jetzt nach. Das gehört noch nicht zum eigentlichen Thema. Ich habe noch einmal Prospekte mitgebracht über die Bahro-Gedenkveranstaltung, hier nun auch in der vollständigen Form. Außerdem, das möchte ich erwähnen, habe ich eine kleine Werbung mitgebracht über ein Musik-Seminar, was ich an der Lessing-Hochschule veranstalte, über Mozart, Klang und Verwandlung, Annäherung an Mozart, 8. Juni und 9. Juni. Die Daten stehen drauf, auch was es kostet, was wir machen wollen. Wen das interessiert, der möge bitte dort an der Lessing-Hochschule anrufen, fragen und so weiter. Ich habe Ihnen das mal mitgebracht. Sie können das dann sich nehmen. 8. und 9. Juni, Klang und Verwandlung, Annäherung an Mozart, ein Musik-Workshop eigener Art, wie ich ihn seit vielen Jahren, ich glaube mittlerweile seit 12 Jahren, immer wieder veranstalte.


Nun, ich habe das heute genannt: „Gibt es ein Pflanzen-Selbst im Menschenwesen? Überlegungen und Thesen zu einem nicht-reduktionistischen Menschenbild.“ Das muss ich einleitend erklären, weil das zentral ist für die Art meines Zugangs überhaupt. Sie wissen, das müsste Ihnen deutlich geworden sein, schon aus den beiden ersten Vorlesungen, mein Zugang ist ein nicht-reduktionistischer, ein integraler, wenn man so will. Ein Versuch, verschiedenste Aspekte zusammenzuschließen zu einem Ganzen und dieses Ganze als Gestalt aufscheinen zu lassen und dieses Ganze als Gestalt auch in dem Moment des Vortragens in gewisser Weise wirklich werden zu lassen. Wenn ich zum Beispiel vor einer Woche den Richard Strauss herangezogen habe, seine Oper „Daphne“, im Zusammenhang mit der Mensch-Pflanze-Frage, dann ist das ein Verfahren, was im üblichen reduktio­nistischen Denken abwegig erscheint, wie etwas Poetisch-Metaphorisches, etwas Zusätz­liches, etwas, was auf gar keinen Fall zentral zum Thema gehört, nicht nur für einen Botaniker oder für einen Biologen oder sicher auch für die meisten Naturphilosophen. Für mich ist das nicht so. Für mich ist diese Dimension, in diesem Falle des Dichterisch- Musikalischen, eine legitime Dimension zum Verständnis des Mensch-Pflanze-Verhält­nisses. Das ist eine Facette in diesem integralen Ganzen, das uns dazu verhelfen kann, tiefer zu verstehen, wer oder was wir selbst sind, und wer oder was die Pflanzen sind.

Was ist Reduktionismus? Das ist nicht selbstverständlich. Ein Begriff, der ständig verwendet wird, in der Naturwissenschaft, auch übrigens in anderen Wissenschaften, der der Erklärung bedarf. Zunächst einmal: Reduktionismus ist das Bemühen des Wissen­schaftlers, ein Phänomen auf einer bestimmten Ebene des Seienden durch ein anderes zu erklären, was dadrunter liegt, im Normalfall durch ein Etwas, ein Phänomen, ein Ding, Energie, Materie, wie immer, was dadrunter liegt, was in gewisser Weise als das wirk­lichere gilt. Also der Materialist würde sagen: Alles ist nur Materie oder Materie, Energie, wie immer, das eigentlich Wirkliche hinter allen Phänomenen der sinnlich-physischen Welt sei die Materie. Dann wäre [das] ein materialistischer Reduktionismus, der versucht, alle Phänomene letztendlich zurückzuführen auf materielle, energetische Phänomene. Im Fall des Abstraktionismus dann auf mathematisierbare und mathematisierte Phänomene. Da gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Arten von Reduktionismen, das muss man auch dazusagen, damit kein Missverständnis auftaucht. Es gibt einen ontologischen Reduktionismus und einen methodischen Reduktionismus. Ontologischer Reduktionismus meint Folgendes: Wenn ich die Dinge reduziere auf das, was an ihnen, wirklich oder angeblich, vorgeblich, real ist, in gewisser Weise wirklicher als die Erscheinung, also wenn ich das tue, dann lande ich bei der Wirklichkeit. Dann ist das nicht nur ein methodischer Trick, dann ist es nicht nur ein Verfahren, das mir hilft zum Verständnis oder zur Beschreibung der Phänomene. Dann bin ich ein Stück tiefer in der Wirklichkeit. Das ist ontologischer Reduktionismus, in dem ich die Dinge also zurückführe, berühre ich die Wirklichkeit, zum Beispiel die atomare oder subatomare oder molekulare Welt, wie immer. Ontologischer Reduktionismus, Ontologie, Lehre vom Sein jetzt hier vereinfacht gesagt, ontologischer Reduktionismus, also ein Versuch, Wirklichkeit zu erfassen.

Methodischer Reduktionismus ist viel bescheidener. Ein methodischer Reduktionismus benutzt das reduktive oder reduktionistische Element nur als ein Verfahren, um versuchs­weise ein Stück weit die Dinge zu erkennen und zu erfassen. Normalerweise im wissen­schaftlichen Diskurs gibt es eine Art Reduktionismus nach unten, nicht einen Reduktio­nismus nach oben. Es gäbe ja auch theoretisch einen Reduktionismus nach oben. Schelling zum Beispiel sagt einmal, der Tod, der physische Tod sei eine reductio ad essentiam, eine Zurückführung in die Essenz. Das wäre ein Reduktionismus nach oben. Das heißt, das eigentlich Wirkliche ist die Essenz, essentia, die Wesenhaftigkeit, der eigentliche Wesens­kern des Menschen. Der kommt nach dem physischen Tode, so Schelling 1809 in einer Zeitschrift, zu sich selber. Das wäre ein Reduktionismus nach oben. Normalerweise benutzt man einen Reduktionismus nach unten.

