Der Weltenwille als Baustoff und Lebenstrieb des Kosmos

Transkript des Videogesprächs
mit Jochen Kirchhoff (JK) und Gwendolin Walter-Kirchhoff (GWK)

(Gespräch vom 17.9.2023, Videoveröffentlichung am 18.9.2023)

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=FPoHkJ_bEqQ

Transkript als PDF::

GWK: Der Welten-Wille als Baustoff und Lebenstrieb des Kosmos – seit Galileo Galilei beschränkt sich die mathematisch-abstrakte Naturwissenschaft, das heißt zunächst die Physik und Astronomie, auf die quantifizierbaren Kräfte und Verhältnisse in der Natur. Obschon die Forces [engl. Kräfte] bei Newton noch als göttliche Wirkgrößen galten und damit quasi als Willensakte Gottes, hat sich im Zuge der Aufklärung die Galileische Vorstellung und damit ein Absehen von jeglicher Innen-Dimension dieser Kräfte durchgesetzt. Der Zufall tritt zunehmend an die Stelle teleologischer Erklärungen und mit ihm die probabilistische Mathematik.

Im eigentlichen Sinne kann von einem Willen erst in der Biologie die Rede sein, der zugleich das Leben und die Evolution antreibt. Bei Lamarck weist dieser Wille noch so etwas wie eine komplexe konkret-inhaltliche Intensionalität auf. Die Giraffe sieht oben im Baum ein schönes grünes Blatt und möchte das gerne fressen, und weil sie das gerne möchte, wächst ihr Hals allmählich. So stellt sich Lamarck das vor. Bei Darwin reduziert und entleert sich dieser Lebenswille zu einem blinden Grundinteresse an Fortpflanzung und Selbsterhalt in Abhängigkeit von Zufall und Nahrungsangebot.

Das Leben schwebt so haltlos, und gleichsam vom Abstieg in die Gleichgültigkeit des Anorganischen bedroht, als phantomhafte, ontologisch ungestützte Oase inmitten eines Ozeans toter Kräfte. So tut es nicht wunder, dass die Prediger der biodigitalen Konvergenz den Gedanken einer fundamentalen Differenz zwischen dem Technischen und dem Biologischen beerdigen wollen.

„Putting a nail in the coffin of vitalism.“ – um Mensch und Maschine in einer neuen, bewussten, intentional gerichteten Evolution zu verschmelzen und das Universum selbst mit einer technischen Superintelligenz zu fluten, um es mal in den Worten von Stanislav Lem zu sagen. Was aus dieser Weltsicht hervorgeht: „Ich bin aus moralischen Gründen Atheist. Ich bin der Meinung, dass man einen Schöpfer nach seinem Werk beurteilen muss, und die Welt erscheint mir als eine solch peinliche Fehlkonstruktion, dass ich es vorziehe, nicht zu glauben, dass irgendjemand so etwas absichtlich erschaffen hat.“ Dem wollen wir heute etwas entgegensetzen, nämlich mit der Willensmetaphysik, die ein genuiner Beitrag der deutschen Philosophie zur Welt-Philosophie ist. Lieber Jochen, fangen wir ganz einfach an: Was ist der Wille, und wie kommst Du auf diese Fragestellung?

JK: Naja, den Willen zu definieren, ist gar nicht einfach, nicht. Es ist ja also ein Grundimpuls im Menschen überhaupt, den ja jeder kennt: Ich will das, ich will berühmt werden, ja, ich will schön sein, ich will anerkannt sein, oder ich will dies und jenes erreichen. Also das kennt jeder aus der inneren Erfahrung heraus. Das ist eigentlich ein geistiger Akt, ein geistiger Akt, der sozusagen aus der tiefsten Tiefe heraufsteigt und den Einzelnen ja auch beflügeln soll. Es ist ja auch ein … und dann ist die große Frage, ist ja immer: Was ist dahinter?

Und der Wille wird ja traditionell auch immer als frei gesehen. Deswegen ja auch die ganze endlose Diskussion über die Jahrhunderte über die Willensfreiheit: Was ist die Willensfreiheit? Weil der Wille per se als frei gesetzt wird, da können wir sagen: Wieso eigentlich? Ja aber, wenn er nicht als frei gesetzt wird, ist es in diesem üblichen Sinne kein Wille, sondern dann ist es was Anderes, dann ist es ja ein zwanghafter Drang, dem der Einzelne sich unterwerfen muss.

Aber der Wille hat immer noch das Mysterium an sich, dass er frei ist und dass sozusagen „aus dem Nichts“ heraus [man] etwas tun oder wollen kann, das eben vorher nicht da war. Es ist eine Setzung, sozusagen aus dem Nichts. Deswegen ist ja auch die große Frage immer gewesen: Gibt es das überhaupt? Kann eine Handlung, ich meine jetzt mal rein intellektuell in der ganzen Diskussion über die Willensfreiheit, kann eine intelligente Handlung überhaupt, eine Handlung aus dem Nichts heraus erfolgen? Hat sie nicht eine Vorgeschichte? Dann ist sie kausal ableitbar, dann ist sie aber nicht in dem Sinne der Wille, dann ist sie nicht frei, sondern dann ist sie determiniert. Ist er sonst frei, oder ist er determiniert? Man ist ja dann auch so weit gegangen, dass man die Fragen gestellt hat, Leibniz z. B.: Ist Gott frei? Er hätte auch eine andere Welt schaffen können. Die Freiheit [bzgl. der Erschaffung] der Welt [ist] breit ventiliert [worden], und dann kam der zu dem Schluss: Na ja, er hätte auch vieles andere machen können, aber er hat eben das gemacht, was am vernünftigsten ist, die beste mögliche Welt.

Also diese Fragen sind endlos diskutiert worden, und der Mensch hat natürlich ein grundlegendes Interesse: Ist der Wille von ihm selber, der aus seiner Brust aufsteigt, ist der frei? Oder ist der nicht frei? Und dann ist natürlich immer die Verbindung mit dem göttlichen Willen. Das ist nie vollkommen getrennt gewesen, also immer auch die Frage: Was ist denn eigentlich der göttliche Wille?

Also wenn man im Alltagssprachgebrauch [sagt]: Mein Gott, um Gottes Willen, was machst du? Da taucht das immer wieder mit auf, das spielt immer eine gewisse Rolle, und die Willens-Metaphysik, von der Du gesprochen hast oder die Du hast anklingen lassen, hat da immer beides gedacht Und da will ich ganz kurz mal was sagen zu Dir, zur Willens-Metaphysik, weil die interessant ist, weil die heute, sagen wir mal, im allgemeinen intellektuellen oder kulturellen Bewusstsein gar keine Rolle mehr spielt, nicht, sozusagen es interessiert kaum einen noch. Dabei ist es hochinteressant, wie das eigentlich zusammenhängt.

Und da ist der Urvater – der Urvater der Willensmetaphysik ist ein berühmter Mann, ein Mystiker, Meister Eckhart. Das habe ich immer mehr begriffen. 1260, weiß man, ist er ungefähr geboren, wie Dante übrigens, und hat wahrscheinlich gelebt bis 1328, auch ungefähr wie Dante. Also das sind parallele Lebensläufe. Interessant, aber sie haben einander nicht zur Kenntnis genommen. Dante wusste nichts von Meister Eckhart, und Meister Eckhart musste nichts von Dante, soweit ich das erkennen kann oder wissen kann. Auf jeden Fall, das ist ein ganz eigener Punkt, also wie sieht es damit aus?

Also Eckhart ist ein Willensmensch unvorstellbarer Art. Eckhart schreibt z. B. einmal, dass, wenn man wirklich will, dann ist man sozusagen im Göttlichen. Es gibt sogar Aussagen von Meister Eckhart, wo er sagt: Ich selber in meinem tiefsten Willensimpuls kreiere erst die Gottheit. – Was ist denn das? Was sind denn das für Sätze, ja? Also solche Sachen sagt er dann, also ganz tief, sozusagen mystisch. In der tiefsten Tiefe ist der Mensch im Willen verankert, und er lebt darin, er wirkt darin, und er berührt dann auch das Göttliche. Also, das findet man ja auch … , solche Äußerungen findet man da noch später in der Mystik bei Agelus Silesius zum Beispiel, nicht, so ganz eigenartige Sätze: Wenn ich nicht bin, kann kein Gott sein und so weiter. Also auch diese tiefe Mystik, die da drin eine Rolle spielt, also Eckart ist in gewisser Weise, ich sage es nochmal, der Urvater der Willensmetaphysik. Er [der menschliche Wille / Eckhart] ist in dem tiefsten Willen ja auch gleichzeitig, kann man sagen, verankert im göttlichen Willen. Das ist für Eckhart das Gleiche.

