Die Frage des Leibes – Naturphilosophie als Leibphilosophie

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil III
In-der-Welt-Sein, Im-Leib-Sein. Zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2000Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 35

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Wie generell in den letzten drei, vier Jahren kehre ich in gewisser Weise aus dem Kosmos zurück auf die Erde im Sommer. Ich glaube, die letzten drei Wintersemester [habe ich] im weiten Sinne Fragen der Kosmologie behandelt: Mensch, Erde, neue Naturphilosophie, neue andere Kosmologie und in den letzten drei Sommersemestern weit gefasst Fragen von Ökologie, von Geomantie, von Polarität in der Erfahrung hier auf der Erde, eben auch in der Leib-Erfahrung. Insofern ist die Frage des Leibes uns immer wieder schon begegnet. Ich habe heute zum ersten Mal seit vielen Jahren die Leibfrage jetzt in den Mittelpunkt gerückt, also das lebende Buch der Natur, Teil 3 heißt jetzt „In der Welt sein, im Leib sein – Zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes“.

In-der-Welt-sein, das ist ja ein Begriff, ein Terminus, der auf Heidegger zurückgeht. In seiner Zeit, 1927 taucht er auf und meint, kurz gesagt, kurz gefasst, eine elementare Grundgegebenheit der Existenz. Der Mensch ist nicht einfach im Nirgendwo. Er hängt nicht in einem Irgendwo, sondern er hat einen konkreten Ort. Der Mensch ist nicht ortlos, er ist nicht weltlos, sondern er hat einen Ort in der Welt. Ja, er ist seinem Wesen nach ein Wesen, was sich bestimmt durch das in-der-Welt-sein. Das mag sich fast banal anhören, ist aber keineswegs banal, denn die traditionelle Philosophie hat diesen Sachverhalt, der sich auch, wie wir sehen werden, über die Leiblichkeit vermitteln lässt, in großen Teilen ausge­klammert. Das In-der-Welt-sein wurde weitgehend eliminiert. Also In-der-Welt-sein ‒ ich spreche eher und vielleicht prägnanter noch in meinem Kontext von In-sein des Menschen. Also der Mensch ist ein In-sein-Wesen. Seinem Wesen nach ist er immer innerhalb absoluter und relativer Zusammenhänge. Es gibt ein Darin des Menschen und dieses Darin ist unter anderem der Raum und der Kosmos. Der Mensch ist ein Im-Kosmos-sein-Wesen, das ist wichtig.

Philosophie und Phänomenologie des Leibes. Was heißt das? Phänomenologie ist ein Begriff, das will ich kurz erläutern, der nicht selbstverständlich ist. Er geht auf die griechische Philosophie zurück und bezieht sich auf die Phänomene, auf das, was erscheint, also ein Phänomen ist etwas, was erscheint. Der Begriff „Welt der Erscheinungen“ als ein Begriff für die phänomenale Welt, die Welt der Erscheinung geht auf Kant zurück. Kant hat den Begriff erfunden, der bis heute übrigens auch in der Naturwissenschaft verwendet wird, die Welt der Erscheinungen. Ein sehr schwieriger, ein auch missverständlicher, ja geradezu diffuser Begriff, denn er wirft sofort Fragen auf: Wenn diese Sinnenwelt eine Welt der Erscheinungen ist, dann erhebt sich sofort die Frage: Was erscheint da? Was ist dieses Erscheinende, und für wen erscheint es? Und das hatte ja Kant ziemlich eindeutig beant­wortet: Diese Welt ist eine Welt der Erscheinungen für ein bestimmtes Subjekt, für das, was er das transzendentale Subjekt nannte, also nicht unbedingt für den je Einzelnen, sondern für das transzendentale Subjekt, was jeder Einzelne in sich trägt und ist. Und das hat große Verwirrung und ungeheuer viel Diskussion ausgelöst. Was erscheint da eigentlich? Und was verbirgt sich in dieser Erscheinungswelt? Und das wird uns also beschäftigen. Und Phänomenologie des Leibes bezieht sich auf das In-der-Welt-Sein im Hinblick auf die Frage, welche leiblich erfassbare, leiblich erfahrbaren Phänomene lassen sich in einen konsisten­ten philosophischen Zusammenhang bringen?

Das setzt voraus, dass man überhaupt diese Phänomene erkennt, dass man sie überhaupt zulässt und dass man eine Sprache dafür hat. Das ist ja nicht selbstverständlich, dass man eine Sprache findet für das eigene Im-Leib-sein, das eigene In-sein auch als Leib­wesen. Und wenn man die Philosophiegeschichte sich anschaut, dann stellt man fest, dass die Sprache, was diesen Bereich betrifft, eher unterentwickelt ist, dass sie also erst einmal in erster Lesung weitgehend nuancenlos ist, dass viele bedeutende Philosophen oder die als solche gelten, kaum etwas ausgesagt haben über die ungeheure Differenzierung, die unvorstellbare Subtilität der Leiberfahrung. Das findet man eigentlich erst in Ansätzen bei Schopenhauer, vorher fast überhaupt nicht. Bei Schopenhauer, bei Nietzsche und dann bei anderen, Husserl, Heidegger und andere, auch Sartre zum Teil, findet man also den Versuch, die Leiberfahrung auch sprachlich auszudifferenzieren.

Am extremsten und faszinierendsten bei einem zeitgenössischen Philosophen, der in diesem Semester eine große Rolle spielen wird, bei dem Philosophen Hermann Schmitz, einem mittlerweile emeritierten ehemaligen Philosophieprofessor aus Kiel, der in einem riesigen Werk wie kein anderer Leib-Philosophie betrieben hat, die er Neue Phänomeno­logie nennt, und wie kein anderer in einer ungeheueren Breite und auch sprachlichen Differenzierung und einem ungeheuren Nuancenreichtum Dinge philosophisch quasi in die Sprache, überhaupt in die philosophische Dignität gehoben hat, die bis dahin gar nicht sprachlich-philosophisch in Erscheinung getreten waren. Also auf faszinierendste Weise, bis in Kleinigkeiten hinein, bis in das Spüren der Gliedmaßen, das Spüren von Atmo­sphären. Also das ist ein ganz wichtiger Punkt im Kontext dieser Phänomenologie, und das will ich in diesem Semester versuchen zu entwickeln, dass wir ja alle, wenn wir erfahren, auf eine ganzheitliche Weise immer in bestimmten Psycho-Atmosphären stehen, auch in diesem Raum zum Beispiel, in diesem Moment. Wir sind ja immer in bestimmten Psycho-Atmosphären. Das hat die Philosophie weitgehend unbeachtet gelassen. Die Naturwissen­schaft auch, weil Psycho-Atmosphären sind kein Gegenstand der objektivierenden, exakten, der mathematisierenden Naturwissenschaften. Das ist sozusagen nur subjektiv in Anführungszeichen. Und da spiegelt sich eine uralte Trennung, die desaströs gewirkt hat, dass man auf der einen Seite das sogenannte Objektive, das Mathematisierbare, das technisch Umsetzbare vollkommen abgespalten hat von dem sogenannten Subjektiven, von dem sogenannten subjektiven Fühlen, von dem gesamten Bereich der Subjektivität über­haupt.

Sie kennen ja alle wahrscheinlich die berühmte Lehre von John Locke über die primären und sekundären Sinnesqualitäten. Da wurde ja gesagt, gut, die primären Sinnesqualitäten, das eigentlich Objektive sind die Dinge in ihrer Gegenständlichkeit in der Ausdehnung, Raum-Zeitlichkeit, in ihrer Bewegung, in ihrer Substanzhaftigkeit, in ihrer Materialität. Der Rest, Farben zum Beispiel, Empfindungen für Phänomene, ganzheitliche Zusammenhänge usw., Gefühle, all das ist subjektiv. Insofern ist es grundsätzlich nicht objektivierbar. Das hängt ja auch mit den Antinomien [nicht sicher] zusammen, die dann immer behauptet worden sind zwischen Männlichem und Weiblichem, die Frau, das Weibliche, die Frau hat das Gespür für die Psycho-Atmosphären, spürt intuitiv raus, was los ist, welche Atmo­sphäre vorherrscht, während der Mann in diesem eher objektivierenden Sinne eigentlich die Psycho-Atmosphäre von Vorgängen eher draußen vor lässt. Und das ist ein spannender Punkt. Und das will ich auch versuchen, in diesem Semester so darzustellen: das Klima, die Aura, die Psycho-Atmosphäre unserer Leib-Erfahrung ist tatsächlich konstituierend für Erfahrung überhaupt. Das geht bis in feinste Wahrnehmungen, auch jetzt im meteorolo­gischen Sinne, klimatischer Zusammenhänge, auch geographischer Zusammenhänge. Und das alles spielt in die Wahrnehmung von Welt ganz entscheidend mit hinein, also die Atmosphäre.