Die beste Definition, die ich überhaupt kenne zum Reduktionismus, will ich Ihnen vorstellen. Ich habe das hier vor anderthalb Jahren, glaube ich, schon mal im Saal vorgelesen die Stelle, ich finde sie fulminant, brillant, scharfsinnig und sehr erhellend. Ich greife noch mal auf dieses Büchlein zurück von Hermann Schmitz, dem Philosophen aus Kiel, „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, und er schreibt hier, wie er Reduktionismus versteht. Und das muss man verstehen, damit man dann sich nähern kann der Frage, was ist denn ein nicht-reduktionistisches Menschenbild? Was ist denn ein nicht-reduktio­nistisches Bild der Pflanzen? Wie kommen wir überhaupt weiter? Denn das habe ich Ihnen ja schon das letzte Mal versucht zu erläutern, dass es wichtig ist, unverzichtbar für uns, in das Dickicht gewissermaßen unserer eigenen Voraussetzungen einzugreifen. Das ist schwer, das ist wie der Schmitz sagt: „vielmehr muss man sich durch den Urwald durch­schlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hin­länglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzungen zu werden.“ Sehr schwer, sich durch das Dickicht der eigenen Voraussetzungen durchzuschlagen. Das brauchen wir, um uns dem Thema zu nähern, denn das können wir nicht. Wir können nicht naiv direkt zumar­schieren auf das Thema. Da sind die Pflanzen, da sind wir. Wir brauchen das alles nicht. Wir brauchen nicht die Reflexion … Sehr wohl, wir brauchen diese Reflexion. Nur so kommen wir überhaupt weiter. Also Hermann Schmitz schreibt über den Reduktionismus in einer wunderbaren Passage, die ich Ihnen vorlesen möchte und auch erläutern, die ist essenziell.

„Der Reduktionismus besteht in der Abschleifung der Außenwelt schlechthin.“ Abschleifung der Außenwelt schlechthin, „das heißt der Außenwelt nach Abzug aller Innenwelten.“ Ja, wichtig, das ist wichtig für den Reduktionismus. Also, was jeder Einzelne für sich und in sich ist, die gesamte Subjektivität, seine Gefühle, seine Emotionen, seine Gedanken, das Geheimste seines Seins, was er in der Brust verschlossen hält oder auch nicht, das alles schließt sich [der Reduktionismus] nicht mit ein. Also, „Abschleifen der Außenwelt schlechthin, bis auf wenige Klassen besonders leicht identifizierbarer, mani­pulierbarer und quantifizierbarer Merkmale, die an der Oberfläche fester Körper abgelesen werden können.“ Ganz einfach, „Abschleifung der Außenwelt. Dann werden identifizier­bare, manipulierbare und quantifizierbare Merkmale abgelesen.“ Das ist ja ein Ingredienz von Wissenschaft überhaupt, die Quantifizierbarkeit, „die an der Oberfläche fester Körper abgelesen werden können und noch heute die gesamte Abstraktionsbasis der Physik bilden. Nach Aristoteles und Demokrit handelt es sich um Größe, Gestalt, Zahl, Ruhe, Bewegung, Lage und Anordnung, die später sogenannten primären Sinnesqualitäten.“

Also Größe, Gestalt, Zahl, Ruhe, Bewegung, Lage und Anordnung. Nicht Gefühl, nicht Farbe, nicht Atmosphäre, nicht psychische Verbundenheit, all das fällt raus und wird sozusagen mit weggeräumt, wird abgeschliffen, gilt als privat, als subjektiv legitim, aber letztlich als wissenschaftlich irrelevant. „Ihnen wird zum Ersatz für die Einbettung in vielsagende Eindrücke, die bei der Abschleifung zerschlagen worden sind, das Anhängen an Träger, die nach Art fester Körper vorgestellt werden, sogenannte Substanzen, gewährt.“ Muss ich jetzt nicht im Einzelnen erläutern, würde zu weit führen. „Die Introjektion“ ‒ also einflößend ‒ „die Ablagerung des vom Reduktionismus abgeschnittenen Abfalls in der im Dienst der Selbstbemächtigung bereitgestellten Innenwelt.“

Das heißt, was da abgeschliffen wird, ist ja nicht verschwunden. Es bleibt ja da, es bleibt ja vorhanden. Alles das ist ja da, das Atmosphärische, das Gefühlsmäßige, das Farbige, das Ganzheitliche, das Psychische und so weiter. Nur, es wird jetzt sozusagen hineingestoßen und hermetisch eingeschlossen in die je eigene Innenwelt des Einzelnen. „Situationen, darunter die erwähnten vielsagenden Eindrücke und Atmosphären werden zerschlagen.“ Nicht, das Atmosphärische als eigene Kategorie auch des Denkens, das ganzheitlich Fluidale, kann man sagen, was die Existenz immer bestimmt, was ja auch uns schon beschäftigt hat.

Sie erinnern sich vielleicht an das Ende der letzten Vorlesung, als ich gesprochen habe über die Ätherisierung des Bewusstseins durch Pflanzen, also die eigentümliche fluidale Form, die das Bewusstsein annehmen kann und dadurch seine Schärfe, seine Trennwände in gewisser Weise verliert oder diese durchlässiger werden. Also, „Situatio­nen und Atmosphären werden zerschlagen. Ihre Bedeutsamkeit, die in einer nach außen ganzheitlich abgehobenen, innen aber diffusen und nicht durchgängig vereinzelten Mannigfaltigkeit von Sachverhalten besteht, wird subjektiviert.“ Nicht, das sagte ich ja schon, wird subjektiviert. „Also Aggregate von Gedanken, Urteilen, Entschlüssen in der Seele, Ungeduld, Atmosphären, die den Menschen leiblich spürbar ergreifen, werden in private Gefühle umgedeutet oder wie im Fall des Wetters in einen psychischen Anteil und einen physikalischen Zustand der Luft, eines der Lebenserfahrungen konstruktiv unter­legten Gases, zerrissen. Der spürbare Leib wird ganz vergessen.“

Das ist wichtig. Die Naturwissenschaft, die reduktionistische Naturwissenschaft ist ja nicht nur subjektblind, was ich ja seit vielen Jahren immer wieder sage, sondern auch in gewisser Weise, sagen wir mal, Veränderung in den letzten 15, 20 Jahren … auch leibvergessen. „Der spürbare Leib wird ganz vergessen oder, soweit man Restbestände wie den Schmerz nicht vergessen kann, wenn ein Zustand der sezierbaren Körper“ ‒ im Sinne des reduktionis­tischen Menschenbilds ‒ „und eine unausgedehnte Empfindung in der Seele, es gibt auch andere Namen wie das Gemüt, the mind oder das Bewusstsein erhält, aufgelöst.“

Also, eine wunderbar klare und scharfsinnige Definition der sogenannten Reduktio­nismen. Also, die Abschleifung, jetzt nochmal vereinfacht gesagt, der Phänomene auf ihre quantifizierbaren und manipulierbaren Merkmale unter Ausschaltung, unter Eliminierung alles dessen, was Menschsein in seiner lebendigen Ganzheitlichkeit, in seinem atmosphä­rischen Eingebettetsein, eben auch in die Pflanzenwelt, überhaupt ausmacht.

