Das Bewusstsein der Erde – Von Gaia zu Demeter

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 31

Transkript als PDF:

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Ich habe das heute genannt: „Von Gaia zu Demeter – zur Weiterentwicklung und Vertiefung der Gaia-Theorie vom Bewusstsein der Erde“. Und ich möchte mal anknüpfen an das, was wir vor einer Woche behandelt haben. Wir waren ja der Frage nachgegangen, das war ja das Thema der Vorlesung: Können wir dem Kosmos trauen?, ausgehend von einer Frage Einsteins, die dann von Mathew Fox weiterentwickelt wurde, und wir haben uns mit bestimmten Kataklysmen-Theorien, Katastrophen-Theorien beschäftigt, unter anderem mit der Frage, ob es möglich, besser wahrscheinlich, in absehbarer Zeit wahrscheinlich ist, dass eventuell eine kosmische Katastrophe auf dieses Gestirn Erde zukommt. Die Frage, die in dem Zusammenhang im Raum stand, ist von allerhöchster Brisanz und auch Aktualität, auch im Hinblick auf die Frage, die uns ja in diesem Semester ohnehin zentral beschäftigt: In welchem Universum, in was für einem Universum leben wir?

Es ist ja keine intellektuelle oder müßige akademische Frage, sondern ja eine zentrale Frage, die jeden in der einen oder anderen Form berührt oder berühren müsste. Kein Mensch kann sich ja vollkommen rausnehmen aus dieser Frage. Jeder ist ja, lebt ja zu seinem Teil auch eine Antwort auf diese Frage. Und die Frage nach dem größeren Kosmos, nach dem Makrokosmos und der Stellung der Erde bzw. des Menschen innerhalb dieses Makrokosmos ist auch in diesem Zusammenhang zentral wichtig. Ich sage das deswegen, weil ich vor kurzem einen längeren Brief erhalten habe im Hinblick auf meine beiden letzten Bücher von einem, sagen wir mal, grün-spirituell orientierten Menschen, der seine Achtung ausdrückte in diesem Brief über diese Bücher und viel Anerkennung, ja Bewunderung erkennen ließ, aber dann einen Einwand erhob, eine Einschränkung machte. Er sagte: ob es nicht letztlich für den Menschen mehr oder weniger unerheblich sei, in welchem Makrokosmos er sich befinde, ob es nicht für die Erhaltung der Erde, für den Schutz der Natur, für die Orientierung auf dieses Gestirn Gaia unerheblich sei und der Mensch sei aus gutem Grund, schrieb er mir, nicht ausgestattet mit Wahrnehmungsorganen für den Makrokosmos. Er sei aus gutem Grund in seiner Ausstattung als Mensch mehr oder weniger festgelegt auf diese Gestirnoberfläche.

Nun könnte man zunächst sagen: Ist das überhaupt so? Stimmt das? Ist das richtig? Zumindest kann man das, was die Sinnesorganisation betrifft, ja mit Sicherheit so sagen, und das muss man ja bejahen. Und dem liegt aber ein interessanter Schluss zugrunde, der immer wieder zu hören ist, nämlich die Frage oder die These, dass dem Menschen ein vertieftes Wissen über das Universum, über den Kosmos, den Makrokosmos mehr oder weniger verschlossen sei und dass es den Menschen eher ablenke von seinen eigentlichen und ihn ständig bedrängenden und bewegenden Problemen. Das ist nach meiner Überzeugung falsch. Denn die Vorstellung von dem Universum als Ganzes in irgendeiner Form bewegt jeden mehr oder weniger, jeder lebt mehr oder weniger, ich sage es noch mal, auch seine spezifische Form der Antwort auf diese Frage. Es ist nicht so, dass man das grundsätzlich voneinander abkoppeln könnte.

Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Michael Succow und Rudolf Bahro im Audimax vor sechs Jahren, sechs, sieben Jahren. Da ging es auch schon mal um diese Frage. Damals hat Michael Succow gesagt: Ja, die ganze Frage des Kosmos, der Kosmologie sei doch für den Ökologen vollkommen unwichtig. Er habe sich zu konzentrieren auf die Erde und weitergehende Gedanken, wie denn der Kosmos als Ganzes beschaffen sei, würden den Menschen eher davon abbringen. Man könnte mit Fug und Recht, so meinte damals Succow, die Erde wieder ins Zentrum des Universums setzen, man könnte wieder geozentrische, eine geozentrische Kosmologie befürworten. Ja, in gewisser Weise sollte und müsste man das auch tun. Man müsste diese Erde, diesen Organismus Gaia wieder ganz ins Zentrum stellen. Das ist der eine Punkt.

Ich habe das damals schon im Audimax in der Diskussion zurückgewiesen und ich habe versucht, Gegenargumente zu bringen. Ob die damals so überzeugend waren für Succow, weiß ich nicht. Auf jeden Fall hat sich eine heftige Diskussion um die Frage entzündet.

Wenn wir hier in dieser Vorlesung immer wieder auch auf Grundfragen eingehen nach der Stellung des Menschen im Universum und auch nach den Gesetzen, die das Universum bestimmen, und wenn ich in verschiedenen meiner Bücher und auch hier im Saal ja oft auch Kritik vorbringe an der Mainstream-Physik oder Mainstream-Kosmologie, so sind das nicht primär intellektuelle Fragen, sondern, ich sage es nochmal, das sind existenzielle Fragen, weil diese Bilder in unserem Kopf, in unserer Seele und unserem Geist tatsächlich auch unser In-der-Welt-sein und Auf-der-Erde-sein wesentlich mitbestimmen. Das ist wirklich zentral für die gesamte Fragestellung. Es ist nicht unerheblich, wie das Universum als Ganzes beschaffen ist, auch für die Ökologie-Frage. Das habe ich auch immer wieder versucht zu sagen. Ja, ich habe ja die relativ weitgehende, man kann auch sagen: allzu weitgehende, provokative These verschiedentlich formuliert, dass, wer ein bestimmtes Bild vom Universum verficht, vertritt und dafür einsteht, wie es in der Mainstream-Kosmologie geschieht, der wird geneigt sein, wenn er dann die Erde so bewertet, wie sie bewertet wird, auch die ihn tragende Erde zu zerstören, also bis hin zu der extremen These: Wer den Urknall favorisiert, der favorisiert in gewisser Weise auch die Zerstörung des Planeten.

Nun könnte man sagen: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Das eine ist eine theoretische Überlegung, die man anzweifeln kann, wo man Gegenargumente für geben kann. Was hat das [damit] zu tun? Ich meine aber, es ist eine grundlegende Frage, die mit unserem In-der-Welt-sein, Auf-der-Erde-sein zu tun hat, mit Bewusstsein und Geist. Und auch jetzt mit der Frage von heute Abend nach dem Bewusstsein, nach dem möglichen Bewusstsein der Erde. Ist dieses rätselhafte Gestirn, das wir bewohnen, dessen Oberfläche wir leidlich gut kennen, ein Organismus oder mehr oder weniger eine bewohnte, belebte Steinkugel, die irgendwann das Leben durch verrückte, komplizierte Zufallsprozesse hervorgebracht hat? Das sind ja Fragen, die jeden beschäftigen.

Gestern gab es im „Spiegel“, ich erwähne das mal kurz, wieder eine Titelgeschichte zur Physik und diesmal das Gehirn des Jahrhunderts. Es ging um Einstein und wieder mal wurden die alten Legenden und Mythen neu dargestellt, und es hat mich natürlich gereizt oder hätte mich gereizt, darauf jetzt eingehend einzugehen. Und das würde allerdings einen gewissen Umfang erfordern, und ich will das im Moment auf sich beruhen lassen, weil die Gefahr besteht, wie letztes Mal auch, dass ich dann zu ausführlich darauf eingehe, wie ich das bei der Fernsehsendung über das Licht getan habe. Ich möchte sie aber auf den Artikel hinweisen, und sie können den Artikel ja kontrastieren oder konfrontieren, wenn sie wollen, mit Dingen, die ich hier im Saal auch gesagt habe und die ich zum Teil auch in dem Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“ geschrieben habe.

Nur zwei Punkte möchte ich erwähnen, weil die wichtig sind und weil sie auch eine Grundfrage berühren, eine Grundfrage nach der Gesetzesordnung im Universum, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Mathematik und Wirklichkeit. Darüber haben wir auch schon oft gesprochen. Eine mathematische Präzision, ein mathematisches Modell, viele mathematische Modelle werden ja häufig, wie man sagen kann und gesagt hat, ontologisiert, das heißt, man macht aus bestimmten Konstrukten, mathematischen Konstrukten, Wirklichkeiten. Und da ist die Relativitätstheorie ein Musterbeispiel dafür, wie man aus bestimmten, im Grunde zirkelhaft gebauten Konstruktionen ein Weltmodell, ein Weltbild, ja eine Kosmologie entwickelt. Ich darf sie nur auf zwei Stellen mal in dem Buch hinweisen, die das unter anderem beleuchten, etwa auf den zweiten Teil des zweiten Kapitels, wo es um die Frage der Formel E=mc² geht, also Energie gleich Masse mal dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Seite 45 folgende, zweiter Teil des zweiten Kapitels, „Gründe und Abgründe physikalischer Gleichungen ̶ das Beispiel E gleich m c Quadrat“. Da gebe ich hier eine, wie ich sagen möchte, mit einigem Selbstbewusstsein in dieser Form bisher einmalige naturphilosophische Analyse dieser Formel, und zeige, was in der Formel möglicherweise steckt und wo eine Absolutsetzung dieser Formel heillos in die Irre führt.