Ich will mal ein konkretes Beispiel nennen, wo das besonders deutlich geworden ist, was Psycho-Atmosphäre auch im Wissenschaftsapparat bedeutet. Damit ist man jetzt an einem konkreten Beispiel. Es war am 5. April in der Urania eine große Diskussion im Jahr der Physik 2000, das Jahr der Physik. Sie wissen es vielleicht. Die Urania hat ein großes Happening, kann man sagen, gemacht, mit hochkarätigen Physikern, „Reise zum Urknall“. Die Urania war voll mit Schaubildern, mit Physikern, die den Laien erklärt haben, wie das Weltall funktioniert in ihrer Sicht. Und dann gab es da eine Podiumsdiskussion an diesem 5. April mit Top-Physikern über den Urknall. Ich saß mit auf dem Podium, ich war eingeladen. Humboldt-Saal, 600 Leute im Saal. Was ich sagen will, ist Folgendes: Im Vorfeld saßen wir in einem Raum zusammen, das war eine Art Vorbesprechung über diese Fragen und ich spürte Psycho-Atmosphäre, sage ich mal, eine ganz dichte, schwierige Atmosphäre, was das Thema betrifft, denn ich spürte sofort, das wusste ich auch theoretisch, intellektuell, also mental, aber ich spürte es auch wirklich fast physisch, dass ein vollkommenes Einver­ständnis herrschte in diesem Kreise der Physiker über die Faktizität dieses ominösen Urknalls. Nun bin bin bekannt dafür, dass ich den Urknall für eine Fiktion halte und für schlecht gestützt. Und ich spürte also sozusagen einen fast physischen Druck in dieser Gruppe. Und ich spürte auch, dass das mich beeinflusste im Vorfeld dieser Diskussion, also eine merkwürdige Aura herrschte. Ich wusste auch, die würde im Saal herrschen, weil vorne, die ersten Reihen waren besetzt mit Physikern der Deutschen Physikalischen Gesell­schaft und viele auch aus dem Wissenschaftsministerium waren anwesend, da ja eine sozusagen Co-Produktion der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit dem Wissen­schaftsministerium [stattfand]. Und es bedurfte einiger sozusagen konzentrativer Übungen, um dann diese Psycho-Atmosphäre soweit abzustreifen, dass ich dann mit einer relativen Freiheit die Dinge dann auch wirklich sagen konnte, die nach meiner Überzeugung zu sagen waren. Und das gilt generell für solche Zusammenhänge.

Es gibt auch in den großen Wissenschaftsapparaten immer ganz bestimmte Psycho-Atmosphären, die bis in die Resultate der Experimente hinein gehen. So weit geht das. Es gibt also nicht nur einen Gruppendruck, dass ganz bestimmte favorisierte Theorien bestätigt werden müssen. Wenn dann Messwerte auftauchen, die sie widerlegen, dann wird es schwierig. Nein, es gibt auch ein gesamtes Klima, und das ist nicht Thema von Wissen­schaft. Das wird überhaupt nicht im eigentlichen Sinne philosophisch und wissenschaftlich thematisiert.

Also um diese Fragen soll es gehen: Phänomenologie des Leibes. Was ist Leib? Ich habe ganz bewusst diesen Begriff benutzt, der ja nicht Körper ist und will mal versuchen einleitend, das überhaupt klarzumachen. Körper im Sinne der Physik ist ein Etwas, ein raumzeitlich dringliches Etwas. Der Tisch ist ein Körper, dieses Gestühl, das sind Körper. Wir als Gestalten, als Leib-Wesenheiten sind auch, sofern wir physisch-sinnliche Körper sind, Körper, wir sind Körper wie andere Körper auch, der Gravitation unterworfen und damit der Gesamtheit dessen, was die physisch-sinnliche Welt physikalisch bestimmt. Das sind wir auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber sind wir gleichzeitig mal, unabhängig von der Frage, was wir als Seele sind, was wir als Geist sind, sind wir als Leib-Wesen nie identisch mit dem Körper. Das kann man mit einer ganz einfachen Grundwahr­nehmung sich vergegenwärtigen, wenn man mal den Versuch macht, bei geschlossenen Augen in den eigenen Körper hineinzuspüren. Was nimmt man wirklich wahr? Es ist erstaunlich, ich kann Ihnen das ja mal sozusagen als meditative Denk-Übung quasi nahe­legen. Man staunt, wenn man sich mal dieser Erfahrung überlässt, was man wahrnimmt, auch das, was man nicht wahrnimmt. Es ist nämlich verblüffend, dass man in keiner Weise sich selber in Gänze als Körper wahrnimmt. Man nimmt sich selber von innen als Leib eher undeutlich wahr. Das Ganze ist ein undeutliches Etwas, ein fast fließendes Gebilde, ein fluktuierendes Gebilde der Innenwahrnehmung, in dem sich, wie das Hermann Schmitz sagt, verschiedene sogenannte Leibes-Inseln befinden. Sie können das wirklich meditativ in der Selbsterfahrung versuchen rauszuspüren: Sie haben große Schwierigkeiten, eine klare Topografie ihres eigenen Körpers zu finden nur vom leiblichen Spüren aus.

Auf der anderen Seite haben sie eine Leib-Empfindung, eine Spürfähigkeit, die weit über den physischen Körper hinausreicht. Sie sind sozusagen leiblich immer viel mehr, sind viel weiter, sind viel ausgedehnter als der physische Leib. Anders als der physische Leib, als der Körper, andererseits wiederum weniger. Zum Beispiel die ganze organische Innenaus­stattung des Menschen, die inneren Organe sind im Normalfall nicht bewusstseinsfähig. Der Mensch läuft also gewissermaßen, um das mal etwas plakativ zu sagen, als Hohlraum durch die Welt. Innen ist er vollkommen hohl in der Selbstwahrnehmung. Das ist wichtig. Es geht hier um Bewusstseins-Phänomenologie, es geht nicht um Anatomie, es geht nicht um Physiologie, es geht nicht um Medizin. Es geht um die Selbstwahrnehmung. Und das hat der Hermann Schmitz auf eine wunderbare Weise in seinen Büchern zum Ausdruck gebracht, wie kein anderer. Also Leib ist Wahrnehmung, spürende Wahrnehmung von innen, die natürlich Berührungspunkte hat mit der physisch-sinnlichen Körperlichkeit. Aber das ist nicht deckungsgleich. Sie können das beobachten: etwa ein Schmerz, ein Kopfschmerz. Wo sitzt der Kopfschmerz? Sie können sagen, gut, das ist Pochen, das ist Ziehen, das ist bohrend, Sie können versuchen, diesen Kopfschmerz zu beschreiben. Sie werden aber feststellen, dass Sie immer in eine gewisse diffuse Form der Wahrnehmung hineinkommen, dass Sie Mühe haben, das Ganze streng organisch-sinnlich zu lokalisieren. Ganz zu schweigen davon, Traurigkeit, ist ja eine Gefühlsqualität, ist ja kein Wahn. Wer traurig ist, ist ja wirklich traurig. Wo sitzt die Traurigkeit? Was ist eine Bedrücktheit? Was ist eine freudige Erregung? Was ist eine erotische Erregung? Wo sitzt das? Das ist immer ganz leiblich und gleichzeitig sehr schwer im Einzelnen wirklich zu festzumachen. Man ist da also in einem schwierigen Bereich, der wirklich bis vor Kurzem überhaupt nicht philosophiefähig war.

Die Philosophen haben es überhaupt nicht für wert befunden, über diese Fragen ernsthaft nachzudenken. Das fanden sie überhaupt kein Thema, was sich lohnt, intellektuell theoretisch zu behandeln. Das ist schade und … denn es gibt da sehr, sehr viel Faszinie­rendes zu entdecken. Ich bringe mal ein kurzes Zitat aus einem Büchlein von Hermann Schmitz, ist auf der Literaturliste drauf, wo er in wunderbar knapper Form seine Definition des Leibes gibt. Also ich habe ja plakativ gesagt, Leib ist der Körper von innen, ist einerseits mehr als der physische Körper, auf der anderen Seite weniger als der physische Körper. Nicht, das geht ja bis in die Frage, das kennen wir, diesen Punkt, der Phantom-Gliedmaßen hinein. Phantom-Gliedmaßen etwa nach Amputationen werden ja wie reale Körperteile empfunden, ganz real empfunden, obwohl sie physisch-sinnlich nicht vorhanden sind. Also der Leib, Hermann Schmitz „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. Zitat Hermann Schmitz: „Unter dem eigenen Leib eines Menschen verstehe ich das, was er in der Gegend seines Körpers von sich spüren kann, ohne sich auf das Zeugnis der fünf Sinne Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken und das perzeptive Körperschema, das heißt des aus Erfahrungen des Sehens und Tastens abgeleiteten habituellen Vorstellungsgebildes vom eigenen Körper zu stützen.“