Nun will ich versuchen, Ihnen etwas darzustellen, was schwierig ist, was ich, das Pflanzen-Selbst im Menschen nenne. Das ist ein Begriff, der natürlich notwendig eine Unschärfe enthält, kein Begriff, der in irgendeiner Form eindeutig, wissenschaftlich präzise gefasst werden könnte. Es ist ein Begriff, der auf etwas deutet, der etwas andeutet, der etwas mitschwingen lassen kann, wie auch der Begriff Tier-Selbst, den ich vor einem Jahr hier in diesem Saal ausführlich erläutert habe. Pflanzen-Selbst ganz vereinfacht, erst einmal näherungsweise gesagt, ist jener Pol im Menschen, jene Schicht, jene Fakultät im Menschen, wie immer, jener Pol im Menschen, der dem Vegetativ-Pflanzlichen bewusst oder unbe­wusst also verbunden ist, wahrscheinlich immer verbunden bleibt, sozusagen der Pflanzen-Mensch im mentalen Menschen. Ein Pol im Menschen, der, wenn er aktiviert werden kann, wenn er vitalisiert werden kann, wenn er verlebendigt werden kann uns dazu verhilft, uns in das Pflanzenwesen auf eine nicht unbedingt mentale, nicht unbedingt rationale Weise einzuschwingen. Also der, sozusagen der pflanzlich-vegetative Pol im Menschen.

In diesem sehr schönen Buch, was ich ja mehrfach schon erwähnt habe von Wolf-Dieter Storl, einem der ganz bedeutenden Pflanzenkenner unserer Zeit, von dem ich ungeheuer viel lernen kann, in diesem Buch „Pflanzen-Devas“ stellt er auch die Frage nach dem vegetativen Pol des Lebens und zeigt, dass es auch bei Pflanzen einen vegetativen Pol gibt und einen eher tierischen Pol. Er unterscheidet hier zwischen Naturpflanzen, dem vegetativem Pol, Gewürze, Heilpflanzen, dann Gifte, durch … und dann Drogen oder psychoaktive Pflanzen, die eher dem physischen Pol zugehören. Da gibt es eine schöne Passage, die will ich Ihnen mal vorlesen von diesem wirklich großartigen Pflanzenkenner Wolf-Dieter Storl „Pflanzen als autonome Macht“. Vielleicht haben einige von Ihnen das gesehen, dass Wolf-Dieter Storl und Renate Künast mal vor einigen Monaten, es war im letzten Jahr im Fernsehen eine Diskussion hatte über Fragen der Natur generell. Ich habe es nur kurz sehen können, habe mich da ganz kurz eingeblendet. „Pflanzen als autonome Macht“ heißt es hier, in einer sehr schönen Passage aus diesem Buch „Pflanzen-Devas“: „Vor dem inneren Auge eines Ernst Jünger“, schreibt Wolf-Dieter Storl, er, genau wie ich, weiß, dass Ernst Jünger ein ganz großer Pflanzenkenner ist bzw. war. „Vor dem inneren Auge eines Ernst Jünger, der immerhin auf ein ganzes Jahrhundert intensiver Lebens­erfahrung und Erforschung der Natur zurückblicken kann, erscheinen diese stillen Genossen als mit nahezu göttlichen Kräften ausgestattet.“

Das wird uns noch beschäftigen, diese Frage: Haben die Pflanzen ein höheres, gar ein kosmisches Bewusstsein, was viele vermuten. Es gibt Indizien dafür, das kann man erst mal in der Schwebe lassen. „Obwohl selber kaum beweglich“, schreibt Jünger, „zwingt die Pflanze das bewegte Leben in ihren Bann.“ Zitat Ernst Jünger beim Storl: „So wie die Pflanze Geschlechtsorgane bildet, um sich mit den Bienen zu begatten, vermählt sie sich auch mit den Menschen. Und die Berührung schenkt ihm Zugänge zu Welten, in die er ohne sie nicht eindränge.“ Zitat Ende Jünger, und dann Storl weiter. „Einige Pflanzen nähren, kleiden und wärmen den Menschen wie fürsorgende Mütter, andere aber erobern sich den Menschen, verführen ihn, nehmen ihn gefangen wie eifersüchtige Liebhaber. Jünger sieht den Rausch, den der Mohn, das Coca-Blatt oder der Hanf entfesselt als Zitat jetzt noch mal: „einen Siegeszug der Pflanze durch die Psyche, so nährt uns die gewaltige Familie der Nachtschatten nicht nur physisch, sondern auch im Traum.“

Das wird uns noch beschäftigen, dass in vielen kulturell-spirituellen Traditionen, dass der schlafende Mensch in gewisser Weise der Pflanzen-Mensch ist, also im Schlaf wird der Mensch zu einem quasi pflanzlich-vegetativen Wesen. Also noch einmal Jünger: „Als ein Siegeszug der Pflanze durch die Psyche, so nährt uns die gewaltige Familie der Nacht­schatten nicht nur physisch, sondern auch im Traum.“ Noch mal Jünger: „Wenn wir die Pflanze als autonome Macht erkennen, eintritt, um Wurzeln und Blüten in uns zu treiben, wächst wunderbar, entfernen wir uns um einige Breitengrade von der schiefen Perspek­-tive, die wähnt, der Geist sei das Monopol des Menschen und existiere nicht außer ihm.“ „Also wenn wir die Pflanze als autonome Macht erkennen, dann, die eintritt, um Wurzeln und in uns zu tragen, dann entfernen wir uns von der schiefen Perspektive, die Welt der Geister, das Monopol des Menschen und der Tiere nicht außer ihm.“ Das wissen wir, ich habe Ihnen ja in der letzten Vorlesung etwas erzählt, darzustellen versucht, über den Bruch, der passiert ist, ungefähr im fünften vorchristlichen Jahrhundert, ein Bruch in der Herauskristalisierung des rationalen mentalen Selbst, der auch dazu geführt hat, dass das Pflanzenreich, weit gefasst, entsakralisiert wurde. Natürlich hat es Restbestände immer gegeben. Sie waren nie völlig zerstört, auch durch das Christentum nicht. Es gibt sie bis heute. Aber was den überwältigenden Strom, die überwältigende geistige Richtung des Abendlandes anbelangt, so sind die Pflanzen weitgehend entsakralisiert worden, was sich schwerlich leugnen lässt. „Jünger stellt fest, dass die Zeit am animalischen Pol schneller, am vegetativen langsamer verläuft.“ Eigenartig. Zeitdimension, das kann man hier mal stehen lassen. Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie langsam oder schnell empfinden zum Beispiel Bäume den Jahreszeitenwechsel? Ist das für Sie ein Augenaufschlag, ein Fingerschnipsen? Ist er für sie eine winzige Zeitspanne, oder ist er für sie endlos gedehnt? Sicherlich, wenn überhaupt hier von Zeitempfindung die Rede sein kann empfinden diese rätselhaften Wesen, die wir Pflanzen nennen, in diesem Falle Bäume, die Zeit anders im Jahreszeiten-Rhythmus, anders, als wir es tun. „Unter den Pflanzen selber gibt es solche, die mehr zum animalischen Pol tendieren, und solche, die abgesehen vom gelegentlichen Blühen und Fruchten ganz im dumpfen grünen vegetativen Seinsmodus verharren. Die animalischen Pflanzen bezeichnet Rudolf Steiner als astralisierte Pflanzen.“

