Bewusstsein der Pflanzen

Vorlesungsreihe:

„Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 23

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Ich habe das heute genannt: Was wissen die Pflanzen – Mensch und Pflanze im Wechselspiel von Erde und Kosmos. Worum geht es bei der Frage: Was wissen die Pflanzen? ist im Grunde eine Frage, die darauf zielt, welche Form von Bewusstsein haben diese rätselhaften organischen Wesen, die mit uns die Erde bevölkern, eben die Pflanzen. Es geht also um die Frage nach dem Bewusstsein der Pflanzen und um die Frage, welche Möglichkeiten wir haben, uns in irgendeiner Form in diese Bewusstseinsform, in diese Bewusstseinsebene hineinzubegeben. Können wir das? Ist das möglich? Oder ist da durch unsere Ichhaftigkeit und Mentalstruktur von vornherein eine ontologische Barriere, was ja möglich wäre? Es wäre ja möglich, dass es eine ontologische Barriere gibt, dass wir grundsätzlich keine Möglichkeit haben, wirklich in die tiefen Schichten des Bewusstseins der Pflanzenwelt einzudringen. Obwohl es natürlich im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder Berichte gegeben hat von Kulturen, von Menschengruppen und von einzelnen Menschen, die für sich in Anspruch nahmen, genau diesen Zugang zu realisieren oder realisiert zu haben, etwa im Bereich des Schamanismus. Darüber berichtet auf eine sehr eindrucksvolle Weise dieses Buch „Schamanische Wissenschaften“, was ich Ihnen ja schon mal am Anfang des Semesters empfohlen hatte ‚Ökologie, Naturwissenschaft und Kunst‘. Also um die Frage soll es gehen: Wie ist das mit dem Bewusstsein der Pflanzen?

Und wenn ich dann im Thema schon gesagt habe, Mensch und Pflanze im Wechselspiel von Erde und Kosmos, dann ist hier mit Kosmos primär, aber nicht ausschließlich, Licht gemeint. Wie nehmen Pflanzen Licht wahr? Sie wissen alle, dass ohne die sogenannte Photosynthese kein Leben möglich wäre, aber wenn man die dürren chemischen Formeln der Photosynthese sich anguckt, also dass da Stärke entsteht aus Wasser und Kohlendioxid mittels der Lichtenergie über Chlorophyll, den grünen Farbstoff, dann ist das mehr eine chemische Beschreibung als eine wirkliche Erklärung. Was passiert wirklich und eigentlich in der sogenannten Photosynthese? Das ist weitgehend noch ein Mysterium, aber ein zentrales Mysterium, denn letztlich hängt das gesamte Leben auf dem Planeten davon ab. Also um diese Fragen soll es gehen.

Ich muss vielleicht einleitend ganz kurz ein paar persönliche Bemerkungen machen, die ganz angezeigt sein könnten. Ich will das mal über einen Umweg versuchen, also was mein Verhältnis zu Pflanzen betrifft, ganz persönlich. Ich würde es über einen Umweg versuchen. Es gibt einen Essay von Thomas Mann, aus den 20er, 30er Jahren, weiß ich nicht genau, der heißt „Lübeck als Lebensform“ oder „Lübeck als geistige Form“. Ich habe den Essay jetzt nicht mehr gefunden in meiner Thomas-Mann-Ausgabe. In diesem Essay stellt Thomas Mann das Naturverhältnis des typischen Großstädters dar. Er sagt, dass der bürgerliche Mensch, der Großstädter, und er nimmt sich in diese Kategorie hinein, Natur im Grunde genommen nur primär begreift als das Andere seiner selbst und als das Erhabene. Er reist in die Berge, er reist an das Meer. Er genießt ästhetisch Natur und lässt sich anrühren von dem erhabenen Charakter dieser Kulisse. In gewisser Weise wird er auf eine fast transzendente Weise davon berührt. Und das scheint mir typisch zu sein für viele, sagen wir mal, großstädtische Biografien, so auch für meine eigene. Ich habe über Jahre hinweg als Kind und auch noch als Jugendlicher überhaupt kein Verhältnis zu Pflanzen gehabt. Ich wusste gar nicht, was Pflanzen sind. Ich bin im zerbombten Nachkriegs-Berlin aufgewachsen, in einem Stadtteil, war weitgehend aufgewachsen, der vollständig zerstört war. Da gab es allenfalls einige Gärten mit irgendwelchem Gesträuch, dessen Namen kein Mensch interessierte. Ich wusste allenfalls, dass es da Kastanien gibt. Da waren Kastanien auf der Straße, da gab es eine Tuja-Hecke, da gab es zwei Kirschbäume, und da gab es eine Pappel. Also was ich an Bäumen wusste, an Baumnamen wusste, hätte ich wirklich an zwei Fingern abzählen können. Interessierte mich auch gar nicht. Alles andere waren Blumen, das war bunt. Ja, so ist es gewesen.

Und erst über ganz andere Eindrücke, über frühe Eindrücke in den Bergen, auch über diese Wahrnehmung des Erhabenen, des ästhetisch Imposanten und über die dort ja nun existierenden Wälder wurde mir erstmalig als Jugendlicher dann deutlich, was möglicherweise Pflanzen sein könnten, über den Wald, über die Erfahrung des Waldes und dann über die Literatur. Viele Bezeichnungen von Pflanzen habe ich zum ersten Mal in der Literatur gelesen, in Gedichten gelesen oder auch dann in vielen Jahren meines mehr oder weniger dilettantischen Sängertums, dann auch in den Liedern festgestellt. Nicht, „säuselt der Kalmus im nächtlichen Hain“, heißt es in einem Schubert-Lied, ich wusste gar nicht, was ein Kalmus ist. Und „wir saßen so traulich zusammen im kühlen Erlen-Dach“, heißt es in einem Schubert Lied. Ich habe erst durch dieses Gedicht überhaupt gelernt, dass Erlen offenbar am Wasser sich gerne aufhalten, also an einem Fluss etwa oder am Seeufer. Also das nur als Beispiel. Ich bin da bestimmt keine Ausnahme, das muss man vorab sagen.

Ich habe dann immer mit einem gewissen Staunen, fast möchte ich sagen Neid, bei verschiedenen Schriftstellern, etwa Hermann Hesse, gelesen, welche ungeheure Intensität und Genauigkeit sie schon als Kinder für Natur hatten, ganz genau alles benennen konnten, Zusammenhänge erfassten, das war mir vollkommen fremd. Das musste ich mir sozusagen über ganz andere Schienen erst erarbeiten, über die Literatur, über die Philosophie, über bestimmte Formen der Meditation. Ganz allmählich überhaupt ist es mir deutlich geworden, was Pflanzen überhaupt sind, intensive Goethe-Lektüre und so weiter. Und ich glaube, dass das symptomatisch für sehr viele ist. Also das Thema Mensch-Pflanze, es hat mich dann spät erst in meinem Leben wirklich erreicht und hat mich zu einer Wahrnehmung gebracht, die dann allerdings eine besondere Intensität erreichen konnte. Ich weiß nicht, ob sie diese Intensität erreicht hätte, wenn das von vornherein der Fall gewesen wäre. Es ist auch müßig, darüber zu spekulieren. Also das nur als Einstieg, als kurzer biographischer Hinweis darauf, wie das in meinem Falle war.

Und ich habe erst seit einigen Jahren eigentlich eine Wahrnehmung entwickelt und lese auch jetzt noch mal ganz neu Texte, die ich lange kannte, zum Beispiel Goethe-Texte. Ich habe kürzlich jetzt wieder im Zuge der Vorbereitung für die Vorlesung „Die Metamorphose der Pflanzen“ gelesen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl gehabt, ich habe den Text überhaupt halbwegs verstanden. Ich habe ihn bestimmt 10, 12, 15 mal gelesen, im Laufe meines Lebens, ihn dann wieder abgelegt und dann wieder hervor genommen. Gut, das vorab.

Nun, die Frage nach dem möglichen Bewusstsein von Pflanzen geht ja noch weiter. Es ist ja die Frage nach dem Bewusstsein der nicht-menschlichen Welt überhaupt. Darüber habe ich ja in mehreren Zusammenhängen immer wieder gesprochen. Wir haben uns ja auch schon über die Frage verschiedentlich verständigt, ob höher organisierte Lebewesen, etwa Tiere, eine Art von Ich-Bewusstsein haben. Nicht, das ist umstritten, schwer zu sagen. Wahrscheinlich gibt es eine Art Prä-Ich-Empfindung, es gibt viele Indizien dafür. Aber wie sieht es bei den Pflanzen aus? Welche Art von Bewusstsein kann man von den Pflanzen, bei den Pflanzen unterstellen, und wie kann man das wahrnehmen? Wie kann man in Kontakt dazu treten? Goethe hat ja viele faszinierende Hinweise dazu gegeben, wie man das kann, nämlich mittels einer bestimmten Art von gestalthaftem Denken. Goethe nannte das anschauendes Denken oder denkende Anschauung, also das Denken im Schauen von Ideen, also das Schauen von Ideen als Denken, als gestalthaftes Denken. Daraus resultiert ja auch der goethische Begriff des Urphänomens. Das habe ich ja angedeutet.

Nun erschien im Herbst letzten Jahres, von vielen wahrscheinlich gar nicht beachtet, im „Spiegel“, weil ich.., ein Organ, ein Presseorgan, was nun alles andere als orientiert ist auf solcherart eher philosophisch-spiritueller Wahrnehmung, ein merkwürdiger Artikel, der verweist auf neueste molekulargenetische Forschung, das entnehme ich diesem Artikel, die es erst seit 1996 gibt und man glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Nun findet man hier eine ganze Reihe von Aussagen dergestalt, wie wir sie aus spirituellen Zusammenhängen, aus ganz anderen naturphilosophischen Zusammenhängen kennen, unter anderem aus diesem berühmten Buch, wahrscheinlich dem berühmtesten Buch überhaupt über das Thema „Das Geheime Leben der Pflanzen“, was ja vor über zwanzig Jahren erschien Peter Tompkins, Christopher Bird, ein Bestseller, hunderttausende Auflage, das ja auf eine faszinierende Weise das ganze Spektrum aufmacht. Viele verblüffende Bestätigungen gibt es jetzt offenbar. Das kann ich nur so hinnehmen. Ich kann es im Einzelnen nicht nachprüfen aus den Bereichen der Molekulargenetik. Man kommt offenbar jetzt zu der Auffassung, dass was Tompkins und Bird und andere immer behauptet hatten, dass in der Tat Pflanzen sehen, schmecken, riechen, fühlen und hören können. Eine verblüffende Angelegenheit. Die Pflanzen haben kein zentrales Nervensystem. Wie soll das überhaupt möglich sein? Wie geschieht das? Wie kann das sein?

