Vom anderen Hören. Musik und Meditation

Vortrag

Urania Berlin
04.04.1995
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 50

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Ich möchte Ihnen heute einen kleinen Einblick geben in ein spannendes und interessantes und faszinierendes Gebiet, nämlich die Frage, was Musik und Meditation miteinander zu tun haben, aus welchen Quellen beide gespeist sind, und wie man das auch praktisch umsetzen kann. Und je nach Zeit nachher wäre es gut, ich will es jedenfalls versuchen, wenn wir einige praktische Übungen machen. Auch wenn es hier kein leergeräumter Saal ist und wir hier hier keinen Musik-Workshop veranstalten können, so mag doch vielleicht die eine oder andere Übung auch in dieser Form sinnvoll sein.

Worum geht es eigentlich? Ich habe zwei Zitate ausgesucht als Motto, die bereits ins Zentrum der Thematik führen. Der buddhistische Gelehrte und Meditationsmeister Lama Anagarika Govinda hat 1977 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Schöpferische Medita­tion und multidimensionales Bewusstsein“, eines nach meinem Dafürhalten besten Bücher überhaupt über Meditation. Und da schreibt er Folgendes, ich darf das mal zitieren: „Die westliche Kultur fand ihre tiefste und vollkommenste Ausdrucksform in der Musik. Die Kultur Indiens dagegen in der nach innen gerichteten Meditation, Dhyana, Sanskrit-Wort für Versenkung, Meditation. In diesen beiden Bereichen müssen wir daher nach Parallelen und Berührungspunkten Ausschau halten. Nur hier sind Vergleichsmöglichkeiten zu erwar­ten. Für diese Hypothese spricht, dass die abendländische Musik eine Art Raum-Empfin­dung hervorruft, die sich von der des sichtbaren Raumes so weitgehend unterscheidet, dass sie der Raum-Erfahrung in den tiefsten Versenkungszuständen vergleichbar wird. Es handelt sich um eine Raum-Erfahrung, die unter den Bedingungen der Dreidimensionalität unmöglich ist, da sie eine Ordnung höherer Art zugehört.“

Hier ist also bereits eine ganz wesentliche Aussage gemacht, die ich mir zu eigen machen möchte, dass nämlich Musik etwas zu tun hat mit Raum-Bewusstsein. Also Lama Anagarika Govinda sagt ja, in der tiefsten Meditation wird der Raum in einer bestimmten Weise erfahren, nicht als dreidimensionaler Anschauungsraum, wie wir den Raum hier vor uns und auch in uns ausgespannt finden, sondern auf eine merkwürdige Weise anders dimensioniert, in einer anderen, tieferen Schicht, und da, meint Govinda, gibt es einen Zusammenhang. Also was sozusagen die abendländische Musik an Raum-Bewusstsein in den Klang transponiert hat, das findet man auch in der Meditationskultur Indiens. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen.

Das zweite Zitat stammt von einem Schamanismus-Forscher aus dem Buch „Traumzeit und innerer Raum“, Holger Kalweit, und der sagt etwas, was auch ins Zentrum unserer Thematik führt. Ich darf das mal vorlesen: „Die gewaltigste Idee, die der menschliche Geist seit seiner Evolution zur Kulturfähigkeit zum Leitmotiv seiner Werke und Handlungen machte und die wohl von keinem Gedanken, keiner Spekulation und Theorie in allen verflossenen Epochen übertroffen werden konnte, ist der Glaube, das Wissen, ja die Erfahrung, dass unsere physische Sinneswelt eine Welt der Schatten, der Illusion und der Täuschung ist, und dass unser Körper, jenes dreidimensionale Werkzeug, einem Etwas als Hülle und Wohnung dient, das weit größer und allumfassender als er die Matrix des wirklichen Lebens bildet.“ Also Matrix hier im Sinne von Quelle und Ursache. Also Kalweit behauptet, dass es vielleicht die wichtigste Erkenntnis überhaupt ist und gleichzeitig die gewaltigste Idee, dass unsere Sinneswelt, im indisch-buddhistischen Sinne Maya ist, dass hinter der Sinneswelt eine andere Wirklichkeit, vielleicht die eigent­liche Wirklichkeit hindurchscheint. Und das ist die … auch hier die Berührungsstelle mit der Musik. Auch darüber will ich Einiges sagen, dass ja in ganz vielen Philosophien und Mythologien der Musik, dem Klang eine geradezu weltschöpferische Funktion zugespro­chen wird. Also der Klang sozusagen wird als ein Untergrund, als spiritueller Untergrund der Welt gesehen. Wenn das so ist, also nehmen wir an, die Hypothese stimmt, dann hat man ja schon einen Zusammenhang zwischen Spiritualität und Musik.

Ich will das in fünf Schritten machen. Und zwar will ich zunächst einiges sagen über die Rolle des Hörens überhaupt in unserer Kultur, besser die Nicht-Rolle, denn wir sind ja eine vom Primat des Auges erst einmal bestimmte Kultur. Dann will ich die Frage stellen, was überhaupt Meditation ist. Auch das ist überhaupt nicht selbstverständlich, es gibt die unterschiedlichsten Ansätze dazu. Ich will versuchen zu zeigen, was nach meinem Ver­ständnis Meditation ist und wie Meditation mit einem spirituellen Weltverständnis zusam­menhängt und will dann die Brücke schlagen zur Musik und zu einem möglichen spirituellen Weltverständnis und die Frage stellen und ein bisschen wohl auch beant­worten, was die abendländische Hochmusik, wie man sie ja nennen kann seit der Renaissance, zu tun hat mit einer spirituellen Weltbetrachtung und schließlich dann in einem praktischen Ansatz Möglichkeiten vorstellen, wie man damit umgehen kann. Da werden dann erst die Musik-Beispiele kommen, also relativ am Ende, und wir werden mal sehen beziehungsweise hören, wie wir damit zurande kommen können, mit diesen prak­tischen Übungen.

Zunächst wissen wir alle, dass die abendländische Kultur eine vom Primat des Sehens bestimmte Kultur ist. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass die Beglaubi­gung von Wahrheit und Wirklichkeit erst einmal das Gesehene, das Visuelle ist. Also „hast du es selber gesehen“, hat eine höhere ontologische Wertigkeit, als „hast du es gehört oder hast du davon gehört“? Die Sinneswelt ist primär eine als visuell erfahrene Welt, und das hat die … ist die eigentliche Wirklichkeit in erster Instanz. Und das ist auch das, was man als den naiven Realismus bezeichnet und der ganz tief in uns allen steckt, man soll sich da keinen Illusionen hingeben. Was wir sehen, was wir vor uns haben, was wir visuell wahrnehmen, hat auch tatsächlich erst einmal einen ganz hohen Wirklichkeitsgrad.

Eine andere Sache ist es natürlich bei irgendwelchen Halluzinationen oder visio­nären Eingebungen, Schauungen, sind ja auch visuelle Dinge, von mir aus auch in extremen Zuständen hervorgerufen durch psychoaktive Substanzen. Da ist es insofern anders, als diese Schauungen und Bilder ja nicht unbedingt intersubjektiv sind, sie sind nicht vermit­telbar, weil ein Anderer, der nicht in diesem Zustand ist, diese Bilder ja nicht wahrnimmt. Aber normalerweise ist also die Wirklichkeit erstmal eine visuelle Wirklichkeit. Und es ist auch … das unterscheidet die abendländische Kultur von jeder anderen dieser Erde, denn in keiner anderen Kultur spielt das Auge, spielt das Visuelle eine so zentrale Rolle. Können Sie also in jeder anderen Kultur dieser Welt schauen, immer ist das Visuelle eine Fakultät neben anderen Fakultäten und hat nicht diesen Ausschließlichkeitscharakter. Das ist das Eine.

