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Vom Ursprung der Formen in der Natur

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff

Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 42

Transkript als PDF:


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Ich habe Ihnen in der letzten, schon in der vorletzten Vorlesung gesagt, dass diese drei Vorlesungen heute, vor einer Woche und vor 14 Tagen in gewisser Weise eine Einheit darstellen, das heißt, thematisch ganz eng miteinander verflochten sind und aufeinander verweisen, sich ineinander spiegeln. Ich hatte Ihnen ja vor 14 Tagen zu erläutern versucht, wie man das Aufsteigen der Säfte in den Pflanzen, etwa in den Bäumen, Wachstums­prozesse jetzt mal vertikaler Art überhaupt deuten kann als eine große Pulsations­bewegung des Gestirns Erde; Levitation, Gravitation und so weiter, vermittelt über das kosmische Licht. Und in der letzten Vorlesung ging es um die Frage eines anderen oder höheren Raumes. Wir haben uns unterhalten über einen sogenannten prädimensionalen Raum im Sinne der Leibphilosophie von Hermann Schmitz, festgemacht vor allen Dingen an der Polarität von Enge und Weite, dem zunächst einmal bekannten vertrauten dimensio­nalen Raum und einem sogenannten transdimensionalen Raum. Der Begriff „transdimen­sionaler Raum“ hat nichts zu tun mit mathematisch-physikalischen Spekulationen über höhere Raumdimensionen. Das habe ich mehrfach angedeutet, und ich lege auch hier noch einmal Wert darauf, das festzuhalten, als [dass] es auf diesem Gebiet primär um die existenzielle, um die empirische, um die wirklich erlebbare Dimension geht. Und das ist immer grundsätzlich etwas Anderes als eine modellmäßig fassbare, in diesem Sinne objektivierbare, wissenschaftlich beschreibbare Schicht der Dinge.

Jemand hat mich nach der letzten Vorlesung, nicht im Plenum, aber hier vorne dann gefragt, wie man in diesem Zusammenhang dessen, dass ich ausgeführt hatte, die Vor­stellung einbeziehen oder einordnen kann, was denn der Mensch im vorgeburtlichen Raum sei? Also die Frage des vorgeburtlichen Raums. Ich will versuchen, weil die Frage von grundsätzlichem Interesse ist, darauf kurz einzugehen.

Nun kann man vorgeburtlichen Raum in zweierlei Weise begreifen. Man kann das zunächst einmal begreifen als den vorgeburtlichen Raum im Mutterleib, also den soge­nannten intra-uterinen Raum, wie das gemeinhin genannt wird. Und dann die Frage stellen: Wie empfindet der Embryo bzw. Fötus den Raum, in den er mittels einer Flüssigkeit eingelagert ist? Und was bedeutet das für seinen Bewusstwerdungs-, Ichfindungs-Prozess?Sie wissen vielleicht, dass über diese Dinge sehr eingehend geforscht hat der kürzlich verstorbene französische HNO-Arzt und Pionier psycho-akustischer Grundlagenforschung, Alfred Tomatis. Ich habe ja hier vor zwei Jahren, am Ende des Sommersemester über diese Dinge auch ausführlich gesprochen. Und Alfred Tomatis hat hierzu sehr viel gesagt. „Klangraum Mutterleib“ zum Beispiel als eines seiner Bücher. Er hat versucht, diesen intra-uterinen Raum existenziell, in gewisser Weise ontologisch, wenn man das so nennen will, zu fundieren als eine Art Ur-Raum des Menschen, den dieser in seiner Individuation während einer biographischen Entwicklung immer wieder zurückzugewinnen sucht, auch im sozialen Bereich. Das heißt also, alle sozialen Ordnungsgebilde interpretiert Alfred Tomatis als den Versuch des Menschen, letztlich wieder in diesen Ur-Raum zurück­zufinden.

Nun kann man aber auch den vorgeburtlichen Raum anders deuten. Es gibt ja genügend Hinweise und Forschungen in diese Richtung, dass damit ein Raum gemeint ist, der kein physisch fassbarer, in diesem Sinne kein dimensionaler oder auch prädimensionaler Raum ist, sondern ein Raum, aus dem die sich dann inkarnierende Individualität hineinkommt, durchdringt in ihre eigene Körperlichkeit. Es gibt da faszinierende Forschungen, etwa in Mitte der 80er Jahre das berühmte Experiment der Psychologin Helen Wambach, die die Frage gestellt hat 850 oder 750 Probanden Probanden in der Hypnose, ob sie sich erinnern können an diesen vorgeburtlichen Raum. Da gab es sehr interessante Durchgaben und Aussagen, die Helen Wambach zunächst einmal phänomenologisch auf sich beruhen ließ, ohne sie vorschnell zu deuten, etwa psychologisch-reduktionistisch oder nun gleich esoterisch. Einfach phänomenologisch ist das hochinteressant, was die Probanden sagten.

Sie hätten sich zu einem erstaunlichen Teil als eigene Entitäten, als individuierte Entitäten in einem anderen Raum befunden und seien dann erst ganz allmählich in die Materialität eingestiegen und hätten dann im fötalen, embryonalen Zustand unterschied­liche Grade der Verbindung mit dem Fötus bzw. Embryo gehabt, also immer noch existierende Freiheitsspielräume.

Das wäre die andere Komponente der Frage nach dem vorgeburtlichen Raum. Wenn man das für wenigstens hypothetisch möglich hält, ja dem einen gewissen ontologischen Wirklichkeitsstatus zuspricht, ist natürlich die Frage nach dem vorgeburtlichen Raum eine völlig andere. Dann könnte es, mal versuchsweise gesagt, so aussehen, als gäbe es diesen anderen, höheren Raum, den ich ja in gewisser Weise mit dem Weltseele-Raum identi­fiziere, als die eigentliche Heimat, in Anführungszeichen, als den Quellgrund des mensch­lichen Seins überhaupt. Nicht, dann ist man in einem ganz anderen Bewusstseinsraum. Man hätte ganz andere Koordinaten. Das muss nicht den intra-uterinen Raum in diesem engen Sinne ausschließen. Das wäre bloß eine erweiterte, eine in diesem Sinne alternative Vorstellung, die man parallel betrachten könnte. Das führt auf faszinierende Fragen, die nur angedeutet werden können. Das kann ich hier im Rahmen dieser Vorlesung gar nicht ausführlich behandeln. Da müssten Sie dann einfach nachforschen, zum Beispiel in meinem Buch was in Kürze erscheint, mein neues Buch „Die Anderswelt ‒ Eine Annäherung an die Wirklichkeit. Die innere Kosmologie von Raum, Zeit und Selbst“ wo ich auf diese Fragen sehr eingehend eingegangen bin. Die Frage des anderen und höheren Raums auch im Zusammenhang mit meditativen Bewusstseinspraktiken, also ein Buch letztlich auch über Bewusstseinsforschung eigener Art. Und es bleibt natürlich die Frage, die in vielen Tradi­tionen gestellt wird in diesem Zusammenhang nach der Ausdehnung der eigenen Selbstheit, der eigenen Ichheit, von mir aus auch auf einer anderen Ebene, der eigenen feinstofflichen Leiblichkeit. Also wie ausgedehnt sind wir? Wie weit greifen wir in diesen Raum hinein?

Der Ausgangspunkt in der letzten Vorlesung war ja, zu verstehen oder dem nachzu­spüren, was Bäume an Raumqualitäten entbergen, was sie gewissermaßen abstrahlen, Raumqualitäten, in die sich der Mensch hineinbegeben kann, die er seelisch, geistig, meditativ und auch leiblich erspüren kann. Nicht, darüber haben wir gesprochen, dass man da ganz andere Raumqualitäten spüren kann bei der Eiche, bei der Erle, bei der Pappel usw. Diese Fragen sind spannend und hochinteressant. Das wird uns noch in der nächsten Woche beschäftigen, wenn wir uns mit der Frage der seelisch-geistigen Dimension der Pflanzen überhaupt beschäftigen, dann kommt noch einmal diese Frage der Raumqualität verschiedener Pflanzen ins Spiel, etwa auch der Bäume, die ja häufig genug als Übermittler, als gleichsam mediale Wesen zu der, keltisch-mythologisch gesprochen, Anderswelt, fungiert.

Die zweite Komponente, die ja im Plenum noch kurz behandelt wurde, will ich nochmal aufgreifen, weil das wichtig war. Zwei von Ihnen hatten ja gefragt, völlig zu Recht: Was könnten wir oder was gewinnen wir, was können wir wieder gewinnen, was gewinnen wir dann wieder, was gewinnen wir zurück, was haben wir also verloren, oder in welchem Grade gewinnen wir eine neue, andere, bewusstseinsmäßige Qualität, die menschheits­geschichtlich noch nie in einem größeren Kollektiv existiert hat? Also die Frage, haben wir etwas verloren, was wir wiedergewinnen müssten?

Das habe ich ja angedeutet mit meiner Formel von der Raumblindheit des modernen Menschen, auch in gewisser Weise von der Weltseele-Blindheit des modernen Menschen. Oder müssten wir uns zu dem Gedanken bequemen, den ja mit gewissen Einschränkungen Ken Wilber in seiner evolutionären Psychologie entwickelt hat, dass diese Stufe der Integration in eine Weltseele-Ebene der individuellen und kollektiven Bewusstheit etwas ist, was noch nie erreicht worden ist, bislang, außer von Einzelnen. So heißt es etwa, ich habe das nochmal rausgeschrieben, in seinem wichtigsten Buch „Sex, Ecology, Spirituality“ am Ende, „Eros, Kosmos, Logos“, die letzten Sätze dieses Buches handeln davon und Wilber benutzt auch den Begriff der Weltseele, „world soul“, nur in einem etwas anderen Sinne als ich. Das muss ich einfach sagen, damit kein Missverständnis auftaucht. Da heißt es am Ende dieses dicken, also wirklich umfangreichen, aber grundlegenden Buches von Ken Wilber: „Da also stehen wir jetzt im Raum der Rationalität und auf der Schwelle zu transrationaler Wahrnehmung, zu einer scientia visiones“ ‒ also einer Wissenschaft des visionären Bewusstseins, wenn man das so nennen will ‒ „die Menschen aller Art und überall und immer wieder mal und mit wachsender Klarheit Ahnungen vom wahren Abstieg der alles durchdringenden Weltseele zuträgt.“ Also „ …descend of the … world soul“.

Dies, was Wilber hier ganz eng anlehnt an den Gedanken der „over soul“, der Überseele von Ralph Waldo Emerson, als Weltseele bezeichnet, ist nicht unbedingt iden­tisch mit dem, was ich mit diesem Begriff bezeichne, ohne dass ich jetzt sagen würde, das ist etwas vollkommen Anderes. Die Fokussierung ist ja eine andere. Ich habe das ja versucht zu zeigen, dass für mich Weltseele mehr oder weniger identisch ist mit diesem anderen und höheren Raum und dass ich der Auffassung bin, dass individuiertes Bewusst­sein und die Kommunikation der Bewusstseine untereinander und miteinander nur möglich ist, wenn es ein alles verbindendes Bewusstseinsfluidum gibt, auf den verschie­densten Ebenen des Seins und dass dieses Fluidum als Weltseele bezeichnet werden kann. Also die Einzelseele, die individuierte Seele, wird getragen von diesem Weltseele-Fluidum, von diesem Grundwesen, das den Raum ausmacht. Eine wichtige Komponente dieses Weltseele-Raums in meinem Verständnis ist, dass dieser Weltseele-Raum in gewisser Weise von den dreidimensionalen Anschauungsformen aus beurteilt paradoxe Eigen­schaften hat. Das heißt, was wir üblicherweise als Nähe und als Ferne empfinden, ist dort anders. Ferne ist in gewisser Weise Nähe. Das heißt, was wir als sehr weit weg empfinden, ist auf dieser Seinsebene des Weltseele-Raums nah, auch wenn das unvorstellbare Entfernungen sind. Also eine nicht-perspektivische Form der Raumwahrnehmung spielt hier hinein. Und das führt natürlich auf eine zentrale Frage nach der Räumlichkeit von Bewusstsein. Das habe ich auch angedeutet. Das will ich noch kurz erwähnen, dass ja idealistische Philosophen immer gesagt haben, das Seelisch-Geistige des Menschen ist in seinem Grundwesen jenseits von Raum, Zeit, Kausalität und so weiter. Es ist also nicht räumlich.

Ich habe gerade am Wochenende, war ich auf einem Kant-Symposion, auf einer Privat-Akademie und musste da drei Vorträge über Kant halten. Da ist mir nochmal deutlich geworden, wie Kant das sieht, der die Wesenheit des Menschen eigentlich ansiedelt jenseits von Raum und Zeit. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Seele in der Tiefe räumlich ist. Bloß sie ist sicherlich nicht einfach ein Element des dreidimensionalen Anschauungsraums. Das sicher nicht. Das sind hochinteressante, spannende Fragen, denen man nachgehen kann, die auch weiterführen, wenn man sie meditativ-gedanklich angeht. Das wird uns ja noch in verschiedenen Zusammenhängen beschäftigen, das wollte ich ergänzen. Also, Wilbers „to transcend and include“, überschreiten und einschließen, gilt auf der einen Seite sicherlich. Frühere Stufen werden überschritten und eingeschlossen, gilt aber nicht so streng, wie das manchmal in seinen Schriften erscheint, meiner Überzeugung nach, in dem eine neue Stufe, etwa die mentale, die mythische Stufe ablöst, denken Sie an die Vorlesung, an die zweite Vorlesung dieses Semesters, dann verliert häufig genug in diesem Ablösungs­prozess das mentale Selbst auch ganz bestimmte Grundqualitäten dieser mythischen Stufe und nimmt sie keineswegs mit in die neue Stufe hinein. Häufig genug ist es eine Dissoziation, und es geht etwas verloren, was vielleicht gar nicht hätte verloren werden dürfen. Das ist eine Frage, die man hier gar nicht erörtern kann. Aber es sind spannende Fragen.

Gut, jetzt zu der Frage, die heute angesprochen werden soll, die daran unmittelbar anknüpft: Felder, Seelen, Formungskräfte, Überlegungen zum Ursprung der Formen in der Natur, hier speziell zum Ursprung der Formen, Gestalten in der Pflanzenwelt, Formungs­kräfte, formative Kräfte. Die Anthroposophen und auch Theosophen reden von Bilde-Kräften, ätherischen Bilde-Kräften. Es ist gar nicht jetzt so wichtig, sich an einen Begriff hier festzuhalten. Die Frage ist grundsätzlich: Gibt es formative Kräfte, Bilde-Kräfte von mir aus, die das Organische in seiner lebendigen Gestaltganzheit letztlich formen, dass es auch halten … , dass die Verbindung aufrechterhält zwischen der Erscheinungswelt und dem anderen und höheren Raum. Und wenn es diese Bildekräfte, diese Formungskräfte gibt, sind wir berechtigt, hier, wie es ja viele tun, etwa Sheldrake und andere, Vorstellungen von Feldern hineinzunehmen, das ist ja in den 20er Jahren schon gemacht worden, die morpho­genetischen Felder sind ja keine Erfindung von Rupert Sheldrake. Das sind ja auch Vorstellungen von russischen und deutschen Biologen aus den 20er Jahren, also morpho­genetische Felder. Ist es berechtigt, hier den Feldbegriff einzubeziehen, oder führt das eher in die Irre? Ist es nicht sinnvoller, dann gleich zu sagen: Haben wir es mit seelischen oder seelisch-geistigen Formungskräften zu tun? Wobei dann eben der Begriff des Feldes vielleicht eher in die Irre führt.

Sie kennen vielleicht einen Buchtitel, einen Gesprächsband von Matthew Fox, dem amerikanischen Dominikaner und Ökologen mit Rupert Sheldrake. Der trägt im Deutschen den seltsamen, aufschlussreichen und zugleich fragwürdigen Titel „Die Seele ist ein Feld“. Nicht, da wird eine Gleichsetzung vorgenommen, die Seele ist ein Feld. Das kann man ja anders, kann man ja in verschiedenerlei Hinsicht deuten. Man kann sagen, die Seele kann man auch als ein Feld bezeichnen, oder reduktionistisch betrachtet kann man sagen, die Seele ist eigentlich nichts weiter als ein, könnte man jetzt ergänzen, möglicherweise auch physikalisch fassbares Feld. Und da sind wir in einem interessanten Grenzbereich ange­langt, der für unsere Frage zentral wichtig ist. Es ist ja schon angedeutet worden, dass der andere, höhere Raum, den einige als Äther-Raum bezeichnen, möglicherweise die Quelle ist, der Quellgrund dieser Formungskräfte, dass also im Sinne dieser Polarität, die ich Ihnen versucht habe darzustellen, dass also aus den Weiten des Weltalls, vermittelt über das kosmische Licht, Formungsprinzipien, Formungsenergien, Formungskräfte, vielleicht sogar ganz lebendige gestalthafte Wesenheiten diese Morphogenese, diese Entstehung der Formen der lebendigen Welt, eben auch der Pflanzen, organisieren, bestimmen und halten.

Was sind Felder? Ich muss das ganz kurz nochmal Ihnen vor Augen führen. In meinem Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle ‒ Impulse für eine andere Natur­wissenschaft“ gibt es einen größeren Passus über Felder. Den will ich Ihnen nicht als Ganzes vorlesen, nur einen kleinen Teil daraus, weil er bezeichnend ist, damit man weiß, worüber redet man, wenn man von Feldern redet, denn der Begriff des Feldes ist noch nicht so alt in der Naturphilosophie, etwa anderthalb Jahrhunderte. Und dass er eine solche erstaunliche Karriere gemacht hat, ist nicht selbstverständlich gewesen. Viele haben im Ansatz schon diesen Begriff kritisiert als einen letztlich leeren Begriff, der überhaupt keinen Erklärungswert hat. Das geht bis heute. Da heißt es in einem Abschnitt „Was also ist die Schwere, vom Sinn der Felder zur Genesis und Reichweite des Feldbegriffs“. Ich darf das Ihnen mal kurz vorlesen, diese eine Passage, weil das vielleicht noch einmal verdeut­licht, dass der Feldbegriff keineswegs selbstverständlich ist: „Als Felder gelten immaterielle Wirkungszonen im Raum,“ wichtig ist: immaterielle Wirkungszonen im Raum, „im Fall der Physik Wirkungszonen, deren Vorhandensein physikalisch bestimmbar und messbar ist.“ Also in der Wirkung sind diese Felder messbar, unterliegen sie der Messbarkeit bis zu einer gewissen Grenze. „Diese Wirkungszonen sind offenbar so eng mit dem Raum verbunden, dass sie oft mit ihm gleichgesetzt werden.“ Der von mir hier angedeutete Begriff der Raumenergie, denken Sie an das, was ich vor 14 Tagen gesagt habe, geht ja in die Richtung. „Felder haben eine bestimmte Ausdehnung, ohne dass ihre Grenzen scharf bestimmbar wären. Im Prinzip sind Schwerkraftfelder genauso unendlich wie elektromagnetische Felder, unendlich wie der Raum, dem sie eingelagert sind. Ihre radiale Form, Abnahme der Intensität mit dem Quadrat der Entfernung, hat zur Folge, dass die ausgelösten Wirkungen irgendwann so schwach werden, dass sie quasi nicht mehr existent sind bzw. überlagert werden. Zwar müsste das irdische Schwerkraftfeld noch im Andromeda-Nebel spürbar sein, um von ferneren Galaxien abzusehen, aber faktisch wird es keine Rolle spielen. Wo der eine Körper ist, kann nicht zugleich ein anderer Körper sein. Bei Feldern ist dies anders. Sie können sich überlagern und durchdringen.“

Sie können in vielfältiger Weise ja wechselwirken miteinander. Sie können auf verschiedenen Ebenen gelagert sein. Nicht, ich habe das ja angedeutet mit der Vielzahl der sogenannten Informationen, Millionen an der Zahl, etwa elektromagnetisch hier im Raum. Das schließt ja nicht aus, dass auch ganz andere, nicht-elektromagnetische Felder hier eingelagert sind, die nicht unbedingt interferieren müssen, die auch keine Kollisionen gewissermaßen haben müssen mit diesen Feldern. Zitat Sheldrake: „Dieses Schwerkraftfeld ist vom elektromagnetischen Feld durchdrungen, mithilfe dessen wir uns gegenwärtig sehen können und das auch von Radiowellen, Fernsehübertragungen, kosmischen Strahlen, ultravioletten und infraroten Strahlen und allen möglichen Arten unsichtbarer Strahlung überlagert ist. Und diese stören sich gegenseitig nicht. Radiowellen stören sich gegenseitig nur, wenn sie die gleiche Frequenz haben. Aber alle Radio- und Fernsehprogramme der Welt können koexistieren, wenn sie sich im gleichen Raum durchdringen, ohne sich gegenseitig auszuschließen oder einander zu leugnen. Selbst wenn wir nur die Felder betrachten, die die Schulwissenschaft derzeit erkennt, Quantenfelder, elektromagnetische Felder, Schwerkraftfelder durchdringen sie sich alle.“ Zitatende.

„Die hier angesprochene Fähigkeit der Felder, sich gegenseitig zu durchdringen, ist im Grunde mysteriös. Warum gibt es diese Durchdringungsfähigkeit? Die herrschende Physik hat keine plausible Erklärung dafür, zumal völlig unbekannt ist, was diese Felder überhaupt sind.“ Also die Frage der Ontologie dieser Felder ist völlig rätselhaft, spielt jetzt auch für unser Thema der formativen, möglicherweise formativen Felder eine zentrale Rolle. „Man muss immer unterscheiden zwischen den Wirkungen, den registrierbaren Wirkungen solcher Felder und ihrer ontologischen Qualität, die man nicht unbedingt bestimmen können muss, die man bis zu einem gewissen Grade auch auf sich beruhen lassen kann. „Entgegen der herrschenden Überzeugung sei hier die Behauptung aufgestellt, die aus dem an anderer Stelle Gesagten schon implizit hervorgeht: dass die Radialfelder der Gestirne diese Schwerewirkungen auslösen, sich nicht vollständig durchdringen.“ Und so weiter, das muss ich hier nicht im Einzelnen ausführen.

Also Felder sind immaterielle Wirkungszonen im Raum. Das ist wichtig. Sie sind auf eine rätselhafte Weise in den Raum eingelagert, vielleicht auch in das Vakuum eingelagert, ohne dass sie in einem direkten Sinne nun gleichzusetzen wären mit dem Raum. Das führt auf Theorien, die immer auch eine gewisse, sagen wir mal, vordergründige Vereinfachung darstellen, wenn man sagt: Weil diese Felder in den Raum eingelagert sind, sind sie in gewisser Weise dieser Raum selbst.

Jetzt die Frage also, was ist die Ursache dieser Formen? Wie kann man das denken? Es hat im Laufe der geistigen Entwicklung verschiedene grundlegende Ansatzpunkte gegeben, wie man das denken kann. Ganz vereinfacht gesagt zunächst mal am Anfang, hat es folgende Alternativen gegeben, die auch heute noch keineswegs überholt sind und keineswegs nur jetzt philosophische Denkprinzipien wären, sondern die auch praktisch- existenziell relevant sind. Man kann sagen, alle Formen, etwa die Pflanzenformen, einschließlich der Gestaltprinzipien der Morphogenese, sind in gewisser Weise Abbilder eines hinter oder in ihnen wirkenden Urbildes, also platonisch verstanden oder auch platonistisch. Man kann also sagen: Es gibt immaterielle, höhere Wirkprinzipien, im Sinne Platons, gewissermaßen Ideen, die alle physisch-materiellen Gestalten, etwa auch die Formen der Pflanzen bestimmen, die sie tragen und die sie durchdringen. Wenn man jetzt einen heute, ein bisschen, sagen wir mal, modisch beliebten Begriff anführen möchte, dann könnte man sagen: Das sind in gewisser Weise auch Attraktoren. Wir kennen das ja vielleicht aus der Mathematik. In der Kosmologie redet man von den großen Attraktoren, also ungeheure Ballungen von Materie, die im Sinne dieser üblichen kosmologischen Fiktionen und Hypothesen also Schwerkraftwirkungen auslösen oder auslösen sollen. Also Attraktoren. Das bringt natürlich auch eine zeitliche Dimension ins Spiel, denn diese übersinnlichen, überirdischen, häufig ja auch als unwandelbar gedachten Ideen, die nun die irdischen Gestalten formen sollen, da muss ja in irgendeiner Form auch die Zeitdimension reinkommen. Diese Gestalten wandeln sich ja. Es gibt ja einen Prozess der Metamorphose, der besonders bei Pflanzen sehr eindrucksvoll ist. Denken Sie an das, was ich Ihnen erzählt habe über den eigenartigen Raum, der am Scheitel der Stiele in Blüten erkennbar wird, wie das ja Gerhard Adams sehr eindrücklich geschildert hat. Ich habe Ihnen ja diese Stelle vorgelesen. Also wie kommt die Zeitdimension hinein?

Man kann sagen, was in der Zeit in unserer irdisch-sinnlichen Erfahrung sich entfaltet, in einem Nacheinander, ist im Grunde genommen auf dieser anderen, platonisch gesprochen: Ideen-Ebene, nebeneinander oder ineinander. Dann wäre also die physisch-sinnliche Welt, einschließlich der Formung der Gestalten, eine Entfaltung des Eingefalteten, Explikation zu Implikation, von mir aus, mit Nikolaus von Kues gesprochen, kommt hier jetzt nicht so sehr auf feste Begriffe an, im Gegenteil, es ist fasst eher zunächst fruchtbarer, die Begriffe in eine bestimmte fluidale Form zu bringen, sie zu verflüssigen, sie nicht zu schnell festzuzurren, weil durch diese allzu festgezurrten Begriffe geht die Lebendigkeit dieser Vorgänge wieder verloren. Also das kann man denken. Man kann …, das hat man immer gedacht. Es hat immer eine, wie das Sheldrake ganz schön formuliert in diesem Buch „Das Gedächtnis der Natur“ auch eine platonische Biologie gegeben, wie es auch in gewisser Weise eine platonische Chemie, eine platonische Physik gibt. Letzter Abkömmling etwa der platonischen Physik ist ja die Vorstellung unwandelbarer, ewiger Naturgesetze, die sich nicht also ändern im Laufe langer Zeiträume, sondern die Ewigkeitscharakter haben. Das ist ja ein ganz wesentliches Element, das stellt übrigens Rupert Sheldrake ausgezeichnet in diesem Buch dar, das habe ich hier auf der Literaturliste. Da muss man gar nicht unbedingt jetzt die Sheldrakesche Lehre von den morphogenetischen Feldern jetzt hier ins Zentrum rücken, diese Neufassung, Adaption dieser alten Lehre aus den 20er Jahren, aber das ist sehr klug und auch kenntnisreich, materialreich dargestellt, die Frage der Philosophie der Form, die uns noch hier beschäftigen wird. Ich werde hier noch einige Passagen dann auch mal vorlesen.