Ich lese mal einige Passagen aus diesem Artikel vor, weil der das auf eine ganz prägnante Weise darstellt, im Herbst ‘98 erschienen: „Die Erforschung der Sinne von Pflanzen, also Sehen, Schmecken, Riechen, Fühlen und Hören hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Dass Pflanzen sensibel auf Einflüsse ihrer Umgebung reagieren, konnte nun auch mit den modernen Methoden der Molekularbiologie nachgewiesen werden“, was jeder eigentlich weiß, jeder, der halbwegs unbefangen Pflanzen betrachtet, weiß das eigentlich, nun hat die Molekularbiologie [das] auch nach­gewiesen, in Anführungszeichen. „Keineswegs tumb ist das Grünzeug“, typischer Spiegel­jargon, „im Gegenteil, Pflanzen, so steht fest“, jetzt scheint es festzustehen, „können sehen, schmecken, riechen, fühlen und wahrscheinlich auch hören. Im Saft ihrer Äste und Blätter schwimmen Phyto-Hormone, die wichtige Botschaften übermitteln. In ihren Stengeln werden Erregung geleitet wie in einem Nervensystem und über Duftstoffe können Pflanzen mit anderen Pflanzen kommunizieren und gezielt nützliche Insekten anlocken. Schon Charles Darwin hatte die These aufgestellt, dass Pflanzen in der Lage sein müssten, das für die Photosynthese wichtige Licht auch wahrzunehmen,“ ‒ von der Photosynthese war ja schon kurz die Rede. „Wie sonst ließe sich das bekannte Phänomen erklären, dass Zimmerpflanzen, die am Fenster stehen, zielstrebig zum Licht hin wachsen? Der Rezeptor, der auch in anderen Pflanzen vorkommt, kann Licht im blauen Bereich“ … da habe ich vorher noch etwas ausgelassen. „1996 gelang es einem Forscherteam um Achim Hager von der Universität Tübingen endlich in der Spitze von Maiskeimlingen einen Rezeptor zu lokalisieren, der dem Seh-Protein Rhodopsin in den Stäbchen der menschlichen Netzhaut ähnelt. Der Rezeptor, der auch in anderen Pflanzen vorkommt, kann Licht im blauen Bereich des Spektrums absorbieren, sehen. Die Kaskade biochemischer Reaktionen, die daraufhin in den Zellen abläuft, bewirkt, dass der Stengel der Pflanze nur noch auf der dem Licht abgewandten Seite weiter wächst. Er krümmt sich, die Blätter wenden sich im optimalen Winkel den Sonnenstrahlen entgegen. Setzt man ein Hütchen auf die Spitze des Keimlings, kann er sich nicht mehr zur Sonne hin ausrichten.“ Das ist der entscheidende Punkt, er ist quasi blind geworden. „Also setzt man ein Hütchen auf die Spitze des Keimlings, kann er sich nicht mehr zur Sonne hin ausrichten. Pflanzen können auch die Konkurrenz benachbarter Gewächse, die versuchen, ihnen das Licht zu nehmen, mithilfe spezieller Rezeptoren erkennen. Die Empfänger registrieren in den Blättern das Verhältnis von hellroten zu dunkelroten Frequenzen im Lichtspektrum. Ist das Verhältnis verändert, schlagen sie Alarm. Eine Nachbarpflanze hat für den die Photosynthese wichtigen hellroten Anteil des Lichtes abgezapft. Stängel oder Stamm müssen dazu gebracht werden, schneller zu wachsen, damit es der Pflanze gelingt, wieder aus dem Schatten der anderen herauszukommen. Dieses Jahr haben Forscher der University of California in Los Angeles herausgefunden, dass Pflanzen auch die Länge der Tage mithilfe spezieller Lichtrezeptoren bestimmen können.“ [Pflanzen haben] offenbar eine ganz feine, sehr präzise Wahrnehmung für Feinheiten des Lichtes und in gewisser Weise auch der gravitativen Verhältnisse „und damit den rechten Zeitpunkt ihrer Blüte. Desgleichen verfügt Grünzeug auch über ein raffiniertes Sonnenschutzsystem, die gefährliche UVB-Strahlung regt die Produktion von farblosen Sonnenschutzsubstanzen an. Im Zimmer allerdings produzieren Pflanzen diese Schutzstoffe nicht. Es ist ein typischer Fehler, sagt Achim Hager von der Universität Tübingen, Zimmerpflanzen im Frühling gleich für längere Zeit nach draußen zu stellen. Dort können sie sich einen Sonnenbrand holen und eingehen. Eine erfolgreiche Pflanze muss jedoch nicht nur sehen können ‒ das wäre der eine Gesichtssinn. Um im Boden Nährsalze wie Nitrate und Phosphate aufzuspüren, müssen ihre Wurzeln über einen ausgeprägten Geschmackssinn verfügen ‒ da geht es ums Schmecken. Auch bei der Abwehr von Schädlingen spielt der Geschmack eine entscheidende Rolle. Der Ökologe Jan Baldwin, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena, wo ein interdisziplinäres Team aus Chemikern, Biochemiker, Ökologen und Genetikern die Interaktion zwischen Pflanzen und Insekten erforscht, konnte das an Tabakpflanzen beobachten, an denen die Raupen des Tabaksschwärmer nagten. Sobald die verletzten Blätter bestimmte Inhalts­stoffe des Raupenspeichels schmecken, bilden sie innerhalb weniger Minuten den Botenstoff Jasmonsäure, der etwa zwei Stunden später in die Wurzel gelangt, um dort die Produktion des Nervengifts Nikotin ankurbelt. Das Nikotin strömt in die Blätter, wo es den gefräßigen Raupen den Garaus macht. Pro Gramm kann die Tabakpflanze dann mehr Gift enthalten als der Rauch von hundert Zigaretten.“

Dann wird gesagt, dass die Tabakpflanze ganz ähnlich wie das Immunsystem der Tiere, über eine Art von Gedächtnis verfügt ‒ auch ein wichtiger Aspekt, da ist von Gedächtnis die Rede. Ein ungeheuer weitreichende Behauptung, dass hier wirklich Gedächtnis vorliegt, … dass es ihr ermöglicht, bei wiederholten Angriffen, das Abwehrgift schneller zu produzieren. Auch Pflanzen sind in der Lage, Düfte wahrzunehmen, zu riechen und Duft zu verströmen ist wahrscheinlich ihre wichtigste Kommunikationsform. Vor allem wird sie genutzt, um sich gegenseitig vor Gefahren zu warnen.“ Und dann heißt es am Ende dieses Artikels, ich will es nicht ganz vorlesen, nur weil wahrscheinlich die meisten von Ihnen den Artikel nicht kennen oder nicht gelesen haben: „Fleischfressende Pflanzen sind ein Musterbeispiel für eine weitere Sinneswahrnehmung der Pflanzen, sie reagieren auf Berührung. Die Venusfliegenfalle beispielsweise klappt blitzschnell zu, sobald sich ein Insekt auf ihren Blättern niedergelassen hat. Die Reize werden dabei nicht wie sonst üblich durch Hormone, sondern elektrisch weitergeleitet. Auch die empfindlichen Mimosen, deren Fiederblätter bei Berührung in sich zusammenfallen, funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip. Auch Temperatur, erstaunlich, auch Temperatur und Richtung der Schwerkraft können Pflanzen erfühlen.“ Denken Sie an das, was ich gesagt habe, über die antigravitative Wirkung des Lichtes, zu diesen Punkten will ich auch im Wintersemester noch mehr sagen, „und vielleicht reagieren manche von ihnen sogar auf akustische Reize.“ Auch das ist ja immer wieder behauptet worden, die berühmten Experimente mit Musik, die sind ja um die Welt gegangen, dass man bestimmten Pflanzen Musik vorgespielt hat, dass sie also indische klassische Musik am liebsten mochten und in zweiter Instanz dann Bach und die sogenannte klassische Musik und dass sie bei Rockmusik sich vom Lautsprecher weit entfernt haben. Alle diese Dinge sind ja bekannt und haben ja eine gewisse Berühmtheit erlangt. Oft wurde darüber gelächelt und gespottet, aber man könnte das auch mal in einem tieferen Sinne naturphilosophisch reflektieren.

„Auch Temperatur und Richtung der Schwerkraft können Pflanzen erfühlen und vielleicht reagieren manche von ihnen sogar auf akustische Reize. Erbsenpflanzen, die die US-Wissenschaftler mit einem Geräusch beschallten, das in Frequenz und Lautstärke der menschlichen menschlichen Stimme ähnelt, wuchsen darauf angeblich doppelt so schnell. Alte Samenkörner, die normalerweise nur noch zu 20 Prozent [wuchsen], keimten plötzlich zu 80 bis 90 Prozent.“ Und dann die entscheidende Schlusswendung, und das führt uns jetzt auf das Thema von Pflanzenbewusstsein überhaupt. „Dennoch werden Pflanzen wohl nie eines der Brandenburgischen Konzerte genießen können.“ Gut, „man muss das eher nüchtern sehen, sagt Boland. Pflanzen können Sinnesreize zwar aufnehmen und weiterleiten, doch für eine bewusste Wahrnehmung fehlt ihnen ein entscheidendes Organ, das Gehirn.“

Nun werfen diese Phänomene ja eine ganze Reihe von Fragen auf. Wenn man wirklich die Analogie so weit treibt, zu sagen, dass die Pflanze wahrhaftig Sinnesorgane entwickelt, die den menschlichen Sinnesorganen entsprechen, oder dass es zumindest bestimmte analoge Formen gibt, dann würde das ja bis zu einem gewissen Grade voraussetzen, dass diese Pflanzenwesenheiten eigene Entitäten sind, mit einer Art von hinter diesen Sinnesorganen stehendem Bewusstsein. Sonst kann man ja Sinnesorgane nicht gleichsam freischwebend als Sinnesempfindungen vorstellen. Man muss davon ausgehen, dass dahinter in irgendeiner Form ein Wesen steht, ein Wesen atmet, ein Wesen lebt.