Gleichzeitig hat sich seit der Renaissance eine zweite Strömung im Abendland manifestiert, die man bezeichnen kann als den Impuls, etwas überspitzt gesagt, zur Weltaufhebung durch Abstraktion. Durch die Erkenntnis des Kopernikus und durch den ganzen Koperni­kanismus in den nachfolgenden Jahrhunderten war ja deutlich geworden, dass die Sinnes­welt eigentlich täuscht. Denn die Wirklichkeit, die kosmische Wirklichkeit, etwa die der Bewegung des Planeten Erde, ist ja genau entgegengesetzt dem, was das Auge wahrnimmt. Insofern täuscht uns das Auge. Die eigentliche Bewegung ist ja hier in diesem Fall die Drehung der Erde oder die Bewegung der Erde um die Sonne und also genau das Gegenteil dessen, was der Augenschein wahrnimmt. Und aus dem Durchschauen dieser Täuschung, hat sich die gesamte abendländische Naturwissenschaft entwickelt bis in die Gegenwart hinein. Und man kann etwas überspitzt sagen, dass Naturwissenschaft immer darauf abzielt, die Welt mittels Abstraktion aufzuheben. Also unsere ganzen Bilder von virtueller Realität und Computerisierung und so weiter sind letztlich alles Versuche, denke ich, sozusagen den ontologischen Status des Menschen in eine andere Dimension hinein­zuheben, in die totale Abstraktion, die unzulängliche Bio-Hardware zu ersetzen durch eine andere. Und das ist also ein gegenläufiges Moment. Und nun ist es merkwürdig, dass diese selbe Kultur, die das Visuelle betont wie keine andere, die eine Abstraktionsleistung reali­siert hat, wie auch keine andere Kultur der bekannten Menschheitsgeschichte, dass also diese selbe Kultur gleichzeitig eine hochdifferenzierte, in ihrer Weise singuläre Hoch-Musik hervorgebracht hat, die in gewisser Weise, mit einigen Einschränkungen, eine Art Gegen­modell darstellt. Und das ist jetzt letztendlich das, was hier zentral ist.

Wie ist das möglich und wie können wir uns dieser musikalischen Dimension unserer eigenen Kultur in einer Weise nähern, die vielleicht angetan ist, auch ein bisschen die ökologische Krise, unter der wir alle leiden, in ein neues Gesichtsfeld zu rücken? Dann die Metaphorik, wie Sie es schon hören, ins Gesichtsfeld rücken, ist vor allen Dingen durch das Auge bestimmt. Es ist eigentlich keine höhere Metaphorik und ein Großteil der sprach­lichen Metaphorik ist generell vom Visuellen bestimmt. Wie kommen wir ins Hören rein? Wenn wir über Musik reden, ist es ja nicht Musik. Wenn wir über Meditation reden, ist es ja nicht Meditation und es ist die große Schwierigkeit ja überhaupt eines derartigen Vortrags, ich rede mittels der Sprache über etwas, was ja jenseits der Sprache ist. Ich rede über Meditation, ich rede über Musik, und beides ist ja nicht Sprache, nicht Sprache in diesem engeren Sinne. Und das ist eine grundsätzliche Schwierigkeit, mit der man immer wieder konfrontiert ist. Nun, was ist überhaupt … das wissen sie im Grunde alle, was ich hier einleitend gesagt habe, man muss es nur noch einmal in die Erinnerung rufen.

Was ist Meditation? Wie hängt Meditation und Spiritualität zusammen? Meditation, könnte man auf, eine Kurzformel gebracht, sagen, ist der Versuch, die Welt von innen wahrzunehmen. Der Versuch, die Welt von innen wahrzunehmen. Der Versuch, zu einer gesteigerten Innenwahrnehmung der Dinge neben oder außerhalb der äußeren Wahr­nehmung zu gelangen. Nun gibt es eine Fülle von ganz unterschiedlichen Meditations­formen und Meditationsarten in aller Welt, jeweils mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Und es ist vielleicht sinnvoll, sich mal einige dieser Ansätze anzugucken und zu sehen, was hier Meditation meint und inwiefern wir überhaupt eine Möglichkeit haben, die Meditation mit Musik zu verbinden. Das ist ja überhaupt nicht selbstverständlich. Meditation ist ja traditionell Stille und Schweigen, nicht Reden und eigentlich auch nicht Musikhören. Musikhören ist eine zunächst einmal eine ganz andere Form von Aufmerksamkeit, von hörender Wachheit, die gemeinhin nicht als Meditation gilt.

Die vielleicht bekannteste asiatische Meditationstradition ist die des Zen, und ich will mal einige Sätze nur vorlesen von einem bedeutenden Zenmeister, Deshimaru Roshi, aus diesem Jahrhundert, der lange in Frankreich gelehrt und gelebt hat. Wie definiert er Meditation? Und wir wollen gucken, ob wir das nachher verwenden können. Er sagt: „Zen im Sinne von Zazen, das heißt Sitzen, kann weder in Begriffe gezwängt noch durch den Verstand wiedergegeben werden. Man muss es vielmehr ausüben.“ Also darüber reden bringt nichts. „Zen ist ganz wesentlich eine Erfahrung. Die Intelligenz wird dabei nicht unterbewertet, nur, man strebt nach einer höheren Dimension des Bewusstseins, die nicht in einer einseitigen Sicht der Wesen und Dinge stecken bleibt. Das Subjekt ist im Objekt und das Subjekt enthält das Objekt. Es handelt sich darum, durch die Übung“, also die Zazen-Übung, die Praxis des meditativen Sitzens, „das Überschreiten aller Gegensätze, das heißt aller Formen des Denkens zu erreichen.“ Damit ist schon ein ganz wesentlicher Punkt angesprochen in dieser Richtung, dieser eher asiatischen Richtung, ist also Meditation ein Überschreiten von Denken überhaupt und damit auch von jeglichem in Gegensätzen sich vollziehenden Geist. „Der philosophische Aspekt des Zen-Buddhismus hat daher nichts von einem rigiden Gedankensystem. Es ist vielmehr die Weitergabe von Gedanken, geschmiedet durch die tausendjährige und doch jeden Tag immer wieder neue Erfahrung der Erweckung. ,Hier und jetzt‘ ist der Schlüsselbegriff überhaupt. Das Wichtigste ist die Gegenwart. Die meisten unter uns haben die Neigung, ängstlich an die Vergangenheit oder Zukunft zu denken, anstatt ihre volle Aufmerksamkeit ihren augenblicklichen Handlungen, Worten und Gedanken zu widmen. Man muss in jeder Bewegung vollständig gegenwärtig sein, sich hier und jetzt konzentrieren. Das ist es, was Zen uns zu lehren hat.

Ebenso zentral ist der Ausdruck ,einfach nur sitzen‘ – shikantaza., uninteressiert, ohne Ziel und Gewinnstreben. Meister Dogen, der im 13. Jahrhundert Zen Japan einführte, hat gesagt, Zen zu ergründen bedeutet, uns selbst zu ergründen und uns selbst zu ergründen bedeutet, uns selbst zu vergessen und uns selbst zu vergessen bedeutet, die Buddha-Natur, unsere ursprüngliche Natur zu finden.“ Und so weiter.