GWK: Und der Wille und das Ich sind auch verbunden.

JK: Richtig. Man hat ihm ja auch den Vorwurf gemacht gerade zu der Gotteslästerung. Eckhart sagt so Sachen wie, auch so in dem Sinne: Der Gott und ich sind eigentlich identisch. Das auch war ganz altes mystisches Gedankengut. Hat man ihm natürlich vorgeworfen, galt als ketzerischer Satz. Dazu ist er ja noch mal angeklagt worden kurz vor seinem Tode. Da ist ihm der Prozess gemacht worden. Den hat er nicht mehr erlebt, aber es gab den Prozess. Das sind ja, nicht, ketzerische Sätze: Gott und Ich ist eigentlich das Gleiche. Es ist: Wenn ich in der tiefsten Tiefe mich selber bejahe und mithin den Willen bejahe, bin ich auch selber ein Stück weit Gott selbst. So ist es dann bei ihm.

Und dann natürlich auch, und das hast Du ja schon eben gerade angedeutet, die Ich-Frage. Das hat der Eckhart auch als Erster überhaupt begriffen, dass man das eben über das Ich erfährt. Es ist kein Es, der Mensch ist kein Es, sondern im Ich-Sein, im Ich-Sein, im tiefsten Ja-sagen zu sich selber, zur eigenen Existenz, sagt Eckhart, kann man alles. Das heißt das ist die höchste Form der Willensmetaphysik, die man denken kann, [und die] hat Eckhart gedacht. Man kann alles. Wer wirklich will, kann die Welt auseinandernehmen sozusagen, ja, oder der kann wirklich alles, und das sagt Eckhart unermüdlich, solche Sachen, und das sind natürlich unglaubliche Sätze, und da ist Eckhart hochinteressant und auch für Intellektuelle natürlich hochinteressant.

Eckart hat ja auch die Menschen immer wieder bewegt im Laufe der Zeit, nicht, viele haben ihn ja auch bewundert, und wenn man ihn dann wirklich liest, was ich jetzt wieder getan habe, dann staunt man eigentlich. Er ist ein Phänomen, also Eckhart ist ein Phänomen, nicht. Nun kann man das nicht im Original lesen. Man liest es ja in Übersetzungen, in neuhochdeutscher Übersetzung, [das ist] natürlich eine Interpretation schon. Auf jeden Fall, das ist der Ausgangspunkt.

Und dann ist der Zweite, den man da vielleicht nennen könnte dann, später, [das] ist dann Jakob Böhme, der ganz stark auch beeinflusst ist von Eckhart, nicht. Jakob Böhme, um 1600, also ungefähr um die Zeit, als Bruno hingerichtet wurde, hat er seine große Visionen gehabt.

Also dann greift die Philosophie das auf, nicht, also Schelling liest dann Meister Eckhart, den hat er auch gelesen, aber vor allen Dingen Böhme, und der Schelling greift das auf, und dann plötzlich kommt diese ganze Frage ins Spiel nach dem Willen: Was ist der Wille? Und da ist also der Schelling der Erste, der sagt dann: Wollen ist Ursein [Urseyn], also sozusagen, das alles geht auf den Willen zurück, und es ist immer auch hier die Zusammenführung von göttlichem Willen und menschlichem Willen, das ist nicht getrennt.

Helmut Krause schreibt ja in seinem Buch „Der Baustoff der Welt“, da reden wir noch drüber, dass Schopenhauer redet vom menschlichen Willen, und er redet vom göttlichen Willen, sagt er. Aber für Meister Eckhart, und in gewisser Weise auch für Schelling dann, ist es das Gleiche. Die Welt, sagt schon Schelling einmal, ist die unendliche Bejahung über den Willen: Ich sage Ja unendlich für die ganze Welt, [das] ist der Wille zur Welt, die unendliche Bejahung der Welt, ist überhaupt die Bejahung.

Man kann natürlich auch sagen: Der Wille kann ja auch ein verneinender Wille sein, ein Wille zum Nichts im Sinne von Nietzsche. Aber letztlich ist der Wille erst mal immer die Bejahung. Ich will das, weil ich das will, also weil es auch richtig ist. Der Mensch hat also das Gefühl, dass er im Willen verankert ist und dass er auch selber sozusagen da seine Würde hat, seine Ich-Würde, und so weiter. Also dieses spielt dann später eine große Rolle bei Schelling natürlich – und dann berühmt natürlich bei Schopenhauer.

Aber nur um das ganz kurz zu sagen, Schopenhauer geht ja von einem blinden Willen aus, [der Wille ist bei ihm] total blind, während die normale Definition des Willens, übrigens auch bei Schelling, ist ein Geistprinzip, ein gezieltes, aber intentionales Geistprinzip. Das ist ja bei Schopenhauer nicht der Fall. Der Wille ist bei Schopenhauer ein unbewusstes Prinzip in den Dingen überhaupt. Die Vorstellung bringt erst dann eine Konsistenz und eine Geordnetheit in die Phänomene hinein.

Anders jetzt auch wieder Nietzsche, können wir auch noch drüber reden, bei dem das undeutlich ist. Wenn man Nietzsche liest, hat man auch das Gefühl, dass er auch irgendwie den Willen [an]sieht als metaphysisch – und dann wieder nicht, dann ist es wieder ganz materialistisch. Aber auch da natürlich die Frage, die Bejahung, die ja dann unendliche Bejahung ist, eben zur ewigen Wiederkunft, das haben wir in unserem Video damals über Nietzsche auch gesagt. Also, das spielt eine große Rolle, und das verliert sich nachher, diese Art des Denkens, aber sie ist ein ganz großer Strang im Denken, dann bei Helmut Krause ganz stark der göttliche Wille – und mit gewissen Ausnahmen auch bei Jochen Kirchhoff, vielleicht dem letzten Willensmetaphysiker. Also das spielt eine ganz große Rolle, und es ist ein Mysterium.

Wir müssen nochmal klar sagen, wenn wir vom Willen reden, sei es vom menschlichen Willen oder vom göttlichen Willen: Man berührt auch ein Mysterium, das ist ein Abgrund, und das wusste Eckhart wie kein Anderer, man ist in [an] einem Abgrund. Böhme nennt das den Ungrund. Ja, man ist in tiefsten Tiefen, und man ist in gewisser Weise auch in mystischen Tiefen, wenn man mal das Wort Mystik jetzt hier heranziehen darf. Die Philosophie berührt dann die Mystik, und der mittlere Schelling ist ja ganz auch Mystiker, nicht, er ist erst mal nur Naturphilosoph, und er ist dann auch Mystiker, und er ist ganz stark beeinflusst von Jakob Böhme, ohne den man ihn gar nicht denken kann. So, das nur ganz kurz zur Einführung. Das ist heute noch immer wichtig, aber es ist natürlich verloren gegangen. Die Naturwissenschaft hat natürlich das Rennen erst mal gemacht, und wieso soll ich noch heute mein Gehirn abquälen mit der Frage: Was ist der Wille und wie funktioniert der? Aber es ist tatsächlich eine tiefe, ganz tiefe Frage. Das kann jeder in seiner eigenen Brust entscheiden: Ist er frei oder bin ich eigentlich ein Sklave eines übergeordneten Willens, der mich will und den ich gar nicht will? Das sind Abgründe, die jeder Einzelne mit sich selbst abmachen mussten. So, das nur dazu als Einleitung, ja.

GWK: Bzw. als Teilaspekt, nämlich der Kern ist natürlich der: Wie steht der, bei Schelling heißt es Partikularwille, zum Universalwillen, also dem Willen des Göttlichen – der Wille des Menschen zum göttlichen Willen? Und der Gedanke der Willensfreiheit ist ja, und das passte sehr gut in die Freiheitschrift [von Schelling], der Gedanke, frei zu sein, gegen den göttlichen Willen zu verstoßen, sich gegen den göttlichen Willen zu richten. Darin liegt die eigentliche Freiheit des freien, des sogenannten freien Willens. Damit wäre quasi aber auch immer der göttliche Wille im Raum, als Alternative sozusagen.