Nun wird man kaum annehmen können, dass das ein ichhaftes Wesen ist, wir haben ja schon im Zusammenhang mit den Tieren darüber gesprochen, aber man kann doch vermuten, dass hier eine gewisse Schicht von Bewusstsein anwesend ist. Was ist Bewusst­sein? Das kann man nicht definieren. Alle Versuche, Bewusstsein zu definieren, sind mehr oder weniger kläglich gescheitert. Oft wird Bewusstsein aus guten Gründen nicht wirklich definiert. Wir können es deswegen nicht wirklich definieren, weil wir als menschliche Wesen nicht heraustreten können aus diesem Bewusstseinsfluidum. Wir sind unlösbar als Geistwesen, die wir ja sind, zu einem erheblichen Teil eingebunden in dieser Aura, in das Fluidum des Geistes. Und es ist praktisch nicht möglich, einen Standpunkt zu gewinnen, von dem aus wir in irgendeiner Form entscheiden könnten, was Bewusstsein ist. Nur in dem wir selbst das Bewusstsein vorantreiben und ausdifferenzieren, sublimieren, ver­feinern und auf höhere Stufen bringt, haben wir dann eine Möglichkeit, andere, frühere, zurückgelegte Stufen bis zu einem gewissen Grade zu überschauen, in Anführungszeichen. Aber das Bewusstsein ist kein Gegenstand, kein Ding, kein Es, das man von außen betrachten könnte. Dass man sagen könnte, das so oder so aussieht, das geht nicht. Das ist also ein ganz entscheidender Punkt. Wir sind Bewusstseinswesen und können nicht aus dem Bewusstsein heraustreten. Das macht die Sache sehr schwierig. Wir können Bewusst­sein nicht definieren.

Wir haben diese Wahrnehmungen, diese Wahrnehmungen sind eindrucksvoll, wir können aus diesen Wahrnehmungen ganz bestimmte Schlussfolgerungen ziehen. Und wir können fragen, und das ist ja eine Frage, die ich schon einleitend gestellt habe: Was kann der Mensch wirklich wahrnehmen von den Pflanzen? Ich benutze noch mal die Metapher der möglicherweise existierenden ontologischen Barriere. Wir wissen aus schamanischen Zusammenhängen, unter anderem unter Heranziehung psychoaktiver Substanzen, dass es einzelnen Individuen, ja auch Gruppen gelungen ist, dafür gibt es gute Belege, tatsächlich in so was wie ein Pflanzenbewusstsein einzudringen, was häufig genug auch verbunden wurde mit kosmischen Wahrnehmungen, mit sogenannten Devas, wie das im Sanskrit heißt, mit leuchtenden Geistern. Es wurden ganz bestimmte Pflanzen auch verbunden mit Gestirnen. Aber das alles passiert hier auf einer Wahrnehmungs- und Bewusstseinsstufe, die ja vor der mentalen Stufe liegt. Und die Grundfrage und die Grundschwierigkeit bei dem Thema überhaupt ist, wenn man von der denkenden Anschauung Goethes absieht: Sind wir als Ich-Wesen, als Ich-Wesen und Mental-Wesen in der Lage, unser Bewusstsein so weit zu verändern und so weit einzuschwingen, dass wir tatsächlich dieses Pflanzenwesen dann wahrnehmen? Das ist ein wichtiger Punkt. Zum Beispiel von Jakob Böhme, dem bedeutenden Mystiker im frühen 17. Jahrhundert wird berichtet, und ich habe jedenfalls keine Veranlassung, das fundamental zu bezweifeln, dass er in der Lage gewesen ist, sein Bewusstsein in bestimmte Pflanzen hineinzuversetzen, dass er also in der Lage war, in gewisser Weise sein Bewusstseinsniveau, seine Ichhaftigkeit abzusenken auf einen vormentalen Zustand, aber gleichzeitig ein ichhaftes Wahrnehmen beibehielt. Das ist ja der Punkt. Denn wenn wir nur in einer tranceähnlichen Form reintauchen in Gruppen­seelenbereiche, wie das die Theosophen nennen mit einigem Recht oder in Kollektiv­seelenbereiche, dann ist immer die Frage: Was können wir von diesen Wahrnehmungen mit rüber nehmen in die Ichhaftigkeit? Oder ist das gar nicht mehr in Sprache zu kleiden? Das ist ja auch ein Punkt. Wir sind da ja nicht nur bei der Frage des Ichs und des Bewusstseins, wir sind auch bei der Sprache. Kann man das in Sprache kleiden?

Es gibt ja auch da eine grundsätzliche Barriere dessen, was man ausdrücken kann. Das weiß jeder aus seinen eigenen Erfahrungen in Grenzzuständen, dass es immer wieder Wahrnehmungsfacetten gibt, die sich vollständig der Sprache entziehen, so dass man ganz große Mühe hat, überhaupt in einer halbwegs kohärenten Grammatik zu sagen, was ist wirklich passiert? Und zwar nicht deswegen nur weil diese Erfahrungen so verschwommen sind, so nebelhaft, so ungenau, dass die Sprache deswegen nicht hinkommt, sondern häufig genug, weil sie das Gegenteil sind, weil sie sehr präzise, weil sie sehr direkt, weil sie wirklich sehr genau sind, aber eine Art von Genauigkeit zeigen, die Sprache, unsere Sprache jedenfalls, wie sie sich entwickelt hat, übersteigt. Aus diesem Grunde hat man ja immer wieder in dem Zusammenhang dann eine verschlüsselte Sprache gewählt, eine Sprache, die sich in Symbolen und Bildern ausdrückt. Deswegen kann man dann auch eine dichterische Sprache favorisieren und hat häufig genug das Gefühl, dass diese dichterische Sprache, auch wenn sie verbunden ist, mit einer präzisen Wahrnehmung dessen, was die Sinnesorgane erfassen, da weiter reicht.

Und da ist Goethe ja ein wunderbares Beispiel. Denken Sie etwa an das, was ich zitiert habe letztes Mal über den Faust, der einen Sonnenaufgang erlebt und dann einen Regenbogen über einem Wasserfall sieht. Wenn man dem Text genau nachspürt, dann staunt man, in welcher enormen Präzision hier Goethe diese Art von Wahrnehmung dargestellt hat und Gleichzeitigkeit auf eine tief beeindruckende Weise auch literarisch- poetisch überhöht.

Ich erlaube mir mal Ihnen ein Beispiel zu bringen, das ich für sehr interessant halte, nämlich „Die Metamorphose der Pflanzen“ von Goethe. Ich habe das jetzt in den letzten Tagen ein paar Mal mir durchgelesen den Text, ich sagte das ja schon, vielleicht zum ersten Mal so halbwegs verstanden. Ich will mal einige kurze Passagen vorlesen, weil das eine Form der Pflanzenwahrnehmung ist, die einen Schritt führen mag in die Richtung, um die es geht. Es geht Goethe nicht, das ist wichtig, dass da kein Missverständnis auftaucht, es geht Goethe nicht um eine schamanische Tiefenwahrnehmung in Form einer Absenkung des Bewusstseinsniveaus oder der Ichhaftigkeit. Darum geht es Goethe nicht. Es geht Goethe immer um die Gestalt. Und er hatte ja die Grundüberzeugung, die ja auch eine gewisse Plausibilität hat, auch wenn man sie letztgültig nicht beweisen kann, dass die Dinge sich in der Gestalt zeigen, auch im Sinne der Signaturenlehre von Paracelsus, dass die Gestalt auch etwas aussagt über das Wesen. Also wie eine Pflanze aussieht, sagt etwas aus über das, was sie ist. Während ja in den schamanischen Vorstellungen der Devas häufig gesagt wird, dass die Erscheinung, die Gestalt der Pflanze, nur ein kleiner Ausschnitt ist, dass die Devas, die Pflanzengeister wesentlich weiter führen, auch eine kosmische Verbindung haben, die in der Gestalt selber nicht zutage tritt. Das ist ein Unterschied. Einmal geht also das Wesen quasi in der Gestalt auf und einmal ist ein wirklicher Hiatus von Wesen, Wesenheit, Deva-Wesenheit, kosmischer Wesenheit und Pflanzen­gestalt. Goethe hat das ja immer wieder zum Ausdruck gebracht, unter anderem in folgenden Versen, das ist nicht aus der „Metamorphose der Pflanzen“, aber aus einem anderen Gedicht:

“Müsset im Naturbetrachten immer eins wie alles achten.

Nichts ist drinnen, nichts ist draußen.

Denn was innen das ist außen,

so ergreifend, ohne Säumnis

heilig öffentlich Geheimnis.“

Also der Goethe-Begriff des geheimnisvoll Offenbaren spielt da hinein. Die Dinge sind immer verborgen, verschlüsselt, verschleiert und gleichzeitig offenbar. Nicht, das hab ich ja schon in der ersten Vorlesung angedeutet, dass das eines der großen Mysterien überhaupt der Natur ist. Die Natur liebt es, sich zu verbergen, sagt Heraklit, die sich immer entbirgt in der Gestalthaftigkeit und Ganzheit zeigt und gleichzeitig auf eine rätselhafte Weise sich immer verbirgt, verschleiert. Das kann Jedem [so] gehen, der Naturwahrnehmung hat. Emerson hat das sehr schön und oft gesagt, dass man begreift, dass die Natur sich nie erfüllt. Das, was Erfüllung scheint in der schönen Form, in der ästhetisch gelungenen Ganzheit, ist immer ein Versprechen, eine Andeutung auf etwas dahinter oder darüber Stehendes. Wenn das nicht so wäre, würde man, auch das hat Emerson sehr schön gesagt, in eine Form von Naturvergötzung fallen. Dann würde man die Naturgötzen anbeten und dann ganz in der Gestalt versinken. Jetzt mal kurz zu der „Metamorphose der Pflanzen“, einige Aussagen dazu, die das sehr schön zeigen. „Die Metamorphose der Pflanzen“. Ich lese nicht das ganze Gedicht vor, das wird zu lange, aber ein paar Passagen:

„Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung

Dieses Blumengewühls über dem Garten umher;

Viele Namen hörest du an, und immer verdränget

Mit barbarischem Klang einer den anderen im Ohr.

Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der anderen.

Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,

Auf ein heiliges Rätsel.“

Zentraler Begriff bei Goethe, das alles durchwirkende Gesetz, nach ewigen ehernen großen Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden, auf ein geheimes Gesetz, auf ein heiliges Rätsel.

„O, könnte ich dir, liebliche Freundin,

Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! ‒-

Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze,

Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.

Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald in der Erde

Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entlässt

Und dem Reiz des Lichts, des heiligen, ewig bewegten,

Gleich den zartesten Bau keimender Blätter empfiehlt.

Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild

Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,

Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos;

Trocken erhält so der Kern ruhigen Leben bewahrt,

Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend.“

Und dann heißt es in einer sehr eindrucksvollen, präzisen Beschreibung des Pflanzen­wachstums, Sie werden das wissen vielleicht, haben davon jedenfalls gehört, dass Goethe ja der Auffassung war, dass sich die ganze Pflanze aus dem Blatt entwickelt. Er war ja der Auffassung sozusagen, die Blattform ist die Urform überhaupt, die Pflanzegestalt ent­wickelt sich aus dem Blatt. Und er hat ja die These schon auf seiner italienischen Reise entwickelt, dass es eine Art Ur-Pflanze gäbe, als ein gestaltetes Ur-Phänomen als Pflanze, die berühmte Auseinandersetzung mit Schiller darüber, ob das eine Idee sei oder tatsächlich eine sinnlich wahrnehmbare Gestalt.