Immer wieder erwähnt er hier Steiner, er ist kein Anthroposoph, hat auch nur Distanz zur Anthroposophie, aber er hat viele Gedanken aufgegriffen von Steiner, manchmal etwas unkritisch, wie ich finde, aber trotz alledem will ich das hier nicht bekritteln. „Die animalischsten Pflanzen kennzeichnet Rudolf Steiner als astralisierte Pflanzen. Es sind jene mit absonderlichen Düften, bizarren Wachstumsgesten und atypischen, vom Sonnenrhythmus abgekoppelten Biorhythmen. Oft erregen ihre knallig bunten Farben und befremdenden geometrischen Muster die Aufmerksamkeit von Mensch und Tier. Sie werden von tierhaften Signaturen geprägt, indem sie ansatzweise Hohlorgane, aus der Tiefe Kelchschlünde bilden und eine Fähigkeit besitzen, Substanzen zu syntheti­sieren, die der Stickstoffsynthese des tierischen Stoffwechsels ähnelt. Wenn man sie einnimmt, greifen diese Substanzen schnell in die menschliche Physis oder Psyche ein.“ Das sind die eigentlichen psychoaktiven Pflanzen. Giftige Pflanzen, die also eine tierisch animalische Komponente haben, gewissermaßen Einstülpungen haben, die nor­malerweise die Blüte der Pflanzen nicht hatten, wie ja zum Licht hin öffnen, gibt es Einstülpungsvorgänge. Das wird ja hier schon in dem Text deutlich, „ansatzweise Hohlorgane, etwa tiefe Kelchschlünde und eine Fähigkeit, gewisse Substanzen zu syntheti­sieren. Die animalischen Pflanzen kommunizieren ihr Wesen schneller als der Großteil der Vegetation. Sie sind meist stark giftig oder sie dämpfen, verwirren oder illuminieren Gedanken und Sinneswahrnehmungen. Viele nicht-westliche Völker, vor allem in Südamerika, haben solche schnellen Pflanzen in den Kult oder die Rituale der Visionssuche integriert. Die meisten Pflanzen sprechen jedoch viel langsamer zu uns. Von modernen Zeitgenossen, der seinen Lebensrhythmus an Maschine und Elektronik anpassen muss, werden sie kaum vernommen. Er weiß gar nicht einmal, dass Pflanzen-Devas sprechen können.“ Und so weiter.

Storl verweist in diesem Buch an mehreren Stellen immer wieder auf die seelische Befindlichkeit, auf den seelischen Zustand, das psychische Feld gewissermaßen, das die Voraussetzung dafür ist, dass man überhaupt in der Lage ist, das eigene Pflanzen-Selbst zu aktivieren, also in diese Schicht reinzukommen. Das verlangt eine besondere Art des Stillwerdens, des nicht mental-rational Trennens, Analysierens, Abstrahierens. Nun, Pflanzen-Selbst, was heißt das?

Ich habe in meinem Buch „Was die Erde will“ an mehreren Stellen ausführlich über das sogenannte Pflanzen-Selbst gesprochen. Ich muss jetzt etwas ausholen, um verständ­lich zu machen, wie ich versuche, den Menschen überhaupt zu definieren, in Anführungs­zeichen, denn die Frage nach dem Pflanzen-Selbst ist natürlich die Frage nach dem Menschen überhaupt. Was ist denn der Mensch überhaupt in der Natur, auf dieser Erde, im Kosmos? Was ist denn dieser Mensch überhaupt für ein rätselhaftes Wesen? Ist er ein primär biologisches Wesen? Ist er ein höherer Bio-Computer? Ist er ein kosmisches Wesen? Was ist der Mensch in der Tiefe?

Ich habe am Ende des Buches, das will ich vor der Pause sagen, die wir um Neun machen wollen, die zentralen Thesen zusammengefasst. Und da heißt es im Zusammen­hang auch mit dem Pflanzen-Selbst, ich darf Ihnen mal diese Passage vorlesen, und werde versuchen sie zu kommentieren. „Der Mensch trägt Erde, Pflanze und Tier in sich. Erden-Selbst, Pflanzen-Selbst und Tier-Selbst sind integrale Teile seiner Ganzheit.“ Pflanzen-Selbst nicht nur als vegetativer Pol im Menschen, sondern [als] ein integraler Teil seiner Ganzheit, ein Stück weit ist jeder Mensch auch dieses Pflanzen-Selbst. Eine andere Frage ist, ob dieses Selbst eine Art Ich-Kern hat, einen Bewusstseinskern, das wird uns noch beschäftigen. „Wir müssen zentral beim Menschen ansetzen. Eine wirklich ganzheitliche Anthropologie zeigt den Menschen als holarchisch gestuftes oder geschichtetes Wesen.“ „Holarchisch“ stammt aus der Systemtheorie, meint eigentlich hierarchisch, nicht im politischen Sinne natürlich gemeint, „als holarchisch gestuftes oder geschichtetes Wesen. So scheint er auch in allen relevanten spirituellen Traditionen. Der Mensch ist ein Mesokosmos, mittlerer Kosmos, der Erde und Himmel als Kosmos verbindet bzw. integriert. Die Seele des Menschen ist das Formprinzip.“ Das geht auf Aristoteles zurück, auf die griechische Philosophie. „Die Seele des Menschen ist das Formprinzip, die Formkraft der menschlichen, auch organischen Gestalt. Deren bewusster Teil ist das Ich, das wiederum Anteil hat am alles durchdringenden medialen Geist oder Logos. Der Mensch ist gleichsam Gott, Tier und Tiergott (Plotin), eingehängt zwischen Erde und Kosmos. Es gibt offenbar auch feinstoffliche Hüllen oder Körper, die den physischen Körper umgeben oder durchdringen. Dies ist auch jenseits esoterischer Spekulationen“, das muss man sagen, „auch dem vorurteilsfreien Denken und der vorurteilsfreien und vertieften Selbstbeob­achtung abzuleiten.“ Das es wichtig, dass man das nicht verdinglicht, wie das viele sogenannte Esoteriker tun, als ob es einfach Dinge wären, die man behandeln könnte wie Dinge etwa, wie den Ätherleib oder Lebensleib oder Astralleib. „Dies ist auch jenseits esoterischer Spekulation aus dem vorurteilsfreien Denken und der vorurteilsfreien und vertieften Selbstbeobachtung abzuleiten. Das Ich selbst ist das größte Rätsel, ein Paradox, weil es seine eigene Überschreitung schon in sich trägt. Am Ich entscheidet sich alles. Ohne ein Verständnis des Ich oder Selbst kommen wir keinen Millimeter weiter. Eine wirklich ganzheitliche, das heißt alle Ebenen, Dimensionen der menschlichen Existenz entschiedene Anthropologie ist der Schlüssel zum Verständnis von Natur und Kosmos. Jeder Reduktionismus, insbesondere der naturwissenschaftlich-technische, ist Teil und Symptom der Katastrophe, auch der ökologischen Krise.“

