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Philosophie des Tantrismus II

– Tantrismus im modernen Denken

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil III
Die Herausforderung einer neuen Theorie des Lebendigen

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1998
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 2

Transkript als PDF:

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Ich will eine kurze Ergänzung, eine moderate Korrektur, wenn man so will, anbringen, zu einem Begriff, den ich letztes Mal verwendet habe, da muss man noch einiges zu sagen. Ich hatte ihnen versucht zu erläutern, was der Begriff der „Maya“, oder „Maja“ im Tantrismus bedeutet. Und es mag der Eindruck entstanden sein, dass Maya hier primär, fast ausschließlich so viel wie Schein, Phantasmagorie bedeutet, also das, was nicht wirklich ist. Das ist bis zu einem gewissen Grade auch richtig, zeigt aber in der indischen Philosophie, in der Geschichte des indischen Geistes, eine gewisse Veränderung, denn ursprünglich meint „Maya“ die schöpferische Kraft, die das Universum hervorbringt, also in keiner Weise als etwas Scheinhaftes, Phantasmagorisches, sondern als etwas Wirkliches, eine wirkliche schöpferische Urkraft, die das Universum als ein wirkliches Universum hervorbringt. Und dann durchläuft dieser Begriff im Laufe der Jahrhunderte eine Bedeutungsverschiebung. Er verschiebt sich immer mehr in Richtung auf „Schein“, und als ein solcher taucht er dann auch in großen Teilen des Buddhismus auf. „Maya“ ist die Welt als Schein, die Welt als Traum, die Welt als Phantasmagorie, aus der es zu erwachen gelte. Also die eigentliche Wirklichkeit ist jenseits der Welt oder hinter der Welt, und Maya ist nur Erscheinung.

Mit Kant und dem deutschen Idealismus jetzt gesagt: die Welt der Erscheinungen. Sie kennen ja die berühmte Gegenüberstellung bei Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“, da gibt es die Welt der Erscheinungen, das ist die empirische Realität, also die Realität unserer Sinne, unseres Intellektes und unserer Denk- und Anschauungsformen, also nach Kant auch Zeit, Raum, Kausalität, Substanz und so weiter, und dahinter oder dadrin, in Anführungszeichen, gibt es eine eigentliche, eine wahre, eine wirkliche Welt: Die nennt Kant „das Ding an sich“, mit einem ja widersprüchlichen, schwierigen, viel diskutierten Begriff, und die [wirkliche Welt], meint er, können wir mittels der Vernunft, mittels des Denkens grundsätzlich nicht erreichen und erkennen ‒ das ist wichtig.

Also diese Wirklichkeit, die eigentliche Wirklichkeit, meint Kant, sei auf ewig dem menschlichen Denken verschlossen. Er sagt das mit einer gewissen Einschränkung, und das kann man dann so interpretieren, wie das auch einige Denker dann später getan haben, so zum Beispiel Schopenhauer, dass Kant nicht hat sagen wollen, dass die Wirklichkeit prinzipiell und grundsätzlich nicht erkennbar sei ‒ so hat man ja Kant oft interpretiert ‒ dass wir also aus dem Spiegelkabinett unserer eigenen Projektionen niemals rauskommen können, sondern dass er nur gesagt habe: mittels des Denkens ‒ so dass ein Schlupfloch, wenn man so will, ein Weg bleibt oder konjunktivisch gesagt bliebe, für eine andere Zugangsweise. Schopenhauer und andere haben das ja von dort her versucht.

Und so kann man ja Kant auch in gewisser Weise spirituell interpretieren. Schopenhauer hat ja sogar ausdrücklich gesagt, das Kantische „Ding an sich“, die Kantische Erscheinung, ist im Grunde das, was auch in der indischen Philosophie als Maya und als Brahm, Brahman in Erscheinung tritt. Also das nur zuvor. Es gibt beides, noch einmal formelhaft gesagt, Maya als schöpferische Kraft und Maya als die Kraft der Illusion, also dessen, was nicht wirklich ist. Und die Wirklichkeitsfrage spielt ja im Tantrismus eine zentrale Rolle, auch im buddhistischen Tantrismus.

Es ist nicht so, wie man häufig hören und lesen kann, dass der Buddhismus generell davon ausgeht, dass die Welt schlechthin Schein sei, schlechthin unwirklich, schlechthin ein kollektiver Traum. Sie ist halbreal, sie ist und sie ist nicht, und das ist für den Kontext hier auch des Tantrismus wichtig. Die Welt, wie wir sie mit unseren Sinnesorganen erfahren, die Welt, die wir denken können, die Welt, die wir begreifen können, ist halbreal. Übrigens ein Begriff, der auch in der idealistischen Philosophie, etwa bei Schelling, auftaucht. Sie ist nicht vollständig Illusion, sie ist aber auch nicht vollständig Wirklichkeit. Sie changiert, sie fluktuiert zwischen Schein und Wirklichkeit. Das ist auch wichtig für diesen gesamten Zusammenhang, um den es in der Frage des Tantrismus geht. Auch im Tantrismus wird davon ausgegangen, dass die physisch sinnliche Welt halbreal ist. Sie wird bejaht, und gleichzeitig wird sie in der Bejahung und durch die Bejahung transzendiert. Das ist der wesentliche Unterschied zu dem eher asketisch-weltflüchtigen Weg. Ich habe Ihnen das ja versucht zu erläutern, indem ja die Grundprämisse im Mittelpunkt steht: Die Welt muss verlassen werden, damit der Mensch seine Erlösung finden kann. Damit der Mensch zu seinem eigentlichen, wahren, wirklichen Zustand kommen kann, müsse der Mensch die sinnlich physische Welt verlassen. Also Erlösung als eine Befreiung, als eine Herauslösung aus der physisch sinnlichen Welt. Das wird im Tantrismus in der Form nicht bejaht. Im Tantrismus wird ausdrücklich gesagt, die Welt, wie sie sich unseren Sinnesorganen darstellt, ist als solche zu bejahen. Ich habe Ihnen ja das versucht, plausibel zu machen.

Der Grundansatz von Tantra ist eine Bejahung, aber eine Bejahung, die nicht bei dem Ja stehenbleibt, als ob es damit sein Bewenden hätte, sondern die das Ja auch wieder überschreitet, zugunsten eines gleichsam zweiten, höheren Ja. Also ich bejahe die physisch- sinnliche Welt, einschließlich meiner Leiblichkeit, einschließlich meiner Sinnlichkeit, einschließlich meiner Sexualität, und das ist ja wichtig, gerade im Tantrismus. Aber ich bleibe dabei nicht stehen, sondern ich gehe einen Schritt weiter. Ich benutze das Physisch-Sinnliche, die eigene Leiblichkeit als ein Vehikel, um auf eine andere Stufe zu kommen. Das ist ein wichtiger Punkt, also Bejahung nicht um ihrer selbst willen. Und auch das habe ich ja, wenn ich es richtig im Kopf habe, ihnen versucht auch darzustellen, dass etwa Sexualität ja nicht als sie selber, jedenfalls in den meisten tantrischen Strömungen bejaht wird, sondern als ein Werkzeug, als ein Vehikel. Sie wird nicht verneint, aber sie wird auch nicht in einem, sagen wir mal, hedonistischen oder modern psychologischen Sinne bejaht. Das ist wichtig, wenn man sich überlegt, was aus dem Tantrismus etwa in der westlichen Psychologie geworden ist: mehr oder weniger eine Sexuallehre, fast ausschließlich eine Sexuallehre, in der es darum geht, den Geschlechtsverkehr möglichst lange und lustvoll durchzuführen. Das ist nicht das, was primär im Tantrismus damit verbunden war. Es ist eine Facette.

Nun ist verständlich, im Abendland ganz besonders, im Zuge der nun wahrlich neurotisierten Grundstruktur des Durchschnitts-Abendländers, dass er erst einmal versucht, natürlich hier, diese neurotische Abspaltung von der Natur, von der Sinnlichkeit, von seinem eigenen Körper, seinem Leib, zu überwinden. Vollkommen verständlich, sozusagen das Normalste von der Welt, dass dieser Aspekt erst einmal Tantra populär gemacht hat. Sekundär nur die Philosophie, die Kosmologie, die Vorstellung vom Weltall, vom Werden der Welt, von der Kosmogenesis, der Entstehung des Kosmos, ‒ das kommt sekundär, vielleicht sogar nur tertiär ins Spiel. Also das zuvor noch mal in Erinnerung gerufen.

Ich will nochmal einen zweiten Gesichtspunkt nennen, den ich ausgeführt habe. Im Tantrismus geht man davon aus, dass in jedem noch so winzigen Holon oder in jeder winzigen Einheit der Welt das Ganze nicht nur symbolisch, gleichsam repräsentativ vorhanden ist, sondern wirklich. Nicht, das kennt man ja zum Teil aus diesen Gedanken, etwa im Zusammenhang mit der Holographie, also, dass im Teil das Ganze tatsächlich vorhanden ist, also nicht nur symbolisch, metaphorisch, repräsentativ. Also, in jedem Teil ist das Ganze vorhanden. Das haben sie zum Teil ja in der abendländischen Philosophie, wenn man da jetzt mal die Brücke schlagen möchte, in der Monadenlehre. Bei Giordano Bruno taucht das auf im späten 16. Jahrhundert, wo die Monade als eine Ur-Einheit gilt, in der sich der Kosmos als Ganzes spiegelt und in dem in gewisser Weise der Kosmos auch präsent ist. Und bei Leibniz, obwohl es bei Leibniz eine etwas andere Bedeutung hat als bei Giordano Bruno. Aber die Monadenlehre, auch bei Goethe und anderen, spiegelt ein bisschen was von diesem Grundgedanken: die Monas. Monas ist ja die Einheit, die Einheit, aus der die Vielheit erwächst.

Insofern ist die tantrische Philosophie eine Lehre des Entstehens der Vielheit aus der Einheit und über die Erfahrung des eigenen Leibes, nicht theoretisch intellektuell, ‒ das ist zentral wichtig. Ich möchte das noch einmal hier betonen: Tantra ist keine Philosophie, kein in dem engeren abendländischen Sinne, kein Konstrukt über die Welt, sondern Tantra ist primär eine Sache der Empirie, der Erfahrung. Tantra ist ein System der Empirie, ein hochkomplexes, hochsubtiles System, mittels dessen man in die Lage gesetzt werden soll, die feinstofflichen Energien im Körper zu kanalisieren über bestimmte Bildvisualisierungen und andere Praktiken, um auf diese Weise die Einheit erfahrbar zu machen. Das ist wichtig, weil man sehr schnell geneigt ist, und auch manche der Autoren, die über Tantra schreiben, sind sehr schnell geneigt, nun Parallelen zu ziehen zwischen dieser tantrischen Grunderfahrung und westlichen, modernen, zum Teil auch physikalisch-kosmologischen Modellen. Das ist ein Riesenunterschied.

Wenn in einigen tantrischen Überlieferungen gesagt wird, dass der Raum mehre Dimensionen hätte, dann hat das überhaupt nichts zu tun mit einer mathematischen Konstruktion, mit einem Konstrukt, mit ganz bestimmten Messverfahren, mit ganz bestimmten Zuordnungen zu hoch abstrakten Gleichungen. Das wäre ein Missverständnis. Es geht in erster Linie um eine existenzielle Erfahrung. Das ist wichtig, weil auch Mookerjee, den ich ja angeführt habe, in seinem Buch ‒ das habe ich hier auch schon sozusagen wohlwollend kritisch angemerkt ‒ keine Gelegenheit auslässt, in dem Buch „Die Welt des Tantra in Bild und Deutung“, nun die moderne Kosmologie, die moderne Physik heranzuziehen in dem Sinne: Was damals vermutet worden ist, das wüssten wir oder wissen wir heute. Also davon kann so keine Rede sein. Es geht um eine existenzielle Geschichte, um eine existentielle Erfahrung.

Auf der anderen Seite geht es primär erst einmal um rationale, um hoch intellektuelle Konstrukte. Das wäre wichtig, oder das ist wichtig, wenn man diesen Unterschied erst einmal im Auge behält. Nun, ein wichtiger Aspekt im Tantrismus ist die Kosmogonie oder Kosmogenese, wie man auch sagen kann, und ich will mal ausgehend von einem zentralen Abschnitt aus diesem Buch von Mookerjee „Die Welt des Tantra in Bild und Deutung“ ihnen versuchen, ein bisschen was zu erläutern von dieser Kosmogenese. Ich habe das übrigens recherchiert, das Buch ist nicht mehr erhältlich im Buchhandel, entgegen dem, was einige gesagt haben, leider nicht. Es gibt im Moment nichts Vergleichbares, und es ist schade, bedauerlich, aber man muss gucken, dass man es vielleicht irgendwie antiquarisch bekommt, also es ist [sonst] nicht mehr zu erhalten.

Mookerjee schreibt in einem großen Abschnitt über Kosmogenese auf eine sehr differenzierte Weise, wie nach tantrischer Grundüberzeugung der Kosmos, das Universum, die Welt entstanden ist. Und er fängt an mit dem Schlüssel- und Zentralbegriff, der generell wichtig ist, mit dem Begriff „Akasha“. Nun ist Akasha ja in der abendländischen, sage ich mal, Esoterik behaftet mit bestimmten Bedeutungen, etwa, wenn sie an die sogenannte Akasha-Chronik denken, etwa in der Theosophie oder in der Anthroposophie Rudolf Steiners und anderen, oder überhaupt in der Esoterik spielt die Akasha-Chronik eine große Rolle. Akasha im ursprünglichen Sinne meint zunächst einmal so viel wie Strahlung, wobei diese Strahlung, und das ist schon mal hochinteressant, ontologisch gleichgesetzt wird mit dem Raum. In der buddhistischen Philosophie und in den tantrischen existentiellen Überlegungen und Praktiken über die Erfahrung von Welt spielt der Impuls eine große Rolle, dass alle Dinge aus dem Raum erwachsen und wieder in den Raum zurückfließen. Manche Autoren benutzen in dem Kontext dann den Begriff „Äther“.

Also, der Äther als eine feinststoffliche Substanz im Raum oder als Raum wird dann mit Akasha gleichgesetzt, und alle sinnlich-physischen Manifestationen in abgestufter Dichte bringen dann die physisch-sinnliche Welt hervor, also Akasha, das Feinststoffliche, in gewisser Weise der Raum selber und dann in zunehmender Verdichtung in einem sehr komplizierten oder besser gesagt komplexen System, landet man dann irgendwo bei der Materie, bei der sinnlich-physischen Materie, die auch empirisch dann messbar ist. Also, Akasha als das Grundelement, obwohl all diese Begriffe es im Grunde genommen nicht treffen. Dann heißt es hier, dass sich aus diesem Urgrund, aus diesem Akasha, aus dieser Ur-Strahlung, wenn man so will, sich drei Grundelemente der Wirklichkeit herausbilden. Die werden gleichsam, wenn man so will, herausgewirbelt aus dem Raum, aus dem Vakuum, von mir aus, herausgewirbelt und konstellieren sich nun in der Welt und als Welt immer wieder und letztlich unendlich differenziert neu. Das sind die sogenannten Gunas. Das sind drei Grundelemente der Wirklichkeit. Man findet diese Dreiheit in ganz vielen Philosophien und auch esoterischen Überlieferungen in aller Welt. Das berühmteste Beispiel ist das Christentum, die christliche Trinität. Aber man findet triadische Grundvorstellungen genauso in der asiatischen Philosophie und Spiritualität, etwa im tibetisch-tantrischen Buddhismus, in der Lehre von den Trikaya, der Dreikörper-Lehre im tantrischen Buddhismus. Da kann ich nachher noch was zu sagen, das möchte ich jetzt nur en passant erwähnen: Dharmakaya, Sambhogakaya und Nirmanakaya, also eine dreifach abgestufte Grundordnung der Welt.

Also diese drei Gunas werden hier als Grundqualitäten oder manchmal auch als Grundsubstanz bezeichnet, als Grundformen. Das ist uneinheitlich. Es ist ohnehin schwierig, das hat ja schon das vielleicht verdeutlicht, was ich über Akasha gesagt habe, diese Begriffe so zu übersetzen, dass ein moderner Abendländer wirklich versteht, was gemeint ist. Denn alle Begriffe sind im Grunde genommen oder müssten, wenn wir sie denn verstehen sollen, ja in gewisser Weise definiert werden aus einem ganz anderen Kulturraum, aus einer ganz anderen Erlebnis- und Erfahrungswelt. Also mit ganz großen Abstrichen kann man sagen Qualität für Gunas. Es gibt also drei Gunas, drei Grundqualitäten oder drei Grundsubstanzen.

Und diese drei Qualitäten werden folgendermaßen bezeichnet: Das eine ist Sattva, ist ja bekannt, taucht im Wort Bodhisattva auf, dann Rajas und Tamas. Und hier kann man eine ganz interessante Parallele sehen, auch zu der Trikaya-Lehre als diese drei Elemente Sattva, Rajas und Tamas. Das muss natürlich entweder alles klein oder groß geschrieben werden. Oder man schreibt alle Begriffe dann europäisiert groß. Also Sattva, Rajas und Tamas ‒ dass diese Begriffe eine Abstufung bedeuten, sozusagen ein zunehmend Gröber- und Dichter- und Grobstofflicherwerden. Mit Tamas ist man dann in der Materie gelandet, in der greifbaren, fühlbaren, schmeckbaren, riechbaren Materie. Sattva, heißt es hier, sei die Essenz oder Substanz, Qualität, der Intelligenz, letztlich Bewusstsein. Also könnte man ganz vereinfacht sagen, mit allen Relativierungen, die ich ja schon angedeutet habe ‒ man muss das jetzt aber auch nicht zu weit treiben mit diesen Relativierungen, sonst kommt man da überhaupt nicht mehr auf den Begriff ‒ könnte man sagen: Bewusstsein. Also mit allen Einschränkungen, ein Prinzip von Geist, von Bewusstsein, auch von Manifestation von Bewusstsein. Also ein Grundelement der Welt, ‒ das Bewusstsein.

Nun ist es müßig, auch nur den Versuch zu machen, nicht nur in der abendländischen, nicht nur in der asiatischen Spiritualität und Philosophie, auch übrigens in der europäischen Philosophie, genau zu definieren, was Bewusstsein ist ‒ das ist unmöglich. Es gibt tausend Definitionen dessen, was Bewusstsein ist. Man kann sich dem annähern. Es ist kaum möglich.