„Wende nun, Geliebte, den Blick zum bunten Gewimmel,

Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.“

Jetzt nicht mehr verwirrend, weil jede Pflanze verkündet dir nun die ewigen Gesetze.

„Jede Blume. Sie spricht lauter und lauter mit dir.

Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern“

Wobei das eigenartig unklar ist an der Stelle, was hier die Göttin meint. Aus dem grammatischen Zusammenhang ist es nicht klar ersichtlich. Goethe hat übrigens mehrfach die Metapher auch vom Buch der Natur verwendet. Hier spricht er von den heiligen Lettern. Also er schreibt der Natur eine gewisse Sakralität zu: der Göttin heilige Lettern. Was ist hier die Göttin, ist nicht deutlich. Die Pflanze kann es eigentlich nicht sein. Und es ist eine Göttin in gewisser Weise, aber es bleibt undeutlich.

„Überall siehst du sie dann, auch im veränderten Zug.

Kriechend zaudere die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,

Bildsam ändere der Mensch selbst die bestimmte Gestalt.“

Und so weiter. ‒ Also ein wunderbarer Text, den man wirklich Vers für Vers lesen und auch interpretieren muss, um zu verstehen, dass das eine ganz bestimmte Form der Heran­gehensweise an das Mysterium der Pflanzen ist. Goethe war der Auffassung, dass man über die Wahrnehmung, über die gestalthafte ganzheitliche Wahrnehmung der Pflanze heran­kommt an Grundfragen der Gestalt überhaupt, mehr noch als beim Tier. Er glaubte also, dass in der Pflanzengestalt ein tiefes Geheimnis sich verbirgt, auch etwa im Zusammenspiel von Licht und Erde, von Kosmos und Erde und von oben und unten. Es ist ja ein bekanntes Phänomen, aber wenig in der Tiefe bedacht, wie man vermuten kann, dass Pflanzen ja, und Goethe hat das immer wieder herausgestellt, ein doppeltes Wachstum haben, sie wachsen nach unten und nach oben gleichzeitig, das heißt, dem Stamm im Falle eines Baumes nach oben, entspricht immer das Wurzelwerk in die Tiefe hinein. Und auch das ist ja ein tiefes Symbol, wenn man das übertragen möchte auf gestalthaft-bewusste Existenzen, etwa die des Menschen, dann kann man daraus schließen, dass ein Höhenwachstum, ein Wachstum zum Licht, zum Kosmos oder vielleicht sogar zum Metakosmos hinauf nur möglich und nur sinnvoll ist und nur lebbar ist, mit der Verwurzelung, mit einer Tiefenverwurzelung. Und das kann einen zu wirklich tiefgründigen Betrachtungen anregen, wenn man sich mal dieser Wahrnehmung überhaupt öffnet, wenn man etwa diese merkwürdige Stelle bei Bäumen betrachtet. Das kann ich richtig mal als Anregung Ihnen geben, wenn Sie das mal versuchen auf einem Spaziergang, wenn Sie diese Stelle der Bäume sich anschauen, genau die Stelle, an der die Wurzeln in den Boden hineingehen und dann in den Stamm übergehen, also diese Zwischenzone, nicht, also noch nicht Stamm und noch nicht ganz Wurzeln, sondern diese Zwischenzone. Dann merkt man, oder kann spüren, die ungeheure Kraft, mit der sich solche Bäume in den Boden hinein verzweigen. Man hat quasi das Gefühl, wenn man dem meditativ nachspürt, dass die Wurzeln quasi die ganze Erde umspannen, also ein ein richtiges in-die-Breite- und in-die-Tiefe-Gehen.

Und das ist also eine Beobachtung, die Goethe gemacht hat und an der er angeknüpft hat. Und er hat immer wieder versucht, von dort her Grunderfahrung des Menschseins überhaupt abzuleiten, auch in der Blüte zum Beispiel, nicht, wie sich die Blüte dem Licht öffnet, als ein Symbol auch der geisthaften Gestalt. Auch darüber kann man viel nachdenken und kann auch Betrachtungen anstellen, die durchaus sinnreich sind. Das sind also keine müßigen Dinge. Man kann wirklich in einer gewissen Weise, da in einer medita­tiven Form ein bisschen, sagen wir mal, hineinkommen in diese Art von Gestalthaftigkeit und auch in den Wachstumsprozess. Nicht, das ist ja wie erstarrt. Sie können das ja manchmal, auch das kann man ja meditativ verfolgen, an Rindenstrukturen etwa, aber auch an Wurzeln, dass das wie erstarrt ist, wie eine mächtige Bewegung, die im Moment zum Stillstand gekommen ist, was ja kein Zufall ist. Das hat ja die sogenannte Chaostheorie nun wirklich dargestellt, bei aller Kritik an ihr, das muss man ihr ja zugutehalten, die Ähnlichkeit dieser Formen in der Natur, dass zum Beispiel ein Blitz eine ganz ähnliche Grundstruktur aufweist, wie etwa ein Flussdelta oder ein sich Ypsilon-ähnlich aufwärts verzweigender Baum, dass es so verblüffend ist, dass wenn Sie Schattenrisse sehen oder Umrisse, dies nicht unterscheiden können. Ist es eine Flussmündung, ein Flussdelta, es ist eine Blitzstruktur oder es ist die Wachstumstruktur eines Baumes, so ähnlich ist das. Da haben Sie also eine rasend schnelle Bewegung im Falle des Blitzes und im Falle der Pflanze eine ganz langsame Folge [und beim] Baum eine über ganz große Zeiträume sich erstreckendes Wachstum.

Ich mache mal eine kleine Pause, vielleicht wie immer zehn Minuten und dann gehen wir an der Stelle weiter. Sie können gerne in der Pause …

Ich will auch mal ganz kurz an etwas anknüpfen. Der Heiko Lassek, der eben in der Pause bei mir war, wies noch mal auf diesen „Spiegel“-Artikel hin und erwähnte mit Recht, dass der Artikel von der Begrifflichkeit her völlig konfus sei. Natürlich ist er das, denn was macht der Artikel? Der vermischt natürlich zwei Ebenen. Der Artikel aus dem „Spiegel“ bedient sich einerseits einer anthropomorphen Sprache, indem er von Sinneswahr­nehmungen spricht, bedient er sich einer bestimmten Metaphorik und überspringt dabei eigentlich die entscheidende Frage: Was steht für ein wahrnehmendes Wesen oder Bewusstsein dahinter, also jetzt mal, was das materielle Korrelat betrifft, also ein Zentralnervensystem. Die Frage bleibt natürlich vollkommen offen, und der Artikel lässt im Grunde auch offen, ob das nicht überhaupt eine grundsätzlich nur metaphorische Sprache bleiben muss. Dann wäre es vollkommen unsinnig, überhaupt zu reden von Sinnes­wahrnehmungen wie wir sie aus einem tierischen oder menschlichen Bewusstsein kennen. Das ist klar.

Das führt noch mal auf die Frage der Sprache überhaupt. Solche Berichte von Phänomenen oder Messungen bedienen sich ja sehr häufig einer anthropomorphen Sprache. Das ist ja bis zu einem gewissen Grade auch gar nicht vermeidbar. Und da muss man natürlich sehr genau hingucken, um zu sehen, was ist gemeint. Und das ist eine Frage, darüber bin ich mir vollkommen bewusst, dass das natürlich die entscheidende Frage ist, ob es legitim ist, überhaupt solche Begriffe wie „Sinnesreize“ zu benutzen, denn diese selber können wir ja in keiner Weise verifizieren. Aber das habe ich vorhin versucht, vielleicht unzulänglich, anzudeuten mit der Frage nach dem Bewusstseinswesen dahinter. Ich hatte ja gesagt, dass die Phänomene ja nicht gleichsam freischwebend sind, sondern dass dahinter eine Art von Bewusstsein steht, ein bestimmtes Wesen schmeckt, ein bestimmtes Wesen riecht, ein bestimmtes Wesen fühlt. Wer oder was ist dieses Wesen? Ich habe hier an der Grundfrage der Vorlesung „Was wissen die Pflanzen?“ ganz bewusst diese anthropomorphe Ebene auch anklingen lassen. Wie kann man denn von Wissen sprechen? Auch die Frage des Gedächtnisses, und das ist natürlich die Grundfrage: Wie weit kann man überhaupt von Wissen oder Gedächtnis oder Bewusstsein reden ohne ein zentrales Nervensystem? Das ist letztlich nicht entscheidbar. Da kann man wahrscheinlich nur auf bestimmte Tiefenwahrnehmungen unter anderen veränderten Bewusstseinszuständen rekurrieren, um ein Ahnen davon zu bekommen, welche Art von Bewusstsein hier angesprochen ist. Wahrscheinlich geht es nur so von außen, von den reinen Phänomenen, die wir beobachten, die gemessen werden, nicht.

Das ist ja das Grundproblem überhaupt, wenn wir lebendige Wesen betrachten, generell. Wir haben zunächst einmal ja nur im Sinne der Subjekt-Objekt-Trennung, das Phänomen außen. Wir haben es ja nicht innen. Das ist ja die Krux und in gewisser Weise auch die Tragik jedweder Wahrnehmung erst einmal, dass alles, was außerhalb der eigenen Ichhaftigkeit, des eigenen Bewusstseins sich befindet, zunächst einmal für das wahr­nehmende Objekt draußen ist. Im Wir erweitert sich das Ich, aber das Wir noch weiter gefasst, konfrontiert sich einer Welt, die immer das etwas da draußen ist, das wir ja in der tiefsten Ichhaftigkeit gar nicht erkennen können. Und da war ja, wenn ich das noch mal kurz sagen darf, ein wirklich genialer Ansatz in der Richtung von Schopenhauer im frühen 19. Jahrhundert zu sagen: Das ist so, das ist eine unauflösbare Schwierigkeit mit einer Ausnahme ‒ wir haben die Möglichkeit, Natur von innen zu verstehen, durch uns selber, durch unsere eigene Leiblichkeit und können von der eigenen Leiblichkeit auch Analogie­bildung machen. Wir haben uns von innen. Ich habe meine Hand von außen wie ein Objekt, aber ich habe sie gleichzeitig von innen. Andere Menschen habe ich zunächst einmal nur von außen, nur in einer ganz bestimmten, tiefen Wahrnehmung der Anderen kann diese Grenze der Ichhaftigkeit überschritten werden. Das gibt ja auch verschiedene Wahr­nehmungsvermögen, wo das auch der Fall ist, dass man das ganze Bewusstsein einer Gruppe annehmen kann oder auch von anderen Wesenheiten überhaupt, auch oberhalb des Menschen. Aber im Normalfall ist man da sehr eingeschränkt. Das ist eine, eine Krux, aus der man nie rauskommt. Man müsste ja ein sozusagen einen geheimen Zugang haben in das Innere des Phänomens, in das Innere eines Lebewesens. Da kann man nur, wie das Wilber immer wieder betont, interpretieren, was da aus der Tiefe an Signalen kommt. Ich kann es nicht in der Tiefe wissen, dann müsste ich dieses Wesen selber sein. Deswegen ja auch die unsäglichen Missverständnisse, Verständnisse schon zwischen zwei Menschen, weil der eine eben tatsächlich die Innenwahrnehmung des anderen nicht in Gänze haben kann. Er interpretiert das, was er wahrnimmt, bestimmte Gestik, bestimmte Mimik, und dann deutet er, was in dem betreffenden Menschen vorgehen mag. Und so müssen wir dann auch natürlich bewusst sein dort. Wir wissen nicht, was ein Hund, eine Katze, ein Kamel oder ein Krokodil in der Tiefe für ein Bewusstsein hat, das können wir nicht wissen. Und da möge es, mag es auch eine Art von ontologischer Barriere geben, aber es gibt gewisse Möglichkeiten, da reinzukommen, und ein Ansatz ist der, den Schopenhauer da vorträgt.