Und natürlich spielt das in dem „Spiegel“-Artikel eine ganz zentrale Rolle. Auch die ganze Frage Einstein ̶ Newton spielt eine zentrale Rolle. Und ich will noch einmal einen kleinen, eine kleine Stelle aus dem sechsten Kapitel dieses Buches „Räume, Dimensionen, Weltmodelle ̶ Impulse für eine andere Naturwissenschaft“ vorlesen, weil da zentral auf diese Frage Bezug genommen wird nach dem Verhältnis von Mathematik und Wirklichkeit. Dann ist es ja immer wieder die Frage: Was bilden denn diese mathematischen Formeln ab? Sind sie Konstrukte des Geistes, oder bilden sie in irgendeiner Form Gesetzprinzipien des Universums ab, aus denen man dann weitreichende Schlussfolgerungen ableiten könnte? Eine Passage mal aus diesem Buch, aus dem sechsten Kapitel, und dann werden wir uns der Gaia-Frage zuwenden. Aber das hat auch mit Gaia zu tun. Das hat auch mit der Frage nach der Natur, nach der kosmischen Qualität der Gestirne überhaupt und dann auch der Erde zu tun.

„Als ein Musterfall für die Genauigkeit und Voraussagekraft der Newtonschen Himmelsmechanik gilt gemeinhin die Entdeckung des Planeten Neptun durch Leverrier im Jahre 1846. Leverrier hatte auf Grund von Bahnstörungen des Planeten Uranus auf einen sonnenferneren, bis dahin noch unbekannten Planeten geschlossen und dessen fiktive Masse und Umlaufzeit errechnet. Tatsächlich ist dieser neue Planet Neptun dann auch in unmittelbarer Nähe des von Leverrier vorausgesagten Ortes gefunden worden. Allerdings konnte die Bahnunregelmäßigkeit des Uranus auch dadurch nicht restlos geklärt werden. Die Entdeckung wurde damals enthusiastisch gefeiert. Als großer Triumph der Newtonschen Himmelsmechanik ging das durch die Weltpresse, damals, Mitte des 19. Jahrhunderts. Weniger gefeiert, und zwar aus naheliegenden Gründen, wurde eine andere Entdeckung des französischen Astronomen,“ also Leverrier, „die aufgrund genauer Bahnberechnungen erhärtete Feststellung, dass der sonnennächste Punkt der Umlaufbahn des Merkur, sein sogenanntes Perihel, jedes Jahr um einen bestimmten Betrag weiter rückte“. Das spielt natürlich auch eine große Rolle in diesem „Spiegel“-Artikel über Einstein. „Unter Berücksichtigung aller Störwirkungen blieb ein nicht aufzuklärender Restbetrag, der keineswegs als gering einzustufen ist, die schon genannten 43 Bogensekunden pro Jahrhundert. Dass mehr als 99 Prozent des verrechneten Gesamtbetrags, 5600 Bogensekunden, schulmechanisch oder klassisch zu erklären waren, wie immer behauptet wird, ist nur dann von Belang, wenn die Prämissen, auf denen die ganze Rechnung beruht, zutreffend sind. Sind sie es nicht, wovon ich überzeugt bin, dann ergibt sich ein ganz anderes Bild. Dann sind die 43 Bogensekunden Restbetrag nur eine Aussage darüber, dass das komplizierte System von Zirkelschlüssen, Fiktionen und empirischen Werten, auf denen alle Rechnungen dieser Art beruhen, auch bei bestem Bemühen nicht aufgegangen ist. Keine der Planetenbahnen im Übrigen entspricht exakt den Newtonschen Gesetzen.“

Dann bring ich ein Zitat hier, was von Carl F. von Weizsäcker stammt aus seinem Buch „Die Einheit der Natur“, wo er den Versuch macht, die Frage zu klären, was es mit der Mathematik und der Wirklichkeit auf sich hat, aus dem Buch „Die Einheit der Natur“, 1971. Vorher vielleicht noch ganz kurz, heißt es hier: „Mit der Schulmechanik lässt sich die Bewegung von festen Körpern auf der Erdoberfläche mit großer Genauigkeit berechnen. Für die Gestirne als Ganze hat diese Physik keine Gültigkeit, das habe ich nachgewiesen. Es ist im Wortsinn eine Oberflächenphysik, keine Physik der Tiefe. Um es unmissverständlich zu sagen: Die Entdeckung der Periheldrehung des Merkur hat das Gravitationsgesetz und die schulmechanische Bewegungslehre endgültig widerlegt. Alle Versuche, beides zu retten, sind erfolglos geblieben. Das mechanistische Denken überhaupt hat seine Unfähigkeit erwiesen, die Subtilität der Planetenbewegung zu verstehen. Wiederholt mokierte sich Einstein über alle Versuche, die klassische Mechanik in ihrer Anwendung auf die Gestirnbewegung mit mehr oder weniger gewaltsamen Zusatzeinnahmen zu retten.“ Nicht, das hat er oft getan. Es gab ja viele Überlegungen, wie man sozusagen die Schulmechanik retten konnte. „Der Spott war unberechtigt, und zwar aus doppeltem Grund. Zum einen ist aus der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht abzulesen, dass Einstein den eigentlichen Fehler im Gravitationsgesetz und in der schulmechanischen Bewegungslehre verstanden hätte. Auch ist die Fiktion der Raumkrümmung bzw. Krümmung der Raumzeit in der Nähe großer Massen eine gewagte, hoch abstrakte Konstruktion auf brüchigem Boden.“ Das habe ich hier nachgewiesen. „Zum anderen hat Einstein selbst auf eine dieser Zusatzeinnahmen, die von Paul Gerber vorgelegte, zurückgegriffen, diese aber verschwiegen.“ [alle Zitate aus „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“] Darüber habe ich das letzte Mal gesprochen. Der Vorwurf, dass hier ein Plagiat begangen wurde, ist nie schlüssig widerlegt worden.

Jetzt kommt die Passage von Weizsäcker in dem Buch „Die Einheit der Natur“. Zitat Carl Friedrich von Weizsäcker: „So wie die Physiker meistens reden, sagen sie, Newton hat seine Hypothese empirisch bestätigt. Er hat die Planetenbahnen ausgerechnet, und sie kamen heraus wie in der Erfahrung. Das Gravitationsgesetz ist empirisch richtig. Nun gibt es aber das eigentümliche Phänomen des Fortschritts in der Physik, auch in den Grundlagen. Sie verbreitert sich nicht nur, sie legt auch ihre Fundamente tiefer. So hat Einstein im ersten Viertel unseres Jahrhunderts die sogenannte Allgemeine Relativitätstheorie aufgestellt, welche sowohl Newtons Mechanik wie Newtons Gravitationsgesetz überholt. Beide haben nur noch als Grenzfälle Gültigkeit.“ [So] die gängige Sicht der Mainstream-Physik. „Nach Einstein sind also streng genommen sämtliche Newtonschen Formeln falsch.“ Immer noch Weizsäcker: „Sie sind Näherungen, die zwar in den meisten Fällen sehr gut, in einigen Fällen aber messbar ungenau sind. Was tun? Verlangt man, dass das Wort ,wahr‘ für eine Theorie in aller Strenge gebraucht wird, so muss man folgern, die Newtonsche Theorie war nicht wahr. Sie war falsch, obwohl sie zwei Jahrhunderte unangefochten gegolten hat. Offenbar tut diese Sprechweise dem wirklichen Sachverhalt Gewalt an. Newtons Theorie war doch beinahe wahr. Aber was heißt beinahe wahr? In der Mathematik würde man dergleichen Sprachgebrauch schwerlich zulassen.“ Zitat Ende.

Jetzt hier der Kommentar [ „Räme, Dimensionen, Weltmodelle“] dazu: „Die halb distanzierte, halb ernst und direkt vorgetragene Formulierung, die Newtonsche Theorie sei beinahe wahr, geht von der Überzeugung aus, dass Einsteins Theorie nicht beinahe, sondern vollständig wahr ist. Weizsäcker glaubt an die Wahrheit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Dass, streng genommen, sämtliche Newtonschen Formeln falsch sind, gilt ja nur, weil Einstein die richtigen und wahren Formeln gefunden hat, von denen aus die Newtonschen Grenzfälle sind, nach dieser Sicht. Logisch und physikalisch ist streng genommen die Aussage von Weizsäckers unhaltbar. Entweder sind physikalische Formeln, ob nun die Newtons oder die Einsteins, nur Konstrukte des menschlichen Geistes, die mehr oder weniger gut funktionieren, ohne dass sie im eigentlichen und buchstäblichen Sinne gleichsam konstitutiv wahr sind.“ Das ist ja eine Möglichkeit, das wäre die positivistische Position. „Und dann ist es im Grunde auch kein Problem, alte, messbar ungenaue Formeln durch neue, genauere zu ersetzen. Von Wahrheit ist ohnehin nicht die Rede. Oder aber die Formeln sind der Ausdruck eines wirklichen Gesetzes, das tatsächlich und als es selbst dafür sorgt, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Dann gibt es nur die Alternative zwischen einem wahren, wirklichen, weil real wirkenden Gesetz, das ja objektiv da ist und durch keinen noch so schlauen Kunstgriff verändert werden kann und einem Als-ob-Gesetz oder Schein-Gesetz, das nur deswegen für ein wirkliches gehalten wird, weil es bisher nicht widerlegt werden konnte. Womit haben wir es also zu tun? Mit Konstrukten unseres Geistes oder mit wirklichen Gesetzen in einer wirklichen Welt? Die Frage muss nicht mental entscheidbar sein, aber es ist wichtig, den hier angedeuteten prinzipiellen Gegensatz zu begreifen.

