Tiefenökologie – Der Neue Bund von Mensch und Pflanze

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 46

Transkript als PDF:


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Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zu dieser zehnten und nunmehr für das Sommersemester auch letzten Vorlesung zum Thema: Der Mensch, das Licht und die Pflanzen. Ich habe in früheren Semestern oft das Verfahren gewählt, am Ende des Semesters die Grundthemen, Motive noch einmal anklingen zu lassen und gewissermaßen eine Conclusio, eine Art Zusammenfassung zu bringen. Das mache ich heute nicht. Ich werde, wie ich Ihnen das schon angekündigt habe, ein eigenständiges Thema behandeln, das natürlich vielfältige Bezüge hat zu den anderen Themen. Aber ich gebe nicht eine conclusio-artige, thesenartige Zusammenfassung unserer bisherigen Abende hier über dieses Thema.

Ich habe das heute Abend genannt, aus guten Gründen: „Der neue Bund von Mensch und Pflanze“ als Hauptzeile und dann im Untertitel: „Wie können wir uns den Pflanzen geomantisch, tiefenökologisch und existenziell neu verbinden?“ Geomantie ist eine Strömung, die alt ist in der Menschheitsgeschichte, die in den letzten Jahren zunächst einmal über China, Feng Shui und so weiter eine gewisse Popularität erlangt hat. Sie wissen vielleicht, im deutschen Sprachraum gibt es mittlerweile seit drei Jahren diese Zeitschrift, wo ich auch mitarbeite, „Hagia Chora ‒ Zeitschrift für Geomantie“, die Internet-Freaks können auch nachschauen, www.geomantie.net, und dazu mehr. Dann habe ich Ihnen gesagt, dass ich den Fokus legen wollte auf die Frage einer möglichen Wiedervereinigung, Zusammenführung, Verschmelzung des Natürlichen und des Heiligen. Die Frage der Sakralität, die ja eine zentrale Frage ist für unser Thema, auch zu tun hat mit der Frage des Bewusstseins der Pflanzen, auch zu tun hat mit der Frage der Orte, der Plätze, der Erde überhaupt, der Frage der Resakralisierung, die ja in der tiefenökologischen Diskussion, sagen wir mal seit 10, 12, maximal 15 Jahren auch vielfältig behandelt wird, auf ganz unterschiedliche Weise. Ich bin auf die Formulierung „Der neue Bund von Mensch und Pflanze“ durch das Buch von Wolf-Dieter Storl gekommen, „Pflanzen-Devas“. Ich will Ihnen mal diese Passage vorlesen, die mir die Anregung zu dieser Themen-Formulierung gegeben hat. Das ist im Literaturverzeichnis drin, Wolf-Dieter Storl, „Pflanzen-Devas“, 1997 erschienen in der ersten Auflage, mittlerweile gibt es eine neue Auflage, da ist der Titel ein bisschen geändert, darüber habe ich gesprochen. Auf den letzten drei Seiten dieses interessanten Buches, das ich ja schon mehrfach herangezogen habe, heißt es: „Nachwort ‒ der schlimmste Krieg aller Zeiten“. Und jetzt taucht dieser Begriff hier auf. Ich lese mal einige Sätze hieraus vor, und Sie sehen daraus, wo die Quelle ist,dieses Begriffs, in diesem Kontext:

„Lautlos sind sie gegangen, die Ulmen. Die Tannen im hohen Erzgebirge, unter denen bunt gekleidete Skisportler Slalom fahren, sie sehen aus wie riesige Fischgräten. Unsere Wiesen und Felder sind eintönig grün, die blühenden Wildpflanzen verschwinden. Gifte, zynisch Pflanzenschutzmittel genannt, haben die Schmetterlinge, Bienen und Hummeln dezimiert, welche die farbenfrohen Freudenbringer zu ihrer Bestäubung brauchen. Flammen und Motorsägen machen jedes Jahr 200’000 Quadratkilometer Tropenwald nieder, eine Fläche dreimal so groß wie Bayern. Die Tiergeister und Pflanzendevas ziehen sich aus der Welt der Erscheinung zurück. Ernst Jünger drückt es einmal deutlich in einem Interview aus: ,Unser Verstand kann das Ausmaß dieses Geschehens gar nicht begreifen. Es lässt sich nicht in die gängigen Modelle und Kategorien einordnen, was über die Erde, über Midgard hereinbricht, sind mythologische, archetypische Gewalten. In die Tiefe verbannte titanische Mächte erheben sich, brechen aus, bekriegen und vertreiben die Götter, Devas. Chthonische Drachen, die Midgard-Schlange speit Feuer und Giftrauch über das Land. Diese Bilder aus uralten Mythen sind voller Aktualität. Es ist wirklich wahr, wir leben in Zeiten, in denen die in den Tiefen der Erde und im Kern der Materie gebündelten Gewalten von Leichtsinnigen oder sollen wir sagen titanisch besessenen Zauberlehrlingen entfesselt werden. Milliarden Tonnen Erdöl, Gajas Blut aus chthonischen Tiefen gepumpt und verbrannt, verpestet unsere Luft, erhitzt unsere Atmosphäre. Metalle, Schwermetalle, von roboterartigen Maschinen aus dem Bauch der Erde gerissen, nehmen Gestalt an, stampfen über den Boden, fliegen durch die Luft, umkreisen den Planeten, schleichen sich in die Nahrungskette, bohren sich in unsere Zähne. Energie aus zerfallender, zersplitterter Materie, treibt Mega-Maschinen, befeuert künstliche Intelligenz und verfängt Millionen von Menschen in die Gaukelwelten einer virtuellen Realität.’“ Und dann, am Ende heißt es hier, und jetzt taucht dieser Begriff auf: „Diese Bilder aus alter Weisheitstradition sollten uns Mut geben. Devas sind ewige Archetypen.“ Nicht, darüber habe ich öfters gesprochen. Storl ist ja der Überzeugung, dass Pflanzen-Devas makrokosmische Wesenheiten sind, die sich nur in ihrer äußersten Emanation auf der Erde überhaupt inkarnieren, Wesenheiten, die auch der menschlichen Intelligenz überlegen sind, so glaubt er. „Auch wenn sie in diesem Weltenwinter die Blümlein an Frost zu schwinden scheinen, tragen wir sie dennoch in unserem Herzen als Samenkräfte einem neuen Frühling entgegen.“ Der Weltenwinter ‒ das klingt natürlich auch an an den epochalen Winter des Schweizer Psychiaters Padrut. Er spricht ja im Zusammenhang mit der „Winterreise“ von Schubert vom epochalen Winter, so heißt eines seiner Bücher. „Es ist notwendig, uns von der titanischen Illusion zu befreien, die uns verkennen lässt, dass jede Pflanze Ausdruck “ ‒ Storl ganz dezidiert ‒ „eines Engelwesens einer göttlichen Persönlichkeit ist. Die Pflanzen-Devas rufen uns zu, sie wollen uns wachrütteln, sie wollen mit uns einen neuen Bund eingehen, sie wollen blühen und grünen, damit diese Erde wieder ein glücklicher, froher Ort wird. Denn in ihnen sind noch ungeahnte Möglichkeiten verborgen, neue Nahrungsmittel, Genussmittel, Heilmittel für Körper, Geist und Seele.“

Man mag jetzt das Pathos dieser Sätze bekritteln oder mag sich davon distanzieren wollen. Das spielt jetzt keine Rolle. Die Sache selber ist ziemlich deutlich, das greife ich auch auf. Auch wenn man diese These von den Devas als makrokosmischen Wesenheiten im Sinne von Storl und anderen so nicht akzeptieren muss, das ist auch gar nicht erforderlich für unseren Kontext.