Deswegen ist die Frage: Was meint denn hier genau dieser Begriff „Sattva“, gleich Bewusstsein? Was ist denn dieses Bewusstsein? Das ist schwer, fast unmöglich, auf einen zirkelfreien Begriff zu bringen. Schon deswegen nicht, weil, wenn ich das mal erkenntnistheoretisch allgemein sagen darf, ja Bewusstsein, weil wir selber Bewusstseinswesen sind, wir selber leben und wirken und denken ja im Fluidum von Bewusstsein. Wir können ja gar nicht das Bewusstsein rausnehmen, und wir können vielleicht überhaupt gar nicht in die ontologische Tiefe dessen hineinsteigen, was Bewusstsein ist. Also, Bewusstsein, ist ein Element.

Das zweite Element, was auftaucht im Tantrischen, ist ebenfalls schwer zu übersetzen. In einigen Büchern taucht es auf als Energie, ein etwas modischer Begriff. Heute soll ja alles Energie sein, und das hat ja den Begriff leider entwertet und längst abgelöst von dem, was die Physik als Energie bezeichnet hat. „Energie“ ist ja ein Universalbegriff geworden für jedwedes, was nicht im grobstofflichen Sinne materiell ist, für Vibration, für Schwingungen, für feinstoffliche Substanz, für Aura, für sonstwas alles. Also „Energie“ transportiert als Begriff nicht mehr viel, sage ich mal, obwohl es ein unverzichtbarer Begriff ist. Wir haben keinen Äquivalenzbegriff, den man dafür nehmen könnte. Manchmal, wird auch gesagt, es sei Bewegung oder Kraft. Natürlich auch Begriffe, die in der abendländischen Denkentwicklung eine gewisse Rolle gespielt haben. Ich muss das jetzt nicht im Einzelnen erläutern, ich werde das im Wintersemester noch mal Ihnen versuchen zu zeigen. „Kraft“ ist natürlich ein schwieriger, in der ganzen Denktradition, insbesondere durch Newton geprägter Begriff, auch Bewegung, Kraft als Ursache von Bewegung und so weiter. Und Tamas dann, im weiten Sinne einfach als Materie. Zum Teil wird das auch übersetzt in den Büchern als Masse oder auch als Trägheit. Da kann man sich dann bis zu einem gewissen Grade etwas vorstellen, dass also aus dem reinen Bewusstsein eine Verdichtung erfolgt als Energie, als Bewegung, als Kraft, manchmal einfach verstanden als Klang.

Es gibt in der indischen Philosophie eine hochkomplizierte, komplexe Klang-Philosophie, wobei der Klang dasjenige ist, was die Brücke darstellt zwischen dem Ur- und Grund-Bewusstsein und der Materie ‒ also Schwingung, Klang. Tamas, die Substanz der Materie als Masse oder Trägheit den gegensätzlichen Kräften Widerstand [entgegenzusetzen], also hier Masse, Trägheit, ein physikalischer Begriff hier, vis inertia ‒ Trägheitskraft bei Newton. Also, auf jeden Fall eine Stufenfolge zunehmender Verdichtung. Man könnte vielleicht auch, wenn man das liebt und wenn man das möchte, wenn man meint, dass man da mehr begreift, könnte man auch sagen, hier wäre vielleicht das Wort „Information“ anzusetzen, eventuell. Sattva wäre dann so etwas wie Information. Also diese Sattva-Schicht informiert diese energetische Schicht, diese Kraft-Schicht, also wäre eine Prägeform für die Energie. Wenn man das so möchte, dann könnte man auch mit Aristoteles sagen, eine andere Möglichkeit, das ist die Substanz, und das wäre dann die Form, nicht, das wäre die Entelechie, obwohl ja genau genommen das bei Aristoteles etwas anders gebaut ist. Auf jeden Fall ist es schwierig, nun Begriffe zu finden. Alle Begriffe sind vorbelastet, haben ihre eigene Tradition. Ich glaube aber, dass es im grundlegenden Verständnis [klar ist], was gemeint ist.

Also, die Welt, so wird im Tantrismus gesagt, erwächst aus einem sehr subtilen, sehr differenzierten Wechselspiel von drei Grundelementen, Sattva, Rajas und Tamas und manifestiert sich irgendwann als physisch-sinnliche Welt.

Und nun kommt der entscheidende Punkt. Die Aufgabe der tantrischen Bewusstseinspraxis und der Praxis im Umgang mit den feinstofflichen Energien ist, diesen Prozess umzukehren. Das heißt, in diese Richtung zu gehen dass letztlich der tantrische Prozess, also was sich in der in der Welt manifestiert hat, bis hin zur Materie, wird nun in die entgegengesetzte Richtung getrieben, wenn man so will. Es geht um einen Aufstieg, wenn man das so nennen will, könnte man so nennen. Alle diese Begriffe sind schwierig und auch ungenau. Man könnte ja sagen, es ist so eine Art Involution, Abstieg, in Anführungszeichen, und das wäre dann eine Art Evolution, Aufstieg, also der Abstieg in die grobstoffliche Materie wird im tantrischen feinstofflichen Bewusstseinsprozess, im Umgang mit den Energien des Leibes, in diese Richtung getrieben. Das heißt, der Tantriker benutzt die Konstellierung dieser Elemente, um letztlich wieder zum Ursprung vorzustoßen, der in der Materie immer vorhanden ist, das hab ich ja gesagt. Diese Schicht hier, diese grobstofflich-materielle Schicht ist immer in jedem Augenblick bestimmt von der Grund- und Ur-Einheit.

Sie kann, oder könnte, keinen Moment existieren ohne diesen Rückbezug auf die Grundeinheit. Also, in jedem Teil spiegelt sich das Ganze. Also der tantrische Prozess, ist ein Prozess des Aufstiegs in immer verfeinertere Bewusstseinszustände. Ich sage es nochmal: Es geht hier um ein existenzielles, um ein eminent praktisch empirisches Verfahren, nicht in erster Linie um eine intellektuelle Konstruktion. Natürlich kann man sagen: Es ist ja eine Konstruktion, denn man könnte ja auch andere Begriffe wählen. Es gibt doch andere Traditionen, da werden vollkommen andere Begriffe verwendet. Und warum muss es denn diese Dreiteilung sein?

Jetzt mal ein Wort zu dem Parallelphänomen des Tantrismus im Buddhismus. Ich muss vielleicht noch sagen, weil das geschichtlich interessant ist, ich glaube, ich habe es gesagt, wenn nicht, sage ich es noch mal: Der Buddhismus ist ja in seiner Grund- und Ursprungsrichtung eine Lehre gewesen der Weltabkehr, vollkommen ohne jede Einschränkung. Der Buddha verlässt die Welt, er verlässt die Gesellschaft, er verlässt seine Frau, sein Kind, die sozialen Bezüge, um in einem Alleingang, um als einsamer Asket für sich ganz alleine die Erleuchtung zu erlangen. Ohne Einschränkung, muss man ja sagen. Später haben dann die Tantriker versucht, das umzubauen, umzuinterpretieren, um diesen weltflüchtigen Charakter irgendwie abzumildern. Aber was wir von den alten buddhistischen Texten kennen, [da] kann man ziemlich sicher sagen, da ist nichts abzumildern. Der buddhistische Weg als ein „mittlerer Weg“, als der er ja immer hingestellt wird, meint zwar die Vermeidung der Extreme, das heißt Körperkasteiung, was Buddha selber ja auch jahrelang betrieben hat, bis zum wenig Essen, wenig Schlafen im Körper, also bis aufs Äußerste peinigen und quälen. Dieses Extrem soll vermieden werden, genauso das hedonistische Wohlleben, das einseitige Ausgerichtetsein auf sinnlichen Genuss. Und der sogenannte Mittlere Weg ist auch ein asketischer Weg. Das wird oft missverstanden, ‒ ist auch ein asketischer Weg, nur eben ein asketischer Weg, der das Extrem vermeidet der Sinnenabtötung. Aber Sexualität im mönchischen Weg, in der Frühzeit, wird nicht zugelassen, und es bedurfte eines langen, mühevollen Prozesses, ehe dann im tantrisch-tibetischen Buddhismus, vorher schon im Tantrismus, Elemente des Tantrischen, der Bejahung von Sexualität überhaupt Eingang gefunden haben im Buddhismus. Wann das der Fall war, wissen wir nicht. Die Quellenlage ist dunkel. Ich habe das, glaube ich, auch schon mal gesagt, es geht ins 5./6. Jahrhundert zurück.

Zunächst entstand das in Indien, da muss es eine Verbindung gegeben haben dieser tantrischen, auch Sexualpraktiken, allmählich mit hinduistischen und dann vor allem ja buddhistischen Zusammenhängen, so dass man heute im tantrisch-tibetischen Buddhismus die geschlechtliche Vereinigung mehr oder weniger als eine feinstofflich-symbolische betrachtet, und das direkte Ausleben der Sexualität eher die Ausnahme ist, jedenfalls was die mönchische Haupttradition anbelangt. Hier gibt es also drei Ebenen, ich nenne nochmal die drei Begriffe, weil ich sie vorhin genannt habe, will ich sie wenigstens anschreiben, dass das nicht einfach so jetzt unter den Tisch fällt.

Da gibt es die oberste Ebene, die wird genannt Dharma Kaya. Es steckt der Begriff „Dharma“ drin, Weg, Wahrheit, Gesetz, auch einfach Lehre, manchmal auch die Dharmas als Seinselemente. Also Dharma Kaya, die feinste Form, wenn man so will. Dann kommt Sambhoga Kaya. Das ist schwer zu übersetzen. Sambhoga Kaya ist eine Zwischenebene zwischen dem reinen Geist und der physischen Materie. Es ist eine Erscheinungsebene. Manchmal wird auch noch gesagt, das seien so Seeligkeitsformen, also feinstoffliche Formen des Materiellen. Also der meditierende Tantriker, der zum Beispiel ein ganzes Ensemble von Bodhisattvas imaginiert oder visualisiert, so wird gesagt in der Tradition, visualisiert diese im sogenannten Sambhoga Kaya. Und dann ist die körperliche Stufe [des] Nirmana Kaya. Das ist nicht Nirvana Kaya, sondern wirklich Nirmana Kaya. Damit ist die sinnliche Manifestation gemeint. Manchmal wird auch noch eine vierte Stufe dadrüber gesetzt, [über] diese drei Stufen. Nirmana Kaya, die sinnliche Leiblichkeit, mit / in der wir uns zunächst einmal alle begegnen, Sambhoga Kaya, könnte man dann sagen, ist eine mittlere Ebene, eine Art von Energie-Ebene und Dharma Kaya ist dann die reine Bewusstseinsebene auch als Bodhi Sattva. Das hat hier in ganz vielen Traditionen auch, dass die mittlere Ebene die Energie-Ebene ist, im Chinesischen das Chi, die Chi-Ebene ist die Energie-Ebene, die zwischen Körper und Geist vermittelt, also, und die feinstoffliche Arbeit, wenn man es so nennen will, mit dem Körper, Energien im Tantrismus beziehen sich primär auf die mittlere Ebene, auf diese energetische Ebene, obwohl, auch das habe ich ja immer wieder versucht zu erläutern, das Ganze eine Bewusstseins-Lehre ist.

Das muss man immer wieder betonen. Es geht um Bewusstsein. Es geht nicht darum, diese Ebene in gewisser Weise absolut zu setzen und sie ins Zentrum zu rücken, sondern diese Ebene hat nur einen Instrumentalcharakter. Es geht letztlich um Sattva, es geht letztlich um Bewusstsein. Insofern ist Tantrismus primär eine Bewusstseins-Lehre, eine ungeheuer subtile und auch schwierige komplexe Lehre im Umgang mit den Energien. Und das ist in der Form therapeutisch, westlich therapeutisch, nicht umsetzbar. Da soll man sich überhaupt keinen Illusionen hingeben. Also, was angeboten wird in der weiträumigen Therapie-Szene an Tantras hat mit diesen spezifischen, sehr subtilen Bewusstseins-Energien wenig zu tun. Das ist eine ganz andere Ebene. Das heißt nicht, dass die Arbeit mit dieser Energie-Ebene, also der mittleren Ebene, in irgendeiner Form nicht richtig wäre, oder dass sie nicht praktiziert werden sollte. Bloß, im traditionellen Sinne ist das nicht das, was als Tantra bezeichnet wird oder als Tantra gilt.

Also die therapeutische Ebene ist nicht primär eine Bewusstseinsebene. Das muss man einfach sagen. Die vielen Bücher, die auf dem Markt sind über Tantra, behandeln das natürlich immer hin und wieder. Es ist klar, das Bewusstsein muss sich verfeinern, in einer bestimmten Form der Intensivierung der sexuellen Energien steigt dann auch das Bewusstsein. Aber die meisten sind daran erst einmal sekundär nur interessiert aus naheliegenden Gründen. Ich habe das ja angedeutet, ich meine das nicht arrogant von oben herab, das würde mir vollkommen fern liegen, aber es ist einfach so. Da gibt es eher einen therapeutischen Aspekt. Die Arbeit mit diesen Energien ist einfach sinnvoll, um die Neurose, unter der wir alle mehr oder weniger leiden, seit Jahrhunderten, zu überwinden. Das heißt nicht, dass es diese Neurosen in Asien nicht gäbe. Auch das habe ich ja angedeutet. Wir wissen nur nicht genau, ob es sinnvoll ist, und ich würde das eher bezweifeln, ob das sinnvoll ist, moderne psychologische Kategorien da hineinzutragen.

Wenn man diese Rituale liest, dann könnte man sich ja fragen: „Was bedeutet das dann konkret für die Menschen? Psychologisch, so ganz modern gefragt. Das kann man nur mit großen Einschränkungen so fragen. Das sind ganz andere kulturelle, bewusstseinsmäßige Zusammenhänge. Da greifen diese Fragen nicht, oder nicht primär. Genauso, wie ich es ja oft sage, unsinnig ist, wenn man irgendwelche Persönlichkeiten der Vergangenheit, ob das die Mutter ist oder wer auch immer, dann sozusagen auf die Psychoanalytiker-Couch legt und nun ganz moderne Fragen an diese Menschen stellt. Ja, das geht nur mit ganz großen Einschränkungen.

Und diese ganzen modernen psychoanalytischen, psychologischen Fragen kann man stellen, aber man wird nicht sehr weit kommen, glaube ich. Man muss das einfach auf sich beruhen lassen. Man muss das auch phänomenologisch einfach betrachten. Das sind andere Bewusstseinsprägungen außerhalb der normalen Psychologie. Und da liegt genau der entscheidende Punkt beim Tantrismus. Wenn jetzt ein Westler aus vollkommen verständlichen Gründen seine neurotisierte Sexualität heilen möchte, was ja wirklich wahrlich verständlich ist, dann wird er wahrscheinlich große Schwierigkeiten haben, erst einmal in diese Bewusstseinsebenen aus einem ganz anderen kulturellen Kontext wirklich reinzukommen. Das muss man einfach sagen. Man muss einfach mit allergrößter Behutsamkeit betrachten, was immer man adaptiert, muss man ja in die eigene Bewusstseinsstruktur einbauen, sonst bleibt es ein Fremdkörper. Das gilt ja generell, wenn ein Westler, wenn ein Abendländer, aus dem asiatischen Kulturbereich Dinge übernimmt. Dann ist das eine eigene, oft sehr schwierige Bewusstseinsarbeit, das wirklich in den eigenen Kontext zu integrieren, dass es nicht ein Fremdkörper bleibt, ein exotischer Fremdkörper, und das ist schwierig.

Ich habe jetzt gerade die Hälfte ungefähr, hier gerade auf 7. Machen wir mal eine kleine Pause, vielleicht maximal 10 Minuten.
… einiges erläutern zu diesem Winter Plan. Vielleicht habe ich sogar dann die endgültige Fassung. Ich habe noch nicht das geklärt mit dem Gast-Referenten Johannes Heinrichs. Wir haben noch nicht telefoniert. Ich weiß nicht, ob das bleiben kann mit dem Termin. Ich möchte ihn gerne haben, und ich bin mir noch nicht ganz sicher mit dem Termin nach der Jahreswende. Ob das dann doch der dritte Januar ist oder auch der dritte Januar nicht zu früh ist. Ich habe das orientiert an den offiziellen Schulferien, die am Montag, den 2. Januar, wieder.. die Schule fängt am Montag, den 2. Januar wieder an, und da habe ich dann den dritten Januar eingetragen. Mag sein, dass das zu früh ist, dann würde ich das noch ändern nach dem zehnten Januar und vielleicht noch dann in den Februar hinein gehen. Also das möchte ich mal mit einem gewissen Fragezeichen noch versehen. Zu den Themen sage ich jetzt nichts. Ich werde mich dazu noch äußern. Nächstes Mal.

In der Pause kam noch jemand und hat in gewisser Weise eine Frage gestellt oder auch das beanstandet, dass ich allzu pauschal gesagt hätte, dass es eine Art kollektive Neurose gäbe, etwa im Abendland. Und dass ich dann noch gesagt habe, man könne unsere modernen Vorstellungen von Neurose nicht in den asiatischen Kulturraum übertragen. Ich habe das erst einmal ohne eine nähere, ohne eine differenziertere Begründung so hingestellt. In der Tat bin ich der Auffassung, ich will gar keinen Zweifel daran lassen, ich habe es auch verschiedentlich immer wieder gesagt, dass im Abendland eine Art kollektive Neurose herrscht. Das heißt nicht, dass jedes einzelne Individuum nun neurotisch wäre. Das ist damit nicht gemeint. Es ist eher eine Grund-Neurose, eine kollektive Grund-Neurose, die sich für meine Interpretation, mal ganz vorsichtig gesagt, auch manifestiert in der ökologischen Krise. Also ich interpretiere die ökologische Krise als die Manifestation einer kollektiven Neurose in dem Buch, was auf dem Literaturverzeichnis drauf ist, das im September erscheint. Es ist eine der wesentlichen Thesen, die ich auch versuche zu begründen mit Hinweisen, wie man eventuell diese Neurose überwinden könnte. Also Neurose heißt ja Abspaltung. Und ich meine, dass das abendländische Bewusstsein sich in gewisser Weise abgespalten hat.

Ob das unvermeidbar war oder nicht, wahrscheinlich war es unvermeidbar bis zu einem gewissen Punkt, ist jetzt gar nicht die Frage. Es geht ja nicht darum zu sagen, das hätte alles nicht passieren sollen und man hätte es vermeiden können. Wer will das entscheiden? Das weiß ich auch nicht. Insofern ist es nicht moralisch gemeint, sondern eher phänomenologisch im Sinne einer Abspaltung des Bewusstseins von dem eigenen Quellgrund der Existenz auf der Erde, im Kosmos. Und diese Abspaltung zeigt sich, manifestiert sich, begründet sich in einem bewusst-unbewussten Ausrottungsfeldzug, der sich über die Erde hinzieht. Also, was Rudolf Bahro die Logik der Selbstausrottung genannt hat, so meinte ich das mit der Neurose, ja, das wäre eine eigene Vorlesung, diesen Neurosebegriff noch genauer zu untersuchen. Jung zum Beispiel hat, C.G. Jung, hat die Neurose interpretiert als eine Abspaltung, also eine Abspaltung von der Wirklichkeit. Ich habe hier einen Begriff an die Tafel geschrieben: Purushakara Yantra…
…, dass der Mensch als Repräsentant dieser Einheit quasi die Ebenen oder Stockwerke dieser Welt, hier vergröbert in drei Stufen eingeteilt, in sich trägt. Es gibt Systeme mit 4, mit 5, mit 7, mit 12 und mehr Stufen. Und der Mensch trägt diese Stufen in sich, wie der Mensch eben, wenn er von der Selbstwahrnehmung aus, die natürlich auch Materie ist, natürlich Energie hat, was immer das jetzt bedeuten mag. Man könnte hier ansetzen jetzt, Lebensenergie, ist ja ein wichtiges Thema im Semester gewesen. Ich will das dann ja in einer Woche nochmal alles bündeln und versuchen zusammenzufassen und weiterzuführen.