Die Zen-Meditation arbeitet auch mit Musik, nicht eigentlich mit Musik, zu der meditiert wird. Wenn Musik in der Zen-Meditation eingesetzt wird, ganz bestimmte Klänge in ganz bestimmten Phasen der Meditation, dann haben sie eher den Charakter eines Aufmerksamkeits-Anstoßes. Es wird nicht eigentlich über Musik meditiert, ja, das wäre vom Zen aus geradezu ein Irrweg. Das muss man ganz klar sagen, das weiß ich aus meiner vieljährigen Zen-Erfahrung – für den Zen-Buddhisten ist das Meditieren über Musik, ob das nun aus der CD, also von einer Kassette oder Musik live ist, egal, ein Irrweg, weil Hören heißt, sich in gewisser Weise an die Sinnenwelt, an die Ästhetik, an das Schöne, an das Wunderbare der Sinnenwelt verlieren. Und es geht ja gerade im Zen erst einmal um die Transzendierung hin zur Buddha-Natur: Hier und jetzt ganz präsent sein. Das ist also die Zen-Meditation, die eigentlich keine Musik-Meditation ist.

Nun ist Meditation sowieso grundsätzlich nicht zu trennen von bestimmten spirituellen Grundüberzeugungen. Man kann Meditation nicht einfach so betreiben, wie man eine beliebige andere Körperübung betreibt, wie man das auch mit Yoga im Grunde nicht machen kann. Und jede meditative Überzeugung steht in einem ganz bestimmten Weltbild-Zusammenhang. Und das ist wichtig, dass man sich das noch mal vor Augen führt. Also jede Meditation hat ein bestimmtes spirituelles Weltverständnis als Hintergrund.

Nun wird oft gesagt: Meditation, das heißt, die Dualität hinter sich lassen, das Werten, das Ja und Nein, einfach nur präsent sein. Und diese Präsenz, diese Total-Präsenz im Hier und Jetzt bedeutet die Aufgabe der eigenen Egoität, der eigenen Ego- und Ratio-Fixiertheit, bedeutet in diesem Sinne Hingabe, also Hingabe an ein Anderes, was als größer und existenzieller als das eigene Ego erachtet wird. [Das] bedeutet also, das Bewusstsein in eine tiefere Schicht hineinbringen, nicht im Sinne einer rationalen, willensmäßigen Fixierung, sondern im Sinne des Geschehenlassens. Das ist hier nicht erzwingbar. Sicher­lich, von Buddha wird berichtet, er habe sich hingesetzt unter den Bodhi-Baum, nachdem alle seine vorherigen Bemühungen gescheitert sind und einfach meditiert, gesessen. Das ist ja der Ursprung des Zazen. Irgendwann ist es dann passiert, der Durchbruch, was immer nun diese Erleuchtung wirklich war. Auf jeden Fall, Meditation hat mit Hingabe zu tun, ist in dem Sinne keine Konzentration im engeren Sinne. Konzentration ist ja in gewisser Weise eine Fokussierung auf einen Gegenstand, eine rationale Zusammenziehung, und das ist eigentlich Meditation in dem Sinne nicht.

Nun, vielleicht ist die extremste Form der Hingabe, die jedem Menschen irgendwann abverlangt wird, das Sterben. Und die tibetischen Buddhisten haben, finde ich mit einigem Recht, immer wieder betont, dass Meditation im Tiefsten eine Art Einüben ist des Sterbeprozesses, dem jeder irgendwann ausgesetzt ist. Insofern wäre in diesem Sinne Meditation Sterben üben, sich auf diese letzte Verwandlung, diese letzte Hingabe wirklich einlassen und die energetischen Verfestigungen zunehmend abzubauen, also in einen reinen Energiezustand hineinzugelangen. Das wäre die höchste Form des Meditativen, die überhaupt denkbar ist.

Nun gibt es viele Mittel, die man heranziehen kann, die in allen Traditionen auch verwendet werden. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, den Körper in eine bestimmte Position zu bringen. Also im Yoga nennt man das Asana, in eine ganz bestimmte Position. Es gibt ja unendlich viele Positionen. Die Grundposition, bekannt von der Meditation des Buddha, eine bestimmte Asana; damit zusammenhängt eine bestimmte Mudra, eine bestimmte Handhaltung, die den Körper in gewisser Weise zentriert. Der meditierende Buddha ist ja das Urbild des meditierenden Menschen überhaupt, so ist ja das Meditieren auch als ein äußerstes Schweigen, nicht als ein Hören, als ein Lauschen [zu betrachten]. Und es bedeutet also, den Körper in ganz bestimmter Weise quasi präparieren für diese Erfahrung, weil er im Normalzustand gar keine Möglichkeit dazu hat. Es ist ja nicht, dass die Haltung, das Sitzen, in der Form das Wesentliche sei. Sie ist ein Hilfsmittel, um den Geist, der immer unruhig ist, der ständig zugange ist, wie jeder ja weiß, wenn man in sich hineinlauscht, der ständig redende und sich widersprechende und ständig innerlich in Aktion befindliche Geist, um diesen Geist wirklich zur Ruhe zu bringen.

Ein weiteres Mittel, was für die Musik wichtig ist, ist der Atem. Musik selber ist ja in ihrer elementarsten Form immer auch vom Atem beseelt, hat immer mit Atem zu tun, ist ja überhaupt erst einmal sehr körperlich. Man kann mittels des Atems in bestimmte tiefere Bewusstseinszustände hineinkommen, und zwar in zweifacher Hinsicht, sowohl durch eine extreme Verlangsamung der Atmung, indem man extrem langsam einatmet und extrem langsam ausatmet. Oder z.B. die Pausen zwischen Einatmen und Ausatmen immer mehr verlängert. Das kann man ja in einer Weise machen, dass im Normalbewusstsein kaum vorstellbar ist, dass man überhaupt auf diese Weise atmen kann. Man kann aber auch das Gegenteilige machen. Man kann extrem schnell atmen, man kann hyperventilieren. Man kann also dieses orgiastische, schnelle, stoßartige Atmen, hat auch übrigens in Verbindung mit der Musik vor allen Dingen in Vorderasien eine ganz wesentliche Rolle, spielt eine ganz wesentliche Rolle. Sie kennen vielleicht, wenn nicht, dann will ich es kurz erwähnen, denn das sogenannte Zikr der Sufis, der islamischen Mystiker. Das ist ja ein ganz schnelles, ruck­artiges, auf Dauer stimmbandschädigendes Hyperventilieren bei gleichzeitigem Singen bzw. einige singen, andere atmen. Und das Ganze ist eine Ekstase-Zustand, ein trance-ähnlicher Zustand, der darauf abzielt, den Teilnehmern in einen ganz bestimmten Zustand hineinzubringen, indem das Ego dann auch aufgehoben wird. Wer das mal versucht hat, kann bestätigen oder wird das aus Erfahrung wissen, wie ungeheuer effektiv das ist, das ist also genau das Gegenteil. Einmal eine extreme Langsam-Atmung, eine extreme Schnell-Atmung. Jeder Mediziner weiß, was Hyperventilation bedeutet, das hat ja auch seine bedenklichen Seiten. Man kann so extrem hyperventilieren, über eine oder zwei Stunden und dann wird tatsächlich das Bewusstsein vollkommen verändert. Auch die Körperwahr­nehmung wird eine ganz andere. Oder man kann den normalen Atem, der sowieso fließt, einfach ruhig beobachten, man forciert weder eine Beschleunigung noch eine Verlang­samung. Man beobachtet einfach den Atem, wie er fließt und kann sogar zählen. Das ist durchaus gang und gäbe. Selbst Buddha hat es vorgeschlagen, zähle die Atemzüge von eins bis zehn und dann wieder von vorne. Der Atem geht rein und der Atem geht raus, das so eine Art Fluss zustande kommt, ein rhythmisches Schwingen in dieser Meditation. Das spielt alles in die Musik hinein, denn diese Elemente gibt es genauso in der Musik, beides.