Wenn man das mal erwähnen darf, mittlerweile tun ja viele so, als gäbe es die ökologische Krise gar nicht. Da fragt man. Was war das noch mal? Ein ökologische Krise, hat man irgendwie davon gehört, vielleicht nicht mehr schnell, was war das noch? So ist es ja mittlerweile. Der Ökonomismus herrscht so total, dass das wie absonderlich erscheint, wenn man das Wort erwähnt. „Der Mensch, der ganze ungeteilte oder integrale Mensch ist der Schlüssel und die Achse der Weltentwicklung.“ Im letzten Sommer war jemand da, der das in mehreren Briefen an mich, diese und ähnliche Passagen kritisiert hat als Anthro­pozentrismus. „Der Mensch, der ganze ungeteilte oder integrale Mensch ist der Schlüssel und die Achse der Welt.“ Ich würde damit, anders, subtiler, umfassender, möglicherweise intelligenter, aber doch im Kern ähnlich argumentieren wie das, was ich kritisiere, was zur ökologischen Krise geführt hat: den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das ist eine Frage, die ich hier zunächst mal auf sich beruhen lassen möchte, die Frage des Anthropozentrismus überhaupt.

Wenn ich hier vom Menschen ausgehe, dann ist das nicht im platten Sinne anthropozentrisch. Dann ist das erst einmal phänomenologisch unverzichtbar und meint wirklich den ganzen Menschen. Es ist einfach verlogen, wenn wir glauben, wir könnten unser eigenes Menschsein gewissermaßen geistig eliminieren, abschleifen und dann die Dinge einfach so spielen wie sie sind. Ganz absurd. Das ist das berühmte Repräsentations­paradigma nach dem Muster: Wir sind Spiegel und spiegeln die Welt wie sie ist. Das tun wir eben nicht, sondern dieser Spiegel hat seine Eigenarten. Er spiegelt die Welt ja in einer bestimmten Weise und damit sich zu beschäftigen, wie möglicherweise dieser Spiegel die Dinge verändert, das ist ein großes Thema, auch im Zusammenhang mit den Pflanzen und dann auch dem Pflanzen-Selbst im Menschen. Also jetzt vor der Pause nochmal plakativ verkürzt gesagt: Das Pflanzen-Selbst ist ein Etwas im Menschen, ein integraler Teil einer holarisch gestuften Ganzheit des Menschen, ein integraler Teil, der zu aktivieren, der zu verlebendigen und der auch mit Bewusstsein zu durchdringen ist, der kontaktiert werden kann und nur über dieses sogenannte Pflanzen-Selbst, nehmen Sie einfach mal den Begriff in seiner Unschärfe, ist es möglich, eine nicht-reduktionistische, nicht-analytische, in diesem Sinne integrale Form der Wahrnehmung des Pflanzenwesens zu erhalten. Das wiederum ist notwendig, um überhaupt irgendetwas zu verstehen, was nicht nur im Außen bleibt, das dann nicht nur als Dekor, als ein Wesen da draußen [gilt] – ich bin hier, da sind die Pflanzen ‒ sondern als eine Art von Verbindung, die allerdings keine simple ist, die man auch nicht mit simplen Verfahren einfach so herstellen kann, wie das manche zu glauben scheinen. (…)

Ich war gefragt worden nach dem Buchtitel nochmal von dem Joachim-Ernst Berendt. Dieser Titel ist nicht im Literaturverzeichnis. Als ich das Literaturverzeichnis aufgeschrieben hatte, war mir der im Moment nicht gegenwärtig. Im Übrigen ist dieses Literaturverzeichnis nur eine ganz kleine Auswahl. Der Titel heißt, also Joachim Ernst Berendt „Es gibt keinen Weg. Nur gehen“. Das ist nicht im normalen Buchhandel [erhältlich], nur im Verlag ZweitausendEins (in der Kantstraße 47). Das ist das letzte Buch, was er veröffentlicht hat 1999. Sie wissen, dass er im Januar [Februar 2000] durch einen Autounfall, er war überfahren worden, in Hamburg ums Leben gekommen ist. Kurz vor seinem Tode hat er mir noch geschrieben und daher weiß ich das überhaupt mit diesem Buch. Und ich habe mir das dann auch gekauft. Also: Das Zentrum des Buches ist eigentlich eine große Reflexion über Mensch und Baum mit dem Titel „Bäume und Menschen“, also sehr interessant, über viele Jahre gesammelte Überlegungen: Was sind Bäume? Wie kann man Bäume verstehen? Wie kann man Bäume beobachten? Wie kann man ein anschauend- integrales Gefühl entwickeln für die Eigenart dieser Bäume, die ja sehr weitgehend ist. Also das lohnt sich schon, sich das anzugucken. Man muss da nicht zu viel erwarten, Berendt ist kein Poet, und er ist auch kein Philosoph, das will auch gar nicht sein. Es sind aber hochinteressante Überlegungen zu Mensch und Baum.