Worum es mir geht jetzt, ist den Versuch zu machen, Ihnen zu erläutern, dass eine Wiederverwendung in diesem Sinne eine neue Verbindung, ein neuer Bund zwischen Mensch und Pflanze, damit auch zwischen Mensch und Natur, überhaupt zwischen Mensch und Erde, Gaia, Demeter nur möglich ist auf der Ebene der lebendigen Erfahrung. Das kann nicht sein eine ideologische Ebene, das kann nicht sein ein Postulat, das kann man nicht postulieren. Man kann nicht im Sinne des kategorischen Imperativs von Kant sagen, das sollte so sein. Das ist keine moralische Forderung, die man legitimerweise in die Welt stellen könnte mit der Maßgabe, dass sie nun fürderhin befolgt werden sollte. Das ist so schlechterdings nicht möglich. Man kann aber bestimmte Impulse setzen oder geben, die möglicherweise dazu angetan sind, dass einige Einzelne, von mir aus auch Gruppen sukzessive in mittelfristigen, längeren oder größeren Zeiträumen dann auch in die Lage versetzt werden, diese neue Verbindung zu leisten und damit auch diese kollektive Neurose, von der ich so oft spreche, zu überwinden. Oder die schizoide Katastrophe, die abendländische Schicksalsneurose, wie das Gottfried Benn sehr schön genannt hat, 1943. Also darum geht es hier, es geht um einige Impulse in dieser Richtung.

Es geht nicht um ein moralisches Postulat, und es geht schon gar nicht um ein Postulat, von dem man annehmen könnte, dass es in irgendeiner Form politisch mehrheitsfähig wäre. Das ist es nicht. Diese Illusion muss man sich einfach gar nicht machen. Immer wenn ich hier zu meinen Vorlesungen gehe, seit vielen Jahren gehe ich hier „Unter den Linden“ [Straße vor dem Gebäude der Humboldt Universität Berlin] entlang, dann denke ich jedes Mal, was ich hier sage im Saal ist so vollkommen abseits, so vollkommen getrennt von dem, was hier die großen Paukenschläger der Gegenwart in Technik, Wissenschaft und Medien usw. hier verkünden. Das wird mich nicht abhalten, das zu tun, hat mich nicht abgehalten das zu tun und wird mich auch in Zukunft nicht abhalten. Das muss man einfach wissen. Das ist eine bestimmte Art von seelisch-geistiger Sezession, die hier von mir initiiert wird. Gut. ‒

Was ist dieses Heilige, das Sakrale? Ein ganz schwieriger, belasteter Begriff, wie wir wissen, tausendfach missbraucht, so dass man fast schon Probleme hat, wenn man den Begriff überhaupt anführt. Was soll das denn sein? Die Sakralität eines Ortes? Die Sakralität einer Pflanze? Ist das nicht ein altes Denken was das Bewusstsein auf unserer kollektiven Stufe, aber auch auf der individuellen Stufe, längst überwunden hat? Ja und nein. Ich will Ihnen mal einige Thesen hier vorlesen, die ich in meinen Aufzeichnungen entdeckt habe. Ich habe vor viereinhalb Jahren mal einige Überlegungen aufgeschrieben zum sogenannten Sakralen oder Heiligen. Ich lese Ihnen das mal zu Beginn vor. Das können Sie vielleicht ein bisschen im Bewusstsein behalten, wenn wir dann der Frage nachgehen, wie man das Heilige, das Sakrale, von mir aus auch das Numinose, wie immer man das nun nennt, und das Natürliche zusammenschließen [kann oder könnte]. Also: „Vom Heiligen ‒ Überlegungen, Fragen, Aspekte“, habe ich damals aufgeschrieben. Das sind 14 Thesen, 19 Thesen, ich will nur einige Ihnen vorlesen, damit Sie sehen, wie man das denken kann.

„Was ist das eigentlich? Das so genannte Heilige? Was unterscheidet es vom Profanen, Alltäglichen, Gewohnten oder Gewöhnlichen?“ Und das ist ja schwierig. „Das Heilige ist immer auch das Geheimnisvolle, das Rätselhafte, das Undurchdringliche. Das Heilige entzieht sich dem rationalen Zugriff. Aber es ist nicht nur geheimnisvoll und rätselhaft undurchdringlich. Es ist auch mächtig. Das Heilige hat Macht von alters her. Es lebt aus der Macht des sehr Alten. Das Heilige kann und darf nie neu sein.“ Erste These. Also das Heilige lebt aus der Kraft des sehr Alten. „Was unterscheidet das falsch Heilige, das schlechte Heilige, siehe Hegels schlechte Unendlichkeit vom wirklich Heiligen, wenn es das geben sollte, vom authentisch Heiligen? Mache ich etwas individuell und kollektiv kulturell zum Heiligen? Sakralisiere ich ein Etwas?“ Das wäre dann eine Art Projektion, psychologisch gesprochen. Oder ist das Heilige ein Sein in eigener Kraft? Das ist ja etwas vollkommen anderes. Kommt mir da etwas aus dem Sein der Dinge selber entgegen, mit dem ich in Resonanz trete? Oder projiziere ich anthropomorph etwas in die Dinge hinein, etwa in die Pflanzen hinein? Könnte man ja sagen, der Bios, [das] Bioswesen wird anthropomorph aufgeladen mit einer quasi göttlichen sakralen Potenz. „Gibt es das Heilige oder schaffen wir das Heilige? Oder gilt beides zugleich? Wir geben, wir weisen zu, wir projizieren, und zugleich entbirgt sich das Heilige in eigenster der Substanz.“ Dritte Überlegung. „Das Heilige muss das Seltene sein, das Herausgehobene, das Singuläre. Es darf nicht zu häufig, es darf nicht überall sein.“ Das ist wichtig. Es darf nicht überall sein. Ich sage das deswegen, weil ich vor einigen Tagen einen Essay gelesen habe von der berühmten Matriarchats-Forscherin Heide Göttner-Abendroth, hier aus diesem Band „Hagia Chora“, wo sie die These aufstellt, dass in den von ihr unterstellten matriarchalen Kulturen eben grundsätzlich keine Trennung existiert habe zwischen dem Sakralen und dem Profanen. Alles war gewissermaßen sakral, könnte man auch sagen, alles war in gewisser Weise profan und sakral gleichzeitig. Als erstes Grundprinzip gilt, schreibt Heide Göttner-Abendroth, ja bekannt geworden durch ihr Buch „Die Göttin und ihr Heros“, seit Jahrzehnten ja auf diesem Sektor tätig: „Denn es ist in matriarchalen Gesellschaften keine Trennung zwischen Sakralem und Profanem. Das kennzeichnet diese Kulturform als durchgängig spirituell. Daher lassen sich, ohne etwas über matriarchale Spiritualität zu wissen, weder ihre weltanschaulichen noch ihre politischen, sozialen oder ökonomischen Muster verstehen.“ Und so weiter. Also, ich vertrete demgegenüber die These, dass das Heilige das Seltene sein muss, nach Heide Göttner-Abendroth wahrscheinlich eine typisch patriarchale These.

Viertens. „Gibt es nun das falsch Heilige? In gewisser Weise ja. Es gibt das angemaßt Heilige, die heilige Gebärde, die imperiale Gebärde heiliger Macht, des Heiligen Krieges, der heiligen Drohung. Auch das Hakenkreuz war heilig. Dem Führer galt das Heil. Das Heilige kann gesetzt werden, doch nicht vollständig. Das Falschgeld gibt es nur, weil es echtes Geld gibt, sagt sinngemäß Rumi. Wir statten das Falsche und Angemaßte mit den Attributen des echt Heiligen aus. Wir verleihen ihm die Aura der wirklich sakralen Würde. So gesehen stiften wir das Heilige.“

Fünf. „Ohne das Heilige kann es keine Spiritualität geben. Wahrscheinlich bedarf der Mensch des Sakralen. Er bedarf des Wirklichen, des eigentlichen, des gemeinten Menschen, des ganzen, des vollständigen Menschen. Er bedarf dieses hohen Bildes, um nicht unterzugehen im Meer der Bruchstücke, Treibgut der zerschmetterten und verratenen Ganzheit.“ Das erleben wir ja. Wir sehen ja überall die Fragmente, wir sehen das Treibgut der zerschmetterten und verratenen Ganzheit nun wahrlich überall. „Der Mensch ersehnt das Heil, das Heile, das Ganze, das Heilige als das Heilende. Das Fragment ersehnt die Ganzheit. Das Heilige ist oft, nicht immer, auch das berühmte Schöne, Gute und Wahre“, dieser neuplatonischen Trias. „Es ist die Manifestation dieser Trias, aber es manifestiert sich, indem es sich verbirgt. Es zeigt sich, indem es sich verschließt. Es enthüllt sich, indem es sich zurückzieht. Es zieht an und stößt doch ewig ab, so reißt sein Zauber nie ab.“ Das ist das, was ich ja immer wieder auch gesagt habe in dieser Vorlesungsreihe, dass die Natur auf eine rätselhafte Weise sich verbirgt und entbirgt, im Goetheschen Sinne geheimnisvoll offenbar ist.