Nun gibt es auch die Möglichkeit, und da kommt die Sprache ins Feld, das Bewusst­sein zu fokussieren mit bestimmten Begriffen, mit sogenannten Mantras. Das sind Wörter oder auch Sätze, die in ganz bestimmter Weise in hämmernder Form ständig wiederholt werden, zigtausende von Mal, immer wieder werden diese Mantras wiederholt, und sie dienen dazu oder sollen dazu dienen, das Bewusstsein in einen ganz speziellen Zustand zu versetzen. Und da kommt bereits zum ersten Mal jetzt die musikalische Dimension ins Spiel. Denn man geht in allen Traditionen, die sich dieser Mantras bedienen, nämlich davon aus, dass das Wort oder die Wörter, die Sätze, die gesungen werden oder die gesprochen werden oder auch nur innerlich leise gesprochen werden, Schwingung repräsentieren und dass diese Schwingung in gewisser Weise Korrespondenzen hat mit der Schwingung im Kosmos. Das heißt also, dass jedes Wort, jeder Begriff eine bestimmte Schwingungs- oder Klangsignatur hat, die man auf diese Weise abrufen kann. Also, dass das berühmte Mantra OM oder AUM ist ja ein bekanntes Beispiel dafür, in der Annahme also, dass dieser Laut als eine Art Ur-Laut, als ein Ur-Ton allem zugrunde liegt, wird es in dieser ständigen Wieder­holung dem Bewusstsein ermöglicht, tatsächlich in diese Ursprungsschicht dann auch reinzukommen. Das ist also die Frage des Mantrams. Da kommt also die Sprache ins Spiel, die Schwingung und auch die Musik, die damit zusammenhängt. Und häufig werden ja diese Mantras auch gesungen.

Nun ist gerade der moderne Mensch, der moderne stellt häufig die Frage und das wird ja immer wieder in diesem Zusammenhang gesagt: Wie ist es mit dem Verhältnis von Meditation und Therapie? Ist Meditation eine Therapie? Nein, sie ist es nicht. Das muss man gleich vorab sagen. Meditation ist keine Therapie und ersetzt auch in keiner Weise die Therapie. Man kann auch durch Meditation seine Neurosen nach wie vor beibehalten. Man kann sie auch pflegen, man muss sie in keiner Weise überwinden. Also Therapie ist letztlich eine andere Geschichte. Ist Meditation eigentlich Trance? Schwierig zu sagen, ja und nein. In gewisser Weise kann man Meditation als Trance bezeichnen. Man kann ja in einen ganz bestimmten trance-ähnlichen Zustand hineingeraten, ja auch beim Musikhören, der nicht unbedingt Meditation sein muss. Es gibt ein berühmtes Wort von Richard Wagner, der ja viel wusste von diesen Dingen (…) an Mathilde Wesendonck, in dem er schreibt, dass seine Musik wie ein feiner Saft bis ins Mark hineingeht und da alles auflöst, was irgend zu tun hat mit Individualität, mit Ego, mit Selbst, sozusagen die Musik als ein Mittel, die Egoität aufzulösen. Und begeisterte Wagnerianer wissen ja auch davon zu berichten, dass dies tatsächlich bei bestimmten Passagen etwa von „Tristan und Isolde“ passiert, so eine Art Auflösung, eine Art Verflüssigung der eigenen Egoität. Und da ist ein ganz interessanter Zusammenhang mit dem asiatischen Denken gegeben. Es ist kein Zufall, dass Wagner gerade in Asien eine ungeheure Popularität genießt, mehr als jeder andere Komponist.

Nun ist Spiritualität ja traditionell, das muss ich noch als Letztes jetzt sagen zur Meditation, traditionell eine eher asketisch-patriarchale Spiritualität, auch das ist ja bekannt. Die meisten spirituellen Traditionen haben einen asketischen Charakter, sind patriarchal, sind durch Männer ganz wesentlich mitgeprägt, auch der Buddhismus. Und das ist natürlich für den modernen Menschen ein grundsätzliches Problem, ein Problem, was nicht aufgehört hat, Menschen, Frauen vor allen Dingen, zu beunruhigen. Wo bleibt die Frau in diesen Systemen? Es gibt eigentlich ganz wenige Systeme erst einmal, die der Frau die gleiche Seinswertigkeit zugestehen. Eines davon ist das sogenannte tantrische System. Das gibt es im Hinduismus und im Buddhismus auch. Das kann man eng verbinden mit Musik. „Tantra“ heißt so viel wie „Gewebe“ und ist also die Überzeugung von der Allverbun­denheit, gerade auch des Männlichen und des Weiblichen.

All diese Dinge schwingen also mit in der Meditation. Es geht also um die Aufgabe der Egoität. Es geht um die Überwindung der Dualität. Es geht zugleich um eine ungeheure Aufmerksamkeit auf den Moment, auf das Hier und Jetzt, auch eine Aufmerksamkeit auf den Atem. Und es geht um einen ganz bestimmten Bewusstseinszustand, in dem die Welt quasi von innen betrachtet wird. Und dieser Bewusstseinszustand ist sehr schwer zu erreichen, und er ist auch sehr schwer aufrechtzuerhalten. Also Meditieren ist ja nicht einfach, wie es häufig gesagt wird, Entspannung. Entspannung, sich fallen lassen, loslassen, ist natürlich ein wichtiges Element, aber es geht hier um eine gesteigerte Form der Auf­merksamkeit, letztlich auch um eine bestimmte Form von Integration, von Ganzheitlichkeit des Körpers, des Emotionalen, des Mentalen in irgendeiner Form ja auch und des Supramentalen bzw. des Spirituellen. Alles das schwingt zusammen, und ich meine, dass das auch in wirklich bedeutender Musik der Fall ist. Diese Elemente schwingen zusammen, und auch bedeutende Musik enthält eine Integration dieser Elemente. Und da ist für meine Begriffe der entscheidende Zusammenhang zur Meditation.

Und da spielt auch die Raumwahrnehmung hinein, von der Lama Govinda gespro­chen hat. Er hatte ja gesagt, wenn ich noch mal daran erinnern darf, dass es nicht um eine dreidimensionale Raum-Anschauung geht, sondern um eine innere Raum-Wahrnehmung durch Musik. Wir können ja nachher mal in einigen Übungen versuchen, ob wir da ein bisschen hineinkommen können. Also eine innere Raumwahrnehmung durch Musik, wie es genauso die Möglichkeit gibt, eine quasi innere Zeitwahrnehmung durch Musikhören zu erleben, weil Musik ja auch gestaltlebendige, schwingende, pulsierende Gestalt in der Zeit ist. In gewisser Weise, wie ich das gerne öfter sage, die Zeit selbst zum Klingen bringt. Das kann man in ganz wenigen, vielleicht erlesenen und seltenen Momenten auch spüren, dass Musik den Zeitfluss selber zur Anschauung bringt bzw. zum Hören bringt. Also es ist vielleicht auch dann die tiefste Dimension, dass also gerade Raum und Zeit hier in ihrer Eigentlichkeit deutlich werden.