JK: Ja, vollkommen richtig. Und es kommt noch hinzu, dass die Willensmetaphysik und die idealistische Philosophie, das muss man auch mal philosophiegeschichtlich sagen, letztlich den Willen auch mit – man muss diesen Begriff nennen, obwohl er für die heutigen Menschen irgendwie befremdlich ist – das ist eine Setzung. Der Wille ist eine meta­physische Setzung. Also sagt ja auch Schelling: Die Freiheit, wenn Du die Freiheit meinst, ob ich das Blatt jetzt umwende oder nicht umwende, das soll Freiheit sein, sagt [fragt] Schelling? Das spielt überhaupt keine Rolle. Das interessiert auch gar keinen. Viel interessanter ist: Was steckt dahinter? Was ist die eigentliche Freiheit? Nicht dass ich tun kann, was ich will. Ich könnte jetzt aufstehen oder meine Kaffeetasse ergreifen und wie immer, das ist völlig uninteressant. Interessant ist nur, ob der Einzelne in seinem So-Sein frei ist. Pointe bei Schelling und auch bei Schopenhauer: Ich hätte ein Anderer sein können. Jetzt kommt eine Pointe rein, die verblüffend ist. Ja, Du bist der, der Du bist, aber damit bist Du schon festgelegt, weil der Willensakt als Akt der Selbstsetzung, der ist schon vorher passiert. Jetzt kannst Du nichts mehr machen, jetzt läuft das sozusagen in gewisser Weise ab. Anders kannst Du es nicht [mehr machen], da kannst Du nicht aussteigen. Also die tiefste, die tiefste Freiheit ist für Schelling, und in Teilen auch für Schopenhauer, das geht so ein bisschen ineinander über, bei Nietzsche ist es wieder anders – im Grunde genommen gibt es einen Ur-Willensakt, eine Ur-Setzung Deiner selbst, und das ist die Freiheit und nicht, dass du dann später irgendwas, dies machen kannst oder jenes machen kannst. Ein Abgrund, viele sagen: Es ist einfach unsinnig, was soll es sein, das ist doch … , das ist ja auch metaphysisch, nicht, also die Frage: Bist du da frei, oder bist du nicht frei? Und das ist ja eine Frage, die sich jeder wieder neu stellen muss, immer wieder: Bin ich frei, bin ich eigentlich schon gesetzt und kann gar nichts mehr machen? Also auch das ist ja die Karma-Frage, nicht, wenn ich dann in diesem spirituellen Sinn, auch im Sinne asiatischen Denkens, die Karma-Frage [stelle]: Bin ich da frei, oder bin ich da eigentlich nur in einem Fahrwasser des Determinismus?

GWK: Da ist ja die Lösung von Spinoza zu dem Thema, dass ich nur dann frei bin, wenn sozusagen mein Ich aufgeht oder sozusagen immer mehr sich verbindet in einer höheren Natur mit dem göttlichen Willen. Dann, in dem Moment, bin ich frei, und ansonsten bin ich von verschiedenen anderen Willen bedingt und von Impulsen und Umgebungen, Einflüssen bedingt. Das heißt, die eigentliche Freiheit ist erst da, wo der Geist … oder sozusagen in dem, was sie die Buddha-Natur nennen würden. Nur das ist die Freiheit.

JK: Ja, vollkommen richtig. Man muss nochmal ganz scharf sagen: Es ist auch die Freiheits­frage. Der Wille ist die Freiheitsfrage und die Ich-Frage. Und wenn man jetzt vom göttlichen Willen spricht, dann muss man sehen, siehe Eckart, aber nicht nur Eckart: Wie ist die Verbindung des göttlichen Willens mit dem menschlichen Willen? Gibt es da eine Verbin­dung? Die muss es geben. Aber wie sieht sie aus? Und da können wir uns auch noch drüber unterhalten, das sind abgründige Fragen. Wir müssen, liebe Zuschauer, hier wirklich in dieses [Thema] ein bisschen hineinsteigen, in diese Dinge, weil sonst kommt man dem Thema … , wird man dem Thema nicht wirklich gerecht. Das ist ein abgründiges Thema, nicht, viele würden es vielleicht abwehren und sagen: Das ist ja spekulativ, und das ist ja mystisch spekulativ, da kommen wir nicht weiter. Doch, man kommt da ein Stückchen weiter, aber reduktionistisch, im Sinne hier von Stanislav Lem, kommt man da nicht weiter.

Ganz kurz noch zu Lem. Er meint ja eigentlich, das Universum ist sinnlos, das hätte man ja viel besser machen können. Nun ist natürlich das auch eine Aussage, die immer mal wieder geäußert wurde, indem man eben sagt, das habe ich auch in einem meiner Bücher mal zitiert, in einer Diskussion zitiert aus dem Jahr 2001, dass irgendeiner in einer Gesprächsrunde gesagt hat: Was reden wir überhaupt vom Göttlichen? Diese Welt ist so schlecht gemacht, das hätte man viel besser machen können. Also diese vielen Gaskugeln und dann diese paar Planeten, die darum kreisen – das kann es nicht sein, das ist schlecht gemacht. Ja so ist es … , ich würde ja sagen, so ist es auch gar nicht. Aber der Gedanke …

GWK: … das Modell ist schlecht gemacht, nicht der Kosmos …

JK: … dass [der Kosmos] schlecht gemacht ist [führt zu falschem Modell] und [dazu,] dass das Göttliche so nicht auffindbar ist. Ich sage ja manchmal auch, aber es ist auch in den Büchern öfter geschrieben: Wenn das wirklich so stimmt, was die heutige Kosmologie annimmt, wenn die Physik absolut sein soll, sag ich mal so, jetzt vorsichtig, dann ist die Spiritualität tot. Wenn das stimmen sollte, ist die Spiritualität nicht zu retten. Das muss man ganz brutal deutlich sagen: Es kann nur so sein, dass das nicht stimmt. Und warum stimmt das nicht, das kann man begründen.

GWK: Und hier kommen wir an den eigentlichen Punkt, warum wir mit dem Ich, dem Willen überhaupt anfangen, also dem Willen, der Intentionalität und den Inhalten. Das können wir jetzt vielleicht mal auffächern, denn die erste Frage, die man sich stellen kann [ist ja]: Ist der Wille blind? Wenn wir die Wissenschaftsgeschichte anschauen, sehen wir als Allererstes, dass der Willensakt Gottes quasi ganz an den Anfang gesetzt wird. Es gab am Ursprung eine Ur-Setzung, in dem Fall des Urknalls, bei uns jetzt mittlerweile, früher dann einfach wie in dem deistischen Modell, dass quasi einmal die Schöpfung angestoßen worden war und ab dann läuft die deterministisch ab.

JK: … bei Leibniz auch …

GWK: … ja, das kann man sich ja dann vorstellen, bei Newton noch die Forces, dass quasi Willensakte herumschwirren von also göttlichen Willenskräften, kann man sagen in der Physik, aber in der eigentlichen Newtonschen Mechanik auch zugunsten einer letztendlich toten Trägheitsbewegung aufgegeben, das heißt die Frage …

JK: Aber Newton war immer noch so spirituell, das muss man dazu sagen, dass er tatsächlich, das hast Du ja angedeutet, die Kräfte waren für ihn metaphysische Kräfte und in diesem Sinne auch göttlich und frei. Also Newton war immer noch … , hat er immer noch einen letzten Rest von einem spirituellen Weltbild. Ist ja auch ganz stark beeinflusst von Jakob Böhme übrigens, zum Teil auch von Giordano Bruno, nicht, also über einen englischen Mystiker, Henry Moore, der das vermittelt hat. Also Newton ist da sehr interessant, weil er ambivalent ist, wie er ja auch bekanntlich viel mehr mystische Schriften verfasst hat als physikalische Schriften. Newton sah sich als Mystiker, als Eingeweihter, als Hermetiker, als den letzten großen Hermetiker. Gut, das nebenbei, aber es spielt schon eine Rolle.