Und hier in der Pause gab es noch eine andere Bemerkung von jemanden, der hat mich darauf hingewiesen, dass Goethe irgendwo gesagt hat, ich weiß jetzt nicht die Stelle, aber es könnte irgendwo stehen, in der „Farbenlehre“ zum Beispiel, dass wenn man ein Samenkorn imaginativ betrachtet und sich quasi vorstellt, wie aus dem Samenkorn die Pflanze sich entwickelt, dann käme man in die Innenwahrnehmung dieses Wachstumsprozesses hinein. Das haben ja dann die Anthroposophen aufgegriffen. Es gibt ja an der Waldorfschule eine ganze Reihe von meditativen Übungen, die mit Kindern da gemacht werden, Kindern und Jugendlichen, genau in dieser Form. Also sich imaginativ hineinzuversetzen in so ein Wachstum und das dann auch zu zeichnen und zu malen, so dass man quasi die feinstoff­liche Aura dann auch in und über die Farbe wahrnimmt. Ob das der richtige Weg ist oder nicht, kann man dahingestellt sein lassen.

Heute Morgen, beim Durchblättern eines Buches, das ich sehr schätze, Herbert Fritsche „Der Erstgeborene“, ich habe das mehrfach gesagt, [bin ich] noch mal auf eine Stelle gestoßen, wo er sich zur Frage der Photosynthese äußert, auch im Zusammenhang mit einem Thema, was ihn sehr beschäftigt, der Frage, nämlich der Ernährung, also der Einverleibung von organischer Substanz, die ja zermahlen, zerkleinert, zerrieben wird und dann in irgendeiner Form quasi zum Leib Desjenigen wird, der sie aufnimmt.

Eine kleine Stelle mal hier, die ich sehr aufschlussreich finde in dem Kontext über die Photosynthese. Auch Fritsche betont, dass die Photosynthese ein Mysterium ist, das schreibt [er] in 40er-Jahren, das ist auch heute, in den späten 90er-Jahren noch genauso. „Die Sonnenenergie erschafft im grünen Pflanzenleib, eine energetische Organisation von Ganzheit, von Vollwertcharakter, und je weniger dieses Organisationsgefüge angetastet wird, desto besser taugt es zur Nahrung des Menschen.“ ‒ Bestimmte nahrungsphysio­logische Grundannahme ‒ „Das ist keine Theorie, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Forschung in der Praxis der Gesund- und der Heilkost. Der Mensch des Alltagslebens braucht aus solchen Tatsachen, die nur dann eindrucksvoll vor ihn hintreten, wenn ihm Gelegenheit gegeben ist, tausende von Krankengeschichten zu überblicken, nichts weiter zu entnehmen als die Wichtigkeit einer rohen pflanzlichen Zukost täglich.“ Jetzt kommt die Stelle, auf die ich eigentlich hinaus will. „Der Mensch ernährt sich, wenn er sich mit Pflanzenkost speist, von Sonne, die in die Pflanze energetisch und organisierend einge­gangen ist. Der Mensch ist gleichsam“, jetzt eine merkwürdige Metapher, „Sonnenesser, selbst der Mensch, der die am wenigsten bekömmliche Nahrung in sich aufnehmen muss. Nicht die chemischen Stoffe ernähren den Menschen, sondern eine aus ihnen gefügte energetische Symphonie. Das bedeutet nichts anderes, als Leben lebt von Leben, letztlich lebt Leben von der Sonne. Es ist noch nicht ausgemacht, ob es nicht auch in dieser Hinsicht von Leben lebt, denn was die Sonne ist, wissen wir noch nicht.

Die Antwort, die der Physiker auf die Frage nach der Sonne gibt, wiegt vielleicht nicht schwerer als eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Lebens, und von diesem weiß er nichts. Die Pflanzen sind die unmittelbaren Akkumulatoren und Organisatoren der Sonnenenergie.“ Warum sie das sein können, wissen wir nicht. Wir können nur schluss­folgern mit einigem Recht, dass im sogenannten Sonnenlicht tatsächlich organisierende oder informierende Potenzen enthalten sind, in irgendeiner Form, die tatsächlich diese Effekte auslösen. „Also die Pflanzen, die die unmittelbaren Akkumulatoren und Organisatoren der Sonnenenergie. Sie opfern diese Sonnenenergie, sie opfern ihren Leib dem Tier und dem Menschen. Nimmt der Mensch seine Nahrung aus dem Tierreich, so isst er ebenfalls Sonnenenergie, aber mittelbar.“ Und letzte Bemerkung. „Die Pflanze als Nahrung stellt den Menschen, besonders wenn er sie in unverarbeitetem Zustand“, also als Rohkost, einverleibt ‒ er outet sich hier, wenn man so flapsig sagt, als Rohköstler ‒ „vor eine Verdauungsaufgabe, er muss sie wandeln in leibeseigene Substanz. Wie ein solcher Wandlungsprozess vor sich geht, hat die Physiologie noch nicht klären können. Wohl kennt man die Chemie der Verdauungsvorgänge so weit, dass man die Abbau- und Spannungs­erscheinungen der aufgenommenen Nahrung beschreiben kann, was nach der Auf­schließung, nach der chemischen Zertrümmerung eines Nahrungsintegrals aber vor sich geht, wirklich vor sich geht, um die Art eigentümliche Leibessubstanz des Menschen aufzubauen, weiß man nicht. Die Umwandlung der Pflanze in menschliche Leibessubstanz, die die letzte Etappe der Ernährung ist, bleibt alsweilen ein Geheimnis“ und so weiter.

Also, Fritsche ist diesem Gedanken auch sehr intensiv nachgegangen und ich kann ihn immer wieder nur, das habe ich auch schon getan, dieses Buch empfehlen als ein wirklich hervorragendes Beispiel von einem naturphilosophisch-biologischen Ganzheits­denken, das in vielerlei Hinsicht sich als Alternative anbietet, auch zur Anthroposophie. Also Fritsche kommt auch wie Steiner von der Theosophie her, ist aber ein Steiner-Gegner gewesen. Also er hat ganz andere Schwingungen und Beeinflussungen in seinem Werk, die aber auch interessant sind und tatsächlich weiterführen. Also Herbert Fritsche „Der Erstgeborene“, ist immer noch erhältlich, ist immer mal wieder aufgelegt worden.

Ich will auf ein Büchlein kurz eingehen, das ich auch relativ kürzlich erst erworben habe, was auch mit dem Thema eng zusammenhängt. Wenn Sie auf dem Savignyplatz sind, dem S-Bahnhof, dann müsste Ihnen auffallen, dass es auf einer Wand eine ganze Reihe von Reliefs gibt. Da ist unter anderem ein Satz von Ernst Jünger, der Satz lautet: „Bruder Mensch hat uns schon oft verlassen, Bruder Baum nie.“ Das findet man auf so einer Tafel, Ernst Jünger. Nun ist Ernst Jünger ein vielfältig umstrittener Autor. Trotz alledem, vielleicht gerade deswegen, einer der sublimsten und genauesten Beobachter der Pflanzen im 20. Jahrhundert. Ganz wenige nur, ich kenne eigentlich überhaupt keinen anderen außer Jünger, gab es, die so genau, so subtil und differenziert Pflanzen beobachtet und auch beschrieben haben, wie das bei Ernst Jünger der Fall ist, der ja von Hause aus Zoologe war, wie man vielleicht weiß, und gleichzeitig einer der besten Käfer-Forscher. Jünger hatte ja, seine Frau verwaltet das heute, eine Sammlung von, glaube ich, 50.000 Käfern und einige Käfer hat er überhaupt entdeckt und die sind auch nach ihm benannt worden, und ich wusste [das] nie, ich fand den Satz immer wenn ich am Savignyplatz ausstieg, eindrucksvoll und nachdenkenswert: „Bruder Mensch hat uns schon oft verlassen, Bruder Baum nie. Ich wusste nie woher das stammt, jetzt habe ich es gefunden. Mir ist ein alter Text in die Hände gefallen von Ernst Jünger von 1966, „Grenzgänge“. Da gibt es einen sehr schönen Essay, der heißt einfach „Der Baum“. Der ist so wunderbar, dass man ihn ganz vorlesen müsste. Das würde den Rest der Zeit füllen. Das will ich mir ersparen. Nur 14 Seiten umfassend, ein Text aber, der in vielerlei Hinsicht an Goethe erinnert, wie überhaupt die Präzision der Wahrnehmung Jüngers oft an Goethe erinnert, wobei er sich darin unterscheidet, dass er in vielerlei Hinsicht noch mehrere Schritte weiter geht als Goethe. Erwin Chargaff, mit dem ich darüber mal gesprochen habe, hat mir gegenüber mal halb spöttisch gesagt, Ernst Jünger sei so eine Art Karikatur von Goethe geworden durch seine Sammelleidenschaft und durch seine Art der Naturbetrachtung. Das würde ich nicht so sagen. Ich würde es nicht als eine Karikatur Goethes sehen, sondern [als] eine ganz eigenständige, genuine Heran­gehensweise.