Das perzeptive Körperschema ist die ganzheitliche Körperempfindung, die jeder hat von sich selber. Jeder von uns hier im Raum hat eine ganzheitliche Grundvorstellung wie er aussieht, wie er im Raum ist. Das haben übrigens zum Teil auch Tiere, denken Sie an das ganze Phänomen der Mimikry. Also offenbar in irgendeiner Form ein Körperschema, das nennt Hermann Schmitz das perzeptive Körperschema. Also, „der eigene Leib ohne dieses perzeptive Körperschema und ohne die fünf Sinne. Der Leib ist besetzt mit leiblichen Regungen wie Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Atmung, Behagen, affektives Betroffensein von Gefühlen. Er ist unteilbar, flächenlos ausgedehnt“ ‒ das will ich noch im Einzelnen erläutern wenn ich Schmitz behandle ‒ flächenlos, dieser innere Leib hat in dem engeren Sinne keine klar definierbare Flächen, keine Außenflächen. Er endet nicht bei der Haut­oberfläche, gar nicht. „Er ist unteilbar flächenlos ausgedehnt und als prädimensionales, das heißt nicht bezifferbar dimensioniertes, das heißt nicht-dreidimensionales Volumen, das in Engung und Weitung Dynamik besitzt.“

Also das wird uns ja noch beschäftigen mit dem Raum. Dieser Raum des Leibes ist nicht im eigentlichen mathematisch-geometrischen Sinne oder euklidischen Sinne ein dreidimensionaler Raum. Das ist wichtig. Er ist, wie das Hermann Schmitz sehr schön sagt, vordimensional. Er ist also eine Art Raum, entsteht aus einem Raumgefühl vor der euklidischen Dreidimensionalität. „Man macht sich das leicht am leiblich spürbaren Einatmen klar. Es wird in Gestalt einer Insel in der Brust oder Bauchgegend gespürt, in der simultan Engung und Weitung konkurrieren, wobei anfangs die Weitung und später gegen Ende des Einatmens die Engung überwiegt. Kontraktion und Expansion. Diese Insel ist voluminös, aber weder von Flächen umschlossen, noch durch Flächen zerlegbar und daher auch nicht dreidimensional, sie ist nicht teilbar.“ Es ist wirklich eine Ganzheitlichkeit. „Da die Drei als Dimensionszahl nur aufsteigend von der Zwei hier sinnvoll eingefügt werden kann. Solch ein prä-dimensionales Volumen kommt auch in anderen Erfahrungsbereich vor, etwa im Wasser für den Schwimmer, der nicht auf die Oberfläche blickt und als Schallvolumen, das beim schrillen Pfiff scharf, spitz und eng ist, beim dumpfen Gong oder Glockenschlag aber ausladend, weit und weich. Der Leib ist fast immer, auch zum Beispiel [beim] heftigen Schreck von solchen Leibes-Inseln besetzt. Ein Gewoge verschwommener Inseln, die sich ohne stetigen Zusammenhang meist flüchtig bilden, umbilden und auflösen. In einigen Fällen aber auch mit mehr oder weniger konstanter Ausrüstung verharren, dies besonders im oralen und analen Bereichen und an den Sohlen. Also erstaunlich, der erste Philosoph der Geschichte, der auch die analen Empfindungen für philosophiewürdig hält ‒ erstaunlich.

„Solche Leibes-Inseln kommen auch außerhalb des eigenen Körpers vor, zum Beispiel als Phantomglieder der Amputierten. Seine Einheit erhält der Leib nicht durch einen stetigen Umriss, seine Haut kann man besehen und betasten, aber nicht am eigenen Leib spüren. Die Weckung von Aufmerksamkeit auf die eigene Haut in der Vorstellung anhand des perzeptiven Körperschemas kann allerdings die Sensibilität für das Spüren von Leibes-Inseln steigern. Die Einheit des Leibes ist einerseits dynamisch durch die Gebun­denheit an die Enge in Gestalt einer Engung oder Spannung, die entweder aktuell gespürt wird oder in Abwesenheit indirekt aufdringlich.“ Also … und so weiter. Also, wir haben in dem, was hier als Leib bezeichnet wird, eine innerleibliche Erfahrung des Spürens. Diese ist nicht, ich sage es noch mal, im euklidischen Sinne dreidimensional und auch nicht mathe­matisch-geometrisch zu fassen. Es hat eine Unschärfe. Wenn Sie das versuchen, werden Sie immer große Schwierigkeiten haben, dieses Volumen in irgendeiner Form räumlich präzise zu bestimmen.

Warum das wichtig ist, warum solche Fragen überhaupt wichtig sind, ist nahe­liegend. Wenn man mal einen Blick wirft auf die geistige Gesamtsituation und auf das, was man seit 20, 25 Jahren als ökologische Krise bezeichnet, dann ist das ganz eindeutig. Es ist ja in den letzten zwanzig Jahren unendlich viel diskutiert und geschrieben worden über die Frage: Was ist eigentlich diese sogenannte ökologische Krise? Wie kommt es eigentlich, dass der Mensch, das tut er ja offenbar unaufhaltsam, seine sogenannten natürlichen Lebensgrundlagen zerstört? Er tut es unaufhaltsam, Tag für Tag. Er mag als Einzelner das ablehnen, ja geradezu moralisch verurteilen. Aber das Gesamte, die gesamte sogenannte Megamaschine rollt, wie man vermuten muss, vollkommen ungebremst weiter, und alle Bemühungen, das zu verstehen oder gar zu modifizieren oder zum Stoppen zu bringen, sind bislang gescheitert. Man hat den Verdacht, dass etwas fundamental gar nicht verstan­den worden ist, dass wir offenbar gar nicht verstanden haben, was wirklich passiert. Und es ist ja eine von vielen Interpretationen, die immer mit einigem Recht abgegeben worden sind, sozusagen: Der Mensch hat eine Abspaltung vollzogen. Und wenn von Abspaltung die Rede ist, dann wird häufig ins Spiel gebracht, ich habe das ja auch in verschiedenen Zusam­menhängen gesagt, eine Abspaltung auch von der eigenen Leiblichkeit. Wenn [es] seit ebenfalls 20, 25 Jahren einen ungeheuren Boom sogenannter Körpertherapien gibt, dann ist das ja ein Symptom dafür, dass eine zunehmende Zahl von Menschen einfach begreift, dass es darum geht, was Ken Wilber sagt [nennt] „to reown the body“, den Körper in gewisser Weise wiederzufinden, also Körpertherapien als Versuch, in diesem Sinne den Leib oder den Körper bzw. den Leib zurückzugewinnen.

Ich spreche im Zusammenhang mit der ökologischen Krise von einer kollektiven Neurose, einer kollektiven Abspaltung, die passiert ist, und zwar eine kollektive Abspaltung in doppelter Hinsicht durch die, ich will das nicht im Einzelnen hier ausführen, ich werde das in vierzehn Tagen nochmal darstellen im Zusammenhang mit der Entstehung des mentalen Selbst. Im Zuge der Entwicklung der Genesis, der Evolution des mentalen Selbst hat sich ein Ich herausgebildet, das erst einmal weitgehend von allem Leiblichen sich frei wähnt, ja seine eigentliche Würde darin zu finden glaubt, wo der Leib nicht ist. Nicht, wenn man Natur im allgemeinsten Sinne als das verstehen möchte, was von sich aus ist, im Sinne auch einer anerkannten antiken Definition, also der Natur das von sich aus Seiende, dann ist ja ein Problem des Menschen als Natur und Leibwesen die Frage: Wo ist das von sich aus Seiende im eigenen Leib? Sind wir … wie kommen wir, wenn wir denn Ich-Wesen sind, quasi leiblose Ich-Wesen, wie kommen wir denn hinein in diese konkrete Leiblichkeit? Das ist eine Frage, die in der ganzen Evolution des Ichs eine ungeheure Rolle gespielt hat und auch natürlich hineinspielt in die ganzen Fragen von männlich-weiblich. Das habe ich in meinem Buch „Was die Erde will“ ja eingehend dargestellt, die Entwicklung also auch der ganzen Geschlechterproblematik in dem Zusammenhang. Auf jeden Fall ist eine Abspaltung passiert, was ich eine kollektive Neurose nenne.

Eine ganz andere Frage ist, ob das notwendig war, ob das vermeidbar war, ob das ein Irrweg war, eine Fehlentwicklung, das kann man auf sich beruhen lassen. Fakt ist, es ist passiert, und es hat eine ganz bestimmte Form des In-der-Welt-Sein des Menschen ausge­löst, an deren Folgen wir heute, mit den ungeheuren Trägheitskräften in der Folge, (wir heute) alle leiden. Und das ist ein wesentlicher Punkt, warum natürlich die Frage wichtig ist: Wie steht es eigentlich mit dem, was ich das In-sein des Menschen nenne? Worin ist der Mensch in seiner eigentlichen existenziellen Wesenheit? Und das ist natürlich dann auch eine Frage, was der Mensch überhaupt ist. Und das spielt ja auch in diese ganze Thematik mit hinein: Was ist der Mensch? Ist der Mensch, als der er ja generell von vielen gesehen wird, ein höheres Tier? Ist er letztlich so zu definieren? Oder ist er anders und von einer höheren Ebene aus zu definieren und zu bestimmen, das ist ganz zentral wichtig. Die Frage: Was ist der Mensch? Ist der Mensch ein höheres Tier, was ja eine mögliche Betrachtungs­weise ist, oder ist der Mensch eine Geist-Seele-Gestalt, eine Geist-Seele-Leib-Gestalt in einem ganzheitlich verstandenen Kosmos, der ihn trägt, bestimmt und ermöglicht. Aller­dings mit der Freiheit, sich auch geistig-mental von all dem zu trennen, denn das muss als Möglichkeit ja im Menschen liegen, sonst würde es nicht passiert sein. Da kommt das Mysterium der Freiheit ins Spiel. Der Mensch hat über die Freiheit die Möglichkeit, sich auch gegen das Ganze zu entscheiden. Die Größe und auch die Tragik des Freiseins im Menschen. Diese Entwicklung, was ich die kollektive Neurose nenne, geht bis in die feinsten Verzweigungen auch der Sprache hinein und hat unsere gesamte Begrifflichkeit in ent­scheidender Weise mitgeprägt. Und das muss man wissen, um überhaupt eine Wahr­nehmung dafür zu gewinnen, was hier an Terrain wiederzugewinnen ist, wenn von Leib die Rede ist, was an ungeheuerem Nuancenreichtum wiederzugewinnen ist.