Also, das kann man platonisch sehen. Das ist interessant, auch fruchtbar, hat aber auch Nachteile, weil die Zeitdimension dabei unterzubringen schwierig wird. Nicht, das ist schwierig. Wie soll denn die Zeitdimension da ins Spiel kommen? Das in Zahlen sich entfaltende Abbild des Einen, nannte Platon die Zeit. Gut.

Dann kann man das im Sinne seines Schülers und Dissidenten Aristoteles ganz anders deuten, die Frage der formativen Prinzipien. Das wissen Sie bestimmt, der Begriff der Entelechie, nicht, den Aristoteles geprägt hat, den dann im 19. Jahrhundert der Embryologe, Biologe und Naturphilosoph [Hans] Driesch wieder aufgegriffen hat. Also die Frage der Entelechie. Da ist das Wort Telos drin, das heißt so viel wie Ziel, also eine Zielvorstellung, Entelechie. Ein Organismus hat immanent dieses Telos in sich, also nicht dualistisch gesehen. Wenn man Platon dualistisch sehen will, das muss nicht so sein. Das kann man aber so interpretieren. Aristoteles hat es so gesehen, hat seinen Lehrer Platon genau deswegen kritisiert. Aber man kann Platon auch anders deuten, aber das ist jetzt nicht so wichtig. Also wenn man das jetzt nicht dualistisch sieht, dann kann man sagen, dass diese Formprinzipien etwa im Pflanzenwachstum immanent sind. Sie sind also im sich entwickelnden und gestaltenden Pflanzenwesen enthalten. Wie sind sie enthalten? Sind sie immer anwesend? Man kommt ja auch wieder auf die Frage, wenn es eine Entelechie ist, dann ist ja auch die Vorstellung des Telos drin enthalten, der Teleologie. Und dann bleibt die Frage sofort, kommt sofort auf: Wo ist denn dieses Telos, die vollendete Gestalt im Ursprung? Ist sie in irgendeinem geistig-seelischen höheren Raum bereits enthalten und zieht sie gewissermaßen, um nochmal den Attraktor-Begriff anzuführen, zieht sie gewissermaßen die organische Gestalt einschließlich vielleicht des vertikalen Längenwachstums in diese Richtung, auch evolutionär auf der Zeitlinie, der rhythmisch zu verstehenden Zeitlinie gedacht? Das ist auch zu denken, also als platonische Idee, höhere Ebene, physisch-materielle Ebene, das kann man dualistisch denken und als Entelechie, von innen heraus.

Da bleibt natürlich genauso die Frage nach der Realität, auch nach der ontologischen Wirklichkeit dieser Entelechie. Erschöpft sich die Entelechie einer Pflanze in der letztlich dann erreichten Form, wenn es diese überhaupt gibt, da es ja eine ständige Metamorphose ist? Man kann ja auch sagen, es ist nur die Blüte, nur die Blüte. Anthroposophen z.B. sagen, nur in der Blüte zeigt sich in einem kurzen Moment, eine gewisse Phase, unterschiedlich lang, das eigentlich Seelische, das Seelisch-Geistige der Pflanzen. Was bedeutet dann in diesem Prozess das Blühen? Also das sind Fragen, die sind dann naheliegend und müssen in gewisser Weise auch gestellt und beantwortet werden. Also Entelechie. Und dann kann man natürlich sagen, das hat ja die reduktionistische Naturwissenschaft immer gemacht, seit Darwin sowieso, man kann sagen, das ist einfach genetisch zu erklären. Das ist nur aus den organischen Ursprungskräften zu erklären. Da gibt es überhaupt kein Telos, kein Ziel. Das ist die herrschende Linie formal in der Biologie. Faktisch sieht es völlig anders aus. Man führt ja durch die Hintertür all die teleologischen Forschungen sowieso wieder ein. Man spricht von Teleonomie, und man kommt im Grunde, das stellt Sheldrake sehr schön da, gar nicht aus, ernsthaft, wenn man ernsthaft mit dem Thema sich auseinandersetzt, man kommt gar nicht aus ohne die Vorstellung in irgendeiner Form eines Telos, eines Ziels. Das ist einfach unredlich geistig, wenn man von vornherein sagt, das darf nicht sein. Faktisch ist die moderne Biologie längst teleologisch orientiert, kann gar nicht anders. Selbst die Vorstellung, sagen wir mal, die ja in dem modischen verflachten Sprachgebrauch im genetischen Code angelegt ist, ist ja nichts weiter, wenn man das genau analysiert, was da drinsteckt, ein versteckter Dualismus. Auf der einen Seite wird also die Software, eine Art platonische Idee, verstanden als Computer-Software quasi der Biologie und dazu dann die Hardware, das genetische Programm, ist eine reine Konstruktion, zumal man dann ja auch erklären müsste, was ist denn das überhaupt, was ist denn dieses genetische Programm? Ist das nicht letztlich ein Geistprinzip? Wird damit nicht ein formativer Geist wieder in die Biologie, in die lebenden Organismen eingeführt? Genau das wird abgestritten. Aber wenn man das genauer in seiner Argumentationsstruktur analysiert, stellt man fest, dass es letztlich dualistisch ist, dualistisch, und dass man hier letztlich von der Eigenexistenz, von der Wirkkraft des Geistes ausgeht, obwohl man es reduktionistisch leugnet. Das ist ein eigenartiger Zirkel, den man überall in der Biologie beobachten kann, übrigens auch in der Neurophysiologie.

Dann gibt es natürlich die Vorstellung, die mit dem Entelechie-Gedanken eng verbunden ist, die mit dem Schlagwort „Vitalismus“ verbunden ist. Nun gilt der Vitalismus als widerlegt. Die Biologen, die werfen nur, wenn man das Wort „Vitalismus“ auch nur anspricht, lehnen sich sozusagen hochmütig zurück. Das gibt sozusagen nichts, was widerlegter wäre. Das ist auch sehr vordergründig gedacht, denn der vitalistische Grund­gedanke ist nicht so ohne Weiteres aus den Angeln zu heben. Der vitalistische Grund­gedanke sagt ja nichts weiter, als dass es ein Lebensprinzip gibt in der physisch-materiellen Welt, was die organischen Gestalten entstehen lässt, was sie am Leben erhält, was sie durchträgt, was überhaupt das Lebendige ermöglicht, und das, nachdem es sich getrennt hat von der physisch-sinnlichen Materie, dann auch den Tod bewirkt, die Dissoziation. Das ist ja kein dummer Gedanke, auch kein oberflächlicher Gedanke, kein primitiver Gedanke, sondern zunächst einmal ein sehr naheliegender Gedanke. Das kann man ganz verschieden deuten. Ich meine Hans Driesch, der ja als der Begründer des modernen Vitalismus gilt, hat das überhaupt nicht metaphysisch oder mystisch gedeutet. Der meinte, dass seien sozusagen natürliche Kausalfaktoren in den Dingen selber, der hat das immanent gedeutet. Das ist eigentlich nicht dumm.

Im Übrigen gibt es ohnehin eine Renaissance des Vitalismus. Ich habe hier vor vier Jahren auch in einer Vorlesungsreihe im Sommersemester, wenn ich es richtig im Kopf habe, über diese Renaissance auch des Vitalismus gesprochen. Ich glaube auch kaum, dass man ernsthaft an diese Fragen herangehen kann, ohne bis zu einem gewissen Grade auch vitalistische Prinzipien heranzuziehen. Man kann das ausklammern, man kann sagen Entelechie, platonische Idee, Vitalkräfte oder gar Bildekräfte ̶ das sind alles Konstrukte menschlicher Phantasie, anthropomorphische Spekulationen, die man in die Natur hineingibt? Das ist zu billig. Denn wenn man tiefer fragt, dann kommt man, wenn man nicht in einem heillosen projektiven Zirkelschluss sich befinden möchte, kommt man ohne diese Prinzipien gar nicht aus. Also, insofern kann man mit gutem Recht diese Dinge wieder aufgreifen.

Und ja, das war ungefähr das, was ich auch gedacht habe. Jetzt ist es Neun. Ich will nach der Pause Ihnen versuchen zu zeigen, wie man das weiterdenken kann, wie man möglicherweise auch diese platonische, aristotelische, vitalistische, andersweltliche Dimen­sion im Wachstumsprozess der lebendigen Organismen zusammendenken kann. Ich glaube nämlich, dass diese verschiedenen Ansätze im Kern, in der Substanz, auf das Gleiche zulaufen und letztlich genauer betrachtet mit ganz ähnlichen Erklärungsprinzipien auch arbeiten, das ist gar nicht so verschieden voneinander. Und das führt noch mal auf die Frage des anderen und höheren Raumes. (…)

Ich habe vorhin noch etwas vergessen, was ich mit vorlesen wollte, was ich jetzt tue, zum Feldbegriff. „Feld, englisch „field“, ist in der ältesten erkennbaren Wortbedeutung eine offene Ackerfläche, ein genau abgegrenzter Bezirk landwirtschaftlicher Aktivität, wie ein Kornfeld oder ein Reisfeld angelegt wurde, [ers] war nicht Wildnis oder Wüste. Im Feld wurde die als lebendig geachtete Natur aufgerufen, ihre schöpferische Potenz in den Dienst des Menschen zu stellen. Das Feld war die Fläche, die man abschreiten und ausmessen konnte, also ein sichtbares, greifbares Stück Erdoberfläche. Zugleich aber war dieses Stück Erdoberfläche, das den Samen aufnahm und keimen ließ, ausgestattet mit der ganzen Potenz und Kreativität der Erde überhaupt. Jedes Feld war gleichsam ein Stück praktizierter Demeter-Kult, war gezielte Anrufung der großen Kraft der Erdmutter. So war das Feld nicht nur Fläche und damit messbare Materie, sondern zugleich immaterielle Form und Gestaltungskraft, also Kraft der Demeter.“ Das ist der Ursprung von „field“. Erstaunlich, dass dieser Begriff dann so eine Karriere gemacht hat, wie gesagt.

Schon zu Faradays Zeiten, also vor 150 Jahren, war diese ursprüngliche Bedeutung überschritten und weitläufig ausgedehnt worden, ohne sich jedoch, und das ist ganz wichtig, gänzlich zu verlieren. Und noch der physikalische Begriff des Feldes enthält Restbestände der Ursprungsbedeutung, und zwar bis heute. Nur weil dies so ist, konnten Naturphilosophen wie Helmut Friedrich Krause oder Rupert Sheldrake auf je verschiedene Weise den Feldbegriff neu beleben und ihn gegen den herrschenden Abstraktionismus ins Feld führen. Auf meine Weise verfolge ich ein ähnliches Anliegen. Auch in meinem Verständnis von Feld ist Demeter und der Demeter-Kult mitgedacht, was schon indirekt deutlich geworden ist in meinen Überlegungen zur Bewusstseinsqualität des Radialfeldes der Erde. Das wird uns ja noch beschäftigen, die Frage des Demeter-Kultes. Das nur als Ergänzung.

Also Feld im Sinne von „field“, ursprünglich tatsächlich ein lebendig-organisch bezogener Begriff, der dann zunehmend erst einmal seines Lebens verlustig ging und heute eine abstrakte Größe ist, die beliebig verwendet und eingesetzt werden kann und erst einmal erneut mit Leben gefüllt werden muss, damit man diesen Begriff in der Biologie fruchtbar machen kann.

Ich darf noch einmal erinnern, ich hatte Ihnen die verschiedenen Ansatzmöglich­keiten vorgestellt, wie man die organische Form, wie man auch die pflanzliche Form einschließlich des Pflanzenwerdens verstehen, wie man das denken kann. Und ich hatte angedeutet, dass man möglicherweise diese verschiedenen Ansätze, also die platonische, die aristotelische, die vitalistische, die spirituell-andersweltliche, um das mal so zu nennen, zusammendenken kann. Es ist interessant, dass die viel geschmähten Scholastiker, noch rückgreifend auf die antike Philosophie, vier verschiedene Arten von Ursachen kannten, die man hier auch heranziehen könnte. Sie werden das wahrscheinlich wissen, ich sage es trotzdem nochmal: Die Scholastiker unterschieden die causa efficiens, das war die Wirkursache, also das, was zeitlich gesehen, genetisch, einem Prozess, einem Geschehen, einem Ding zugrundeliegt, also zeitlich gesehen dahinter liegt. Causa efficiens, Wirkursache, das [ist] im Wesentlichen die Ursache, die die Naturwissenschaft anerkennt, an der [sie] sich orientiert. Dann gab es die causa materialis, das war der Stoff, aus dem etwas entstand. Dann gab es, und das wird interessant, deswegen führe ich das an, eine eigene Ursache, causa formalis, eine Form-Ursache, also eine causa materialis, eine causa formalis, unterschieden also von Stoff und Form, was ja, wie Sie wahrscheinlich wissen, zu einer endlosen Debatte geführt hat: Gibt es auch Stoff ohne Form und Form ohne Stoff, die ganze Frage nach dem Substrat, dem materiellen und auch feinstofflichen Substrat und den formativen Energien. Nach allem, was wir wissen, nach allem, was wir empirisch feststellen können und nach allem, was wir auch in höheren Bewusstseinsschichten erschließen können, muss es tatsächlich diese Zweiheit geben, ohne dass man sie unbedingt dualistisch deuten müsste. Ein Substrat, also Substrat-Ebene und eine formative Ebene. Und dann hatten die Scholastiker, auch jetzt zurückgreifend auf die alte Philosophie, auch noch eine causa finalis, also eine Ziel-Ursache oder Zweckursache. Damit kam also die Frage des Telos, der Teleologie ins Spiel, oder um noch einmal diesen mathematischen Begriff zu benutzen, die Frage des Attraktors. Ich meine, der ist mathematisch abstrakt, aber so schlecht ist der Begriff gar nicht. Er transportiert doch ein Stück weit auch etwas an Einsicht. Das kann man ja auch räumlich verstehen. Der Attraktor im Sinne der angedeuteten Levitationstendenz in diese vertikale Richtung, also Entlastung in die kosmischen Weiten hinein, formative Prozesse vermittelt über das kosmische Licht. Das ist eine Bedeutungsschicht, das kann man dann genauso zeitlich, evolutionär verstehen. Also Attraktor des evolutiven Prozesses. Das heißt: Was ist der Attraktor des evolutiven oder evolutionären Prozesses? Beide Adjektive sind ja möglich. Was ist der große Attraktor? Ist es ein höheres Bewusstsein, ein möglicherweise Atman-Bewusstsein, ein kosmisches Bewusstsein, und alle anderen sind nur stufenmäßige Hinführungen daraufhin, oder hat jede Stufe ihre eigene Würde? Jede Stufe ist im Sinne von Leopold von Ranke, jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, jede Stufe ist unmittelbar zu Gott, nicht nur einfach eine Stufe.

Die These, die ja Sheldrake aufgestellt hat vor 20 Jahren, womit er weltberühmt geworden ist, muss ich hier nicht im Einzelnen darstellen. Mir geht es jetzt nur um einige Aspekte, die ich für meinen Ansatz fruchtbar machen kann. Sheldrake hatte ja aus den 20er Jahren einen Gedanken aufgegriffen, der damals nicht weitergeführt wurde. Das war der Versuch der Biologie, einiger Biologen in den 20er-Jahren, die Vorstellung des Feldes, die man aus der Physik kannte, für die Biologie fruchtbar zu machen. Also zu sagen, es gibt in allen lebendigen Organismen, um alle lebendigen Organismen herum, quasi Felder, formative Felder und auch Felder, die die einmal erreichte Gestalt aufrechterhalten und diese dann auch weiter transportieren an die nachfolgenden Generationen, in Anführungs­zeichen. Hier wird von der Annahme ausgegangen, dass diese Felder, die schon damals morphogenetische Felder genannt worden sind, physikalisch real sind, und zwar in dem Sinne wie auch die Felder der Physik. Es wird angenommen, [Aron] Gurwitsch und andere haben das auch schon angenommen vor 80 Jahren, dass jede Art von Zellen, Geweben, Organen und Organismen ihre eigene Art von Feldern hat. Was schon ein eigenartiger Gedanke ist, der ist einerseits interessant, andererseits ist er auch wieder eine Schwäche dieser Vorstellung, dass tatsächlich alle Arten von Zellen, Geweben, Organe, Organismen eigene Felder haben soll. „Diese Felder gestalten, organisieren die Entwicklung von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren und stabilisieren die Form des ausgewachsenen Organismus. Dies können sie aufgrund ihrer eigenen räumlich-zeitlichen Organisation. Das neue an der Hypothese der Formbildungsursachen, wie er das nennt. besteht in der Idee, dass die Struktur dieser Felder“ ‒ jetzt kommt der entscheidende Punkt, den ich dann als Ansatzpunkt nehmen möchte ‒ „dass die Struktur dieser Felder“, also was er dann mor­phische oder morphogenetische Felder nennt, das wird oft synonym verwendet, ist aber nicht das Gleiche, morphogenetische Felder sind eine Unterart der morphischen Felder, das Neue an der Hypothese der Formenbildungsursache besteht in der Idee, „dass die Struktur dieser Felder nicht von transzendenten Ideen oder zeitlosen mathematischen Formeln bestimmt ist, also nicht platonisch, sondern sich aus den tatsächlichen Formen ähnlicher Organismen der Vergangenheit ergibt. Das heißt, dass diese Felder existieren, und damit sie ihren Zweck, in Anführungszeichen, erfüllen können, muss es bereits die Gestalt, die Form geben. So werden etwa die morphogenetischen Felder von Fingerhutpflanzen durch Einflüsse geformt, die von früheren Fingerhutpflanzen ausgehen. Sie bilden eine Art kollektive Erinnerung dieser Art. Jedes Exemplar der Art wird von den Artfeldern geformt, gestaltet selbst aber auch diese Artfelder und beeinflusst damit künftige Exemplare seiner Art.“ Das Buch heißt im englischen Original „The Presence of the past“, also die Gegenwart der Vergangenheit, was eigentlich noch treffender ist als das Gedächtnis der Natur.

Das heißt, ein wesentlicher Ansatz liegt hierin, dass gesagt wird: Die formativen Prozesse der Natur laufen über das Gedächtnis. Das heißt, diese Felder speichern in gewissen Maßen diese formative Kraft, transportieren sie weiter. Wie könnte dieses Gedächtnis wirken? Naheliegende Frage, wie wirkt das überhaupt? Die Hypothese der Formenbildungsursachen postuliert, dass es eine Art von Resonanz, die wir morphische Resonanz nennen, [gibt]. Resonanz-Phänomene spielen in vielfältigen Feldern, auch in der modernen Naturphilosophie, eine wichtige Rolle. Sheldrake hat schon vor zwanzig Jahren den Begriff der morphischen Resonanz geprägt, der ein fruchtbarer Begriff ist, mit dem man wirklich arbeiten kann. Das ist also ein quasi Schwingungs-Phänomen, auch ein musikalisches Phänomen, wenn man das so nennen will, das auf Resonanz beruht. „Morphische Resonanz wiederum beruht auf Ähnlichkeiten. Je ähnlicher ein Organismus früheren Organismen ist, desto stärker die morphische Resonanz. Und je mehr solche ähnlichen Organismen es in der Vergangenheit gegeben hat, desto stärker ist ihr kumulativer Einfluss. Eine sich entwickelnde Fingerhutpflanze steht in morphischer Resonanz mit zahllosen früheren Pflanzen ihrer Art und diese Resonanz formt und stabilisiert ihr morphogenetisches Feld.“

Nun, ist das natürlich .., Sheldrake behauptet, das würde ohne Energietransfer ablaufen, dass sie nicht mit einem Energietransfer von einem System auf das andere verbunden sind. Dann behauptet er weiter eine sehr weitreichende und kühne Hypothese, die naturgemäß sich nicht verifizieren lässt, dass diese morphische Resonanz eine Art Fernwirkung eigener Art bedeutet, die sich nicht abschwächt mit der Zeit und mit der räumlichen Distanz, also keine Abschwächung erfährt, sondern ungebrochen in ihrer Wirkkraft erhalten bleibt. Nun ist das eine, Sie wissen das, eine viel diskutierte Hypothese, mittlerweile ja schon fast im Sprachgebrauch nicht nur des New Age, sage ich mal, morphogenetische Felder, das ist so wie eine Münze, die so herumgereicht wird, wird ständig verwendet, auch sehr unreflektiert und oberflächlich, aber das ist fast jedermann geläufig.

Nun hat das natürlich .., es ist auch erst einmal interessant und suggestiv, hat natürlich, wirft eine schwierige Frage auf, die Sheldrake natürlich kennt und die er unbeantwortet lassen muss. Die Frage stellt sich sofort: Wenn das tatsächlich so ein Feld ist, was die Form über lange Zeiträume transportiert, was sich nicht abschwächt, was zurückgeht auf bereits existierende Gestalten ̶ wie entsteht dann überhaupt Neues? Das ist ja eine Frage, die sich sofort stellt, die er aufstellt und unbeantwortet lässt. Er sagt, diese Frage kann er nicht beantworten.

Nun ist die Frage natürlich eine Schlüsselfrage dieser Art von Gedankengängen: Wie entsteht Neues? Man kann natürlich sagen, es entsteht gar nichts Neues, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Alles ist nur eine ständige Metamorphose bereits vorhandener Grundstrukturen. Das, was wir als das Neue empfinden, ist gar nicht neu. Es ist nur das ewig Alte. Das kann man auf der einen Seite sehr, sagen wir mal, begrüßen und frohgemut darüber reden. Auf der anderen Seite hat das natürlich auch etwas Erschreckendes, dass gar nichts Neues entsteht, dass es eigentlich immer nur ein Sich-Ausfalten des Alten darstellt. Das läuft ja letztlich dann doch auch wieder in einen platonischen Gedankengang hinein. Das meint er aber nicht. Also wie entsteht Neues? Die Frage ist ungeklärt. Ich habe noch keinen, noch niemanden, ich betone, kein Biologen, kein Naturphilosophen, kein Naturwissenschaftler hat jemals eine wirklich überzeugende Antwort auf diese Frage gegeben, wie Neues entsteht. Alles, was ich bisher gelesen habe, sind nichts weiter als Vermutungen, Spekulationen, Gedanken, waghalsige Behauptungen. Eine der … und häufig genug nichts weiter als ein Spiel mit Metaphern. Das muss man auch kritisch dazusagen, häufig genug werden einfach Metaphern benutzt, die wenig Inhalt transportieren.

Eine dieser Metaphern, die gerne benutzt wird in dem Zusammenhang, das werden Sie wissen, wenn Sie die Literatur ein bisschen kennen, ist Emergenz. Emergenz, selbst organisierende Systeme, auch so ein wunderbarer Modebegriff, der nach meiner Überzeu­gung auch weniger transportiert, als es zunächst erscheint. Selbstorganisierende Systeme sollen emergieren, sollen von einem bestimmten Komplexitätsgrad dann in einem Sprung das Neue schaffen oder etwas Neues. Natürlich ist es nur eine Behauptung. Das kann, wenn man die ungeheuere Vielfalt der lebendigen Welt, die erschütternde Vielfalt, die Farbigkeit, die Fülle auch der Dinge sich anschaut, dann mutet das zumindest eigenartig an, dann hat man doch, sagen wir mal, fast möchte ich sagen, naiv die Vorstellung, dass es mit den Formen in der Natur noch eine andere Bewandtnis haben müsste, dass sie verweisen auf Formprinzipien dahinter, die einen wesentlich tieferen Sinnzusammenhang haben, mit uns übrigens auch, mit dem Menschen. Das würde dann auch erklären, warum wir spontan, auch ästhetisch, emotional und spirituell auf diese Formen reagieren, was wir ja tun, was jeder Mensch in irgendeiner Form ganz elementar, auch wenn er das gar nicht reflektiert, tut. Was sind diese immer wieder neu und doch auch neu-alt entstehenden Formen? Man kann sagen, dass wahrscheinlich im Gesamtzusammenhang diese Formen nur erklärt werden können, das möchte ich mal als jetzt nicht weiter zu stützende Hypothese in den Raum stellen, wenn man davon ausgeht, dass kosmische Systeme grundsätzlich Organismen sind. Ich habe ja oft gesagt, auch in diesem Hörsaal, und sage es auch jetzt wieder, dass ich nicht glaube, dass aus unorganisch-materiellem, rein immanent, physikalisch, chemisch, biolo­gisch Erklärbarem in irgendeiner Form Leben entstehen kann. Ich glaube, dass, und dafür spricht viel, dass das Lebendige, das Leben überhaupt das Grundprinzip, die Basis in gewisser Weise das Alpha und Omega der gesamten Entwicklung ist und auch organisch-lebendig beseeltes Leben, das heißt Leben, was auch in den evolutionären Prozess auf höheres Bewusstsein zielt, Träger höheren Bewusstseins ist, dass die Welt in toto organisch ist.