Ich will nur mal kurze Passagen hier vorlesen, weil sie so gut sind, dass wenn man sie paraphrasiert, verlieren sie einfach. Sie werden auch den Text kaum finden, der ist verdeckt, verborgen in der Gesamtausgabe und dieses Heftchen hier ist längst vergriffen. Also Sie kommen nicht mehr an diesen Text sonst normalerweise heran. Nur ein paar kurze Aussagen dazu, vielleicht erinnern Sie sich an das, was ich vorhin gesagt habe über diese merkwürdige Zwischenzone, jene Stelle auch, an der das Wurzelwerk aus dem Boden austritt bzw. in den Boden eintritt, also nicht mehr Stamm und noch nicht Wurzel [ist], also diese Zwischenzone. Einige kurze Passagen aus „Der Baum“, also woraus dieses Zitat stammt: „In jeder Sprache gibt es einen Schatz an Worten, die ihr Wesen ausmachen. Von ihnen lebt das Gedicht, als ob eine Glocke angeschlagen würde, erwecken sie im Menschen eine Aura von Anklängen. Zu ihnen gehört das Wort Baum. ‒ auch in seiner tiefen Symbolkraft, die wir ja alle kennen ‒ Der Baum ist eines der großen Sinnbilder des Lebens, ihr größtes vielleicht. Zu allen Zeiten ist er daher von Menschen und Völkern bewundert, geehrt und auch verehrt worden. Ehrwürdig erschien Höhe und Tiefe, vielhundertjähriges Alter, majestätischer schutzspendender Wuchs. Die persischen Könige ließen alte Platanen mit goldenen Ketten schmücken und bestellten Wärter zu ihrem Dienst. In uralten Eichen wurde bei den Germanen der Allvater verehrt, das Weltall als Esche geschaut“ ‒ das wissen sie, der Weltenbaum Yggdrasil als ein kosmischer Baum, der das ganze Universum trägt ‒ „Aus den Kronen der Wintereiche schnitten die Druiden das Laub der Mistel mit goldener Sichel, um mit ihm die Hörner weißer Stiere zu bekränzen. Die Eibe schirmte als Totenbaum die Gräber keltischer Friedhöfe. Im Rauschen des heiligen Hain zu Dodona vernahmen die Priesterinnen die Stimme und den Ratschluss des Obersten Zeus. Sie lobten ihn im Rundgang. Zeus war, Zeus ist, Zeus wird sein, O gewaltiger Zeus, Du, noch heute in der entgötterten Welt fasst uns ein Bangen, wenn wir im Walde das Kommen und Gehen des Windes hören, dass jetzt kaum die Blätter kräuselt und dann mit den hohen Stämmen, wie auf den Seiten der Wetterharfe spielt.“ ‒

Diese entgötterte Welt, die ein Thema auch ist, was hier herangezogen werden muss, das dürfen wir nie außer Acht lassen. Die ganze Thematik ist ungeheuer erschwert dadurch, dass wir in einer kollektiven Bewusstseinsform leben, die geprägt ist von dem, was Sloterdijk auf eine Formel gebracht, „das Verstummen der Götter“ nennt, was schon Hölderlin beklagt als die Abwesenheit der Götter und was hier Jünger und andere als die entgötterte Welt bezeichnen. Da ist eine fundamentale Wahrnehmung von Wesenheiten der Erde und des Kosmos erst einmal abgeschnitten, und es ist eine große Schwierigkeit, überhaupt erstmal, sich diesen Tiefenwahrnehmungen wieder zu öffnen. Und vielleicht geht es dann nur über zaghafte Schritte, wie sie ja zum Teil auch von Goethe und anderen vollzogen worden sind. Und dann heißt es hier: „Bruder Mensch hat uns schon oft verlassen, Bruder Baum nie. Der Lebensbaum“, letzte kurze Passage, sonst verlieren wir uns hier in diesem Essay, obwohl sich das durchaus lohnen würde, man könnte jeden Abschnitt lesen und interpretieren und vielfältig da assoziieren. „Der Lebensbaum ist wie die Sanduhr ein Sinnbild der Zeiten, die sich im Zeitlosen schneiden, dort ist sie Taile der Wurzelhalt. Dort ist der Punkt, den wir Augenblick nennen. Wir sehen das Vergangene unten, das Zukünftige oben sich ausbreiten.“ Nicht von ungefähr hat etwa der kürzlich verstorbene Biochemiker Friedrich Kramer seine Zeittheorie unter das Etikett gebracht „der Zeitbaum“, als die Zeit, als ein baumhaftes Wesen, der Zeitbaum, also nicht das lineare, sondern das im Grunde nicht-linear sich Verzweigende. „Im Baum bewundern wir die Macht des Urbildes. Wir ahnen, dass nicht nur das Leben, sondern das Weltall nach diesem Schlüssel in Zeit und Raum ausgreift. Das Muster wiederholt sich, wohin wir auch die Augen richten, bis in die Zeichnung des kleinsten Blattes, bis in die Linien der Hand. Ihm folgen die Flüsse von der Wasserscheide auf dem Lauf zum Meere, der Strom des Blutes in den hellen und dunklen Adern, die Kristalle in den Klüften, die Korallen im Riff. Im Urbild wird Unbegreifliches geahnt, der sich in der Erscheinung ausbreitet. Der Augenblick birgt und verbirgt das Überzeitliche, ganz ähnlich wie die materielle Achse des Rades die mathematische verbirgt. Die Zeitenfülle wird aus dem Zeitlosen, der Umschwung wird aus dem Ruhenden genährt. So ordnet sich auch die Entfaltung des kleinsten Samenkornes im Letzten um ein Unausgedehntes.“ Jetzt sehr schön, präzise, tief philosophisch gesagt – „nicht um ein spermatischen, sondern um eine pneumatischen Punkt.“

Es geht also nicht um Sperma, sondern um Pneuma. „Von da erst gibt es oben und unten, rechts und links, Geflecht und Gezweig, Leben und Tod. Das ist ein Wunder, das nur im Gleichnis wie dem vom Senfkorn begriffen werden kann. Der Baum als Urbild erscheint daher nicht nur im Lebens-, sondern auch im Weltenbaum. Wir sehen in allen Elementen, im Stein, im Strom, im Feuer und auch im Sternenzelt“ und so weiter. Also wunderbare Betrachtungen über die Tiefensymbolik auch der Bäume, auch über Wuchsformen bei Bäumen.

Nun, eine Möglichkeit, ich will das noch einmal kurz sagen. Ich hatte doch gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten, sich der pflanzlichen Welt geistig zu nähern. Die eine ist im Goetheschen Sinne ein anschauendes Denken oder eine denkende Anschauung. Das ist präzise beobachten, ganzheitlich, gestalthaft mitvollziehen, von mir aus auch imaginativ, um sich dadurch in eine möglicherweise feinstoffliche Ebene von Wirkkräften oder Bildekräften von mir aus auch, um einen anthroposophischen Ausdruck zu verwenden, hineinzubegeben. Das ist möglich, das kann man machen bis zu einem gewissen Grade und kann dann versuchen, das auch in Sprache zu kleiden. Goethe hat das versucht. Zum Teil ist das auch von anderen versucht worden, etwa auch vom frühen Steiner, nicht unbedingt von dem späteren Steiner, sondern von dem frühen Steiner, der Goethe-Forscher war und lange bevor er überhaupt die Anthroposophie entwickelt hat.

Eine andere Möglichkeit ist, dass man eine Bewusstseinsebene versucht zu reali­sieren über Meditation, über eine Tiefenwahrnehmung, mittels derer es gelingt, tatsächlich in Pflanzenwesenheiten hineinzukommen. In diesem Sinne, im schamanischen Sinne also die Devas zu kontaktieren und tatsächlich eine wirklich übersinnliche Wahrnehmung zu entwickeln. Ich sage das mal, bewusst jetzt dieses missverständliche und vielfältig ja auch vernutzte und ja auch fast kaum mehr verwendbare Wort, also zu verwenden. Ich finde das eine sehr schöne Unterscheidung. Da muss ich dem Steiner mal wirklich, selten genug, muss ich ihm da Recht geben. Ich finde es wirklich eine wunderbare Unterscheidung, die er getroffen hat zwischen übersinnlich und untersinnlich. Ich habe das verschiedentlich gesagt, auch in „Was die Erde will“ einmal geschrieben. Das ist eine zentral wichtige Unterscheidung zwischen übersinnlich und untersinnlich. Es gibt die sinnliche Ebene, es gibt die Möglichkeit herauszubekommen, was ist hinter der Sinnenwelt, und die herkömm­liche reduktionistische Naturwissenschaft ist untersinnlich. Sie ist analytisch reduktiv, sie zerkleinert das bestehende Phänomen und versucht dergestalt auf die Tiefen-Kräfte zu stoßen, die das Ganze in Gang halten, ins Untersinnliche quasi einzutauchen.

Steiner meint, dass es eine vollkommen legitime, ja geradezu gebotene Aufgabe des Menschen sei, mit seiner Ichhaftigkeit in die Tiefen der Materie hineinzukommen. Das meine ich überhaupt nicht, ich halte das für eine Regression, im Grunde für einen regressiven Ansatz, weil der Mensch sich dann hineindreht letztlich ins Anorganische. Es ist eine sehr weitreichende These, die ich jetzt hier nur mal kurz andeuten möchte, dass der Mensch sich auf diese Weise hineindreht ins Anorganische und unter anderem deswegen auch solche ungeheuren Explosivkräfte dann entfesseln kann. Ich glaube nicht, dass seine Ichhaftigkeit dadurch gewinnt, wie das Steiner behauptet und die Anthroposophen auch alle sagen das Gleiche.

Aber die Unterscheidung bleibt trotzdem wichtig, dass es eine übersinnliche Möglichkeit der Betrachtung gibt, die das Sinnliche in seiner Gestalthafttigkeit und Ganzheit bestehen lässt, die es nicht unterläuft, aber über die Gestalt und in der Gestalt, diese Wirkprinzipien wahrnimmt oder wahrzunehmen versucht. Das ist der Unterschied. Einerseits ein analytisches Zerkleinern der Gestalt, immer kleinere Teilchen, bis letztlich die letzten subatomaren Teilchen zutage treten, die dann mathematisch gefasst werden. Letztlich die Auffassung, dass die Mathematik dann in dieser Form die Wurzel der Erscheinung ist. Und auf der anderen Seite bleibt die Gestalt in ihrer organischen Ganzheit bestehen. Man geht meditativ, gedanklich und auch spirituell einen Schritt weiter, das ist ein fundamentaler Unterschied. Das muss man einfach heute sagen, weil die Wenigsten heute wissen überhaupt von diesem Unterschied. Weil, es ist aber zentral wichtig, in diesem Sinne also spricht auch schon die romantische Naturphilosophie von Übersinn­lichkeit, also einer Wahrnehmungsform, die Sinnlichkeit einschließt, in diesem Sinne integriert, aber überschreitet, nicht unterläuft.