Wenn der Raum wirklich gekrümmt ist, dann sind alle Aussagen, ob als Formeln oder verbal-philosophisch, schlicht falsch, die von einem euklidischen Raum ausgehen. Streng genommen, also logisch, ontologisch, physikalisch und philosophisch, kann nicht eine Wahrheitsbehauptung der Grenzfall einer anderen sein, es sei denn, man versteht Wahrheit oder Wirklichkeit als in sich paradox, als widersprüchlich und sich jedem mentalen Zugriff entziehend, was durchaus legitim ist. Nur erhält man dann neue Probleme. Was ist dann mit den Formeln und Theorien? Gibt es dann ein „anything goes“, sozusagen eine Theorienbeliebigkeit? Oder doch nicht so ganz, nur halb streng genommen nicht und doch auch wieder? Man landet dann, ohne es zu wollen, bei der These von der Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit einer Theorie. Die eine funktioniert besser, also wird sie angewendet, die andere funktioniert nur ungenau, also wird sie fallengelassen. Nur ist zwischen Theorien-Wirrwarr und Zen-Paradoxie ein substantieller Unterschied.“ Und so weiter. Also, die Frage ist zentral für unser ganzes Thema, weil in Diskussionen über diese Fragen ja häufig, auch vollkommen verständlich, auf die mathematische Präzision bestimmter Interpretationen eingegangen wird und das als Argument herangezogen wird. Da muss man immer wissen und nachfragen: Wovon ist die Rede? Ist von wirklichen Prinzipien der Welt die Rede, die die Wirklichkeit bestimmen, wie sie ist? Oder handelt es sich um Konstrukte unseres Geistes, die auch wieder völlig anders sein könnten? Oder ist die Frage, was man ja auch annehmen kann, gar nicht entscheidbar? Sozusagen, wir müssen die Frage grundsätzlich offen lassen. Aber sie ist wichtig, weil aus den Konstrukten der Mainstream-Physik ja weitreichende Schlussfolgerung abgeleitet werden darüber, wie das Weltall ist, wie die Erde ist, was die Erde ist, was die Planeten sind, was die Sonnen und sogenannten Fixsterne sind. Das ist ja wichtig auch für die Frage, die uns heute und jetzt beschäftigen soll, die Frage nach der Lebendigkeit der Erde, nach einem möglichen Bewusstsein der Erde.

Die Gaia-Theorie ist, kurz umrissen, in ihrer traditionellen Form einfach eine schon sehr alte Theorie, über 30 Jahre alt, von dem Mediziner James Lovelock, die besagt: Diese Erde, dieser Planet, dieses Gestirn ist als Ganzes ein Quasi-Organismus. Das ist wichtig, nicht buchstäblich ein Organismus. James Lovelock war sich da Zeit seines Lebens, also bis heute unsicher, ist es nun wirklich ein Organismus, oder kann man die Erde so betrachten, als ob sie ein Organismus sei? Ist sie ein wirklicher Organismus oder ein Quasi-Organismus? Der Begriff Gaia geht auf die griechische Mythologie zurück und meint Erdmutter. Der Begriff taucht in der Kosmogonie des Hesiod auf. Mittlerweile ist die Theorie in unzähligen Büchern abgehandelt, fast schon zu Tode geritten, kann man sagen. Selbst in der herkömmlichen oder der Mainstream-Physik wird sie immer wieder ventiliert. Mir geht es heute Abend um etwas anderes. Ich will gar nicht diese Theorie groß darstellen. Das können Sie in zig Büchern nachlesen, wie gesagt, die Literatur ist sehr umfangreich, sondern ich will versuchen, da einen Schritt weiter zu gehen, die Frage noch mal von einer anderen Ebene aus behandeln und einige Fragen stellen, die man in dem Zusammenhang häufig nicht stellt, die aber gestellt werden müssen. Zum Beispiel, wenn ich frage: Hat die Erde ein Bewusstsein? Dann erhebt sich sofort die Frage: Was für ein Bewusstsein kann denn ein Erd-Bewusstsein sein? Was ist dieses Bewusstsein, wenn es denn überhaupt ein solches ist?

Der große Renaissance-Philosoph Giordano Bruno war der Auffassung, um nur mal ein prominentes Beispiel zu nehmen, die Gestirne sind gewaltige kosmische Lebewesen mit einer eigenen kosmischen Wahrnehmung. Sie hätten also eine weit in das Weltall hinein reichende Wahrnehmung, und die Frage stellt sich natürlich: Wie kann das sein, wie kann ein Himmelskörper denn ein eigenes Bewusstsein haben, vielleicht sogar die Konfiguration eines Bewusstseins sein?

Das führt immer wieder auf die Frage, die ja in dem Kontext gestellt wird, was überhaupt Bewusstsein ist. Ich habe immer wieder darauf geantwortet, will es hier zunächst auch gleich am Anfang sagen, die Frage lässt sich nicht [beantworten]. Was ist Bewusstsein? Die Frage lässt sich nicht in einer einfachen Formel einfach so fixieren. Wir können deswegen nicht eine eindeutige, eine prägnante, eine formelhafte Deutung dessen geben, was Bewusstsein ist, weil wir selber in unserem Denken, Fühlen, Empfinden und Sein Bewusstseinswesen sind. Um das zu können, müssten wir einen quasi nicht menschlichen, einen Standpunkt einnehmen, der dieses Bewusstsein von der … wie ein archimedischen Punkt oder von einem archimedischen Punkt aus auf dieses Bewusstsein blickt. Das könnte zum Beispiel eine höhere oder andere Bewusstseinsebene sein, dann wäre das vielleicht möglich. Wenn man also eine höhere Bewusstseinsebene hätte oder einnehmen könnte, dann könnte man zurückblicken auf diese niedrigere Stufe und vielleicht sagen, was das Bewusstsein ausmacht, obwohl auch das ja schwierig ist, nicht? Können wir denn, wenn wir meinen, wir hätten ein höheres Bewusstsein als etwa Tiere, können wir denn wirklich sagen, wie das Bewusstsein der Tiere von innen aussieht? Oder wie das Bewusstsein, das möglicherweise existierende Bewusstsein der Pflanzen von innen aussieht? Ganz zu schweigen von einem möglicherweise existierenden Bewusstsein der sogenannten anorganischen Welt oder gar des Gestirns als Ganzes?

Also, wir können nur leben, denken und fühlen im Fluidum des Bewusstseins. Wir sind Bewusstseinswesen. Und wir sind sozusagen unrettbar verstrickt in dieses Fluidum. Wir sind Teil dieses Fluidums, und insofern ist eine Definition, das oder das ist Bewusstheit, schlecht möglich. Es gibt natürlich tausend Ansätze dazu, das Bewusstsein sei ein Spiegel zum Beispiel, Bewusstsein sei ein Spiegel der Welt. Das finden sie in der abendländischen Philosophie genauso wie in der asiatischen Religion, etwa im Buddhismus. Der Bewusstseinsspiegel, der möglichst rein und frei von Beschmutzung sein soll, damit er die Welt widerspiegelt. Aber auch alle diese Theorien, wenn man sie genauer betrachtet, setzen Bewusstsein immer voraus. Wir können gar nicht anders, wir müssen Bewusstsein grundsätzlich voraussetzen, sonst können wir uns überhaupt nicht verständigen. Und da liegt ein Dilemma, das nicht aufhebbar ist. Und das hat der Idealismus, sage ich mal, der philosophische Idealismus, das hat er immer gewusst, deswegen muss er so nicht stimmen. Aber das war immer eine Stärke des objektiven Idealismus Hegels und anderer, dass er darauf verwiesen hat, auf diesen Punkt, dass wir letztlich die Welt außerhalb von Bewusstsein überhaupt nicht denken, fühlen, empfinden können. Wie gesagt, deswegen muss der objektive Idealismus Hegels und anderer nicht stimmen, aber das war eine Stärke. Das war immer eine Schwäche, sagen wir mal reduktionistischer oder materialistischer Ansätze, wo der Geist in irgendeiner Form, wo das Bewusstsein in irgendeiner Form sich entwickelt haben soll aus der anorganischen Materie, was ja in der Form noch nie jemand beobachtet hat, das ist ja eine reine Hypothese. Die lässt sich auch gar nicht beweisen, weil sie ist nicht beweisbar. Wie soll das möglich sein? Wie soll plötzlich eine anorganische Materie in irgendeiner Form wirklich tatsächlich zu Bewusstsein und zum Organischen kommen?