Also Lebensenergie, könnte man hier sagen. Homöopathisch könnte man das sagen. Man könnte es auch von anderen Grundansätzen aus sagen: Lebensenergie. Das eigentlich in einem fundamentalen, vitalen Sinne Lebendigsein ist und Bewusstsein; und zwar Bewusstsein als Ich-Bewusstsein, der Mensch ist ja eine Ichheit, und auch als Bewusstsein von universellen Ordnungszusammenhängen. Auch das sage ich immer wieder. Das muss man bedenken, berücksichtigen, wenn man vom Bewusstsein redet, dass alles ichhafte Bewusstsein immer gleichzeitig Anteil hat an einem universalen Geist, was Hegel so formuliert hat: Die Substanz muss Subjekt werden, berühmte Formel bei Hegel. Also die Verbewusstung, wenn man so will, dieser Substanz der Welt.

Also die Möglichkeit hat man, wenn man die nicht hätte, könnten wir uns alle nicht verständigen. Dann könnte es keine Wissenschaft geben, dann könnte es keine Mathematik geben, keine Geometrie, dann könnte es keine Logik geben. Das alles setzt immer voraus, dass es eine für alle gültige Geistschicht gibt, sonst könnte man überhaupt nicht miteinander kommunizieren. Dann könnte man auch gar keine Argumente austauschen. Dann würde, selbst wenn zwei Menschen vollkommen verschiedener Auffassung sind, sofern sie überhaupt argumentieren, bewegen sich, in gewisser Weise, auf einer logischen Ebene. Und diese logische Ebene ist universal. Wenn sie das nicht wäre, wäre Verständigung vollkommen unmöglich.

Man kann natürlich sagen, die Abendland-Logik muss ja nicht die Logik der Erde sein, muss nicht die Logik der Biosphäre sein, muss nicht die Logik des Kosmos sein. Sicherlich nicht. Das könnte man wahrscheinlich so absolut nicht sagen, aber es muss eine Schicht Wirklichkeit damit berührt sein, nach allem, was man mit aller Zurückhaltung sagen kann. Also das ist wichtig. Bewusstsein meint also immer das Ich-Bewusstsein und meint den Anteil des Ich-Bewusstsein an, wenn man so will, einem medialen Logos, wie das Johannes Heinrichs nennt. Medialer Logos heißt einfach einen alles durchwaltenden und durchwirkenden Geist, objektiven Geist, wie die Idealisten es genannt haben, Hegel. Also, objektiver Geist, immer subjektiver Geist, objektiver Geist, beides ist hier dran. Wenn wir daran nicht Anteil hätten, würden wir niemals aus dem Käfig, aus dem Gefängnis unserer eigenen Projektion herauskommen können. Da ist ja noch die Chance, dass so etwas wie Erkenntnis möglich ist, denn wenn dieses Bewusstsein, diese Stufen auch in der Welt vorausgesetzt werden und wir auch so sind wie die Welt ist, dann können wir die Welt bis zu einem gewissen Grade erkennen.

Wenn das nicht der Fall ist, können wir überhaupt nichts erkennen. Dann muss man sagen, wir projizieren nur auf eine dunkle Fläche. Wir wissen nicht, was sich dahinter verbirgt. Dann wäre Wissenschaft im Grunde auch unmöglich. Deswegen ist die Wissenschaft eigentlich immer davon ausgegangen, dass es so etwas gibt, will das nur noch mal in Erinnerung rufen. Also, Purushakara Yantra meint das Yantra von kosmischen Menschen. Damit ist, jetzt in westlicher Terminologie gesagt, dass die mikrokosmische Ebene, die Ebene des Leibes, des menschlichen Leibes, gleichzeitig den Kosmos spiegelt. Ich habe schon mal das Wort von Novalis erwähnt und der Welt als einen Makro-Anthropos, als einem großen Menschen. Das ist nicht anthropomorph naiv gedacht, als ob die Welt nun im Sinne irgendwelcher animistischen Vorstellungen [ein] großer Anthropos wäre. So ist es nicht gemeint. Es ist nur damit gesagt, dass alles, was die Welt als Ganzes bestimmt, auch im Menschen vorhanden ist. Und das kann man ja auch, wenn dann Logik überhaupt eine Geltung haben soll, auch logisch sich verdeutlichen.

Wenn wir als Leib-Seele-Geist-Wesen, Teile dieser Welt sind, in dieser Welt in irgendeiner Form integriert sind, dann muss sich in uns auch die Ordnung des Ganzen in irgendeiner Form widerspiegeln, dann muss sie in gewisser Weise auch dort auffindbar sein. Und das ist im Grunde der Gedanke, der hier im Zentrum steht: Purushakara Yantra, Yantra des kosmischen Menschen. In uns sind diese Schichten, um auch nur bei diesen drei Schichten zu bleiben, Nirmana Kaya, Sambhoga Kaya, Dharma Kaya und, ja, und da mag jemand eventuell noch ein H hinter dem B setzten. Jetzt geht es nicht um die Schreibweise, die ist in den Büchern verschieden. Also Purushakara Yantra meint den kosmischen Menschen.

Nun war ja in der Ankündigung dieser Vorlesung auch die Rede davon, dass dieses tantrische Universum, wie ich das genannt habe, eine gewisse Rolle spielt in der Bewusstseinsforschung. Ich will das versuchen zu erläutern. Wenn ich nicht vollkommen falsch liege, wenn ich eine gewisse Grundwahrnehmung habe für das, was sich im ausgehenden 20. Jahrhundert an geistigen Strömungen manifestiert, also, wenn ich da nicht völlig falsch liege, dann würde ich sagen, dass das tantrische Universum in dem von mir skizzierten Sinne als eine archetypische Größe auch sukzessive und ganz langsam, aber doch stetig in das Bewusstsein auch einer erklecklichen Anzahl von Menschen im Abendland einfließt. Da scheint etwas als ein großer machtvoller Impuls wirksam zu sein. Das heißt nicht, dass nun die ganze komplexe Begrifflichkeit und dieses ganze System als ein solches einfach nun übernommen würde, oder ob das auch nur sinnvoll wäre. Aber, der Gedanke, dass das Universum als Ganzes wahrscheinlich nicht zersplittert ist in eine Vielzahl von Einzelteilen, die nichts voneinander wahrnehmen, registrieren, die total isoliert sind, separate Entitäten, das scheint doch deutlich zu sagen, hier fließt etwas zusammen, unter anderem in der Lehre von den Holons, von den Einheiten der Welt, die immer Teile sind ‒ und das Ganze sind. Der bekannteste Repräsentant heute ist Ken Wilber, obwohl der Begriff von anderen verwendet und auch ausformuliert worden ist, etwa Arthur Koestler, Sheldrake und andere, also die Lehre von den Holons des Kosmos ist ja eine Lehre eines All-Zusammenhangs, einer All-Verbundenheit, die man ja auch auf einer abstrakt-mathematischen Ebene in der Systemtheorie findet. Ich habe Ihnen das ja vor 14 Tagen versucht zu erläutern, dass ja die Systemtheorie, wenn man sie jetzt weiterführt, ja auch eine Lehre ist, die in gewisser Weise so eine Art All-Verbundenheit postuliert, allerdings auf einer eher abstrakt-mathematischen Ebene, und da möchte ich nochmal betont herausstellen, dass man das unterscheiden muss. Es gibt grundsätzlich eine existentielle Ebene, und es gibt eine Modell-Ebene, eine Theorie-Ebene, auch eine abstrakt mathematische Ebene. Das muss man einfach auseinanderhalten. Das ist nicht dasselbe. Man kann alle möglichen subtilen, mathematisch logisch unterfütterten Modelle über die Welt zusammenbauen, kann Computersimulationen machen, kann die kompliziertesten Dimensionen erfinden, mit denen sich dann irgendwie Voraussagen in der wirklichen Welt machen lassen. Das geschieht ja auch. Das hat mit spiritueller Dimension nichts zu tun.

Man kann dann natürlich sagen, gut, was ich mathematisch abstrakt berechnen kann, muss auch ontologisch irgendwie wirklich sein. Nicht, das ist die berühmte Ontologisierung. Sie mathematisieren einen Vorgang und behaupten dann, also sagen wir mal sie erfinden eine bestimmte Anzahl von Dimensionen, mit denen man rechnen kann, und sie sagen dann, die gibt es wirklich, die sind, die sind einfach da, die Welt ist so. Das ist schwierig. Ein schwieriger Punkt, den Schritt in die Wirklichkeit dann zu vollziehen. Was ist dann von diesem Konstrukt die Wirklichkeit? Und was ist nur das Konstrukt? Das ist schwierig. Eine auch heiß umstrittene, ja schwierige erkenntnistheoretische Frage. Man muss sich das aber immer wieder vor Augen führen. Es geht primär im Tantrismus um die existenzielle Ebene, und die existenzielle Ebene ist die Ebene der unmittelbaren Empirie, der Erfahrung. Das heißt, bestimmte Dinge sind einfach erfahrbar. Wenn man bestimmte Methoden praktiziert, kommt man zu ganz bestimmten Erfahrungen, auch ohne dass man nun genau diese Begriffe nehmen müsste oder dass man diese auch nur verstehen müsste. Man kann aber zu ganz bestimmten Erfahrungen kommen. Es geht um Empirie, das ist etwas anderes. Also das muss man auseinanderhalten. Ich betone es mit einer gewissen Eindringlichkeit, weil in vielen Büchern diese Aspekte vermischt werden. Nicht, da muss man ganz genau hinschauen: Was ist gemeint? Wird da etwas ontologisiert, wie ich das nenne, also für wirklich erklärt, was Konstrukt ist, weil es funktioniert, weil es sich vielleicht auch technisch umsetzen lässt? Gibt ja zig Beispiele dafür, oder wo sich auch Computersimulationen machen lassen und mittels derer dann auch Voraussagen. Auch das ist ja sattsam bekannt. Aber es ist immer noch ein weiter Schritt zu sagen: Das ist die Wirklichkeit, sozusagen da draußen, in Anführungszeichen. So sind die Dinge. Also ich erfinde 11 Dimensionen. Was gibt es denn? Es gibt Theorien, die im Mikrobereich postulieren, aber sind sie wirklich da, wenn ich mit ihnen rechnen kann, oder n-dimensionale Dimensionen in der Matrizengleichung der Quantenmechanik, das ist möglich. Das sind erst einmal mathematische Hilfsmittel, Instrumente, und eine ganz andere Frage ist, ob das tatsächlich Weltstrukturen sind oder nur Geist-Konstrukte.

Aber selbst das, um das vielleicht noch verwirrender zu machen: Selbst wenn es nur geistige Konstrukte wären und der Mensch ja in diesem Ganzen drinsteckt, auch dann wäre es ja ein Teil der Welt, die stammen ja „aus dem menschlichen Gehirn“, nicht, ist ja klar. Dann wären sie auch als Erfindungen zumindest seelisch-geistige Wirklichkeiten.

Gut, nach diesem Exkurs in die Erkenntnistheorie noch einmal zurück auf diese Ebenen. Es geht also um eine existenzielle Ebene, und im ausgehenden Jahrhundert wird das wichtig, wird das Bewusstsein wichtig, werden Methoden wichtiger denn je, wie man in andere Bewusstseinszustände hineinkommen kann, auf vielfältigste Weise, sei es mittels ganz bestimmter Meditationstechniken, Atemtechniken, traditioneller Techniken, mit bestimmten Beeinflussungen auch der Gehirn-Impulse und -Ströme. Auch das ist möglich. Auf verschiedenste Weise scheint ein großer Impuls heute zu sein, das Bewusstsein nicht nur zu erkennen, sondern weiterzuentwickeln. Also ich müsste mich sehr täuschen, wenn das nicht tatsächlich ganz mächtig wäre und sich zunehmend auch ausbreitet. Und da spielt das sogenannte tantrische Universum eine zentrale Rolle, auch wenn viele nicht unbedingt die tantrischen Texte kennen. Das müssen sie auch gar nicht kennen, weil es ein archetypischer Faktor ist.

Ein Buch, was auf der Literaturliste drauf ist, im Herbst 97 erschienen, von Stanislav Grof „Kosmos und Psyche“. Das ist also drauf, „An den Grenzen menschlichen Bewusstseins“ [Untertitel]. Und ich habe ja verschiedentlich hier in den letzten Jahren den Grof auch erwähnt, [ein] weltbekannter Psychiater, Arzt, Bewusstseinsforscher, hat eine eigene Praxis entwickelt, wie man in andere Bewusstseinstände hineinkommen kann. Ursprünglich LSD-Therapeut, hat mit Krebskranken LSD-Therapien gemacht in den späten 60er und frühen 70er Jahren, [in] US-Kliniken. Ursprünglich stammt er aus Prag, ist also Tscheche. In den Fünfziger Jahren [des 20. Jhds.] hat er schon im Rahmen des Ostblocks seine Nische gehabt und mit kranken Menschen LSD-Versuche gemacht. Das war damals möglich. Es wurde geduldet, sogar gefördert bis zu einem gewissen Punkt. Und Grof hat in diesem Buch an mehreren Stellen den Versuch gemacht, ohne dass das irgendwie sein Hauptthema wäre, den Begriff des Purushakara Yantra, den Begriff des kosmischen Menschen reinzunehmen in diese Bewusstseinsforschung. Und er bezieht sich übrigens auch ausdrücklich auf dieses Buch von Mookerjee / Khanna über die Welt des Tantra.

Meine herzliche Bitte, ich sehe es nicht. Wer es hat, wird es mir zurückgeben. Zweimal ist es vorgekommen, dass Bücher hier verschwunden sind. Das wäre wirklich. Das fände ich schade, wenn dieses Buch, das es nicht mehr gibt, hier verschwinden würde. Es hat hier vorne gelegen. ‒ Also danke. Wunderbar. Ich sage es einfach nur, ohne irgendeinen verdächtigen zu wollen. Es ist zweimal tatsächlich in den letzten drei Jahren passiert. Es war einfach so, dass zwei Bücher verschwunden sind vom Tisch hier. Also das ist nicht böse, dass irgendeiner das bösartig mitnimmt, das unterstelle ich überhaupt nicht. Aber einer blättert darin rum, guckt und dann… Also es ist nicht so einfach. Also bitte, verstehen sie es nicht falsch, ich verdächtige niemanden. Aber ein Buch, was mir sehr wichtig war, ist mal hier wirklich abhanden gekommen. Auch interessant. Ich habe das damals gesagt. Ich muss das jetzt nicht noch mal hier sagen.

Also Grof bezieht sich auch auf Mookerjee / Khanna im Zusammenhang mit dem Purushakara Yantra. Und ich darf mal das Ihnen paraphrasieren und auch ein paar Dinge vorlesen. Er sagt, dass in bestimmten Grenzzuständen des Bewusstseins, wie immer diese erreicht werden, ob mit psychoaktiven Substanzen, ob mit bestimmten Atemtechniken, ob mit Brain-Machines und was immer, also in irgendeiner Form jeweils anderen Bewusstseinszuständen, dass also in diesen Bewusstseinszuständen immer wieder als eine Grundfigur das Purushakara Yantra auftaucht, nicht als Bild, wie es in der asiatischen Tradition erscheint, aber als Prinzip. Als Grundprinzip ist der Einzelne in diesen Bewusstseinszuständen, seine Egoität, seine körpergebundene Relativität überschreiten kann und dann Erfahrungen machen kann, die über diese Egoität und über seine eigene Leiblichkeit hinausgehen. Ich betone: Erfahrungen machen kann, nicht darüber theoretisieren.

Es ist das eine, zu sagen: Alle Menschen sind verbunden, oder bestimmte Gruppen von Menschen sind verbunden oder sollten verbunden sein, oder es sollte eine ökologische Ethik geben, wofür es ja gute Gründe gibt, das ist das eine. Man kann das postulieren, man kann das theoretisch plausibel machen. Das wird man schnell einsehen, dass das sinnvoll ist. Eine andere Frage ist, das wirklich zu erfahren, außerhalb des theoretischen Postulats. Und darum geht es. Es geht also um bestimmte Erfahrungen, die, bestimmte Bewusstseinstechnik vorausgesetzt, möglich sind. Ich zitiere mal Stanislav Grof aus dem Buch „Kosmos und Psyche“ über Purushakara Yantra in diesem Kontext. „Im Weltbild der tantrischen Wissenschaft“, schreibt Grof, „wird das Verhältnis zwischen dem Kosmos und dem menschlichen Organismus nicht als bloße Metapher oder gedanklicher Notbehelf begriffen. Alte tantrische Schriften erklären, dass der menschliche Körper buchstäblich ein Mikrokosmos sei, der den gesamten Makrokosmos widerspiegele und in sich fasse. Wenn man den eigenen Körper und die eigene Seele gründlich erforschte, bekäme man dadurch die Erkenntnis sämtlicher Erscheinungswelten“ ‒ Bezug Mookerjee/ Khanna, dieses Buch über Tantra. „Graphisch wird es im Purushakara Yantra dargestellt, dem Bild des kosmischen Menschen. In dieser Figur befindet sich die materielle Welt, in der wir leben, im Bereich des Bauches“, ist also eine Aufteilung, ganz bezogen auch auf dieses System entlang der Vertikalachse des Körpers. „In dieser Figur befindet sich die materielle Welt, in der wir leben, im Bereich des Bauches. Der obere Teil des Körpers und der Kopf enthalten die verschiedenen himmlischen Bereiche, und im Unterleib und in den Beinen liegen die Unterwelten. Der Buddha beschrieb das Verhältnis zwischen dem Körper und der Welt mit den Worten“: Zitat, er zitiert aus einem Text, der mir nicht geläufig ist, [bzw.] wird nicht angegeben. „Wahrlich, ich sage euch, in diesem klafterhohen Körper liegt die Welt und das Entstehen der Welt und das Vergehen der Welt.“ Zitat Ende. Zitat im Zitat: „In der Kabbala erscheinen die zehn Sephiroth, archetypische Prinzipien, die verschiedene Stufen der göttlichen Emanation darstellen, als der göttliche Leib des Atman, Adam Kadmon, mit Kopf, Armen, Beinen und Geschlechtsorganen. Der menschliche Körper ist eine winzige Nachbildung dieser Ur-Gestalt.“, ist ja in der abendländischen, sagen wir mal, eher apokryphen Entwicklung und Tradition die Vorstellung des lebendigen Adam Kadmon.