GWK: Deswegen würde ich jetzt noch mal tiefer [darauf] eingehen. Also der Wille, wenn wir jetzt den in die Natur wieder zurücktragen, wo er rausgetragen worden ist, nicht, dass wenn sozusagen, wenn immer Absichtlichkeiten als anthropomorphe Projektionen weggedrückt [werden] und so weiter, tragen wir den Willen auf eine sozusagen erwachsene Ebene zurück. Wie würde das aussehen? Wir sagen erst mal: Grundfrage – ist der Wille tatsächlich [eine] Kraft mit Innen, ja, also die Kraft nicht nur in einer reinen Außenkraft, eine Kraft ohne Innen, sondern eine Kraft mit einem Innen? Und jetzt die Frage: Ist dieser Wille blind und leer oder bezieht er sich auf etwas? Wenn ja – worauf bezieht sich der Wille? Also sozusagen: Was will der Wille? Woher weiß der Wille, was er will? Ist er also in … , wodurch wird der Wille gestaltet, in die eine oder andere Form gestaltet, denn man kann sich tatsächlich die Frage stellen, wie bei Lamarck auch, und die verschiedenen Formen, wenn man jetzt zum Beispiel eine wunderbare Passage zu Beginn des Dr. Faustus liest mit den Schmetterlingen. Es gibt ganz viele erstaunliche Schmetterlinge, die erstaun­liche elaborierte Tarnsysteme entwickelt haben, also wirklich komplett haargenau ein Blatt nachstellen, mit den Äderchen darstellen, mit den Fressstellen darstellen, so dass sie ein ganz realistisches Blatt haben auf ihren Flügeln und so, und man kann ja in dem Moment fast mit größerem Recht einen Lamarck bemühen, der sagt ja: Der Schmetterling hat das gesehen und wollte so aussehen und weil er das so wollte, kamen dann Schmetterlinge, die so auch aussehen, die diese Form … , er hat sich selbst gestaltet damit, könnte man diesen Willens-Impuls anlegen [annehmen]. Es gäbe sogar Rechtfertigung in der Natur, also dieses Modell, das alles über den Trägheitsbewegungszufall [geht] und dann Absterben immer bei knappem Nahrungsangebot – dass das immer so abgelaufen sein muss, wird konterkariert durch diese erstaunlichen Gestaltungs- und Anpassungsleistungen zum Beispiel, wenn ein komplettes Aussehen übernommen wird, beispielsweise auch von einem Schmetterling, der so besonders bunt ist und aber eklig schmeckt, dann wird er nicht gefressen, fliegt besonders langsam, um das anzuzeigen, und ein anderer Schmetterling, der überhaupt nicht giftig ist selbst und also genießbar wäre, legt sich auch so eine bunte Zeichnung zu und so eine ähnliche Flugweise, tarnt sich sozusagen, fährt Trittbrett auf dieser bekannten Ekligkeit dieses anderen. Also wieso macht er das, hat er das gewollt, hat er das gesehen, hat er sich das abgeguckt? Wenn wir jetzt eine Intentionalität erstmal bemerken, einfach, wie kommen wir darauf, was bringt es uns, den Willen da einzuführen?

JK: Ja, das ist natürlich eine Grundfrage, da kann man fragen: Weiß der Pfau, dass er schön ist? Hat er ein Bewusstsein in irgendeiner Form von seiner unfassbaren, geradezu über­irdischen Schönheit, oder ist der vollkommen blind dafür? Das können wir nicht beant­worten, die Frage. Aber das ist natürlich eine Grundfrage, die man dann immer stellt auch, nehmen wir mal den Stier. Der Stier stößt und will stoßen und deswegen kriegt er die Hörner. Also, ja, das ist … , hört sich banal an, aber so ist es ja doch, das kann man doch sagen – oder es ist ganz anders, weil er letztlich das will, entwickeln sich dann diese Hörner, oder eben nicht. Da kommt man immer in diese, letztlich, diese Innenperspektive rein, die man letztlich sich nicht erforschen kann, weil letztlich sind wir bei einer Frage, die uns ja auch schon mal beschäftigt hat, nach der Form: Wie ist das überhaupt? Das wissen wir nicht. Letztlich ist auch das ein großes Mysterium. Wie kommt Form zustande? Auch Schönheit, wie kommt Schönheit zustande? Das ist auch … da ist auch ein innerer Impuls, der auch wie ein Willensimpuls sein mag oder wahrscheinlich auch ist. Aber wie weit dann der Träger dieses Impulses dann tatsächlich etwas weiß davon, können wir nicht beur­teilen. Das kann man letztlich auch für sich bestehen lassen. Man sollte da auch nichts Anthropomorphes hineinfantasieren, was man machen kann. Aber es ist, finde ich, nicht richtig, sondern man kann es auch als Mysterium stehen lassen.

Also wie entsteht Form überhaupt, wie entstehen überhaupt die Dinge? Sind sie denkbar ohne eine Innenperspektive, ohne einen Innen-Impuls? Nicht, die heutige Natur­wissenschaftlich sieht die Natur ja nur außen, nur außen. Was ich sehe, das ist eben das Außen, das kann ich berechnen, da kann ich Maschinen bauen, und da kann ich mir besonders intelligent vorkommen. Aber das Innen, die Innenperspektive, auch bei Menschen, die wird ja ausgeklammert. Das ist ja nun ein Drama unserer Zeit, wie wir ja alle wissen, bis hin zum Transhumanismus. Darüber haben wir auch schon gesprochen. Das ist letztlich eine Katastrophe, dass man die Innenperspektive praktisch ausklammert und damit auch den Willen ausklammert und damit auch die Weltseele ausklammert, nicht.

Die Frage ist ja wirklich: Warum hat eigentlich die Naturwissenschaft sowohl den Weltwillen eliminiert irgendwann und auch die Weltseele eliminiert? Warum? Weil es ein Störfeld ist, nicht. Wenn die Natur einen Eigenwillen hat sozusagen, sie könnte auch etwas Widerborstiges haben, aber einen Eigenwillen hat, dann ist es schlecht bestellt um die reduktionistische Naturwissenschaft, weil dann kommt sie immer in die Quere an der Stelle. Also das ist eine ganz entscheidende Frage.

Durch den Willen kann man die Lebendigkeit und die Innenperspektive der Dinge wiedergewinnen, könnte sie wiedergewinnen, könnte sie wiedergewinnen, nicht durch das Denken nur alleine, aber auch durch das Denken. Man kann Dinge auch durchdenken. Man kann dahin kommen, dass hier in der reduktionistischen Form etwas fehlt, etwas Entschei­dendes fehlt. Und das ist eben genau die Innenperspektive, und das ist eben genau auch das Ich und auch dann [ein] Stück weit Freiheit. Also, das ist einfach so, sagt ja auch Schelling immer wieder: Die Natur, alle Pflanzen, alle Tiere nähern sich der Freiheit an und damit dem Menschen. Ist ja auch wieder eine Evolutionslehre, die Schelling da, also eine nicht-darwinistische Evolutionslehre, die Schelling da propagiert. Übrigens auch Schopenhauer ist da ganz ähnlich wie Schelling.

GWK: Eine Gewahrwerdung des Ich aus der Natur. Es gibt also tatsächlich unterschiedliche Grade der Gewahrwerdung des Ich, ja, auch ein Tier hat ja eine Subjektivität, aber nicht dieselbe wie ein Mensch sie hat.

JK: Gewisse Grade der Subjektivität hat auf jeden Fall das Tier, anders natürlich das höher organisierte Tier als zum Beispiel eine Ameise, das ist klar, anders. Aber das ist auf jeden Fall ein ganz wichtiger Punkt, der Willensimpuls in der Natur, der immer mitspielt, und den kann man wieder entdecken, den kann man über die Willensmetaphysik neu erschließen, und die kann bis zu einem gewissen Grade, ich sag’s noch mal, auch über das Denken neu erschließen, wenn man wirklich denkt.