Ich hatte vor 14 Tagen, glaube ich, war es, da hatten wir ein Gespräch über einen kleinen Text, einen späten Text von Rudolf Steiner über die Erde. Da war ja am Schluss der Diskussion die Frage aufgetaucht nach der Entwicklung des Ich und nach dem Zusammenhang von Ich-Entwicklung und Kosmologie. Sie werden sich vielleicht erinnern, es gab ja auch eine Diskussion darüber. Konnte sich das Ich-Bewusstsein nur entwickeln, weil das Bewusstsein letztlich von einem toten Makrokosmos ausging? Aber da war die Frage: Was meint Steiner damit? Und ich habe ja da verschiedene Einwände auch dagegen gebracht. Ich habe den Text jetzt noch mal mitgebracht, er ist ganz kurz nur, um Ihnen die Formulierung hier zu zeigen, das war ja noch offen, das hatte ich ja dann weggelassen. Ein ganz kurzer Text nur und mit vielen impliziten Behauptungen, Thesen, Hypothesen, Spekulationen, Fiktionen auch, aber doch in sich relativ schlüssig. Januar 1925, Steiner ist im März 1925 gestorben, also wenige Wochen vor seinem Tode hat er diesen Text aufgeschrieben für die anthroposophische Bewegung mit dem Titel „Was ist die Erde in Wirklichkeit im Makrokosmos?“

Ich lese mal ein paar Kernsätze hier vor, weil das noch in der Schwebe war und weil ich das auch als Anhaltspunkt benutzen kann, um dann den Schritt zu vollziehen, zu meiner Vorstellung von einem Erden-Bewusstsein, was ich eher mit dem Begriff „Demeter“ als „Gaia“ verbinde. Dazu gleich mehr. Also Steiner schreibt hier: „Das Werden des Kosmos und der Menschheit ist in diesen Betrachtungen von den verschiedenen Gesichtspunkten aus angeschaut worden.“ Er bezieht sich auf frühere Aussagen. „Gezeigt hat sich, wie der Mensch die Kräfte seines Wesens vom außerirdischen Kosmos hat, außer denen, die ihm sein Selbstbewusstsein geben, diese kommen ihm von der Erde.“ Wesentliche These der Anthroposophen also, vor allem die Erdkräfte sind es, die das menschliche Bewusstsein, Selbstbewusstsein schaffen. „Damit ist die Bedeutung des Irdischen für den Menschen dargelegt. Es muss sich daran die Frage knüpfen, welche Bedeutung hat das Irdische für den Makrokosmos? Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, muss man den Blick auf das hier schon Dargestellte werfen. Der Makrokosmos, also der große Kosmos als Ganzes, wird von dem schauenden Bewusstsein in immer größerer Lebendigkeit gefunden, je weiter der Blick in die Vergangenheit zurückdringt.“ Also frühere Bewusstseinsformen, Bewusstseinsstufen hätten, sagen ja auch andere Bewusstseinsforscher, den Kosmos eher lebendig, in toto lebendig empfunden. Von irgendeinem bestimmten Punkt in der Geschichte an sei das dann nicht mehr der Fall gewesen. Das lässt sich auch ganz gut belegen. „Er lebt in ferner Vergangenheit so, dass jede Berechnung seiner Lebensoffenbarung da aufhört. Aus dieser Lebendigkeit heraus wird der Mensch abgesondert. Der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein.“ Und das kann man zurückverfolgen, lässt sich auf die Pythagoreer, im Besonderen dann auf die kopernikanische Revolution, auf die Renaissance-Philosophie und Naturwissenschaft [zurückverfolgen]. „Also der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein. Damit aber erstirbt er allmählich“, nun nicht ontologisch, also buchstäblich als er selbst, sondern natürlich in unserem Bewusstsein. „Damit erstirbt er allmählich. In dem Maße, in dem der Mensch, der Mikrokosmos als selbständige Wesenheit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser.“ Also, der Mensch als Mikrokosmos konstituiert sich zu sich selber, und indem er das tut und weil er das tut, wird gleichsam der größere Kosmos bewusstseinsleer, wird quasi seines Lebens beraubt. „In dem Maße, in dem der Mensch, der Mikrokosmos, als selbständige Wesenheit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser. In der kosmischen Gegenwart besteht ein erstorbener Makrokosmos.“ Also heute meint er, 1925, das gilt ja im Wesentlichen auch noch immer, mehr als 70 Jahre danach, ist die herrschende Bewusstseinsverfassung so gepolt, dass man davon ausgeht, dass der Kosmos mehr oder weniger ein toter, ein verstorbener Makrokosmos ist. Allenfalls Oasen des Lebendigen werden zugestanden. „Aber im Werden desselben ist nicht nur der Mensch entstanden. Es ist aus dem Makrokosmos auch die Erde entstanden. Der Mensch, der von der Erde die Kräfte für sein Selbstbewusstsein hat, steht dieser innerlich viel zu nah, um ihr Wesen zu durchschauen. In der vollen Entfaltung des …“ , hier fehlt etwas im Text, das mit Handschrift dann von meinem Gewährsmann hier eingetragen, das kann ich schlecht lesen; „… der vollen Entfaltung des Selbstbewusstseins im Zeitalter der Bewusstseinsseele hat man sich gewöhnt, den Blick auf die räumliche Größe des Weltalls zu wenden und die Erde wie ein Staubkorn unbedeutend gegenüber dem physisch-räumlichen Weltall anzusehen.“ Das wissen sie, es war ja diese berühmte These, die dem 18. und 19. Jahrhundert zunehmend sich verbreitete: Die Erde ist ein Staubkorn. Sie ist wie ein Nichts im Universum, letztlich vollkommen unbedeutend. Sie hat zwar das Privileg, dass sie bewusstseinsmäßige Wesen hervorbringt, eben den Menschen unter anderem, aber sonst sei sie letztlich ein Staubkorn. „Daher wird es zunächst absonderlich erscheinen, wenn ein geistiges Anschauen die wahre kosmische Bedeutung dieses angeblichen Staubkorns enthält.“ Und dann kommt der entscheidende Passus, auf den ich mich das letzte Mal vor 14 Tagen bezogen habe. „Er, der Mensch“, ich lasse mal den Zwischenteil aus, „nimmt an diesem keimenden, was sich jetzt werdend gestaltet, sowohl wie an dem erstorbenen Leben teil. Aus dem erstorbenen Leben hat er seine Denkkräfte.“ Nicht, also eine These, die man bei den Anthroposophen viel findet, dass also Denken an Todesprozesse gebunden ist und nicht unmittelbar an Lebensprozesse. Dass also das Denken, der Geist eigentlich durch Todesprozesse entsteht. „Aus dem Erstorbenen hat er seine Denkkräfte. Solange diese Denkkräfte in der Vergangenheit aus dem noch lebenden Makrokosmos kamen, wie das früher der Fall war, waren sie nicht Grundlage des selbstbewussten Menschen.“ Also der Mensch konnte im Sinne dieser Theorie seine Bewusstseinsqualitäten nicht wirklich entfalten, in einem in toto lebendigen Universum. Ich habe schon mal gesagt, dass ich die These für falsch halte, aber ich will sie nun zunächst mal hier vorstellen. „Solange diese Denkkräfte in der Vergangenheit aus dem noch lebenden Makrokosmos kamen, waren sie nicht Grundlage des selbstbewussten Menschen. Sie lebten als Wachstumskräfte in dem Menschen, der noch kein Selbstbewusstsein hatte. Die Denkkräfte dürfen für sich kein Eigenleben haben, wenn sie die Grundlage bilden sollen für das freie menschliche Selbstbewusstsein. Sie müssen für sich mit dem erstorbenen Makrokosmos die toten Schatten von Lebendigem der kosmischen Vorzeit sein.“

Also eine ganz dezidierte, völlig klare These, die mit einer ganz klaren Sprache abgefasst ist, dass ein Selbstbewusstsein in unserem Sinne nur möglich war, nur ermöglicht wurde durch die Vorstellung, dass der Makrokosmos als Ganzes letztlich erstorben ist. Das heißt, in einem flutend-lebendigen, in toto lebendigen Universum wäre der Mensch garnicht zu dieser Art von Selbstbewusstsein gekommen. Das ist eine sehr weitreichende These, wo man schon mal einwenden könnte, ob das nicht heißt, die tatsächliche Geschichte, wie sie nun mal gelaufen ist und die wir ja kennen, nicht erst seit der Renaissance, schon seit zweieinhalbtausend Jahren und noch viel länger, ob das nicht heißt, diese Geschichte in gewisser Weise zu rechtfertigen, ihr sozusagen noch eine Weihe zu geben, dass es so und nicht anders hätte laufen können, was nicht bedeutet, dass man jetzt sagt, es hätte grundsätzlich anders laufen können. Das ist eine Entscheidung, die wir nicht fällen können, wir wissen es nicht, es ist müßig.