Ich stieß heute beim Durchblättern einiger Bücher auf ein wunderbares kleines Goethe-Gedicht, was ich hier anführen möchte, was im Zusammenhang mit der Metamorphose der Pflanzen steht. Da heißt es in diesem Sechszeiler von Goethe:

„Müsset im Naturbetrachten

immer eins wie alles achten.

Nichts ist drinnen, nichts ist draußen.“

‒ Nichts ist nur drinnen, nur draußen ‒

„Denn was innen, das ist außen,

so ergreifet ohne Säumnis

heilig öffentlich Geheimnis.“

Wunderbar gesagt, heilig-öffentlich Geheimnis. Das trifft auch für die Natur, das trifft für die Pflanzen zu, sind ein heilig-öffentliches Geheimnis.

Acht. „Das Heilige kommt aus den Zonen des Todes. Es sendet ein Licht, das von drüben kommt. Sakralität ist Todesnähe. Das Heilige wird als groß empfunden. Es kann dich zerstrahlen, wenn du kein Widerpart sein kannst, wenn es zu groß ist für deine Kleinheit.“

Neun. „Das Heilige liegt nah am Dämonischen. In seinen letzten Ausläufern pendelt es zwischen dem Lächerlichen und dem Teuflischen. Der Teufel ist der Großmeister der falschen Heiligkeit. Das Heilige ist nicht denkbar ohne das Göttliche, ohne die Götter. Gibt es die Götter, gibt es das Göttliche, muss es auch das Heilige geben, vielleicht auch die Heiligen im Sinne von die ganzen, die vollständigen, die geglückten Menschen. Nietzsches Kritik am Typus des Heiligen ist gerechtfertigt dort, wo das falsch Heilige berührt wird. Beim wirklich Heiligen greift sie fehl.“

Zwölf. „Das Heilige droht und tröstet zugleich. Es verheißt und es verdammt. Es sendet, und es hüllt sich in undurchdringliches Schweigen. Es will nicht erkannt und geschaut werden, und will doch und zugleich gerade dies und nur dies.“

Und dann der Schluss. „Die Natur als heilig zu nehmen, einfach so, und in dem bekannten Sinne, also die Natur da draußen, führt nicht weiter, weil dann das Heilige auf eine falsche Weise in die Welt ausgegossen wird. Derart büßt das Heilige sein Tremendum ein, und ohne Tremendum ist das Heilige das, was ohnehin der Fall ist, also das Profane oder eben ein Tummelplatz des Unverbindlichen. Das Heilige ist selten und fern und verbindlich. Es duldet keine ironische Distanz. Es will dich ganz. Es will ich in Gänze durchwalten. Es will dich transformieren und beherrschen. ,Hüte dich wohl. Es ist schon spät. Es ist schon kalt. Kommst nimmer mehr aus diesem Wald‘, singt die Hexe Lorelei in dem berühmten Heine-Gedicht, das Schumann vertont hat. So ist das Heilige stets gefährlich und niemals harmlos. Wer das Harmlose will, weiß nichts vom Heiligen. Harmlos ist das Unverbindliche, und gerade das ist das Heilige nicht.“ Und so weiter. ‒

Also, einige Überlegungen vor viereinhalb Jahren von mir einmal aufgeschrieben über das Heilige. Das kann man ein bisschen jetzt im Bewusstsein behalten.

Die Frage nach dem heiligen Ort im Zusammenhang mit den heiligen Pflanzen ist uns ja bei Eleusis begegnet. Und dieses Heft hier hat das Thema „Archäologie des Unsichtbaren“. Es geht der Frage, unter anderem der Frage nach, ob bestimmte Plätze, die in vergangener Zeit eine Sakralität hatten, die Weihestätten waren, etwa Eleusis in der Bucht von Salamis, auch heute noch etwas davon spiegeln oder atmen oder manifestieren. Da gibt es etwa einen Essay von einem gewissen Robert Wallace, einem Archäologie-Professor, ein Engländer, „Wem gehören die heiligen Orte? Neo-Schamanismus als Herausforderung für die Archäologie“. Also was heißt das? Der Demeter-Kult existiert nicht mehr, seit 17, 1800 Jahren, vielleicht auch etwas weniger lang. Was heißt das? Bedeutet das, dass der Ort Eleusis, Elefsina, heute 22 Kilometer von Athen entfernt, endgültig entsakralisiert ist? Oder gibt es die Möglichkeit, an dieser Stelle anzuknüpfen an eine alte, an eine sehr alte Sakralität im Sinne dieser Weihestätte. Sheldrake zum Beispiel, in mehreren seiner Bücher, behauptet das mit einigen Gründen. Er bringt das in Zusammenhang mit seiner These von der morphischen Resonanz. Er meint tatsächlich, dass Orte dieser Art in gewisser Weise in eine Resonanz treten können mit ihrer eigenen Vergangenheit. Dass also auch viele Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende nach der lebendigen Wirklichkeit solcher Kulte etwas noch in dem Feld vorhanden ist, in der Aura, wenn man will, in einem lebendigen Ganzen, das quasi eingespeist ist. Sehr schwer diese Frage, die wird in diesem Heft hier auch ventiliert: „Archäologie des Unsichtbaren“. Was kann der Archäologe davon möglicherweise mitbekommen?

Die Frage einer Wiederanknüpfung an die Sakralität der Erde habe ich in verschiedenen Zusammenhängen dargestellt.


(Sie kommen, mich stört das nicht. Ich kann das ganz gerne auch hören, mit halbem Ohr sozusagen. Das höre ich gerne, das beschwingt mich eher.)

Also, in dem Buch „Was die Erde will“ zum Beispiel gibt es ein Kapitel, das beschäftigt sich mit dem Thema Spiritualität, Tiefenökologie und Bewusstseinsforschung. Die Herausforderung transpersonaler Erfahrung, und da gibt es einen Unterabschnitt mit dem Titel „Die Grenzerfahrungen und das Heilige“, was genau dieses Thema berührt einer möglichen Re-Sakralisierung oder Re-Integration der menschlichen Wesenheit mit Pflanzen, mit der Intelligenz der Demeter. Denn das gehört zusammen. Das habe ich ja Ihnen versucht zu verdeutlichen mit meiner Vorstellung vom Pflanzen-Selbst, das behaupte ich ja, es gibt ein Pflanzen-Selbst im Menschen, dass diese Verbindung in gewisser Weise herstellt, diesen Kontakt auf eine lebendige Weise tatsächlich ermöglicht. Das ist keine Theorie, keine abstrakte, postulierte, keine abstrakte philosophische Idee, sondern es ist eine existenzielle Wirklichkeit.