Auch hier nochmal kurz ein Zitat von Schmitz aus diesem Büchlein „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. Er nennt seine Sichtweise „Neue Phänomenologie“ und grenzt sie ab zu Heidegger und Husserl. Also „Neue Phänomenologie“. Er schreibt hier ganz am Anfang: „Die Neue Phänomenologie widmet sich der Aufgabe, die Abstraktionsbasis der Theorie und Bewertungsbildung tiefer in die unwillkürliche Lebenserfahrung hineinzulegen. Unter der Abstraktionsbasis einer Kultur verstehe ich“ ‒ Hermann Schmitz ‒ „die zäh prägende Schicht vermeintlicher Selbstverständlichkeiten, die zwischen der unwillkürlichen Lebens­erfahrung einerseits, den Begriffen, Theorien und Bewertungen andererseits den Filter bildet. Die Abstraktionsbasis entscheidet darüber, was so wichtig genommen wird, dass es durch Worte und Begriffe, Eingang in Theorien und Bewertungen findet. Deshalb sind gegensätzliche Theorien und Bewertungen derselben Abstraktionsbasis möglich. Die Abstraktionsbasis einer Kultur wird teilweise durch die Suggestionskraft sprachlicher Strukturen, zum anderen Teil durch epochale geschichtliche Prägungen bestimmt.“ Wir wissen es oft gar nicht mehr, wie sehr wir ganz zentral durch epochale Prägungen der Sprache, der Begrifflichkeit auf suggestivste Weise geprägt sind, dass wir einen Filter, wie einen Bewusstseinsfilter aufhaben, was [ist] überhaupt ein bewusstseinswürdiges Phänomen, ein denkwürdiges Phänomen und was wird von vornherein ausgeblendet, in den Nebelraum bloßer Subjektivität.

Nicht, das ist ja, viele Menschen fühlen sich ja auch heute in diesem technisch- abstraktionistischen Gesamtsystem in ihrer eigenleiblichen Form und ihrem Subjektiven in der Weltzeit völlig alleingelassen. Sie haben das Gefühl, das zählt überhaupt nicht. Es gilt nichts. Es hat keine Würde. Es ist letztlich geistig-philosophisch nichts wert. „Wir stecken gleichsam in einem Urwald geschichtlicher Vorprägungen, der nicht durch den bloßen Entschluss zur Unbefangenheit in freies Feld verwandelt werden kann.“ Das geht nicht. Man kann nicht sagen, ich möchte das jetzt, ich will das, sondern das ist harte geistige Arbeit, das wirklich zu leisten, ganz tief auch in die Begriffe reingehen und versuchen zu zeigen, woher stammt das, in welchem geschichtlichen Kontext ist das entstanden, und was heißt das für hier und jetzt? Viel mehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen, um in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzung zu werden.“ Was sehr schwer ist, weil Jeder von uns natürlich selbstverständlich in einer Fülle von Voraussetzungen steckt. Jeder Einzelne von uns steckt wirklich in dieser Art Urwald von Prämissen, dem, was wir ständig unhinterfragt voraussetzen. Viele wissen das gar nicht mehr, was sie ständig voraussetzen. Das kann man aber hinterfragen. Da kann man nachfragen. Und es ist hochinteressant und einen Punkt, der mich seit vielen Jahren immer wieder beschäftigt, die Frage: Was setzen Menschen voraus, ohne darüber nachzudenken?

Viele, im normalen Sprechen, stellen Theorien auf, sind Anhänger von Theorien, von Weltanschauungen, von religiösen Überzeugungen und so weiter und sind sich oft über­haupt nicht darüber im Klaren, was sie bis in die Feinheiten ihrer Begrifflichkeit ständig schon voraussetzen. Also das ist ein ganz entscheidender Punkt, der hier bedacht werden muss. Setze ich also voraus, dass ich ich bin, dass ich eine eigene, gleichsam metaphysische Entität bin, oder gehe ich von vornherein davon aus, dass ich ich bin eigentlich keine Rolle spielt, zum Beispiel. Und das wird uns auch beschäftigen, im Zusammenhang mit dem Leib ist das entscheidend wichtig, die Ich-Frage. Was ist das Ich? Wo sitzt das Ich im Kopf, in der Brust, in den Beinen, oder ist es hinten, ergreift mich quasi von Außen. Wo ist das Ich? Auch das ist eine Frage, die, wenn man der mal versucht auf den Grund zu gehen, abgründig ist. Wo ist der ontologische Ort des Ich? Hat es solchen Ort? Gibt es den Ort des Ich? Oder ist das Ich quasi ortlos, raumlos, gleichsam auch weltlos? Also die Frage ist auch für diese ganze Thematik zentral wichtig. Wo sitzt eigentlich das Ich?

Da ist übrigens Hermann Schmitz sehr radikal. Man kann auch sagen: zu radikal, weil in gewisser Weise einseitig, weil er versucht, erst einmal diese Ichhaftigkeit des Menschen und das was er die „Innenwelt-Hypothese“ nennt von Seele, Geist, Bewusstsein zu demontieren. Er versucht konsequent phänomenologisch bei dem zu bleiben, was tat­sächlich wahrgenommen wird, ohne nun noch ein ichhaftes Substrat dahinter, eine sogenannte Seele, ein Geist, ein Gemüt ‒ wie Kant sagt ‒ ein Bewusstsein zu unterstellen. Das ist nicht konsequent durchführbar, meine ich, und da verwickelt sich auch Schmitz in Widersprüche und Zirkelschlüsse. Aber das kann im Moment mal draußen vor bleiben. Wichtig ist auf jeden Fall die Ich-Frage: Wo ist der Ort des Ich? Der ontologische Ort aber auch der leibliche Ort? Sind wir identisch als Leib mit dem Ich? Kaum. Es wird kaum einer ernsthaft behaupten, dass er in Gänze als physisch-sinnlicher und von innen gespürter Leib dieses Ich ist. Wir haben ja bis in den Sprachgebrauch des Alltags hinein die Vorstellung, dass der Einzelne einen Körper, womit ja eigentlich der Leib gemeint ist, einen Körper hat und nicht dieser Körper ist, auch wenn in einigen Ansätzen der modernen Körpertherapie bis hin in Buchtitel hinein Anderes behauptet wird, etwa ein Buchtitel, ist mir mal vor Augen gekommen: „Ich bin mein Körper“. Ein absurder Satz. Natürlich ein Satz, der ganz bewusst sich wendet gegen eine Abspaltung, die damit demontiert werden soll, als lebensfeindlich denunziert ‒ hier ist das Ich, ein abstraktes Gebilde, ein Geistwesen, das von oben herab irgendwie in die Niederungen des Physischen, Leiblichen sozusagen hinab schaut und von oben das Ganze steuert. Also ganz konsequent und radikal zu sagen: ich bin mein Körper, also ich bin identisch mit alledem. Das würde bei einer vertieften philosophischen Reflexion unmöglich sein, also diese Identität ist so nicht möglich.

Also die Frage „Wo ist das Ich?“ ist zentral wichtig. Wo ist der Geist, der er ja nicht unbedingt das Ich selber ist? Wo ist die Seele, und wo ist der Wille? Oder sind das alles nur Begriffsungetüme, mit denen wir letztlich überhaupt keinen konkreten Wahrnehmungs­inhalt verbinden können? Auch da ist es sinnvoll, mal wirklich in die Tiefen reinzugehen und nicht von vornherein mit Begriffshülsen zu operieren, als ob das Selbstverständlich­keiten seien. Insofern ist es wichtig: Was wird vorausgesetzt?