Das findet sich, wenn ich das richtig weiß, bis in die Anthroposophie hinein. Der menschliche Körper ist eine winzige Nachbildung dieser Ur-Gestalt. Ähnliche Vorstellungen finden sich auch im Gnostizismus, in der hermetischen Tradition und anderen mystischen Systemen. Also, hermetische Tradition meint die auf den legendären Hermes Trismegistos zurückgehende Strömung. Das bezieht sich auf Texte, die aus dem zweiten, dritten nachchristlichen Jahrhundert stammen, von denen aber angenommen wurde in der Renaissance, dass sie uralt seien. Man hat erst im 17. Jahrhundert dann entdeckt, dass die Texte viel jünger sind. Man glaubte, dass es uralte Texte sind. Noch Newton übrigens, sah sich in dieser hermetischen Tradition, hielt diese Texte auch für uralt. Diese von verschiedenen esoterischen Überlieferungen vertretene tiefe Verbindung zwischen dem individuellen menschlichen Organismus und dem Kosmos hat Ausdruck gefunden in den berühmten Sprüchen „wie oben so auch unten“ oder „wie außen so auch innen“. Und das ist nun genuin tantrisch, das hab ich auch schon vor einer Woche versucht zu verdeutlichen.

„Die Beobachtungen der modernen Bewusstseinsforschungen haben neues Licht auf diese alte mystische Vorstellung geworfen, die vom Standpunkt der materialistischen Wissenschaft aus völlig absurd erscheint.“ Muss man nicht diskutieren. Vom Materialismus aus, jedenfalls wie er gemeinhin praktiziert wird, sind diese ganzen Themen und Fragen in der Form vollkommen unsinnig. Das ist einfach intellektuelle Spielerei, mehr nicht. „Die Trans-personale Psychologie hat entdeckt, dass es in holotropen Zuständen möglich ist“, das heißt in solchen grenzüberschreitenden Zuständen möglich ist, also alles erfahrbar, kein Konstrukt, keine Theorie, „die Identität mit fast jedem Aspekt der physischen Realität aus Vergangenheit und Gegenwart wie auch mit verschiedenen Aspekten anderer Dimension des Seins zu erfahren.“ Ungeheurer Satz, wenn man den mal sich klarmacht, dass die transpersonale Psychologie entdeckt hätte, behauptet Grof, dass in diesen Zuständen tatsächlich Identitäten aufscheinen mit Aspekten der physischen Realität ganz weit weg, irgendwo da draußen, Pflanzen, Tiere, Organismen, Materie, und auch was die Zeit betrifft und mit ganz anderen Dimensionen des Seins. „Sie hat bestätigt, dass der gesamte Kosmos auf geheimnisvolle Weise der Psyche eines jeden von uns eingeschrieben ist und in der tiefen systematischen Selbsterforschung zugänglich wird.“ Also eine sehr weitreichende Behauptung von Grof. Man kann ihm das abnehmen, ein Mann, der 40 Jahre auf diesem Gebiet forscht. Ich kenne keinen Menschen dieser Erde, der heute lebt, der ein so gewaltiges Erfahrungsmaterial gesammelt hat, was veränderte Bewusstseinszustände betrifft. Ich kenne niemanden mit einem solchen ungeheuren Fundus an Material, was er gesammelt hat, angefangen von seinen Forschungen mit LSD noch in Prag, im real existierenden Sozialismus und dann später in den 60er Jahren in Amerika und dann über die verschiedenen Atemtechniken, die er entwickelt hat, bis heute, dargelegt in 10, 12 grundlegend wichtigen Büchern.

Das ist das letzte Buch hier von Grof, eine Art Resümee seiner jahrzehntelangen Arbeit. Also wie immer man nun dazu steht oder wieviel Skepsis man da an den Tag legt oder wie viel Zurückhaltung man da zeigt, wenn man sich interessiert für diese Frage der Bewusstseinsbreite, des Bewusstseinsspektrums, nicht in einem theoretisch-philosophischen Sinne, da ist sozusagen Ken Wilber der Spezialist, das findet man bei Grof weniger, er ist kein Philosoph, will es auch nicht sein, aber in einem erfahrungsmäßigen Sinne, im Sinne des Erfahrungsmaterials, dann sind die Bücher von Grof unverzichtbar und nicht nur dieses hier. Also man muss da unterscheiden zwischen der philosophisch-theoretischen Durchdringung, da ist Ken Wilber wahrscheinlich einzigartig heute, soweit ich das sehen kann, und der praktisch erfahrungsgemäßen Dimension, und da scheint mir, wenn ich das richtig sehe, Grof einmalig zu sein. Es gibt auch andere, sie stehen nicht alleine da, aber die Breite des Materials ist immens, und man hat schon große Schwierigkeiten, wenn man, jetzt im Sinne der traditionellen Medizin und Psychiatrie und Psychologie das alles nur als pathologisch abstempelt, hat man schon arge Schwierigkeiten, wenn man das tut. Und man muss dann schon alle möglichen, sagen wir mal, geistigen akrobatischen Kunststücke vollführen, um die Erfahrungsdimensionen, die da aufscheinen, als pure Pathologie zu interpretieren.

Natürlich spielen in diese Zustände immer auch pathologische Momente hinein, das ist klar. Also wenn ein, nehmen wir mal an, ein rational orientierter Abendländer, der nun getrieben von dem Bedürfnis, andere Bewusstseinszustände zu erlangen, bestimmte Übungen macht, dann kann das nicht nur hochgefährlich sein, wenn er es nicht integrieren kann, er kann auch in Zustände reinkommen, die ihm vollkommen fremdartig, ja unheimlich, gespenstisch sind. Dann wird er aber genau hingucken müssen, was da aufscheint. Aber es gibt in diesem Material, was Grof hier und in anderen Büchern darstellt, eine Fülle von Beispielen, dass es tatsächlich möglich ist, mit dem Bewusstsein in diesen Grenzzuständen in Schichten reinzukommen, die normalerweise gar nicht bewusstseinsfähig sind, zum Beispiel in die gesamte Binnenstruktur des Körpers, sämtliche Organe oder auch in die Innenstruktur anderer Menschen oder von Pflanzen, Tieren, von Materie usw., also, was auch im tantrischen Zusammenhang ja immer wieder behauptet wird. Also wenn man die tantrischen Schriften liest, dann ist das ja sozusagen fast selbstverständlich, dass das möglich ist. Und man würde jetzt nicht sagen, naja, gut, das wird behauptet, da wird zwar gesagt, es seien erfahrbare Zustände, aber man ist ja doch als aufgeklärter, rationaler Europäer oder Abendländer davon sehr weit weg und hat eine gesunde Skepsis. Erstmal, stimmt das dann, ist das nicht eine andere Kultur, und sind wir nicht auf einer ganz anderen mentalen Ebene, und so weiter.

„In holotropen Bewusstseinszuständen“, schreibt Grof an anderer Stelle in diesem Buch, „ob sie nun spontan auftreten“, also holotrop meint auf das Ganze gerichtet, holon, holotop, im Gegensatz zu phylotrop, auf die Materie, auf das Einzelne gerichtet. Ist aber jetzt nicht so wichtig der Begriff. „In holotropen Bewusstseinszuständen, ob sie nun spontan auftreten oder von den alten und neuen bewusstseinsverändernden Techniken hervorgerufen werden“, das lässt er offen, egal wie es entstanden ist, „ist es möglich, die individuellen Grenzen des verkörperten Selbst in mancherlei Weise zu transzendieren“, was natürlich bis zu einem gewissen Grade, um den Bogen zu spannen zu dem, was ich vorhin gesagt habe, [was jeder] ohnehin kann auf der Ebene dessen, was Johannes Heinrichs den medialen Logos nennt. Jeder der denkt, der Logik betreibt, der argumentiert, bewegt sich natürlich schon im Grunde auf einer Trans-Ego-Ebene, das ist klar.

„Diese Erfahrungen bieten uns die Gelegenheit zu anderen Menschen, Menschengruppen, Tieren, Pflanzen oder sogar anorganischen Elementen der Natur und des Kosmos zu werden, momenthaft zu werden und damit die Innenperspektive dessen zu erfahren.“ Das müsste möglich sein, wenn Purushakara Yantra, wenn der kosmische Mensch überhaupt existiert, müsste es möglich sein. Also wenn man das akzeptiert, dass das möglich ist, müssen wir im Prinzip auch akzeptieren, dass jede Facette des Kosmos im Menschen auffindbar ist. Dazu muss man sozusagen sein Zimmer gar nicht verlassen, mal ganz übertrieben gesagt. Es könnte ja sozusagen die reine Selbst-Introspektion erfahren. „Dabei stellt die Zeit offenbar kein Hindernis dar.“ Wichtig, stellt kein Hindernis dar „und [es] können vergangene und zukünftige Ereignisse genau so leicht erfahrbar werden wie etwas, das in der Gegenwart geschieht.“

Und das ist heute sehr populär in der Szene. Über sogenannte Zeitreisen wird oft sehr leichtfertig, finde ich, geredet. Das Ganze ist schon erstmal von einer Dimensionalität, die einem das Schwindeln kommen lassen kann, und man sollte da schon auch eine gewisse Zurückhaltung walten lassen und das mal auf sich beruhen lassen. Aber es geht hier gar nicht mal so sehr um Zeitreisen in einem technisch-ufologischen Sinne, sondern es geht hier mehr um eine Erfahrung einer vergangenen Zeitstufe in einem anderen Bewusstseinszustand. Ob das dann als Zeitreise gelten darf oder kann, sei dahingestellt. Das muss gar nicht der Fall sein. Darauf will ich jetzt gar nicht eingehen, weil es auch eine Fülle von logischen und erkenntnistheoretischen Fragen aufwirft, wenn das möglich sein sollte. Es gibt ja einige Physiker, die in einigen extremen Überlegungen das auch als möglich hinstellen. Auch da ist wieder die Frage der Ontologie. Das ist als Konstrukt möglich, ist es aber auch ontologisch möglich? ‒ ist eine andere Frage.

„Derartige Erfahrungen vermitteln sehr überzeugend die Erkenntnis, dass alle Grenzziehungen in der materiellen Welt illusorisch sind.“ Nicht, dass sie nicht empirisch da sind. Es gibt diese Grenzen, das ist ja klar. Da verschwimmt ja nicht alles. Aber es sind keine absoluten Grenzen, „dass alle Grenzziehungen der materiellen Welt illusorisch sind und das gesamte Universum, wie wir es kennen, in seinen räumlichen wie auch zeitlichen Aspekten ein einheitliches Netz,“ Zentralbegriff der Systemtheorie, „von Ereignissen im Bewusstsein ist. Es wird sehr deutlich, dass der Kosmos keine gewöhnliche materielle Schöpfung ist, sondern eine Schöpfung der intelligenten kosmische Energie“, sagt er hier, „oder des Universalen Geistes“, also wenn diese beiden Ebenen angesprochen sind, Sambhoga Kaya und Dharma Kaya. Diese Erfahrungen entschleiern somit das immanente göttliche „deus sive natura“, die berühmte Formel von Spinoza, Gott oder die Natur, „das heißt Gott, wie er sich in der und als die Erscheinungswelt manifestiert. Sie enthüllen auch, dass wir im Grunde umfangsgleich mit dem gesamten Netz der Schöpfung und mit allen seinen Teilen sind.“ Das heißt, die Trennung, die gestalthafte Abgrenzung, ist eine relative Wirklichkeit, relative Wirklichkeit, aber keine absolute Wirklichkeit. Sie kann transzendiert werden ‒ darum geht es. Es geht nicht darum zu sagen, dass diese Grenzen nicht existieren, das wäre absurd. Diese gestalthaften Grenzen existieren. Sie können transzendiert werden in bestimmten Bewusstseinszuständen, aus denen man natürlich wieder zurückkommt in den Normalzustand, das ist klar. Man muss diese Zustände dann integrieren. Man kann nicht auf dieser Ebene weiterlaufen. Das ist auch wichtig. Ist ja auch ein psychologisches Integrationsproblem dann. „Solche transpersonalen Erfahrung verändern unsere Auffassung vom Wesen der alltäglichen materiellen Wirklichkeit drastisch. Doch andere machen Seinsdimensionen sichtbar, die normalerweise unserer Wahrnehmung völlig verborgen sind. Derartige Erfahrung führt deutlich vor Augen, dass die kosmische Schöpfung nicht auf diese materielle Welt begrenzt ist, sondern sie sich auf vielen verschiedenen Ebenen und in vielen Dimensionen manifestiert. Ähnlich beschränkt sich die Möglichkeit von Vereinigungserfahrungen nicht auf den materiellen Bereich, sondern erstreckt sich auf andere Gefilde.

Wir können somit die Bewohner der archetypischen Regionen nicht nur sehen und kennenlernen, wir können richtiggehend mit ihnen verschmelzen, zu ihnen werden.” Mehrfach schreibt Grof auch, dass diese Jungschen Archetypen in diesen Zuständen erfahrbar wären. Er sagt das nicht, er behauptet es nicht als theoretische Überlegungen, sonder er hat tausende von Beispielen seiner Patienten und Menschen, mit denen er arbeitet, aufgrund derer wir zu solchen Aussagen kommen. Das muss man sagen, Grof ist kein Philosoph, das ist er außerdem, im Gegenteil. Das Denken ist in dem engeren Sinne, philosophisch gesehen, gar nicht sein Metier.

„Also, derartige Erfahrungen führen deutlich vor Augen, dass die kosmische Schöpfung nicht auf unsere materielle Welt begrenzt ist, sondern [ist in] sehr vielen verschiedenen Ebenen, in vielen Dimensionen manifestiert. Die Erfahrungen des immanenten Gött­lichen offenbaren die Heiligkeit der Alltagswirklichkeit”, das ist die Rückspiegelung auf das Alltägliche, „und die Einheit auf dem Grund der materiellen Welt, die für einen naiven Betrachter aus isolierten Objekten zu bestehen scheint.” Ich habe Ihnen das ja erläutert vorige Woche, dass ein Zentralgedanke auch im Tantrismus die Einheit ist, nicht nur die Einheit im Sinne der geschlechtlichen Vereinigung, des Männlichen und des Weiblichen, die Vereinigung im Geschlechtsakt, sondern auch die Vereinheitlichung, die Verinnerlichung dieser Welteinheit überhaupt.

„Indem sie erweisen, dass alle Grenzziehungen innerhalb der materiellen Welt willkürlich sind”, das als Formulierung finde ich ein bisschen zu scharf formuliert, aber ganz so willkürlich kann es nicht sein, weil diese Gestalten in ihrer klaren Abgrenzung auch so wie sie sind, einen guten Sinn haben müssen. Also das Wort Willkür finde ich etwas zu stark an der Stelle, weil es den Eindruck erweckt, als ob man das eben mal so wegwischen könne – das kann man nicht. Es geht auch aus dem Kontext hervor, dass es nicht möglich ist. Insofern also Willkür, würde ich sagen, mit einer gewissen Einschränkung, „dass alle Grenzziehungen innerhalb der materiellen Welt willkürlich sind”, und ich würde sagen, nur eine relative Wirklichkeit haben, „machen diese Erfahrung deutlich, dass wir alle mit dem gesamten Feld der Raum-Zeit und letztlich mit der kosmischen Schöpfungsenergie selbst wesensidentisch sind”. Womit man wieder bei diesem Punkt angelangt ist. Wenn ich versucht habe zu verdeutlichen, dass der tantrische Prozess den Verdichtungsprozess der Welt sozusagen in umgekehrter Richtung vollzieht, also aus dem Grobstofflichen zurück hinauf ins Feinstoffliche, während der Weltprozess in die andere Richtung geht. Man findet übrigens [das] ganz wenig, [so im] im tibetischen Buddhismus, etwa im Bardo Thödol [Tibetisches Totenbuch], da wird das auch gesagt, dass zum Beispiel im Akt des Sterbens der gegenteilige Prozess sich vollzieht, eine zunehmende Ablösung vom Nirmana Kaya, Sambhoga Kaya, schließlich eine erwünschte Vereinigung mit dem Dharma Kaya oder Rückfall, Zurückfließen wieder in die Materie im Sinne einer neuen Reinkarnation.

Also diese Figuren gibt es, möchte fast sagen, in allen relevanten esoterischen Systemen. Und da hat man jetzt die Brücke zum Tantrischen. Also, das wollte ich Ihnen in kurzer Form oder auch nicht kurzer Form, darstellen. Diese Zusammenhänge bestehen. Das ist ein offener Prozess. Das ist nicht so, dass man nun sagen könnte, das wäre nun ganz naiv, wir haben jetzt diese Bewusstseinsforschung, wir haben das große Material, und der Tantrismus sei sozusagen dadurch bewiesen. Das wäre zu weitgehend. Aber wir haben zumindest so viel mittlerweile lernen können, wenn man sich denn der Sache überhaupt öffnet, dass diese Bewusstseinsmöglichkeiten im Prinzip jedem zugänglich und keine theoretischen Konstrukte sind. Das ist wichtig, dass man das begreift, dass es möglich ist, dass es erfahrbare Stufen sind, auch wenn man denen ganz andere Begriffe gibt. Dass man da nicht eine philosophisch-intellektuelle Auseinandersetzung betreibt, was man ja auch tun kann, das kann man ja machen. Man kann ja den Tantrismus als wunderbares Denkmodell begreifen und ihn verbinden oder konfrontieren zum Beispiel mit anderen kosmologisch- physikalischen, mathematischen Modellen, kann man machen. Das wäre dann rein intellektuell, ein intellektuelles Spiel. Hochinteressant auch, ich will im Grunde da nichts dagegen sagen. Doch dann ist es eine andere Ebene, dann bewegt man sich nur auf der Mental-Ebene, dann kann man das nur auf der Mental-Ebene abhandeln, nicht auf der Erfahrungsebene. Genauso wie man mental intellektuell reden kann über Sexualität, was man sich angelesen hat, was man denkt, wie sie sein müsste, ohne dass man sie real wirklich praktiziert oder erlebt oder in der Tiefe durchdrungen hat ‒ kann man machen. Wie sinnvoll das dann ist, ist eine andere Frage. Hier geht es tatsächlich um empirische Dimensionen. Insofern ist es eine Erfahrungswissenschaft.


Es ist kurz vor acht. Ich würde sagen, dass wir gleich noch ein bisschen in die Frage gehen, wenn Sie mögen.