Die Grenzerfahrung, das Heilige. „Von dem Heiligen war bereits im Zusammenhang mit den heiligen Bergen und ihrer geomantischen Bedeutung die Rede. Und zweifellos ist die Frage einer möglichen Re-Sakralisierung, Wieder-Heiligung der Erde, für eine tiefenökologische Perspektive von zentraler Wichtigkeit.“ Das kann man schlechterdings nicht leugnen, dass das so ist. „Ohne einen gewissen Grad an Re-Sakralisierung wird es nicht möglich sein, Landschaften, Tiere, Pflanzen, von mir aus auch Ökosysteme vor dem brutalen Zugriff der Megamaschine zu bewahren“, der ja existiert. Ich habe das hier auf dem Bahro-Kongress vorgestern noch einmal ganz dezidiert gesagt, die ökologische Krise gibt es, auch wenn man nicht ständig von ihr redet und viele meinen, sie existiert nun gar nicht, das ist also eine Täuschung. Sie existiert wirklich, und die Megamaschine existiert auch wirklich und die Erde wird wirklich zerstört, das ist kein Phantasiegebilde, auch wenn man nicht mehr gerne davon spricht. „Es geht umfassend um Kommunikation und, ja auch das, Kommunion mit der Erde, die damit zur Erde, zu Demeter wird. Und das Kardinalproblem besteht heute und in der näheren Zukunft darin, wie sich eine echte Verbindlichkeit in der Verbindung mit der Erde herstellen lässt. Dass sie nicht verordnet werden kann, ist evident.“ Das kann man nicht, kann man ja nicht verordnen, „Du sollst“, im Sinne eines Postulats, die Pflanzen sakralisieren. Das hab ich vorhin schon angedeutet, das wäre geradezu absurd. „Das Heilige in der Natur wird wahrgenommen oder eben nicht wahrgenommen. Es hat eine kulturell gewachsene Präsenz oder eben nicht.“ Hier muss man natürlich sagen, das sage ich hier zum ersten Mal in dieser Vorlesung im Sommersemester, dass alle diese Fragen selbstverständlich immer eine starke sozial-ökologische Dimension haben, überhaupt eine soziale Dimension, natürlich auch eine strukturelle, eine institutionelle, eine politische Dimension. Das ist doch ganz klar, auch wenn diese Dinge nicht ständig von mir erwähnt werden. Das ist nicht im Belieben des hier Einzelnen gestellt. Das hat aufs Ganze der Wirkenden immer auch eine sozial-ökologische Komponente. Der eleusinische Demeter-Kult in der Antike war auch ein sozial-ökologisches Phänomen. Es wurde nicht deswegen über Jahrtausende, über anderthalb tausend Jahre praktiziert, weil das eine tiefe Erfahrung für Einzelne war, das war auch eine soziale Verbindung, die immer wieder neu hergestellt wurde, sonst hätte sich der Kult gar nicht halten können.

Also, „es hat eine kulturell gewachsene Präsenz oder eben nicht. Verbindlichkeit kann sich nur durch Erfahrung herstellen. Und da helfen zum Beispiel Rituale, geomantische, an alte spirituelle Traditionen anknüpfende, diese aber zugleich überschreitende Gemeinschaftsübungen. Ralph Abraham, ein kalifornischer Mathematiker, der sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigt hat, sagt, und dem möchte ich im Grunde zustimmen. Zitat Ralf Abraham: ,Ich glaube, das Wichtigste, was wir tun müssen, um die Welt zu retten oder wenigstens um Hoffnung in dieser Richtung haben zu können, ist die Neu-Anknüpfung an das Heilige. Der fallen gelassene Faden dieser Verbindung muss für einen größeren Teil der Menschheit wieder aufgenommen werden. Dieses Programm nenne ich, sagt Abraham, die Wiederheiligung der Erde.‘

Soweit ich weiß, gibt es nur wenige Vorschläge zu direktem Handeln in dieser Richtung.“ Jetzt entscheidend. „ ,Der Kernpunkt‘, immer noch Abraham, ,ist eine tatsächliche Verbindung mit dem Heiligen. Ich glaube nicht, dass wir eine archaische Erneuerung bekommen, indem wir einfach zurückgehen.’“ Von der archaischen Erneuerung spricht zum Beispiel der vor zwei Jahren verstorbene Neo-Schamane und Psychologe Terence McKenna, der in Hawai gelebt hat. Also „,ich glaube nicht, dass wir eine archaische Erneuerung bekommen, indem wir einfach zurückgehen. Wir müssen unsere Archäologie des Wissens zu dem Punkt treiben, wo wir das Wesen dessen begreifen, was damals geschah und es dann in moderne Formen umsetzen.’“ Also nicht einfach eine Wiederanknüpfung, eine Wiederauflage alter Kulte, etwa alter Mysterienkulte, die ganze Frage nach einem neuen Eleusis. Das kann so nicht gehen. Das kann auch nur zu einem Programm werden, das scheitern muss in dieser Form. Zitat Ende.

„Wir müssen, um die Formel von Sloterdijk aufzugreifen, einen ritualisierten Grenzverkehr mit der Erde ins Werk setzen. Ein Grenzverkehr, der ja ein sinnlicher, physischer und ein übersinnlicher, metaphysischer zugleich ist. Ohne Gaia bleibt auch Demeter stumm oder unsichtbar. Wir brauchen so etwas wie einen neuen Demeter-Kult, und der ist nicht im Handstreichverfahren zu gewinnen. Und es ist schon schwierig, auch nur [in] die Nähe dieser Möglichkeit zu gelangen. Zu schwer lastet noch immer auf uns allen, was Gottfried Benn als zentrales Verhängnis bezeichnet hat, die Trennung zwischen Ich und Welt, die schizoide Katastrophe und damit das fortgesetzte Ringen um den Begriff Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die sich eben nicht mehr von selbst versteht, die abhanden gekommen ist.“ Das muss man in aller Schärfe und schmerzlichen Schärfe sagen: Es geht wirklich um eine, um die oder eine Wiedergewinnung, eine Wiedereinführung auch an die Wirklichkeit. Das ist einer der schwierigsten Begriffe überhaupt. Was ist Wirklichkeit?

Wie können wir überhaupt wirklich werden, wo wir offenbar uns so in eine Unwirklichkeit hineinmanövriert haben … „die abhanden gekommen ist oder in der wir Fremde geworden sind, Outcasts, heimatlose Zigeuner, Winterreisende. Die ökologische Krise ist ein überwältigender Ausdruck von Wirklichkeitsverlust. Den epochalen Winter ‒ Padrut ‒ kann man nicht einfach an einen alten, längst erloschenen Kult in neuer Form auf neuer Ebene anknüpfen, auch nicht mit Psychedelika, wie Terence McKenna meint. Gleichwohl gibt es hier einen machtvollen Impuls, der nur noch keine kulturell verbindliche und überzeugende Gestalt gefunden hat.“ Das glaube ich. Es gibt diesen Impuls und darauf vertraue ich auch. Sonst wäre es ein müßiges Reden ohne dieses Vertrauen. „Ohne Eleusis, ohne den eleusinischen Demeter-Kult und zwar in seiner Substanz jenseits der konkreten Form im antiken Griechenland wird es nicht möglich sein, die integrale Tiefenökologie sozial zu verankern, ihr eine soziale Form zu verleihen.“ Das habe ich Ihnen ja dargestellt, dass der Demeter-Kult auf eine einzigartige, menschheitsgeschichtlich einzigartige Weise die Verbindung hergestellt hat zwischen einem Mutter-Mysterium, einem Erdmutter-Mysterium in Verbindung mit dem Kreislauf der Pflanzen am Beispiel des Korns ‒ und einer Initiation, dem ständig aufs Neue, Jahr für Jahr aufs Neue verwirklichten Durchgang durch die Todesschwelle, durch ein Todeserlebnis. Das berichten ja, oder es wird ja von den Initianden berichtet, ohne dass wir im Einzelnen wissen, was passiert war. Wir haben über diese Fragen ja gesprochen, ob in Eleusis möglicherweise eine psychotrope Substanz verwendet wurde. Wir wissen es nicht. Keiner weiß das, aber eine Möglichkeit zumindest besteht. Dass es sich so verhalten hat. „Psychoaktive Substanzen als Reagenzien des Heiligen ‒ Sloterdijk ‒ das bedarf der näheren Bestimmung. Es ist schwierig, in einer weitgehend hysterisierten Öffentlichkeit der schlichten Tatsache Ausdruck zu verleihen, dass bestimmte psychoaktive Substanzen, Psychdelika, auch heute noch in der Lage sind, Bewusstseinszustände zu induzieren, die eine echte Erfahrung des Sakralen ermöglichen.“ Eine zentrale These des Buches „Die Speisen der Götter“ von Terence McKenna, das auch im Literaturverzeichnis angegebenen ist.