Es gibt ja immer wieder Versuche zu sagen, wo wurden Weichen gestellt, die dann schließlich zu dem ökologischen und geistigen Desaster heute geführt haben. Das ist ja immer wieder versucht worden. Man hat versucht, die Renaissance als eine Schlüsselepoche hinzustellen. Hier habe es die entscheidende Gabelung gegeben. Man hat gesagt, vor zweieinhalbtausend Jahren in der griechischen Philosophie habe eine Abspaltung stattgefunden, bei Sokrates, Platon, Aristoteles und anderen. Und dann habe sich das Selbstbewusstsein des Menschen aus dieser Abspaltung heraus entwickelt und müsse nun in einem großen Bogen auf einer neuen und höheren Ebene die alte Einheit mit dem lebendigen Makrokosmos zurückgewinnen, um jetzt mal mich dieser Sprache zu bedienen. Das ist schwer. Letztlich können wir eine wirklich fundierte Aussage darüber nicht machen. Es liegt nahe, so etwas zu sagen, und ich selber sage das auch öfter. Aber ich bin mir bei einiger kritischer Selbstdistanz doch darüber im Klaren, dass man es nicht wirklich sagen kann. Wir wissen es einfach nicht. Vielleicht hätte die Entwicklung tatsächlich nur so laufen können, wie sie gelaufen ist. Welche wirklichen Freiheitsspielräume für die Menschen in den je verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte existiert haben, wissen wir nicht. Das ist einfach müßig auch, darüber zu spekulieren, zumal wir ohnehin keine Möglichkeit haben, in irgendeiner Form gleichsam als Zeitreisende in die Vergangenheit zurückzugehen und nun im Sinne dieses Modells der Zeitreise an der Schraube der Gegenwart zu drehen. Das wäre ja im Modell der Zeitreise möglich, Reise in die Vergangenheit zurück und [man] kann dann die Gegenwart beeinflussen. Dann würde ja alles, was geschehen sei, in gewisser Weise wieder zur Disposition gestellt.

Das ist ja immer das berühmte Dilemma aller Vorstellung von Zeitreisen, wie sieht es da mit der Freiheit aus? Was kann ich dann ändern? Und wie sieht es dann mit dem Bewusstsein aus? Also das wollte ich noch bringen als Ergänzung. Man mag die Texte bewerten wie man will, aber er ist an sich in seiner Struktur ziemlich eindeutig.

Ich neige der Annahme zu, dass diese Grundthese falsch ist, dass es eine Möglichkeit des menschlichen Selbstbewusstseins auch gibt und gegeben hat und immer geben wird in einem in toto lebendigen Kosmos, ja, dass wahrscheinlich der Kosmos immer in toto bewusstseinserfüllt und lebendig war. Ich will aber zunächst mal, bevor wir über die Frage der Erde und des Bewusstseins der Erde näher verhandeln, die Frage klären nach dem Leben, nach dem Lebendigen, nach den Qualitäten eines Lebewesens.

Schon die Schwierigkeit bei der Gaia-Theorie von James Lovelock ist ja die, überhaupt zu definieren, was ein Lebewesen ist. Wenn sie sich der Mühe unterziehen, Biologiebücher zur Hand zu nehmen und zu fragen: Wie wird dort Leben gedeutet, erklärt, definiert? Dann, werden sie immer feststellen, dass Leben nicht erklärt wird. Es gibt zwar verschiedene Möglichkeiten, Leben zu definieren, zu bestimmen, aber letztlich bleibt es undeutlich: Was ist Leben? Man kann sagen, gut, Leben ist Metabolismus, Leben ist Stoffwechsel, ist ständiger Wechsel bei gleichzeitiger relativer Kontinuität der Gestalt. Ist Leben immer Bewusstsein? ̶ Nicht sicher. Man könnte sagen, das Lebendige als Gestalthaftes ist ein gestalthaftes Bewusstsein. Man kann die Hypothese wagen, dass Leben ohne Bewusstsein nicht denkbar ist. Gibt es Leben vollkommen jenseits jeglichen auch nur vorstellbaren Bewusstseins? Wissen wir nicht. Ich würde vermuten, das ist nicht so. Ich würde vermuten, dass Bewusstsein immer gegeben ist und in allem, was wir lebendig nennen, zumal wir dann auch weitergehen müssten und fragen: Hat auch die sogenannte anorganische Materie eine eigene Form von Lebendigkeit?

Ich darf daran erinnern, dass ich vor einigen Wochen hier, bei der Vorlesung über die Bewegung ja Verschiedenes gesagt habe auch zur Frage des Willens. Ja, [das ist] auch eine Art von Willens-Metaphysik gewesen, die ich da vorgetragen habe. Zur Frage des Willens als Bewegungsursache, also ein Wille, der ja bis in die sogenannte anorganische Materie hineinreicht und die anorganische Materie von innen bestimmt. Eine alte philosophische Vorstellung, die nicht erst seit Schopenhauer in der deutschen Philosophie eine Rolle spielt und die ich ja versucht habe, auf eine andere Weise wiederzubeleben.

Also, ich glaube, dass das Lebendige immer mit Bewusstsein verbunden ist. Wenn man überhaupt eine Definition geben möchte, würde ich sagen:

Leben ist gestalthaftes Bewusstsein, und zwar gestalthaftes Bewusstsein im ständigen Wandel mit einer relativen Kontinuität dieser Gestalt.

Das macht ja gerade den Metabolismus, das macht ja gerade den Stoffwechsel aus. Nicht, der Stoffwechsel bedeutet ein ständiges Fließen der Stoffe, während die Gesamtgestalt bleibt. Ist die Erde ein … (Augenblick hier, ich muss dort diese Stelle noch kurz vorlesen hier.) „Was also ist Leben? Was ist ein Lebewesen?“ Aus dem Buch „Was die Erde will“, gibt es hier im sechsten Kapitel Aussagen über die Frage des Erdbewusstseins, und da stelle ich auch die Frage nach dem Leben, wie man Leben bestimmen kann. Ich lese mal kurz diese Passage hier vor:

„Was also ist Leben? Was ist ein Lebewesen?“ Ich habe ja schon einen Versuch gemacht, das zu definieren, also gestalthaftes Bewusstsein mit relativer Kontinuität. „Was also ist Leben?“ ̶ aus dem sechsten Kapitel des Buches „Was die Erde will“: „Wir alle haben ein naives, unhinterfragtes und meist elementares Verständnis von Leben, jeder Mensch, von lebendig sein und tot sein. Da hat jeder eine naive, sehr direkte, spontane Weise, hat jeder das Gefühl, das ist lebendig, das ist nicht lebendig. Und wenn das in irgendeiner Form irritiert wird dieses Bewusstsein, hier liegt etwas Lebendiges, weil in Wirklichkeit nur eine Puppe vorliegt, wie im Falle etwa von E.T.A. Hoffmanns ,Der Sandmann‘ die Olympia, stellt sich sofort ein Schock her, als ob einem der Boden weggezogen würde, dass eine Puppe als lebendig erscheint. Also: „Wir alle haben ein naives, unhinterfragtes und meist elementares Verständnis von Leben, von lebendig sein, tot sein. Ein Computer ist kein Lebewesen, eine Katze dagegen ist es genauso wie die exotische Pflanze, die den Computerbildschirm umrankt. Sicher können wir auch Gegenstände wie Personen behandeln, können zu Gegenständen intensive seelische Beziehungen aufbauen und pflegen, so dass uns die Dinge wie Freunde und Weggefährten mit eigenem Bewusstsein erscheinen. Für viele ist das Auto ein derartiges Ding, ein Quasi-Lebewesen.“ Ja, eindeutig. „Aber richtig lebendig sein, dass ist doch noch etwas anderes. Offenbar gehört dazu schon im naiven Grundverständnis eine Innenseite, eine Innerlichkeit, ein seelisch-geistiger Innenraum. Denn wenn dieser Innenraum nicht wirklich existiert, sind auch sogenannte Lebewesen im Grunde tot, sind im Grunde Maschinen oder Apparate.“ Also wenn es, in dem, was uns als Leben erscheint, keine Innenseite gibt, grundsätzlich keine Innenseite gibt, weil alles nur außen ist, sind im Grunde auch Organismen nur Bio-Computer, im besten Falle, mehr oder weniger sehr komplexe Apparate.

Denken Sie an das, was ich vor vierzehn Tage vorgelesen habe in diesem Essay über die Frage: Wo sind wir? Und ich habe ja den naturwissenschaftlichen Reduktionismus da als ein Bemühen gedeutet, alles Innen zum Außen zu machen, grundsätzlich. „Da sind doch sogenannte Lebewesen im Grunde tot, sind im Grunde Maschinen oder Apparate. Man zerstört ein Lebewesen, und etwas Fundamentales verändert sich. Das, was eben noch Leben bekundete, ist plötzlich tot. Es mag seine Gestalt noch eine Weile aufrecht erhalten, aber etwas Entscheidendes ist von ihm abgezogen worden. Das frühere Lebewesen“, jetzt kommt ein entscheidender Punkt, „wird zum bloßen Stoff, der nun unaufhaltsam den Gesetzen dieser Stoffeswelt … der Formlosigkeit oder Gestaltlosigkeit [unterworfen wird]. Auch im subatomaren Bereich herrscht hier Ordnung, herrschen Gesetze, herrscht eine gewisse Gestalt. Insofern ist es nur der Absturz von einer Gestalt[ebene] auf eine, wenn man so will, niedere Gestaltebene.