Einer der Denker, die das wunderbar vor über 200 Jahren auf den Punkt gebracht hat, war Schelling, der, das muss man nicht so übernehmen, wie er das damals formuliert hat, aber er hat auf eine wunderbare Weise gezeigt, dass man die Vielfalt der organischen Welt oder dass man sich der Vielfalt der organischen Welt am sinnvollsten annähert, wenn man von dem kosmisch, von den kosmischen Systemen als einem Total-Organismus ausgeht, und dass man … dann muss man auch unterstellen, dass es in einem in toto lebendigen Kosmos natürlich auch Wechselwirkungsphänomene gibt, vielleicht auch Resonanzphänomene, vielleicht wirklich Attraktoren gibt, die aus anderen Gestirnen und anderen Planetensystemen, Sternensystemen sozusagen im Sinne dieses Attraktors auch die Formen schaffen. Dann wäre es möglich, rein hypothetisch, dass die Formen, die hier entstehen, nicht einfach neu sind, auch wenn sie uns neu erscheinen, sondern dass sie uralt sind, lange vorgeprägt im kosmischen Gesamtzusammenhang und sich sozusagen ent­wickeln im Sinn des Attraktors, zu einer Form gezogen werden oder Erinnerungsvorgänge sind, dass sich sozusagen aus einem Erinnerungsvorgang heraus die Form neu schafft. Damit ist man dann bei einem vollkommen anderen, … bei einer vollkommen anderen Dimension.

Das muss man Sheldrake immerhin zugute halten, es gibt bei ihm Überlegungen in diese Richtung, dass auch er …, er vertritt auch gelegentlich die Auffassung, dass es eine morphische Resonanz in kosmischer Größenordnung geben könnte und dass von dort her die Formen erklärt werden könnten. Mal eine kleine Passage nur von Schelling. Ich lese Ihnen das mal vor, weil der Text wird Ihnen sonst nicht geläufig sein. Und das ist in der Sprache der Philosophie der damaligen Zeit geschrieben, aber auf eine wunderbare Weise bringt er diese Dinge hier auf den Punkt. Ich lese das mal vor, eine kleine Passage, Schelling, 1797: „Im Zweckmäßigen durchdringt sich Form und Materie, Begriff und Anschauung. Eben dieses ist der Charakter des Geistes, in welchem Ideales und Reales absolut vereinigt ist.“ Das hat die Menschen damals kolossal bewegt, die intellektuelle Elite bewegt. Wie ist das möglich? Die Fragen sind heute, werden heute gestellt, sie sind auch damals gestellt worden. „Daher ist in jeder Organisation etwas Symbolisches, und jede Pflanze ist sozu­sagen der verschlungene Zug der Seele.“ Das ist echt poetisch, metaphorisch, buchstäblich in Anführungszeichen. „Jede Pflanze ist sozusagen der verschlungene Zug der Seele, da in seinem Geist ein unendliches Bestreben ist, sich selbst zu organisieren.“ Interessant ist, dass der Begriff der Selbstorganisation bei Schelling schon auftaucht. „So muss auch in der äußeren Welt eine allgemeine Tendenz zur Organisation sich offenbaren. Das Weltsystem ist eine Art von Organisation, das sich von einem gemeinschaftlichen Zentrum aus gebildet hat. Die Kräfte der chemischen Materie sind schon jenseits des bloß Mechanischen. Selbst rohe Materien, die sich aus einem gemeinschaftlichen Medium scheiden, schießen in regelmäßigen Figuren an. Der allgemeine Bildungstrieb der Natur verliert sich zuletzt in einer Unendlichkeit, welche zu ermessen selbst das bewaffnete Auge nicht mehr fähig ist. Der stete und feste Gang der Natur zur Organisation verrät deutlich genug einen regen Trieb, der mit der rohen Materie gleichsam ringend, jetzt siegt, jetzt unterliegt, jetzt in freieren, jetzt in beschränkteren Formen sich durchbricht. Es ist der allgemeine Geist der Natur, der allmählich die rohe Materie sich selbst anbildet. Vom Moosgeflecht an, in dem kaum noch die Spur der Organisation sichtbar ist, bis zur veredelten Gestalt, die die Fesseln der Materie abzustreifen zu haben scheint, herrscht ein und derselbe Trieb, der sie nach einem und demselben Ideal von Zweckmäßigkeit zu arbeiten, ins Unendliche fort und dasselbe Urbild, die reine Form unseres Geistes auszudrücken bestrebt ist.“

Das ist der entscheidende Punkt. Die reine Form des Geistes ̶ das ist das Telos, gewissermaßen. „Es ist keine Organisation denkbar ohne produktive Kraft. Ich möchte wissen, wie eine solche Kraft in die Materie käme, wenn wir dieselbe als ein Ding an sich annehmen“, also wenn sie nur Außenwelt wäre im Sinne Kants. „Es ist hier kein Grund mehr, in Behauptungen vorsichtig zu sein. An dem, was täglich und vor unseren Augen geschieht, ist kein Zweifel möglich. Es ist produktive Kraft in Dingen außer uns. Eine solche Kraft aber ist nur die Kraft eines Geistes. Also können jene Dinge keine Dinge an sich, können nicht durch sich selbst wirklich sein. Sie können nur Geschöpfe, Produkte eines Geistes sein. Die Stufenfolge der Organisationen und der Übergang von der unbelebten zur belebten Natur verrät deutlich eine produktive Kraft, die erst allmählich sich zur vollen Freiheit entwickelt. Es ist also notwendig Leben in der Natur, so wie es eine Stufenfolge der Organisationen gibt, so wird es eine Stufenfolge des Lebens geben.“ 1797, müssen Sie bedenken, ist das formuliert. „Nur allmählich nähert sich der Geist sich selbst an, denn nur das Leben ist das sichtbare Analogon des geistigen Seins.“ Und so weiter.

Also sehr tiefsinnige, großartige und weitreichende Überlegungen, die hier der damals 22-jährige Schelling in seiner naturphilosophischen Reflexion anstellt. Also die Frage, wie Neues entsteht, lässt sich mit den bisherigen Mitteln des Denkens nicht beantworten. Es ist ein Mysterium und kann auch ruhig als ein solches erst einmal in das Bewusstsein aufge­nommen werden. Es ist etwas, was einer Erklärung und nicht nur einer reduktionistischen Erklärung sich weitgehend entzieht. Es ist ein Rätsel. Wenn wir das in einem höheren evolutionären Kontext sehen, dann ist es wahrscheinlich, dass sich in der Stufenfolge der Wesen, um jetzt nicht den tausendfach abgenutzten Begriff „Evolution“ zu verwenden, der schon wenig mehr aussagt, also in der Stufenfolge der Wesen und ihrer vielfältigen Organisationen sich ein großer Attraktor bemerkbar macht, gewissermaßen der einem Telos zustrebt, was zu tun hat mit Geist; Annäherungsstufen des Geistes an seine eigentliche Gestalt, wobei diese Stufen nicht nur Stufen zu dem Höchsten hin, sondern auch unmittelbar zu Gott im Sinne von Leopold von Ranke sind.

Also, die Gestalten nach meiner Überzeugung, vorsichtig formuliert, die Gestalten­fülle der Natur, die Pflanzen, bei denen sind wir ja, damit beschäftigen wir uns ja in diesem Semester, das sind Formprinzipien, die meiner Überzeugung nach aus diesem höheren oder anderen Raum wirken. Da sind Formprinzipien, die nicht im engeren Sinne, im Anschauungsraum, im dreidimensionalen Anschauungsraum wurzeln, die in diesem ande­ren höheren Raum wurzeln und aus diesem anderen Raum heraus in den physisch-sinnlichen Raum, in die physisch-sinnliche Welt, hineinwirken. Ob das ein Reservoir von Archetypen ist, die kosmischen Ursprungs sind, ist zu vermuten. Das weiß ich nicht. Es ist möglich. Es ist wahrscheinlich, dass wir es hier zu tun haben mit einem ungeheuren Reservoir an kosmischen Archetypen. Das kann man nicht letztgültig beweisen und muss es auch gar nicht. Man kann ruhig an dieser Stelle mit einiger, sagen wir mal, ruhig mal Bescheidenheit und Zurückhaltung sagen: Diese Phänomene müssen sich gar nicht einem reduktionistischen Zugriff erschließen. Alles spricht dafür, dass das in sich unmöglich ist. Man kann diesen Phänomenen und man muss diesen Phänomenen sich grundsätzlich anders nähern.

Und das will ich Ihnen ja auch immer wieder nahelegen, indem was ich sage, das habe ich ja auch schon getan, in der letzten Stunde etwa, will das auch in der nächsten Vorlesung wieder machen, wenn ich Ihnen dann versuche darzustellen, wie man die geistig-seelische Dimension der Pflanzen verstehen kann, wie man sie auch in ihrer mög­licherweise kosmischen Dimension verstehen kann und wie man sich bewusstseinsmäßig diesen Schichten auch annähern kann, ohne dass man nun Techniken nennt, die zu schnellen Ergebnissen führen. Also, das habe ich auch schon mal im Scherz gesagt, ohne dass ich das lächerlich machen will: Setze dich in einer Vollmondnacht unter eine Buche, habe ich, glaube ich, gesagt, und gucke was dann passiert. Das ist auch gut, das zu tun. Ich sage nicht, dass das schlecht ist, aber man muss einfach wissen, dass man dann in einem sehr subtilen und sehr zarten Bereich sich befindet, wo alle Schematismen eher hinderlich sind. Nicht, Sie erinnern sich an meine vorsichtige Kritik an dem Schematismus etwa des Geomanten Stefan Brönnle in seinem Buch „Paradiesgarten“. Nicht, der hatte ja das am Beispiel von Sanssouci entwickelt, habe ich Ihnen ja erzählt. Und dann gibt er eine Zuordnung, und das mündet in einen Schematismus. Und das ist schade, weil das zu einer falschen und letztlich vereinseitigenden Sichtweise führt. Das berühmte Ganzheitliche, von dem so gerne geredet und auch fabuliert wird, geht dabei einfach verloren. Also das versuche ich ja gerade zu erhalten, soweit es jetzt einmal durch Sprache, durch das, was ich hier selbst vortrage, möglich ist. Das ist ja immer nur begrenzt, aber immerhin. Man kann durch die Sprache etwas in den Raum stellen, Gestalt werden lassen, und wer dann das mit vollziehen möchte, der kann es mitvollziehen, wenn er sich da einschwingt. Ich rede ja nicht nur über die Dinge, sondern ich versuche ja, das habe ich ja mehrfach auch gesagt, sozusagen die Sache selber in diesem Moment, in dem ich hier stehe und rede, zur Erscheinung zu bringen. Ich rede nicht von außen darüber, das ist uninteressant, sondern ich versuche es sozusagen in dem Moment von innen her zu verdeutlichen. Und wenn man das mitvollzieht, wenn man das mitvollzieht, konditional, dann hat man ein Stückchen von dem begriffen, worum es mir geht.

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Warum wachsen die Pflanzen? – Licht & Schwere im Pflanzenreich

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 41

Transkript als PDF:


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Ich habe versucht, in der letzten Vorlesung Ihnen relativ ausführlich und breit, und ich meine auch differenziert, vielleicht auch subtil, wie immer, darzustellen, was ich unter dem so genannten Pflanzen-Selbst verstehe. Ich habe Ihnen Beispiele gegeben, wie man das denken kann, wie man das in Zusammenhang bringen kann mit Vorstellungen, auch in verschiedenen Traditionen, etwa die Lehre von den Koshas habe ich erwähnt, der Hüllen, der feinstofflichen Hüllen des Menschen bzw. des menschlichen Körpers. Und ich habe Ihnen versucht zu erläutern, dass da eigentlich zwei Aspekte in meinem Verständnis drinstecken. Einerseits ist das Pflanzen-Selbst eine Art integraler Teil der menschlichen Gesamtwesenheit. Die Anthroposophen würden vielleicht von Wesensglied sprechen, ein pflanzlich-vegetatives Wesensglied des Menschen, das man auch anders bezeichnen könnte. Und auf der anderen Seite ist das Pflanzen-Selbst eine mediale Zone in der menschlichen Existenz und Gesamtheit, mittels derer er Zugang gewinnen kann zu dem, was ich mit vielen anderen „die planetare Intelligenz“ nenne. Das habe ich Ihnen ausführlich dargestellt, und da möchte ich anknüpfen und möchte versuchen, den nächsten Schritt zu vollziehen.

Die nächsten drei Vorlesungen, heute, in einer Woche und in zwei Wochen gehören in gewisser Weise zusammen, sind der nächste Block, die Frage: Warum wachsen die Pflanzen? Polarität von Licht und Schwere im Pflanzenreich, dann: Die Pflanze, das Licht und der Raum in einer Woche ‒ gibt es einen höheren oder anderen Raum? Und dann die Frage nach dem Ursprung der Formen, nach der Morphogenese: Felder, Seelen, Formungs­kräfte ‒ zum Ursprung der Formen in der Natur.

Am Ende der letzten Vorlesung bat mich ein Zuhörer, einen kleinen Irrtum zu korrigieren, der mir unterlaufen sei im Hinblick auf die Frage des Wirkstoffes in dem Kaktus Peyote. Sie werden sich erinnern, wir hatten am Ende eine Diskussion über Peyote, weniger über den Aspekt der psychoaktiven Wirksamkeit von Peyote, das wird uns noch beschäftigen in einer späteren Vorlesung, 18.6., „Pflanzen der Götter“, als um den chemisch destillierbaren, herausdestillierbaren Bestandteil, das ist also nicht, wie ich gesagt habe, Psilocybin sondern Meskalin. Das ist korrekt, ich bin darauf angesprochen worden. Ich hatte Psilocybin gesagt. Also dieses Psilocybin als Alkaloid ist im mexikanischen Zauber­pilzen enthalten und offenbar nicht in den Kakteen. Ich habe das nochmal in einem Spezial­buch darüber nachgelesen. Also der Betreffende, der mich darauf angesprochen hat und mich bat, dass ich das korrigiere, hat Recht. Ich war im Moment unsicher und habe das nochmal also nachgeschlagen.

Nun ist die Frage, die ich als Leitfrage für heute Abend formuliert habe ‒ warum wachsen die Pflanzen? ‒ ja eine Frage, die sehr komplex, sehr vielschichtig, sehr fein gebaut ist. Es geht ja nicht nur um die Frage, warum wachsen Pflanzen in die Höhe? Das ist ja die eine Wachstumsrichtung, die Pflanzen wachsen ja genauso sehr Richtung Erdmittelpunkt, verzweigen sich in die Tiefe. Übrigens vorzugsweise nachts und auch in die Breite. Es geht natürlich auch um die Frage, wie solche Prozesse überhaupt zu verstehen sind. Und deswegen sagte ich, dass die drei Vorlesungen zusammengehören. Denn in 14 Tagen will ich auch sprechen über die Frage der Morphogenese, Überlegungen zum Ursprung der Form in der Natur. Und da werden wir nochmal diese Fragen besprechen, wie es überhaupt möglich ist, dass sich aus kleinsten Ursachen so ungeheure Wirkungen entfalten können, was im Letzten ein Mysterium darstellt. Soweit ich die Literatur kenne, ist das nicht letztgültig erklärt und verstanden. Das ist letztlich immer noch ein großes Mysterium, warum überhaupt diese Wachstumsprozesse erfolgen, wie wir sie ja zum Beispiel jetzt im Frühling erleben, was ja eine eigenartige, sagen wir mal, Befindlichkeit in uns auslöst. Denken Sie an das, was ich in der ersten Vorlesung gesagt habe über die kollektive Verlegenheit, die bei Menschen generell entsteht, wenn die Gerüche sie durchwalten und durchweben und wenn Schönheit so elementar, so tief anrührend aufbricht, dann gibt es eine Hilflosigkeit im Menschen. Was macht er damit? Ein tumbes Staunen oder ein kurzes Angerührtsein, und dann ist man schon wieder bei den eigentlich wichtigen Dingen seiner eigenen Existenz oder Biografie.

Die Polarität von Schwere und Licht ist auch immer die Polarität von Schwere und Leichte, in Anführungszeichen, oder Leichtigkeit. Eine Grundpolarität, in der wir uns als Leibwesen ständig befinden, in der wir uns bewegen, die wir in gewisser Weise als Leibwesen sind. Der bedeutende Denker über Fragen des Leibes und der Leibesphäno­menologie Hermann Schmitz hat ja die Leibphänomenologie aufgeteilt in die zwei Pole der Weite und der Enge, also leibliche Existenz als eine ständige Pulsation von Weite und der Enge. Und er hat das auch am Beispiel der Schwere und der Leichte, um mal dieses Substantiv zu verwenden, was es eigentlich gar nicht gibt, plausibel gemacht, was nicht identisch ist mit der Frage, ob das kosmische Licht tatsächlich eine Art antigravitativen Effekt auslöst, in gewisser Weise also schweremindernd wirkt, also die Gravitation ein­schränkt, herabsetzt, vermindert. Das ist nicht das Gleiche, aber es sind zwei Phänomene, die ganz eng miteinander zu tun haben. Ich habe mal eine kleine Stelle rausgesucht aus diesem Buch, Büchlein von Hermann Schmitz „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, Sie wissen, ich schätze es sehr, und ich will Ihnen mal eine kleine Stelle vorlesen, wo er auf eine wunderbare Weise dieses polare Wechselspiel von Schwere und Leichtigkeit in der Leibesphänomenologie zeigt. Ich sage das nochmal: Das ist nicht identisch mit der Frage, ob Licht, kosmisches Licht, einen antigravitativen Effekt auslöst. Dies ist hier eine Frage der Empfindung. Denn das muss nicht unbedingt da draußen in der Welt objektiv oder objek­tivierbar ein Korrelat haben. Man kann sich schwer fühlen, sehr schwer, bleischwer, drückendschwer, auch eine Atmosphäre kann drückendschwer sein und [es] kann trotzdem die messbare Gravitation sich nicht verändert haben. Es gibt Empfindungen, Empfindungslagen, wo die Schwere [be]lastend wird.

Eine der eindrucksvollsten Stellen dieser Art, die ich hier gelesen habe, die Literatur stammt aus dem „Weltkrieg II-Tagebücher“ von Ernst Jünger, wo er schildert, wie er gezwungen war, einer Erschießung beizuwohnen. Da schreibt er also suggestiv, wie er immer schwerer wurde. Dieses Grauen dieses Momentes, das mitansehen zu müssen, weil er war als Offizier abgeordnet, hat ihn sozusagen in den Erdboden reingedrückt. Und das wird so suggestiv dargestellt, dass man, wenn man das liest, das nachvollziehen und mit vollziehen kann. Hermann Schmitz „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, Gefühle über Schwere und Leichte. Ich lese mal diese Passage vor, ehe wir dann den nächsten Schritt machen. „Gefühle sind räumlich, aber ortlos ergossene Atmosphären.“ Das ist eine Grund­prämisse von Hermann Schmitz, dass Gefühle räumlich sind und nicht einfach nur in der Brust des je Einzelnen. Das sind Atmosphären, die den Raum erfüllen, das wird uns noch beschäftigen im Sinne von Hermann Schmitz, eine Art prädimensionalen Raum, etwas Fluidales, nicht nur subjektiv oder psychologistisch zu erklären, das ist wichtig.

„Diese These wird man für einige Fälle leicht zugeben können, wenn man sich mit den Differenzierungen der Räumlichkeit genügend vertraut gemacht hat und nicht nur für alles, was räumlich ist, einen bezifferbaren Dimensionsgrad, Lagen, Abstände und eine messbare Größe oder Figur erwartet.“ Das nennt Schmitz den Ortsraum. Das ist der mathe­matisch abstrakt-geometrische Raum, der ist nicht der wirkliche Raum, nicht der Raum der Leibeserfahrung, das wird uns noch ausführlich beschäftigen, diese ganzen Fragen. Es gibt sozusagen einen prädimensionalen Raum, den dimensionalen Raum und einen trans­dimensionalen Raum. „Die bereits skizzierte Eigenart der Räumlichkeit des Leibes wird darauf vorbereitet haben. Andere Beispiele liefern die Räumlichkeit des Schalls oder auch die seines Gegenteils, die Stille.“ Wunderbare Aussagen über die Stille. „Eine feierliche oder zarte morgendliche Stille ist weit, eine drückende, lastende, bleierne Stille dagegen eng und dumpf. Beides sind leibverwandte, synästhetische Charaktere.“ Nicht, das erschließt er ja für die Philosophie neu, das war ja bis dato ‒ mit wenigen Ausnahmen ‒ Ludwig Klages und anderen ‒ mehr oder weniger ein Feld der Psychologie, der Befindlichkeit, der Subjek­tivität. Er erschließt das ja für die Philosophie, für das Denken in diesem Sinne also auch für das atmosphärisch Ganzheitliche. „In solcher Weise, wie die ausgeprägte Stille und natürlich nicht als physikalisch interpretierbare Gebilde, sind auch Gefühle räumlich. Für kollektiv zugängliche Atmosphären unter Menschen, ein Beispiel, die Verlegenheit, in die man nichts ahnend hineinplatzt, so dass ihm das Wort auf den Lippen erstirbt, die Albern­heit oder Feierlichkeit eines Festes, die Bedrücktheit, Angespanntheit oder Aufgeregtheit, die sich bei entsprechenden Herausforderungen über Menschen legt und für optisch klimatische Atmosphären, Abendstimmung, Gewitterstimmung dürfte das einleuchten. Es trifft aber auch auf private Atmosphären zu, wenn sie nur einen ergreifen. Ein gutes Beispiel ist die Freude, die den Glücklichen hüpfen oder gar, wie man sagt, in Seligkeit schweben lässt, als ob die Schwere keine Rolle mehr spielte. Es liegt nahe, diese Leichtigkeit und Schnellkraft auf ein gesteigertes leibliches Kraftgefühl, mit dem der Frohe die Gravitationskraft zu überspielen meint, zurückzuführen. Aber diese Erklärung genügt nicht. Das leibliche Befinden, das durch Freude angeregt wird, kann von vielerlei, sogar von gegensätzlicher Art sein.“ Und wo dieses Element, was angesprochen wurde, sicherlich auch hineinspielt, also eine größere Elastizität und Schnellkraft, gesteigertes leibliches Kraftgefühl. „Zwar gibt es die kraftvolle, expansive, hochgespannte Art, sich zu freuen, aber auch die weiche Freude, in die man sich fallen lässt. Und auch die kann dem Ergriffenen das mühelose Angehen gegen die Schwere eingeben. Es ist also nicht die kraftvoll angefachte Leiblichkeit, sondern die Freude selbst als eine Atmosphäre ganz entscheidend, in die der Frohe leiblich spürbar hineingeraten ist.“ Sehr weitgehend, was allem widerspricht, was auch alltags, im Alltagsbewusstsein so gehandelt wird. „Die für sein leibliches Empfinden die drückende Schwere löscht. Wie durch einen Zauberschlag sind alle niederdrückenden Vektoren umgedreht, so dass der Mensch von einer Atmosphäre, die es ihm erlaubt, sich über die Schwere hinwegzusetzen, gleichsam mitgezogen wird. Physikalisch hat sich dadurch natürlich nichts geändert, aber der Mensch kann eben nicht nur als Körper unter dem Einfluss des Schwerefeldes der Erde oder der Schwerelosigkeit kommen, sondern auch als Leib unter den Einfluss einer Atmosphäre des Gefühls von Schwere oder Leichtigkeit anderer, nicht physikalisch messbarer Arten“.

Das hatte ich gesagt, das sind zwei verschiedene Dinge, obwohl beides natürlich ineinander greift, ineinander spielt. Das würde uns noch beschäftigen. Es ist nicht in einem absoluten Sinne zu trennen. Leibesphänomenologisch, Atmosphäre, Schwere, Leichte, nicht vollständig zu trennen von jenem anderen Phänomen. „So verhält es sich auch bei der zur Freude konträren Depression oder Gedrücktheit, in Kummer, Trauer oder Schwermut. Dabei handelt es sich um keine gesteigerte körperliche Empfindlichkeit für die Gravitation, überhaupt nicht um eine auf einzelne Körper verteilte Schwere, sondern um eine ganz­heitliche atmosphärische Schwere von der Art, wie man von drückendem Wetter spricht, das Menschen trübe und missmutig stimmt.“ Und so weiter.

Also eine wunderbare Passage, die man im Grunde zwei-, dreimal lesen, mitdenken, mitspüren müsste, um sie vollgültig zu verstehen. Ich denke aber, zumindest atmosphä­risch ist deutlich geworden, worum es geht. Das ist also eine Komponente aus unserer eigenen Leiblichkeit, die wir auch in Verbindung bringen können mit den Wahrnehmungen der Pflanzen. Und jetzt tun wir den nächsten Schritt. Die Frage ist ja, warum wachsen die Pflanzen ‒ die Polarität von Licht und Schwere im Pflanzenreich.

Ich habe in der ersten Vorlesung am 23. April einen kurzen Satz Goethes zitiert, den ich mir zu eigen machen möchte. „Je älter ich werde, je mehr vertraue ich auf das Gesetz, wonach die Rose und Lilie blüht.“ Das würde ich auch für mich in Anspruch nehmen und sagen, auch vertraue ich auf das Gesetz, wonach die Bäume wachsen, wonach die Jahreszeiten gestaltet werden, wonach überhaupt die Dinge der lebendigen Natur leben und sind. Auf dieses Gesetz vertraue ich immer mehr, je älter ich werde. Und ich staune immer mehr, gerade jetzt wieder erneut in diesem Frühling, ich staune immer mehr und wundere mich, was ich früher alles nicht gesehen habe. Das ist ja, wenn man mal eine Fokussierung vornimmt, eine Wahrnehmungsveränderung in einer bestimmten Richtung, zum Beispiel, welche Wuchsform haben eigentlich Bäume, wie wachsen sie eigentlich? Wie treten die Zweige aus dem Stamm heraus? Hat das was zu tun mit der Frage, ob ein Baum allein steht, ob er in einer Gruppe steht? Hat das was zu tun mit der Himmelsrichtung? Wie sieht es mit der Südseite aus, mit der Nordseite? Hat das was zu tun mit ganz bestimmten Gruppierungen anderer Bäume um ihn herum? Oder wie sind die Blätter gestaltet? Was für eine Atmosphäre löst dieser Baum oder jener Baum, diese Baumgruppe aus? Warum zum Beispiel werden Kastanien gerne bei Restaurants mit Stühlen im Freien gepflanzt? Warum fühlt man sich auf eine eigenartige Weise geborgen unter Kastanien? Warum stehen da nicht Pappeln oder Birken oder Weiden zum Beispiel? Oder Erlen? Wenn das möglich wäre vom Boden her. [Es] stehen eben aus gutem Grund Kastanien [dort]. Und was löst eine Eiche in mir aus? Was lösen Buchen in mir aus? Eine Esche in ihrem hellen .., wenn der Himmel, ein blauer Himmel, durch das Blätterwerk hindurchstrahlt. Eschen sind ja unvorstellbare Bäume. Angeblich, so hab ich es irgendwo gelesen, sollen es die größten Bäume sein, die es gibt. Die eine tasmanische Bergesche soll 91 Meter hoch werden, was ja enorm ist. Da erhebt sich sofort die Frage, wie ist es möglich, dass die Säfte aus dem Erdboden gegen die Gravitation eine so ungeheure Höhe hinauf transportiert werden? Am Tage wohlbemerkt, nachts gibt es eine gegenläufige Bewegung.