GWK: Wobei wir jetzt vielleicht auch uns anschauen können, wie Schopenhauer mit der Sache umgegangen ist, und dann auch Krause. Denn Schopenhauer hat ja den Willen tatsächlich, also den einheitlichen … auch die Polarität zum Beispiel … Was können wir noch über den Willen aussagen, wenn wir den Willen jetzt mal in Fragen aufteilen? Wir haben also einen gewissen Grad an Subjektivität, ein Innen, das auf etwas bezogen ist, auf sich selbst. Das hat ein Zentrum, es hat Inhalte, es blickt auf etwas, also es ist ein blickender Wille. Der Wille blickt auch, ja, und bewegt sich in seinem Bicken auf etwas hin. Und jetzt können wir natürlich noch weitere Fragen stellen. Hat der … hat der Wille an sich z. B. … ist der immer so gleichmäßig da, oder hat der eine rhythmische Energie, expandiert der und zieht sich wieder zusammen? Was beeinflusst den Willen? Was ist … was ist die Natur des Willens, denn das, was ja Schopenhauer versucht hatte, war, den Willen in die Naturkräfte nach unten reinzutragen, das auch, ähnlich wie es die Sexualität gibt, später auf der Ebene des höheren organischen Lebens, so gibt es eben diese Anziehungs- und Abstoßungs­bewegungen auf der Ebene des Subatomaren. Anziehung, Abstoßung zum Beispiel, diese Art von Bewegungen gibt es auf allen Ebenen, und was der Schopenhauer tat, ist, das in einen Zusammenhang zu setzen: Das ist alles das gleiche Grundprinzip, eben auf der [je] unterschiedlichen Seinsebene.

JK: Ja, so erklärt er auch die Gravitation, der Schopenhauer. Bei Schelling ist das sehr ähnlich, ja.

GWK: Und deswegen ist [folgt] die Frage nach den Eigenschaften dieses Weltenwillens vielleicht auch jetzt nach Schopenhauer und nach Krause.

JK: Ja, also wir möchten vielleicht noch kurz darauf hinweisen für die Zuschauer: Dieses Büchlein, „Der Baustoff der Welt“ von Helmut Krause, das ist die Ausgabe von 1991, die auch eine Kommentierung hat, und da ist auch ein Gespräch drin, was ich seinerzeit in den 70er Jahren mit Werner Heisenberg geführt habe, dass dies tatsächlich frei zugänglich ist als digitaler Text im Internet. Das heißt, dies können Sie, verehrte Zuschauer, Sie können das tatsächlich nachlesen. Sie müssen nur zwei, drei Mausklicks … , dann haben Sie das und können das aufschlagen und ohne dass Sie es in der Hand, physisch in der Hand haben, aber es ist digital da. Sie können … , Sie müssen nur bei jochenkirchhoff.de nachgucken, das ist die Homepage, und dann können Sie auch noch paar Klicks weiter[gehen], dann haben Sie dieses Buch, das Büchlein hier, und da haben Sie auch die Frage, nicht, von den bewohnten Gestirnen und der Ursache der Gravitation.

Und da taucht auch die Kontroverse zu Schopenhauer mit auf, dass also der göttliche Wille hier von Krause ganz klar anders betrachtet wird, als es Schopenhauer getan hat. Also sozusagen der göttliche Wille ist etwas Anderes als der menschliche Wille. Bei Eckart wäre das ja sozusagen …, würde das zusammenfallen, nicht, das ist noch wieder ein anderer Punkt ja. Aber dass auch eine Grundlebendigkeit [am Werke ist], auch die Anziehungskraft dann, als eine Grundstrahlung, eine Energiestrahlung, kann man sagen, ein Urfeld, ein primordial field oder so, also auch ein Urfeld, was aus den Gestirnkernen zerstrahlt, das haben wir ja früher in mehreren Videos auch ausführlich dargestellt. Also da ist ein Zusammenhang, der da besteht, und das ist eben nicht vollkommen getrennt, sondern der Mensch ist da eingebunden und hat auch einen Zugang. Welchen Zugang hat er? Na ja, er kann meditativ dem sich auch annähern, nicht, das ist ja auch … Krause selber ist ja über diese Sache gekommen, über eine Grundintuition nach langer Meditation, nicht, über die Verstrahlungsfelder der Gestirne, die tatsächlich dann auch einen Erklärungswert haben und eine Erklärungskraft haben. Und dann kommt man in eine neue Form des Innen der Dinge hinein. Es gibt den Innen-Blick, das Innen. Und das ist ja für den modernen Menschen wie ein Fremdkörper, nicht. Wieso soll der nach innen gucken? Der ist ja außen schon überfordert, ganz zu schweigen von seinem Innen.

Also dass er diesen Innenblick verlebendigt und dass er da begreift, dass er nur über den Innenblick überhaupt lebendiger, ein lebendiges Wesen sein kann. Er ist nur dann wirklich lebendig. Wenn er es ausgeklammert, ist es [er] eigentlich tot, eigentlich im Grunde tot. Und dann müssen wir gar nicht reden über Weltenwillen und über den Kosmos, sondern das ist einfach dann tot. Aber es ist ja nicht tot, sondern wir sind lebendig, und weil wir lebendig sind, und weil ich davon auch ausgehe, auch mit Krause und in gewisser Weise auch mit Schelling: Weil wir lebendig sind, können, müssen wir in einer lebendigen Welt leben. Weil: Lebendiges entsteht aus Lebendigem und nicht aus Totem.

Das sage ich ja immer wieder, auch wenn viele dann die Stirn runzeln, sage ich: Es hat noch niemals jemals auf dieser Erde jemand gesehen, dass aus Totem Leben entstanden ist, nie, [das] hat es noch nie gegeben, gibt’s auch gar nicht. Aus Leben entsteht Leben und nicht umgekehrt. Das Leben kann zum Tode führen, es führt zum Tode in gewisser Weise auch, aber es entsteht nicht aus Totem. Wir leben in einer lebendigen Welt, und nur deswegen reden wir über diese Dinge. Wenn wir die tote Welt der abstrakten Physik für absolut halten, dann müssen wir diese Dinge gar nicht besprechen, dann reden wir über Formeln. Kann man auch machen, ist ja auch ganz witzig. Die Dinge, sie haben auch einen Formelcharakter, die kann man dann aufschreiben, und [man] kann dann auch Objekte ins All schießen und kann das Fernrohr aufstellen und kann damit die Galaxien betrachten und kann sich selber [für] sehr hoch intelligent halten. Und man denkt in dem Gedanken, man wüsste irgendwas.

Dabei weiß man überhaupt gar nichts, weil das Innen vollkommen fehlt. Man sieht ja nur das Außen, und die Fernrohre vermitteln einem ja nur das Außen. Und, wie ich immer wieder sage, man wird ja auch angeblickt. Wir sind nicht nur die Blickenden, die gierig mit unseren Fernrohren in die kosmische Nacht blicken, sondern wir sind auch die Ange­blickten. Wir sind auch Angeblickte, und wir sind auch gemeint. Das Du-bist-nicht- gemeint-Universum ist es eben nicht, und in diesem Kontext bewegen wir uns ja mit diesen Fragen überhaupt.

Und wir versuchen uns ja, mit den Fragen auch wieder anzunähern an die lebendige Perspektive, die ist nicht dogmatisch, aber ein Denkhorizont einer lebendigen Ganzheits­perspektive. Die muss möglich sein, und die ist möglich. Das ist die einzige Möglichkeit, dem herrschenden Irrsinn halbwegs Paroli zu bieten, ja, [das] ist tatsächlich da anzuknüpfen und diese Kräfte sozusagen in sich zu verlebendigen und grundsätzlich sie zu verstärken, die schöpferischen Grundimpulse durch den eigenen Einsatz des eigenen Denkens und Wollens zu verstärken. Und das macht die Würde des Menschen aus. Sonst kann ich keine Menschenwürde entdecken, muss ich ehrlich sagen. [Wo] soll die sonst verankert sein? Ich sehe sie jedenfalls nicht.

GWK: Also können wir noch mal konkret werden, auf die Eigenschaften des Willens in der Naturphilosophie [eingehen]. Also, wir haben gesagt: Kraft mit Innen, Kraft, die verschie­dene Grade der Subjektivität aufweist und Kraft, die sich auf etwas bezieht, also etwas anblickt tatsächlich, ja, sie ist ja mit sich selbst verbunden und blickt auch gleichzeitig in die Welt hinaus. Es wird eine Perspektive des Eisens auf die Welt geben und auch eine Perspektive des Farns oder eine Perspektive … wie auch immer wir uns diese Perspektive vorstellen, jetzt nicht in diesem platten Sinne. Allein schon irgendeine Form von Kontext der eigenen Umgebung, ein Sein in der eigenen Umgebung ist da drin, ist da mit einbe­zogen.