Was ich gerne und oft auch in meinen Büchern und vielen Vorträgen immer wieder als Subjektblindheit der Naturwissenschaft bezeichne, berührt ja diesen Punkt. Jede Wahrnehmung von Welt, jedes Reden über Welt, jedes Theoretisieren, jedes Diskutieren, jede Wissenschaft, jede Kunst, was auch immer, setzt das lebendige Subjekt voraus. Zu sagen, dieses lebendige Subjekt ist immer der Hase, der schon da ist, so sehr der Hase auch sich abstrampelt, um den Igel zu überholen, er kommt am anderen Ende an, und der Igel, in diesem Falle die Frau des Igels, die aber genauso aussieht wie er, insofern kann er es nicht unterscheiden, sitzt schon da. Das heißt, das lebendige Subjekt ist im Grunde genommen der Igel, der immer schon da ist, so sehr der Hase sich auch halbtot und schließlich wirklich tot läuft. Weil, das ist das Nichthintergehbare, weil alles Denken, Forschen, Meinen, Disku­tieren, Streiten, wie immer, setzt lebendige Subjekte voraus. Und es war eine Tragödie in gewisser Weise, dass in der neuzeitlichen Denkbewegung, vor allen Dingen in den Natur­wissenschaften, das Subjekt vollkommen eliminiert wurde. Natürlich gab es das Subjekt. Es gab nicht nur die einzelnen Forschersubjekte mit ihren ganz speziellen und die spezi­fischen, auch emotionalen Befindlichkeiten, auch ihrem Geltungsdrang, ihrem Bedürfnis nach Preisen, Anerkennung durch andere usw. Es gab auch natürlich immer das Über­subjekt, das unberührte Übersubjekt, was das Ganze wie von außen betrachtet. In Physik-Lehrbüchern, schauen Sie in ein normales Physik-Lehrbuch rein: Man nehme, man tue, man mache, es ist immer ein anonymes „man“. Sie oder ich, der Einzelne in seiner je anderen Spezifik wird überhaupt nicht angefragt, sondern das anonyme „man“, das anonyme Subjekt ist gefragt. Und weil dies so ist, kann man auch von allen Subjektivitäten abstra­hieren. Das macht einen Teil des ungeheuren Erfolges auch dieser Art von Subjektblindheit aus, denn dieser Erfolg ist immens. Das muss man einfach sehen. Dieser Erfolg ist immens. Es war ein ungeheuer erfolgreiches Projekt, das Subjekt erst einmal auf diese Weise zu eliminieren.

Das Subjekt, was hier einbezogen wird in den Fokus der Beobachtung, ist ja nicht das konkrete, lebendige Subjekt, sondern ebenfalls ein anonymes „man“, letztlich eine Art es-haftes Subjekt, nicht der lebendige Einzelne, um den geht es genauso wenig wie auch sonst. Also: „Vielmehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, noch einmal kurz zurück zu Schmitz, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzungen zu werden.“ Sehr schwer. Ich sage es nochmal, das ist wirklich harte Denkarbeit, um dieser Voraussetzungen Herr zu werden, wenn das überhaupt der richtige Begriff ist, wenn das überhaupt rein mental geht. Wahrscheinlich geht es gar nicht. „Deswegen ist Phänomenologie nur im Zusammenhang mit kritisch-historischer Einstellung sinnvoll. Diese muss für die Zwecke der Neuen Phäno­menologie hauptsächlich den für die Prägung der dominanten europäischen Intellektual­kultur entscheidenden Paradigmenwechsel bei den Griechen in der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhundert ins Auge fassen.“ Das ist naheliegend. Es wird immer wieder gemacht, das tue ich in anderem Zusammenhang auch.

„Die meisten Versuche, sich durch das Labyrinth der Verkünstelungen des Denkens und Wollens durchzutasten, brechen viel früher ab, nämlich bei den großen Barock-Denkern des 17. Jahrhunderts wie Francis Bacon, Hobbes, Galilei, Descartes und Leibniz. Das ist kurzsichtig. Diese Denker haben keine neue Abstraktionsbasis gelegt, sondern auf der ersten weitergebaut und durch Formulierung des Prinzips und der Methode der Welt­bemächtigung“ ‒ ein Begriff von Heidegger, der hier nicht in Anführungszeichen steht ‒ „in der Methode der Weltbemächtigung, das in der längst etablierten Perspektive schlum­mernde Potential zu der folgenden Explosion des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts zu befreien, indem man sich davon mitreißen ließ“ ‒ Heidegger spricht ja vom „Fortriss“ ‒ „indem man sich davon mitreißen ließ, ist die Verkünstelung inzwischen so weit gediehen, dass das Denken den Spezialisten der Computer-Manipulation und das Zeugnis vom Sich-befinden und Zumute-sein der Menschen dem nahezu ausgestorbenen Volk der Dichter überlassen werden muss. Diese Scherung ist gefährlich, weil es unter der ..“ ‒ ist ein sehr schönes Argument, starkes Argument von Schmitz ‒ „diese Scherung ist gefährlich, weil sich unter der Oberfläche der Rationalisierung die ungesichtete Dynamik des affektiven Betroffensein staut.“ Notwendig staut sie sich, weil sie muss ja sich Raum schaffen, sie ist ja eine Bewusstseinsqualität, eine Gefühlsqualität, sie muss ja ihren Raum haben, also „unkontrollierbar staut und irgendwann unkontrollierbar durchbricht. Zum Beispiel in Deutschland unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Deswegen ist die Neue Phänomenologie darum bemüht, die klaffende Spanne zwischen Begreifen und Betroffensein durch Gedanken zu durchleuchten, der unwillkürlichen Lebenserfahrung mit genauen und geschmeidigen Begriffen zu füllen und dadurch das Betroffensein der Besinnung anzueignen.“

Ein sehr starkes Argument, finde ich, weil Schmitz sagt mit einigem Recht, dass gerade weil das sogenannte affektive Betroffensein, der ganze Bereich der sogenannten Gefühle in dem Wissenschaftsklima, was von Objektivität und Abstraktionismus bestimmt ist, praktisch keine Rolle spielt, aber trotzdem da ist. Als lebendige Wirklichkeit jedes Einzelnen, neigt es natürlich dazu, sich zu stauen, weil es ja keinen Raum dafür [gibt]. Beobachtungen haben ja keinen Wert. Einwände aus der elementaren Leib-Erfahrung, etwa gegen eingefahrene, etablierte Theoriegebäude, werden ja schnell abgebügelt als irre­levante, letztlich ignorante Beobachtung. Das ist wichtig, und das finde ich einen kolossal entscheidenden Punkt hier in dieser Wahrnehmung wieder ein Stück Geist und philoso­phischer Würde reinzubringen. Und das setzt, das habe ich vorhin schon gesagt, Genauigkeit in der Wahrnehmung voraus und an der mangelt es überall. Das kann man sehen. Ganz wenige, die diese, sagen wir mal, diese Genauigkeit der Selbstwahrnehmung was das sogenannte leibliche Befinden betrifft, haben, sind die Homöopathen, weil in der homöopathischen Arzneimittelprüfung zum Beispiel oder auch in der Beschreibung von Zuständen von Krankheitsbildern eine ganz präzise Form gefunden werden muss. Wann verstärken sich die Schmerzen ‒ bei Feuchtigkeit, bei Kälte, morgens oder abends, nachts oder mittags usw. Da wird eine genaue Beobachtung vorausgesetzt und kann auch geschult werden. Also das geht, man kann tatsächlich, wenn man mal den Schlüssel gefunden hat für diese Zusammenhänge überhaupt, erstaunlich weit kommen in der Beobachtung dieser Vorgänge. Vielen geht schon von einem bestimmten Punkt an, sage ich mal, die Differen­zierung verloren, weil Begriffe fehlen, weil Kategorien fehlen, weil man überhaupt gar nicht weiß, wie man das irgendwie, sprachlich, geistig überhaupt fassen soll, was da passiert. Das ist ein sehr schwieriges Feld.

Ich glaub ich mach noch mal ne kleine Pause, ein paar Minuten und Sie können sich in der Zwischenzeit mal hier auch noch das Literaturverzeichnis holen, wenn es nicht schon ganz herumgegangen ist. Wir machen 6, 10 Minuten Pause.


[Die Definition] von Schmitz finde ich sehr schön: „Phänomenologie ist das Bestreben, durch systematische Abschälung aller vom Belieben abhängigen Annahmen den harten Boden der Phänomene freizulegen, nämlich der Sachverhalte, die man jeweils als Tat­sachen anerkennen muss, weil man sie nicht im Ernst bestreiten kann.“ Das ist wichtig. Es geht wirklich um den harten Boden der Phänomene und den kann man nur erschließen durch eine große Genauigkeit der Beobachtung und durch eine hohe Differenzierung in der Sprache. Das ist nicht willkürlich, nicht beliebig, gerade das ist es nicht. Es ist nur nicht üblich, nicht verbreitet. Es wird häufig nicht für würdig befunden, überhaupt in die philosophische Reflexion einzugehen.