Gut, ich will jetzt auf Terence McKenna eingehen. Ich habe noch mal sehr gründlich mir dieses Buch „Die Speisen der Götter“ angeschaut für diese Vorlesung und will da anknüpfen. Terence McKenna hat in diesem interessanten Buch, das vor zehn Jahren erschienen ist, den Versuch gemacht, genau dies, was ich hier als Thema formuliert habe, in den Mittelpunkt zu stellen, nämlich folgende Frage: Welche Möglichkeiten gibt es für den Menschen heute, auf eine authentische Weise, sich wieder den Pflanzen zu verbinden und damit, und dem stimme ich vom Wort her zumindest zu, und damit auch zu verbinden mit der Intelligenz der Erde, mit der Intelligenz von Gaia. Dass es auch andere Möglichkeiten gibt, ist schon immer wieder angeklungen. Denken Sie an meine Überlegungen und Aussagen zur Phänomenologie, nicht, zur denkenden Anschauung im Sinne von Goethe, die bei McKenna überhaupt keine Rolle spielt. Nicht, das scheint ihn gar nicht zu interessieren, was eine Schwäche dieses Buches ist. Aber das soll uns nicht daran hindern, trotzdem auch die Stärken einmal zu betrachten.

Wir haben ja im Zusammenhang mit den psychoaktiven Pflanzen vor einer Woche die Frage auch gestellt: Wie ist es möglich, dass bestimmte Pflanzen in der menschlichen Psyche solche unglaublichen Auswirkungen haben können? Also wie ist es möglich, dass dramatische, dass Bewusstsein überflutende, überwältigende Vorstellungen, Imaginationen und Durchbrüche passieren? Das wissen wir nicht. Das weiß niemand. Auch Albert Hofmann, der große Chemiker, und auch Richard Schultes, der Ethno-Botaniker, sie sagen, andere sagen es auch, es ist ein Mysterium. Wenn man chemisch das analysieren kann, herausdestillieren kann, das kann man ja mittlerweile, das bleibt trotzdem das Mysterium. Letztlich weiß niemand, warum das so ist. Es ist eine Frage, die wahrscheinlich zu tun hat mit den Tiefen der kosmischen Entwicklung überhaupt. Aber letztlich ist es unbekannt. „Die Verwendung von Pflanzen“, schreibt Terence McKenna in dem Buch „Die Speisen der Götter“ „wie die oben beschriebenen, wird uns helfen, das kostbare Geschenk einer Partnerschaft mit Pflanzen zu verstehen, das zu Beginn der Zeit verlorenging. Viele Menschen sehnen sich danach, an diese Tatsache über ihre wahre Identität herangeführt zu werden. Diese grundlegende Identität ist es auch, die von einer halluzinogenen, psychoaktiven Pflanze deutlich angesprochen wird. Die eigene wahre Identität nicht zu kennen, bedeutet, ein sich wie wahnsinnig gebärdendes, seiner Seele beraubtes Ding zu sein, ein Golem.“ Das ist nun sehr scharf und radikal formuliert, aber kaum ernsthaft zu entkräften.

Ohne ein Verständnis der eigenen Identität ist man eigentlich ein Ding, ein an der Seele beraubtes Ding, ein Golem. „Und tatsächlich lässt sich dieses Bild, so widerlich es auch nach Orwell klingt, auf die Masse der Menschen anwenden, die heute in den hochtechnisierten industriellen Demokratien leben. Ihre Authentizität besteht aus ihrer Fähigkeit, die durch die Medien vermittelten Veränderungen im Lebensstil der Masse zu befolgen und mitzumachen, von minderwertiger Nahrung und dem Müll aus den Medien überschüttet, eingebettet in die politischen Machenschaften verkappter Faschisten, sind sie dazu verdammt, ein vergiftetes Leben mit geringer Bewusstheit zu führen.“ Ja, nun wollen wir mal den McKenna dann auch so zu Wort kommen lassen. „Durch den ihm täglich verordneten Schuss einer Dosis Fernsehen ruhig gestellt, sind sie lebende Tote, die außer zum Akt des Konsums zu nichts mehr fähig sind.“ Das mag sehr radikal klingen. Niemand wird ernsthaft leugnen, dass ein Gran Wahrheit da drin steckt. Man kann es noch radikaler übrigens formulieren, als es McKenna macht. Es ist auch gut, dass man mal die Dinge so in dieser Radikalität betrachtet, weil, das muss man, weil man sonst sich des Zugangs oder des Verständnisses [ver-]/be-gibt, wie überhaupt diese Zugänge möglich sind. Es ist ja nicht so, dass diese Zugänge einfach so gegeben sind. Das sage ich ja auch immer wieder. Es ist ja nicht so, dass man einfach einen reinen, einen unverfälschten, einen nicht kontaminierten Zugang haben könnte, eröffnen könnte, einfach so, das geht nicht. Wir alle sind Erben einer langen Bewusstseinstradition und müssen auch mittels des Denkens, mittels der intensiven geistigen Beschäftigung diese eigenen Voraussetzungen versuchen zu verstehen, in das Dickicht der eigenen Voraussetzungen eintauchen. Dabei bleibe ich, das habe ich immer wieder gesagt. Das muss ich auch immer wieder sagen, um einer Illusion nicht aufzusitzen, als ob das einfach wäre, als ob man das eben so mal realisieren könnte.

„Es ist für uns an der Zeit, in einen Dialog zu treten, der auf einer objektiven Einschätzung dessen beruht, was unsere Kultur tut und bedeutet. Noch weitere 100 Jahre so zu tun, als wäre alles in Ordnung, ist undenkbar. Dogmen und Ideologien sind überholt. Ihre bösartigen Annahmen erlauben uns, die Augen vor unserer abscheulichen Destruktivität zu verschließen und selbst jene Ressourcen zu plündern, die eigentlich unseren Kindern und Enkeln gehören. Unsere Spielzeuge belügen uns nicht. Unsere Religionen sind nicht viel mehr als Wahnvorstellung. Unsere politischen Systeme sind ein groteskes Nachäffen dessen, was wir ursprünglich damit beabsichtigten. Hilfe aus der Natur bedeutet zu erkennen, dass religiöser Impuls nicht durch ein Ritual und noch weniger durch ein Dogma befriedigt wird, sondern vielmehr durch“ ‒ jetzt seine These ‒ „fundamentale Erfahrung, die Erfahrung der tiefen Symbiose mit psychoaktiven Pflanzen und anderen und dass durch sie das Erlebnis einer Symbiose mit der Gesamtheit planetarischen Lebens.“