JK: Unbedingt, ja.

GWK: Jetzt die Frage nach den Eigenschaften des Willens. Also wir sehen ja zum Beispiel, dass Schopenhauer nannte die Musik die direkte Kunstform, die den Willen zum Ausdruck bringen muss. Die Musik, wenn man näher in sie hineinblickt, ist auch ganzzahlig geordnet, sie hat Rhythmen, sie hat bestimmte Harmonien enthalten. Hat also der Wille Eigen­schaften, die ihm sozusagen … hat er eine Natur? Ist der Wille auf eine bestimmte Art und Weise vorstrukturiert?

JK: Ja, da würde ich eindeutig sagen: Ja, das ist er, der Wille, der Weltenwille, den Krause ja auch, interessant übrigens, das muss hier nochmal dazu erwähnt [werden], Raumenergie nennt. Das ist ja auch interessant, weil Raumenergie ist ja ein Begriff, der in bestimmten Kreisen ja auch seit Jahrzehnten gehandelt wird sozusagen. Was ist die Raumenergie? Auch Lageenergie bei Oswald Spengler, auch die Lageenergie und bei Spengler auch. Übrigens interessant, das ist da interessant, dass der Raum für ihn, der unendliche Raum, letztlich auch ein Willensraum ist. Ganz tolle Sachen da bei Oswald Spengler: Der Raum sozusagen als Willensraum, und da bringt er dann eigenartigerweise zusammen auch die Unendlich­keitsvorstellung Giordano Brunos und die Musik Beethovens. Da gibt es tolle Stellen bei Spengler, nicht, das ist wirklich hochinteressant. Diese Zusammenführung. Und ja auch, wenn man zum Beispiel Texte liest von Beethoven – der hat ja auch viel aufgeschrieben, auch in Briefen und so weiter, kommt es auch immer zum Ausdruck, dass er sozusagen so eine pantheistische Gottgläubigkeit entfaltet, nicht, auch letztlich eine All-Lebendigkeit [entwickelt und denkt]. Das ist bei Beethoven auf jeden Fall ganz stark.

GWK: Auch aufgrund seines intensiven Studiums der Upanishaden …

JK: Ja, der hat sich intensiv damit beschäftigt und hat intensiv die Bhagavad Gita studiert und andere Sachen. Also er kannte das und hat sich damit beschäftigt, und es hat ihn tief bewegt auch. Und er hat wirklich das Gefühl entwickelt über diese Qualitäten der Welt, und das finde ich sehr interessant, also diese Texte von Beethoven kann man eigentlich nur empfehlen, sind sehr interessante Texte, die er da verfasst hat oder exzerpiert auch. Er hat ja auch Exzerpte gemacht, man weiß es oft gar nicht genau. Was hat er da abgeschrieben? Man weiß es nicht ganz genau, man vermutet, es könnte aus der Bhagavad Gita sein, man weiß es nicht 100%ig. Aber jedenfalls hat er diese Texte auf jeden Fall so aufgeschrieben.

Und da ist eben auch dieser Zusammenhang, der ist vollkommen gegeben über die Musik, über seine Musik dann auch das Gefühl: In der Musik wird sozusagen der Weltgeist, um jetzt ein entsprechendes anderes Wort zu benutzen, der Weltgeist bewegt. Der Weltgeist ist wieder ein anderes Wort. Könnte [auch heißen] der Weltwille, Weltseele, Weltgeist.

Und Raumenergie – da ist der Raum drin, und da ist die Energie drin. Was ist denn die Energie? Das ist ja auch ein elendig abgeflachtes Wort heute. Alle Welt redet von Energie, das ist ja wirklich vollkommen inflationär. Kein Mensch weiß, was Energie ist, aber es wird ständig von Energie geredet. Raumenergie ist schon besser, man hat da einen kleinen Schritt … ist man weitergegangen. Raumenergie als Lageenergie. Die pure Lage von Körpern zueinander im sogenannten leeren Raum hat schon Energieform. Das ist sehr interessant.

GWK: Die Frage ist halt, was Energie letztendlich [ist], oder wie sich Energie äußert, und man kann sagen, das Thema, wie es sich äußert, wären Schwingungen zum Beispiel, dass Dinge, dass Dinge schwingen. Das heißt also zu sagen, um ein Zentrum herum schwingen und aus der geradlinigen, wie er sich das vorstellte, wie Krause sich das vorstellte, aus der geradlinigen Bewegung zweier verstrahlender … zwei Gestirne verstrahlen gegeneinander, die geradlinigen Feldlinien treffen sich und reflektieren zurück in verschiedenen Formen, die nach Winkel und nach Einstrahlungsintensität [sich] in verschiedenen Formen der Wellenbewegung bis hin zu einer Solitonwelle [manifestieren], also bis zu einer in sich selbst geschlossenen Welle, die dann Materie wieder wäre …

JK: Auch Licht dann, ja.

GWK: Auch Licht dann, also sozusagen, dass sich das wieder zurückbewegt. Das heißt also, [dass] dadurch Schwingungen entstehen, quasi Willen, da der Wille ja, wenn er alles also durchwirkt, ja kein einheitlicher Wille ist, sondern verschiedene Willen, sozusagen Willens­zentren ja gebildet sind, die gegeneinander wirken. Und dadurch entsteht etwas, die konkreten Einzelheiten, das ist ja vielfältig.

JK: Ganz genau, und da ist in gewisser Weise auch das Licht einbezogen, weil es auch eine Lichtmetaphysik ist. Das habe ich noch ein bisschen über … , sozusagen in meinem Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“, was da auf dem Tisch liegt, das kannst Du noch mal ins Publikum zeigen, dem Publikum zeigen, auch noch ein bisschen, noch weiter getrieben immer im Sinne von dem absoluten Licht also. Und gut, aber das ist noch ein anderer Punkt wieder.

Aber auch die Willensmetaphysik berührt sich mit der Lichtmetaphysik, denn Licht ist ja auch ein Mysterium, nicht, ein totales Mysterium. Also das macht man sich gar nicht klar, das machen sich die meisten Menschen überhaupt nicht klar. Sie nehmen das so wie selbstverständlich, morgens wird es eben hell, das ist schön und praktisch, da kann man was machen. Also diese ganz plumpe auch Abflachung, die der Mensch dann so hat. Es wird eben morgens hell, und ist doch ganz praktisch, dann sieht man was. Und alles wird so ganz platt ausgelegt. Aber es ist ein umwerfendes Mysterium, also ich sage das ja öfter in Videos, auch sonst: Für mich ist das Licht nach wie vor ein ungeheueres Etwas, eine Erscheinung, ein unglaubliches Phänomen. Wenn ich mal am Morgen die Sonne sehe, dann bin immer wieder neu angerührt und frage mich: Was ist das eigentlich, und wie stehe ich dazu? Das ist also immer wieder eine Verlebendigung, und natürlich wird die sehr schnell einge­schnürt, wenn ich, wenn ich drangsaliert werde von 1000 Dingen, die mir den Alltag zuhämmern oder die mich zwingen dies und jenes … , muss meinem Beruf nachgehen oder mein Geld verdienen und so weiter und so weiter.