Und noch kurz, weil es wichtig ist für die gesamte Vorlesung. Ich habe das genannt: „Die Frage des Leibes ‒ Wie lässt sich Naturphilosophie als Leibphilosophie betreiben?“ Weil es immer wieder gefragt wird, nach dem grundlegenden Zusammenhang auch von Naturphilosophie, wie ich sie verstehe und Naturwissenschaft. Ich will das noch mal ganz kurz sagen, obwohl ich das in verschiedenen Zusammenhängen auch immer wieder angedeutet habe. Im strengen Sinne einer vertieften Betrachtung von Natur lassen sich Naturwissenschaft und Naturphilosophie überhaupt nicht voneinander trennen. Punkt 1. Nicht zufällig, auch das sage ich ja öfter, hat sich einer der bekanntesten Naturforscher, nämlich Newton, primär als Naturphilosoph bezeichnet und nicht als Physiker. Das ist also im Grunde gar nicht streng zu trennen. Und doch besteht ein wesentlicher Unterschied, der sich, geschichtlich gesehen, zuweilen darin gezeigt hat, dass Naturwissenschaftler mit einer gewissen Freude und Inbrunst verkünden, sie seien eben keine Philosophen. Das kann man bis in Gespräche…, oder das habe ich häufig in Gesprächen mit Naturwissenschaftlern, Physikern usw. festgestellt. Von einem bestimmten Punkt an kommt der Rückzieher in die Rede: Ja, ich bin kein Philosoph, also das kann und will ich in der Form nicht durchdenken. Hat die Naturphilosophie überhaupt einen eigenen Anspruch? Oder ist sie nicht letztlich nur eine Art Magd der Naturwissenschaft, wie das früher war? [wie auch die] Magd der Theologie? Muss nicht die Naturphilosophie letztlich immer ein Augenmerk richten auf das, was in den Naturwissenschaften passiert und dadurch natürlich ihre eigene Würde, ihren eigenen Zugang vernachlässigen? Ja und nein.

Ich will das mal an einem Zitat eines Naturwissenschaftlers erläutern, [Bernulf] Kanitscheider, in seinem Buch „Von der mechanistischen Welt zum kreativen Universum“. Der streitet ausdrücklich, und das ist eine Position, die man häufig hören kann, den Eigenanspruch der Naturphilosophie, der Philosophie als eigener Welterfahrung überhaupt ab. Kanitscheider schreibt: „Die Idee einer autonomen philosophischen Welterfahrung“ ‒ die ich ja letztlich auch voraussetze ‒ „die genuine Erkenntnisse der Realität jenseits der wissenschaftlichen Rationalität hervorbringt, ist ein Irrtum, ist eine Illusion. Es gibt kein einziges Beispiel eines absolut analyseresistenten Sachverhalts, der durch unmittelbar erlebte Erfahrung gewonnen wurde. Wir haben nur die historische Abfolge von Theorien und ihren verschiedenen Repräsentanten der Natur und ihre Bewährungsgrade zur Verfügung. Was wir vernünftigerweise als existierend ansehen, ist der Objektbereich, über den die zum gegenwärtigen Zeitpunkt besten Theorien sprechen. Es gibt keine speziell philosophische Erkenntnisquelle, die diese ontologische Relativität durchbrechen kann.“ Also vollkommen eindeutig eine Zurückweisung eines eigenständigen philosophischen Anspruchs.

Wenn man dann die Argumentation sich im Einzelnen anschaut, dann weiß man auch, warum das so ist. Das wird ja hier auch schon in dem kurzen Zitat deutlich. Die Grundrichtung der Naturwissenschaft ist eine reduktionistische. Sie versucht ständig Phänomene, Qualität, zu reduzieren, zurückzuführen auf jeweils das, was ihnen als das eigentlich Reale zugrunde liegt. Die Naturwissenschaft ist im Grunde genommen immer das, was Max Planck mal genannt hat, die Suche nach dem endgültig Realen. Das heißt: immer weiter zurückführen auf das, was in den Erscheinungen den letzten Grund darstellt, den zu fassen. Und dieser letzte Grund ist in weiten Bereichen der modernen Natur­wissenschaft einfach die mathematische Form, das ist die Auflösung des Stofflichen bis hin zur mathematischen Form, also eine Mathematisierung und eine Reduktion. Und wenn man das absolut setzt, kann natürlich der philosophischen Betrachtung etwa des Leibes gar keine Eigenwürde zugesprochen werden. Dann ist das, was Hermann Schmitz macht, und andere machen in dem Punkt oder was auch in diesem Falle versucht wird, letztlich naturwissenschaftlich-reduktionistisch gesehen nichts weiter als qualitatives Reden auf einer bestimmten Ebene der Phänomene, die letztlich nicht weiter reduziert werden, weil man noch nicht dahin gelangt ist. Man wird und kann es, aber sollte man es auch? Das glaube ich nicht.

Nun kann man das mit aller Vorsicht sagen, man muss keine Rückzugsgefechte führen, das ist immer schwierig, wenn das philosophische Denken sich im Rückzugsgefecht behaupten muss. Rückzugsgefechte sind ja, werden ja geführt, wenn die Schlacht eigentlich schon verloren ist. Man kann aber feststellen, dass diese Phänomenologie des Leibes tatsächlich eine ganz eigene Qualität hat, die mit den reduktionistischen Naturwissen­schaften überhaupt nichts zu tun hat. Absolut nichts, weil es um eine lebendige, ganz­heitliche Erfahrung geht, die sich ihrem Wesen nach nicht reduzieren lässt. Ich habe das ja vorhin schon gesagt. Erfahrung jedes einzelnen Menschen in der Welt ist immer ein In-sein, einschließlich aller atmosphärischen, klimatischen oder auratischen, wenn man so will, Zusammenhänge. Der Einzelne ist nie eine isolierte Zelle, nirgendwo. Der Einzelne ist immer eingebettet in einen Gesamtzusammenhang, auch da, wo er wie im Falle der wissenschaftlichen Apparate, diesen Zusammenhang ignoriert, wo dieser Zusammenhang gar keine Rolle spielt. Wenn sie in irgendeinem Teilchenbeschleuniger, in irgendeinem riesigen Teilchenbeschleuniger arbeiten, als Physiker, und Sie thematisieren die Psycho-Atmosphäre oder gar die Möglichkeit, dass hier sogar Ergebnisse bestimmt sein könnten, machen Sie sich einfach lächerlich. Es ist kein Thema, kein eigenes Thema in diesem Kontext. Faktisch ist es aber so, dass diese Dinge ständig hineinspielen und auch jeden einzelnen Forscher in einem unvorstellbaren Maße mit prägen, beeinflussen.

Jedes einzelne Forschungsinstitut hat eine eigene psycho-atmosphärische Aura, die jeden einzelnen Teilnehmer dann ganz stark bestimmt. Tatsächlich, bis zum Teil jedenfalls, bis in die Ergebnisse hinein. Es ist ein Mythos anzunehmen, dass all das jenseits dieser Psycho-Atmosphären geschieht und dass es die pure Objektivität gäbe, an der nicht zu rütteln ist. Allein schon diese strikte Aufteilung in das sogenannte Objektive und das sogenannte Subjektive ist bei Licht gesehen überhaupt nicht haltbar. Denn was sind sogenannte Tatsachen, wenn einer sagt, gut, das ist eine Tatsache. Ja, was sind Tatsachen? Der Tisch, eine Tatsache, die Brille, die [dort] liegt, ist das eine Tatsache? Licht ist eine Tatsache. Dann ist die Trauer eines Menschen eine Tatsache. Der Schmerz eines Menschen, die Eitelkeit, die Dummheit eines Menschen, das sind alles Tatsachen. Bloß, wie fasse, wie greife, wie bestimme, wie verifiziere ich diese sogenannte Tatsachen? Also schon da wird es schwierig, das zu tun. Das heißt, vielleicht sogar kann man so weit gehen zu sagen, dass diese Aufteilung in Subjekthaftes und Objekthaftes in der in Jahrhunderten praktizierten Form, so eine pure Illusion ist. Das lässt sich nie durchhalten. Es ist ein Postulat, eine Prämisse, die bis zu einem gewissen Grade auch erfolgreich darauf basiert, dass zum Beispiel die gesamte Technik … , dass eben keine Rolle spielt, welche Qualitäten jeweils vorliegen und auch welche qualitativen Raum-Empfindungen vorherrschen, etwa in geo­metrisch-mathematisch-euklidischen Raum, in diesem dreidimensionalen Raum oder ganz zu schweigen von mathematischen, abstrakten Hyperräumen. Es ist vollkommen egal, was der Einzelne fühlt, denkt und empfindet ‒ das wird abgespalten, abgetrennt, ist in diesem Sinne ein, wenn man das so nennen will, ein neurotisches Produkt. Das ist ein wichtiges Element, die Subjekthaftigkeit hier zurückzubinden und tatsächlich in eigener Würde anzuerkennen. Und das ist schon sehr viel mit dem gesamten Phänomenbereich, der dazu gehört.