Und es bleibt eine Grundfrage jedweder Erkenntnis, ich habe das ja in der ersten Hälfte schon angedeutet, wie weit wir in der Lage sind, unser normales Ich-Bewusstsein aufrecht zu erhalten. Das ist ein ganz kritischer Punkt bei allen extremen Erfahrungen. Mir hat kürzlich ein Bekannter erzählt, er war in Brasilien und hat da bei Schamanen ein Lianen-Ritual mitgemacht, Ayahuasca genommen, nicht, eine hochaktive psychoaktive Substanz, mir von diesen Wahrnehmungen erzählt. Das kann man machen als Tourist in Brasilien, wenn man die nötigen Leute kennt, kann man auch dahin kommen. In diesem Buch werden auch verschiedene Berichte in dieser Art vorgestellt mit solchen Ritualen. Aber die Frage bleibt, was hier wahrgenommen wird und was ja auch manche Indianer dann künstlerisch umsetzen, was für Welten da erschlossen werden: In welchem Grade lässt sich das noch in eine halbwegs objektivierbare Sprache bringen, so dass es in irgendeiner Form auch einen Erkenntniswert hat? Wenn ein, sagen wir mal, ein unfass­bares Blitzgewitter von rätselhaften Wesenheiten für ein, zwei, drei, vier Stunden das Bewusstseinsfeld bevölkert und hinterher nur sagen kann, es ist nichts zu sagen, es ist unsagbar, dann ist das kein Erkenntnisgewinn, weder für den Betreffenden selber, noch für alle anderen. Also wichtig wäre es schon, dass man eine gedankliche Klarheit versucht voranzutreiben in diese Grenzbereiche hinein.

Und da ist eine noch ungelöste Schwierigkeit, das muss man einfach sagen. Goethe hatte da eine bestimmte Wahrnehmungsbarriere, die hat er auch bewusst gepflegt. Er hatte Angst vor bestimmten weitergehenden Schritten. Das ist auch legitim, da muss man sich nicht drüber erheben. Das mindert ja seine Größe in keiner Weise. Aber bestimmte Schritte hat er einfach nicht vollzogen, wollte er auch nicht vollziehen. Aber ich meine, dass die Schritte vollzogen werden müssen.

Einer der Autoren, der Co-Autor dieses Bandes hier, ist ein Pflanzenforscher, hier, Wolf-Dieter Storl, ein anderer Co-Autor ist Christian Rätsch, einer der wohl bekanntesten Pflanzenkenner im deutschen Sprachraum. Kein Zweiter, glaube ich, hat so viele Pflanzen erforscht, beschrieben, wahrscheinlich auch probiert, wie Christian Rätsch. Das ist fast schwindelerregend, was er da ständig darstellt. Er stellt zum Beispiel eine hochinteressante Frage, und die möchte ich mal jetzt aufgreifen und gedanklich weiterführen. Er stellt nämlich die Frage, die oft gestellt wird, auch in der Ethnologie, in der Pflanzenforschung: Woher wussten eigentlich die frühen Menschen, dass einzelne Pflanzen psychoaktiv sind, dass sie giftig sind, dass sie für bestimmte Heilzwecke verwendet werden können usw. Woher wussten sie das? Haben sie etwa alles durchprobiert? Das hätten sie kaum überlebt. Es kann nicht so sein, dass in einem „Trial and Error“-Verfahren über Tausende von Generationen das durchprobiert worden ist. Man muss schlechterdings davon ausgehen, dass eine Wahrnehmung bestand davon. Ich lese mal eine kurze Passage vor, von dem Christian Rätsch aus diesem Buch „Schamanische Wissenschaften“, was genau das Thema berührt, das ich versuche zu umreißen:

„Oft wurde schon die Frage gestellt, wie die Heilkunde oder das Wissen um die heilsame Wirkung von Pflanzen durch den Menschen entdeckt wurde. Von Pharmazie-Historikern wird die Frage gewöhnlich mit der ,Trial and Error‘-Hypothese beantwortet. In den meisten Büchern steht das so drin. Danach heißt es, die prähistorischen Menschen hätten sich willkürlich durch die Pflanzenwelt gefressen und dabei Beobachtung ob der etwaigen Giftigkeit oder Heilwirkung des verzehrten Gewächs gemacht. Die daraus resultierenden Erfahrungen wurden weitererzählt, das heißt tradiert. Es hätte demnach Tausende von Generationen erfordert, um zum Arzneischatz der Antike zu gelangen. Ich halte diese Hypothese für absurd“, sagt Christian Rätsch. Ich würde ihm da zustimmen. „Die Heilkundigen der antiken und altorientalischen Kulturen hatten eine viel genauere Vorstellung über den Ursprung ihrer materia medica und ihrer Pharmazie. Beides stammte direkt von den Göttern oder den Götter-Ärzten. In Südamerika gibt es zahlreiche Mythen, die von der Entstehung medizinischer, berauschender und toxischer Pflanzen berichten. Meistens sind solche wirksamen Gewächse“, interessant jetzt diese These, „durch Metamorphosen aus Menschen hervorgegangen, Metamorphosen aus Menschen hervor­gegangen“.

Mir fiel in dem Zusammenhang ein, weil es gerade in der Deutschen Oper läuft, „Daphne“ von Richard Strauss. Da gibt es ja diese eindrucksvolle Szene, dass die Daphne dann in der Flucht vor dem Liebesbegehren des Apollon, dem sie ausweichen möchte, sich in einen Baum verwandelt, in gewisser Weise zurückverwandelt. Also auch diese in der Mythologie verbreitete Vorstellung, dass ein bestimmtes Wesen sich dann wieder verwandeln kann in ein Quellwesen, ein Nymphenwesen, auch in eine Baumnymphe. Sie verwandelt sich also zurück in einen Baum mit einer anrührenden, wirklich ans Herz gehenden Musik, die Richard Strauss da im Finale der „Daphne“ gefunden hat. Wenn Sie die Möglichkeit haben, gehen sie da rein. Es lohnt sich wirklich. Also, „meistens sind solche wirksamen Gewächse durch Metamorphosen aus Menschen hervorgegangen. Ihre Wirkung offenbaren diese Pflanzen den Menschen in Träumen und Visionen, also in der anderen Wirklichkeit, die Indianern als die wahre Wirklichkeit gilt“, und so weiter.

Also, man muss schlechterdings davon ausgehen, dass der sogenannte prähistorische Mensch ein Stück weit die Fähigkeit hatte, tatsächlich in die feinstoffliche Tiefenstruktur der Pflanzen Einblick zu gewinnen. Er hat das einfach geschaut, in gewisser Weise, er hat das nicht alles hemmungslos durchprobiert. Sicherlich ist das dann auch tradiert worden. Sicherlich hat es viele Generationen gegeben, die das immer weiter ausdifferenziert haben, aber die Grundwahrnehmung war eine andere. Und die Frage ist, ob diese Art von Wahrnehmung heute reaktiviert werden kann. Denn dass der sogenannte prähistorische Mensch, von dem hier die Rede ist, ist ja ein vormentaler Mensch, ein Mensch vor der Ichhaftigkeit. Und wir kommen immer wieder an die Stelle, die ja die entscheidende Stelle ist: Können wir als ichhafte mentale Wesen in einer ganz bestimmten Form der Umweltwahrnehmung, können wir an diese Schichten herankommen und davon berichten in einer bis zu einem gewissen Grade objektivierbaren Weise? Darum geht es ja. Es geht hier nicht um eine sinnlich-übersinnliche Sensation, die nicht mitteilbar ist.

Der Storl hat in verschiedenen Zusammenhängen sich zu diesen Fragen geäußert. Ich will noch mal eine kurze Passage vorlesen, weil er das sehr schön auf den Punkt gebracht hat, besser als ich es jetzt könnte, wenn ich es paraphrasiere. Also bin ich mir dann auch nicht zu schade, das einfach mal vorzulesen. Er hat praktisch das Gleiche, was er in dem Buch „Schamanische Wissenschaften“ gebracht hat, noch mal in geringfügig veränderter Form als eigene, als eigenen Zeitschriftenartikel gebracht. Da schreibt er Folgendes, ich zitiere das mal kurz: „Über die Pflanzen-Intelligenzen. Während die meisten Wissenschaftler unseres Jahrhunderts die trans-sinnlichen Aspekte der Vegetation schlichtweg leugneten, entging es dem Philosophen Max Scheler nicht, dass sich dennoch so etwas wie eine ordnende Intelligenz im Verhalten der Pflanzenspezies ausmachen ließ.“ Er erwähnt hier Scheler, Max Scheler, berühmter wichtiger Philosoph auch, in den 20er Jahren bekannt geworden, der gesagt hat, die Pflanzen hätten eine eigene ekstatische Wahrnehmung. Merkwürdig, der Begriff der Ekstase, den man ja aus dem Schamanismus­bereich kennt, etwa durch die Forschung von Mircea Eliade, dass der Schamane der Spezialist der Ekstase sei, also das Außer-sich-treten, nicht, das Ekstatische, die ekstatische Form des Bewusstseins. „Wo aber ist diese Intelligenz lokalisiert?“ Jetzt wird der Bogen zurückgespannt auf das, was wir vorhin gesagt haben. „Wo aber ist diese Intelligenz lokalisiert? Vergeblich sucht man bei einer Pflanze nach Nerven und inneren Organen, die auf ein reflektierendes Innenleben, auf einen noch so trüben Bewusstseinsmittelpunkt schließen lassen. Das ist schlicht und ergreifend nicht vorhanden. Scheler spricht daher von einem außerhalb stehenden“, Zitat Max Scheler, „,ekstatischen Gefühlsdrang bei den Pflanzen‘. Auf umständliche Art und Weise drückt er damit aus, was Schamanen schon immer wussten“, sagt Storl. „Die Geistseelen der Pflanzen verkörpern sich nicht unmittel­bar in den sichtbaren Pflanzengebilden, sondern sie befinden sich außerhalb, jenseits, in den Steinen, in der Erde, in der Geister- oder Götterwelt“, also auf jeden Fall in einer anderen Wahrnehmungsschicht, die nur rituell meditativ angegangen werden kann und auch sollte. „Sie sind wahrlich ekstatisch“, griechisch Ekstase, aus sich heraustreten. „Der Mensch muss selber ekstatisch werden, aus dem Alltag heraustreten, will er mit ihnen verkehren.“ Also er kann es nicht in seinem normalen, eingeschränkten Bewusstseins­zustand. Das ist unmöglich. Man kann sich da Pflanzen ins Zimmer stellen und sich daran erfreuen. Das ist wunderbar. Dagegen ist nichts zu sagen. Man kann im Wald Spaziergänge machen und kann seinen seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Das ist was vollkommen anderes, als in die Tiefe dieser Wesen hineinzugehen. „Der Mensch muss selber ekstatisch werden, aus dem Alltag heraustreten, will er mit ihnen verkehren. Der große Religions­forscher Mircea Eliade beschreibt den Schamanen als“, ich habe es schon zitiert, „Meister der Ekstase“. Eines der wichtigsten Bücher von ihm heißt ja, „Ekstase als schamanische Technik“ oder so ähnlich. „Der Schamane hat die Begabung und beherrscht die Techniken, aus dem kulturell genormten Alltag herauszutreten, um mit den Pflanzen-Gottheiten zu reden. Die Pflanzen-Devas sind eine der Gruppen übersinnlicher Wesenheiten, welche die Schamanen und Medizinleute kontaktieren.“