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Philosophie des Tantrismus I

– Hinduistischer und Buddhistischer Tantrismus

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil III
Die Herausforderung einer neuen Theorie des Lebendigen

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1998
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 1

Transkript als PDF:

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Nun, wenn man vor 20 Jahren eine der berühmten Umfragen gemacht hätte oder auch nur vor 10 Jahren, was denn Tantra sei, dann glaube ich, dass ein erklecklicher Teil der Befragten eher ihr Unvermögen bekundet hätten, hierüber Näheres oder Differenzierteres zu sagen. Heute sieht das anders aus. Zumindest, sagen wir mal, der Begriff „Tantra“ ist relativ verbreitet. Selbst auf der Ebene von bestimmten Postillen, Zeitschriften und Ähnlichem wird gelegentlich auch mal ein Artikel gebracht, meist sinnlich üppig bebildert über das, was als Tantra gilt, oder was als Tantra gelten soll. Also [es] hat sich ein gewisser Umschwung abgezeichnet, da ist eine gewisse Bewegung zu verzeichnen.

Nun, wenn man heute diese Umfrage macht, dann würde man wahrscheinlich bei den meisten Menschen erst einmal, wenn sie den Begriff kennen, auf eine ungefähre Kennzeichnung stoßen, die etwa so aussähe: Na ja, das hat irgendwas mit Sexualität zu tun, mit asiatischer Sexualität, mit bestimmten ritualisierten Formen von Erotik, von Sexualität, und es gibt Tantra-Kurse, die New Age Szene ist voll davon. Seit den siebziger Jahren, unter anderem durch den damals weltbekannten Guru Bhagwan Shree Rajneesh, später Osho, sind diese Grundgedanken des Tantrismus in die ganze Psychotherapie-Szene eingegangen und sind heute mittlerweile fast ein integraler Bestandteil der gesamten Szene. Weniger bekannt und weniger, sagen wir mal ausgeleuchtet, sind die kosmologischen, die weltanschaulichen, die geistesgeschichtlichen Dimensionen des Tantrismus, und ich will versuchen, Ihnen heute ein bisschen was zu erzählen über hinduistischen Tantrismus und sogenannten buddhistischen Tantrismus, ihnen also einen Überblick geben, was Tantrismus, was die Tantras in Asien geschichtlich und bis heute waren, wie sich das weiterentwickelt hat und dann in der nächsten Vorlesung ihnen einige Einblicke geben in die Auswirkungen dieses Tantrismus in der modernen Kosmologie, Naturphilosophie, in der Therapie-Szene. Also, unser Thema war ja in diesem Semester die Frage, eines der Themen, gibt es eine Lebenskraft, eine Lebensenergie? Wir haben ja zwei Vorträge gehört, einen von Arnim Bechmann und den anderen von Volker Rohleder als Gastvorträge über Dimensionen, wie man heute Lebenskraft denken kann, etwa von der Homöopathie aus oder von ganz bestimmten Experimenten aus. Ich habe das verschiedentlich weitgehend bejaht als eine, ich glaube, dass die Lebenskraft, die Lebensenergie, dass das eine wie immer geartete Wirklichkeit des menschlichen Seins darstellt, auch wenn diese Wirklichkeit sich nicht im strengen, reduktionistischen oder analytischen oder messbaren Sinne festmachen lässt. Da wird es zunächst einmal relativ schwierig.

Nun, was ist Tantrismus? Was ist Tantra? Wie ist das entstanden? Die Wurzeln dieser geistigen Strömung liegen weitgehend im Dunkeln. Man kann also nicht sagen da, in diesem Teil Asiens, zu dieser Zeit sei Tantrismus entstanden. Das ist nicht möglich. Was wir haben, sind zunächst einmal heute noch verbliebene Reste tantrischer Praktiken, tantrischer Rituale in Teilen von Indien und Teilen des Himalaya-Raums und anderswo. Und was wir haben, ist ein riesiger Kanon von Texten, die auch als die Tantras bezeichnet werden, eine ungeheure Fülle von sehr schwierigen, sehr komplexen, sehr ausdifferenzierten Texten, von denen auch nur einige überhaupt in eine fremde Sprache übersetzt worden sind, sei es ins Englische, Französische oder Deutsche. Viele dieser Texte sind überhaupt gar nicht übersetzt. Also, die Tantras meinen Texte, alte Texte, zum Teil hinduistische Texte, aber auch buddhistische Texte, dazu nachher mehr.

Auch im Buddhismus gibt es ja eine Strömung, die sich bezeichnet als tantrischen Buddhismus, oft auch synonym verwendet für tibetischen Buddhismus. Das ist ja fast manchmal austauschbar geworden: tibetischer Buddhismus, tantrischer Buddhismus. Nun, wir wissen nicht die Quellen. Wir wissen nicht, wann Tantrismus entstanden ist. Es gibt viele Spekulationen darüber, auch was die Etymologie des Wortes betrifft. Eine davon sieht so aus, dass das Wort zurückgeht auf den Begriff „tan“, was so viel heißt wie „Gewebe“. Also dann wäre schon ein wichtiger Aspekt beleuchtet, dass also „tan“‘ im Sinne von Tantra eine Art Gewebe darstellt, also ganz vereinfacht gesagt ein Gewebe, oder wie man heute sagen würde, vielleicht modern, ein Netzwerk.

Grundgedanke also von Tantrismus, Tantra in seinen, in ihren ältesten Formen bedeutet, die Welt als Ganzes wird gesehen, als ein großes System, als ein großes Netzwerk, innerhalb dessen Innen und Außen, diesseits, jenseits, Männliches und Weibliches in einem sehr differenzierten Wechselspiel sich zueinander befinden. Diese Welt ist aufgespalten in Dualitäten, aber in der Tiefe eine Einheit. Und was wichtig ist und was sich wie ein roter Faden durch den Tantrismus zieht, bis heute, ist der Gedanke, dass alle Polaritäten und Dualitäten der Welt im Letzten zurückgehen auf eine Ur-Einheit und dass die Welt in toto, die Welt als Ganzes, die Welt in ihrem ungeheuren subtilen Gefüge, bejaht werden soll.

Es gibt also im Tantrismus nicht die Vorstellung, wie ja in sehr vielen spirituellen Strömungen, dass bestimmte Aspekte der Welt zu verneinen sein. Also Tantrismus ist eine plakativ erst einmal hierhin gestellt, eine Lehre der Weltbejahung, und Spiritualität im Trantrismus bedeutet nicht eine Abkehrung von der sinnlich-physischen Welt, bedeutet keine Abkehrung von Sexualität und Eros, im Gegenteil ‒ es ist ein wesentlicher Impuls in dieser Lehre, dass die höheren Bewusstseinsstufen des Menschen gerade nicht erreicht werden, indem man sich von dem Körper, von dem physisch Sinnlichen abwendet, indem man zum Beispiel asketisch das körperliche Sexuelle verneint. Gerade in der Bejahung wird ein Weg gesehen, eine höhere Stufe des Geistes und des Bewusstseins zu erringen. Also Tantra bejaht, Tantra bejaht den Körper, den Leib, Tantra bejaht den Eros und die Sexualität als ein Werkzeug, als ein Vehikel, wenn man so will, jetzt buddhistisch gesprochen, der Erleuchtung. Also es gibt einen Buchtitel, der lautet „Erleuchtung durch Ekstase“, sehr plakativ, aber es ist im Kern richtig. Erleuchtung also nicht durch eine Abkehr von ekstatisch erotischen Zuständen, sondern Erleuchtung durch ein Hineingehen in diese Zustände, und zwar ganz bewusst und wach, mit allen Sinnen und mit allen Fakultäten der seelisch geistigen Existenz. Das also ein Grundansatz.

Wie dieser Grundansatz sich geschichtlich konstelliert hat, lässt sich schwer sagen, es wird verschiedentlich vermutet, dass das zusammenhängen könnte mit sehr alten matriarchalen Formen der Gesellschaft, mit bestimmten Urmutter-Kulten oder Magna-Mater-Kulten, etwa im Mittelmeerraum, in Kleinasien und dann auch bis weit nach Indien hinein. Das lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Kannten die matriarchalen Kulturformen, wenn es sie so überhaupt gegeben hat, sie wissen, da gibt es auch starke Zweifel dran, also kannten diese matriarchalen Kulturformen so etwas wie eine tantrische Lebens- und Welthaltung? Das wissen wir nicht, weil sie ja keine schriftlichen Kulturen [hinterlassen haben], es sind prähistorische Kulturen, wir haben keine Schriftzeugnisse. Wir müssen schließen aufgrund der archäologischen Funde, was das eventuell gewesen sein könnte.

Es gibt viele Statuetten, etwa in Anatolien, Kleinasien sind ja viele Statuetten gefunden worden, die als Mutter-Gottheiten interpretiert worden sind. Aber wir wissen letztlich nicht genau, wie das kulturell konkret aussah mit dem Tantrischen, auch wenn es vereinzelt einige Darstellungen von Geschlechtsakten, etwa auf Reliefs und in anderen Kontexten gegeben hat. Also das muss man offen lassen.

Nun, der Tantrismus als eine Geistes- und Seelenhaltung, als eine Weltanschauung, ist eine sehr subtile, empirisch fundierte Wissenschaft des Leibes als Ausgangspunkt. Tantrismus ist nicht in erster Linie eine Theorie, ein Denksystem, nicht in erster Linie eine Philosophie. Natürlich umschließt die Praxis des Körperlichen auch einen kosmologischen Zusammenhang, einen weltanschaulichen Zusammenhang ‒ das ist klar. Aber das ist nicht das Primäre. Tantra ist eine Erfahrungswissenschaft des Leibes, zumal als Begriff gewählt für den beseelten Körper, es enthält Praktiken, Methoden, mittels deren man in ganz bestimmte Zustände gelangen kann. Es ist eine Arbeit mit den Energien des Körpers, mit der Lebensenergie, wobei ein sehr feines, hochdifferenziertes System vorausgesetzt wird, was die feinstofflichen Ströme im menschlichen Leib ausmacht, wie sie entstanden sind, wie sie verlaufen und ‒ wichtig: wie sie möglicherweise kanalisiert werden können mittels ganz bestimmter meditativer Praktiken.

Eine weitere Grundorientierung muss angemerkt werden. Es gibt, das ist in der Literatur auch immer wieder dargestellt worden, grob gesagt zwei Richtungen im Tantrismus, auch im asiatischen Tantrismus. Ich rede jetzt zunächst noch nicht von Hinduismus und Buddhismus. Sagen wir einfach asiatischer Tantrismus, eine eher, wie es oft heißt, linkshändige Richtung und eine eher rechtshändige Richtung. Das ist nicht primär und unbedingt so gemeint, als ginge es hier um einen etwa weiblichen [Weg], auf der einen Seite und männlichen [Weg] auf der anderen Seite, also links und rechts ist nicht mit männlich und weiblich gleichzusetzen. Es ist etwas anderes gemeint. Der sogenannte linkshändige Pfad, wie das in vielen Ritualen auch deutlich wird und in der einschlägigen Literatur auch immer wieder beschrieben wird, meint, die Sexualität wird direkt ausgelebt. Sie ist das, was sie ist, und sie darf das auch sein. Also Sexualität wird bejaht, ausgelebt, direkt sinnlich ausgelebt, während im sogenannten rechtshändigen Pfad Sexualität eher transformiert wird in eine eher feinstoffliche, geistig seelische Ebene. Also Sexualität wird zwar bejaht, es gibt keinerlei Verneinung, aber sie wird nicht ausgelebt, sie wird nur transformiert, also nur in Anführungszeichen. Sie wird transformiert in einen, in eine andere Schwingungsebene, also der einzelne Yogi, zunächst mal sind es Yogis, es sind primär auch Männer, das muss man sagen, obwohl auch immer wieder in der Literatur zu lesen ist, es sei eine von weiblichem Weltgefühl bestimmte Haltung, also primär waren es Männer ‒ diese Yogis hatten bestimmte Praktiken entwickelt, wie sie auch für sich alleine, für sich und mit sich, diese feinstofflichen Energien erwecken können, ohne dass sie eine konkrete Sexualpartnerin gebraucht hätten.

Das finden sie heute zum Beispiel im tantrisch-tibetischen Buddhismus, der sogenannten Gelbmützen-Richtung, der der Dalai Lama angehört. Hier wird in dieser Richtung mehrheitlich eine asketische Welthaltung propagiert. Die führenden Lamas und Stammhalter dieser Richtung haben keine sexuellen Kontakte, jedenfalls was diese Richtung betrifft, die sogenannte Gelbmützen-Richtung. Aber in allen Darstellungen, die man findet, auf den sogenannten Tankas, den Rollbildern, im Zentrum der Mandalas oder in vielerlei künstlerischen Darstellungen, sieht man immer Mann und Frau in geschlechtlicher Vereinigung. Das wird auch interpretiert in den Tantras als eine symbolisch-feinstoffliche Vereinigung.

Also, die Frau gilt als Manifestation dessen, was im tibetischen Buddhismus „Prajna“ heißt, Weisheit, und es ist ein System, was darauf abzielt, dem Mann erst einmal primär, theoretisch, konzeptionell auch der Frau, aber primär dem Mann, über eine feinstoffliche Energiearbeit zu höheren Bewusstseinsstufen zu verhelfen. Immer wieder wird gesagt, dass sei keine Verneinung oder Ablehnung der Sexualität, aber sie wird nicht zugelassen. Also die Lamas der Gelbmützen-Sekte, der der Dalai Lama vorsteht, sind asketisch orientiert. Andere Richtungen im tibetischen Buddhismus sind es nicht. Dazu nachher gleich mehr. Also es gibt, ganz vereinfacht gesagt, den linkshändigen Pfad und es gibt den rechtshändigen Pfad. Der linkshändige lebt die Sexualität lebt sie aus, der rechtshändige Pfad bejaht die Sexualität auch konzeptionell, theoretisch, aber sie wird praktisch, sinnlich physisch direkt sublimiert, könnte man sagen mit Freud, wenn das der richtige Begriff sein sollte.

Nun, ich hatte einleitend gesagt, viele glauben heute, Tantra sei eine Sexuallehre. Das ist bis zu einem gewissen Grade auch richtig, weil auch im traditionellen Tantrismus immer wieder darauf hingewiesen wird, dass sich im Männlichen und Weiblichen wie nirgendwo sonst die Ur-Polarität des Kosmos spiegele und unmittelbar physisch, sinnlich, seelisch, geistig erlebbar sei. Also nicht theoretisch, sondern unmittelbar, physisch, sinnlich, konkret. Das heißt, das Männliche und das Weibliche werden, wie ja auch zum Teil [in] der chinesischen Philosophie, gesehen als Grundprinzipien des Universums, die sich in je konkreten Männern bzw. Frauen inkarnieren, und die geschlechtliche Vermischung, die geschlechtliche Verbindung stellt gleichzeitig einen kosmischen, ja einen kosmogonischen, einen weltschöpferischen Akt dar, wiederholt in gewisser Weise die Weltschöpfung im konkret Einzelnen. Also, die Verbindung von Mann und Frau ist ein symbolisches Geschehen, was in jedem Moment immer wieder das Archetypische heraufbeschwört. Also in der tantrischen Verbindung wird das Geschlechtliche vollkommen entindividualisiert. Es bekommt eine archetypische Dimension, und die archetypische Dimension bestimmt auch Wert und Würde dieser Verbindung.

Nun ist das Ganze eingebettet, ich sagte es schon, in ein sehr subtiles ausdifferenziertes Weltanschauungssystem, wenn auch dieses Weltanschauungssystem in keiner Weise das Primäre ist. Worum geht es? Was ist das Ziel dieser tantrischen Weltsicht? Es geht ganz vereinfacht darum, der Mensch sollte erkennen, müsste erkennen, [es] sei seine Aufgabe zu erkennen, dass er ein integraler Bestandteil des Universums, des Kosmos ist und dass es Möglichkeiten gibt, sich dieses Bestandteilseins bewusst zu werden. Der Mensch soll sich bewusst werden, dass er nicht eine isolierte Entität ist, also nicht ein separater Körper, eine vollkommen abgespaltene Einheit ist, sondern dass er mit allem in ständiger Verbindung lebt. Ein wesentlicher Gedanke im Tantrismus ist der Gedanke der Verbundenheit und der Verbindung. Niemand, wird gesagt, sei isoliert, es gäbe keine Separatheit. Wohlgemerkt, denken Sie an das, was ich letztes Mal gesagt habe über die Systemtheorie. Dies wird nicht als ein theoretisch abstraktes Modell hingestellt, sondern als eine existenzielle Erfahrungsmöglichkeit. Das ist wichtig. Es ist eine existenzielle Erfahrungsmöglichkeit, dass der Einzelne realisieren kann, dass er universell verbunden ist. Das wird hier auch in anderer Form im Buddhismus betont, dass das Ego, auch die für sich bestehende separate Körperlichkeit so in der Form, wie wir sie unmittelbar erleben, eine Täuschung ist.

Also die Allverbundenheit soll erlebbar gemacht werden, und es soll ein Zustand heraufbeschworen werden, in dem der Mensch sich begreift als nicht getrennt und zugleich begreift als in einem Zustand, und das ist jetzt immer wieder heraufbeschworen in den Texten, dass der Mensch sich begreift als auf dem Wege zu einem Zustand, in dem er letztendlich immer schon war, den er nie verlassen hat, in dem er wurzelt, der er ist. Das finden Sie dann wieder im Rahmen des tibetischen Buddhismus, in der Figur, in der Denkfigur: Jeder ist Buddha, nicht, wie es Hakuin sagt: Dieser Körper ist der Körper des Buddha, jeder ist Buddha. Es ginge nur darum, dass der Einzelne sich dieser Buddha-Natur erinnert, während ja im traditionellen Hinayana-Buddhismus gesagt wird, der Mensch muss einen ganz langen, einen unendlich langen Weg gehen, bis er irgendwann die Erleuchtungsstufe vielleicht erreichen kann. Hier wird gesagt, der Mensch ist eigentlich schon in der Tiefe dort, wo er hin soll und auch hin will, er müsse sich nur dessen erinnern. Also Erinnerung an die Allverbundenheit. Erinnerung, dass er immer schon dort ist, wo er hin will.