Ein letztes Zitat noch mal zum Leib aus dem Buch „Leib und Gefühl“ von Hermann Schmitz; relativ anspruchsvolle, schwierige Texte, aber hochinteressante Texte. Wer mal den Versuch macht, sich da einzulesen, wird zunächst Schwierigkeiten haben, aber wenn er eingelesen ist, dann ist es wirklich kolossal erhellend und fruchtbar. Man kann es dann gar nicht mehr ausklammern, wenn man mal den Blick dafür gewonnen hat. Über den Leib noch mal: „Jeder spürt Schmerz, Hunger, Durst, Schreck, Wollust, Behagen, Frische, Mattigkeit, Ein- und Ausatmen. Das sind Beispiele leiblicher Regungen, die in der Gegend, des sicht- und tastbaren eigenen Körpers auftreten, ohne selbst sichtbar und tastbar zu sein.“ Die Frische, die ich fühle, oder die Müdigkeit und die Langeweile sind ja keine sichtbaren, fassbaren Dinge, sind ja keine Gegenstände, keine Es-heiten. „Die herkömmliche Meinung, die sich an der Zerlegung des Menschen in Körper und Seele, alias Bewusstsein, Mind, Geist, Gemüt orientiert, zerlegt so auch die leiblichen Regungen in einer Weise, die sich in dem gängigen Ausdruck ,Organ-Empfindungen‘ niederschlägt. Das Körperliche soll eine auf dem Weg über Besehen, Tasten zugängliche Veränderung an Körperteilen sein, das Seelische eine zugeordnete, vielleicht davon hervorgebrachte Empfindung. Nach meiner These handelt es [sich] dagegen um ein eigenständiges Gegenstandsgebiet des Spürens am eigenen Leib, das mit genuiner Struktur weit über diesen hinausreicht, unter anderem als Spielraum leiblicher Kommunikation, der auch zwischen Menschen und ständig passiert. In jedem Gespräch mit einem anderen Menschen, im Blickkontakt gibt es eine leibliche Kommunikation, die erkenntnistheoretisch, anthropologisch, sozial, pathologisch und so weiter, von grundlegender Bedeutung ist. Diese Eigenart bekommt natürlich namentlich an dem die Funktion Dynamik des spürbaren Leibes charakterisierenden Kategorien-System oder Alphabet der Leiblichkeit zum Vorschein, lässt sich aber schon vorher durch wenige hervorstechende Merkmale der Räumlichkeit des Leiblichen summarisch charakterisieren. Das eigenleiblich Gespürte ist stets räumlich ausgedehnt.“ Wie der ertastbare Körper, aber in wesentlicher Weise. „Dieser Körper hat nach außen eine scharfe flächige Grenze an der Haut. Der spürbare Leib hat keine Haut und keine Fläche. Man kann Flächen ebenso wenig am eigenen Leib spüren, wie man sie hören kann. Überhaupt hat die leiblich spürbare Räumlichkeit mit dem Hörbaren einiges gemein. Dazu gehört, dass in beiden Fällen trotz Flächenlosigkeit Volumen vorliegt.“ Und so weiter.

Ich werde darauf im Einzelnen noch näher eingehen. Es ist wichtig, dass diese soge­nannten Psycho-Atmosphären, etwa eine beklommene Stille, eine peinliche Atmosphäre, eine gespannte Erwartung, eine gelangweilte Haltung, eine aufmerksame Haltung, eine belustigte kollektive Gemütsverfassung, eine höhnische kollektive Haltung: All das sind Wirklichkeiten, die tatsächlich sehr tief gehen und sehr tief beeinflusst, von denen man sich nicht ohne Weiteres loslösen und befreien kann. Ich habe das ja an dem Beispiel dieser Podiumsdiskussion genannt, dass das bis ins fast Physische hinein … wie ein physischer Druck entsteht da, dass man plötzlich das Gefühl hat, das, was man sagen möchte, wird erschwert durch diesen Druck, der da entsteht, also in dieser Psycho-Atmosphäre.

Letztlich geht es ja um die Frage überhaupt in diesem Semester generell beim Denken, sonst ist ja Denken völlig müßig und auch im Grunde ein intellektuelles Sand­kastenspiel, wenn es nicht um Wirklichkeit geht. Und was ist sonst interessant außer der wirklichen Wirklichkeit? Denken kann nur dann sinnvoll sein, wenn es Wirklichkeit berührt. Und das ist es, worum es geht. Was ist Wirklichkeit? Man kann natürlich sagen ‒ Schmitz macht das zum Beispiel ‒ dass die dichteste, konkreteste, kompakteste Wirk­lichkeit immer dann vorliegt, wenn der Einzelne, wie er das nennt, in die primitive Gegenwart geschleudert wird, etwa durch einen massiven Schmerz, [wenn einer] stürzt und sich eine Schürfwunde zufügt. [Er ist] in diesem Moment vollkommen reduziert auf diesen Moment des Schmerzes, der ihn vollkommen durchzuckt und alle seine übrigen Leib-Empfindungen zentral beeinflusst. Ist das ein höherer Grad an Wirklichkeit, etwa der Schmerz, der physische, leibliche Schmerz, ist das ein höherer Grad von Wirklichkeit, auch der Zahnschmerz und andere Schmerzen, oder Nierenkoliken. Sind das höhere Grade von Wirklichkeit, als zum Beispiel eine distanzierte, objektivierende Betrachtung der Distanz von all dem, etwa im Denken oder in der Ich-Empfindung?

Ich meine, die Ich-Empfindung entsteht ja aus einer gewissen Distanz, die das Tier nicht hat. Wenn Sie Tiere beobachten, dann stellen Sie fest, dass das Tier in gewisser Weise vollkommen identisch ist mit der eigenen konkreten Leiblichkeit. Es hat nicht die Möglich­keit, gleichsam zurückzutreten in einer Art von Eskapismus, sich zurückzunehmen aus der eigenen leiblichen Verhaftetheit ‒ was der Mensch kann. Der Mensch kann in jeder, fast in jeder Situation in gewisser Weise sich rausnehmen. Hat also diese Möglichkeit, dieses Tor quasi des Eskapismus. Ja, ist das weniger wirklich, diese distanzhafte Haltung, die eine Beobachterhaltung ist, nicht unmittelbar festgenagelt, hineingezerrt, sozusagen, in das Hier und Jetzt, wie etwa durch einen starken Schmerz oder einen seelischen Schmerz, eine überwältigende Emotion? Es ist ja so, dass viele Menschen, einer der ersten, der das klar beobachtet hat, war Schopenhauer, aber auch Spinoza und andere, dass festgestellt wurde, dass Menschen sich nur dann wirklich interessieren für irgendetwas, wenn ihre Subjekt­haftigkeit ins Spiel kommen darf, auch ihre Emotionen, ihre Befindlichkeiten, Wut, Hass, Freude. Wenn das gar nicht ins Spiel kommen darf, setzt Langeweile ein. Sozusagen setzt die Langeweile in dem Moment ein, wo der Einzelnen das Gefühl hat, das alles hat mit mir nichts zu tun. Das ist sozusagen ein abgetrenntes, abgespaltenes Gerede und löst ein Gefühl der diffusen Langeweile aus, des Absinkens des Aufmerksamkeitspegels. Aber in dem Moment, wo der Einzelne sich als unmittelbar Betroffener fühlen kann und als unmittelbar Betroffener auch wirklich ernst genommen wird und nicht kleingemacht wird, als ob das alles keine Bedeutung habe, da steigt die Aufmerksamkeit.

Insofern ist die Phänomenologie des Leibes etwas, das, wenn man es genau betrachtet, jeden Einzelnen vollkommen betrifft und erfüllt. Also keiner kann bei diesem Thema in gewisser Weise das draußen lassen, weil, wenn er es ernst nimmt, muss er es reinnehmen, weil sonst bleibt es einfach das, was Goethe gern als Wortkram bezeichnet, ein abgetrenntes Reden über etwas. Und dann ist es nicht wirkliche Phänomenologie. Die Phänomenologie kann nur dann einen Sinn haben, wenn sie ernsthafte Phänomenologie ist, wenn sie wirklich die Bewusstseinsphänomene in den Blick nimmt, beobachtend, spürend und auch mittels der Sprache. Das ist mir immer sehr wichtig, ich habe das auch in meinen letzten Büchern versucht durchzuhalten, den Einzelnen immer wenn er denn überhaupt sich hineinnehmen lassen möchte, [ihn] direkt in seiner unmittelbaren Selbst- und Lebens­erfahrung anzusprechen. Nicht, dieses Abgetrennte, Abgespaltene, und da ist die Phäno­menologie des Leibes ein wunderbares Mittel, eine ganz andere Wahrnehmung zu gewinnen für das eigene In-der-Welt-sein. Gut, ich will das erstmal … , das soll für die Einleitung heute einfach reichen.

Ich will noch mal einiges sagen zum Literaturverzeichnis und zum Gesamtkonzept des Semesters und heute keine Diskussion machen.


Und die Frage, die jetzt gestellt worden ist, schon zwei, dreimal, ob ich das wieder ändern kann mit dem Zeitpunkt. Im Moment lasse ich das jetzt. Mir war klar gesagt worden, der Raum sei belegt, er ist es offenbar heute nicht gewesen, von sechs bis acht. Aber ich will jetzt keine weitere Konfusion stiften. Wir lassen erst mal bei der Acht Uhr Zeit. … Ja, das können wir dann machen. Ich kann ja auch. Wir können es ja auch anders machen, ich kann ja auch darauf verzichten. Wir gucken mal. Das geht schon. Wir kriegen das schon hin.
Können Sie mal ein Literaturverzeichnis vornehmen? Ich will da ein bisschen was zu sagen. Ich habe mir sehr genau überlegt, welche Literatur ich hier reinnehmen soll für das Thema. Ich habe wirklich sehr bedacht eine Auswahl getroffen, die ich für sinnvoll halte. Ich gehe jetzt nicht die Punkte der Reihenfolge nach durch, ich fange mal im unteren Drittel an.