Das ist nun seine sehr radikale, vollkommen kompromisslos hingestellte These, dass die ritualisierte Neubelebung psychoaktiver Substanzen eine Möglichkeit wäre, sich der Intelligenz von Gaia auf neue Weise zu vergewissern, jenseits religiöser Überzeugungen. Das hat er kompromisslos und direkt vorgetragen. Das hat ihm natürlich viel Kritik eingetragen, als sei er nun ein Propagandist der Drogen. Das ist viel zu vereinfacht gesagt. Es geht bei ihm um einen ganz bestimmten Zugang, der nicht einfach zu benennen und schon gar nicht einfach zu praktizieren ist. „Nun müssen wir uns die gesuchte und gefundene Antwort ansehen. Vor uns flackert eine Dimension auf in diesen Erfahrungen, die so gewaltig ist, dass sich ihre Umrisse kaum noch im menschlichen Koordinatensystem fassen lassen. Unsere tierhafte Existenz, unsere planetarische Existenz geht ihrem Ende entgegen.“ Das glaubt er, nicht, das hat er immer wieder gesagt, er glaubt, dass das nicht mehr lange weitergehen kann. „In geologischen Zeiträumen gerechnet ist dieses Ende jetzt nur noch wenige Augenblicke entfernt. Unsere Zukunft liegt im Bereich des Geistes. Die einzige Hoffnung unseres erschöpften Planeten auf ein Überleben besteht darin, dass wir uns in diesem Geist wiederfinden und aus ihm einen Freund machen … werden lassen, der uns wieder mit der Erde vereinigen kann. Es ist ein um ein Vielfaches größerer und radikalerer Wandel als je zuvor, steht uns unmittelbar ins Haus. Schamanen haben die Gnosis der Erreichbarkeit des Anderen über Jahrtausende hinweg bewahrt. Die Konsequenzen dieser Situation beginnen sich erst gerade zu entfalten.“

Also, er meint, dass es eine Möglichkeit gibt, über die Pflanzen, über die Verbindung mit ganz bestimmten psychoaktiven Pflanzen, eine elementare, eine existenzielle, eine wirkliche Verbindung mit Gaia zu erreichen. Ich sage es nochmal, Terence McKenna weiß nichts von einem denkenden Anschauen, Schauen im Sinne von Goethe. Diese Gedanken sind Ihnen viel zu, sagen wir mal, distanziert, nüchtern, wenn man das so nennen will. Aber, man kann diese Ansätze miteinander verbinden, und das ist ja auch etwas, was ich in dieser ganzen Vorlesungsreihe versucht habe, diese ganz verschiedenen Ansätze zusammenzuschließen. Synergetisch von mir aus, um ein wunderbares Modewort mal zu verwenden. (…)

… hier das genaue denkende Beobachten, wo auch immer wieder die Sakralität der Natur zum Tragen kommt. Das finden Sie in allen Goethe-Ausgaben der Gedichte, die berühmte Metamorphose der Pflanzen. Nur mal einige Zeilen hierzu:

„Dich verwirrt, Geliebte, die tausendfältige Mischung

des Blumengewühls über dem Garten umher.

Viele Namen hörest du an, und immer verdränget

mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.

Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleicht der andern;

und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz.“

Und dann heißt es später:

„Und dem Reiz des Lichts, des heiligen, ewig bewegten

gleich den zartesten Bau keimender Blätter entfiel.“

Und das Licht hier als heilig, und dann sehr schön am Ende, denn man müsste eigentlich das ganze Gedicht vorlesen, interpretieren, das wäre eine eigene Vorlesung, das mache ich jetzt nicht. Wunderbares Gedicht.

„Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.

Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze,

jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.

Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern“

‒ die Buchstaben der Göttin, sagt da der Goethe ‒

„Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.“

Also die Pflanzen, die Metamorphose der Pflanzen als eine Manifestation des geheimen Gesetzes der Dinge, der Göttin heilige Lettern, der Göttin heilige Buchstaben, ganz im Sinne dessen, des geheimnisvoll Offenbaren, wie das bei Goethe ja immer wieder zum Ausdruck kommt.

Bei dieser Frage der Beziehung zu den Pflanzen ist man immer an einem entscheidenden Punkt. Man kommt immer an einen entscheidenden Punkt, der auch schon verschiedentlich angeklungen ist. Man kommt nämlich immer an den Punkt der ontologischen Barriere zum Pflanzenreich, die es ja gibt, und man kommt an den Punkt der menschlichen Selbst- oder Ichhaftigkeit. Gibt es eine Möglichkeit, das habe ich ja verschiedentlich gefragt, eine Re-Sakralisierung, eine Re-Integration in die Intelligenz von Gaia, eine Wiederverbindung mit den Pflanzen ohne die Errungenschaft des Selbst, des Ich-Impulses aufzugeben? Das halte ich in der Tat für eine ganz große Errungenschaft der geistigen Entwicklung, der geistigen Evolution im Sinne auch von Ken Wilber, Spirit of Evolution, dass eine integrierte Ichhaftigkeit entstanden ist. Das ist nicht zu verwechseln mit dem verdünnten und pervertierten Ego des modernen Menschen, sondern das ist das Selbst, das Ich in der Tiefe. Und da liegt eine entscheidende Stelle. Das muss man immer mitbedenken, damit man nicht bei dieser Frage in einen, sagen wir mal, regressiven, in diesem Sinne dann neo-schamanischen, regressiven Schub hineinkommt.

Nochmal Terence McKenna, der an dieser Stelle zumindest sehr nahe kommt an diese Art von regressiven Schub, obwohl er dann auch wieder andere Äußerungen hat, wo er das zurücknimmt. Aber er kommt da sehr nah. Ich lese mal nur zwei Stellen vor, wo das ganz deutlich wird, dass er eine Bewusstseinsevolution in diesem Sinne nur mit großen Einschränkungen überhaupt akzeptiert. Er meint ja geradezu, man muss da anknüpfen und dann hätte man diese Re-Integration geleistet, was ich ja auf gar keinen Fall glaube, weil das einfach nach meiner Überzeugung eine pure Illusion ist. „Der weltweite Triumph westlicher Wertvorstellung bedeutet, dass wir uns als Spezies“, meint er, „wegen des Fehlens einer Verbindung zum Unbewussten in einem Zustand anhaltender Neurose verloren haben.“ Zugegeben, das ist so, auch er spricht von einer kollektiven Neurose. Wenn wir durch die Verwendung bestimmter psychoaktiver Pflanzen Zutritt zum Unbewussten erhalten, bekräftigt das unsere ursprüngliche Bindung an den lebendigen Planeten“, hebt also in diesem Sinne, meint McKenna, die Neurose auf. „Und zur Entfremdung von der Natur und vom Unbewussten verfestigte sich vor etwa 2000 Jahren, und zwar in der Zeit des Übergangs vom Zeitalter des großen Gottes Pan in das der Fische, in der auch die Unterdrückung der heidnischen Mysterien durch den Aufstieg des Christentums erfolgte.“ Darüber haben wir auch gesprochen, dass das Christentum massiv gegen den eleusinischen Demeter-Kult vorgegangen ist, aus verschiedenen Gründen.

„Die psychologischen Veränderungen, die sich daraus ergeben, hinterließen eine europäische Zivilisation, die mit starrem Blick auf zwei Jahrtausende religiösem Wahn, Verfolgung, Krieg, Materialismus und Rationalismus zurückschaut, die in die moderne Zeit hineingetragenen monströsen Kräfte des wissenschaftlichen Industrialismus, der Weltpolitik, entstanden, als sie symbiotischen Beziehung mit den Pflanzen zerschlagen wurden.“ Das ist sicher richtig, als die symbiotischen Beziehungen mit den Pflanzen zerschlagen wurden und damit die symbiotischen Beziehungen überhaupt mit Gaia, mit Demeter, auch mit der Intelligenz von Gaia. Aber auch darüber haben wir schon gesprochen. Bis zu einem gewissen Grade war es notwendig zur Herauskristallisierung des mentalen Selbst, diese Verbindungen abzuschneiden. Ich habe das ja ausführlich im Zusammenhang mit der Bewusstseinsgeschichte und [in] „Was die Erde will“ dargestellt. Da habe ich auch nichts von zurückzunehmen.