Ein Begriff dann im Sanskrit, der immer wieder verwendet wird, heißt ananda. Ananda heißt Seligkeit, Englisch bliss, Seligkeit. Es ist ein Charakteristikum der hinduistisch-buddhistischen Schriften, nicht nur der tantrischen Schriften, dass davon ausgegangen wird, fast durchgängig, dass die eigentliche Essenz und Substanz des Menschen ananda, Seligkeit sei. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Warum soll denn die Essenz, die Substanz der menschlichen Existenzform Seligkeit sein. Es wird aber angenommen. Ananda ist der Zustand, der auch gleichzeitig die Essenz von allem ist. Alles ist Ananda und alles Leid, alles Böse sind nur Verdunkelungen dieses Ananda. Und Ananda ist auch zugleich die Manifestation dessen, was in all diesen Schriften als „das Eine“ bezeichnet wird. Und da gibt es einen weltanschaulichen kosmologischen Zusammenhang, etwa mit den Upanishaden, den alten Veden oder der Vedanta-Philosophie in Indien, obwohl diese Verbindungen, jetzt mal rein historisch gesehen, undeutlich sind, also sich nicht restfrei festmachen lassen. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen den alten tantrischen Denkfiguren und Erfahrungsmöglichkeiten und den Upanishaden, die ja immer wieder darauf hingewiesen haben: Die Vielheit der Welt, die ungeheure, ausdifferenzierte Vielgestaltigkeit der Welt ist im Grunde genommen Maya. Schlüsselbegriff: Maya, Schein. Das heißt, sie ist jetzt im Sinne der europäisch-abendländischen Philosophie zwar empirische Wirklichkeit, also um einen Begriff zu verwenden, den Kant eingeführt hat, die „empirische Wirklichkeit“, die Erfahrungswirklichkeit, ist aber keine transzendentale und auch keine transzendente Wirklichkeit. Die Vielheit ist also nur, in Anführungszeichen, eine Erscheinungswirklichkeit. In Wirklichkeit sei die Welt eine Einheit. Und auch hier geht es darum, dass sich der Mensch, das betonen ja die Upanishaden unermüdlich, erinnern müsste, dass er dieses Urwesen Brahman selber ist. Atman, die Seele müsse sich erinnern, dass sie Brahman ist, und dann würde sie sich lösen von allen Verstrickungen, leidvollen Verstrickungen an die Sinnenwelt und auch an die Sinnlichkeit.

Das hat immer auch eine asketische Richtung. Also wenn Sie in die Upanishaden hineinschauen, dann finden Sie Hunderte von Formulierungen, ganz im Gegenteil zum Tantrismus, die immer wieder auf das Eine zielen: Kehre Dich ab von der Sinnlichkeit. Liebe, Sinnlichkeit, Sexualität ist Täuschung, ist Schein. Sie führt dich nur hinein sozusagen in den Schlamm, in die Verdunkelung, in das Feuchte, in das Erdhafte. Die alte Gleichsetzung kann man da sehr schön sehen, die ja patriarchal-geschichtlich wirksam gewesen ist: die Frau, also als das Erdhafte, Dunkle, das Nebulöse, das den Mann in seinen wunderbaren Höhenflügen nur stört. Das gilt als Schein, Maya. Ganz im Gegensatz dazu der Tantrismus bei aller weltanschaulichen Ähnlichkeit mit den Upanishaden. Da heißt es immer wieder: Das Weibliche und die Verbindung des Männlichen und Weiblichen ist nicht die Verführung ins Dunkle, ins Schlammige, ins Feuchte, in die Finsternis, sondern im Gegenteil, es kann und soll als ein Vehikel benutzt werden. Aber, da muss man eine Einschränkung machen, die in diesen Texten auch immer wieder vorgeführt wird. Es wird gesagt, warnend, mahnend, Du kannst in diese Zustände hineingehen, du sollst sogar hineingehen, aber, das ist die Warnung, hüte dich, weil diese Zustände bergen die Gefahr, dass du deine klare Bewusstheit und dein Streben nach dem Bewusstsein der Verbundenheit und nach Erleuchtung vergisst. Das soll nicht geschehen. Also dem Tantriker wird zwar angeraten, Sexualität zu praktizieren und zu leben, aber immer mit der Maßgabe oder nach Maßgabe einer ganz hohen Wachheit und Bewusstheit. Nicht ein Sich-mitreißen-lassen, sondern ein Steuern, ein Fokussieren. Und das wird unermüdlich in den Texten auch betont, es ginge darum, die Sexualität zwar zu bejahen, sei es linkshändig oder rechtshändig, aber sie dann doch zu fokussieren und nie aus den Augen zu verlieren: Was ist das eigentliche Ziel des Menschen? Und das ist wichtig. Es ist natürlich vollkommen verständlich und normal und auch wahrlich aus der Geschichte des Abendlandes heraus begreifbar, wenn heute viele Tantrismus erst einmal sehen als eine Lehre, eine Lehre und eine Möglichkeit zu einer nicht-neurotischen Sexualität. Vollkommen verständlich. Und unsere heutigen Begriffe, sagen wir mal aus der Psychologie des 20. Jahrhunderts, jetzt rückgespiegelt in die asiatische Welt, in alte kulturelle Formen Asiens, sind natürlich schwierig. Gab es so etwas wie Neurosen? Hat das nicht dann letztendlich, könnte man modern psychologisierend fragen, dann doch zu heillosen Neurosen geführt bei den Menschen, die das praktiziert haben? Das wissen wir nicht. Es ist schwierig, überhaupt grundsätzlich schwierig, an Menschen der Vergangenheit psychologische Messlatten anzulegen, etwa aus der Psychoanalyse oder sonst was, und den Versuch zu unternehmen, diese Menschen zu verstehen. Letztlich verstehen wir diese Menschen nicht, die sehr weit zurück gelebt haben. Wir können das nicht nachvollziehen, wir können es nur ahnen. Wirklich aus der Tiefe heraus verstehen wir es nicht, auch wenn ein moderner Mensch heute sich jetzt in einer Gruppe von anderen Menschen hinsetzt und macht genau dieses Ritual nach, was in den Schriften dargestellt wird. Es bleiben dann doch moderne Menschen, und da ist dann wirklich die Gefahr gegeben, dass man sich in eine furchtbare psychopathologische Maskerade hineinbegibt. Das ist ein heikler Punkt natürlich, wie weit man überhaupt die Möglichkeit hat, dann diese Dinge nachzumachen, was ja einige Bücher propagieren: Macht das nach bis ins minutiöseste Detail hinein.

Also, im Tantrismus wird die Sexualität bejaht, aber mit dem Auftrag: Sei wachsam. Und das hieß dann natürlich, kann man sagen, patriarchal geprägt, ich sag das meist ein bisschen klischeehaft, weil ich den Begriff eigentlich nicht so mag, weil er zu sehr belastet ist, also patriarchal geprägt für den Mann: Komm nicht zum Orgasmus, ejakuliere nicht, behalte den Samen bei dir, weil, wenn du es doch tust, verlierst du an Geistessenz, was ja auch übrigens nebenbei gesagt, in den daoistischen Lehren dieser Art immer wieder betont wird. Das heißt, es wird angenommen, dass also im männlichen Samen eine spirituelle Essenz verborgen ist, die bewahrt werden muss, die auch zu tun hat mit Bewusstsein als spiritueller Potenz, die aber nicht verschleudert werden darf. Also wird immer wieder gesagt: halte das zurück. Also wenn man so will, ist es ja eine ganz schlichte Liebestechnik, die da angeraten wird. Der Mann soll seinen Samen zurückhalten.

Analoge Aussagen über die Frau gibt es überhaupt nicht. Das ist nun auch interessant, dass es diese Aussagen nicht gibt, was wusste man überhaupt darüber? Über die seelische Innenausstattung überhaupt der Mann-Frau Beziehung in früheren Zeiten, auch in diesen tantrisch-asiatischen Formen wissen wir so gut wie nichts. Was hat das bedeutet für die Menschen ganz konkret z.B. auch für die Frauen? Entsprechende Aussagen für die Frauen finden sich in der alten tantrischen Literatur in dieser Form überhaupt nicht. Auf jeden Fall wird dem Mann also angeraten: Sei wachsam! Halte dich zurück, bleib bewusst. Und dann bist du auch in der Lage, Herr des Geschehens zu sein. Und dann kommt immer noch ein ganz kleiner Verdacht mit ins Spiel, der manchmal auch geäußert wird in diesen Texten: Wenn du das nicht machst, bist du der Frau ausgeliefert, weil die Frau, das wird allerdings auch in den tantrischen Texten betont, die Frau ist im Eros, in dieser Ganzheitserfahrung der geschlechtlichen Verbindung einfach stärker, sie ist mächtiger. Und die einzige Möglichkeit sozusagen, diese größere, auch spirituelle Potenz der Frau auszugleichen, besteht darin, dass der Mann, also sich zurückhält. Also auch eine Warnung steckt da drin, eine zu bedenkende Mahnung. Hinzu kommt, dass in einigen sehr radikalen tantrischen Texten, um das noch zu potenzieren, gesagt wird: Verletze alle Tabus. Also ganz bewusst, wenn die Gesellschaft um dich herum ganz bestimmte Tabus aufbaut, dann wird im Tantra gesagt: Du darfst alles, du kannst alles, und du sollst auch alles tun, weil, es kommt nur auf das Bewusstsein an. Du kannst alles machen, wenn du es mit dem richtigen Bewusstsein machst. Du kannst also alle Tabus brechen. Und so hat es einige Sekten, Gruppierungen auch in Indien und im asiatischen Raum Himalaya, Transhimalaya, gegeben, die ganz bewusst Tabubrecher [waren], die ganz bewusst Tabus gebrochen haben, etwa das Tabu, Alkohol zu trinken in bestimmten rituellen Zusammenhängen oder auch noch andere Dinge; in den Texten zum Teil geht das bis ins Verbrecherische hinein. Das hat die Forscher immer irritiert. Was ist gemeint? Ist das symbolisch gemeint, [ist] das ernsthaft gemeint, dass die Einzelnen aufgefordert werden, auch Verbrechen auszuüben? Das ist heiß diskutiert.

Man kann vermuten, dass das im Wesentlichen symbolisch gemeint sein soll. Obwohl manchmal hat man den Verdacht, dass es nicht nur symbolisch gemeint [war], aber was hieße, dass dann von einigen tantrischen Meistern, auch im tibetischen Buddhismus, den sogenannten Mahasiddhas, wird gesagt, dass sie auch große Schwarzmagier waren, dass sie große, wirklich furchtbare Dinge gemacht haben. Es wird gesagt von dem berühmten Inder Padmasambhava der im 8. Jahrhundert ja nach Tibet geholt wurde, und von vielen anderen wird es gesagt. Sie waren also als Mahasiddhas auch große Magier, Schwarzmagier, sie haben auch furchtbare Dinge gemacht, sie haben auch Verbrechen begangen. Es entzieht sich unserer Kenntnis im Grunde genommen, was das war. Ich vermute, dass es in der Grundrichtung her eher in dieser radikalen Form eine Aufforderung war: Du kannst alles tun, aber die Bewusstheit ist wichtig. Und deswegen ist Tantra im Kern eine Bewusstseinslehre, eine Lehre, die dem Bewusstsein eine ungeheure Aufmerksamkeit abverlangt, denn er soll ja gerade …, das Bewusstsein soll ja in Zuständen, in denen normalerweise eine Absenkung des Bewusstseins passiert, „abaissement du nouveau mental“, wie das so schön heißt, also in denen normalerweise eine Absenkung des Bewusstseinsniveaus passiert, soll der Einzelne total wach bleiben. Also er soll etwas leisten, was normalerweise ja nicht geleistet wird, weil die ekstatische, die entgrenzende orgiastische Erfahrung wird ja so genossen und als so beglückend empfunden, weil sie gerade diese Kontrollinstanz ausklinkt. Das ist ja ein wesentliches Moment für viele überhaupt an der Sexualität, dass dieses Kontrollmoment eben wegfällt. Das wird ja gerade also als das Wichtigste, das Wesentliche gesehen. Und im Tantrismus nicht, da soll erstmal primär die Kontrolle, die Bewusstseinskontrolle, die Fokussierung und die Steuerung durch das Bewusstsein ständig aufrechterhalten werden.

Da kann man sagen modern, psychologisch, was soll das? Kann das dann noch mit irgendwie beglückender Sexualität irgendetwas zu tun haben? Auch die Frage kann man erst einmal offen lassen.

Nun noch mal einen Blick in einen etwas weiteren Horizont, damit auch nicht der Eindruck entsteht, der in vielen Texten vermittelt wird, obwohl er eben irrig ist, dass es nur um die Frage geht: Wie ist es mit der Sexualität? Es geht um einen wesentlich weiter gespannten Bogen. Ich beziehe mich mal hier auf eines der Standardwerke zum Tantrismus von Mookerjee und Khanna „Die Welt des Tantra in Bild und Deutung“, vor zwanzig Jahren erschienen, immer noch ein hervorragendes, eines der besten Bücher zum Tantrismus bis heute. Und hier wird in einer Einleitung der Versuch gemacht, diesen großen kosmologischen Bogen zu spannen, was Tantrismus eigentlich bedeutet. Und ich will da mal zwei Passagen vorlesen, die das ganz schön auf den Punkt bringen, besser als ich das jetzt hier frei paraphrasierend sagen könnte. Ich lese mal zwei Passagen vor von Mookerjee und Khanna, „Die Welt des Tantra in Bild und Deutung“. Ich bin mir nicht sicher, ob das Buch heute noch erhältlich ist. Ich vermute, es ist vergriffen, ich weiß es nicht, 1978 erschienen.

„Im Mittelpunkt der tantrischen Lehren steht die Anschauung, dass die Wirklichkeit eins ist, ein unteilbares Ganzes.“ Das hab ich schon gesagt. „Dies wird Shiva-Shakti genannt.“ Ich lasse das erstmal so stehen, „was kosmisches Bewusstsein bedeutet. Shiva und seine schöpferische Kraft Shakti, das Männliche und das Weibliche, sind ewig miteinander vereint. Der eine kann vom anderen nicht getrennt werden, und das kosmische Bewusstsein ist ausgestattet mit der Urkraft der Entfaltung und Einfaltung des Selbst. Nur auf der Ebene der Relativität können Shiva-Shakti als getrennte Wesenheiten betrachtet werden. Jedes Individuum besitzt die Kraft, das kosmische Bewusstsein zu verwirklichen und ihm gleich zu werden.“ Das hab ich ja schon angedeutet. Es gehört geradezu zur Menschenwürde, wenn man das so sagen will, dass jeder die Möglichkeit hat, zu verstehen, dass er nie getrennt ist, dass er dieses kosmische Bewusstsein nicht nur erwerben kann, dass er es selber ist in der Essenz. „Jedes Individuum besitzt die Kraft, das kosmische Bewusstsein zu verwirklichen und ihm gleich zu werden. Diese Wirklichkeit unmittelbar zu erkennen, ist der Zweck des Tantra.“ Also der Zweck des Tantra, die Realisierung des kosmischen Bewusstseins, was immer das heißen mag. Das kann man zunächst auch erstmal offenlassen. „Das Individuum ist nicht isoliert, sondern integriert in den gesamten Kosmos. Und so ist der Prozess seiner Verwirklichung gleichzeitig die Erfüllung des Selbst. Dies kann nicht durch Methoden der Verneinung oder der Flucht erlangt werden. Um der Gleichung Individuum [und] kosmisches Bewusstsein gewahr zu werden, ist eine innige Symbiose des Individuums mit dem Transzendenten, die Erfahrung der Totalität von Sein und Werden nötig.“ Nicht, das habe ich schon angedeutet, Tantra als eine Lehre der Bejahung, Tantra kennt keine Verneinung. Alles, buchstäblich alles, wird gesagt, kann als Vehikel gelten zur Bewusstwerdung, auch eine furchtbare Erfahrung, eine schreckliche, eine grässliche Erfahrung, oder auch aller Ekel, Abscheu, Wut, Zorn, Aggression. Alle diese Elemente der menschlichen Existenz können nach tantrischer Sicht als Vehikel benutzt werden für das Bewusstsein. Ich meine, das klingt wunderbar, aber wenn man das runterbringt auf die uns in irgendeiner Form geläufige psychologische Ebene, dann fragt man natürlich: Was heißt das dann? Was hieße das dann? ‒ Ich lebe meinen Zorn vollkommen aus oder auch nicht ‒ und bleibe gleichzeitig bewusst. Also kontrolliere den Zorn nicht, sondern gehe in den Zorn rein, bleibe aber wach. Was soll das heißen? Das ist natürlich eine psychologische Gradwanderung, wenn man das mal jetzt misst an der Möglichkeit, wie das im Alltagsbewusstsein realisiert werden kann.

„Jede Manifestation basiert gemäß der tantrischen Lehre auf einem grundlegenden Dualismus.“ Schlecht hier der Begriff, unglücklich, eigentlich ist Polarität gemeint und um Dualismus geht es gerade nicht, denn Dualismus sind zwei sich ausschließende Pole. Polarität sind zwei miteinander verbundene Pole. Also eigentlich muss es hier Polarität heißen. Also jede Manifestation basiert gemäß der tantrischen Lehre auf einen grundlegenden Dualismus ‒ Polarität ist gemeint ‒ „einem männlichen Prinzip, bekannt als Purusha und einem weiblichen Prinzip, bekannt als Prakriti, kosmische Kraft der Natur. Purusha wird identifiziert mit dem kosmischen Bewusstsein, dessen Wesen statisch ist und die transzendentale Ebene darstellt. Wo nur mehr eine ununterscheidbare Einheit ist, spricht man von Shiva als Prakriti. Natur, was ein Synonym für Shakti, weibliche Energie ist.“

Das muss man ein bisschen erläutern. Da unterscheiden sich Hinduismus und Buddhismus erheblich. In den alten hinduistischen Texten, auch wenn sie nicht primär tantrisch orientiert sind, ist die weibliche Energie gerade die aktive Energie, die aktive, gestaltende Energie Shakti. Während in den tantrisch-buddhistischen Überlieferungen und Schriften die weibliche Energie eher das Passive ist, also prajna, Sanskrit, als Weisheit, als das Weibliche im kosmischen Gesamtzusammenhang, ist eher das Passive, das Zurückgenommene, das Gefäß, während im traditionellen Hinduismus, wie gesagt, auch unabhängig vom Tantrismus im engeren Sinne, Shakti das aktive Prinzip bedeutet. In Wahrheit ist die gesamte Welt, die ganze Vielfalt der Sinneserfahrung Shiva-Shakti. Shiva, eine zornvolle Gottheit, auch manchmal als Rudra bezeichnet, taucht dann im tantrischen Buddhismus als Maha-Kala auf, also auch eine Kraft der Zerstörung. Es gibt viele berühmte Shiva-Darstellungen, wo er gezeigt wird, als derjenige, der die Welt zerstampft, der sie auflöst, aber nicht in einem negativen Sinne gesagt, denn Schöpfung, Brahman, die Erhaltung, Vishnu und dann die Zerstampfung der Welt, Shiva, aber nicht als etwas, was destruktiv negativ wäre, sondern im Gegenteil, es wird als ein großer kosmischer Kreislauf gesehen: Die Welt muss aufgelöst werden, damit eine Neuschöpfung möglich ist. Also das wird positiv gesehen. Shiva ist also nicht irgendwie ein Dämon in diesem, sagen wir mal, traditionell religiös dualistischen Sinne.