Also das kann man erst einmal ganz eingeschränkt anthropologisch, phänomeno­logisch feststellen. Im Bewusstseinshorizont dieser Menschen ist das so. Eine ganz andere Frage ist, wie ist es wirklich? Aber man kann das mit einer gewissen Nüchternheit erst einmal konstatieren und nicht gleich arrogant glauben, man wüsste die eigentlichen Erklärungen dafür, wozu ja mental geprägte Abendländer immer neigen, dass sie das dann gleich wissen, was das ist, das ist eine Halluzination, oder das ist eine Autosuggestion oder so etwas, da gibt es ja gleich Begriffe, die da abwertend für verwendet werden, nur um den Wirklichkeitsgehalt irgendwie runterzuschrauben. „Also die Pflanzen-Devas sind eine der Gruppen übersinnlicher Wesenheiten, welche die Schamanen und Medizinleute kontak­tieren. Mit dem Begriff sind die Gottheiten oder Archetypen der verschiedenen Pflanzen­arten gemeint, nicht etwa die kleinen Naturgeister oder Elfen, die auch manchmal in eine Blume oder in einen Baum hineinschlüpfen. Der Begriff Deva, Sanskrit-Begriff, ist dem Sanskrit entliehen und bedeutet eine ,himmlische, leuchtende göttliche Wesenheit’“. Etwa in den Upanishaden taucht es immer wieder auf, die Devas, allerdings hier im Sinne von göttlichen Wesenheiten. Also mir ist aus den Upanishaden nicht vertraut, ich kenne die Upanischaden eigentlich recht gut, dass die Devas mit Pflanzen direkt verbunden wären. Meines Wissen ist das nicht so. Nur mit dem Brahman werden sie verbunden, mit dem Atma, in gewisser Weise mit der Weltseele, aber mit den Pflanzen jedenfalls in den Upanishaden nicht. „Das [ist] auch zutreffend, denn die Vegetation ist nicht nur völlig mit dem Sonnenlicht und den Rhythmen des strahlenden Sternenhimmels verbunden, sondern auch in der Tiefenmeditation, im Traum und in der Vision erscheinen die Pflanzenwesen als leuchtende Entitäten.“

Was ist da wahrgenommen worden? Das wird ja berichtet auch aus indianischen Kulturzusammenhängen, in dem Buch ist sehr viel davon die Rede, wie das rituell gestaltet ist, welche psychoaktiven Substanzen in dem Zusammenhang da auch verwendet werden. Auch Christian Rätsch in seinem Beitrag stellt das ausführlich dar, welche Substanzen in dem Zusammenhang ins Spiel kommen, was da auch wahrgenommen wird. Er selber hat natürlich auch viel in dieser Richtung experimentiert. „Sondern auch in der Tiefen­meditation, im Traum und in der Vision erscheinen die Pflanzenwesen als leuchtende Entitäten. Viele Völker sprechen von den Pflanzen“, interessant, „als Sternenwesen, die zur Erde gekommen sind“, eigenartige Verbindung. Was ist da passiert? Pflanzen als Sternenwesen, kann man erst einmal phänomenologisch so stehen lassen. „Dem Cheyenne-Medizinmann Bill Tall Bull zeigten sich die Pflanzengeister in einem blauen Lichtstrahl.“ Könnte sein, das sind ganz andere Wahrnehmungen vielleicht gewesen, die auf diese Weise interpretiert worden sind, auf jeden Fall sehr tiefe Wahrnehmungen. „Die Ducanee-Indianer beschreiben das Wesen der Jahe-Liane als leuchtende Seele. Dem chinesischen Ginseng-Sammler leuchtet die wild wachsende Ginseng-Pflanze, deren kosmische Heimat das Sternbild Orion ist, in der dunklen Nacht entgegen. Die mittelalterliche christliche Theologie lokalisiert die Geister der Pflanzen unter den Licht-Engeln, die die Sonnen-, Mars- und Jupiter-Sphäre bevölkern.“ Das spielt in der mittelalterlichen Medizin ja eine ganz große Rolle, ganz bestimmte Organe werden bestimmten Planeten zugeordnet, ganz bestimmten Pflanzen, ganz bestimmte Metalle. Auch Planeten, etwa das Kupfer der Venus und so weiter. „Also die mittelalterliche christliche Theologie lokalisiert die Geister der Pflanzen unter den Licht-Engeln, die die Sonnen-, Mars- und Jupiter Sphäre bevölkern. Auch die Visionärin von Findhorn, Dorothee McLean, erlebte die Pflanzen-Geister als Licht- Engel.“

Dann schreibt Storl sehr ausführlich über die rituellen Praktiken, die in diesem Zusammen­hang eine Rolle spielen, diätetische Maßnahmen, ganz bestimmte Reinigungs-Rituale, Fasten. Sie erinnern sich vielleicht, ich habe das ja im Wintersemester 97/98 Ihnen am Beispiel von Eleusis auch erzählt, wie man über lange Zeiträume hinweg über ganz bestimmte meditative rituelle Praktiken, unter anderem das Fasten, sich dann kollektiv in einer großen Gruppe in einen bestimmten Zustand hineinversetzt hat, in den dann wahr­scheinlich eine bestimmte psychoaktive Substanz hineinwirkte. Vielleicht erinnern Sie sich, die da waren, das ist nicht sicher, wir wissen es nicht mit letzter Sicherheit, aber möglich ist es, dass in Eleusis tatsächlich psychoaktive Substanzen verwendet wurden. Vielleicht noch eine letzte Bemerkung hierzu, auch im Kontrast zu Goethe. Ich hatte ja ausdrücklich gesagt, dass für Goethe die Gestalthaftigkeit und das Wesen kaum zu trennen sind. Das ist zentral wichtig. Für Goethe geht das Wesen in der Gestalt fast auf. Es bleibt ein Rest, der nicht aufgeht, aber der bleibt dann auch im Geheimnis. Jenseits des Urphänomens kann da nur in einer letztlich religiösen, verehrenden Haltung angegangen werden, nicht mehr wissen­schaftlich. Das betont ja Goethe ausdrücklich. Die Urphänomene sind die letzte Grenze. Hier wird diese Grenze überschritten. „Die Devas sind als Geistwesen nur locker mit den physischen Leibern der Pflanzen verbunden. Daher ist es ihnen möglich, in die Träume, in andere Lebewesen oder gar in Gegenstände hinein zu schlüpfen, um sich kundzutun. Je mehr Bill Tall Bull versicherte, kennen die Pflanzen-Geister die Gedanken des Pflanzen­suchers und wissen um seine Absichten.“ Nicht, jetzt ist wieder vom Wissen die Rede, aber von Pflanzen-Geistern, von eigenen Wesenheiten, die dahinter stehen, die sozusagen das Subjekt sind für mögliche Sinneswahrnehmungen.

Das ist ein Punkt, den ich ja gerade in diesem Sommersemester immer wieder auch angesprochen habe, die Frage der möglichen Subjekthaftigkeit und in der nicht-menschlichen Welt, und wie tief das reicht. Ich vertrete ja die These, dass das in bestimmten Vorformen bis in die sogenannte anorganische Materie hineinreicht. Ich habe das ja immer wieder verbunden mit der Formel von Hahnemann, „der Geistartigkeit der Stoffe“. Ich glaube, dass auch die organische, die anorganische Welt, die in der Tiefe wahrscheinlich gar nicht anorganisch ist, eine Art von Prä-Subjekthaftigkeit enthält, und dass sie auch, sogar wenn sie auf bestimmte sogenannte Naturgesetze reagiert, eine Art von Primär- und Fundamental-Wahrnehmung hat für diese Naturgesetze, für den Logos. Also eine sehr weitreichende Behauptung, für die es aber, glaube ich, eine ganze Reihe von Indizien gibt.

Ich will vor dem Gespräch noch einmal versuchen, ein kleines Resümee zu ziehen, dass wir nochmal die Punkte ins Bewusstsein rufen, in ganz kurzer, in knapper Form gesagt. Wenn es stimmt, dass wir in der ökologischen Krise in einer kollektiv gesehen neurotischen Abspaltung uns befinden, dann ist die Frage nicht nur legitim, sondern auch absolut notwendig, wie wir in Kontakt geraten können, wie wir neu in Kontakt geraten können mit der Erde, mit Pflanzen und Tieren. Also eine elementar wichtige Frage: Wie kommt der Mensch in Kontakt mit der Erde, in Kontakt mit den Pflanzen-Wesenheiten, in welcher Form auch immer? Und da gibt es Möglichkeiten. Ich habe zwei Möglichkeiten angedeutet. Beide sind für ein modernes Mental-Bewusstsein nicht einfach. Es setzt ganz bestimmte, präzise Tiefenwahrnehmungen voraus. Es setzt auch das Risiko voraus, tatsächlich diesen Überstieg zu machen, also jenseits der ichhhaft-mentalen Stufe sich wirklich anzusiedeln. Es setzt also ganz fundamentale Bewusstseins-Veränderungen und -Prozesse voraus. Aber ich glaube, dass ohne diese Bewusstseins-Prozesse überhaupt keine Chance besteht, so etwas wie die ökologische Krise zu verstehen und bis zu einem gewissen Grade auch zu bewältigen. Das habe ich immer wieder gesagt und möchte das hier noch mal sagen: Ohne diese Tiefenwahrnehmung ist das alles öde Ideologie, alles ödes Gerede. Wenn nicht diese tatsächlichen Tiefenerfahrungen sind, ist das alles nur mentales Zeug, was niemanden und nicht in irgendeiner Form bewegen wird. Und deswegen ist es zentral wichtig, dass man in bestimmte Wahrnehmung kommt, in ganz elementarer Wahrnehmung auch von Gestalthaftigkeit und Ganzheit der Natur, auf den verschiedensten Ebenen. Und da kann man, um noch mal Goethe heranzuziehen, von Goethe wirklich viel lernen. Ich habe das auch erst spät verstanden und realisiert, aber es ist wirklich so. Man kann da viel verstehen und ableiten auch.

Ich will hier erst mal einen Schnitt machen und wir können gerne noch ein bisschen sprechen. Wenn’s nicht zu lange geht, können wir noch ein paar Fragen klären.

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