Aber trotzdem ist es eine … , das will ich nur sagen, das spielt auch mit hinein, man ist da in einer Grundbetrachtung, die letztendlich auch den Einzelnen raushebt aus der Qual des Alltäglichen, auch aus der Farce des Alltäglichen. Ich glaube, bei Schopenhauer spielt das doch so eine große Rolle. Der Mensch in seiner Qual und Not – letztlich sind das alles nur erbärmliche Schauspieler. Aber wie kommt man da raus? Nicht unbedingt, wie Schopenhauer meint, man muss den Willen verneinen. Naja, das ist die Frage: Wieso den Willen verneinen? Also da muss man dann vielleicht auch noch einen Blick wieder noch mal auf die indische Philosophie werfen, da wo es ja auch in den Upanishaden heißt: der ewige Wille, die Ursache des daseinslosen Daseins, der ewige Wille. Und das ist ja in dem Sanskrit häufig, ist das Maya bei den Indern. Aber Maya hat, das darf ich mal kurz erwähnen, weil viele werden es nicht wissen, hat eine doppelte Bedeutung. Im Hinduismus ist es eher das schöpferische Prinzip, Maya als schöpferisches Grundprinzip. Im Buddhismus ist es eher das Täuschungsprinzip, das Prinzip der Täuschung: Du wirst reingelegt. Du denkst, Du kannst munter weiterleben, dabei lockt der Tod, der Tod. Du gehst in einen Garten hinein, hast aber übersehen, dass Du ganz anders rauskommst, nämlich tot, und insofern … das ist ja hier ganz anders, also hier … ich sage es nochmal: beim Hinduismus eher das schöpferische Prinzip, im Buddhismus eher das Täuschungsprinzip. Du wirst getäuscht. Du wirst gefoppt, die Dinge sind ganz anders, als Du annimmst.

Und das sagt ja auch Schopenhauer immer wieder, ob er damit nun Buddhist ist oder nicht, kann man mal auf sich beruhen lassen, aber er sagt ja auch: Du gehst in die Welt hinein, und Du bist jung und alles ist schick, und Du hast übersehen, dass es ganz anders weiterläuft. Das hast Du übersehen, das hast Du … in der Eile, in der Du jetzt zugestürmt bist auf die Erscheinungswelt, hast Du es vergessen, dass das auch so ist. Und das spielt auch eine große Rolle. Also die Maya ist beides. Und ich würde auch sagen, es ist beides: Es ist ein schöpferisches Prinzip, und gleichzeitig ist es auch ein Täuschungsprinzip …

GWK: Aber worüber täuscht die Maya?

JK: Es täuscht Dich über … Du wirst in der Einzelheit gehalten, Du bist aber im Universellen auch verankert. Die Einzelheit täuscht Dir vor, Du seist nur der Einzelne, Du fühlst Dich als Dich [Du] selber. Du bist doch der Einzelne. So. Aber Du bist eben nicht nur der Einzelne, sondern Du bist auch mehr als der Einzelne. Du bist eingehängt, Du bist eingebaut geradezu, und es gibt eben in diesem Sinne auch Reinkarnation, es gibt Wieder­verkörperung, und Du kommst wieder als ein Anderer und doch als der Gleiche. Und auch wieder nicht. Da bist Du auch wieder in einem neuen Mysterium, und das spielt auch eine Rolle. Und das spielt natürlich auch eine Rolle bei der ganzen, sagen wir mal, der Willensmetaphysik, die Frage … der Wille ist ja doch auch ganz entscheidend wichtig.

GWK: Also die Frage ist jetzt: Was folgt für unser Sein in der Welt, diesen Blick zu richten, aus einem willensmetaphysischen Impuls heraus in die Welt hinauszublicken? Was folgt für uns daraus?

JK: Das, ja, das kann man natürlich erst mal als Postulat hinstellen, oder man kann sagen, „Es sollte“. Das ist aber Blödsinn. Also Postulate sind eigentlich Blödsinn im Grunde genommen. Also jemandem ein Postulat vorzuhalten, bringt gar nichts. Genauso ihn in ein „Du sollst“ [zu bringen]. Ja, das kann manchmal sinnvoll sein, ist ja nicht zu leugnen, das ist auch manchmal sinnvoll, das Du-sollst. Aber letztendlich ist es ein Postulat, [das] Du-musst.

Was es bringt, ist: Indem Du Deine Weltwahrnehmung verlebendigst, indem Du Deine Weltwahrnehmung grundsätzlich verlebendigst. Du bist auch ein physisch-sinnliches Wesen, natürlich, mit allem, was dazu gehört. Aber Du gehst nicht darin auf, und das, worin Du nicht aufgehst, der Rest, der Rest, der letztlich da ist … den musst Du begreifen. Und den kannst Du auch begreifen, und das hat etwas mit Weisheit zu tun, auf jeden Fall.

Und da spielt die indische Philosophie eine Rolle, und da spielt eben auch ein wunderbarer Denker wie Meister Eckhart eine Rolle, auch wenn manche sagen: Mystiker im 14. Jahrhundert – das muss ich ja gar nicht lesen, ist ja alles von vorgestern. Aber der ist auch von vorgestern, aber er ist gleichzeitig, um mit Nietzsche zu reden, von übermorgen, nicht. Sagt ja Nietzsche: Die Deutschen, sagt er ja, sind von vorgestern und von übermorgen, und das ist ihre Tragik, weil, wenn Sie glauben, jetzt ist [es] das, heute, gibt’s nur Unheil. Das haben wir ja erlebt. Wenn die Deutschen denken: Jetzt ist es hier, jetzt muss es sein, dann geht es nur desaströs weiter. Ja, also das kann man da erst mal lernen.

Man kann sich beschäftigen, man kann ein Gefühl dafür entwickeln auf vielfältige Weise, für die Lebendigkeit der Dinge und für die Innenperspektive. Ob man das jetzt Willen nennen möchte – das kann man Willen nennen, ja, das kann man machen. Ich finde es ein schönes Wort, Willen. Ich bin gerne auch, sag ich mal ein bisschen flapsig hier, heiter, ich bin gerne Willensmetaphysiker.

GWK: Die Frage ist. Wer will? Wer will? Das Eisen zum Beispiel: Will es sich selbst?

JK: In gewisser Weise ist es immer auch ein Sich-selber-wollen. Das sagt ja auch Schelling,. Ich habe mir mal die Mühe gemacht bei Naturwissenschaftlern, auch ein bisschen rumzu-schnüffeln, kann man sagen. Wenn das Wort Weltwille auftaucht, das taucht nämlich manchmal auf bei Physikern: Was meinen die damit? Da ist oft gemeint der Wille zur Welt, weil sie wissen es nicht anders zu sagen. Also der Wille zur Welt und nicht der Wille der Welt. Die Welt als unendliche Bejahung ihrer selbst, sagt Schelling.

GWK: Aber die Frage ist: Ist der Willensakt eine einmalige Tat, oder ist der kontinuierlich? Das kann man ja sagen wie in der altindischen Vorstellung des Nada Brahm, dass ein kontinuierliche Gesang einstrahlt und die Welt aus diesem Gesang geboren wird. Und dieser Gesang ist eben immer da und dieses.., ja, in Form eines gestalteten Gesangs.

JK: Ja, in gewisser Weise ist der Gesang immer da. Es wird immer … es gibt immer Musik, ja, ohne Musik geht es gar nicht. Ja, es ist letztlich immer da. Obwohl das ist nicht ein Sinfonie­orchester, was nun in der Galaxis unauffällig spielt. So ist es nun auch wieder nicht. Aber es gibt eine Matrix sozusagen dieser Musik, eine Matrix, die auch mit dem Ordnungsprinzip des Kosmos zu tun hat. Und in diese Matrix mündet auch dann, was wir die große Musik nennen, und das kann man von Beethoven wieder lernen, der darüber auch geschrieben hat. Das finde ich auch sehr interessant und sehr wichtig. Die Musik spielt eine ganze entscheidende Rolle. Ohne Musik geht es gar nicht, weil die Musik ist auch ein Ordnungs­system. Wer die Musik verneint, der verneint die Ordnung, das Ordnungssystem. Ohne Musik kann es gar nicht gehen, das ist unmöglich. Also das ist auf jeden Fall ein ganz entscheidender Faktor.

Also die Innenperspektive kann man ja auch nicht Lehrbuch-ähnlich lernen. Das kann man nicht. Das kann man im Laufe eines langen Lebens, kann man das erschließen, und es kann aber auch wieder entgleiten. Ist ja nicht so, dass man es immer präsent hat. Es kann einem auch entgleiten, und das ist dann erst mal schlecht für den Einzelnen. Aber es kann doch passieren. Aber der Wille als solcher ist ja immer auch die Bejahung. Das heißt, in dem Moment, in dem Du Dich selber als Lebewesen bejahst und auch ergreifst, mittels Selbstergreifung, dann bist Du im Willensprinzip – Du willst das ja. Du willst Dich selbst als Du selbst und ergreifst Dich sozusagen als Du selbst.