Ich habe hier festgestellt, bzw. der Marco Bischoff hatte mir das schon am Telefon gesagt, dass hier ein gewisser Georg Schauberger auch tätig ist. Vermute mal, der Enkel von Schauberger, und sein Großvater Viktor Schauberger hat sich ja mit diesen Fragen sehr intensiv beschäftigt. Wie kommt es zum Beispiel, diese .., wie kommt diese polare Bewegung in den Bäumen in der Kambiumschicht vor allen Dingen zustande, das ist ja ein hochspannendes, hochinteressantes Phänomen, was auch zu tun hat mit der Frage der Photosynthese, diese merkwürdige Fähigkeit, wie kommt das überhaupt, dass aus H2O Wasser, dann Kohlendioxid, wie kann sich da der Chlorophyll bilden? Was geschieht da eigentlich? Wie wird das Licht hier reingezogen? Nicht, der Sauerstoff wird ausgeatmet, von den Pflanzen, Kohlendioxid eingeatmet. Das sagt sich schnell, man kann die chemische Formel überall nachlesen. Das kann man auch als Nicht-Chemiker einigermaßen verstehen. Aber die Frage ist: Was ist das wirklich? Was steckt wirklich dahinter? Was steckt hinter dieser Formel, die man in jedem Chemiebuch oder einem Biologiebuch da nachlesen kann? Also diese Fragen sind kolossal interessant und aufschlussreich.

Ich sage nochmal, was ich vor 14 Tagen auch gesagt habe: Die Empfindungen, die zum Beispiel Bäume im Menschen auslösen, sind nicht der nur subjektiven Seite zuzu­schlagen, die man abgrenzen könnte von dem angeblich allein Objektiven. Das versuche ich Ihnen auch schon in den früheren Vorlesungen klarzumachen. Das versuche ich ständig zu vermitteln, zu überbrücken und verständlich zu machen, dass die Gesamtgestalt der Wirklichkeit immer eine Subjekt-Objekt überschreitende ist. Das habe ich Ihnen gleich am ersten Tag, am 23. April, versucht zu verdeutlichen, dass diese schroffe Trennung, hier sind wir, hier ist unsere subjektive Befindlichkeit, da ist die Außenwelt, so gar nicht möglich ist. Sie ist abstrakt. Sie ist eine Konstruktion unserer Kultur. Eine Konstruktion unserer Kultur, und wir haben es aber trotzdem, und gerade weil es so ist, sehr schwer, in diese Voraussetzung, in das Dickicht dieser Voraussetzung hineinzugehen. Ich habe mal aus ei­nem Buch, was nicht im Literaturverzeichnis ist, weil ich wollte das nicht überfrachten, eine Stelle rausgesucht über die Frage, was Bäume mittels Photosynthese leisten können. Das ist ein Buch, was ich Ihnen wärmstens empfehlen kann, von einem Autor namens Callum Coats, „Living Energy“, auf Deutsch „Natur-Energien verstehen und nutzen ‒ Viktor Schaubergers geniale Entdeckung“.

Vorab will ich sagen, das wird uns noch ausführlicher später beschäftigen, dass ich grundsätzlich von einer planetaren Pulsation ausgehe, von einer planetaren Pulsation, die etwas zu tun hat mit dem Wechselspiel der Verstrahlungsenergie der Gestirne. Ich habe das in verschiedenen Zusammenhängen in diesem Hörsaal hier dargestellt, vor allen Dingen im Wintersemester 1999/2000 und 2000/2001 in einer sehr breiten, ausführlichen Form, auch im Zusammenhang mit der Kritik an der Mainstream-Kosmologie. Das will ich hier nicht tun noch einmal, das würde viel zu weit führen. Aber diese Dinge werden wir ansprechen, immer wieder ansprechen.

Also, in diesem Buch „Natur-Energien“ wird auf eine sehr anschauliche Weise die unvorstellbare Leistungsfähigkeit dieses mysteriösen Vorgangs Photosynthese dargestellt. Hier wird ein Beispiel gegeben, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, obwohl ich relativ selten so eine, sagen wir mal, gleichsam ein Stakkato von Zahlen Ihnen serviere, weil ich immer das Gefühl habe, dass damit das Wesentliche weggeht. Deswegen benutze ich grundsätzlich keine Folien. Ich habe das jetzt wieder auf dem Kongress erlebt, dass alle Vortragenden jagen die Folien durch. Das finde ich einfach absurd, weil das eine Objekti­vierung darstellt, die genau dem Thema der Subjekt-Objekt-Überschreitung widerspricht. Denn wenn man glaubt, man hat ein Diagramm an der Tafel, und glaubt man hätte irgendwas ‒ man hat gar nichts, man hat nichts weiter als ein Gerippe. Eine Beschreibung, die im besten Falle präzise ist, im schlechtesten Falle ist sie extrapoliert und sehr ungenau und wird häufig noch mit ganz waghalsigen Interpretationen versehen. Deswegen mache ich das nicht. Nicht, dass ich es nicht kann, das ist nicht der Punkt, das ist nämlich sehr einfach.

Ich will Ihnen trotzdem mal ausnahmsweise eine Schilderung vorlesen, die mich beein­druckt hat. Zum Beispiel hat mich immer die Frage schon als Kind manchmal beschäftigt, wie viel Blätter hat eigentlich so ein Baum? Habe ich geschätzt. Und Sie können ja auch mal schätzen, zum Beispiel eine ausgewachsene Buche. Was schätzen Sie? Sie werden nicht darauf kommen. Ich wusste es nicht. Ich lese, das sollen sieben Millionen Blätter sein, sieben Millionen Blätter, eine ausgewachsene Buche. Da sind 1,47 Hektar Verdunstungs­fläche. Das ist enorm, das ist wirklich enorm. Eine Birke soll es nur auf 200, 300, 400 000 Blätter bringen. Hier heißt es bei Callum Coats in dem Buch „Natur-Energien“: „Ehe wir die Bäume und ihr Wachstum nach den oben genannten Kriterien näher untersuchen, wäre es wohl angemessen, noch etwas besser zu verstehen, welchen besonderen Beitrag Bäume für die gesamte Umwelt leisten. Dazu verwenden wir das Beispiel eines 100-jährigen Baumes, dessen enorme Leistung Walter Schauberger, der Sohn von Viktor Schauberger, der auch mittlerweile verstorbene Walter Schauberger in den 70er-Jahren für die durchschnittliche Stoffabgabe europäischer Baumarten ermittelt hat. Ich lese Ihnen das mal vor, ausnahms­weise mal jetzt ein kleines Stakkato von Zahlen. Das hat mich doch beeindruckt. „Ein hundertjähriger Baum, der an reinem Kohlenstoff C etwa 2500 Kilogramm enthält, hat im Laufe seines Lebens eine Kohlendioxid-Menge, die in rund 18 Millionen Kubikmeter natürlicher Luft enthalten ist, verarbeitet. In den 100 Jahren seines Lebens 9100 kg CO2 und 3700 Liter H2O photochemisch umgesetzt, etwa 23 Millionen Kilokalorien eingespei­chert, eine Wärmemenge, die in rund 3500 kg Steinkohle enthalten ist, 6600 kg Sauerstoff O2 der Atmung von Mensch und Tier zur Verfügung gestellt. Nicht, die Pflanzen atmen ja quasi den Sauerstoff aus, den wir einatmen. Sie atmen Kohlendioxid ein und Sauerstoff aus, genau reziprok. Innerhalb dieser 100 Jahre hat dieser Baum außerdem mindestens 2500 Tonnen Wasser aus dem Wurzelraum bis in die Krone entgegen der Schwerkraft angeho­ben und in die Atmosphäre verdunstet. Nicht, diese enorme Zugkraft, die mit osmotischen Saugbewegungen, wie es in vielen Biologie-Büchern steht, keineswegs letztgültig erklärbar ist. Diese ungeheure Kraft, mit der die Säfte gewissermaßen aus den tiefsten Tiefen der Erde hinaufgezogen werden, bis in die feinsten Verästelungen der Zweige hinein. Und dann nachts geschieht eine Gegenbewegung, das muss man wissen, dass Pflanzen ja auch zunächst mal nach unten wachsen. Eine Pflanze könnte ja nicht nach oben wachsen, wenn sie nicht im Boden erst einmal verwurzelt wäre. Ein schönes Beispiel übrigens überhaupt für alles Nach-oben-Streben. Es bedarf der Erdung. Da könnte der Mensch wirklich von den Pflanzen viel lernen. Er müsste auch erst einmal nach unten wachsen, ehe er nach oben wachsen kann oder will. „Jeder Baum ist somit eine Wassersäule. Fällt man so eine Säule, die die Atmosphäre kontinuierlich wieder mit Wasser versorgt und auflädt, so geht diese Wassermenge unwiederbringlich verloren.

Doch nun weiter im Wald der Schauberger-Berechnung“, also der Vater dieses jungen Schauberger und Sohn von Viktor Schauberger, dieses großartige Naturforschers, der wirklich genial war. „Dabei wird eine Wärmemenge entsprechend dem Heizwert von rund 25 000 kg Kohle gebunden. Dieser Baum hat einen Wohlstandsbürger mindestens 20 Jahre beatmet. Das lag in der Natur dieses Baumes, dass er, je älter er wurde, umso mehr Sauerstoff produzierte. Wer möchte angesichts solcher Leistungen einen Baum in Zukunft nur nach seinem Holzwert beurteilen? 30000 Kilometer gleich hundertjährige Sauerstoff-Produktion. 20 Jahre versorgte er also einen Menschen neben allen anderen Dingen mit Atmungsstoff. 100 Liter Benzin verzehren [beim Verbrennen] rund 230 Kilogramm Sauer­stoff. Das heißt nach kaum 30000 km Autofahrt [mit] 9,6 Liter Benzin pro 100 Kilometer ist die hundertjährige Sauerstoff-Produktion dieses Baumes vertan.“ Sehr interessant, sich dieses, mal einen Moment sozusagen auf der Zunge zergehen zu lassen. „Will ein Bürger drei Jahre atmen oder 400 Liter Benzin verfahren oder 400 Liter Heizöl oder 400 Kilo­gramm Kohle verbrennen, so ist die Produktion von einer Tonne Sauerstoff O2 durch Photosynthese notwendig.“ Also O2, das abgegeben wird an die Atmosphäre „und dann die photosynthetische Produktion von einer Tonne Sauerstoff erfordert, dann Aufbau von 0,935 Tonnen C4H12O6.“ Und so weiter.

Also mal ein kleines Stakkato von Zahlen, das aber immerhin einen zarten Hinweis gibt auf die unvorstellbaren Fähigkeiten dieser rätselhaften Wesen, die wir Bäume nennen. In dieser unvorstellbaren Ruhe, Souveränität, ja Heiterkeit, Majestät, kann man auch sagen, sind diese rätselhaften Wesen ständig tätig auf eine Weise, die sie mit der planetaren Intelligenz verbindet. Sie nehmen über das kosmische Licht Energie auf, strahlen sie in den Erdboden hinein, nehmen auf dem Erdboden auch Erd-Energie auf, und das Ganze ist ein ständiges Wechselspiel von kosmischem Licht und Reagieren auf die gravitativen Kräfte. Jetzt zur Photosynthese nochmal eine kleine Passage aus diesem sehr schönen Buch von Callum Coats „Natur-Energien verstehen und nutzen“: „Wie die Gezeiten reagieren auch die Pflanzenkräfte mit Ebbe und Flut auf die Anziehung von Sonne und Mond.“ Man kann die Gezeiten auch anders deuten. Ich habe das versucht mit Schwergewicht auf der Sonne, nicht auf dem Mond. Das sei hier nur am Rande erwähnt. Ich halte die herrschende These für schlecht gestützt. Es gibt gute Gründe, die Sonne als primären Verursachungs­faktor hier ins Spiel zu bringen. Man muss nur die ungeheuren Trägheitskräfte der Wassermassen, die um den Globus geschoben werden, anders ins Spiel bringen. „Manchmal wirken die Kräfte beider Himmelskörper zusammen, zu anderen Zeiten aus entgegenge­setzten Richtungen. Dieses Fluktuieren von oben nach unten und wieder zurück, entspricht der Vorstellung von der nach innen gerichteten Ying-Bewegung und der nach außen gerichteten Yang-Bewegung sowie den Grenzbedingungen für ihr Ausklingen. Die Natur arbeitet pulsierend, sie atmet ein und aus.“

Ich habe auch von der Pulsation schon gesprochen. Auch ich bin der Meinung, dass die Erde ein ständiges Pulsationsgeschehen durchwaltet, durchwirkt, dass alle Dinge, alle lebenden Lebewesen, alle es-haften Dinge tatsächlich am Tage eine Idee, eine Winzigkeit leichter sind als in der Nacht. „Die Natur arbeitet pulsierend. Sie atmet ein und atmet wieder aus.“ Schon das Bewusstsein im Übrigen, das möchte ich gleich an dieser Stelle nochmal bemerken, ist eine ganz starke antigravitative Kraft. Das wache Bewusstsein mindert in der vertikalen Ausrichtung des Leibes die gravitative Wirkung bis dahin, dass sie kaum gespürt wird. „Wenn die Sonne am Himmel emporsteigt, werden die mit Spurenelementen und Gasen aufgeladenen Säfte in Folge der energetischen Anregung bzw. Information durch den wachsenden Sonneneinfluss aufwärts gezogen, geschoben zum Teil auch, um dadurch, dass sie Mineralien und so weiter bereitstellen, die Photosynthese-Prozesse zu unterstützen. Die Photosynthese wiederum ist eng mit der Menge und der Qualität des vorhandenen Lichts verknüpft. Wenn der Lichteinfall abnimmt oder wenn etwa aufgrund von Luftverschmutzung nicht das volle Lichtspektrum bei der Pflanze ankommt, gehen auch Wachstum, Photosynthese und Chlorophyll-Produktion zurück, wie bekannt. Dadurch wird weniger Sauerstoff erzeugt und an die Atmosphäre abgegeben. Bei der Photosynthese wird ein gewisser Anteil des aufwärts strömenden Wassers bzw. Saftes in Kohlenhydrate umgewandelt. Das verbleibende Wasser benutzt die Pflanze für die Verdunstung, also zu Kühlungszwecken. Kühlung ist hier allerdings ein Prozess der Konzentration oder Spannung zur Erhöhung von Energie, die nichts mit der technischen thermodynamischen Verdampfung zu tun hat“.

Dann wird hier sehr schön gezeigt, für Chemiker ist das interessant oder für chemisch Interessierte, dass das Chlorophyll eine starke Ähnlichkeit hat mit dem Hämoglobin. Auch interessant, am Rande erwähnt, dass das Chlorophyll-Molekül gerade aus 137 Atomen besteht. Eine interessante Primzahl und vielleicht auch zahlensymbolisch aufzuteilen auf die 13, auf die 7, Zahl auch der Feinstrukturkonstante. Das sind Elemente, die ich hier nicht weiter ansprechen möchte. Ich habe im letzten Sommersemester ja zu harmonikalen Strukturen auch im Tier- und Pflanzenreich einiges gesagt. Das ist hochinteressant. Nur im Falle von Hämoglobin wird also hier Magnesium durch Eisen ersetzt. Und so weiter. Also dieser Vorgang ist jedermann bekannt, mehr oder weniger vertraut, aber ist im Letzten ein Mysterium.

Ich habe gerade den Punkt erreicht, den ich auch erreichen wollte bei der Pause. Meine Stimme ist noch so ganz gut in Schwung, mal sehen, wie weit sie noch vorhält. Wir machen mal eine kleine Pause und dann versuche ich nach der Pause dann die Schlussfolge Ihnen zu erläutern, wie ich das deute im Zusammenhang mit meinen Überlegungen zu dem der Pulsation von Schwere und kosmischem Licht. Sie können gerne die Bücher, die hier vorne liegen, einsehen.

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Das Tor zur Seele der Pflanzen

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 40

Transkript als PDF:


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Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zu dieser dritten Vorlesung im Sommersemester. Gerade dachte ich wieder mal, wie übrigens öfter, hier vorne vor dem Senatssaal gucke ich um mich und sehe diese Ehrfurcht gebietenden Köpfe von Celebritäten, die hier an der Humboldt-Universität gelehrt haben, gewirkt haben. Und ich denke, wie schon so oft: Wie vielem von dem, was diese Männer hier gelehrt haben, muss ich widersprechen! Und die … , meine, sagen wir mal, Ehrerbietung, hält sich in Grenzen, und vieles von dem, was ich hier sage, wird wahrscheinlich oder würde das Missfallen dieser strengen Herren finden. Das nur [als] ein kleines gefühlsmäßiges Aperçu.

Ich möchte zwei Dinge ergänzen zur letzten Vorlesung. Wir haben am Ende in der Diskussion ja eine Frage aufgeworfen, wie es kommt, dass Menschen gelernt haben, giftige von nicht giftigen Pflanzen zu unterscheiden. Sie kennen die herrschende These des Durch­probierens, die in dieser Form mir schlecht gestützt erscheint. Dann hat eine Dame, die hier das letzte Mal war, ein Beispiel gebracht von Tieren, die mittels der Selbstmedikation ganz bestimmte Pflanzen zu sich nehmen, um zu gesunden. Und dann habe ich verwiesen auf einen Artikel vom letzten „Spiegel“, der genau davon handelt. Ich will ihn nicht hier ganz vorlesen. Ich will Sie nur darauf hinweisen, letzter „Spiegel“, [Artikel]„Heilkräuter im Vogelnest“. Nur eine kurze Passage, ein sehr interessanter Artikel. „Brüllaffen schützen sich mit Fruchtstielen vor Karies, Elefanten fressen Dreck gegen Verstopfung, Stare stärken ihr Immunsystem mit Blumen. Zoologen entdecken, wie kranke Tiere sich selbst kurieren. Können die Tierarzneien aus dem Pflanzenreich auch den Menschen helfen?“ Und dann fängt der Text an. „Jäger lauern dem Hasen meist am Waldrand auf. Dort wachsen wilder Majoran, Pfefferminze und Kamille. Diese Heilkräuter mümmeln die Feldtiere angeblich besonders gern, weshalb Waidmänner auch über die Hasenapotheke spötteln. Michael Boppré hält die seltsame Angewohnheit der Hasen nicht für Jägerlatein. Der Freiburger Zoologe vermutet, der Hase bekämpft mit den Kräutern lästige Parasiten in seinem Magen und Darmtrakt. Als Indiz wertet der Forscher eine Tragödie, die sich derzeit auf deutschen Wiesen abspielt. Seit Jahren schon beobachten Biologen ein mysteriöses Sterben des Ostertieres. Äußerlich scheinen die Hasen wohl ernährt und kerngesund. Dennoch werden sie vielerorts immer weniger. Mit den einfallsreichsten Hypothesen hat man ihren Rückgang zu erklären versucht, sogar damit, dass sie wegen des Klimawandels häufiger Regen abbekommen und an Unterkühlung zugrunde gehen. Nun glaubt Boppré“, also dieser Biologe, der hier angeführt wurde, „die wahre Ursache gefunden zu haben.“ Und das hängt ganz dicht zusammen mit unserem Thema. „Gift und Dünger aus der industriellen Landwirtschaft zerstören den Kräutergarten der Hasen und damit ihren natürlichen Schutz gegen Parasiten. In den nächsten Wochen will Boppré den wissenschaftlichen Beweis für seine Vermutung antreten. Dafür wird er Hasen mit Parasiten infizieren und sie dann, bewährtes Verfahren, vor verschiedene Futtertröge setzen. Schlagen sich die kranken Hasen häufiger den Bauch mit Heilkräutern voll als gesunde Artgenossen, so Boppré, hätten wir einen weiteren Beweis, dass auch Tiere Arzneimittel schlucken.“ Und so weiter.

Ich muss das nicht im Einzelnen hier ausführen. Diese Art von Versuchsanordnung ist bestimmt bedenklich. Das hat viele Komponenten, die ich hier dahingestellt sein lassen möchte. Wen das interessiert, kann das gerne dann im „Spiegel“, wenn er ihn noch zur Verfügung hat, nachlesen. Sehr aufschlussreich die Frage: Wie kommt diese Wahrnehmung der Tiere für bestimmte Pflanzen, für bestimmte Kräuter zustande?

Dann wird hier ein wenig erklärungsstarkes Wort benutzt, was ja immer herhalten muss, wenn man es nicht genau sagen kann, dass sei eben der Instinkt, und was ist der Instinkt? Darüber habe ich im letzten Sommersemester im Zusammenhang mit dem Tier-Selbst ausführlich gesprochen, ein Mysterium eigentlich, was ist überhaupt der Instinkt? Ein erklärungsschwaches Wort [dazu].

Zweite Ergänzung. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung zu dieser Vorlesung habe ich ein Buch entdeckt, das ich mir vor zwei Jahren gekauft hatte. Das ist das letzte Buch des berühmten Joachim-Ernst Berendt kurz vor seinem tragischen Unfalltod im Februar 2000. Sie wissen, er ist durch einen Unfall in Hamburg ums Leben gekommen. Und er hat kurz vor seinem Tode noch ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Es gibt keinen Weg, nur Gehen“. Interessant für unser Thema an diesem Buch ist, dass der Großteil dieses Buches sich beschäftigt mit der Frage Mensch und Pflanze, genauer mit der Frage Mensch und Baum. Mehr als die Hälfte des Buches ist diesem Thema gewidmet, unter der Überschrift „Bäume und Menschen“ trägt Berendt in langen Jahren gemachte Beobachtungen ein über Bäume, über das Verhältnis des Menschen zu den Bäumen. Sehr interessant, hochinteressant, auch für unser Thema essenziell. Ich bin auf eine Passage gestoßen, die ich Ihnen kurz in Auszügen vorlesen möchte mit dem Titel „Heilige Bäume“. Sie erinnern sich, ich hatte Ihnen ja in der letzten Vorlesung anhand des Daphne-Mythos, genauer der Oper von Richard Strauss, versucht zu zeigen, wie in der mythischen Weltbefindlichkeit, in dem mythischen In-der-Welt-sein, das Mensch-Pflanze-Verhältnis konstelliert war. Das war ja der Ausgangspunkt der ganzen letzten Vorlesung, also Mensch und Pflanze im sakral-mythischen Raum. Die Daphne, die sich in einen Lorbeerbaum verwandelt, das habe ich ja als Ausgangspunkt genommen. „Heilige Bäume“ heißt es hier in einem Unterabschnitt des großen Kapitels „Bäume und Menschen“ in dem Buch von Joachim-Ernst Berendt „Es gibt keinen Weg, nur Gehen“. Hermann Hesse, Zitat am Anfang: „ ,Ein Baum spricht. In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen. Ich bin Leben vom ewigen Leben. Einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut, einmalig das kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein Amt ist“ ‒ immer noch Hermann Hesse ‒ „dem ausgeprägten Einmaligen das Ewige zu gestalten und zu zeigen. Ich vertraue, dass Gott in mir ist, vertraue, dass meine Aufgabe heilig ist, aus diesem Vertrauen lebe ich.‘ Hesse-Kenner Volker Michels weiß zu erzählen, dass der Dichter die ihm Heimat gewordene Casa Camuzzi in Montagnola, oberhalb des Luganer Sees, hauptsächlich der beiden Bäume wegen, in deren Laub Balkon und Wohnung verborgen waren, wie der Horst eines Vogels bezogen hat. Als die Bäume während seiner Abwesenheit gefällt worden waren, verlor er sein Heimatgefühl, malte noch einmal das alte Gemäuer und zog aus. Dass Bäume heilig sind, dieses Bewusstsein gibt es in den meisten Kulturen der Menschheit. Indianer, Germanen, Kelten, Afrikaner, die Völker Sibiriens, Inder, Malaien, Poly- und Mikronesier verehrten Bäume.“ Und so weiter, und hier ist von heiligen Linden, von heiligen Buchen die Rede, vom Weihnachtsbaum als einem letzten Relikt der Sakralität des Baumes. Ein urheidnisches, in gewisser Weise kosmisches Mysterium, was ins Christentum auf eine eigenartige Weise integriert worden ist. Das am Rande nur erwähnt. Ich kann Sie sehr auf dieses Buch hinweisen, da gibt es sehr viele wunderbare, präzise, zarte, poetische Beobachtungen zu Bäumen.