„… liegt auf einer höheren Ebene, einer Ebene, die die unteren Ebenen überschreitet und enthält. Aber dieses ,enthält‘ gilt nur mit Einschränkungen, die in der Systemtheorie so kaum gedacht werden. Materie im Bios, als Bios, funktioniert grundsätzlich anders als auf der Stoffebene.“ Das ist auch wichtig. „Es ist nicht so, wie die Physiker und Chemiker unermüdlich und ungeschützt behaupten, dass die von ihnen entdeckten Gesetze auf der Ebene der Lebewesen noch immer in der gleichen Weise gelten.“ Das kann man als widerlegt ansehen, diese Behauptung. „So haben, um ein Beispiel zu geben, Pflanzen die Fähigkeit, unter bestimmten Bedingungen Elemente umzuwandeln. Wie das geschieht, ist der Wissenschaft nach wie vor ein Rätsel. Der kleinste Grashalm, der zarteste Krokus, die zierlichste Petunie vollbringen etwas, wozu die modernen Alchimisten, die Kernphysiker, bis heute nicht in der Lage sind. Das Leben bedient sich der Stoffe. Es übergreift die Stoffe, verändert ihre Gestalt, hebt sie auf eine andere Ebene. Es ist Gestalt im Wechsel der Stoffe, aber mehr als nur Form oder Struktur.“

Das ist wichtig, weil in der Systemtheorie unermüdlich die Form- und Struktur-Komponente ins Zentrum gerückt wird, als ob Bewusstsein nur Struktur sei, ist ja eine wesentliche These auch von Gregory Bateson und anderen, also, der Geist als pattern, ‚the pattern that connects‘, als Muster, das verbindet. Das heißt letztlich die Geistebene als eine eigene Ebene eliminieren.

„Es ist Gestalt im Wechsel der Stoffe, aber mehr als nur Form oder Gestalt. Es vervielfältigt sich. Es nimmt wahr, erinnert sich und gibt diese Erinnerung weiter. Es fließt und es bleibt. Es ist Gestalt-Erhaltung und Gestalt-Wandel in einem.“ Das ist ja schon angedeutet worden in meiner Definition von vorhin: Gestalt-Wandel und Gestalt-Erhaltung in einem Leben ist niemals ableitbar. „Alle Versuche, Lebendiges aus Totem, Organisches aus Anorganischem abzuleiten, sind gescheitert.“ Das muss man einfach nüchtern feststellen. Alle diese Versuche, so sehr sie auch sensationell oft in der Presse dargestellt wurden, sind letztlich gescheitert. „Die reduktionistische Naturwissenschaft postuliert diese Ableitung, aber sie ist nie bewiesen worden. Was wir wirklich beobachten, und zwar ständig, ist, dass Lebendiges zu Totem wird, dass hoch Organisiertes abstürzt auf die stoffliche Ebene. Dass sich die stoffliche Ebene von sich aus aufschwingt, gleichsam zum Lebendigsein, ist noch niemals beobachtet worden. Irgendwie hat es zwar eine Entwicklung des Organischen aus Anorganischem gegeben, aber diese kann auf keinen Fall so erfolgt sein, wie dies die Evolutionsbiologie darstellt, die ja letztlich im Kern eine reduktionistische ist. Nicht von ungefähr gerät der Neo-Darwinismus immer mehr unter Beschuss, weil zunehmend deutlich wird, wie wenig er wirklich erklären kann.“

Ich habe mich darüber ja schon eingehend geäußert und auch, ich glaube im Sommersemester in verschiedenen Zusammenhängen, zur Frage der heute sehr verbreiteten Kritik am sog. Neo-Darwinismus. Übrigens gehört auch James Lovelock, der Begründer dieser Gaia-Theorie, zu den Kritikern des Neo-Darwinismus. „Aber auch bei den meisten Kritikern des Neo-Darwinismus bleibt das Wesentliche unerklärt. Was ist Leben? Wie ist Leben möglich? Wie ist Leben entstanden? Was treibt die Entwicklung voran? Und dann ganz zentral wichtig für jegliche Theorie des Lebendigen: Wie entsteht Neues? Eine der am schwersten zu beantwortenden Fragen, an denen eigentlich der Geist gleichsam kollabiert: Wie entsteht Neues? Es gibt ja einen Begriff, der häufig in dem Zusammenhang verwendet wird, das ist der Begriff der Emergenz, nicht, also, ein Begriff, der im Grunde genommen nur das Problem noch einmal mit einem Begriff bezeichnet, ohne dass er irgendetwas erklärt, denn Emergenz ist nichts weiter als ein spontanes Entstehen. Das erklärt nichts und sagt nur, was passiert. „Wie entsteht Neues? Wie ist intelligentes Bewusstsein möglich? Wie ist es entstanden? Alles Fragen, die nicht geklärt sind, auf die es bis dato keine befriedigende Antwort gibt. Wie sind lebendige Formen entstanden? Ob nun der Schmetterlingsflügel, der keinen Überlebensvorteil bringt, oder die unendlich klugen und wissenden Köpfe der Katzen. Warum gibt es Schönheit, Freude und Leid?“ Und so weiter.

Das sind zentrale Fragen, die, das muss man klar sagen, nicht beantwortet sind. Und: Wenn seit, sagen wir 40 Jahren, die Biologie nun ausgerufen wird, auch in den Medien, als die neue Grundlagen-Wissenschaft, und als solche habe sie, wird immer wieder behauptet, die Physik abgelöst, dann muss man anmahnen, wo wirklich überzeugende, plausible und in sich stimmige Antworten auf diese Fragen gegeben werden: Sie werden nicht gegeben. Und das räumt übrigens selbst dieser Autor des „Spiegel“-Artikels gegen Ende seines Beitrags ein, dass in der heutigen Biologie eine Bündelung von ungelösten Fragen existiert, die bis dato die reduktionistische Biologie nicht einmal im Ansatz hat klären können.

Also alle diese Fragen sind nach wie vor vollständig offen, und die schwierigste Frage von allem ist in dem Zusammenhang: Wie entsteht lebendiges Bewusstsein seiner selbst? Wie entsteht so etwas wie ein Selbst? Wie entsteht und kann entstehen ein Wesen, das in irgendeiner Form „Ich“ sagt, wie kann eine ichhafte Gestalt überhaupt entstehen? Wie ist sie möglich? Und das sind Fragen, die sind von einer ungeheueren Tiefe und Tragweite und beschäftigen jeden denkenden Menschen. Und es ist gut und richtig und wichtig, sich nicht durch allzu vorschnelle Antworten da abspeisen zu lassen, schon gar nicht aus dem Bereich der reduktionistischen Biologie und auch nicht aus dem Bereich der Systemtheorie.

Ich will jetzt nicht noch mal die vielen Argumente vortragen, die ich ja mehrfach auch schon genannt habe, auch im Sommersemester in anderen Zusammenhängen, was man gegen die sog. Systemtheorie, die eine ungeheure Popularität hat, auch in der Ökologiebewegung, alles einwenden kann. Sie ist nach meiner Überzeugung letztlich auch eine subjektblinde, eine subjektvergessene Naturwissenschaft. Sie ist nicht wirklich offen für diese Fragen. Sie verlagert die Thematik auf eine andere Ebene, aber sie löst sie nicht wirklich. Und das ist ein Dilemma überhaupt in der gesamten Ökologie. Deshalb ist ein Großteil der Ökologie auch einfach flach, oberflächlich, vordergründig und letztlich auch reduktionistisch, weil diese Fragen offene Fragen sind, die nicht geklärt sind. Wenn das nicht geklärt ist, kann auch die Ökologie-Frage nicht wirklich sinnvoll angegangen werden.

Ich sehe, ich habe weit überzogen, ich wollte an sich schon längst die Pause machen. Wir machen mal eine kleine Pause.