Hermann Schmitz, das ist ein Autor, der ungeheuer viel geschrieben hat, und ich greife nur zwei seiner Bücher hier raus, „Der Leib, der Raum, die Gefühle“, ein schmales Bändchen von kaum 100 Seiten, das den Versuch macht, die Essenz dieser Phänomenologie zu bringen. Und dann „Leib und Gefühl“, eine Sammlung von Essays in der Reihe „Inno­vative Psychotherapie und Humanwissenschaften“, von Psychotherapeuten herausge­geben, die große Verehrer von Schmitzs sind und davon ausgehen, dass Schmitz‘ Phäno­menologie auch psychotherapeutisch eine große Bedeutung hat. Also ein wunderbarer Band mit Essays zur Phänomenologie.

Dann der zweite Titel hat auch mit Phänomenologie zu tun, das ist ein Buch eines Anthroposophen, eines anthroposophischen Physikers, „Wärme, Urmaterie und Ich-Leib ‒ Beiträge zur Anthropologie und Kosmologie“. Basfeld, also ein anthroposophischer Physiker, beschäftigt sich sehr intensiv mit Phänomenologie, und da liegt dann auch die Stärke. Übrigens auch mancher anderer anthroposophischer Autoren, auch wenn man deren Interpretationen nicht immer teilen kann, so sind sie doch im Beschreiben von Phänomenen oft sehr stark, und deswegen haben sie ihre Bedeutung, also in der phänomenologischen Hinsicht, nicht unbedingt immer in der, sagen wir mal, ideologischen Vorprägung, die dann Interpretationen liefert. Nicht dass alle Interpretationen deswegen falsch sein müssen, will nur sagen, das ist erstmal nicht das Primäre, aber die Phänomene sind es, die Phänomenologie.

Wichtig auch für dieses Semester sind die beiden Bände von Peter Sloterdijk „Sphären I“ und „Sphären II“. Das habe ich auch im Wintersemester gesagt und möchte das hier auch noch mal erwähnen, zwei hochfaszinierende Bände, jetzt demnächst soll der dritte Band erscheinen, es gibt drei Bände, und … in denen sehr viel auch von phäno­menologischen Raum-Erfahrungen die Rede ist und auch von Leib-Erfahrungen bis hin zu möglichen Erinnerungen an pränatale, an intra-uterine Geschehnisse. Also das spielt eine große Rolle, und das kann ich wirklich sehr empfehlen, bei allen sprachlichen Manierismen, auch von Sloterdijk, seiner wirklich oft überbordenden, manchmal auch geschwätzigen Form, aber gleichwohl sind viele faszinierende Ansätze drin, die auch für das Thema wichtig sind.

Sloterdijk bezieht sich mehrfach auf einen Autor, den ich hier drin habe am Schluss, einen HNO-Arzt, Alfred Tomatis. Eines seiner vielen Bücher habe ich angegeben „Der Klang des Lebens“. Tomatis hat geforscht über die Klang-Wahrnehmungen im Mutterleib, also in der intra-uterinen Phase. Was wird wahrgenommen vom Fötus an Geräuschen der Mutter, an Klängen? Wann entwickelt sich das Ohr und so weiter? Davon wird in der Regel noch die Rede sein in der Vorlesung am 4. Juli.

Von mir selber habe ich meine beiden letzten Bücher aufgenommen, die auch viel enthalten zur Phänomenologie, das letzte „Räume, Dimensioen, Weltmodelle – Impulse für den andere Naturwissenschaft“, vor allen Dingen naturwissenschaftlich-naturphiloso­phisch-kosmologische Fragen, eine radikale Kritik an der Mainstream-Naturwissenschaft und der Versuch einer Alternative.

Zwei Aufsätze von mir habe ich hier angegeben, einer in dieser Zeitschrift „Hagia Chora“ mit dem Titel „Wie ausgedehnt sind wir? Raum, Leib und Bewusstsein“, wo ich mich mit der Frage beschäftige mit der Leibwahrnehmung außerhalb der Grenzen des physisch-sinnlichen Körpers.

Und im anderen Essay, der im Sammelband steht „Wissenschaft vom Lebendigen“, von Heiko Lassek herausgegeben, ein Beitrag zur Polarität von Schwere und Licht. Das wird uns auch beschäftigen in der Vorlesung am 20.6., vor allem im Zusammenhang mit der Leibwahrnehmung. Wie nehmen wir den Leib bei Licht und in der Dunkelheit wahr? Nämlich anders.

Dann ist ja auch von der Zeit die Rede in dieser Vorlesung am 30.5., da habe ich ein Buch aufgenommen, was ich sehr interessant finde, Hans Jörg Fahr, das ist der fünfte Titel, „Zeit und kosmische Ordnung – Die unendliche Geschichte von Werden und Wiederkehr“. Hans Jörg Fahr ist Astrophysiker, Professor für Astrophysik an der Universität Bonn, einer der wenigen Physikprofessoren, der ein radikaler prononcierter Gegner der Urknall-Hypothese, der Urknall-Fiktion ist, überhaupt die moderne Kosmologie scharf kritisiert. Und das ist ein hochinteressantes Buch, ein Versuch, die Zeitdimension, Ich-Leib kosmisch usw. zu beleuchten, nicht einfach zu lesen, relativ anspruchsvoller Stoff, manchmal in der Sprache auch etwas spröde in der Begrifflichkeit. Man muss sich wirklich einlesen, aber wenn man es geschafft hat, wenn man sich eingelesen hat, hat man kolossalen Gewinn. Also ein richtig starkes Buch über Zeit. Eines der besten Bücher, die es gibt darüber.

Gernot Böhme, der Autor, der davor auftaucht, ist ein Mann, der sich in dieser Frage der Leibphilosophie auch einen Namen gemacht hat. Er hat viel geschrieben über die Leibfrage. Sein Bruder Hartmut Böhme ist ja hier an der Humboldt-Universität, die haben auch Verschiedenes zusammen veröffentlicht. Gernot Böhme, viele Bücher geschrieben, habe nur eines seiner Bücher hier aufgeführt: Suhrkamp Taschenbuch „Natürlich Natur“. Und da taucht ein sehr interessanter Essay auf mit dem Titel „Leib – die Natur, die wir selbst sind“. Also Gernot Böhme ist ein wichtiger Mann, der sich auch intensiv mit Schmitz und anderen beschäftigt hat.

Dann ein Buch, was ich für sehr wichtig halte, obwohl es kaum bekannt ist. Günter Schulte, ist oberhalb von vorteilhaft „Philosophie der letzten Dinge – Liebe und Tod als Grund und Abgrund des Denkens“. Das ist ein Philosoph aus Köln, der hier Essays zusammenträgt, auch über die Frage der Leibwahrnehmung viel spricht und hochinter­essant, kaum bekannt, aber faszinierend, was er zusammenträgt, auch im Sinne der Grundthese, dass die Beziehung des Denkens zum Eros, zur Liebe bzw. zum Tod die Achse des Denkens überhaupt ist; und zwar die uneingestandene, die undurchschaute Achse des Denkens.

Der vorletzte Titel beschäftigt sich mit einer, sagen wir mal, ist von einer eher feministisch orientierten Philosophin, die den Versuch macht, von der Leiblichkeit der Frau aus die ganze leibphilosophische Frage zu beleuchten. „Sophias Leib, Entfesselung der Weisheit“, Annegret Stopczyk. Sie wirft der ganzen Philosophie eben diese Leibfremdheit vor, die Leibvergessenheit vor. Sie meint, das von der Erfahrung der Leiblichkeit der Frau aus da ein neuer Zugang sich eröffnen könnte.

Der erste Titel ist auch ein Anthroposoph, ein Physiker und Mathematiker. Eine Sammlung von Essays, auch phänomenologisch hochinteressant, nicht immer in den Interpretationen so schlüssig.

Gut, ich will dann in einer Woche wieder um 20 Uhr sprechen über die Frage des Raumes, Räumlichkeit des Lebendigen, ich will den Raum der Physik gegenüberstellen dem Raum des Leibes und versuchen von dort her erste Einsichten zu vermitteln oder zu gewinnen über den inneren Raum des Leibes, von dem schon einleitend die Rede war. Das will ich in den Mittelpunkt stellen der nächsten Vorlesung.

Wenn Sie also andere haben, die auch in die Vorlesung kommen, sagen Sie bitte, dass Ihnen mit der Zeit, dass ich die Zeit also jetzt auf 20 Uhr verlagert hat, dass das sich einpendelt. Und wir lassen es erst mal bei dieser Zeit, 20 Uhr aus. Für manchen Berufstätigen ist vielleicht sogar gar nicht schlecht.

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