Nun, dass Klang und dass Musik mit der Tiefenstruktur der Welt zusammenhängen, ist einer der ältesten Gedanken, den Sie in praktisch allen Kulturen dieser Erde finden. Ich gebe mal ein Beispiel aus der indischen Kultur. Da ist eine … hat man eine Klang­kosmogonie, eine Weltentstehungslehre aus dem Klang entwickelt, die in ihrer Weise singulär ist. Ich darf mal einige Passagen hier vorlesen, ich habe das hier in meinem Musik-Buch zitiert über die altindische Klangkosmogonie. Da heißt es folgendermaßen: „Die erste Epoche der Schöpfung ist die Zeit der reinen bildlosen Namen-Schöpfung. Der Mythos nennt sie die Ur-Nacht. Sie ist eine ausschließlich akustische Periode und kennt noch keinen Raum. Sie besteht nur in der Zeit und ist eine Klangwelt. Die wirkenden Gewalten in ihr sind die Götter, selbst reine Klangexistenzen, deren Leib Musiklobgesang ist. Der Einbruch des Lichtes führt von der dunklen, rein akustischen Zeit zur Licht-Ton-Welt der zweiten Schöpfungsperiode, in der die tönende Existenz sich langsam in eine konkrete körperliche verwandelt und die klangliche Ursubstanz der Welt nach und nach verdeckt wird, also in den Hintergrund tritt. Der Schleier der Maya, die Täuschung über das wahre Wesen des Seienden breitet sich aus. Die dritte Schöpfungsperiode ist die helle Welt, in der die Dinge endgültig klare Gestalten annehmen. Der Mythos nennt sie den Tag. Mit dem vollen Einbruch des Lichts werden aus den reinen Zeitproportionen nun sichtbare und greifbare Proportionen des Raumes. Wenn auch die akustische Ursubstanz durch diesen Vorgang, insbesondere bei den stummen Objekten stark überdeckt wird, so lebt sie dennoch in jedem Geschöpf hörbar oder unhörbar als metaphysischer Kern weiter.“ Zitat Hans Schavernoch.

Also, die Grundüberzeugung wird hier ausgedrückt, dass die letzte Schicht der Kosmogonie, der Welt-Entstehung, eine klangliche ist. Auch da wäre einmal mehr Wagner heranzuziehen, der ja im Vorspiel zu „Rheingold“ den Versuch gemacht hat, aus einem Es-dur-Akkord quasi eine Weltschöpfung, eine Art Kosmogonie zu entwickeln. Also ein ganz tiefer, immer wieder formulierter Gedanke.

Der Dirigent Bruno Walter gehört zu denjenigen Dirigenten des 20. Jahrhunderts, die sich zu diesen Fragen immer wieder in den verschiedensten Zusammenhängen geäußert haben. Ich darf auch da noch mal kurz einige Sätze vorlesen von Bruno Walter, er ist fraglos einer der ganz großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Er schreibt über die pythagoräische Idee der sogenannten Sphärenharmonie, Zitat Bruno Walter: „Niemals habe ich diese einem hohen Geist gewordene Offenbarung nur als das phantasievolle Erzeugnis erhabener Imagination aufgefasst. Ich glaube daran, dass dem großen Menschheitslehrer, also Pythagoras, sich Urtiefen der Natur im Klang eröffneten, dass er, wenn auch nicht mit dem physischen Ohr, die Harmonie der Sphären wirklich vernahm. Der Gedanke einer zwar für das sinnliche Gehör nicht wahrnehmbaren, aber im Kosmos tönenden und waltenden Urmusik, wie sie Pythagoras und Goethes Geistesohren erklang, ist mir mehr und mehr überzeugend geworden, denn aus solch hohem Ursprung begann ich, das Werden und das Wesen unserer Kunst und ihre elementare Macht über des Menschen Seele allmählich tiefer zu begreifen. Als Geschöpf der Natur, den Einwirkungen der kosmischen Vorgänge auf alles Irdische unterworfen, musste der Mensch von früher Menschenkindheit an unter dem Einfluss jener Musik des Universums stehen. Sein Organismus schwang in ihren klingenden Vibrationen mit und empfing ihre rhythmischen Impulse. Aus jenen vom inneren Wesen der Welt kündenden sphärischen Vorgängen und von ihrer Auswirkung auf des Menschen Entwicklung stammt wohl seine musikalische Grundanlage, die dann von einem dafür geeigneten Reifestadium seiner Sinneswachheit und geistigen Bewusstheit an zur musikalischen Äußerung in lebendigem Klang aufblühen konnte.“ Und so weiter.

Also auch hier die Vorstellung, die ja zunächst wie eine mythologische Figur wirkt, in gewisser Weise kann man ja auch sagen: wie eine reine Fiktion, dass es so etwas geben könnte wie eine Klangstruktur des Kosmos, die sich in der Musik in einer bestimmten Form der Musik zu manifestieren vermag. Das findet man also in fast allen spirituellen Kulturen und ganz vielen Mythologien, auch in ganz vielen übrigens spirituellen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Da taucht das immer wieder als ein ganz wesentliches Merkmal auf.

Nun, wir wollen den Versuch machen nachher, uns durch das Hören einiger Stücke der sogenannten klassischen Musik, ich meine jetzt mal der abendländischen westlichen Musik, also dieser Musik uns meditativ zu nähern. Es erscheint angezeigt, noch einmal zu versuchen zu zeigen, welche Eigenschaften diese Musik auszeichnen und was daran geeig­net ist, meditativ angegangen zu werden. Ich sage nochmal, es ist ja in keiner Weise eine Selbstverständlichkeit, es gibt ein ästhetisch-intellektuelles Herangehen an Musik von Kennern, von Musikwissenschaftlern oder auch von Menschen, die bestimmte Instrumente spielen. Es gibt das reine emotionale Hören, die Begeisterung, das Sich-aufwühlen-Lassen durch die Emotionen eines Musikdramas zum Beispiel. Es gibt das rein intellektuelle, kennerhafte, genießerische Hören. Aber es gibt doch in relativ geringem Grade ein in dem Sinne meditatives Hören. Ja, von der professionellen Form der Musikausübung wird diese Art von meditativem Musikhören eher abschätzig betrachtet als eine bestimmte Form eines, sagen wir mal, dilettantischen Herangehens an Musik, was allerdings, wie ich meine, ungerechtfertigt ist.