… gerade in der Pause wurde ich gefragt nach Literatur zur Kritik an der Systemtheorie. Da habe ich auf das Buch „Was die Erde will“ verwiesen. Es gibt natürlich auch andere kritische Ansätze zur Systemtheorie. Es geht hier nicht um die Systemtheorie etwa von Habermas oder Luhmann. Es geht hier vor allen Dingen um die Systemtheorie im Rahmen der Biologie und der Naturwissenschaften. Da ist einer der wichtigsten Denker in dieser Richtung, auf den ich mich auch hier beziehe, auch kritisch beziehe, Gregory Bateson, der eine wesentliche These aufgestellt hat mit dem Satz, dass der Geist also als Muster, als pattern zu betrachten ist, das verbindende [Muster] ̶ the pattern that connects. Das war für Gregory Bateson ein neuer, in seiner Sicht geradezu revolutionärer Ansatz gegen die Vorstellung einer für sich seienden Geisthaftigkeit. Also der hat das ganz bewusst als Gegenbegriff gegen das herkömmliche Selbst-Sein oder Ich-Sein oder Geist-Sein gesetzt, weil er meinte, dass die Vorstellung einer separaten Ichheit die Wurzel des Unglücks und des auch ökologischen Desasters darstellt. Das war sein Hauptansatzpunkt: Die ökologische Krise geht letztlich auf eine falsche Vorstellung vom Bewusstsein zurück, basiert auf der Vorstellung eines separaten Selbst. Und von dort aus gibt es da natürlich Zusammenhang, in einer bestimmten Weise weitergedacht, mit dem Buddhismus. Also, viele der Systemtheoretiker verstehen sich selber als Buddhisten, also Joann Macy ist ein Beispiel dafür, „Wiederentdeckung der lebendigen Erde“, und sie deuten dann eine bestimmte Interpretation der Systemtheorie buddhistisch um. Das übernehmen dann zum Teil die Buddhisten auch wieder ihrerseits. Somit ist da ein gewisses Wechselverhältnis und das basiert häufig auf einer ziemlich verkürzten Vorstellung a) von Buddhismus und b) von Systemtheorie.
Also Joanna Macy ist nur ein Beispiel dafür, aber die Frage kann ich noch weiter beantworten, die mir gestellt wurde. Ein Kritiker dieser Richtung ist auch der amerikanische Philosoph Ken Wilber, der in verschiedenen seiner Bücher gerade diese Form der Systemtheorie scharf kritisiert und nicht nur kritisiert, geradezu geißelt als Flachland-Ontologie, ganz im Sinne des herrschenden Denkens, des Mainstream, sagt, also gerade diese Theorie, diese Art von Systemtheorie ist keine Alternative zu dem Herrschenden, sondern sie ist nur eine andere Spielart des Herrschenden. Und das ist ein wichtiger Punkt. Die Systemtheorie selber, soweit sie sich in einer bestimmten Tradition versteht, etwa Gregory Bateson und andere, versteht sich ja gerade als eine Alternative zur reduktionistischen Naturwissenschaft. Während Ken Wilber und andere, unter anderem auch ich, eben das nicht akzeptieren und der Systemtheorie genau diesen Vorwurf machen, dass sie im Grunde genommen selber der reduktionistischen Mainstream-Naturwissenschaft anheimfällt, also selber von den zentralen Prämissen dieser Mainstream-Naturwissenschaft ausgeht, sie nicht wirklich überschreitet. Das wäre nach meinem Dafürhalten nur der Fall, wenn man die Dimension des Bewusstseins als einer eigenständigen Seinsqualität, einer eigenständigen ontologischen Qualität wirklich akzeptieren würde. Dann kann das Bewusstsein nicht nur einfach ein Netzwerk sein, nicht nur einfach ein Muster sein, dann muss es mehr sein, dann muss man neu und anders nach dem Ich fragen und nach der Entstehung des Ichs. Das ist eine ganz zentrale Frage, gerade die ganze Selbst- und Ich-Frage in diesem Zusammenhang.

Und dann wurde in der Pause, … hat mir jemand gesagt, Hegel hätte eine Definition von Leben gegeben in der „Phänomenologie des Geistes“, die auch sehr einprägsam sei. Es gibt viele Definitionen, natürlich viele Versuche, Leben zu definieren. Schelling zum Beispiel. Ich habe jetzt kein Zitat parat, aber auch Schelling versucht in seiner Naturphilosophie immer wieder auch Leben zu definieren, auch im Sinne der Gestalt, auch, er sagt einmal über die Pflanzen, sie seien der verschlungene Zug der Seele und die organische Natur sei eine Manifestation des Geistes, also letztlich auch eine Geist-Manifestation. Das wird also ganz streng gebunden an Bewusstsein. Aber ich kann da jetzt keine Formulierung aus dem Stegreif so im Einzelnen nennen.

Ich habe da gesagt: Von Gaia zu Demeter. Ich sag noch mal: „Gaia“ ist ein Begriff aus der griechischen Mythologie, meint einfach Erdmutter, taucht auf bei Hesiod ungefähr 700 v. Chr. und im Zusammenhang auch mit Eros und Chaos, Eros, Eros-Kraft, Gaia-Kraft und Chaos-Kraft, Chaos im Sinne von Hesiod als eine Art Pleroma, als die ungeschiedene schöpferische Fülle der Dinge, nicht als Unordnung, nicht als Disorder, sondern als Grund des Schöpferischen, in diesem Sinne.

Wenn ich sage „Von Gaia zu Demeter“, dann meine ich Folgendes: Wenn man die Gaia-Theorie des James Lovelock und der vielen, die in seinem Sinne das weiterentwickelt haben, genauer betrachtet, dann kann einem nicht entgehen, dass man letztlich mehr oder weniger prägnant vom Bios und nur vom Bios ausgeht. Es ist immer eine Theorie, die den Bios, das Leben, was immer das bedeutet, absolut setzt, [es] ist eine Bios-Theorie. Man kann das auch polemisch als eine biologistische Theorie bezeichnen. Also Biologismus ist einfach, genauso wie Physikalismus, also Biologismus, einfach eine Theorie, [die] davon ausgeht, dass das Prinzip des Bios das letztmögliche Prinzip in der Erscheinung in der Welt überhaupt ist. Und zwar nicht unbedingt gebunden an Bewusstsein, sondern Bios im eher vordergründigen Sinne. Und so wird letztlich die Erde im Sinne dieser Theorie als ein großes Bios-System gesehen, als ein großes Gaia-System. Letztlich ist das eine Art von systemtheoretischer Vorstellung. Die Erde ist ein System ein Gaia- oder Bios-System. Es wird nirgendwo, wenn ich die Texte richtig verstanden habe, davon ausgegangen, dass diese Erde als ganzes tatsächlich eine eigene Bewusstseinsqualität hat. Und das meine ich mit dem Begriff der Demeter.

Ich beziehe mich auch in dem Buch „Was die Erde will“ ausdrücklich auf den wohl wichtigsten Naturkult der Antike, auf den Demeter-Kult. Hier war Demeter oder Gemeter, zwar auch die Erdmutter, aber eine Erdmutter, die immer das Geistige, das Spirituelle, die Transzendenz beinhaltet. Und das gerade ist in den Bios-Theorien, in den biologistischen, systemtheoretischen nicht der Fall. Das ist ein wesentlicher Punkt. Da hat übrigens auch der Ken Wilber viel zu gesagt, etwa in seinem Buch „Halbzeit der Evolution“. Da schreibt er verschiedentlich auch, dass [es] ein großes Missverständnis sei, dass man die Erdmutter gleichgesetzt habe mit der Großen Göttin. Es gibt also eine eingehende Passage bei ihm, wo er diese beiden Begriffe einander gegenübersetzt. Das eine ist ein transzendentes Prinzip, und das andere ist ein pures Bios-Prinzip, was dazu neigt, den seiner selbst bewussten Geist zurückzunehmen oder zurücknehmen zu wollen, in den Bios. Nicht, Sie kennen das vielleicht aus der Jungschen Psychologie. Da wird ja davon ausgegangen, dass die menschliche Bewusstwerdung eine Bewusstwerdung ist gegen den allverschlingenden Zusammenhang der Großen Mutter. Bei Erich Neumann zum Beispiel ist das ganz deutlich: Das Bewusstsein, um sich zu einem Ich zu entwickeln, muss die große, umschlingende, alles verschlingende Mutter quasi töten. Also Muttermord als Bedingung für Bewusstsein. Und das sind ja Überlegungen, die gerade natürlich von ökofeministischer Seite aus scharf kritisiert worden sind, als patriarchal und als einseitig männlich bestimmt, aber denen man doch eine gewisse Teilberechtigung nicht absprechen kann. Denn man kann das schlechterdings nicht leugnen, dass die Entwicklung eines integrierten Selbst nur möglich ist, wenn man bis zu einem gewissen Grade auch die Bios-Fesseln abstreift, nicht vollständig abstreift, aber doch in einem gewissen höheren Sinne auf einer höheren Ebene dann integriert, so dass der Bios dann eine integrierte Ebene wird und nicht die pure Dominanz behauptet.

Und insofern sind die Gaia-Theorien seit James Lovelock alle geprägt von dem Gedanken, sage ich es mal jetzt etwas polemisch überspitzt: Die Erde ist das große Muttertier, der große Bios und in dem sind wir alle eingegliedert, in gewisser Weise das große potenzielle Öko-Paradies, in das wir uns zurückbegeben müssten. Wir Menschen müssten verstehen, wir sind auch nur ein Lebewesen wie jedes andere Lebewesen und müssen uns re-integrieren in diesen Gaia-Zusammenhang. Niemand wird bestreiten, dass da natürlich selbstverständlich ein wichtiger Impuls drinsteckt. Die Gefahr bei allen diesen Ansätzen besteht nur darin, dass dann die Eigenart und die eigene spezifische Qualität des Menschen, nämlich seine Geistseele-Natur, biologistisch überdeckt wird. Dann bleibt undeutlich, worin sich dann das Geistseele-Mensch-[Wesen], das Wesen Mensch mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein von anderen lebendigen Wesen unterscheidet. Und da liegt eine Klippe. Da liegt eine …, ein Ansatz, der mit gutem Recht von einigen auch scharf kritisiert wird. Das muss man auch ganz klar herausstellen: Wenn wir eine Chance haben sollen und wollen, die Erde neu zu begreifen, dann kann es nicht darin bestehen, dass wir die Erde nur als Bio-System und im biologistischen Sinne als Gaia betrachten, dann müssen wir einen Schritt weitergehen und müssen die Erde in dem Sinne auch als Demeter betrachten.