Noch einmal kurz zu Wolf-Dieter Storl. Ich hatte schon angedeutet, dass der schlafende Mensch in gewisser Weise der Pflanzenmensch ist, der Mensch im Pflanzen-Selbst, wobei man einen Moment die Frage unberücksichtigt lassen kann: Hat der im Tiefschlaf befindliche, nicht träumende Mensch, der einfach da so liegt, vegetativ-pflanzlich, auch ein Bewusstsein, an das er sich möglicherweise erinnern kann? Eine schwierige Frage, die man kontrovers behandeln kann. Gibt es also ein Tiefenbewusstsein im traumlosen Tiefschlaf, ein Bewusstsein, an das sich der Einzelne dann auch nach dem Aufwachen erinnern kann? Sie wissen, dass in vielen Überlieferungen, etwa auch in der altindischen Advaita-Lehre die These vertreten wird, dass der Mensch in diesem Zustand sich in einem ganz hohen Bewusstsein befindet und dann auch kommunizieren kann mit diesen als makrokosmische Wesen vorgestellten Pflanzen im Sinne dieser mythologischen, auch spirituellen Vorstellung, die auch Storl immer wieder heranzieht. „Die Wenigsten von uns sind Heilige, denen es vergönnt ist, bei klarem Bewusstsein mit den Devas, Pflanzenwesen­heiten zu kommunizieren. Dennoch können die Devas auch uns notwendige Botschaften zukommen lassen. Sie tun [es], wie Bill Talbol erklärt“, ein Schamane, auf den er sich hier öfters bezieht, „indem sie uns im Traum erreichen. Wenn wir schlafen, sind wir am pflanzenähnlichsten, wo immer wir dann auch unterwegs sein mögen. Wir liegen, als seien wir festgewurzelt. Wie bei der Pflanze sind alle vitalen Funktionen, Atem und Stoffwechsel intakt, aber das bewusste Wahrnehmen, Fühlen, Denken ist ausgeschaltet. Unser Geist und unsere Seele befinden sich in anderen, nicht mehr physischen Regionen“, sagt er. Das können wir so lassen. „Wenn sich unsere Seele im Schlaf vom Körper löst, kann sie durchaus in eine Pflanze hineingehen, kann sich mit ihr austauschen, kann Botschaften aufnehmen.“ Das ist sehr weitgehend. „Jede Nacht, derweil wir ohnmächtig im Bett liegen, besuchen wir also die Innenseite der Natur, in Anführungszeichen. Wir durchwandern Elfenwelten und klettern die Planetenleiter, den Schamanenbaum empor, wo wir den Devas begegnen. Auf der langen Reise durch die Anderswelt wird die Seele sehr durstig, ist der Durst nach dem diesseitigen Leben. Auf dem Weg zurück überqueren wir Lethe, einen mythologischen Fluss des Vergessens, der das Diesseits vom Jenseits trennt. Unweigerlich wird da die dürstende Seele trinken, bis auf einige konfuse Traumfetzen, mit denen das Tagesbewusstsein wenig anzufangen weiß, wird dieser Trunk alle Erinnerungen an das geistige Abenteuer löschen. Nur ein großer Yogi oder Schamane ist fähig, die Traumbot­schaft der Götter und Pflanzendevas im Bewusstsein zu bewahren.“ Dann noch: „Das Erträumen des Heilkrauts war in den Isis-Tempeln im alten Ägypten und in askletischen Kultstätten im alten Griechenland lange vor Hippokrates zur erfolgreichen Therapie ausgebaut worden. In den Tempeln, die an heiligen Quellen oder Grotten errichtet wurden, opferten die Patienten zuerst einen Hahn, dann wurden sie gebadet, mit duftenden Kräutern massiert und schließlich unter dem Bildnis der Göttin von dem Zaubergesang der Priester in einen dreitägigen Schlaf versetzt. Hunde und Schlangen, die dem Äskulap geweiht waren und sich frei im Tempelgelände bewegten, hielten böse Einflüsse fern. So konnte die Seele des Kranken ungehindert in die Geistigkeit,“ ‒ auch Sakralität ‒ „die die Natur durchflutet, eintauchen und das heilende Mittel im Traumgesicht empfangen.“ Usw. Man kann das auch jenseits dieser mythologischen Vorstellungen verstehen. Man muss dazu nicht unbedingt die Vorstellung heranziehen, dass die Pflanzen tatsächlich makrokosmische, gewaltige Wesenheiten sind, deren sozusagen letzte Emanation dann das physisch-sinnliche Pflanzenreich darstellt. Das muss man so in dieser Form gar nicht akzeptieren oder in sein Bewusstsein aufnehmen. Das kann man als eine Denkmöglich­keit erst einmal so stehen lassen. Auf jeden Fall kann man begreifen, dass wir in einen anderen Zustand hineinkommen müssen, um dieses Pflanzen-Selbst in gewisser Weise zu kontak­tieren. Wie kann man sich das jetzt im Gesamten vorstellen?

Ich habe schon vor der Pause ja diesen Satz zitiert: „Der Mensch, der ganze ungeteilte oder integrale Mensch, ist der Schlüssel um die Achse der Weltentwicklung.“ Der Mensch, nicht in diesem bekannten religiösen Sinne als Krone der Schöpfung, aber als ein Wesen, das offenbar im evolutionären Prozess der Dinge, im kosmisch-evolutionären Prozess angelegt ist. In diesem Sinne kann man den Prozess als eine teleologische, eine vom telos, vom Ziel, bestimmten Prozess verstehen. Der Mensch also angelegt in dieser Entwicklung, insofern auch alle früheren Stufen in sich tragend, weitertragend, sie integrierend.

„In seinen Grundlagen tibetischer Mystik, stellt Lama Anagarika Govinda das Fünf-Körpersystem einer alten indischen Überlieferung dar, außerhalb des Buddhismus.“ Das wird hier zitiert und dann von mir kommentiert. Das gehört in dieses Thema. „Wir haben es hier mit einem Parallelismus körperlicher und seelischer Funktionen zu tun. Dieser Parallelismus“, es gibt ganz viele Modelle dieser Art, auch Ken Wilber äußert sich immer wieder zu diesen Vorstellungen, „dieser Parallelismus kommt anschaulich in der Lehre von den fünf Hüllen, kosha, des menschlichen Bewusstseins zum Ausdruck, die es in wachsender Verdichtung um oder aus dem innersten Kern unseres Wesens kristallisieren. Die wichtigste und äußerste dieser Hüllen ist der aus Nahrung gebildete physische Körper annamaya kosha. Die nächste ist die diesen Körper durchdringende, atmende und genährte, aus dem Prana gebildete feinstoffliche Hülle pranamaya kosha, die wir als pranischen oder ätherischen Körper bezeichnen können. Die nächstfeinere Hülle ist die durch unser aktives Denken gebildete Persönlichkeit, unser Gedankenkörper manomaya kosha. Die vierte Hülle ist der über unser aktives Denken hinausgehende, die Gesamtheit unserer geistigen Fähigkeiten umfassende potenzielle Bewusstseinskörper vijnanamaya kosha. Die letzte und feinste, alles vorhergehende durchdringende und zugleich innerste Hülle ist der von Freude, ananda, genährte, aus Freude geborene Körper des höchsten universellen Bewusstseins andamaya kosha, der nur im Zustand der Erleuchtung oder hohen Stufen der Meditation erlebt wird. Diese Hüllen“ ‒ noch immer Govinda ‒ „sind also nicht als aufeinanderfolgende getrennte Schichten, die sich um einen festen Kern ansetzen, zu verstehen, sondern als sich gegenseitig durchdringende Prinzipien vom feinsten, allseitig leuchtenden, alles durchstrahlenden Bewusstsein bis zum materialisierten Bewusstsein als Körper in sichtbare Erscheinung tritt. Die jeweils feineren Hüllen erfüllen und schließen die gröberen in sich ein.“