Mir fällt etwas ein, das ich vergessen habe zu erwähnen, das hole ich jetzt nach. Das gehört noch nicht zum eigentlichen Thema. Ich habe noch einmal Prospekte mitgebracht über die Bahro-Gedenkveranstaltung, hier nun auch in der vollständigen Form. Außerdem, das möchte ich erwähnen, habe ich eine kleine Werbung mitgebracht über ein Musik-Seminar, was ich an der Lessing-Hochschule veranstalte, über Mozart, Klang und Verwandlung, Annäherung an Mozart, 8. Juni und 9. Juni. Die Daten stehen drauf, auch was es kostet, was wir machen wollen. Wen das interessiert, der möge bitte dort an der Lessing-Hochschule anrufen, fragen und so weiter. Ich habe Ihnen das mal mitgebracht. Sie können das dann sich nehmen. 8. und 9. Juni, Klang und Verwandlung, Annäherung an Mozart, ein Musik-Workshop eigener Art, wie ich ihn seit vielen Jahren, ich glaube mittlerweile seit 12 Jahren, immer wieder veranstalte.


Nun, ich habe das heute genannt: „Gibt es ein Pflanzen-Selbst im Menschenwesen? Überlegungen und Thesen zu einem nicht-reduktionistischen Menschenbild.“ Das muss ich einleitend erklären, weil das zentral ist für die Art meines Zugangs überhaupt. Sie wissen, das müsste Ihnen deutlich geworden sein, schon aus den beiden ersten Vorlesungen, mein Zugang ist ein nicht-reduktionistischer, ein integraler, wenn man so will. Ein Versuch, verschiedenste Aspekte zusammenzuschließen zu einem Ganzen und dieses Ganze als Gestalt aufscheinen zu lassen und dieses Ganze als Gestalt auch in dem Moment des Vortragens in gewisser Weise wirklich werden zu lassen. Wenn ich zum Beispiel vor einer Woche den Richard Strauss herangezogen habe, seine Oper „Daphne“, im Zusammenhang mit der Mensch-Pflanze-Frage, dann ist das ein Verfahren, was im üblichen reduktio­nistischen Denken abwegig erscheint, wie etwas Poetisch-Metaphorisches, etwas Zusätz­liches, etwas, was auf gar keinen Fall zentral zum Thema gehört, nicht nur für einen Botaniker oder für einen Biologen oder sicher auch für die meisten Naturphilosophen. Für mich ist das nicht so. Für mich ist diese Dimension, in diesem Falle des Dichterisch- Musikalischen, eine legitime Dimension zum Verständnis des Mensch-Pflanze-Verhält­nisses. Das ist eine Facette in diesem integralen Ganzen, das uns dazu verhelfen kann, tiefer zu verstehen, wer oder was wir selbst sind, und wer oder was die Pflanzen sind.

Was ist Reduktionismus? Das ist nicht selbstverständlich. Ein Begriff, der ständig verwendet wird, in der Naturwissenschaft, auch übrigens in anderen Wissenschaften, der der Erklärung bedarf. Zunächst einmal: Reduktionismus ist das Bemühen des Wissen­schaftlers, ein Phänomen auf einer bestimmten Ebene des Seienden durch ein anderes zu erklären, was dadrunter liegt, im Normalfall durch ein Etwas, ein Phänomen, ein Ding, Energie, Materie, wie immer, was dadrunter liegt, was in gewisser Weise als das wirk­lichere gilt. Also der Materialist würde sagen: Alles ist nur Materie oder Materie, Energie, wie immer, das eigentlich Wirkliche hinter allen Phänomenen der sinnlich-physischen Welt sei die Materie. Dann wäre [das] ein materialistischer Reduktionismus, der versucht, alle Phänomene letztendlich zurückzuführen auf materielle, energetische Phänomene. Im Fall des Abstraktionismus dann auf mathematisierbare und mathematisierte Phänomene. Da gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Arten von Reduktionismen, das muss man auch dazusagen, damit kein Missverständnis auftaucht. Es gibt einen ontologischen Reduktionismus und einen methodischen Reduktionismus. Ontologischer Reduktionismus meint Folgendes: Wenn ich die Dinge reduziere auf das, was an ihnen, wirklich oder angeblich, vorgeblich, real ist, in gewisser Weise wirklicher als die Erscheinung, also wenn ich das tue, dann lande ich bei der Wirklichkeit. Dann ist das nicht nur ein methodischer Trick, dann ist es nicht nur ein Verfahren, das mir hilft zum Verständnis oder zur Beschreibung der Phänomene. Dann bin ich ein Stück tiefer in der Wirklichkeit. Das ist ontologischer Reduktionismus, in dem ich die Dinge also zurückführe, berühre ich die Wirklichkeit, zum Beispiel die atomare oder subatomare oder molekulare Welt, wie immer. Ontologischer Reduktionismus, Ontologie, Lehre vom Sein jetzt hier vereinfacht gesagt, ontologischer Reduktionismus, also ein Versuch, Wirklichkeit zu erfassen.

Methodischer Reduktionismus ist viel bescheidener. Ein methodischer Reduktionismus benutzt das reduktive oder reduktionistische Element nur als ein Verfahren, um versuchs­weise ein Stück weit die Dinge zu erkennen und zu erfassen. Normalerweise im wissen­schaftlichen Diskurs gibt es eine Art Reduktionismus nach unten, nicht einen Reduktio­nismus nach oben. Es gäbe ja auch theoretisch einen Reduktionismus nach oben. Schelling zum Beispiel sagt einmal, der Tod, der physische Tod sei eine reductio ad essentiam, eine Zurückführung in die Essenz. Das wäre ein Reduktionismus nach oben. Das heißt, das eigentlich Wirkliche ist die Essenz, essentia, die Wesenhaftigkeit, der eigentliche Wesens­kern des Menschen. Der kommt nach dem physischen Tode, so Schelling 1809 in einer Zeitschrift, zu sich selber. Das wäre ein Reduktionismus nach oben. Normalerweise benutzt man einen Reduktionismus nach unten.

Die beste Definition, die ich überhaupt kenne zum Reduktionismus, will ich Ihnen vorstellen. Ich habe das hier vor anderthalb Jahren, glaube ich, schon mal im Saal vorgelesen die Stelle, ich finde sie fulminant, brillant, scharfsinnig und sehr erhellend. Ich greife noch mal auf dieses Büchlein zurück von Hermann Schmitz, dem Philosophen aus Kiel, „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, und er schreibt hier, wie er Reduktionismus versteht. Und das muss man verstehen, damit man dann sich nähern kann der Frage, was ist denn ein nicht-reduktionistisches Menschenbild? Was ist denn ein nicht-reduktio­nistisches Bild der Pflanzen? Wie kommen wir überhaupt weiter? Denn das habe ich Ihnen ja schon das letzte Mal versucht zu erläutern, dass es wichtig ist, unverzichtbar für uns, in das Dickicht gewissermaßen unserer eigenen Voraussetzungen einzugreifen. Das ist schwer, das ist wie der Schmitz sagt: „vielmehr muss man sich durch den Urwald durch­schlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hin­länglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzungen zu werden.“ Sehr schwer, sich durch das Dickicht der eigenen Voraussetzungen durchzuschlagen. Das brauchen wir, um uns dem Thema zu nähern, denn das können wir nicht. Wir können nicht naiv direkt zumar­schieren auf das Thema. Da sind die Pflanzen, da sind wir. Wir brauchen das alles nicht. Wir brauchen nicht die Reflexion … Sehr wohl, wir brauchen diese Reflexion. Nur so kommen wir überhaupt weiter. Also Hermann Schmitz schreibt über den Reduktionismus in einer wunderbaren Passage, die ich Ihnen vorlesen möchte und auch erläutern, die ist essenziell.

„Der Reduktionismus besteht in der Abschleifung der Außenwelt schlechthin.“ Abschleifung der Außenwelt schlechthin, „das heißt der Außenwelt nach Abzug aller Innenwelten.“ Ja, wichtig, das ist wichtig für den Reduktionismus. Also, was jeder Einzelne für sich und in sich ist, die gesamte Subjektivität, seine Gefühle, seine Emotionen, seine Gedanken, das Geheimste seines Seins, was er in der Brust verschlossen hält oder auch nicht, das alles schließt sich [der Reduktionismus] nicht mit ein. Also, „Abschleifen der Außenwelt schlechthin, bis auf wenige Klassen besonders leicht identifizierbarer, mani­pulierbarer und quantifizierbarer Merkmale, die an der Oberfläche fester Körper abgelesen werden können.“ Ganz einfach, „Abschleifung der Außenwelt. Dann werden identifizier­bare, manipulierbare und quantifizierbare Merkmale abgelesen.“ Das ist ja ein Ingredienz von Wissenschaft überhaupt, die Quantifizierbarkeit, „die an der Oberfläche fester Körper abgelesen werden können und noch heute die gesamte Abstraktionsbasis der Physik bilden. Nach Aristoteles und Demokrit handelt es sich um Größe, Gestalt, Zahl, Ruhe, Bewegung, Lage und Anordnung, die später sogenannten primären Sinnesqualitäten.“

Also Größe, Gestalt, Zahl, Ruhe, Bewegung, Lage und Anordnung. Nicht Gefühl, nicht Farbe, nicht Atmosphäre, nicht psychische Verbundenheit, all das fällt raus und wird sozusagen mit weggeräumt, wird abgeschliffen, gilt als privat, als subjektiv legitim, aber letztlich als wissenschaftlich irrelevant. „Ihnen wird zum Ersatz für die Einbettung in vielsagende Eindrücke, die bei der Abschleifung zerschlagen worden sind, das Anhängen an Träger, die nach Art fester Körper vorgestellt werden, sogenannte Substanzen, gewährt.“ Muss ich jetzt nicht im Einzelnen erläutern, würde zu weit führen. „Die Introjektion“ ‒ also einflößend ‒ „die Ablagerung des vom Reduktionismus abgeschnittenen Abfalls in der im Dienst der Selbstbemächtigung bereitgestellten Innenwelt.“

Das heißt, was da abgeschliffen wird, ist ja nicht verschwunden. Es bleibt ja da, es bleibt ja vorhanden. Alles das ist ja da, das Atmosphärische, das Gefühlsmäßige, das Farbige, das Ganzheitliche, das Psychische und so weiter. Nur, es wird jetzt sozusagen hineingestoßen und hermetisch eingeschlossen in die je eigene Innenwelt des Einzelnen. „Situationen, darunter die erwähnten vielsagenden Eindrücke und Atmosphären werden zerschlagen.“ Nicht, das Atmosphärische als eigene Kategorie auch des Denkens, das ganzheitlich Fluidale, kann man sagen, was die Existenz immer bestimmt, was ja auch uns schon beschäftigt hat.

Sie erinnern sich vielleicht an das Ende der letzten Vorlesung, als ich gesprochen habe über die Ätherisierung des Bewusstseins durch Pflanzen, also die eigentümliche fluidale Form, die das Bewusstsein annehmen kann und dadurch seine Schärfe, seine Trennwände in gewisser Weise verliert oder diese durchlässiger werden. Also, „Situatio­nen und Atmosphären werden zerschlagen. Ihre Bedeutsamkeit, die in einer nach außen ganzheitlich abgehobenen, innen aber diffusen und nicht durchgängig vereinzelten Mannigfaltigkeit von Sachverhalten besteht, wird subjektiviert.“ Nicht, das sagte ich ja schon, wird subjektiviert. „Also Aggregate von Gedanken, Urteilen, Entschlüssen in der Seele, Ungeduld, Atmosphären, die den Menschen leiblich spürbar ergreifen, werden in private Gefühle umgedeutet oder wie im Fall des Wetters in einen psychischen Anteil und einen physikalischen Zustand der Luft, eines der Lebenserfahrungen konstruktiv unter­legten Gases, zerrissen. Der spürbare Leib wird ganz vergessen.“

Das ist wichtig. Die Naturwissenschaft, die reduktionistische Naturwissenschaft ist ja nicht nur subjektblind, was ich ja seit vielen Jahren immer wieder sage, sondern auch in gewisser Weise, sagen wir mal, Veränderung in den letzten 15, 20 Jahren … auch leibvergessen. „Der spürbare Leib wird ganz vergessen oder, soweit man Restbestände wie den Schmerz nicht vergessen kann, wenn ein Zustand der sezierbaren Körper“ ‒ im Sinne des reduktionis­tischen Menschenbilds ‒ „und eine unausgedehnte Empfindung in der Seele, es gibt auch andere Namen wie das Gemüt, the mind oder das Bewusstsein erhält, aufgelöst.“

Also, eine wunderbar klare und scharfsinnige Definition der sogenannten Reduktio­nismen. Also, die Abschleifung, jetzt nochmal vereinfacht gesagt, der Phänomene auf ihre quantifizierbaren und manipulierbaren Merkmale unter Ausschaltung, unter Eliminierung alles dessen, was Menschsein in seiner lebendigen Ganzheitlichkeit, in seinem atmosphä­rischen Eingebettetsein, eben auch in die Pflanzenwelt, überhaupt ausmacht.

Nun will ich versuchen, Ihnen etwas darzustellen, was schwierig ist, was ich, das Pflanzen-Selbst im Menschen nenne. Das ist ein Begriff, der natürlich notwendig eine Unschärfe enthält, kein Begriff, der in irgendeiner Form eindeutig, wissenschaftlich präzise gefasst werden könnte. Es ist ein Begriff, der auf etwas deutet, der etwas andeutet, der etwas mitschwingen lassen kann, wie auch der Begriff Tier-Selbst, den ich vor einem Jahr hier in diesem Saal ausführlich erläutert habe. Pflanzen-Selbst ganz vereinfacht, erst einmal näherungsweise gesagt, ist jener Pol im Menschen, jene Schicht, jene Fakultät im Menschen, wie immer, jener Pol im Menschen, der dem Vegetativ-Pflanzlichen bewusst oder unbe­wusst also verbunden ist, wahrscheinlich immer verbunden bleibt, sozusagen der Pflanzen-Mensch im mentalen Menschen. Ein Pol im Menschen, der, wenn er aktiviert werden kann, wenn er vitalisiert werden kann, wenn er verlebendigt werden kann uns dazu verhilft, uns in das Pflanzenwesen auf eine nicht unbedingt mentale, nicht unbedingt rationale Weise einzuschwingen. Also der, sozusagen der pflanzlich-vegetative Pol im Menschen.

In diesem sehr schönen Buch, was ich ja mehrfach schon erwähnt habe von Wolf-Dieter Storl, einem der ganz bedeutenden Pflanzenkenner unserer Zeit, von dem ich ungeheuer viel lernen kann, in diesem Buch „Pflanzen-Devas“ stellt er auch die Frage nach dem vegetativen Pol des Lebens und zeigt, dass es auch bei Pflanzen einen vegetativen Pol gibt und einen eher tierischen Pol. Er unterscheidet hier zwischen Naturpflanzen, dem vegetativem Pol, Gewürze, Heilpflanzen, dann Gifte, durch … und dann Drogen oder psychoaktive Pflanzen, die eher dem physischen Pol zugehören. Da gibt es eine schöne Passage, die will ich Ihnen mal vorlesen von diesem wirklich großartigen Pflanzenkenner Wolf-Dieter Storl „Pflanzen als autonome Macht“. Vielleicht haben einige von Ihnen das gesehen, dass Wolf-Dieter Storl und Renate Künast mal vor einigen Monaten, es war im letzten Jahr im Fernsehen eine Diskussion hatte über Fragen der Natur generell. Ich habe es nur kurz sehen können, habe mich da ganz kurz eingeblendet. „Pflanzen als autonome Macht“ heißt es hier, in einer sehr schönen Passage aus diesem Buch „Pflanzen-Devas“: „Vor dem inneren Auge eines Ernst Jünger“, schreibt Wolf-Dieter Storl, er, genau wie ich, weiß, dass Ernst Jünger ein ganz großer Pflanzenkenner ist bzw. war. „Vor dem inneren Auge eines Ernst Jünger, der immerhin auf ein ganzes Jahrhundert intensiver Lebens­erfahrung und Erforschung der Natur zurückblicken kann, erscheinen diese stillen Genossen als mit nahezu göttlichen Kräften ausgestattet.“

Das wird uns noch beschäftigen, diese Frage: Haben die Pflanzen ein höheres, gar ein kosmisches Bewusstsein, was viele vermuten. Es gibt Indizien dafür, das kann man erst mal in der Schwebe lassen. „Obwohl selber kaum beweglich“, schreibt Jünger, „zwingt die Pflanze das bewegte Leben in ihren Bann.“ Zitat Ernst Jünger beim Storl: „So wie die Pflanze Geschlechtsorgane bildet, um sich mit den Bienen zu begatten, vermählt sie sich auch mit den Menschen. Und die Berührung schenkt ihm Zugänge zu Welten, in die er ohne sie nicht eindränge.“ Zitat Ende Jünger, und dann Storl weiter. „Einige Pflanzen nähren, kleiden und wärmen den Menschen wie fürsorgende Mütter, andere aber erobern sich den Menschen, verführen ihn, nehmen ihn gefangen wie eifersüchtige Liebhaber. Jünger sieht den Rausch, den der Mohn, das Coca-Blatt oder der Hanf entfesselt als Zitat jetzt noch mal: „einen Siegeszug der Pflanze durch die Psyche, so nährt uns die gewaltige Familie der Nachtschatten nicht nur physisch, sondern auch im Traum.“

Das wird uns noch beschäftigen, dass in vielen kulturell-spirituellen Traditionen, dass der schlafende Mensch in gewisser Weise der Pflanzen-Mensch ist, also im Schlaf wird der Mensch zu einem quasi pflanzlich-vegetativen Wesen. Also noch einmal Jünger: „Als ein Siegeszug der Pflanze durch die Psyche, so nährt uns die gewaltige Familie der Nacht­schatten nicht nur physisch, sondern auch im Traum.“ Noch mal Jünger: „Wenn wir die Pflanze als autonome Macht erkennen, eintritt, um Wurzeln und Blüten in uns zu treiben, wächst wunderbar, entfernen wir uns um einige Breitengrade von der schiefen Perspek­-tive, die wähnt, der Geist sei das Monopol des Menschen und existiere nicht außer ihm.“ „Also wenn wir die Pflanze als autonome Macht erkennen, dann, die eintritt, um Wurzeln und in uns zu tragen, dann entfernen wir uns von der schiefen Perspektive, die Welt der Geister, das Monopol des Menschen und der Tiere nicht außer ihm.“ Das wissen wir, ich habe Ihnen ja in der letzten Vorlesung etwas erzählt, darzustellen versucht, über den Bruch, der passiert ist, ungefähr im fünften vorchristlichen Jahrhundert, ein Bruch in der Herauskristalisierung des rationalen mentalen Selbst, der auch dazu geführt hat, dass das Pflanzenreich, weit gefasst, entsakralisiert wurde. Natürlich hat es Restbestände immer gegeben. Sie waren nie völlig zerstört, auch durch das Christentum nicht. Es gibt sie bis heute. Aber was den überwältigenden Strom, die überwältigende geistige Richtung des Abendlandes anbelangt, so sind die Pflanzen weitgehend entsakralisiert worden, was sich schwerlich leugnen lässt. „Jünger stellt fest, dass die Zeit am animalischen Pol schneller, am vegetativen langsamer verläuft.“ Eigenartig. Zeitdimension, das kann man hier mal stehen lassen. Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie langsam oder schnell empfinden zum Beispiel Bäume den Jahreszeitenwechsel? Ist das für Sie ein Augenaufschlag, ein Fingerschnipsen? Ist er für sie eine winzige Zeitspanne, oder ist er für sie endlos gedehnt? Sicherlich, wenn überhaupt hier von Zeitempfindung die Rede sein kann empfinden diese rätselhaften Wesen, die wir Pflanzen nennen, in diesem Falle Bäume, die Zeit anders im Jahreszeiten-Rhythmus, anders, als wir es tun. „Unter den Pflanzen selber gibt es solche, die mehr zum animalischen Pol tendieren, und solche, die abgesehen vom gelegentlichen Blühen und Fruchten ganz im dumpfen grünen vegetativen Seinsmodus verharren. Die animalischen Pflanzen bezeichnet Rudolf Steiner als astralisierte Pflanzen.“

Immer wieder erwähnt er hier Steiner, er ist kein Anthroposoph, hat auch nur Distanz zur Anthroposophie, aber er hat viele Gedanken aufgegriffen von Steiner, manchmal etwas unkritisch, wie ich finde, aber trotz alledem will ich das hier nicht bekritteln. „Die animalischsten Pflanzen kennzeichnet Rudolf Steiner als astralisierte Pflanzen. Es sind jene mit absonderlichen Düften, bizarren Wachstumsgesten und atypischen, vom Sonnenrhythmus abgekoppelten Biorhythmen. Oft erregen ihre knallig bunten Farben und befremdenden geometrischen Muster die Aufmerksamkeit von Mensch und Tier. Sie werden von tierhaften Signaturen geprägt, indem sie ansatzweise Hohlorgane, aus der Tiefe Kelchschlünde bilden und eine Fähigkeit besitzen, Substanzen zu syntheti­sieren, die der Stickstoffsynthese des tierischen Stoffwechsels ähnelt. Wenn man sie einnimmt, greifen diese Substanzen schnell in die menschliche Physis oder Psyche ein.“ Das sind die eigentlichen psychoaktiven Pflanzen. Giftige Pflanzen, die also eine tierisch animalische Komponente haben, gewissermaßen Einstülpungen haben, die nor­malerweise die Blüte der Pflanzen nicht hatten, wie ja zum Licht hin öffnen, gibt es Einstülpungsvorgänge. Das wird ja hier schon in dem Text deutlich, „ansatzweise Hohlorgane, etwa tiefe Kelchschlünde und eine Fähigkeit, gewisse Substanzen zu syntheti­sieren. Die animalischen Pflanzen kommunizieren ihr Wesen schneller als der Großteil der Vegetation. Sie sind meist stark giftig oder sie dämpfen, verwirren oder illuminieren Gedanken und Sinneswahrnehmungen. Viele nicht-westliche Völker, vor allem in Südamerika, haben solche schnellen Pflanzen in den Kult oder die Rituale der Visionssuche integriert. Die meisten Pflanzen sprechen jedoch viel langsamer zu uns. Von modernen Zeitgenossen, der seinen Lebensrhythmus an Maschine und Elektronik anpassen muss, werden sie kaum vernommen. Er weiß gar nicht einmal, dass Pflanzen-Devas sprechen können.“ Und so weiter.

Storl verweist in diesem Buch an mehreren Stellen immer wieder auf die seelische Befindlichkeit, auf den seelischen Zustand, das psychische Feld gewissermaßen, das die Voraussetzung dafür ist, dass man überhaupt in der Lage ist, das eigene Pflanzen-Selbst zu aktivieren, also in diese Schicht reinzukommen. Das verlangt eine besondere Art des Stillwerdens, des nicht mental-rational Trennens, Analysierens, Abstrahierens. Nun, Pflanzen-Selbst, was heißt das?

Ich habe in meinem Buch „Was die Erde will“ an mehreren Stellen ausführlich über das sogenannte Pflanzen-Selbst gesprochen. Ich muss jetzt etwas ausholen, um verständ­lich zu machen, wie ich versuche, den Menschen überhaupt zu definieren, in Anführungs­zeichen, denn die Frage nach dem Pflanzen-Selbst ist natürlich die Frage nach dem Menschen überhaupt. Was ist denn der Mensch überhaupt in der Natur, auf dieser Erde, im Kosmos? Was ist denn dieser Mensch überhaupt für ein rätselhaftes Wesen? Ist er ein primär biologisches Wesen? Ist er ein höherer Bio-Computer? Ist er ein kosmisches Wesen? Was ist der Mensch in der Tiefe?

Ich habe am Ende des Buches, das will ich vor der Pause sagen, die wir um Neun machen wollen, die zentralen Thesen zusammengefasst. Und da heißt es im Zusammen­hang auch mit dem Pflanzen-Selbst, ich darf Ihnen mal diese Passage vorlesen, und werde versuchen sie zu kommentieren. „Der Mensch trägt Erde, Pflanze und Tier in sich. Erden-Selbst, Pflanzen-Selbst und Tier-Selbst sind integrale Teile seiner Ganzheit.“ Pflanzen-Selbst nicht nur als vegetativer Pol im Menschen, sondern [als] ein integraler Teil seiner Ganzheit, ein Stück weit ist jeder Mensch auch dieses Pflanzen-Selbst. Eine andere Frage ist, ob dieses Selbst eine Art Ich-Kern hat, einen Bewusstseinskern, das wird uns noch beschäftigen. „Wir müssen zentral beim Menschen ansetzen. Eine wirklich ganzheitliche Anthropologie zeigt den Menschen als holarchisch gestuftes oder geschichtetes Wesen.“ „Holarchisch“ stammt aus der Systemtheorie, meint eigentlich hierarchisch, nicht im politischen Sinne natürlich gemeint, „als holarchisch gestuftes oder geschichtetes Wesen. So scheint er auch in allen relevanten spirituellen Traditionen. Der Mensch ist ein Mesokosmos, mittlerer Kosmos, der Erde und Himmel als Kosmos verbindet bzw. integriert. Die Seele des Menschen ist das Formprinzip.“ Das geht auf Aristoteles zurück, auf die griechische Philosophie. „Die Seele des Menschen ist das Formprinzip, die Formkraft der menschlichen, auch organischen Gestalt. Deren bewusster Teil ist das Ich, das wiederum Anteil hat am alles durchdringenden medialen Geist oder Logos. Der Mensch ist gleichsam Gott, Tier und Tiergott (Plotin), eingehängt zwischen Erde und Kosmos. Es gibt offenbar auch feinstoffliche Hüllen oder Körper, die den physischen Körper umgeben oder durchdringen. Dies ist auch jenseits esoterischer Spekulationen“, das muss man sagen, „auch dem vorurteilsfreien Denken und der vorurteilsfreien und vertieften Selbstbeob­achtung abzuleiten.“ Das es wichtig, dass man das nicht verdinglicht, wie das viele sogenannte Esoteriker tun, als ob es einfach Dinge wären, die man behandeln könnte wie Dinge etwa, wie den Ätherleib oder Lebensleib oder Astralleib. „Dies ist auch jenseits esoterischer Spekulation aus dem vorurteilsfreien Denken und der vorurteilsfreien und vertieften Selbstbeobachtung abzuleiten. Das Ich selbst ist das größte Rätsel, ein Paradox, weil es seine eigene Überschreitung schon in sich trägt. Am Ich entscheidet sich alles. Ohne ein Verständnis des Ich oder Selbst kommen wir keinen Millimeter weiter. Eine wirklich ganzheitliche, das heißt alle Ebenen, Dimensionen der menschlichen Existenz entschiedene Anthropologie ist der Schlüssel zum Verständnis von Natur und Kosmos. Jeder Reduktionismus, insbesondere der naturwissenschaftlich-technische, ist Teil und Symptom der Katastrophe, auch der ökologischen Krise.“

Wenn man das mal erwähnen darf, mittlerweile tun ja viele so, als gäbe es die ökologische Krise gar nicht. Da fragt man. Was war das noch mal? Ein ökologische Krise, hat man irgendwie davon gehört, vielleicht nicht mehr schnell, was war das noch? So ist es ja mittlerweile. Der Ökonomismus herrscht so total, dass das wie absonderlich erscheint, wenn man das Wort erwähnt. „Der Mensch, der ganze ungeteilte oder integrale Mensch ist der Schlüssel und die Achse der Weltentwicklung.“ Im letzten Sommer war jemand da, der das in mehreren Briefen an mich, diese und ähnliche Passagen kritisiert hat als Anthro­pozentrismus. „Der Mensch, der ganze ungeteilte oder integrale Mensch ist der Schlüssel und die Achse der Welt.“ Ich würde damit, anders, subtiler, umfassender, möglicherweise intelligenter, aber doch im Kern ähnlich argumentieren wie das, was ich kritisiere, was zur ökologischen Krise geführt hat: den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das ist eine Frage, die ich hier zunächst mal auf sich beruhen lassen möchte, die Frage des Anthropozentrismus überhaupt.