„Schreckliche Angst vor dem Sein war der Nährboden für die Entstehung des Christentums, dieses Kultes einer endgültigen Vorherrschaft des entfesselten männlichen Egos.“ Ganz dezidiert sagt er das. „Die Abkehr von Riten, die mit visionären Pflanzen das Ego auflösen, macht es möglich, dass das Ziel einer anfänglich auf individueller Ebene vollzogenen schlechten Anpassung zum Leitbild des gesamten gesellschaftlichen Organismus wurde. Der Drang nach einheitlicher Ganzheit innerhalb der Psyche, der in hohem Maße instinktiver Natur ist, kann trotzdem pathologisch werden, wenn ihm in einem Kontext nachgegangen wird, indem die Auflösung von Grenzen und die Wiederentdeckung des Seinsgrundes unmöglich gemacht wird. Der Monotheismus wurde zum Überträger des dominatorischen Herrschaftsmodells, dem apollinischen Modell vom Selbst als sonnengleich, um seinen männlichen Ausdruck vollständig. Dieses pathologische Modell hatte zum Ergebnis, dass der Wert und die Kraft der Emotion und der Natur entwertet und durch eine narzisstische Faszination vom Abstrakten und Metaphysischen ersetzt wurde. Diese Einstellung hat sich als zweischneidiges Schwert erwiesen. Sie hat der Wissenschaft die Macht verliehen, Erklärungen zu liefern und sie in die Lage versetzt, moralisch bankrott zu gehen. Energisch leugnet der Monotheismus die Notwendigkeit einer Rückkehr zu einem Kulturstil“, ‒ das ist eine Bemerkung hier von McKenna ‒ „der das Ego und dessen Wertvorstellungen regelmäßig in die richtige Perspektive rückt und zwar durch den Kontakt mit einem Grenzen auflösenden Eintauchen in das archaische Mysterium einer von Pflanzen hervorgerufenen und daher mit der Mutter verbundenen Ekstase und Ganzheit.“

Schwierig, natürlich verständlich und auch nachvollziehbar, aber doch heikel, wenn man bedenkt, dass McKenna ja letztlich, wenn man das wörtlich nimmt, wenn man das explizit macht, nichts weiter sagt, als man müsste über die Verbindung mit ganz bestimmten visionären Pflanzen auch die mentale Ichhaftigkeit zurücknehmen, das sei herrschaftbehaftet, das sei in sich schon die Pathologie. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass da McKenna entscheidend die Dimension der Entwicklung im Bewusstsein unterschätzt oder völlig falsch einschätzt. Ich glaube, das ist ein Irrweg, der in dieser Form nicht weiterführt.

Ich darf noch einmal eine kurze Passage aus „Was die Erde will“ zitieren, wo ich mich auch zu dieser Frage nochmal äußere, zu der Frage des Ichs in dem Zusammenhang: „Wenn alles Werden, Werden hin zu Atman, Werden als Erinnerung und das augenscheinlich im Angesicht und unter der Ägide höherer Intelligenzen, wo stehen dann die Pflanzen? Wie nah sind sie noch am Ursprung? Wie scheint in ihnen das Ziel auf? Das lässt sich nur mutmaßen. Wahrscheinlich sind sie die kollektiven Träger eines kosmischen Bewusstseins.“ Das ist ja nicht das Gleiche wie die Pflanzen-Devas. Das ist sozusagen eine abgemilderte Form. Ich teile nicht diese Überzeugung von den Pflanzen-Devas. Das ist ja auch schon mal in einem Vortrag deutlich geworden. Manche mögen da enttäuscht gewesen sein. Ich habe ja auch schon da einen Anruf bekommen von einem New-Age-Bewegten, der enttäuscht war darüber, dass ich nun nicht diese Gestalten, die doch ganz eindeutig visionäre Menschen sehen können, nun hier dargestellt habe. Also eine Enttäuschung darüber. Das war ja gar nicht meine Absicht, hier in irgendeiner Form diese Überzeugung einfach so zu bedienen. Also die Vorstellung der Pflanzen-Devas in diesem Sinne von Storl halte ich für schwierig, sagen wir mal, doch wahrscheinlich für eine Projektion, so in der Form, obwohl was Wahres dran [ist], glaube ich. „Wahrscheinlich sind sie die kollektiven Träger eines kosmischen Bewusstseins, das ohne Ich oder Selbst auskommt“ ‒ das kann man nun kaum leugnen ‒ angesiedelt irgendwo zwischen Es, Wir und Ich, das Nicht-mehr-Mineral und das Noch-nicht-Tier. Dieses kosmische Bewusstsein ist nur im uneigentlichen Verständnis wirklich Bewusstsein, wie der Mensch es kennt. Es ist Seelenausdruck ohne ichhafte Seele, ohne Schmerz und Freude in unserem Sinne, aber auch im Sinne der höheren Tiere. Was die Pflanzen einfach sind, erd- und lichtverbunden und Träger eines kollektiven kosmischen Bewusstseins, müssen wir in individualisierter Form werden. In einem vom Ich getragenen Bewusstsein könnte das ichlose Wissen der höheren Pflanzen in anderer Gestalt erwachen.“

Das muss ich nochmal lesen, weil das sehr weitgehend ist. „In unserem vom Ich getragenen Bewusstsein, könnte das ichlose Wissen der höheren Pflanzen in anderer Gestalt erwachen bzw. wir könnten“ ‒ und müssten wir auch ‒ „Pflanzenwesen, an das wir ohnehin ständig angeschlossen sind über unser Pflanzen-Selbst zum bewusst und ichhaft erworbenem Wissen machen. Also ohne Regression. Es geht dabei nicht um naturmagische Rückverwandlung, nicht um diese Art Schamanismus, die es ja analog auch in Bezug auf das Tierreich gibt, sondern um einen Neo-Schamanismus ganz neuer Prägung, wenn der Neo-Schamanismus überhaupt das richtige Etikett ist.“

Das heißt nun auch wieder nicht, dass man derartige Erfahrungen auch einer ekstatischen Überschreitung des Selbst nun mit einem Etikett vorschnell versieht, im Sinne einer nur naturmystischen Erfahrung einer vergleichsweise niederen Stufe. Das glaube ich, wird diesen Erfahrungen nicht gerecht. Man muss versuchen, diese Art ekstatischer Entgrenzungserfahrung, die es ja gibt, ernstzunehmen, ohne in gewisser Weise im Sinne des Neo-Schamanismus, der ja weltweit existiert, ohne im Sinne dieses Neo-Schamanismus regressiv zurückzugehen, sondern vorausgehen, trotz aller Pathologien. Und das ist ein heikles Thema. Das werden Sie auch von mir hier nicht erwarten, dass ich nun pauschal und plakativ ihnen sozusagen Methoden an die Hand gebe, wie man das machen kann. Das wäre absurd. Es gibt ganz viele Bücher darüber, die sagen, wie man das machen könnte. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich habe hier eine ausführliche Literaturliste Ihnen gegeben, da kann man auch nachschlagen, da kann man forschen, wenn man das möchte. Also, das ist ein kolossal schwieriges Gebiet. Der moderne Mensch ist in einem so unvorstellbaren Maße neurotisch, abgespalten vom Elementarsten, dass ihm das ganz schwer nahezubringen ist. Und die Erdung, die Rückbindung an auch das Kreatürlich-Sinnliche ist überhaupt die Grundvoraussetzung für alles weitere. Sonst gelangt man in einen vollkommen neurotischen, einen krankhaften Impuls hinein, die Erde zu verlassen, der dann wirklich nur in der Psychiatrie enden kann. Und wenn Ken Wilber von der „Decent of the World Soul“ spricht, vom Herabsteigen der Weltseele als einem großen kollektiven Impuls, dann ist das eine wunderbare Formel. Aber natürlich muss man sich fragen: Was heißt das konkret? Ich habe das ja auch auf dem Bahro-Symposion vorgestern gesagt. Was heißt das? Wie weit gehen wir da? Wovon gehen wir aus? Was erwarten wir? Sehr schwierig. Ungeheuer schwierig. Gibt es das wirklich?