„Also, in Wahrheit ist die gesamte Welt, die ganze Vielfalt der Sinneserfahrung, Shiva-Shakti, Purusha und Prakriti, männlich und weiblich. Das Ziel des Tantra ist, diese integrale Ganzheit der Polaritäten durch aktive Versenkung zu verwirklichen. Die Polarität zu vereinigen heißt, Shiva-Shakti werden“, wichtig: werden, existenziell, nicht darüber nachdenken, darüber grübeln, wie es denn sein könnte, wenn man Shiva-Shakti wäre, sondern es sein, geeint als Eines. „Während der Erfahrung dieser Einheit wird eine in menschlichen Begriffen unaussprechliche ekstatische Freude, Ananda, erfahren.“ Darüber habe ich schon gesprochen. Sat-chit-ananda, ein wesentlicher Begriff im Hinduismus, ja bis ins 20. Jahrhundert hinein, berühmt geworden auch durch den Lieblingsschüler von Buddha, nicht damit zu verwechseln, der auch Ananda hieß.

Zweites Zitat aus diesem Buch „Die Welt des Tantra in Bild und Deutung“: „Die Kräfte, die das Weltall auf der makroskopischen Ebene beherrschen, regieren das Individuum auf der mikroskopischen Ebene. Laut dem Tantra sind individuelles Sein und universelles Sein eins. Alles, was im Universum existiert, muss auch im individuellen Körper existieren.“ Eine erstaunliche Grundannahme, Grundvoraussetzung, ich lese das nochmal, weil das essenziell wichtig ist, zur Achse dieser ganzen Denkrichtung und Grundhaltung gehört. „Alles, was im Universum existiert, hat, buchstäblich alles, alle Energien, alle Kräfte, alles was es da an Gesetzlichkeit, an wie immer gearteten Konstellierungen im Universum, alles, was im Universum existiert, muss auch im individuellen Körper existieren. Das heißt, der Einzelne hat alles in sich. Er ist in gewisser Weise eine Manifestation des Ganzen. Gelegentlich wird auch vom kosmischen Menschen gesprochen.“

Wir kennen das hier im Abendland zum Teil aus dem Mittelalter, dann durch Paracelsus, die Renaissance-Philosophie, Goethe und die Romantik als die Einheit von Mikrokosmos und Makrokosmos. Obwohl es ja so dezidiert gar nicht ausgeführt ist. Also alles, was im Universum existiert, muss auch im individuellen Körper existieren. Nur so ist es ja möglich, dass der Einzelne tatsächlich Shiva-Shakti existenziell erleben kann. Wenn das nicht so wäre, bliebe das ja nur ein theoretisches Konstrukt. Das ist ja die Grundannahme, dass jeder Mensch tatsächlich in der Lage ist, diese kosmische Dimension unmittelbar zu erfahren. Wenn man das nicht annehmen würde, würde der ganze Tantrismus wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Ich sage immer wieder, es geht nicht um ein theoretisches Konstrukt im Kopf, um Schriften, die man sich anliest, obwohl es auch wichtig ist, also, die tantrischen Schriften sind ja breit gefächert, und es wurde und wird auch ungeheuer viel gelesen, aber das ist nicht das Primäre. Es geht um existenzielle Erfahrung.

„Eines der Haupthindernisse in der Entdeckung dieser essenziellen Einheit zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos liegt in unserer Gewohnheit, die Welt in Einzelteile zu zergliedern, mit dem Resultat, dass wir die Einsicht in die Verflochtenheit dieser Einzelteile und in ihre zugrunde liegende Einheit verlieren.“ Das wissen wir alle, ein beliebtes Verfahren auch des abendländisch analytischen Geistes: erstmal alles auseinanderzunehmen und zu gucken, wenn man alles auseinandergenommen hat, wie es dann noch vielleicht wieder zusammengesetzt werden kann. Theoretisch abstrakt, mathematisch formelhaft, auf jeden Fall wird es erstmal auseinandergenommen. „Der Weg zur Vollendung wird durch die Erkenntnis der Ganzheit, die Menschen im Universum verbindet, bestimmt. Es kommt hinzu, dass sich durch das Erkennen dieser Einheit die Grenze unseres Ichs erweitert und wir von einer einengenden Haltung der Welt gegenüber befreit werden.“ Wahrlich, wenn das lebbar ist. „Während dieses Gefühl erwächst, ist das Äußere und Innere nicht länger im Widerspruch. Sie schließen einander nicht mehr aus und sind auch nicht mehr wirklich verschieden, sondern bilden ein zusammenhängendes Ganzes.“ Das ist ein ganz entscheidender Punkt, den will ich noch kurz sagen vor der Pause, dass Innenwelt und Außenwelt, Innen und Außen, Bewusstsein und materielles Sein in dieser Grundhaltung verschmelzen, zur Einheit werden. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Die Innenwelt ist nicht getrennt von der Außenwelt. Das heißt nicht, dass sie im modernen Sinne reduktionistisch zurückzuführen wäre auf die Außenwelt ‒ das gerade nicht. Aber es gibt eine tiefere Einheit beider und diese tiefere Einheit beider ist bewusstseinsmäßig existenziell zu erfahren. Man kann also in diese tiefen Schicht des Seins hinein, wird angenommen, in diesen Seinsgrund, bevor diese Auszweigung erfolgt von Materie und Geist.

Es gibt da auch eine sehr subtile Elementenlehre im Tantrismus, eine Lehre der Grund- und Ur-Elemente, auch einen spirituellen Atomismus, sehr ausdifferenziert, sehr interessant. Also es gibt eine Ur-Schicht, von der aus diese Gegensätze erwachsen. Der Tantriker, wird gesagt, realisiert, existenziell, seelisch geistig diese Grund- und Ur-Schicht.

Kurz noch das zu Ende, den Passus hier und dann machen wir eine kleine Pause.

„Also, auf diese Weise betrachten die Tantriker das Universum so, als ob es gleichsam in uns bestünde und uns selbst, so als ob wir im Universum bestünden. Es ist jedoch schwierig, das ganze Ausmaß unserer latenten Fähigkeiten zu erkennen, da wir normalerweise nur ein kleines Bruchstück unseres Seins erfahren können. Die äußere Person ist nur eine verkleinerte Projektion unseres größeren inneren Selbst. Ein unermessliches Reservoir latenter Kräfte wartet darauf, entdeckt zu werden. Der menschliche Körper mit seinen psychischen und biologischen Funktionen ist ein Vehikel, durch das die schlafende psychische Energie, Kundalini Shakti ‒ hier tritt der berühmte Begriff der Kundalini auf ‒ erweckt werden kann, um sich schließlich mit dem kosmischen Bewusstsein, nämlich Shiva, zu vereinen.“

Also die Grundprämisse ist, dass jeder Mensch diese Bewusstseinsdimensionen tatsächlich in sich trägt. Es gibt also nicht diese Erkenntnisbegrenzung, dass der Mensch etwa eingemauert wäre und reduziert wäre auf einen winzigen Weltausschnitt, mit dem er die Welt betrachtet, sondern der Mensch ist potenziell in der Lage, das eigene Bewusstsein zu weiten und tatsächlich zu diesen Energien und Gesetzen des Universums vorzustoßen. Das ist die Grundprämisse, darüber kann man dann reden, ob das haltbar ist, ob das tragfähig ist, aber davon wird ausgegangen. So kann der Mensch in gewisser Weise als der kosmische Mensch diese Grundelemente des Universums in sich realisieren, als ein nicht getrennter, als ein nicht getrenntes Bewusstseinswesen.

Ich mach mal eine kleine Pause hier.

…zuletzt genannt habe. Die Grundprämisse, ohne die letztlich dieses tantrische Universum, dieses tantrische Weltsystem und auch die tantrische Praxis gar nicht funktionieren würde, ist die Annahme dieser genannten inneren existenziellen Identität von Makrokosmos und Mikrokosmos. Davon muss man ausgehen, davon wird im Tantrismus auch ausgegangen. Das heißt, der einzelne Mensch trägt in sich sämtliche Energien, sämtliche Kräfte, sämtliche Konstellationen, sämtliche Gesetze des Universums ‒ jetzt. Er ist in gewisser Weise dieses Universum selbst. Der Mensch ist ein kleines Universum und das Universum als Ganzes ist in gewisser Weise das, was einmal Novalis in seinen „Fragmenten“ vor 200 Jahren als Makro-Anthropos bezeichnet hat.

Der Mensch hat das Universum als Makro-Anthropos, als großer Mensch, nicht in einem naiven, anthropomorphen Sinne, im Sinne der Projektion, das ist ja der moderne Mensch, der schnell ist bei der Hand zu sagen, na ja, das sind typisch anthropomorphe Projektionen menschlicher Züge in ein vollkommen andersartiges Weltall hinein. Da muss man vorsichtig sein, nicht zu schnell jetzt mit irgendwelchen, sagen wir mal, auch psychologischen Kriterien zu operieren. Man kann das zunächst auch mal, finde ich, phänomenologisch so hinnehmen und zur Kenntnis nehmen.

Ich habe im Moment in der Pause überlegt, weil es noch so ungeheuer vieles [gibt] und so weit gespannt [werden kann], was ich jetzt erst einmal weglasse für heute und dann im nächsten Mal nochmal bringe. Ich habe einige Begriffe an die Tafel geschrieben, die zentralen Begriffe sind für diesen Kontext Shiva-Shakti, die habe ich schon genannt. Ich sage es noch mal, Shakti gilt in diesem Zusammenhang als die weibliche Energie des Universums, als eine aktive Energie im hinduistischen Tantrismus. Ich muss auch noch kurz sagen, also, Tantrismus ist weder hinduistisch noch buddhistisch, ist eine Grundströmung, die sich in irgendeiner Form verbunden hat, amalgamiert hat, mit dem Hinduismus und andersartig mit dem Buddhismus. Es hat eine gewisse Verschmelzung stattgefunden, eine Annäherung, ohne dass das zur Identität geworden wäre. Der größte Abstand vom traditionellen Tantrismus zu buddhistischen Formen ist eigentlich in dem tantrisch-tibetischen Buddhismus der Gelbmützen-Sekte, wo nur noch von symbolisch-feinstofflichen Imaginationen die Rede ist. Also wenn der Dalai Lama zum Beispiel redet über das letzte große Tantra, das sogenannte Kalachakra Tantra, das tut er ja weltweit, es gibt ja auch Initiationen, dann sieht man da in der Mitte dieses riesigen Tankas, es wird oft aufgehängt, hinter ihm, ein Paar im Geschlechtsakt. Aber diese sinnlich physische Unmittelbarkeit dieser geschlechtlichen Verbindung spielt überhaupt keine Rolle in dem, was da vermittelt wird. Das ist nur rein symbolisch-imaginativ, feinstofflich. Darauf angesprochen sagt er dann, es gehe nicht darum, die Sinnlichkeit in irgendeiner Form zu verneinen. Aber es geht um eine bestimmte Art von feinstofflicher, bewusstseinsmäßiger Arbeit. Also prajna, im tibetischen Buddhismus eher das passive Prinzip in diesem hinduistisch orientierten Tantrismus Shakti, das schöpferische, das aktive Prinzip. Und diese vier Begriffe, die hier an der Tafel stehen, sind Schlüsselbegriffe für die tantrische Praxis.

Ich wollte eigentlich noch ein Bild mitbringen und an die Wand hängen. Der Regen hat mich davon abgehalten, ein Tanka mal ihnen mitzubringen und hier aufzuhängen. So habe ich nur ein altes Kalenderblatt abgerissen, was vielleicht gar nicht so eindrucksvoll ist. Das ist einfach ein sogenanntes Mandala, ein Mandala, Sanskrit, Kreis, einfach eine kreisförmige Meditationsfigur, von der angenommen wird, dass sie die spirituellen Energien in bestimmter Weise bündeln kann, also in der Mitte ein Quadrat, eine Art Tempel, vier Himmelsrichtungen, sehr subtiles System. Darauf muss ich jetzt im Einzelnen hier gar nicht eingehen. Ein Meditationsdiagramm. Anders sind die so genannten Yantras, die primär im Hinduismus verwendet werden, eher geometrische Formen, nicht so sinnlich, farbig wie etwa hier dieses Mandala. Aber das Mandala als eine Kreisfigur zur Konzentrierung der spirituellen Energie ist insofern symptomatisch, als es zeigt, wie die Energien kanalisiert und gebündelt werden sollen. Es geht letztlich um eine Kanalisierung dieser Energien, zunächst einmal im Leib, wobei Leib, der physische Körper, in Verbindung mit dem sogenannten feinstofflichen Körper ist.

Das ist eine Grundannahme im Tantrismus, die man übrigens weltweit findet, in verschiedensten Kulturen, dass der physische Körper ein Pendant hat, eine Art Doppelgänger. Der Bardo-Körper, heißt es im tibetischen Buddhismus, der auch eine Art Formalprinzip ist für die Leibes-Organisation, aber auch wahrgenommen werden kann, also noch zwischen Geist, seelischem und physischem Körper, also eine mittlere Zone darstellt. Also der feinstoffliche Körper ist ein Vorbild, ein Urbild, eine Prägeform des physischen Körpers und alle Organe im physisch sinnlichen Körper, so wird angenommen, haben ihre Entsprechungen in diesem sogenannten feinstofflichen Körper, alle Organe, und werden in ihrer Funktionsfähigkeit überhaupt bestimmt von diesem sogenannten feinstofflichen Körper, was die Anthroposophen zum Beispiel als Ätherleib bezeichnen und das ein bisschen auch in das, was sie dann Astralleib nennen, übergeht. Also davon wird ausgegangen. Und die Arbeit mit diesen Energien ist eine Arbeit, die streng ritualisiert ist, also bis ins Detail hinein. Bis in jede Einzelheit hinein ist die tantrische Bewusstseinsarbeit ritualisiert.

Nun könnte man natürlich sagen, das will ich hier in Parenthese vermerken, warum eigentlich? Wenn vom Tantriker erwartet wird, dass er diese hohe Bewusstseinsstufe hat, muss er sich doch nicht fesseln durch diese so genau ausgearbeiteten Rituale, das ist doch eine Einschränkung ‒ sehr wohl. Das würde jeder Tantriker sagen und hat es auch früher gesagt, diese Rituale sind eine Einschränkung. Sie sind aber auch eine Hilfe, weil, es wird nicht davon ausgegangen, dass der Einzelne so ohne Weiteres in der Lage wäre, ohne diese Rituale diese Bewusstseinsarbeit zu leisten. Also diese Rituale sind ein Hilfsmittel. Sie helfen dem Einzelnen und nehmen ihn auch aus der Vereinzelung heraus. Und es ist ja, das wissen wir ja alle auch heute ein ein wesentliches Moment der Moderne, dass Rituale in der Geschichte, gewachsene Rituale, zunehmend ausgehöhlt sind oder vollkommen sinnentleert sind und einfach nur noch Hülsen sind, und dass es darauf ankommt, das Rituelle wieder mit Leben zu füllen. Darum geht es also.

All diese tantrischen Vorgänge sind streng ritualisiert bis ins Kleinste, welche Räucherstäbchen verwendet werden, wie gesessen wird, wer wem gegenüber sitzt, wie der Raum ausgestattet ist, welche Zeit verwendet wird, welche Tageszeit z.B., alles streng ritualisiert. Und im traditionellen Tantrismus, wie übrigens auch in den meisten asiatischen Strömungen, wird davon ausgegangen, dass der Einzelne ohne die Hilfe eines spirituellen Führers nichts darstellt, also dass er das nicht realisieren kann, es bedarf des sogenannten Guru. Nun wissen wir, seit Maharishi Mahesh Yogi vor 30 Jahren zum Guru der Beatles wurde und diese Guru-Welle den Westen überschwappt hat, welche Auswüchse auch an Missbrauch und Verbiegung der ganze Tantrismus mit sich gebracht hat, das liegt auf der Hand, das ist unverkennbar. Trotzdem muss man sagen, oder vielleicht gerade deswegen muss man sagen, dass die tantrische Praxis eine Guru-Praxis ist, wird immer wieder gesagt: alleine kannst du es nicht. Es wäre nicht sinnvoll für dich, es alleine zu tun. Nicht dass es gar nicht möglich wäre, aber es wird immer wieder gesagt, es bedürfte eines bestimmten Bewusstseinszustandes, den der normale Mensch gemeinhin einfach nicht hat, wenn er diese Energien sozusagen im Alleingang heraufbeschwört. Es wird immer wieder gesagt, dann könnte ihn das in psychopathologische Zustände hineintreiben. Dass das möglich ist, zeigt etwa das Beispiel von Gopi Krishna, einem berühmten indischen Gelehrten, der auch ein Freund von Carl Friedrich von Weizsäcker war, der berichtet, dass er eine solche ekstatische Kundalini-Erfahrung spontan, ohne dass er darauf vorbereitet war, plötzlich hatte und wirklich an die Grenze des Irrsinns getrieben worden ist, eine wirklich psychopathologische Entladung stattgefunden hat mit Licht-Explosionen und so weiter, aber nicht integriert, zunächst nicht integriert. Und davor wird immer wieder gewarnt. Man soll vorsichtig sein mit diesen Dingen, weil sie wirklich funktionieren. Davon wird ausgegangen. Ein Buch übrigens, das will ich nur in Parenthese sagen, was von dem ich weiß, dass es nicht mehr aufgelegt wird, was aber wichtig ist, weil es ein kritisches Buch ist, Benjamin Walker, „Tantrismus ‒ die geheimen Lehren und Praktiken des linkshändigen Pfades“. Der hat mehrere Kapitel, die Warnungen beinhalten vor leichtfertigem Umgang aus Gier mit diesen Energien, vor ungeschultem und gierigem Umgang. Das ist ja verbreitet heute und auch verständlich. Das muss man gar nicht jetzt mal moralisch irgendwie verurteilen, dass viele Menschen sich orientieren an vielen Texten, die sie dann gelesen haben und dann denken: warum mache ich es nicht mal selber? Ich probiere es einfach mal aus, was ja vollkommen in Ordnung ist.