Wenn ich hier vom Menschen ausgehe, dann ist das nicht im platten Sinne anthropozentrisch. Dann ist das erst einmal phänomenologisch unverzichtbar und meint wirklich den ganzen Menschen. Es ist einfach verlogen, wenn wir glauben, wir könnten unser eigenes Menschsein gewissermaßen geistig eliminieren, abschleifen und dann die Dinge einfach so spielen wie sie sind. Ganz absurd. Das ist das berühmte Repräsentations­paradigma nach dem Muster: Wir sind Spiegel und spiegeln die Welt wie sie ist. Das tun wir eben nicht, sondern dieser Spiegel hat seine Eigenarten. Er spiegelt die Welt ja in einer bestimmten Weise und damit sich zu beschäftigen, wie möglicherweise dieser Spiegel die Dinge verändert, das ist ein großes Thema, auch im Zusammenhang mit den Pflanzen und dann auch dem Pflanzen-Selbst im Menschen. Also jetzt vor der Pause nochmal plakativ verkürzt gesagt: Das Pflanzen-Selbst ist ein Etwas im Menschen, ein integraler Teil einer holarisch gestuften Ganzheit des Menschen, ein integraler Teil, der zu aktivieren, der zu verlebendigen und der auch mit Bewusstsein zu durchdringen ist, der kontaktiert werden kann und nur über dieses sogenannte Pflanzen-Selbst, nehmen Sie einfach mal den Begriff in seiner Unschärfe, ist es möglich, eine nicht-reduktionistische, nicht-analytische, in diesem Sinne integrale Form der Wahrnehmung des Pflanzenwesens zu erhalten. Das wiederum ist notwendig, um überhaupt irgendetwas zu verstehen, was nicht nur im Außen bleibt, das dann nicht nur als Dekor, als ein Wesen da draußen [gilt] – ich bin hier, da sind die Pflanzen ‒ sondern als eine Art von Verbindung, die allerdings keine simple ist, die man auch nicht mit simplen Verfahren einfach so herstellen kann, wie das manche zu glauben scheinen. (…)

Ich war gefragt worden nach dem Buchtitel nochmal von dem Joachim-Ernst Berendt. Dieser Titel ist nicht im Literaturverzeichnis. Als ich das Literaturverzeichnis aufgeschrieben hatte, war mir der im Moment nicht gegenwärtig. Im Übrigen ist dieses Literaturverzeichnis nur eine ganz kleine Auswahl. Der Titel heißt, also Joachim Ernst Berendt „Es gibt keinen Weg. Nur gehen“. Das ist nicht im normalen Buchhandel [erhältlich], nur im Verlag ZweitausendEins (in der Kantstraße 47). Das ist das letzte Buch, was er veröffentlicht hat 1999. Sie wissen, dass er im Januar [Februar 2000] durch einen Autounfall, er war überfahren worden, in Hamburg ums Leben gekommen ist. Kurz vor seinem Tode hat er mir noch geschrieben und daher weiß ich das überhaupt mit diesem Buch. Und ich habe mir das dann auch gekauft. Also: Das Zentrum des Buches ist eigentlich eine große Reflexion über Mensch und Baum mit dem Titel „Bäume und Menschen“, also sehr interessant, über viele Jahre gesammelte Überlegungen: Was sind Bäume? Wie kann man Bäume verstehen? Wie kann man Bäume beobachten? Wie kann man ein anschauend- integrales Gefühl entwickeln für die Eigenart dieser Bäume, die ja sehr weitgehend ist. Also das lohnt sich schon, sich das anzugucken. Man muss da nicht zu viel erwarten, Berendt ist kein Poet, und er ist auch kein Philosoph, das will auch gar nicht sein. Es sind aber hochinteressante Überlegungen zu Mensch und Baum.

Noch einmal kurz zu Wolf-Dieter Storl. Ich hatte schon angedeutet, dass der schlafende Mensch in gewisser Weise der Pflanzenmensch ist, der Mensch im Pflanzen-Selbst, wobei man einen Moment die Frage unberücksichtigt lassen kann: Hat der im Tiefschlaf befindliche, nicht träumende Mensch, der einfach da so liegt, vegetativ-pflanzlich, auch ein Bewusstsein, an das er sich möglicherweise erinnern kann? Eine schwierige Frage, die man kontrovers behandeln kann. Gibt es also ein Tiefenbewusstsein im traumlosen Tiefschlaf, ein Bewusstsein, an das sich der Einzelne dann auch nach dem Aufwachen erinnern kann? Sie wissen, dass in vielen Überlieferungen, etwa auch in der altindischen Advaita-Lehre die These vertreten wird, dass der Mensch in diesem Zustand sich in einem ganz hohen Bewusstsein befindet und dann auch kommunizieren kann mit diesen als makrokosmische Wesen vorgestellten Pflanzen im Sinne dieser mythologischen, auch spirituellen Vorstellung, die auch Storl immer wieder heranzieht. „Die Wenigsten von uns sind Heilige, denen es vergönnt ist, bei klarem Bewusstsein mit den Devas, Pflanzenwesen­heiten zu kommunizieren. Dennoch können die Devas auch uns notwendige Botschaften zukommen lassen. Sie tun [es], wie Bill Talbol erklärt“, ein Schamane, auf den er sich hier öfters bezieht, „indem sie uns im Traum erreichen. Wenn wir schlafen, sind wir am pflanzenähnlichsten, wo immer wir dann auch unterwegs sein mögen. Wir liegen, als seien wir festgewurzelt. Wie bei der Pflanze sind alle vitalen Funktionen, Atem und Stoffwechsel intakt, aber das bewusste Wahrnehmen, Fühlen, Denken ist ausgeschaltet. Unser Geist und unsere Seele befinden sich in anderen, nicht mehr physischen Regionen“, sagt er. Das können wir so lassen. „Wenn sich unsere Seele im Schlaf vom Körper löst, kann sie durchaus in eine Pflanze hineingehen, kann sich mit ihr austauschen, kann Botschaften aufnehmen.“ Das ist sehr weitgehend. „Jede Nacht, derweil wir ohnmächtig im Bett liegen, besuchen wir also die Innenseite der Natur, in Anführungszeichen. Wir durchwandern Elfenwelten und klettern die Planetenleiter, den Schamanenbaum empor, wo wir den Devas begegnen. Auf der langen Reise durch die Anderswelt wird die Seele sehr durstig, ist der Durst nach dem diesseitigen Leben. Auf dem Weg zurück überqueren wir Lethe, einen mythologischen Fluss des Vergessens, der das Diesseits vom Jenseits trennt. Unweigerlich wird da die dürstende Seele trinken, bis auf einige konfuse Traumfetzen, mit denen das Tagesbewusstsein wenig anzufangen weiß, wird dieser Trunk alle Erinnerungen an das geistige Abenteuer löschen. Nur ein großer Yogi oder Schamane ist fähig, die Traumbot­schaft der Götter und Pflanzendevas im Bewusstsein zu bewahren.“ Dann noch: „Das Erträumen des Heilkrauts war in den Isis-Tempeln im alten Ägypten und in askletischen Kultstätten im alten Griechenland lange vor Hippokrates zur erfolgreichen Therapie ausgebaut worden. In den Tempeln, die an heiligen Quellen oder Grotten errichtet wurden, opferten die Patienten zuerst einen Hahn, dann wurden sie gebadet, mit duftenden Kräutern massiert und schließlich unter dem Bildnis der Göttin von dem Zaubergesang der Priester in einen dreitägigen Schlaf versetzt. Hunde und Schlangen, die dem Äskulap geweiht waren und sich frei im Tempelgelände bewegten, hielten böse Einflüsse fern. So konnte die Seele des Kranken ungehindert in die Geistigkeit,“ ‒ auch Sakralität ‒ „die die Natur durchflutet, eintauchen und das heilende Mittel im Traumgesicht empfangen.“ Usw. Man kann das auch jenseits dieser mythologischen Vorstellungen verstehen. Man muss dazu nicht unbedingt die Vorstellung heranziehen, dass die Pflanzen tatsächlich makrokosmische, gewaltige Wesenheiten sind, deren sozusagen letzte Emanation dann das physisch-sinnliche Pflanzenreich darstellt. Das muss man so in dieser Form gar nicht akzeptieren oder in sein Bewusstsein aufnehmen. Das kann man als eine Denkmöglich­keit erst einmal so stehen lassen. Auf jeden Fall kann man begreifen, dass wir in einen anderen Zustand hineinkommen müssen, um dieses Pflanzen-Selbst in gewisser Weise zu kontak­tieren. Wie kann man sich das jetzt im Gesamten vorstellen?

Ich habe schon vor der Pause ja diesen Satz zitiert: „Der Mensch, der ganze ungeteilte oder integrale Mensch, ist der Schlüssel um die Achse der Weltentwicklung.“ Der Mensch, nicht in diesem bekannten religiösen Sinne als Krone der Schöpfung, aber als ein Wesen, das offenbar im evolutionären Prozess der Dinge, im kosmisch-evolutionären Prozess angelegt ist. In diesem Sinne kann man den Prozess als eine teleologische, eine vom telos, vom Ziel, bestimmten Prozess verstehen. Der Mensch also angelegt in dieser Entwicklung, insofern auch alle früheren Stufen in sich tragend, weitertragend, sie integrierend.

„In seinen Grundlagen tibetischer Mystik, stellt Lama Anagarika Govinda das Fünf-Körpersystem einer alten indischen Überlieferung dar, außerhalb des Buddhismus.“ Das wird hier zitiert und dann von mir kommentiert. Das gehört in dieses Thema. „Wir haben es hier mit einem Parallelismus körperlicher und seelischer Funktionen zu tun. Dieser Parallelismus“, es gibt ganz viele Modelle dieser Art, auch Ken Wilber äußert sich immer wieder zu diesen Vorstellungen, „dieser Parallelismus kommt anschaulich in der Lehre von den fünf Hüllen, kosha, des menschlichen Bewusstseins zum Ausdruck, die es in wachsender Verdichtung um oder aus dem innersten Kern unseres Wesens kristallisieren. Die wichtigste und äußerste dieser Hüllen ist der aus Nahrung gebildete physische Körper annamaya kosha. Die nächste ist die diesen Körper durchdringende, atmende und genährte, aus dem Prana gebildete feinstoffliche Hülle pranamaya kosha, die wir als pranischen oder ätherischen Körper bezeichnen können. Die nächstfeinere Hülle ist die durch unser aktives Denken gebildete Persönlichkeit, unser Gedankenkörper manomaya kosha. Die vierte Hülle ist der über unser aktives Denken hinausgehende, die Gesamtheit unserer geistigen Fähigkeiten umfassende potenzielle Bewusstseinskörper vijnanamaya kosha. Die letzte und feinste, alles vorhergehende durchdringende und zugleich innerste Hülle ist der von Freude, ananda, genährte, aus Freude geborene Körper des höchsten universellen Bewusstseins andamaya kosha, der nur im Zustand der Erleuchtung oder hohen Stufen der Meditation erlebt wird. Diese Hüllen“ ‒ noch immer Govinda ‒ „sind also nicht als aufeinanderfolgende getrennte Schichten, die sich um einen festen Kern ansetzen, zu verstehen, sondern als sich gegenseitig durchdringende Prinzipien vom feinsten, allseitig leuchtenden, alles durchstrahlenden Bewusstsein bis zum materialisierten Bewusstsein als Körper in sichtbare Erscheinung tritt. Die jeweils feineren Hüllen erfüllen und schließen die gröberen in sich ein.“

[Das] finden Sie in ganz vielen spirituellen, religiösen Traditionen dieser Erde, ähnliche Modelle, Stufenmodelle, holarchische Modelle ineinander verschachtelter Hierarchien, Holarchien, von Schichten, Stufenebenen der menschlichen Gesamtwesenheit. Zitat Ende.

„Der zweite Körper, der als pranischer oder ätherischer Körper bezeichnet wird, hat in den siebenstufigen Modellen eine etwas engere oder eingeschränktere Bedeutung. Er gilt für die pflanzliche Ebene des Organischen als ätherischer Körper oder Lebenskörper, Vitalseele, ist der Mensch quasi ein pflanzliches, ein bloß vegetatives Wesen.“ Jetzt kommt die Stelle, wo in diesem Buch zum ersten Mal der Begriff Pflanzen-Selbst eingeführt wird. „Wenn man in bewusster Unschärfe den Begriff ,Selbst‘ hier einführt, kann man dem Lebenskörper auch als das Pflanzen-Selbst des Menschen bezeichnen.“ Kann man. Ich hab das ja vorhin schon einschränkend gesagt, das ist ein Hilfsbegriff, den man nicht verding­lichen sollte. Davor möchte ich warnen. Man kann und soll nicht diesen Begriff zu einem Ding, zu einem Etwas machen, es ist eine Hilfsvorstellung, um etwas sehr subtiles, sehr schwer zu Greifendes in das Wort zu bringen.

Also: „Wenn man in bewusster Unschärfe den Begriff Selbst hier einführt, kann man den Lebenskörper auch als das Pflanzen-Selbst des Menschen bezeichnen, den physischen Körper als das Stoff-Selbst, da folgt auf das Pflanzen-Selbst das Tier-Selbst, also das, was im 7er-Modell als der astralische Körper, Astralleib seinerseits gilt oder als der animalische Empfindungs- und Gefühlskörper. Auf dieser Stufe und als diese Stufe ist der Mensch Tier, sind Materies-Selbst und Pflanzen-Selbst eindeutig präpersonal, das heißt vor jeder Ich­haftigkeit, Personalität, so tauchen auf der darauffolgenden Stufe Ansätze von Ichhaftigkeit auf. Fraglos haben höhere Tiere, etwa Katzen oder Hunde, eine Art von Ich-Gefühl. Das Tier-Selbst steht mit einem Fuß im Präpersonalen, mit dem anderen, dem schwächeren schon im personalen Bereich. Pflanzen-Selbst und Tier-Selbst sind Ausdrucksformen der Seele, und zwar im Sinne wie an anderer Stelle gegebenen Bestimmung als Formkraft oder Formprinzip des Organischen. Mentale Ichhaftigkeit als wirkliche Fähigkeit zur Selbst­reflexivität taucht erst auf der Stufe mit dem eigentlichen Verständnis menschlichen Selbst auf. Mental-Selbst gleich ichhaftes Menschen-Selbst. Die Ich-Stufe ist die des Mentalkörpers oder Gedankenkörpers. Hier ist der Mensch er selbst und er trägt die drei anderen Selbste, Materie, das Pflanzen- und Tier-Selbst, als integrale Teile in sich. Wenn diese drei Selbste als Natur gelten, dann ist die so verstandene Natur ein Teil des Menschen und nicht umgekehrt.“ Auch Ken Wilber, in verschiedenen seiner Bücher, stellt das immer wieder dar. Dass es hier also eine holarchisch geschichtete Ordnung gibt, wobei die jeweils höhere Ebene die niederen Ebene einschließt und gleichzeitig überschreitet, „to transcend and include“, das trifft auch hierfür zu.

Eine ganz andere Frage ist, ob dieses Pflanzen-Selbst, das habe ich vorhin als Frage formuliert, eine Art Bewusstseinskern hat, einen Ich-Kern. Das kann man sehr schwer entscheiden. Wir rühren damit an eine Frage, die uns auch noch immer wieder beschäfti­gen wird, die Frage nach einem vor-ichhaften Bewusstsein. Das wird uns ja noch in 14 Tagen beschäftigen oder in drei Wochen: Haben Pflanzen, können Pflanzen eine Art von Bewusstsein haben, das ja nicht ein zerebral, über ein Nervensystem vermitteltes Bewusstsein ist, sondern das ja ein anderes Bewusstsein sein muss, ein gleichsam elementareres Bewusstsein jenseits des zerebralen, jenseits des Nervensystems. Also ist das möglich? Ist das denkbar? Ist das vorstellbar? Und wenn ja, können wir uns da in irgendeiner Form über unser sogenanntes Pflanzen-Selbst einklinken?

Ich muss noch einen anderen Gedanken hier anführen, der auch zu dem Pflanzen-Selbst gehört. Auf der einen Seite ist das Pflanzen-Selbst in meiner Vorstellung ein integraler Teil der höheren Ganzheit Mensch, in gewisser Weise ein Teil, der in der höheren Ganzheit aufgehoben ist, auch im Sinne Hegels auf einer höheren Stufe bewahrt ist, nicht zerstört, also im Sinne auch Hegels der Bewahrung. Auf der anderen Seite aber ist das Pflanzen-Selbst auch der Kontakt, die Verbindung mit dem, was ich mit vielen anderen die planetare Intelligenz nenne. Das heißt, die Pflanzenwesenheit hat Anteil an dem, was ich die planetare Intelligenz nenne, die in gewisser Weise, ich sagte das ja schon vor 14 Tagen, eine Art kosmisches Bewusstsein darstellt, mit aller Vorsicht gesagt. Eine kleine Stelle noch einmal aus „Was die Erde will ‒ was wissen die Pflanzen“, da heißt es, ein längerer Abschnitt:

„Zweifellos gibt es eine planetare Intelligenz.“ Viele sagen das, ich sage das auch. Es gibt sehr viele Argumente, die man dafür anführen kann, das im Einzelnen will ich nicht vertiefen. Das habe ich in der Vorlesung im Sommersemester 2001 sehr ausführlich getan, die Frage der Erd-Organismus-Vorstellung, die uns dann noch beschäftigen wird am 11.6. im Zusammenhang mit dem Demeter-Kult. „Fraglos gibt es eine planetare Intelligenz, und wahrscheinlich hat auch das, was wir als pflanzliche und tierische, ja wohl auch menschliche Intelligenz verstehen, hier ihren Nährboden und Quellgrund. Die Pflanzen-Intelligenz etwa, scheint die gesamte Oberfläche des Planeten zu umspannen. Pflanzen sind die eigentlichen Katalysatoren des Lebendigen. Die Fähigkeiten der Pflanzen grenzen ans Wunderbare, und ganz offenbar verfügen sie über Empfindungs- und Wahrnehmungskräfte rätselhafter Art. Rätselhaft insofern, als hier kein Nervensystem vorhanden ist als materielles Substrat oder Korrelat für diese Bewusstheitsvorgänge. Schon Charles Darwin hat dieses Problem beschäftigt, also ein Mann, der als Gründervater des biologischen Reduktionismus gelten kann und der rigoros alles Seelische und Geistige, alles Teleo­logische, aus seiner Theorie verbannt hat. Und doch schreibt er, Charles Darwin, am Ende seines letzten Buches ,Das Bewegungsvermögen der Pflanzen’“, Zitat Charles Darwin, erstaunlich: „Die Behauptung, dass die Enden der Würzelchen einer Pflanze wie das Gehirn eines niederen Tieres funktionieren, dürfte wohl kaum eine Übertreibung sein.“ Erstaunlich, hätte man von Darwin so nicht erwartet. „Die Behauptung, dass das die Enden der Würzelchen einer Pflanze wie das Gehirn eines niederen Tieres funktionieren, dürfte wohl kaum eine Übertreibung sein. Das Gehirn empfängt die Eindrücke der Sinnes­organe und steuert die zahlreichen Bewegungsabläufe.“

Also, diese Frage wird uns noch eingehend beschäftigen. Wir wollen diese beiden Aspekte im Blick behalten, das Pflanzen-Selbst als ein integrierter Teil der menschlichen Gesamtheit, quasi als der Pflanzen-Mensch, als der vegetative Pol der menschlichen Gesamtheit, in der Gesamtholarchie und gleichzeitig, nicht alternativ sondern komple­mentär: das Pflanzen-Selbst als Anteil, als Teilhaber an dem, was ich die planetare Intelligenz nenne. Also beides. Ich finde, es ist beides, Pflanzen-Selbst im Menschen und gleichzeitig die Stelle, an der auch ein Anteil an der planetaren Intelligenz, repräsentiert über die globale Form der Pflanzenwesens, möglich ist.

Eine Frage will ich abschließend noch anschneiden, bevor wir vielleicht noch ein paar Fragen klären können. Die Frage, die hier notwendig hingehört: Wie ist es zum Beispiel mit einem Werkstück, einem Instrument, einem Möbelstück oder Ähnlichem, wenn es nun durch menschliche handwerkliche Tätigkeit bearbeitet, für Menschen funktional vorhanden ist ‒ ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Gestühl, ein Schrank, wie immer? Wie ist es in diesem Falle mit der Pflanzenwesenheit? Sind die Pflanzen in ihrer eigenen Struktur und Tiefe da quasi funktionalisiert, dem Menschen dienstbar gemacht, oder transportieren sie doch noch etwas von ihrem eigentlichen, ihnen eigenen Wesen, also der Eichenschrank oder Eichentisch: Transportiert er noch etwas von dem, was wir als Eiche auch im Sinne dieser ganzheitlichen Vorstellung wahrnehmen, oder nicht? Ich würde sagen, das tut er bis zu einem gewissen Grade, das ist wirklich so.

Das wird uns auch noch in mehreren Zusammenhängen beschäftigen, und dann muss man sagen, was die Eigenart dieser rätselhaften Wesen ausmacht, ist, dass ja in gewisser Weise jedes Exemplar immer das Ganze nicht nur repräsentiert, sondern ist. Jede Eiche repräsentiert nicht nur alle anderen Eichen, sondern sie ist es in gewisser Weise. Jede Eiche ist alle Eichen. Und das ist ein Punkt, der, wenn man darüber mal nachdenkt oder das meditativ gedanklich verfolgt, zu aufschlussreichen Schlussfolgerungen führen kann, wenn man sich das klarmacht, dass es hier nicht um Repräsentanz geht, sondern tatsächliche ontologische Identität: Die einzelne Eiche repräsentiert nicht nur die anderen Eichen, sie ist alle anderen Eichen. Insofern kann über das Einzel-Exemplar das Ganze kontaktiert werden.

So, das wollte ich Ihnen heute in großen Zügen vorstellen. Bevor wir noch ein paar Fragen klären, will ich etwas sagen zum nächsten Mal. Ich möchte dann in der nächsten Vorlesung die Frage behandeln. Warum wachsen Pflanzen? Polarität von Licht und Schwere im Pflanzenreich. Die ganze Frage nach Licht-Finsternis, Polarität Licht-Finsternis, Licht-Gravitation, Wachstums-Vorgänge, die ja wie Sie vielleicht wissen, nicht unbedingt linearer Natur sind, sondern spiralförmig. Es gibt die eine eigentümliche Spiraltendenz, wie Goethe das nannte, im Pflanzenwachstum. Also hochinteressante Fragen, die auch zu tun haben mit dem Licht überhaupt, das uns dann immer mehr auch beschäftigen wird, das hat ja bisher eine erst geringe Rolle gespielt, die Frage nach dem Licht und die Frage nach dem Zusammenhang des kosmischen Lichtes mit solchen Wachstumsprozessen. Wie kann man das denken? Wie kann man das gedanklich vergegenwärtigen in einer nicht-reduktio­nistischen Weise, ohne in allzu spekulative und nicht mehr abzustützende [Ideen] zu gelangen? So, das wollte ich Ihnen heute vorstellen.