[Das] finden Sie in ganz vielen spirituellen, religiösen Traditionen dieser Erde, ähnliche Modelle, Stufenmodelle, holarchische Modelle ineinander verschachtelter Hierarchien, Holarchien, von Schichten, Stufenebenen der menschlichen Gesamtwesenheit. Zitat Ende.

„Der zweite Körper, der als pranischer oder ätherischer Körper bezeichnet wird, hat in den siebenstufigen Modellen eine etwas engere oder eingeschränktere Bedeutung. Er gilt für die pflanzliche Ebene des Organischen als ätherischer Körper oder Lebenskörper, Vitalseele, ist der Mensch quasi ein pflanzliches, ein bloß vegetatives Wesen.“ Jetzt kommt die Stelle, wo in diesem Buch zum ersten Mal der Begriff Pflanzen-Selbst eingeführt wird. „Wenn man in bewusster Unschärfe den Begriff ,Selbst‘ hier einführt, kann man dem Lebenskörper auch als das Pflanzen-Selbst des Menschen bezeichnen.“ Kann man. Ich hab das ja vorhin schon einschränkend gesagt, das ist ein Hilfsbegriff, den man nicht verding­lichen sollte. Davor möchte ich warnen. Man kann und soll nicht diesen Begriff zu einem Ding, zu einem Etwas machen, es ist eine Hilfsvorstellung, um etwas sehr subtiles, sehr schwer zu Greifendes in das Wort zu bringen.

Also: „Wenn man in bewusster Unschärfe den Begriff Selbst hier einführt, kann man den Lebenskörper auch als das Pflanzen-Selbst des Menschen bezeichnen, den physischen Körper als das Stoff-Selbst, da folgt auf das Pflanzen-Selbst das Tier-Selbst, also das, was im 7er-Modell als der astralische Körper, Astralleib seinerseits gilt oder als der animalische Empfindungs- und Gefühlskörper. Auf dieser Stufe und als diese Stufe ist der Mensch Tier, sind Materies-Selbst und Pflanzen-Selbst eindeutig präpersonal, das heißt vor jeder Ich­haftigkeit, Personalität, so tauchen auf der darauffolgenden Stufe Ansätze von Ichhaftigkeit auf. Fraglos haben höhere Tiere, etwa Katzen oder Hunde, eine Art von Ich-Gefühl. Das Tier-Selbst steht mit einem Fuß im Präpersonalen, mit dem anderen, dem schwächeren schon im personalen Bereich. Pflanzen-Selbst und Tier-Selbst sind Ausdrucksformen der Seele, und zwar im Sinne wie an anderer Stelle gegebenen Bestimmung als Formkraft oder Formprinzip des Organischen. Mentale Ichhaftigkeit als wirkliche Fähigkeit zur Selbst­reflexivität taucht erst auf der Stufe mit dem eigentlichen Verständnis menschlichen Selbst auf. Mental-Selbst gleich ichhaftes Menschen-Selbst. Die Ich-Stufe ist die des Mentalkörpers oder Gedankenkörpers. Hier ist der Mensch er selbst und er trägt die drei anderen Selbste, Materie, das Pflanzen- und Tier-Selbst, als integrale Teile in sich. Wenn diese drei Selbste als Natur gelten, dann ist die so verstandene Natur ein Teil des Menschen und nicht umgekehrt.“ Auch Ken Wilber, in verschiedenen seiner Bücher, stellt das immer wieder dar. Dass es hier also eine holarchisch geschichtete Ordnung gibt, wobei die jeweils höhere Ebene die niederen Ebene einschließt und gleichzeitig überschreitet, „to transcend and include“, das trifft auch hierfür zu.

Eine ganz andere Frage ist, ob dieses Pflanzen-Selbst, das habe ich vorhin als Frage formuliert, eine Art Bewusstseinskern hat, einen Ich-Kern. Das kann man sehr schwer entscheiden. Wir rühren damit an eine Frage, die uns auch noch immer wieder beschäfti­gen wird, die Frage nach einem vor-ichhaften Bewusstsein. Das wird uns ja noch in 14 Tagen beschäftigen oder in drei Wochen: Haben Pflanzen, können Pflanzen eine Art von Bewusstsein haben, das ja nicht ein zerebral, über ein Nervensystem vermitteltes Bewusstsein ist, sondern das ja ein anderes Bewusstsein sein muss, ein gleichsam elementareres Bewusstsein jenseits des zerebralen, jenseits des Nervensystems. Also ist das möglich? Ist das denkbar? Ist das vorstellbar? Und wenn ja, können wir uns da in irgendeiner Form über unser sogenanntes Pflanzen-Selbst einklinken?