Also was kennzeichnet diese Musik? Ich denke, die elementare Ebene, die oft nicht genug berücksichtigt wird, ist die körperliche Ebene. Jede bedeutende Musik, übrigens weltweit, hat immer zu tun mit körperlich-rhythmischen Vorgängen. Sie ist immer gewon­nen aus dem Tanzen, aus dem Schreiten, aus dem Atmen und auch aus dem Pulsschlag. Ich meine, das berühmte Verhältnis etwa eins zu vier, dass ein zentrales Verhältnis überhaupt in der Musik ist, ist ja abgeleitet aus dem Verhältnis von Pulsschlag und Atemschlag. Im Normalfall ist es ungefähr 1 zu 4. Also Musik atmet, sie schwingt in einem umfassenden Sinne, sie ist extrem körperlich und auch ganz differenzierte, hoch differenzierte Musik ist häufig abgeleitet aus tänzerischen Vorgängen und deswegen ist es zum Beispiel ein erster Schritt, eine erste Möglichkeit, dass man Musik tänzerisch angeht, indem man etwa nach Musik tanzt, nach der gemeinhin nicht getanzt wird, zum Beispiel nach einem Streichquar­tettsatz oder einem Satz eines Klavierkonzerts von Mozart oder Ähnlichem. Man kann danach tatsächlich tanzen. Wer das das zum ersten Mal tut, Verwirrung auslöst, Irritation. Wozu? Was soll das? Das ist doch furchtbar. Wieso soll ich denn nach der Musik in diesem Sinne tanzen? Aber es ist eine Möglichkeit also in diese Schicht reinzukommen über einen elementaren Vorgang des Körperlichen, nämlich der Bewegung. Normalerweise sitzt man im Konzertsaal ruhig und soll dies auch. Wer allzu viel rumzappelt auf seinem Sitz, der erregt Aufsehen. Man sitzt ruhig und soll auch ruhig sitzen. Und das Klatschen nach einer musikalischen Darbietung, was ja oft ganz hektisch und sofort einsetzt, wie automatisch, ist ja nach meinem Empfinden nur der Versuch, diesen Bewegungsdrang, der so lange ange­staut war, jetzt Luft zu verschaffen. Jetzt muss also auch Bewegung ins Spiel kommen. Ich habe oft in verschiedenen Zusammenhängen gesagt und auch geschrieben, dass ich nicht glaube, dass dieses Klatschen ein sehr sinnvoller Vorgang ist. Der amerikanische Psycho­therapeut John Diamond, auch ein bedeutender Musikologe, hat nachgewiesen oder glaubt zumindest nachgewiesen zu haben, dass Klatschen das Energieniveau im Körper wieder abbaut. Das heißt durch die Musik, große bedeutende Musik, es wird ein bestimmtes Energieniveau erzeugt, und das Klatschen mindert wieder das, was eigentlich geschehen ist. Das heißt, der Vorgang der Anreicherung und der Steigerung, der Potenzierung wird wieder rückgängig gemacht durch das Klatschen.

Der zweite Punkt ist, dass Musik immer rhythmisch und melodisch harmonisch strukturierter Zeitfluss ist. Musik ist immer Klanggestalt in der Zeit, ich habe es ja vorhin schon gesagt, und diese Klanggestalt in der Zeit vollzieht sich in der abendländischen Musik, das muss man sagen, das ist anders in der indischen Musik, in Form ganz bestimm­ter Spannungsbögen und im Wechselspiel von Konsonanz und Dissonanz, von Expansion, Höhepunkt und Rücklauf. Celibidache, einer der großen Dirigenten unserer Zeit, hat sich zu diesen Phänomenen immer wieder geäußert, dass Musik in gewisser Weise in einem großen Bogen Zeit einerseits zum Klingen bringt, andererseits zur Aufhebung bringt. Und in den größten Interpretationen der Musik kann es geschehen, ganz selten kann es geschehen, dass Zeit in gewisser Weise sich selbst aufhebt, dass also Anfang und Ende sich quasi wie in einem Mandala, wie in einer Spiralbewegung begegnen und einander aufhe­ben. Dann entsteht ein ganz eigenartiger Zustand, dass die Musik auf der einen Seite ein vorwärts drängendes Moment hat, gerade die abendländische Musik, die ja Themen entwickelt, erstes Thema, zweites Thema, es wird variiert, aber dass in gewisser Weise auch dieses vorwärts drängende Moment rückgebunden wird durch einen Spannungs­bogen, der wieder in den Anfang zurückläuft, was ich etwa in der jetzt im engeren Sinne klassischen Musik des 18. Jahrhunderts daran zeigt, dass der Anfang und das Ende den gleichen Grundton haben, die sogenannte Tonika. Das ist ja bei Mozart fast durchgängig der Fall. Ein Stück fängt tatsächlich in einem Grundton der Tonart an und mündet wieder in diesen Ton. Schon bei Beethoven ist es ja anders. Das ist ja nicht mehr der Grundton, aber zumindest der musikalische Grundimpuls.

Die dritte Schicht, die auch meditativ zu erschließen ist, ist das, was Beethoven mal genannt hat als „elektrischen Boden der Musik“, er hat mal gesagt: Die Musik hat einen elektrischen Boden. Das ist ein Begriff, den Beethoven in der damaligen Zeit geprägt hat, beeinflusst von der romantischen Naturphilosophie. Man würde vielleicht heute andere Begriffe wählen, vielleicht in der New-Age-Szene würde man das als Feinstofflichkeit bezeichnen, die Anthroposophen würden es vielleicht ätherisch oder astralisch nennen, wie immer, auf jeden Fall geht es um einen bestimmten Zustand, der um den Körper herum und den Körper durchdringend wahrnehmbar ist, der nicht eigentlich physisch ist. Auch das ist erfahrbar in der Musik. Dass die Musik also tatsächlich eine merkwürdige Zone im Körper aktiviert, die nicht eigentlich physisch ist. Feinstofflichkeit einmal hier in Anführ­ungszeichen gesehen, und da mag es sogar einen Zusammenhang geben, ich habe das in verschiedenen Musik-Seminaren auch ausprobiert, da mag es sogar auch einen Zusam­menhang geben mit den Energiezentren, von denen die asiatische Spiritualität berichtet, also den sogenannten Chakras. Mag sein. Wir wissen ja nicht, ob es die nun wirklich gibt, ob sie wirklich existieren. Auf jeden Fall, es mögen Hilfsmittel sein, es sind Hilfsmittel, die Energiezentren, die Bewusstseinszentren wahrzunehmen. Auch da gibt es Zusammenhänge mit der Musik.

Und dann ist Musik ja immer, und das ist ja zunächst die Schicht, die die meisten Menschen unmittelbar anrührt, emotional. Musik kommt nur dann an, kommt nur dann rüber, wenn sie seelische Prozesse, emotionale Prozesse verdeutlicht, und das kann die abendländische Musik vor allen Dingen durch die Konsonanz-Dissonanz-Spannung und durch die Dur-Moll-Spannung. Das gibt es ja in der Form in keiner nicht-europäischen Musik. Also die Eigenart, dass man die Terz, also die dritte Stufe vom Grundton aus und von der Dominante und von der Subdominante aus um einen Halbton-Schritt erniedrigt, hat sofort zur Folge, dass das gesamte Klangbild sich vollkommen verändert und eine kleine Schwingungsänderung, ein kleiner Wechsel von Dur nach Moll kann emotional ungeheure Auswirkungen erlangen, und es ist eigenartig, dass zum Beispiel in der sakralen Musik in Europa, in der das ganze Dur-Moll-System zunächst abgelehnt wurde und die Terz gerade­zu als das gefährliche Intervall bezeichnet wurde und nur in der Populärmusik eine Rolle spielt, nicht in der sakralen Musik. Sie konnte sich erst später in der sakralen Musik durchsetzen.

Dann ist Musik, vorhin schon angedeutet, eine Integration. Sie integriert die vier Elemente oder Wesensglieder oder Fakultäten des Menschen, nämlich seine Physis, seinen Körper, seine ganze Gefühlssphäre, seine Emotion, seinen mentalen Geist, Rationalität und das Spirituelle mehr oder weniger stark.