Aber man muss wissen, dass die Dinge eine eigene innere Dynamik haben, die irgendwann ein Punkt erreichen kann, wo sie nicht mehr steuerbar ist. Und davor warnt hier Benjamin Walker. Er will Beispiele kennen und schreibt auch darüber von Menschen, die also in extreme psychopathologische Zustände auf diese Weise hineingeraten sind. Ganz abgesehen davon, dass natürlich der Autosuggestion Tür und Tor geöffnet ist. Das gilt für diese Vorgänge ja insgesamt. Wer gelesen hat, dass es möglich ist, diese feinstoffliche Energiearbeit zu vollführen, etwa auch mit den sogenannten Energiezentren, den Chakras, und da sich hineinimaginiert, dem kommt das plötzlich dann ganz plausibel und selbstverständlich vor. Er hat das Gefühl, er nimmt das direkt wahr, obwohl das extrem schwierig ist, auch nur in den Vorhof einer wirklich echten Erfahrung in dieser Richtung zu kommen. Und das ist eine Gradwanderung, dass man da in so eine autosuggestive Geschichte reinkommt, wo man überhaupt nicht mehr weiß, was eigentlich gespielt wird. Was ja auch nicht unbedingt von Nachteil sein muss. Man muss es ja nicht moralisch verdammen, aber man muss einfach wissen, was man tut.

Also Tantrismus ist schon ein Instrument, ein Instrumentarium, das mit Bedacht angegangen sein will. Mantras sind einfach bestimmte Klänge, meistens Wörter oder Sätze oder auch nur Silben, die man rituell wiederholt. In der Grundannahme, dass man mittels der Klangqualitäten dieser Wörter, Silben oder Sätze sich quasi hineinbegibt in die Klangstruktur des Universums, das ist die Grundannahme, dass alles, das aus dem Ur-Äther, der in gewisser Weise als mit dem Raum identisch angesehen wird, bestimmte Klangmanifestationen erwachsen vor aller Materie, noch vor dem Licht, Klang ‒ Licht, feinstoffliche Materie ‒ grobstoffliche Materie, also ein Herauswachsen aus dem Äther-Raum, auch als Akasha bezeichnet, wird oft gleichgesetzt im Tantrismus, der Raum mit diesem Ur-Medium, was seit der griechischen Antike bei uns als Äther bezeichnet wird, in Asien, im Sanskrit als Akasha und Akasha hat zu tun mit Strahlung.

Natürlich hat es an Versuchen nicht gefehlt, das nun in Verbindung zu bringen mit bestimmten Vorstellungen, etwa der modernen Physik. Das tun auch diese beiden Autoren hier, Mookerjee und Khanna; fast etwas übertrieben. Es zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch, ständig die Vergleiche mit der abendländisch westlichen Naturwissenschaft. Was sagen denn die? Wie ist es denn dort? Und diese Standardsätze, die mich immer etwas herabstimmen, dass man dann solche Phänomene anführt und dann, ja, wir haben auch erkannt; und sie haben schon vorausgesehen, was wir heute wissen. Also geschenkt. Aber an solchen Sätzen ist kein Mangel. Es ist in diesen Büchern häufig. Man will also darauf hinweisen es ist keine Spinnerei, sondern wir sind ja auch schon da, irgendwie wissenschaftlich, theoretisch.

Das ist immer etwas verzweifelt, der Versuch, obwohl auch ein Stück weit berechtigt, also das ist auch in diesem Buch enthalten, dieser ständige Vergleich mit bestimmten, für avanciert gehaltenen Vorstellungen der modernen Kosmologie oder Physik. Also das meinte das Mantra. Mantra ist also eine bestimmter Klangfiguration, von der angenommen wird, wenn man sie hunderttausende Male wiederholt, hunderttausende Male, dass man dann irgendwann sich einstimmt in eine bestimmte Ebene der kosmischen Wirklichkeit. Mudra, wäre noch zu erwähnen, auch als eine zentrale Vorstellung im Tantrismus, aber nicht nur im Tantrismus, auch im traditionellen Buddhismus und im traditionellen Hinduismus, ein bestimmte Handhaltung, die Energien des feinstofflichen Körpers kanalisieren soll. In ganz bestimmter Weise werden die Hände gehalten, und dann soll der Energiefluss kanalisiert werden.

Das können Sie ja auch im Abendland, sage ich jetzt mal, in ähnlichem Duktus etwa die Segnungsgeste zum Beispiel oder die Begrüßungsgeste mit offenen Handflächen. All diese Gesten sind ja Ur-Gesten menschlichen, kulturellen, gesellschaftlichen Zusammenseins überhaupt, die ganz bestimmte … oder die, wenn man hier im Abendland, oder ich weiß nicht, ob das in allen Ländern so ist, etwas besonders herausstreichen will, das ist ganz toll, es ist ja eine Geste, eine reinste Mudra, nicht, also die Lotus Mudra. Also, wo immer das nun herkommt, und ob das asiatische Einflüsse sind oder nicht, es ist eigenartig, dass es das in gewisser Weise ja auch bei uns gibt. Also Mudras sind Handzeichen, oft auch verwendet für Ganzkörperzeichen, dann, was man im Yoga als die sogenannten Asanas bezeichnet, also Körperhaltungen, von denen man ja auch annimmt, dass sie den Energiefluss kanalisieren, ist ja das Wesen des Yoga, dass man den Körper in bestimmte Positionen bringt, um auf diese Weise die feinstofflichen Energien zu kanalisieren. Man könnte ja auch sagen, warum denn überhaupt? Ich kann doch auch laufen, oder ich kann doch liegen oder Musik hören oder durch den Wald laufen ‒ warum muss ich dann diese Körperverrenkungen machen? Es wird aber angenommen, dass diese bestimmten Asanas, Ganzkörper-Mudras, diese feinstofflichen Energien bündeln und auch im Sexuell-Erotischen bündeln. Also ganz bestimmte Asanas, auch sexuelle Asanas, die den Energiefluss in besonderer Weise kanalisieren sollen. Das findet man ja auf ganz vielen Tanka-Abbildungen auch, unter anderem auch auf dem sogenannten Kalachakra Tantra [Tanka].

Mandalas, habe ich schon gesagt, sind Meditationskreise, wenn man so will, von denen angenommen wird, und das weiß man ja auch aus der Tiefenpsychologie, dass sie eine bestimmte archaische oder besser archetypische Funktion haben. Vielleicht wissen Sie das, weil jetzt wieder mal über Freud geredet wird, ob das nicht alles ein einziger Hokuspokus ist, die ganze Psychoanalyse nicht ein Fake ist, das alles ganz falsch ist. Als sich C.G. Jung, der bedeutende Schüler von Freud, von Freud abgetrennt hat, sich von ihm gelöst hat, kam eine sehr große Krise, ich glaube 1912/13. Man hat dann angefangen in dieser Krise, vollkommen spontan, Mandalas zu malen. Er war der erste, der therapeutisch Mandalas malte, und das ist ja bis heute in der Psychotherapie gang und gäbe, dass man die Patienten dann Mandalas malen lässt, in der Hoffnung, dass man aufgrund dieser Konfiguration und der verwendeten Farben und Formen Rückschlüsse ziehen kann auf die Psyche. Ich bin da eher skeptisch bei dieser Geschichte, aber es wird gemacht und etwas von diesem tiefenpsychologischen Wissen scheint auch im Tantrismus vorhanden zu sein, also im sogenannten Mandala.

Und dann die Ritualisierung, ich sagte, ist nicht ohne den Guru denkbar. Es wird immer wieder davor gewarnt, solche Rituale im Eigenverfahren durchzuführen. Der Guru wird als unabdingbar gesetzt. Im tibetisch-tantrischen Buddhismus wird sogar gesagt, der Guru, sprich dieser besondere Lama, wer immer es nun sei, es muss ja nicht der Dalai Lama sein, repräsentiert den Buddha, ist in gewisser Weise die sinnliche Repräsentanz der Buddha-Energie. Und deswegen ist er ein Stück weit dann auch als diese Buddha-Energie fähig und in der Lage und berechtigt, seinem Schüler Auflagen zu erteilen, auch wenn diese Auflagen extrem sind. Also, ich sprach schon über die Auswüchse des Guruismus, die ja bekannt sind: Einbuße an Kritikfähigkeit, und die abendländische Rationalität wird einfach über Bord geworfen, weil man das Gefühl hat als Westler, nun hat man endlich mal was gefunden, eine richtige Power, und die abendländische Rationalität ist unwichtig, ist einfach aus den Angeln gehoben ‒ so scheint es.

Natürlich ist es nicht so. Und auch viele der Individuen, die sich einem solchen Guru anvertrauen, fallen dann letztlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder zurück in ihre doch in langen Jahrhunderten gewachsene abendländische Rationalität. Also ohne Weiteres ist die abendländische Rationalität da nicht auszuklinken. Aber zunächst erstmal wird davon ausgegangen, dass das möglich ist. Der Mookerjee beschreibt vier Facetten dieser Rituale sehr eingehend. Er nennt die Reinigung und Heiligung, der erste Schritt, um die Bedingtheit einer tief eingeprägten und programmierten Haltung gegenüber dem eigenen Körper aufzulösen, besteht aus einer hypothetischen Umwandlung des grobstofflichen Körpers in den feinstofflichen Körper, so dass die Hindernisse, die ihn bedrängen, aufgehoben werden. Der Körper wird durch physisches Training und bestimmte Körperhaltung angeregt, so dass er bewusst das träge Stadium verlassen kann und nach dem Ebenbild der Gottheit gereinigt und geheiligt wird. Also in strengem Ritual wird der Körper, psychologisch gesagt, selbstsuggestiv daraufhin programmiert.

Dann, zweite Etappe, Identifikation und Verinnerlichung. Dieser Schritt besteht in der Erfahrung der Integration einer Verfassung, die aufgrund einer unbewussten, engen Verbindung der Eingeweihte eins mit dem Objekt seiner Hingabe wird. Das ist ganz extrem ja in Teilen des tantrischen Buddhismus, dass man eine bestimmte Meditations-Gottheit, eine Energie so sehr visualisiert, imaginativ sich vorstellt, quasi mit ihr verschmilzt. Man wird zu ihr. Das wird angenommen, also die imaginative Identifikation des Meditierenden mit dem Bild der Meditation. Die Identifikation besteht aus einer Projektion nach innen. Das bedeutet, dass das Objekt der Anbetung wie ein Teil des eigenen Selbst behandelt wird. Dann, Harmonie, Gleichgewicht. Die Harmonie ist die Voraussetzung für die Verwirklichung. Harmonie ist der mittlere, das Gleichgewicht herstellende Punkt zwischen zwei Extremen, eine Brücke zwischen den Gegensätzen. Man findet ihn zwischen höheren und niedrigeren Energiezentren, zwischen positiv geladenen solaren und negativ geladenen lunaren Strömen, zwischen den Plus- und Minus-Kräften, die sich im Körper als männlich und weiblich, als bewusst und unbewusst manifestieren. Dann wird auch mal auf das Mantra verwiesen, auf die Arbeit mit den Klängen.

Schließlich vierte Stufe, das ist angestrebt: verschmelzen mit der Einheit, durch Ausbalancieren der gezielten Wechselwirkung wird eine neue Qualität geboren. Sie kann auch als das Unteilbare oder das Ganzheitliche beschrieben werden, mit dem der Prozess der Selbstverwirklichung abschließt. Die Erfahrung dieser Seligkeit, Englisch bliss, Ananda, und die Frage ist natürlich bei diesem Zustand dann immer, wird auch in der Literatur immer wieder gestellt: Was ist dann, wenn so eine Erfahrung tatsächlich passiert? Hält sie vor oder ist sie am nächsten Tag wieder vorbei wie eine Drogen-Erfahrung? Was bedeutet das für den Betreffenden, wenn er das tatsächlich erlebt? Kann er das in sein normales Leben integrieren? Ist er dann auf einer höheren Stufe oder hat er nur eine kurzzeitige, einen Schlenker sozusagen, eine Ausbuchtung erfahren, kommt aber wieder auf seinem Bewusstseinsniveau an?

Also eine wichtige Frage bei diesen Zuständen generell, wie wirkt sich das aus auf die Psyche, auch dann auf die psychologische Integration. Was macht der Einzelne mit diesen Erfahrungen, die ja ekstatisch ungeheuerlich sein können? Aber was macht er morgen und übermorgen damit? Wie lebt er damit? Wie beeinflusst ihn das? Wie kann er das integrieren? Eine ja zentral wichtige Frage, die häufig genug dann auch nicht so gestellt wird, wie sie eigentlich gestellt werden müsste. Das ist das Wesentliche. Und sonst könnte man sagen, es ist ja nur eine Suche nach grenzüberschreitenden, ekstatischen Seligkeits-Erfahrungen, was ja auch wunderbar ist, dagegen ist ja nichts einzuwenden. Aber wo bleibt dann die Integration, die ja auch geleistet werden muss?

Und also der Grundansatz, um noch mal den Bogen zurück zu spannen, ist nicht nur die Identität von Makrokosmos und Mikrokosmos, ist die Aufforderung und die Mahnung, dass alles auf das Bewusstsein ankommt. Das möchte ich nochmal klar betonen. Tantrismus ist eine Bewusstseins-Lehre. Es kommt alles auf die Qualität, auf die Wachheit, auf die Dimension des Bewusstseins an. Und wenn man dann noch einen Schritt weiter geht, und das sagen auch einige, dann kann man alle Rituale vergessen. Wenn man eine bestimmte Bewusstseinsdimension erreicht hat, dann kann man alles fallen lassen an Bindung und Einengung und Ritualisierung, aber nur dann. Aber wer entscheidet, wann diese Stufe er­reicht ist? Aber wesentlich ist Bewusstsein.

Und eine nächste Frage ist natürlich für einen Europäer oder Abendländer, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, um jetzt noch mal auf die Bewusstseinsentwicklung einzugehen, von der ich ja häufig spreche in diesen Vorlesungen, kann man eine Antwort finden auf die Frage, wenn man es denn überhaupt möchte: Auf welcher Ebene sind dann derartige Erfahrungen eigentlich angesiedelt? Ist das eine vormentale Stufe, letztlich eine rudimentäre Energie-Erfahrung, die noch gar nicht vorgestoßen ist zu der Ebene des Selbst? Das vermutet in einigen seiner Bücher Ken Wilber, zum Beispiel in dem berühmten Buch “Up from Eden” ‒ “Halbzeit der Evolution” ‒ äußert er sich an mehreren Stellen zu diesen Erfahrungen. Er sagt, dass diese Kundalini-Erfahrungen, in den tantrischen Kundalini-Erfahrungen, letztlich eine sehr frühe Stufe sind. Eine frühe Stufe, die auch der Integration bedarf, die man aber nicht verwechseln sollte mit sehr hohen transzendenten Stufen. Oder man müsste sehr genau hinschauen, worum es eigentlich geht.

Ich habe das im Winter in einer Vorlesung Ihnen auch mal gezeigt im Zusammenhang mit dem Schamanismus, an dem Unterschied, den Wilber macht zwischen der Großen Göttin und der Großen Mutter. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen noch vertiefen. Für ihn war ja die große Göttin, die Erdmutter, eher ein Eingebettet-Sein des Selbst in einen Ganzheitszusammenhang, ein ganzer Zusammenhang, der das Selbst bindet und zurücknimmt, während die große Göttin eine transzendente Stufe ist. Es wird natürlich angenommen im Tantrismus, dass der Einzelne diese hohe Stufe erreicht. Aber wer garantiert, sage ich mal in Anführungszeichen, dafür, dass der Einzelne dann [nicht] doch letztlich in einer quasi regressiven Stufe verbleibt, in einer bestimmten Form von ekstatischer entgrenzender Erfahrung, die ihn bewusstseinsmäßig keinen Millimeter weiterbringt. Kritisch mal jetzt gesagt, in gewisser Weise mit Anführungszeichen, gesagt. Das bleibt eine schwierige Angelegenheit, und ich will dann ja auch nächste Woche noch eingehender darüber sprechen, wie diese tantrischen Figuren, wie das tantrische Universum sich dann auch an abendländisch-westlichem Denken spiegelt. Und das muss man im Auge behalten. Das soll nicht eine distanzierende Haltung jetzt zum Ausdruck bringen, sondern ein gewisses Augenmerk darauf richten, dass man doch bedenken sollte, was da geschieht. Und es ist sicherlich wichtig, in diese Zustände reinzugehen, wahrscheinlich sogar therapeutisch unverzichtbar. Aber sie sind eine Stufe, und es gibt andere Stufen und Stufen, die der Integration bedürfen. Insofern will ich erst einmal an der Stelle jetzt abschließen und das Gespräch öffnen. Ich will noch mal in ein paar kurzen Sätzen thesenhaft sagen, damit das noch mal so gleichsam in Druckbuchstaben, in großen Buchstaben hier im Raum steht, noch mal thesenhaft auf den Punkt bringen:

Also, der Tantrismus geht davon aus, dass die Welt eine Einheit ist, dass in jedem Teil der Welt sich diese Einheit widerspiegelt, dass die Polarität der Welt sich im Letzten zurückführen lässt auf die Einheit. Dass jeder Mensch im Prinzip in der Lage ist, eine Ganzheitserfahrung zu machen, dass jeder Mensch als Mikrokosmos letztlich das ganze Universum nicht nur spiegelt, sondern mit ihm identisch ist, ja, wichtig ‒ Der Mensch ist das Universum in Gänze, er ist ein kleines Universum. Umgekehrt ist das Universum in gewisser Weise, wie Novalis sagt, ein Makro-Anthropos, und der Tantrismus ist eine Lehre, die eine universelle Bejahung versucht. Es gibt kein Nein. Wenn man überhaupt ein Nein herausfiltern möchte, dann wäre es allenfalls das Nein der Unbewusstheit. Also alles, was mit Bewusstheit zu tun hat, wird bejaht. Wenn ein Nein, dann ist es nur Unbewusstheit. Das wird in gewisser Weise verneint oder als eine Richtung ausgewiesen, die dem Einzelnen nur schadet. Wie im Buddhismus, wo es ja auch den Begriff der Sünde nicht gibt, sondern nur der Unbewusstheit. Du kannst das machen, wenn du das möchtest, hindert dich keiner daran, aber du musst die Konsequenzen tragen. Diese Unbewusstheit wird karmische Auswirkungen haben. Es gibt nicht den Begriff der Sünde. Alles ist erlaubt, wenn es mit Bewusstsein durchdrungen ist.

Und nochmal der letzte Punkt: Es ist eine Lehre, die den Versuch macht, Innenwelt und Außenwelt zusammenzubringen, also diese furchtbare Kluft zu überwinden, die zwischen der menschlichen Innenperspektive und der äußeren Welt besteht. Das ist ein wichtiger Punkt. Also Innenwelt und Außenwelt werden zusammen gesehen und werden als eins gesehen in der Tiefe. Das heißt nicht, dass eines auf das andere zurückführbar wäre. Es gibt eine letzte Schicht, wo beide, Materie und Geist, wieder zusammenfließen und die ist kontaktierbar in der Tiefenmeditation, so wird behauptet. Ja, das zum Tantrischen in großen Zügen.

Vielleicht kann man noch ein bisschen ins Gespräch gehen, wenn Sie möchten. Letztes Mal bei der Systemtheorie hat keiner etwas gesagt um Acht.

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