Ich muss noch einen anderen Gedanken hier anführen, der auch zu dem Pflanzen-Selbst gehört. Auf der einen Seite ist das Pflanzen-Selbst in meiner Vorstellung ein integraler Teil der höheren Ganzheit Mensch, in gewisser Weise ein Teil, der in der höheren Ganzheit aufgehoben ist, auch im Sinne Hegels auf einer höheren Stufe bewahrt ist, nicht zerstört, also im Sinne auch Hegels der Bewahrung. Auf der anderen Seite aber ist das Pflanzen-Selbst auch der Kontakt, die Verbindung mit dem, was ich mit vielen anderen die planetare Intelligenz nenne. Das heißt, die Pflanzenwesenheit hat Anteil an dem, was ich die planetare Intelligenz nenne, die in gewisser Weise, ich sagte das ja schon vor 14 Tagen, eine Art kosmisches Bewusstsein darstellt, mit aller Vorsicht gesagt. Eine kleine Stelle noch einmal aus „Was die Erde will ‒ was wissen die Pflanzen“, da heißt es, ein längerer Abschnitt:

„Zweifellos gibt es eine planetare Intelligenz.“ Viele sagen das, ich sage das auch. Es gibt sehr viele Argumente, die man dafür anführen kann, das im Einzelnen will ich nicht vertiefen. Das habe ich in der Vorlesung im Sommersemester 2001 sehr ausführlich getan, die Frage der Erd-Organismus-Vorstellung, die uns dann noch beschäftigen wird am 11.6. im Zusammenhang mit dem Demeter-Kult. „Fraglos gibt es eine planetare Intelligenz, und wahrscheinlich hat auch das, was wir als pflanzliche und tierische, ja wohl auch menschliche Intelligenz verstehen, hier ihren Nährboden und Quellgrund. Die Pflanzen-Intelligenz etwa, scheint die gesamte Oberfläche des Planeten zu umspannen. Pflanzen sind die eigentlichen Katalysatoren des Lebendigen. Die Fähigkeiten der Pflanzen grenzen ans Wunderbare, und ganz offenbar verfügen sie über Empfindungs- und Wahrnehmungskräfte rätselhafter Art. Rätselhaft insofern, als hier kein Nervensystem vorhanden ist als materielles Substrat oder Korrelat für diese Bewusstheitsvorgänge. Schon Charles Darwin hat dieses Problem beschäftigt, also ein Mann, der als Gründervater des biologischen Reduktionismus gelten kann und der rigoros alles Seelische und Geistige, alles Teleo­logische, aus seiner Theorie verbannt hat. Und doch schreibt er, Charles Darwin, am Ende seines letzten Buches ,Das Bewegungsvermögen der Pflanzen’“, Zitat Charles Darwin, erstaunlich: „Die Behauptung, dass die Enden der Würzelchen einer Pflanze wie das Gehirn eines niederen Tieres funktionieren, dürfte wohl kaum eine Übertreibung sein.“ Erstaunlich, hätte man von Darwin so nicht erwartet. „Die Behauptung, dass das die Enden der Würzelchen einer Pflanze wie das Gehirn eines niederen Tieres funktionieren, dürfte wohl kaum eine Übertreibung sein. Das Gehirn empfängt die Eindrücke der Sinnes­organe und steuert die zahlreichen Bewegungsabläufe.“

Also, diese Frage wird uns noch eingehend beschäftigen. Wir wollen diese beiden Aspekte im Blick behalten, das Pflanzen-Selbst als ein integrierter Teil der menschlichen Gesamtheit, quasi als der Pflanzen-Mensch, als der vegetative Pol der menschlichen Gesamtheit, in der Gesamtholarchie und gleichzeitig, nicht alternativ sondern komple­mentär: das Pflanzen-Selbst als Anteil, als Teilhaber an dem, was ich die planetare Intelligenz nenne. Also beides. Ich finde, es ist beides, Pflanzen-Selbst im Menschen und gleichzeitig die Stelle, an der auch ein Anteil an der planetaren Intelligenz, repräsentiert über die globale Form der Pflanzenwesens, möglich ist.

Eine Frage will ich abschließend noch anschneiden, bevor wir vielleicht noch ein paar Fragen klären können. Die Frage, die hier notwendig hingehört: Wie ist es zum Beispiel mit einem Werkstück, einem Instrument, einem Möbelstück oder Ähnlichem, wenn es nun durch menschliche handwerkliche Tätigkeit bearbeitet, für Menschen funktional vorhanden ist ‒ ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Gestühl, ein Schrank, wie immer? Wie ist es in diesem Falle mit der Pflanzenwesenheit? Sind die Pflanzen in ihrer eigenen Struktur und Tiefe da quasi funktionalisiert, dem Menschen dienstbar gemacht, oder transportieren sie doch noch etwas von ihrem eigentlichen, ihnen eigenen Wesen, also der Eichenschrank oder Eichentisch: Transportiert er noch etwas von dem, was wir als Eiche auch im Sinne dieser ganzheitlichen Vorstellung wahrnehmen, oder nicht? Ich würde sagen, das tut er bis zu einem gewissen Grade, das ist wirklich so.

Das wird uns auch noch in mehreren Zusammenhängen beschäftigen, und dann muss man sagen, was die Eigenart dieser rätselhaften Wesen ausmacht, ist, dass ja in gewisser Weise jedes Exemplar immer das Ganze nicht nur repräsentiert, sondern ist. Jede Eiche repräsentiert nicht nur alle anderen Eichen, sondern sie ist es in gewisser Weise. Jede Eiche ist alle Eichen. Und das ist ein Punkt, der, wenn man darüber mal nachdenkt oder das meditativ gedanklich verfolgt, zu aufschlussreichen Schlussfolgerungen führen kann, wenn man sich das klarmacht, dass es hier nicht um Repräsentanz geht, sondern tatsächliche ontologische Identität: Die einzelne Eiche repräsentiert nicht nur die anderen Eichen, sie ist alle anderen Eichen. Insofern kann über das Einzel-Exemplar das Ganze kontaktiert werden.

So, das wollte ich Ihnen heute in großen Zügen vorstellen. Bevor wir noch ein paar Fragen klären, will ich etwas sagen zum nächsten Mal. Ich möchte dann in der nächsten Vorlesung die Frage behandeln. Warum wachsen Pflanzen? Polarität von Licht und Schwere im Pflanzenreich. Die ganze Frage nach Licht-Finsternis, Polarität Licht-Finsternis, Licht-Gravitation, Wachstums-Vorgänge, die ja wie Sie vielleicht wissen, nicht unbedingt linearer Natur sind, sondern spiralförmig. Es gibt die eine eigentümliche Spiraltendenz, wie Goethe das nannte, im Pflanzenwachstum. Also hochinteressante Fragen, die auch zu tun haben mit dem Licht überhaupt, das uns dann immer mehr auch beschäftigen wird, das hat ja bisher eine erst geringe Rolle gespielt, die Frage nach dem Licht und die Frage nach dem Zusammenhang des kosmischen Lichtes mit solchen Wachstumsprozessen. Wie kann man das denken? Wie kann man das gedanklich vergegenwärtigen in einer nicht-reduktio­nistischen Weise, ohne in allzu spekulative und nicht mehr abzustützende [Ideen] zu gelangen? So, das wollte ich Ihnen heute vorstellen.

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