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Pflanzen im Bewusstsein der Menschen

Vorlesungsreihe:

Der Mensch, das Licht und die Pflanzen
Naturphilosophie und tiefenökölogische Perspektiven

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2002
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 39

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Ich habe das heute genannt, „Die Pflanzen im Bewusstsein der Menschen ‒ zur Phänomenologie und Geschichte einer Grundkonstellation“. Ich will einleitend ein kleines, heiteres Aperçu, wenn man das so nennen will, Ihnen vorstellen mit Blick auf die vor uns liegende Nacht, die sogenannte Walpurgisnacht. Sie wissen, die Nacht vom 30. April zum 1. Mai ist die sogenannte Walpurgisnacht, wo allerlei geschieht oder geschehen kann, absonderliche Dinge, siehe Goethe, „Faust I“, aber nicht nur dort. Eines der Bücher, das ich im Literaturverzeichnis aufgenommen habe, das ich für sehr ergiebig halte für die ganze Thematik Mensch und Pflanze stammt von Wolf-Dieter Storl, ein exzellenter Pflanzenkenner … es gibt diese Pflanzen-Devas. Und heute Nachmittag stieß ich auf zwei Stellen hier, die sich beziehen auf die Walpurgisnacht. Das möchte ich Ihnen kurz, ich sage es noch mal, als heiteres Aperçu vorlesen, vielleicht als kleine Anregung für diese Nacht oder auch wie immer. Da heißt es in dem Abschnitt über Philanthropen, es geht um echte Heilpflanzen und Nahrungspflanzen. Da ist in Abschnitt Zwei, Nachtschattengewächse: „Ihnen verdanken wir Nahrungspflanzen wie Kartoffeln, Tomaten, Eierfrucht, Aubergine, Gewürze wie Paprika und Cayenne-Pfeffer und auch Genuss- und Rauschgifte wie Tabak, Bilsenkraut, Stechapfel oder Tollkirsche. Letztere sind richtige Zauberpflanzen. Ohne Tabak wagte kein Indianer den Geistern nahezutreten. Bilsenkraut und Tollkirsche, bekanntlich Bestandteil der Hexensalben, lockern die Seele vom Leib und lassen sie“ ‒ hier ist jetzt, was die Walpurgisnacht-Geschichten schildern ‒ „in der Astralwelt herumflattern. Dieser Familie wurde der Name ,Nachtschattenʻ gegeben, weil die giftigsten unter diesen Pflanzen der Seele Augen verleihen, mit denen die Schatten oder Schatten der Nacht sichtbar werden.“

Darüber werden wir noch sprechen, dass bestimmte Pflanzen, eingenommen, wie immer, auch in der Lage sind, Grenzzustände des Bewusstseins zu induzieren, die sogenannten „psychoaktiven Pflanzen“, auf die er sich hier bezieht, in diesem Falle auf Bilsenkraut, Tollkirsche und Stechapfel. Eine zweite Stelle: „Acht Liliengewächse, Lilienzwiebeln, Knoblauch, Lauch, Porree und Schnittlauch sind vitaminreich und stärken unsere Abwehrkräfte. Zudem sollen sie böse Geister vertreiben. Jeder Dracula-Fan weiß, hält Knoblauch die Vampire fern, und wer zu Walpurgis eine kräftige Bärlauch-Suppe isst, dem wird keine Hexe ein Leid antun können.“ Also das wäre sozusagen das Antidot dazu, die Bärlauch-Suppe. Das zuvor, ein Buch, was ich immer wieder heranziehen werde und Ihnen wirklich wärmstens ans Herz oder an die Seele lege, „Pflanzen-Devas“, hier noch in der alten Ausgabe von 1997, ich habe es im Literaturverzeichnis angegeben unter der neuen Ausgabe von 2001 mit einem geringfügig veränderten Titel „Pflanzen-Devas ‒ die geistig-seelischen Dimensionen der Pflanzen“.

Ich habe vor einer Woche ein Element unseres kollektiven Bewusstseins heute hervorgehoben, das ich genannt habe, „die kollektive Verlegenheit“ im Hinblick auf den jetzt aufbrechenden, aufquellenden, uns vielfältig durchströmenden und durchwaltenden Frühling. Wahrnehmungen dieser Art ergreifen viele Menschen, durchfluten sie gewissermaßen, aber es gibt eine Scheu, eine Hilflosigkeit auch, ein sprachliches Unvermögen, sich diesen Phänomenen auf eine adäquate Weise zu stellen, d. h. sie im sozial verbindlichen Raum wirklich zur Sprache zu bringen. Das ist der Punkt, das wissen wir alle, dass es diese Art kollektive Verlegenheit gibt, und allein das ist ein Zeichen für ein tiefgreifend gestörtes, neurotisch abgespaltenes Verhältnis zu diesen rätselhaften Wesen, die auf dieser Erde sich anfinden, nämlich den Pflanzen.

Ich habe eine Stelle gefunden heute Nachmittag in einem ganz anderen Buch, das auch noch einmal diesen Punkt anklingen lässt, mit einer anderen Sprache, aus einer anderen Perspektive. Das ist von Rupert Sheldrake „Wiedergeburt der Natur“ von 1991, da äußert er sich auch zu diesem Punkt. Ich darf das mal kurz vorlesen: „Auch moderne Städter möchten nicht ganz ohne Pflanzen und Tiere sein. Millionen von Menschen halten sich Hunde, Katzen und andere Haustiere. In Großbritannien kommen unzählige Tauben-Narren hinzu, die häufig eine sehr enge Beziehung entwickeln zu den Tieren, die sie selbst züchten und in die Wettkämpfe schicken. Millionen von Haushalten verfügen über liebevoll gepflegte Gärten und Gärtchen, und Topfpflanzen gibt es fast überall.“ Das wissen wir, man könnte zunächst einmal vordergründig von einer sehr intensiven seelisch-geistigen Beziehung des Menschen zu den Pflanzen sprechen, wenn man das als Maßstab nähme. „Zu Darwins Zeiten wurde nicht so scharf getrennt zwischen ernsthafter wissenschaftlicher Forschung und der eher von Amateuren betriebenen Naturgeschichte. Darwin selbst war solch ein Naturkundler. Er lebte als Privatgelehrter ohne akademische Stellung. Die Professionalisierung der Biologie, die Ende des vorigen Jahrhunderts begann, also des 19. Jahrhunderts, hat jedoch inzwischen eine tiefe Kluft entstehen lassen zwischen den akademischen und sehr auf ihre Karriere bedachten Naturwissenschaftler einerseits und den Naturkundlern, die einfach aus Liebe zur Sache forschen, andererseits. Beim Amateur geht man generell davon aus, dass seine Kenntnisse und Erkenntnisse an die der akademischen Wissenschaft nicht heranreichen.“ Das ist Konsens allgemein, Du weißt nichts, der Experte weiß alles. „Mir scheint das Gegenteil zuzutreffen. Die Erkenntnis des Naturkundlers, die aus einer innigen Beziehung zur Natur erwächst, ist tiefer und wahrer als die Fakten, die man mittels distanzierter mechanistischer Analyse gewinnt. Im Idealfall ergänzen und erhellen die unmittelbare Erfahrung des Naturliebhabers und die systematischen Forschungen des professionellen Wissenschaftlers einander. So hat sich bei der Erforschung des Vogelzugs eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Amateur-Ornithologen ergeben. Erkenntnis, die wir aus der Erfahrung von Pflanzen und Tieren gewinnen, ist nicht etwa ein minderwertiger Ersatz für wissenschaftliches Faktenwissen, sondern das Eigentliche und Primäre. Nur direkte Erfahrung führt uns über das rein intellektuelle Verstehen hinaus zu einem intuitiven und praktischen Erfassen der Dinge, an denen nicht nur der Verstand, sondern auch Herz und Sinne beteiligt sind.

Auf dem Land, im Wald, in den Bergen, an der See, irgendwo in der Natur finden wir manchmal eine direkte Verbundenheit mit der Lebendigkeit der Welt, und es ist wichtig, diese unmittelbare Naturerfahrung zur Kenntnis zu nehmen. In seltenen Fällen hat dieses Gefühl tiefer Übereinstimmung die Kraft mystischer Erfahrung voller Licht, Staunen und Freude. Sobald wir aber in den Alltag zurückkehren, sind wir versucht, solche Erfahrungen als bloß subjektiv ad acta zu legen, als etwas, das nur in uns selbst stattfand, aber keine reale Teilhabe an einem größeren Lebensganzen darstellte. Wir sollten dieser Versuchung widerstehen. Unsere intuitive Naturerfahrung ist realer und direkter als alle Theorien, die mit der Mode kommen und gehen.“ Und so weiter.

Das wird [uns] noch immer wieder beschäftigen, dass eine wesentliche Dimension in dem Bemühen, so etwas wiederzugewinnen wie eine authentische Beziehung mit den Pflanzen, dass da die eigene ganzheitliche, integrale Erfahrung zentral ist. Das heißt nicht, dass die Theoriebildungen, Modelle unwichtig wären, aber das Primäre ist zunächst einmal die unmittelbare, ganzheitliche Erfahrung, die den Einzelnen auch unmittelbar betrifft, die ihn unmittelbar ergreift als ganzen Menschen. Das wird uns immer wieder hier beschäftigen.

Es gibt ein berühmtes Fragment des griechischen Philosophen Herakleitos bzw. Heraklit, das sehr bekannt ist und das ich hier anführen möchte: „Die Natur liebt es, sich zu verbergen.“ Natur hier verstanden, gedacht als Physis. Ich habe Ihnen das erläutert, was Physis im Altgriechischen bedeutet, nicht das im engeren Sinne, was heute Natur ist. „Die Natur liebt es, sich zu verbergen.“ Hierzu findet sich eine ganz interessante Passage bei Gernot Böhme, diesmal nicht aus dem Buch „Phänomenologie der Natur“, das ich das letzte Mal erwähnt habe, sondern aus einem anderen Buch „Natürlich Natur ‒ über Natur und Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“. Er greift diesen Satz des Heraklit auf und gibt ihm eine für unseren Zusammenhang sehr aufschlussreiche signifikante Wendung. Gernot Böhme schreib: „Eine der frühesten Formulierungen der von uns betrachteten Art ist wohl der Ausspruch des Heraklit ,Die Natur liebt es, sich zu verbergenʻ. Dieser Satz enthält eine innere Spannung, um nicht zu sagen einen Widerspruch, weil Natur, das griechische Wort ist Physis, ja selbst das Aufgehende, das Hervortretende meint.“ Das griechische Wort „Physis“ kommt von „phyain“, „blühen“, das hatte ich erwähnt, „aufgehen“. Das lateinische Wort „Natur“ von „nasci“, „geborenwerden“. „Diese innere Spannung ist von Heidegger auch an einem anderen Spruch des Heraklit nachgewiesen worden, der da lautet ,Wie könnte sich einer vor dem niemals Untergehenden verbergen?ʻ, bestimmt zusammen mit der Grundauffassung des Heraklit von der Natur, dass sie nämlich eine Harmonisierung von Gegensätzen sei. In seinem Spruch ,Die Natur liebt es, sich zu verbergen.ʻ bringt er eine solche Grunderfahrung mit der Natur zum Ausdruck, dass sie nämlich in ihrem überwältigenden, Sich-zeigen“ ‒ und jetzt der entscheidende Satz ‒ „dass sie nämlich in ihrem überwältigenden Sich zeigen zugleich dunkel bleibt und das Eigentliche häufig verschließt. [Was] für eine eigenartige Paradoxie: auf der einen Seite ein ungeheureres Sich-zeigen, wie ja jetzt auf eine überwältigende Weise im Frühjahr, dieses Sich-zeigen ist aber zugleich dunkel und verschließt das Eigentliche. Auch hier handelt es sich offenbar um die Nennung eines Charakterzuges der Natur, der zugleich die Summe von Erfahrung zieht, von einer Maxime zur Untersuchung der Natur darstellt.“

Das kann man generell zeigen, dass Pflanzen als ein wesentliches Element dessen, was wir auch alltagssprachlich als Natur bezeichnen, auf der einen Seite sich entbergen und gleichzeitig auch verbergen. Das Entbergen ist immer auch ein Verbergen. Das ist einerseits zeitlich, im zyklisch-rhythmischen Ablauf des Jahres, der Jahreszeiten, jedermann geläufig. Aber das gilt auch grundsätzlich, prinzipiell, für jedes Phänomen, für die Knospe, für die Blüte, für das Blatt und vieles mehr. Immer ein Entbergen und ein Verbergen. „Geheimnisvoll offenbar“ nannte das Goethe mit einer sehr treffenden Formulierung, nicht, „geheimnisvoll Offenbares ist offenbar jedermann zugänglich, phänomenologisch erschließbar. Zugleich deutet es auf etwas, was nicht zur Erscheinung kommt.“

Der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson, stark beeinflusst von der deutschen Philosophie, hat Mitte des 19. Jahrhunderts in einem großen Essay „Nature“ diesen Punkt ganz zentral herausgehoben. Natur enthüllt sich, verspricht, kündigt gewissermaßen etwas an, aber verbirgt sich dann, taucht dann wieder ab in das Rätsel, in das Mysterium, in das nicht Offenbare. Sie ist Erfüllung und Versprechen gleichzeitig, sie erfüllt sich niemals selbst, sie regt im Menschen etwas an, was sie gewissermaßen übersteigt, was sie gewissermaßen transzendiert.

Nun wollte ich heute sprechen über den Zusammenhang von Pflanzen im Bewusstsein der Menschen und Bewusstseinsgeschichte. Das ist ein so riesiges Thema, dass man sich beschränken muss auf einige Aspekte, die ich auch bringen will. Ich will mich beschränken auf den Zusammenhang bzw. auf den Bruch, wenn man das so nennen will, des mythischen Bewusstseins, am Beispiel der Pflanzen, hin zum mentalen, zum rational ichhaften Bewusstsein. Das kann man sehr schön zeigen an einem weltberühmten Mythos, den Richard Strauss zu einer Oper gefasst hat, geformt hat, das habe ich letztes Mal schon angedeutet, nämlich zu der Oper „Daphne“. In dieser „Daphne“ geht es ja zentral um einen mythischen Stoff. Dazu gleich mehr. Daphne ist eine Nymphe, die in der Flucht, in der Flucht vor Apollon, der ihr nachstellt, sich verwandelt in einen Lorbeerbaum, also [es geht] um eine Verwandlung eines nichtmenschlichen Wesens, aber auch nicht rein göttlichen Wesens, die Nymphen sind halbgöttliche Wesen, in diesem Falle eines Baumwesens. Das Baumwesen flieht vor Apollon und verwandelt sich in einen Lorbeer.

Zunächst zu den Nymphen. Ich habe mich da noch einmal ein bisschen sachkundig gemacht, um das Ihnen möglichst umfassend darzustellen. Zu den Nymphen. Karl Kerényi, der große große Mythenforscher, äußert sich in seinem Buch „Griechische Mythologie“ zu den Nymphen. Das ist ganz zentral wichtig für das Mensch-Pflanze-Verhältnis in der mythischen Sphäre. Darauf will ich jetzt primär eingehen, auf die mythische Sphäre und dann den Schritt machen zu jenem rätselhaften Bruch vom Mythischen zum Mental-Ichhaften, einem Bruch, dem wir ja letztlich als Bewusstseinswesen entstammen und, von dem wir tief beeinflusst und durchdrungen sind. Nymphen, das Wort „Nymphe“ bedeutet „ein weibliches Wesen“, sagt Kerényi, durch das ein Mann zum Nymphios, das heißt zum Glücklichen, am Ziel seiner Männlichkeit angelangten Bräutigam wird. Die Bezeichnung gebührte einer großen Göttin ebenso wie einem sterblichen Mädchen, [es] wurde aber von einem Wesen nur gesagt, dass es eine Nymphe sei, und selbst wenn es ausdrücklich Göttin und Tochter des Zeus hieß, so war darin die Unvergänglichkeit der großen Götter noch nicht mit einbegriffen. Ewig waren zum Beispiel die Nereiden, die den Nymphen am nächsten standen, ewig wie das Meer, ihr Element. Doch jene unter den Wassernympfen, Najaden oder Najades, die zu Quellen und nicht zu größeren Gewässern gehören, waren ebenso wenig unvergänglich wie die Quellen selbst. Noch weniger waren es die Nymphen, die mit Wald und Wiese, besonders mit einzelnen Bäumen verbunden waren, wie die Dryaden oder Hamadryaden, die Eichen-Nymphen.
… und der Gedanken, die in vielerlei Hinsicht heute in den letzten 20, 25 Jahren wieder ins Bewusstsein gezogen werden, gerade im Zusammenhang mit den Bemühungen, diese tiefere Dimension der Pflanzen, unter anderem auch der Bäume, wiederzufinden. „Sie starben mit ihren Eichen. Es gab eine alte Berechnung der Lebensdauer der Nymphen.“ ‒ kann ich jetzt auslassen ‒ „ähnlich hieß es schon in der Erzählung von Aphrodite und Anchises, wo die große Göttin ihren sterblichen Sohn den Nymphen des Ida-Gebirges, tiefbrüstigen Göttinnen anvertraute, denn häufig als Mütter waren die Nymphen Ammen der Götter und Helden, Stellvertreterinnen der Mutter und deren Doppelgängerin. Sie sind weder Menschen noch Unsterbliche, so lautete es in jener Erzählung. Sie leben lang, nähren sich von Ambrosia und tanzen mit den Göttern ihren Reigen. Mit ihnen treiben die Selene und Hermes das Liebesspiel in den Winkeln der lieblichen Grotten. Fichten und Eichen begannen zu wachsen bei ihrer Geburt und gediehen wie sie. Mächtig stehen die Bäume, Götterhaine nennt man sie, weil die Sterblichen hüten sich, sie mit Eisen zu berühren. Doch wenn das Schicksal ihnen den Tod bringt, verdorren zuerst die schönen Bäume. Sie verlieren ihre Rinde, die Zweige brechen ab, und damit verlässt auch die Seele der Nymphen das Sonnenlicht.“

Also wenn die Nymphen sterben, dann manifestiert sich das für das sterbliche Auge als das Sterben der Bäume. „Man ersieht aus diesen Worten, wie die Nymphen zuerst mit den Bäumen der Götterhaine in Verbindung traten, vor allem mit Bäumen, die einer größeren Göttin lieb waren und auch deren Leiden, so wurde erzählt, der Göttin selbst weh taten. Früher wie später erschienen die Nymphen auch ganz für sich schönen Angesichts mit langen Gewändern bekleidet, von Hermes angeführt, meist drei an der Zahl.“ Im Daphne-Mythos ist nun … Karl Kerenyi, der berühmte Mythen-Jugendforscher und Freund Thomas Manns, der sich ja mit dem griechischen Mythos intensiv beschäftigt hat in seinem Buch „Griechische Mythologie“, schreibt dies über die Nymphen.

Nun erzählt die Oper von Richard Strauss ja einen ganz spezifischen Mythos, in dem es um die Nymphe Daphne geht, die, wie ich schon gesagt habe, sich in einen Lorbeerbaum verwandelt, eine magische Metamorphose in die Pflanze, in den Baum. Dazu heißt es, auch das habe ich mir noch mal rausgeschrieben aus dem „Lexikon der antiken Mythen und Gestalten“ von Michael Grant und John Hazel über Daphne. Das muss ich vorabschicken, um dann den Bogen zu spannen von der von Richard Strauss behandelten Geschichte, die mir dann den Anhaltspunkt gibt, um das Mensch-Natur-Verhältnis im Mythos abzugrenzen zum Rational-Mentalen. „[Daphne ist eine] Nymphe, Tochter des thessalischen Flusses Peneios, eine jungfräuliche Jägerin, die 18 ist. Es gibt zwei Geschichten über Daphne. In der ersten verliebte sich Leukippos in sie. Da er doch ihre Unerbittlichkeit erkannte, verkleidete er sich als Mädchen, um in ihrer Nähe sein zu können. Sein Haar ließ er ohnehin lang wachsen zu Ehren des Flusses Alpheios. Nun nannte er sich Oino und bat mit Daphne zusammen jagen zu dürfen. Sie willigte ein. Der eifersüchtige Apollon gab ihren Gefährten den Gedanken ein, zu baden und als der als Oino verkleidete Leukippos nicht mitbaden wollte, entkleideten sie ihn. Als sie sein Geschlecht entdeckten, brachten sie ihn für seinen Betrug um.

Nach der zweiten bekannteren Geschichte über Daphne vermochte auch Apollon selbst nicht, sie zu gewinnen. Weil der Eros, den Gott der Liebe, verspottet hatte, musste sich Apollon in Daphne verlieben. Eros schoss zwei Pfeile vom Parnass ab. Der eine durchbohrte Apollons Herz mit seiner vergoldeten Spitze und machte ihn wahnsinnig in Liebe nach Daphne. Der andere Pfeil war stumpf und hatte eine Spitze aus Blei und machte Daphne für jeden Liebhaber unzugänglich. Apollon verfolgte sie durch die Wälder, bis er sie an den Ufern von ihres Vaters Fluss Peneios beinahe eingefangen hätte.“ Jetzt kommt die entscheidende Szene, die ja letztlich das Ganze aufbaut. „Sie schickte ein Stoßgebet um Rettung zu dem Flussgott, schlug augenblicklich Wurzeln und verwandelte sich in einen Lorbeerbaum, dem sie ihren Namen gab. Apollon musste sein Werben aufgeben, aber als Gott der Musik und des Bogens bestimmte er, dass künftig ein Lorbeerkranz seine Leier, seinen Köcher und das Haupt der Sänger zieren sollte.“ Diese Oper, übrigens läuft sie immer noch in der Deutschen Oper, seit drei Jahren, ein wunderbares musikalisches Werk von Richard Strauss und einer gelungenen, suggestiven, magisch schwirrenden Musik, sehr zu empfehlen, weil Richard Strauss hier den Versuch macht, der gelingt, ein Verwandlungsmysterium eines menschenähnlichen Wesens, in diesem Falle der Nymphe, auch in Musik zu versetzen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, wenn diese Oper eine Unterzeile hätte oder tragen könnte, dann könnte diese auch lauten: „Der Mensch, das Licht und die Pflanzen“, denn es geht letztlich um den Menschen, in diesem Falle um Loikippos, es geht um das Licht Apollon, der auftritt, es geht um den Lorbeerbaum, in den sich Daphne verwandelt. Am Ende gibt es diese wunderbare Verwandlungsmusik, übrigens interessant, sie steht in Fis-Dur, nur eine kleine musikologische Randbemerkung.

Vielleicht kennen einige die berühmte Aussage von Franz Schubert, der Ton Fis repräsentiere die Farbe Grün. Das ist viel umrätselt, man hat viel darüber spekuliert, was meint Schubert damit? Wieso sagt er, die Note Fis sei grün oder repräsentiere Grün? Ist das ein Aperçu? Liegt dem ein tieferes Ahnen zugrunde? Wir können dazu direkt nichts sagen. Auf jeden Fall, die Verwandelungsmusik am Ende ist in Fis-Dur. Also Apollon verfällt in Liebe zu Daphne. Leukippos liebt Daphne. Diese beiden Männer werden Rivalen. Der Gott und der sterbliche Mensch. Beiden verweigert sie sich. Sie flieht. Apollon ist auch gleichzeitig das Licht und schließlich flieht sie, Leukippos wird getötet, und in ihrer Verzweiflung verwandelt sie sich in diesen Lorbeerbaum. Und dann gibt es diese eigenartige, rätselhafte Musik am Ende, die im Werk von Richard Strauss eine Einmaligkeit darstellt. Ich habe hier mal das Programmheft mitgebracht der Deutschen Oper. Da wird diese Musik am Ende wunderbar beschrieben: „… in der Singstimme mit einzelnen solistisch behandelten Instrumenten, vor allem der Holzbläser, konzertiert. Hier sind behutsame Regungen und Stimmungen der Naturverbundenheit in Klänge gefasst, die man nicht so leicht vergisst. Wo findet sich bei Strauss ein Klangbild, das sich mit dem eigentlichen Croma des stillen Naturfriedens von Daphnes Verwandlung in den Lorbeerbaum vergleichen ließe? Wie sich diese Metamorphose musikalisch in schleierzartem Fis-Dur vollzieht, der Klang aus dem reinen … immer mehr in das vielverästelte Farbenflimmern der geteilten Streicher, der Harfe und der übrigen Instrumente sich aus- und auflöst, schließlich aufgenommen und fortgesponnen in den vogelhaft zwitschernden Koloraturen des freischwebenden Soprans. Das ist Empfindung, die Empfindung Gleichnis der großen Offenheit der Natur in meisterlicher Formgebung.“ Und so weiter. Auf jeden Fall ein faszinierendes Beispiel, wie künstlerisch, musikalisch ein solches Verwandlungsmysterium dargestellt ist, anhand eines Stoffes aus dem antiken Mythos.

Und nun muss man grundsätzlich sich erst einmal im Klaren werden: Was ist eine solche Pflanze? Was sind Pflanzen überhaupt in der griechisch-mythologischen Vorstellung, um dann den entscheidenden Bruch zu verstehen, der sich abgezeichnet hat hin zum Mental-Rationalen.

Ich habe eine Stelle gefunden, die ich Ihnen vorlesen möchte von Hermann Schmitz, die zunächst einen ganz anderen Zusammenhang hat. Hier ist nicht von Pflanzen die Rede, nicht von Natur im engeren Sinne, aber hier ist von diesem Bruch die Rede, der sich vollzogen hat, von der mythischen Welt, von dem Mythischen In-der-Welt-sein, das eine ganz eigene Beziehung auch zum Pflanzlichen beinhaltet, das Pflanzliche immer als beseelt, immer als selbstlebendig. Das ist zentral wichtig. Die Natur, die Pflanzen in der mythischen Welt, ist immer das Selbstlebendige, das ist niemals das Draußen, niemals das Objekthafte für die Subjekthaftigkeit des Menschen, das ist immer das dialogisch mit dem Menschen Kommunizierende, das Andere seinerselbst in einem lebendigen Wechselspiel, also das Selbstlebendige. Sehr schön hat das, bevor ich den Schmitz vorlese, Wolfgang Schadewaldt mal in einem seiner Bücher formuliert. In seinen „Tübinger Vorlesungen“, 1978, schreibt er dazu: „Entscheidend müssen wir nur hervorheben, dass auch für diesen nüchternen griechischen Denker ‒ selbst noch für eher rational geprägte Denker ‒ die Natur immer das lebendige Handeln ist, nie Objekt wird, sondern immer ein Du, nicht bloß ein Es. Die Pflanzen als ein Du, als ein lebendiges Gegenüber, mit dem es zu einer lebendigen seelisch-geistigen Interaktion kommt. Kein Es, das abstrahierend oder objektivierend da draußen hingestellt werden könnte. Sie, die Natur, auch die Pflanzen, wird als göttlich verstanden. Nicht einfach, dass sie ein Gott sei. Dazu ist sie zu unbestimmt. Sie ist ein Prinzip, und das nennen die Griechen nicht Gott. Aber neben den Göttern gibt es andere fruchtbare Aspekte auf das Seiende hin, indem wir das Ganze des Seienden unter diesem Aspekt sehen, als ein sich entfaltenes Wachsen und Walten, das heilig und göttlich ist, haben wir die Naturvorstellung, die bei den Griechen gültig bleibt bis zum Ende der Antike und damit auch die mythische Vorstellung.“ Also selbst bei den Philosophen, die das Mythische im engeren Sinne überschreiten, finden sich noch Restbestände des mythischen Bewusstseins, was die Natur und die Pflanzen betrifft. „Der größte Unterschied des modernen Naturbegriffs von dem antiken liegt darin, dass sie nun säkularisiert wird im christlichen Bereich, zumal bei Descartes mit seiner Trennung von res extensa und res covitans, wo der denkende Geist des Menschen gegenübergestellt wird der ganzen übrigen Welt, zusammengefasst in dem großen abstrakten Begriff der Ausdehnung. Das große, treibende Wesen, bei dem Form und Leben vielmehr zusammengehört wird jetzt zur Materie unter dem Aspekt der Ausgedehntheit, noch dazu nicht mehr göttlich durchwaltet, sondern nur Schöpfung.“ Und so weiter.