Natürlich gibt es Musik, die mehr oder weniger nur Körper-Power ist. Es gibt Musik, die ist so emotional, dass alle anderen Elemente in den Hintergrund treten. Oder es gibt rein konstruktiv-rationale Musik, wo man eigentlich nur mit höchst angespanntem Intellekt hört, wo eigentlich gar keine Emotionen aufkommen. Und die für meine Begriffe intensivste Musik ist diese Musik, in der diese vier Wesenglieder oder Elemente, nämlich die Physis, das Emotionale, das Rationale und das Spirituelle zur Einheit gelangen. Diese Einheit bedeutet keine Einerleiheit, sondern es kann durchaus auch eine konfliktreiche, eine spannungsreiche Einheit bedeuten. Und Musik, gerade die langsamen Sätze können in gewisser Weise sich selbst in die Stille hinein aufheben. Das können Sie bei besonders extremen Beispielen sehen, etwa bei späten Beethoven-Streichquartetten, dass also eigent­lich in gewisser Weise die Stille selber klingt und dann die Musik in die Stille zurückge­bunden wird und in gewisser Weise auch in die Stille zurückläuft, als ob die Stille das eigentliche Ziel überhaupt der Musik sei, als ob es das höchste Ziel der Musik sei, sich ins Schweigen wieder aufzulösen. Und insofern wäre dann, es gibt eine Stelle bei Thomas Mann im Faustus-Roman, wo er das sagt, dass vielleicht die Musik ihr höchstes Ziel darin hat, weil sie die geistigste aller Künste ist, ins Schweigen zu münden, das heißt, sich selbst aufzuheben, sich selbst überflüssig zu machen. Dann wäre ja die Musik nur ein Hilfsmittel, um das meditative Schweigen zu erlangen. Dann wäre sie sozusagen nur eine Stufe, dann wäre das Musik-Meditieren eine Stufe zur eigentlichen Meditation.

Und die letzte Schicht, die immer auch in der Musik eine Rolle spielt, die aber meditativ am schwierigsten anzugehen ist .., ist das, was Thomas Mann auch mal den Zahlenzauber der Musik genannt hat. Musik hat ja immer mit Zahlen zu tun. In der Musik wird gezählt. Das ist aber kein mathematisch-abstraktes, funktionales Zählen, aber es ist ein sozusagen ein mystisches Zählen, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten, und die gesamte Struktur der Musik, etwa der abendländischen Musik, ist auf ganz bestimmten Zahlen aufgebaut. Der Fünf, der Sieben, der Zwölf im Quintenzirkel und in der Oktav-Schichtung und so weiter. Hier spielen ständig ganz bestimmte Zahlen-Ordnungen eine Rolle, und es gibt viele Überlegungen, Spekulationen philosophischer und mystischer Art darüber, was diese Zahlen-Ordnung in der Musik eigentlich bedeuten und was sie zu tun haben könnten, etwa mit der Mathematik. Da gibt es ja auch gerade in letzter Zeit im Zusammenhang mit der sogenannten Chaos-Mathematik eine ganze Reihe interessanter Überlegungen darüber, wie Musik mathematisch, in diesem anderen Sinne mathematisch, vielleicht zu fassen sein könnte. Das ist meditativ am schwierigsten wirklich anzugehen, also diese Schicht.

Bevor wir jetzt zu einigen Übungen und Musik-Beispielen kommen, noch ein paar letzte Bemerkungen. Wenn wir uns mit der Musik als einem Klanggebilde konfrontieren, dann ist es sinnvoll, dass man diese Musik zunächst einmal versuchsweise, auch wenn das vielleicht nicht ohne Weiteres zunächst gelingt, als ein eigenes Klangwesen quasi, eine eigene Klanggestalt begreift, als einen eigenen Klang-Organismus, und dann hört, wie weit dieser Klang-Organismus, diese Gestalt, diese Gestaltganzheit mit dem eigenen Klang-Orga­nismus, mit der eigenen Klanggestalt resoniert. Was passiert in dieser Begegnung? Also wenn man wirklich mit ganzer Wachheit und Offenheit hört, dann kann man feststellen, was mit einem selber passiert, wo was resoniert, wo sind tote Zonen, wo kommt es nicht an, wo ist es lebendig? Ist es vielleicht die Herzöffnung, ist es das Herzchakra? Oder habe ich das Bedürfnis, elementar zu tanzen oder sogar Aggressivität zu entfalten? Was passiert eigentlich? Oder denke ich mit mit der Musik? Höre ich sozusagen quasi intellektuell mit der Musik mit? Und Musik-Meditation ist in diesem Sinne, auch wenn das vielleicht ein etwas übertriebener oder überzogener Ausdruck ist, ein Mitgestalten. Es ist nicht einfach ein passives Sich-überfluten-Lassen. Es ist der Versuch, quasi den Ursprungsprozess der Musik mitzugestalten, also im Hören auf eine ganzheitliche Weise mitzugehen und nicht abzuschweifen von dem jeweils gehörten Ton. Da gibt es ein ganz schönes Wort von Celibidache, der sich mit diesen Dingen ja intensiv beschäftigt hat. Der hat mal gesagt: Wenn es dazu kommt, dass Sie sich wirklich einmal vom Denken befreien und dem Ton, dieser mysteriösen, dämonischen Erscheinung unmittelbar folgen können, folgen, nicht nur etwas nachgehen, sondern niemals sich von der Erscheinung trennen, das heißt im Hören tatsächlich immer im Moment dessen, was erklingt, zu sein. Was also eine ganz große Aufmerksamkeit erfordert und wahrscheinlich nur geht, wenn auch eine gewisse Inspi­ration, eine gewisse Emotionalität vorliegt. Denn wenn die Musik nicht wirklich den Menschen elementar ergreift, dann hat er Schwierigkeiten, sich überhaupt auf diese Ebene einzulassen. Also im Grunde dann, der unmittelbarste Vorrang ist es, eine Musik zu nehmen, zu der man einen emotionalen, spontanen Zugang gewinnen kann. Nur dann hat man überhaupt eine Chance, dass man in diese Schicht hineinkommen kann.

Nun gibt es zu dieser Art von Musik-Meditation Hilfsmittel, Übungen. Ich habe in meinem Buch am Ende des Buches 25 dieser Übungen zusammengestellt, zum Teil ganz einfache Übungen, die man machen kann, mit denen man quasi arbeiten kann, die einem helfen können, in diese Musik reinzukommen, wenn man es denn überhaupt möchte, das ist klar, wenn man nicht von vornherein Musik nur begreift als ein ästhetisch-intellek­tuelles Vergnügen, was es ja auch ist, oder als eine rein emotionale Aufwühlung oder schlicht und ergreifend als ein Hintergrundgeschehen, was eben einfach mitläuft zum Frühstück, etwa Klassik SFB3, Klassik Plus, ist ja auch nicht schlecht, aber das ist ein anderes .., sozusagen eine ganz andere Ebene, die da ins Spiel kommt.

Ich denke, dass wir jetzt einmal ein bisschen in die nach dem langen Theoretischen, ein bisschen versuchen, sag ich mal, in aller Vorsicht, in die praktische Ebene reinzu­kommen. Und wir wollen es mal ein bisschen angehen, obwohl wir hier keinen freien Raum haben, und wir kommen also jetzt in den eher praktisch orientierten Teil hinein. Und ich möchte jetzt einen langsamen Satz, den Teil eines langsamen Satzes einspielen lassen, die sechste Sinfonie von Bruckner, langsamer Satz, und einfach mal darum bitten, dass Sie, wenn es möglich ist, wenn Sie mir mal einen Moment die Leitung überlassen, wenn Sie es nicht machen wollen, dann ist es auch nicht weiter schlimm, wenn Sie sich vielleicht gerade in Ihren Sessel setzen, möglichst die Wirbelsäule gerade gerichtet, nicht hängen, weil der Brustkorb dann zusammengedrückt wird, sondern gerade sitzen und ohne Krampf und die Schultern möglichst entspannt lassen und die Hände wie Sie wollen. Sie müssen nicht die traditionelle oder klassische Handhaltung verwenden der ineinander gelegten Hände wie auf den Buddhastatuen. Das ist eine Hilfe, das muss aber nicht sein. Einfach mal gerade sitzen, Schultern entspannt und zunächst mal nichts weiter machen als ganz zu hören – total listening. Einfach gucken, was passiert eigentlich, wenn was passiert. Ich weiß, dass das schwierig ist in so einem Vortrag ganz plötzlich auf Knopfdruck. Knopfdruck heißt, ja nun hör mal ganzheitlich. Das ist natürlich nicht möglich, weil das bedarf es eines bestimm­ten Seminar-Zusammenhangs, das weiß ich, das wissen Sie auch. Das können wir hier nicht realisieren, das ist unmöglich. Insofern hat es einen Versuchscharakter. Also wir versuchen mal einfach in diese Musik reinzugehen, einfach zuhören und mit der Musik als erste elementarste Übung einfach mitgehen, nicht abschweifen, mit der Musik mitgehen, ganz wach, ganz bewusst, ganz präsent und nicht darüber räsonieren oder intellektualisieren.