Nun kann man natürlich fragen, das habe ich ja vorhin schon gesagt, wie sähe dann ein Bewusstsein der Erde [aus], wenn es denn überhaupt so etwas geben kann? Wie könnte das dann überhaupt aussehen? Was wäre das dann, ein Erd-Bewusstsein. Hat dieses Gestirn als ganzes Wahrnehmungsorgane quasi in den Raum hinein? Gibt es so was? Ist das denkbar? Oder ist es nur eine mehr oder weniger poetische Vorstellung, eine Metapher? Ist es Dichtung, Poesie, Literatur? Wie könnte die Wirklichkeitsqualität dahinter sein? Hat dieses Gestirn, die Gestirne überhaupt, im ganzheitlichen Sinne eine Art von Wahrnehmung? Das könnte durchaus sein. Denken sie einmal an die ja selbst in der traditionellen Physik gängige Vorstellung, dass häufig gesagt wird, die Trägheit der Materie, das findet man sogar in Physik-Büchern, Physik-Lehrbüchern, ich habe das hier mehrfach gesagt, sei, so wörtlich, ein Fühlorgan für die Raumzeitmetrik. Diese merkwürdige, rätselhafte Fähigkeit der Trägheit, die ja eine bestimmte Qualität aller Materie ist, als ein Fühlorgan. Und das ist ja, das [ist] natürlich metaphorisch gemeint. Aber trotzdem ist es ja merkwürdig, dass da eine elementare Wahrnehmung unterstellt wird bis in den Mikrobereich der Materie hinein. Warum soll ein Gestirn auch in diesem Sinne nicht gleichsam kosmische Fühlorgane haben und sich in dieser Weise auch im kosmischen Zusammenhang bewegen können?

Mal ein Zitat von Giordano Bruno, was ich hier gebe in dem Buch „Was die Erde will“ über die Frage des Bewusstseins der Himmelskörper. Bruno, das habe ich ja vorhin schon gesagt, war ein leidenschaftlicher Verfechter der Vorstellung, dass die Himmelskörper, die Planeten und die Gestirne, sogenannte Sonnen, im Grunde Lebewesen sind, ja nicht nur Lebewesen, sondern quasi Götter. Eine These, die ich ja hier auch in diesem Buch zum Teil aufgegriffen habe „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“, wo man von dem Radialfeld aus auch sagen kann, dass dieses die Gestirne spiritualisiert, so dass sie in gewisser Weise zu großen kosmischen Wesenheiten, zu großen Organismen werden. Bruno schreibt in seinem berühmten Buch „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“, 1584 geschrieben, Zitat Giordano Bruno: „Darum ist es erforderlich, dass von einem unerreichten göttlichen Angesicht ein unendliches Abbild sei“, also dass die Unendlichkeit des Göttlichen erfordert auch die Unendlichkeit einer erschaffenen Welt, „darum ist erforderlich, dass von einem unerreichten göttlichen Angesicht ein unendliches Abbild sei, in welchem sich dann als unzählige Teile, unzählige Welten, welche jene andern sind, befinden. Darum muss es aufgrund unzähliger Grade der Vollkommenheit, welche bestimmt sind, die unkörperliche göttliche Vortrefflichkeit in körperlicher Weise zu entfalten, “ ̶ die wesentliche These, also die physische Manifestation, ist immer ein Spiegelbild der göttlichen Vollkommenheit ̶ „unzählige Einzelwesen geben, welche die großen Lebewesen sind, also die Gestirne, von denen diese Erde eines ist, die göttliche Mutter, die uns geboren hat und uns ernährt und uns wieder in sich aufnehmen wird. Zur Aufnahme dieser unzählig vielen ist ein unendlicher Raum erforderlich.“

Ich werde darüber ja noch in meiner Vorlesung am 11. Januar über Giordano Bruno Ihnen einiges darstellen für eine Art Gedenkvortrag nicht direkt zum 400. Todestag von Bruno, aber im Umfeld, im Umkreis dieses 400. Todestages. Er wäre ja erst am 17. Februar 2000, also 1600 und 2000. „Es ist sogar gut“, noch immer Bruno, „dass unzählige Welten, so wie sie sein können, sind, die dieser gleichen, wie sie sein könnte und sein kann, wie es gut ist, dass sie ist.“ Für Bruno, heißt es dann, wird es zur Erfüllung jeder Gestirnentwicklung, intelligentes Leben zu tragen, grundsätzlich [ist] jedes Gestirn in der Lage dazu, in welcher Form und auf welche Existenz- oder Seinsebene auch immer. Die Gestirne als kosmische Lebewesen, jetzt kommt der entscheidende Punkt, haben nach Bruno eine empfindende, wollende und denkende Seele. Die Gestirne in seiner Sicht sind auch denkende Wesen. Die Gestirne als kosmische Lebewesen haben nach Bruno eine empfindende, wollende und denkende Seele und ein in die Weltweiten des Weltenraums sich erstreckendes Bewusstsein. Bruno schreibt einmal, die Gestirne hätten, Zitat: „das Vermögen, Gott, die Prinzipien alles Seienden und die Verteilung der Ordnungen des Weltalls anzuschauen.“ Sie haben ein dem Menschlichen weit überlegenes kosmisches Raumbewusstsein, sind mit eigenen Organen für den unendlichen Raum ausgestattet.

Also eine sehr, sehr weitreichende These, die hier behauptet wird vor 400 Jahren. Zudem sind alle Gestirne und so auch die Erde einem kosmischen Stoffwechsel unterworfen. In der Schrift „Vom Unendlichen“ heißt es dazu noch, ein Zitat: „Daher ist diese Erde, wenn sie ewig und dauernd ist, dies nicht auf Grund des Fortbestandes ihrer Teile und Unteilbaren“, großgeschrieben, „sondern aufgrund des Wechsels zwischen den einen, die sie aussendet, und den anderen, die an deren Stelle in sie übergehen, so dass der Körper, der immer dieselbe Seele und Intelligenz hat, sich Teil für Teil beständig verändert oder erneuert.“ Also ein großer kosmischer Stoffwechsel der Gestirne wird hier behauptet. „So bewegen sich auch die Erde“, noch einmal Bruno, „und die anderen Gestirne, ihrer verschiedenen Lage entsprechend aus dem inneren Prinzip, welches ihre eigene Seele ist.“ Die Brunoische Gestirnseele ist in etwa, ungefähr das, was ich mit dem Radialfeld der Gestirne bezeichne. „So bewegen sich auch die Erde und die anderen Gestirne ihrer verschiedenen Lage entsprechend aus dem inneren Prinzip, welches ihre eigene Seele ist.“

Das ist nicht die Weltseele, weil die Weltseele im Sinne von Bruno ist die den ganzen Kosmos durchflutende Allseele, während die Gestirnseele eine gestirnbezogene Manifestation dieser Allseele ist, aber nicht identisch mit ihr. Es wird oft in eins gesetzt, es ist nicht das Gleiche. „Glaubt ihr, sagte Nundino „dass diese Seele empfindend sei? Nicht nur empfindend, antwortete der Nolaner“, also Bruno selbst, „sondern auch denkend und nicht nur denkend wie die unsere, sondern vielleicht in noch höherem Grade als diese.“

Also auch eine sehr weitreichende Behauptung, dass die Gestirne ein höheres Bewusstsein haben als das menschliche. Und wenig später heißt es dann noch, ein Zitat, „dass, wenn die Erde Empfindungen besitzt, so nicht dieselben wie wir, wenn sie Glieder hat, sie nicht wie die unseren sind, wenn sie Fleisch, Blut, Nerven, Knochen und Adern hat, diese nicht in unseren gleichen. Und wenn sie ein Herz hat, dann nicht so eines wie wir, sondern entsprechen auch alle übrigen Teile den Gliedern vieler anderer Wesen, die wir lebendig nennen und die gemeinhin als Lebewesen angesehen werden.“

Also, sicherlich ist die Vorstellung der Erde als eines großen Organismus alt, man findet sie etwa in der griechischen Philosophie, bei Platon im „Timaios“ und „Kritias“; da wird schon gesagt, die Erde sei ein großes Lebewesen, ein lebender Gott und sei auch eine Art von kosmischem Stoffwechsel unterworfen ̶ übrigens auch bei anderen in dieser Zeit gibt es die Vorstellung eines der Gestirne als Organismus, zum Beispiel bei Kepler, in sehr starkem Grade. Kepler schreibt einmal: „Da ich mit der Analogie vorankam, geschah es, dass ich sie noch weiter trieb und die Körper der Tiere mit dem der Erde verglich. Ich fand dabei, dass das allermeiste, was aus einem Tierkörper herauskommt und damit bekundet, dass diesem eine Seele innewohnt, auch aus dem Körper der Erde herauskommt. Wie nämlich der Körper auf der Oberfläche der Haut Haare, so bringt die Erde Pflanzen und Bäume hervor.“ In gewisser gewisser Weise ist für Kepler die Erde eine Art kosmische Pflanze, die auch einem eigenen Stoffwechsel unterworfen [ist].

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