Und das ist auch die Selbstermächtigung. Viele sagen das ja. Psychologen benutzen das Wort auch. Finde ich gar nicht so schlecht, eine Selbstermächtigung. Du kannst Dich selber ermächtigen. Du musst da nicht auf jemand anders warten, sondern Du machst es selber, am besten. Deswegen musst Du Dich ja nicht megalomanisch aufblähen und Dich für super wichtig halten, sondern einfach das ergreifen. Und das spielt wirklich eine Rolle.

Und immer, auch im ganzen Willenszusammenhang zu begreifen, ich sag’s nochmal: Indem Du Dich bejahst, bejahst Du auch das Ganze in gewisser Weise. Das ist wirklich so.

Wir haben ja mal, Du erinnerst dich vielleicht, in dem Nietzsche-Video haben wir [das] ja doch mal vor Jahren gesagt, im Sinne auch von Nietzsche. Nietzsche sagt doch einmal: Wenn du leidest, oder wenn Du, sagen wir mal, Aufschwünge hast, tiefe Einsichten in die Welt, und da sind viele Stationen des Leides davor gelagert – die gehören dazu. Du kannst nicht sagen: Das lasse ich mal weg, und das streiche ich einfach mal. Nein, diese Stationen des Leides und des Leidens gehören dazu. Nur das Ganze macht’s aus. Auch bei Nietzsche, auch in anderen Texten von Nietzsche. Dass Du praktisch in dem Moment, in dem Du das mitakzeptierst, und das meint er ja dann auch übersteigert mit der ewigen Wiederkunft – die Bejahung ist dann absolut, nicht, also die Bejahung ist dann absolut und nicht nur relativ, weil ich so … das passt mir nicht, das passt mir nicht, das lasse ich weg. Nein. Das Ganze!

Das ist also auch ein wesentlicher Punkt in dem Zusammenhang. Das hat auch mit dem Willensprinzip zu tun. Und den Willen kann man ohnehin, das muss ich noch mal sagen, nicht ausloten. Da kommst Du nie ans Ende. Du kannst so tief gehen, wie Du magst – es wird immer noch … , geht immer noch tiefer oder immer noch höher. Wie man, wie man es will. Du bist eingehängt zwischen Immer-tiefer und Immer-höher, und dazwischen bist Du und dieses Zwischen ist manchmal ganz schwierig, weil, wo bist du denn wirklich? Also dieses Zwischen ist zwischen Immer-tiefer, Immer-höher. Und da ist der Wille, spielt der Wille eine entscheidende Rolle. Auf jeden Fall.

Und da kann man viel lernen also auch von Meister Eckhart, auf den ich jetzt nicht zu sehr rekurieren möchte. Ist auch schwierig, das zu lesen. Warum muss ich das lesen? Aber es ist interessant, weil Eckart immer wieder Dich ermahnt, auch wenn er sagt: Wenn ich das will und im absoluten tiefsten Sinne will, dann geschieht es auch. Man kann natürlich sagen, viele Kritiker haben das auch: Das ist doch megalomanisch, das ist doch größen­wahnsinnig, was redet der denn da. Ist natürlich auch ketzerisch dann, so was, aber es ist natürlich auch interessant. Also die Bejahung des Willens gleichzeitig als ein Garant des spirituellen Werdens und so weiter und so weiter. Also das spielt eine große Rolle.

GWK: Gut, dann würde ich zum Abschluss vielleicht noch die Frage stellen: Wie sieht eine Kultivierung des Willens aus?

JK: Na ja, was ist … ja okay, also okay, dann können wir fragen: Was ist überhaupt Kultivierung?

Es gibt die Barbarei, die kennen wir, ja, es gibt die Barbarei, die kennen wir wirklich. Es gibt die Kultivierung. Ist die Kultivierung im Sinne … ist sie ein Dekor, eine Zurüstung, ein bestimmtes Dekor? Wie viel Wert hätte das dann, oder muss es noch tiefer gehen? Was ist die Kultivierung? Das ist die Frage. Ist die Kultivierung nur eines schönes Arrangement, was hübsch aussieht, oder ist es tiefer? Ich würde sagen, es ist tiefer, und die tiefe Kultur kann auch über die sogenannte äußere weit hinausgehen, nicht.

Also das … also die Kultivierung des Willens, was heißt das? Was hieße das? Das kann nur über die Ich-Bejahung gehen, nicht. Also wenn Du Dich selber verneinst, kannst Du im Grunde genommen nicht wirklich schöpferisch tätig sein. Es kann Phasen geben, in denen Du Dich selber verneinst und vielleicht auch verfluchst: Das haben ja die alten Juden, die Propheten, ja auch erschütternd gezeigt, dass auch die Verzweiflung, nicht, eine große Rolle spielt. Sie sind verzweifelt, weil sie nicht weiterkommen und halten sich für unwürdig und trotzdem haben sie das Ganze weiter gebracht, nicht, das ist dann eine ganz andere Perspektive. Da kann eben auch die Verzweiflung eine Rolle spielen, die ist ja nicht verboten. Du darfst nicht verzweifelt sein? Warum nicht? Es gibt eben Momente der Verzweiflung, die darf es geben, und die sind auch richtig, auf jeden Fall.

Also das finde ich in dem Zusammenhang ganz wichtig. Und was dies Buch betrifft, so kann ich Sie wirklich dazu auffordern, das einfach mal zu lesen, weil es ist einfach ein kleines Büchlein, etwas mehr als 100 Seiten, das hat man mal schnell gelesen oder einfach mal angeguckt und richtig gelesen. Und dann sind da viele interessante Dinge, die man erfahren kann, und dann kann man weiterdenken, finde ich, also. Es ist schön, dass es das gibt, dass man dieses Buch tatsächlich heute im Internet einfach aufschlagen kann. Das ist wieder der Vorteil der digitalen Welt, wo ich ja oft Kritiker bin. Aber in diesem Fall würde ich sagen, ist es doch schön, dass man das kann. Das kann man nämlich. Das empfehle ich, jochenkirchhoff.de, und dann kann man weiter forschen. Das ist ganz einfach, das kann man sich leicht merken, und dann guckt man mal ein bisschen rum, und da hat man es, ach da ist es ja. Ach ja, da kann ich das doch mal lesen, wenn der das gesagt hat. Vielleicht stimmt das auch wirklich. Also das ist schon sehr interessant.

GWK: Das nehmen wir als schönes Schlusswort und verlinken auch den direkten Link zu „Der Baustoff der Welt“ in der Videobeschreibung.

JK: Ja, kann man doch unbedingt machen.

Also wir sind in einem … in diesem Thema, das muss man einfach dem Zuschauer noch mal klar machen, in einem sehr schwierigen und auch abgründigen Thema, nicht. Das ist nicht einfach, man muss immer wieder, sozusagen, bestimmte Grundfragen stellen, und man ist auch immer wieder neu am Abgrund, das ist ja nicht einfach. Leben ist überhaupt nicht einfach, ist ja kein Spaziergang. Ich meine, das kann auch mal ein Spaziergang sein, ist doch wunderbar, so ein Spaziergang – aber es ist nicht nur ein Spaziergang. [Es] ist mehr als ein Spaziergang, insofern kann man da viel lernen.

Und da ist der Wille … ist einfach ein wunderbares Wort, das ist unausschöpfbar. Also ich habe noch keinen getroffen, der den Willen erschöpft hätte, auch alleine definitorisch, wüsste ich nicht. Der Wille ist unerschöpfbar, weil hinter dem Willen steckt ein anderer Wille, ja, und anders als bei Kafka der Türhüter, wo immer noch ein größerer dahinter steht. Wenn Du die erste durchschritten hast, die erste Tür, da ist einer, der nächste, der ist ganz furchtbar, der ist riesig, da kommst Du nicht durch. Wenn Du da durch kommst, ist einer, der ist noch größer, da kannst Du gar nichts mehr machen. Also jetzt mal andersrum gesprochen, ich will da nicht bei Kafka stehen bleiben, das ist wirklich nicht meine Absicht, das ist ja eher ein Albtraum, gut.

GWK: Mit diesen Anklängen wollen wir Sie heute für den Tag verlassen. Vielen Dank, liebe Zuschauer, vielen Dank Jochen Kirchhoff.

* * * * * * *