Können wir vielleicht mal den Bruckner hören, den langsamen Satz?

(…) Ich gebe Ihnen einen kleinen .., sozusagen kleines Experiment, was Sie zu Hause selber probieren können. Versuchen Sie mal diese Musik zum Beispiel oder eine andere Musik, die Ihnen emotional etwas bedeutet, so zu hören wie jetzt, sitzend, und dann dieselbe Musik, einmal, indem Sie sich vollkommen flach auf den Boden legen, ganz platt und plan auf den Boden legen, die linke Hand auf die Brust, die rechte Hand unterhalb des Bauchnabels und möglichst nur ruhig atmen und so bewegungslos wie nur irgend möglich zu liegen. Und Sie werden feststellen, dass die Musik plötzlich, wenn sie eine gewisse Lautstärke hat, das kann man dann vielleicht in der Wohnung nicht immer realisieren, da muss man einen Kopfhörer dann vielleicht nehmen, dass Sie dann eine ganz andere Schwingung dieser Musik hören. Die bekommt dann eine ganz andere Form von Körperlichkeit und gleich­zeitig hören Sie ganz andere Sachen, die Sie vorher nicht gehört haben. Eine andere Mög­lichkeit zum Beispiel ist, dass Sie dieselbe Musik einfach in der Bewegung mitvollziehen, also einfach diese melodischen Figuren, ganz wie es ihnen kommt, mitvollziehen, nachvoll­ziehen. Auch dann kann man eine ganz andere Form von Wahrnehmung entwickeln, und man lernt plötzlich in dieser Musik, in jeder Musik, Schichten kennen, von denen man vorher überhaupt nichts gewusst hat. Das ist verblüffend, weil normalerweise das Hören ja das sitzende Hören ist, es sei denn, man liegt dann auch mal auf der Couch oder sonst etwas. Aber das normale Hören ist das sitzende Hören, es sei denn, man ist Musiker und praktiziert also Musik. Aber es ist also wichtig, dass man sich ein kleines, sagen wir mal, Ritual zurechtbastelt für diese Art hören, das kann ein kleiner Verfremdungseffekt sein, was weiß ich, ein Räucherstäbchen oder oder auch eine bestimmte Beleuchtung, wie immer. Man kann das in einer bestimmten Weise verfremden, um aus der Alltäglichkeit rauszukommen. Das ist wichtig, um einen gewissen Bruch zur Alltäglichkeit herzustellen. Und dann einfach gucken, was passiert mit mir. Das sind die elementarsten Übungen erst einmal für den Anfang. Das können Sie mit einem Bruckner machen, das können Sie mit Beethoven, mit Mozart machen, mit Mahler, im Grunde mit jedem bedeutenden, im Grunde mit jedem beliebigen Komponisten überhaupt. Bloß manche Komponisten sind weniger geeignet in diesem Zusammenhang. Wir können hier nicht tänzerische Dinge praktizieren. Wir können bestimmte Bewegungsvorgänge hier nicht miteinander üben, die ganz elemen­tar eigentlich Vorstufen wären. Und liegen können wir hier jetzt auch nicht, aber wir müssen es also halt mal im Sitzen probieren ,und wir gehen jetzt noch mal in eine voll­kommen andere Musik rein. Von einem zeitgenössischen Komponisten, der in Berlin lebt, ein Este, Arvo Pärt, der ein kurzes Stück geschrieben zum Gedenken an den Tod von Benjamin Britten, den er sehr schätzte, den bedeutenden englischen Komponisten, der 1976 verstorben ist, ein Cantus in memoriam von Benjamin Britten. Ein kurzes Stück, das können wir ganz hören. Es dauert nur fünf Minuten, und Arvo Pärt ist als Este ein extrem spiritueller, ein extrem religiöser Mensch, der ganz bewusst auch die spirituelle Dimension in die Musik einbezieht, auch moderne serielle Musik komponiert hat, aber zunehmend mehr die Musik zurückführt in gewisser Weise auf ihren Ursprungsgrund und sich zuneh­mend getrennt hat von der seriellen Avantgarde-Musik, obwohl er das auch kann und lange Jahre auch gemacht hat. Wir hören also jetzt mal, ein Stück von Arvo Pärt, „Cantus in memoriam Benjamin Britten“, und ich darf Sie bitten wieder, dass Sie möglichst mit gerader Wirbelsäule sitzen, Schultern entspannt und vielleicht im Atem ein ganz klein bisschen beim Ausatmen einen leisen Druck auf den Unterbauch ausüben und eine ganz kleine Pause machen. Das hat einen großen Effekt für den Körper, wer das mal getestet hat, also Ausatmen, ganz kleinen Druck auf den Unterbauch und dass der Atem von alleine dann wieder hochsteigen kann. Wenn Sie das nicht schaffen, ist nicht schlimm. Es soll nun wahrlich kein Krampf daraus gemacht werden, zumal jetzt in diesem Zusammenhang. Also wir versuchen es einfach mal in die Musik quasi reinzuatmen und uns davon durchdringen zu lassen in diesen Atemprozess. Also Arvo Pärt, „In memoriam Benjamin Britten“.

(…) Sie können derartige Hörerlebnisse zum Beispiel, indem sie so einen Satz, wie eben gehört, aufnehmen, intensivieren, indem Sie vorher vor dieser langen, langsamen Phase eine sehr vehemente, sehr schnelle Phase tanzen. Also man kann das so organisieren, wenn man dann die Zeit sich nehmen will, überhaupt zu so etwas, wenn man das nicht für völlig verrückt hält. Und wenn man das überhaupt möchte, dann kann man eine sehr vehemente, schnelle Musik, zum Beispiel ein Mozart, den Schlusssatz aus der Jupiter-Sinfonie etwa, eine wunderbare Tanzmusik, eine sehr vehemente Weise tanzen und dann ein Stück danach, was auch Bewegung enthält, aber eine etwas langsamere Bewegung. Und dann in diese Art von Musik reingehen – und dann im Liegen. Auch das ist jetzt theoretisch leicht dahingesagt. Das ist einfach eine Frage der Erfahrung. Das kann man in der Gruppe machen, das kann man zusammen machen. Elementar schnelle Bewegung, eine ruhige Bewegung und in der Schlussphase einfach liegen und dann eine Weile schweigen und dann gucken, wie da was mit dem Körper auf diese Weise passiert. Auch da kann man sich kleine Rituale schaffen und sich Musik zusammenstellen und versuchen, den Alltag ein Stück weit erst einmal draußen zu lassen, wenn man das möchte. Schön ist das zu zweit oder zu dritt. Man kann es aber genauso gut auch alleine machen.

Hinweis: Der weitere Teil des Vortrags wurde wegen der für eine Transkription unzureichenden Audioqualität nicht weiter bearbeitet. Das gilt auch für die sich dem Vortrag anschließende Diskussion.

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