Das muss man jetzt mal, diese Ebene, ansprechen. Ein kollektives Potenzial, das behaupten ja einige, etwa der Amerikaner Paul Ray behauptet ja, 20 bis 25 Prozent der amerikanischen Bevölkerung seien bereit, in irgendeiner Form an dem neuen integralen Denken zu sein, gewissermaßen auf dem Wege zu einer integralen Kultur. 20 bis 25 Prozent ist ja eine riesige Zahl. Wenn ich mir das überlege im Hinblick auf Deutschland, 80 Millionen Menschen, dann davon 20 Prozent. Das ist ja unglaublich. Da würde ich jubeln vor Hoffnung. Dann hätte ich wirklich keine Minute mehr deprimiert [zu] sein. Also das ist erstaunlich. Ken Wilber übrigens äußert sich auch zu diesen Fragen. Der sagt, na ja, so viele sind es nicht. Es ist ein Prozent, immerhin ein Prozent von 80 Millionen, das ist auch etwas. Also das muss man ja bedenken. Deswegen muss ich noch einmal diese geschichtliche Dimension ansprechen, die da ja hineinspielt. Jeder Einzelne kann ja diese Zugänge finden. Er kann die Sezession realisieren von der Megamaschine. Dazu ermuntere ich ja auch. Aber was macht er dann damit? Wie kommen diese Einzelnen zusammen? Wie verbinden sie sich? Was ist der große, tragende, Tiefenimpuls in der Epoche? Und da kann man einfach nur eine gewisse Hoffnung haben. Man muss sie geradezu haben, dass sozusagen, wie ich das auch vorgestern gesagt habe, der Weltgeist mit uns ist. Denn wenn man diese Hoffnung ganz aufgibt, dann kann man gleich … dann braucht man gar nicht erst anzutreten, nicht, das ist klar.

Insofern muss man das in diesem Kontext mit einbeziehen. Das ist nicht isoliert zu betrachten. Man kann nicht sagen, gut, jetzt machen wir diese Pflanzen-Meditation. Auch der Storl gibt wunderbare Hinweise, wie man mit Topfpflanzen meditiert, das ist ja ganz wunderbar. Es kann ja jeder Einzelne ein ganz eigenes, wunderbar zartes Verhältnis entwickeln zu irgendeiner Topfpflanze. Das ist ja großartig. Ich will das auch gar nicht lächerlich machen. Aber die Frage ist doch, wie bettet sich das ein in einen großen, auch geschichtlich relevanten Impuls? Das interessiert doch die Menschen jenseits des nur Individuellen. Und da liegt der entscheidende Punkt, der ungelöst ist, den man aber in irgendeiner Form lösen muss, wenn man die Hoffnung nicht vollkommen aufgeben will. Und da wird man wahrscheinlich zurückgreifen müssen auf Vorstellungen von Bewusstseinsentwicklung überhaupt, wie sie unter anderem Ken Wilber entwickelt hat, aber er ist ja nicht der Einzige, und das in diesen Kontext einbeziehen. Also das ist eine schwierige … , ein schwieriges Unterfangen, und das will ich nie verschweigen. Das habe ich in diesem Semester auch immer wieder betont. Das ist schwierig, das ist nicht naiv und direkt zu erlangen. Es gibt auch in den verschiedensten anderen Zusammenhängen auch wunderbare Impulse, auch von den Anthroposophen übrigens gibt es einige sehr interessante, sehr fruchtbare Impulse zum Umgang mit Pflanzen, unter anderem auch dargestellt in diesem Sammelband „Phänomenologie der Natur“. Man kann das auch jenseits der ideologischen Verfestigung dieser Strömung, dieser Bewegung erkennen. Man kann das unverkrampft, auch fruchtbar machen. Man muss sich da nicht gewaltsam und dagegen abgrenzen. Man kann das aufgreifen und damit wirklich arbeiten, ohne dass man nun das andere alles mit zu übernehmen braucht, was einem ja natürlich nahegelegt wird, aber das muss man ja nicht.

Also ich habe versucht, Ihnen darzustellen, immer wieder in diesen zehn Vorlesungen, dass man das nur in einem, wirklich in einem integralen Zugang von den verschiedensten Ebenen aus realisieren kann, eben existentiell, tiefenökologisch, mittels des Denkens, mittels Tiefenerfahrungen, auch ästhetischer, spiritueller Art. Immer wieder habe ich das gesagt, und das möchte ich auch als Abschluss Ihnen sozusagen mit auf den Weg geben. Das ist für meine Überzeugung die einzige Möglichkeit, wie man sich dem Thema nähern kann. Es gibt so viele Bücher, die auf eine sehr verkürzte Weise sozusagen das Thema darstellen, verengen, auf eine ganz simple Methodik reduzieren oder pure Ideologie liefern. Auf dem Sektor wird ja auch ungeheuer viel Ideologie einfach geliefert. Pure Behauptungen werden in den Raum gestellt. Das hilft uns alles überhaupt nicht weiter. Man muss wirklich versuchen, eine eigenständige Zugangsweise sich zu erarbeiten. Und das kann man nur, es ist wirklich Arbeit, es ist wirklich geistig-seelische Arbeit, die man da leisten muss und zu der ich aber ermuntere, weil sie wirklich lohnend ist. Und sie müssen nicht alle Bücher lesen, die ich da auf dem Literaturzettel habe, aber einige lohnen sich durchaus und sie sind sehr bewusst von mir gewählt worden, diese Bücher.


Ich werde jetzt wieder gefragt, wie ist es mit dem Wintersemester? Es wird dieses Wintersemester von meiner Seite aus nicht gehen. Ich werde nicht im Wintersemester, ich sage es nochmal offen, eine Vorlesung machen, weil das ist eine bewusste Entscheidung von mir. Ich will im Wintersemester mich zurückziehen, mache da und dort andere Seminare und Vorträge. Ich will schreiben und nachdenken. Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, dieses Wintersemester keine Vorlesung zu machen. Letztes Sommersemester wussten Sie das nicht, dann haben Sie das Plakat gesehen, dass ich nicht das Wintersemester mache. Ich habe zehn Jahre lang Wintersemester immer auch gemacht. Wie das im nächsten Frühjahr ist, das werde ich rechtzeitig bekannt geben. Über die Medien, wie ich das ja auch diesmal gemacht habe. Sie haben es ja auch mitbekommen. Und im Wintersemester wird es keine Vorlesungen geben. Es gibt da und dort vereinzelte Veranstaltungen, Seminare, die ich mache. Das können Sie auch, wenn Sie das interessiert, immer mal irgendwo lesen, aber keine Vorlesung. Ich meine, dass ich, was diese Wintersemester betrifft, diese zehn Jahre, so viel gebracht habe, vielleicht viel zu viel. Und ich will nicht Dinge wiederholen, die ich schon oft gesagt habe, sondern auch, wenn immer wieder neue Hörer zu den alten dazukommen. Es gibt ja auch eine große Fluktuation. Das will ich einfach nicht. Ich habe genügend geschrieben dazu. Die Bücher gibt es ja. Es gibt wieder das neue Buch, das ich Ihnen sehr ans Herz lege. Das kann man und das sollte man auch studieren. Es gibt im Internet viel, wenn Sie das nachschlagen, was ich da gemacht habe, was da auch von mir und über mich steht.


Also man kann da forschen, wenn man das möchte. Und da muss ich einfach auch ermuntern, das zu tun. Man ist da nicht dann …, man kann da wirklich weiterarbeiten.

Gut, ich möchte dann diese Vorlesung beenden und will auch keine Diskussion machen, weil ich finde, das kann man sich setzen lassen. Man muss nicht immer gleich alles kommentieren. Oft sind diese Kommentare ja auch sehr kurz, also auf den Augenblick bezogen und das muss gar nicht jetzt sein. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Sommer und hoffe, dass ich Ihnen in diesen zehn Abenden einige Impulse vermittelt habe, mit denen Sie selbstständig weiterarbeiten können. Und mehr kann es nicht sein.

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