Was für uns Heutige das so schwierig macht, uns in eine Bewusstseinsform auch mehr versuchsweise hinein zu verlieren, allenfalls vielleicht im Künstlerisch-Musikalischen, liegt darin, dass wir Erben einer geistig-seelischen Entwicklung sind, die wir kaum noch als solche infrage stellen und kaum noch als solche überhaupt durchschauen. Man muss erstmal diesen Punkt begreifen, um dann in tiefere Schichten vorzudringen. „Unter der Abstraktionsbasis einer Kultur“, schreibt Hermann Schmitz in diesem wunderbaren kleinen Buch „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, „verstehe ich“ ‒ schreibt er ‒ „die zähprägende Schicht vermeintlicher Selbstverständlichkeiten zwischen der unwillkürlichen Lebenserfahrung einerseits, den Begriffen, Theorien und Bewertungen andererseits den Filter bilden, der in jedem Bewusstsein zunächst erstmal vorhandenen ist, ein geschichtlich bedingter und geprägter Filter.“ Ein Filter, der jede Naturwahrnehmung, jeder Pflanzenwahrnehmung tagtäglich ständig bestimmt. „Die Abstraktionsbasis entscheidet darüber, was so wichtig genommen wird, das durch Worte und Begriffe Eingang in Theorien und Bewertungen findet. Die Abstraktionsbasis einer Kultur wird teilweise durch die Suggestionskraft sprachlicher Strukturen, zum anderen durch epochale geschichtliche Prägung bestimmt.“ ‒

Jetzt sehr schön ‒ „Wir stecken gleichsam in einem Urwald geschichtlicher Vorprägungen, der nicht durch den bloßen Entschluss zur Unbefangenheit in freies Feld verwandelt werden kann.“ Das geht so naiv im Schnellverfahren nicht. Also der bloße Entschluss, hier unbefangen zu sein allein, führt so zunächst nicht weiter. „Vielmehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzungen zu sein.“ Was schwer ist, weil das moderne Denken, unser aller Denken bis zu einem gewissen Grade ja genau auf diesen Voraussetzungen basiert. Die ganze neuzeitliche Naturwissenschaft, auch die Biologie basiert ja zunächst einmal auf diesen geschichtlich geprägten Voraussetzungen. „Deswegen ist Phänomenologie nur im Zusammenhang mit kritisch-historischer Einstellung sinnvoll. Diese muss für die Zwecke der Neuen Phänomenologie“ ‒ sagt er jetzt hier ‒ „ohne auf Pflanzen und Natur sich zu beziehen“ ‒ kann man trotzdem für unseren Zusammenhang fruchtbar machen ‒ „diese muss für die Zwecke der Neuen Phänomenologie hauptsächlich den für die prägende Dominanz in der europäischen Intellektual-Kultur entscheidenden Paradigmenwechsel bei den Griechen in der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts ins Auge fassen.“

Da ist eine Schlüsselstelle. Grob gesagt, ein halbes Jahrtausend vor der Zeitenwende bemerkt man einen Bruch. Das kommt leider nicht genügend deutlich in der Antiken-Ausstellung, die jetzt im Martin-Gropius-Bau [Ausstellungsort in Berlin] zu sehen ist, zum Ausdruck, kommt implizit heraus, wird aber nicht klar genug artikuliert in den Exponaten und in den jeweiligen Erklärungen. Also wenn Sie die Ausstellung vielleicht gesehen haben, werden Sie das nachvollziehen. Dieser Bruch kommt nur implizit heraus. „Die meisten Versuche, sich durch das Labyrinth der Verkünstelungen des Denkens und Wollens historisch zurückzutasten, brechen viel früher ab, nämlich bei den großen Barockdenkern des 17. Jahrhunderts wie Francis Bacon, Hobbes, Galilei, Descartes und Leibniz. Diese Denker haben keine neue Abstraktionsbasis gelegt, sondern auf der ererbten weitergebaut, um durch Formulierung des Prinzips und der Methode der Weltbemächtigung“ ‒ den Begriff hat er von Heidegger übernommen ‒ „das in der längst etablierten Perspektive schlummernde Potenzial in der folgenden Explosion des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts zu befreien. Indem man sich davon mitreißen ließ, ist die Verkünstelung inzwischen so weit gediehen, dass das Denken den Spezialisten der Computermanipulation und das Zeugnis vom Sichbefinden und Zumutesein der Menschen dem nahezu ausgestorbenen Volk der Dichter überlassen werden muss. Diese Scherung ist gefährlich, weil es unter der Oberfläche der Rationalisierung die ungesichtete Dynamik des affektiven Betroffenseins staut und irgendwann unkontrolliert durchbricht, zum Beispiel in Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus.“

Interessant, seine These hier, kann man hier nur am Rande mal berühren. Dass gerade weil in der herrschenden Abstraktionsbasis diese ganzheitlich-leiblichen, integralen Momente unterpflügt worden sind, dass gerade dadurch diese Elemente in der Tiefe, tiefenpsychologisch gesprochen, neurotisieren und dann ein gefährliches Aggressionspotenzial darstellen. „In der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, kurz vor Platon und Aristoteles, ereignet sich im europäischen, das heißt hier griechischen Denken, ein Bruch, durch den sich an die Stelle eines archaischen Paradigmas für das menschliche Welt- und Selbstverständnis, ein neues Paradigma setzt, das seither die dominante europäische Intellektual-Kultur bestimmt. Das alte Paradigma bezeichne ich als archaischen Dynamismus. Seine Abstraktionsbasis besteht in vielsagenden Eindrücken, die typisiert und in einem polarisierten Schema von Kräften und leiblich gespürter Grundlage geordnet werden.“ Wichtig ist, dass in dieser mythischen Weltbefindlichkeit, in diesem mythischen In-der-Welt-Sein, das rationale Ich, die mentale Ichhaftigkeit noch nicht jene Stufe erreicht hat, die dann dazu führte, dass das sich quasi selbst ergreifende, zu sich selbst ermächtigende Ich sich nun als getrennt empfindet. Das ist ja eine magische Stelle in der Geistesgeschichte, zu sehen, wo das Ich sich herauskristallisiert, das mentale Selbst sich zu sich selbst hin ermächtigt und dann in gewisser Weise ein Schnitt passiert, eine Abtrennung und dann solche Vorstellungen, wie zum Beispiel eine magische Metamorphose von Wesen ineinander, im Sinne des Daphne-Mythos praktisch unmöglich wird. Das ist also eine ganz entscheidende Stelle, dass man das zunächst einmal grundlegend versteht.

Das Mythische In-der-Welt-sein ist ein Welt-Sein, ist ein In-der-Welt-Sein, was nicht primär rational, mental, ichförmig geprägt ist. Und in diesem Zusammenhang spielen auch die Pflanzen herein. Die Pflanzen sind nicht selbst Götter, aber sie sind göttlich. In ihnen und hinter ihnen webt und waltet ein Göttliches, das Göttliche, zum Beispiel in der Mittagshitze, wenn die Sonne senkrecht steht, das eigentümliche Erscheinen des Pan, das den einzelnen in einen panischen Schrecken versetzen kann und ihn jäh die numinose, sakrale Kraft der Natur erkennen lässt. Alle Pflanzen sind in diesem Sinne göttlich, sie sind sakral, sie sind seelisch-geistig, primär seelisch-geistig. Ihre physisch-sinnliche Erscheinungsform ist nur in gewisser Weise die Auswirkung, das Epiphänomen. Dahinter wirkt ein seelisch-geistiges Prinzip. Das muss man zunächst einmal verstehen. …

In-der-Welt-sein. Jetzt blickt [man] auf das gegenwärtige in-der-Welt-sein, das im mental-ichhaften Bewusstsein. Dann erhebt sich natürlich sofort die Frage, die uns auch immer wieder beschäftigen wird in diesem Sommersemester: Ist es möglich, dass der Mensch in seiner mentalen Ichhaftigkeit, die er im Laufe eines langen Prozesses erworben hat, trotzdem eine tiefe, eine integrale, ja geradezu eine kosmische Rückbindung an die Pflanzen gewinnen kann? Oder ist das, was ich häufig die ontologische Barriere nenne, zwischen Mensch und Pflanze, unübersteigbar?

Einige werden sich daran erinnern, dass ich das im Zusammenhang mit Mensch und Tier gesagt habe: Es gibt eine ontologische Barriere, die uns erst einmal grundsätzlich durch unsere Ichhaftigkeit, durch unsere Mentalstruktur den Zugang zu Bereichen vor dieser Ichhaftigkeit verwehrt. Wir haben zunächst einmal kein genuines bewusstseinsmäßiges In-ein-Tier- oder In-eine-Pflanze-Eindringen. Sicherlich gibt es in Grenzzuständen des Bewusstseins das immer wieder, das wird ja auch berichtet in den verschiedensten mystischen Zusammenhängen, auch im Zusammenhang mit psychoaktiven Pflanzen. Das ist richtig, aber wir haben keinen, wir haben kaum eine Möglichkeit, diese ontologische Barriere grundsätzlich zu überschreiten. Und da liegt der entscheidende Punkt bei diesem Thema: Ist es möglich, bei Aufrechterhaltung der mentalen Ichhaftigkeit trotzdem tiefere Schichten des Pflanzlichen zu erschließen, als sie sich erschließen können in einer abstraktionistischen von-außen-Betrachtung, die wir ja kennen, einer analytischen, antagonistischen Sichtweise, die ja die herrschende ist. Daneben diese subjektiven Räume, die wir auch kennen, die jeder auf seine Weise erschließt, poetisch, mystisch, schwärmerisch, auf jeden Fall unverbindlich, kollektiv sozial unverbindlich. Das habe ich ja auch schon gesagt. Diese Räume sind subjektive Innenräume, sie haben keine sozial verbindliche Gestalt, und es fehlt eine sozial verbindliche Sprache, die sich in einer Hilflosigkeit bekundet. Auch was die Schöne, das Schöne betrifft.

Das hat zum Beispiel auch Gernot Böhme in seinem Buch hier dargestellt, in einem eigenen Essay über Natur-Ästhetik. Einer der Wenigen heute in Deutschland, die sich um diese Fragen Gedanken macht. Gibt es das naturästhetisch Schöne? Könnte das wiederbeleben, ohne dass es peinlich wird oder dass es obsolet ist? Dass es einfach nicht adäquat ist. Ich will Ihnen kurz eine Ergänzung bringen zu dem Verwandlungsmysterium. Natürlich gibt es Verwandlungsmysterien ganz ähnlicher Art, wenn auch anders gebaut, auch in magischen Bewusstseinsformen, in archaischen Bewusstseinsformen weltweit, auch in anderen mythischen Zusammenhängen. Ich bin heute Nachmittag auf einen Punkt gestoßen, den ich Ihnen kurz darstellen will. Der betrifft den Stechapfel, Datura, wo auch ein ähnliches Verwandlungsmysterium, vollkommen anders dargestellt wird. Hier wird ein Mensch in eine Pflanze zurückverwandelt, also kein halbgöttliches Baumwesen wie die Daphne. Wolf-Dieter Storl schreibt in seinem Buch „Pflanzen-Devas“: „Die Zigeuner sehen sich als Kinder des Stechapfel-Deva.“ Deva, darüber sprechen wir noch hier, jetzt einmal nur verstanden als das seelisch-geistige, gleichsam kosmische Wesen, was hier Storl unterstellt für die Pflanzenwelt, als Hypothese erst einmal. „Viele Ethno-Botaniker glauben, der Stechapfel, datura stramonium, sei im Mittelalter mit den Zigeunern nach Europa gelangt. Der Pflanzenkenner Ritter von Perger vertritt die Ansicht, dass alle Künste der Zigeuner auf der genauen Kenntnis der Säfte des Stechapfels beruhen. Eine von Zigeuner-Forscher Heinrich von Wlislocki wiedergegebene Sage erzählt vom Ursprung der Zigeuner.“ Jetzt kommt dieses Verwandlungsmysterium, ganz anders als das von Daphne. „Einst heiratete ein heilkundiger Zauberer eine Frau unter der Bedingung, dass sie ihm ohne Widerspruch gehorche.“ ‒ Soll vorkommen. ‒ „Ständig war der Mann unterwegs, um den Kranken zu helfen. Einmal kehrte er spät in der Nacht, erschöpft von einem Krankenbesuch heim. Er bat seine Frau, ihn am nächsten Morgen rechtzeitig zu wecken, da er einen weiteren Patienten besuchen wollte. Da er aber besonders tief schlief, brachte es die Frau nicht übers Herz, ihn zu wecken, sondern ließ ihn bis Mittag ausschlafen. Dieser Ungehorsam erboste ihn so sehr, dass er sie verfluchte und mit diesen Worten in eine Stechapfel-Pflanze verwandelte, jetzt sein Fluch: Werde nun eine Pflanze, von Tieren und Menschen gemieden, die in ihrer Frucht so viele Körner enthält, als sie Kinder auf die Welt gebracht hat. Deine Kinder sollen die ganze Welt durchwandern und dich überall hin führen. Hierauf verschwand der Magier und aus der Frau entstand der Stechapfel, den ihre zahlreichen Kinder mit sich in die Welt führten und überall verbreiteten. Man sagt, die Zigeuner stammen von den Kindern dieses Ehepaares ab.“

Der Igel … habe ich mit Überraschung gelesen. Der Igel ist den Zigeunern heilig, weil er stachelig wie ein Stechapfel ist. Er ist der Datura-Deva in Tiergestalt. Derart gibt es ganz viele solcher Verwandlungsmysterien menschlicher Wesenheiten in Pflanzenwesenheiten, übrigens auch umgekehrt, in beiderlei Richtung. Das lässt auf eine im Frühbewusstsein der Menschheit vorhandene, ganz tiefe, seelisch-geistig-stoffliche, feinstoffliche wie immer, Verbindung schließen, die zwischen Mensch und Pflanze besteht. Wenn man davon ausgeht, dass diese Verbindungen letztlich zu tun haben mit einer Instanz im Menschen, mit einer Qualität im Menschen, mit einer Fakultät im Menschen, die ich das Pflanzenselbst nenne. Darüber möchte ich das nächste Mal sprechen. Sie wissen, dass ich davon ausgehe, dass es eine Art Tierselbst im Menschen gibt. So gibt es auch ein Pflanzenselbst. Über das Pflanzenselbst, das uns noch beschäftigen wird, kann man, so meine ich, dass man das plausibel machen kann, auch in der ichhaften Bewusstseinserfahrung in einer tieferen Schicht das Pflanzliche kontaktieren. Und doch, und das ist wichtig, nicht im Sinne einer Regression, denn das ist ja der entscheidende Punkt: Müssen wir gewissermaßen regredieren oder können wir das in die wachbewusste Ichhaftigkeit, auch in die ganze Dimension der Freiheit rücken?

Storl scheint sich auch mit diesen Fragen beschäftigt zu haben, wenn auch nur ansatzweise. Er zitiert hier einmal ein Wort Friedrich Schillers wie folgt: „Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren.“ ‒ Jetzt die entscheidende Zeile ‒ „Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist’s. Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist’s.“ Leicht poetisch, metaphorisch dahingesagt, aber was heißt das konkret, was heißt das in der lebendig gelebten Wirklichkeit? Was sie willenlos ist, sei du es wollend. Das ist’s. Also, über dieses Pflanzenselbst werden wir uns noch eingehend unterhalten. Die Frage wird uns immer wieder beschäftigen: Ist das möglich? Oder ist es eine Fiktion? Das müssen wir immer zumindest in Erwägung ziehen, ob es vielleicht dann doch nur eine Art Fiktion ist, eine Phantasmagorie und keine Wirklichkeit. Wenn es die ontologische Barriere dann wirklich so gibt in dieser radikalen Form, dann kommen wir letztlich aus unseren eigenen Projektionen, auch was die Pflanzen betrifft, nicht hinaus.

Wer mehr darüber forschen und nachdenken möchte, den möchte ich verweisen, ohne dass ich im Einzelnen das hier darstellen möchte, auf dieses Buch: „Was die Erde will“, wo ich die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit auch im Zusammenhang mit dem angedeuteten Sprung vom mythischen Verbundensein zum Rational-Ichhaften dargestellt habe. Übrigens auch ein großes Kapitel hier über Pflanzen: „Was wissen die Pflanzen?“ Ich habe hier einen Zusammenhang hergestellt zwischen den Pflanzen und der planetaren Intelligenz und die These vertreten und die auch bis zu einem gewissen Grade, denke ich mal, begründet, plausibel gemacht, dass es des Menschen Aufgabe sein müsste, das quasi kosmische Bewusstsein, in Anführungszeichen, der Pflanzen, übermittelt über die planetarische Intelligenz, in die eigene Ichhaftigkeit zu überführen. Also eine sehr weitreichende und man kann auch sagen kühne, schwierige These, den Pflanzen eine Art kosmisches Bewusstsein zuzuweisen und nun anzunehmen, der Mensch könne über seine mentale Ichhaftigkeit und auch über die Dimension der Freiheit diese Schicht für sich erschließen und dadurch in gewisser Weise, mit aller Vorsicht gesagt, erst das Pflanzliche, jetzt in Anführungszeichen gesprochen, erlösen. [Das sind] ganz weitreichende, im Grunde äußerst subtile und schwierige Gedanken, die hiermit angesprochen werden.

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Neue Phänomenologie: Raum des Leibes, Raum der Physik

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil III
In-der-Welt-Sein, Im-Leib-Sein. Zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2000
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 53

Transkript als PDF:


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Das ist der dritte Teil einer vier-semestrigen Reihe, eines vier-semestrigen Zyklus mit dem Titel „Das lebende Buch der Natur“. Und wie generell in den letzten drei, vier Jahren kehre ich in gewisser Weise aus dem Kosmos zurück auf die Erde im Sommer. Ich habe die letzten drei Wintersemester, im weiten Sinne, Fragen der Kosmologie behandelt, Mensch, Erde, neue Naturphilosophie, neue andere Kosmologie und in den letzten drei Sommersemestern weit gefasst Fragen von Ökologie, von Geomantie, von Polarität in der Erfahrung hier auf der Erde, eben auch in der Leiberfahrung. Insofern ist die Frage des Leibes uns immer wieder schon begegnet. Ich habe heute zum mal zum ersten Mal seit vielen Jahren die Leibfrage jetzt in den Mittelpunkt gerückt.

Also das lebende Buch der Natur, Teil 3 heißt jetzt: „In-der-Welt-Sein, Im-Leib-sein ‒ zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes“. „In-der-Welt-sein“: Das ist ja ein Begriff, ein Terminus, der auf Heidegger zurückgeht. In seiner Zeit 1927 taucht er auf und meint, kurz gesagt, kurz gefasst, eine elementare Grundgegebenheit der Existenz. Der Mensch ist nicht einfach im Nirgendwo. Er hängt nicht in einem Irgendwo, sondern er hat einen konkreten Ort. Der Mensch ist nicht ortlos, er ist nicht weltlos, sondern er hat einen Ort in der Welt, ja, er ist seinem Wesen nach, ein Wesen, das sich bestimmt durch das In-der-Welt-sein. Das mag sich fast banal anhören, ist aber keineswegs banal. Denn die traditionelle Philosophie hat diesen Sachverhalt, der sich auch, wie wir sehen werden, über die Leiblichkeit vermitteln lässt, in großen Teilen ausgeklammert. Das In-der-Welt-Sein wurde weitgehend eliminiert. Also In-der-Welt-sein: Ich spreche eher und vielleicht präg­nanter noch in meinem Kontext vom In-Sein des Menschen. Also der Mensch ist ein In-sein-Wesen. Seinem Wesen nach ist er immer innerhalb absoluter und relativer Zusammen­hänge. Es gibt ein Darin des Menschen, und dieses Darin ist unter anderem der Raum und der Kosmos. Der Mensch ist ein Im-Kosmos-sein-Wesen. Das ist wichtig.
Philosophie und Phänomenologie des Leibes. Was heißt das? Phänomenologie ist ein Begriff, das will ich kurz erläutern, der nicht selbstverständlich ist. Er geht auf die griechische Philosophie zurück und bezieht sich auf die Phänomene, auf das, was erscheint, also ein Phänomen ist etwas, was erscheint. Der Begriff „Welt der Erscheinungen“ als ein Begriff für die phänomenale Welt, „die Welt der Erscheinung“ geht auf Kant zurück. Kant hat den Begriff erfunden, der bis heute übrigens auch in der Naturwissenschaft verwendet wird, „die Welt der Erscheinungen“. Ein sehr schwieriger, ein auch missverständlicher, ja geradezu diffuser Begriff, denn er wirft sofort Fragen auf. Wenn diese Sinnenwelt eine Welt der Erscheinungen ist, dann stellt sich sofort die Frage: Was erscheint da? Was ist dieses Erscheinende und für wen erscheint es? Und das hatte ja Kant ziemlich eindeutig beant­wortet: Diese Welt ist eine Welt der Erscheinungen für ein bestimmtes Subjekt, für das, was er das „transzendentale Subjekt“ nannte. Also nicht unbedingt für den je Einzelnen, sondern für das transzendentale Subjekt, was jeder Einzelne in sich trägt und ist. Und das hat große Verwirrung und ungeheuer viel Diskussion ausgelöst. Was erscheint da eigent­lich? Und was verbirgt sich in dieser Erscheinungswelt? Und das wird uns also beschäftigen.

Und Phänomenologie des Leibes bezieht sich auf das In-der-Welt-Sein im Hinblick auf die Frage, welche leiblich erfassbaren, leiblich erfahrbaren Phänomene lassen sich in einen konsistenten philosophischen Zusammenhang bringen? Das setzt voraus, dass man überhaupt diese Phänomene erkennt, dass man sie überhaupt zulässt und dass man eine Sprache dafür hat. Das ist ja nicht selbstverständlich, dass man eine Sprache findet für das eigene Im-Leib-sein, das eigene In-sein auch als Leibwesen. Und wenn man die Philoso­phiegeschichte sich anschaut, dann stellt man fest, dass die Sprache, was diesen Bereich betrifft, eher unterentwickelt ist. Dass sie also erst einmal, in erster Lesung, weitgehend nuancenlos ist, dass viele bedeutende Philosophen oder die als solche gelten, kaum etwas ausgesagt haben über die ungeheure Differenzierung, die unvorstellbare Subtilität, der Leiberfahrung. Das findet man eigentlich erst in Ansätzen bei Schopenhauer, vorher fast überhaupt nicht. Bei Schopenhauer, bei Nietzsche und dann bei anderen, Husserl, Heidegger und anderen, auch Sarte zum Teil, findet man also den Versuch, die Leib­erfahrung auch sprachlich auszudifferenzieren.

Am extremsten und faszinierendsten bei einem zeitgenössischen Philosophen, der in diesem Semester eine große Rolle spielen wird, bei dem Philosophen Hermann Schmitz, einem mittlerweile emeritierten ehemaligen Philosophieprofessor aus Kiel, der in einem riesigen Werk wie kein anderer Leib-Philosophie betrieben hat, die er „Neue Phänome­nologie“ nennt und wie kein anderer an einer ungeheueren Breite und auch sprachlicher Differenzierung und einem ungeheuren Nuancenreichtum Dinge philosophisch quasi in die Sprache, überhaupt in die philosophische Dignität gehoben hat, die bis dahin gar nicht sprachlich-philosophisch in Erscheinung getreten war. Also faszinierend bis in Kleinig­keiten hinein, bis in das Spüren der Gliedmaßen, das Spüren von Atmosphäre. Also das ist ein ganz wichtiger Punkt im Kontext dieser Phänomenologie, und das will ich in diesem Semester versuchen zu entwickeln, dass wir ja alle, wenn wir erfahren, auf eine ganzheitliche Weise immer in bestimmten Psycho-Atmosphären stehen, auch in diesem Raum zum Beispiel, in diesem Moment. Wir sind ja immer in bestimmten Psycho-Atmosphären. Das hat die Philosophie weitgehend unbeachtet gelassen. Die Naturwissen­schaft auch, weil Psycho-Atmosphären sind kein Gegenstand der objektivierenden, exakten, der mathematisierenden Naturwissenschaften. Das ist sozusagen nur subjektiv, in Anfüh­rungszeichen.

Und da spiegelt sich eine uralte Trennung, die desaströs gewirkt hat, dass man auf der einen Seite das sogenannte Objektive, das Mathematisierbare, das technisch Umsetz­bare vollkommen abgespalten hat von dem sogenannten Subjektiven, von dem sogenann­ten subjektiven Fühlen, von dem gesamten Bereich der Subjektivität überhaupt. Sie kennen ja alle wahrscheinlich die berühmte Lehre von John Locke über die primären und sekun­dären Sinnesqualitäten. Da wurde ja gesagt, die primären Sinnes-Qualitäten, das eigentlich Objektive sind die Dinge in ihrer Gegenständlichkeit, in ihrer Ausdehnung, Raum-Zeit­lichkeit, in ihrer Bewegung, in ihrer Substanzhaftigkeit, in ihrer Materialität. Der Rest, Farben z. B., Empfindungen für Phänomene, ganzheitliche Zusammenhänge usw. Gefühle, all das ist subjektiv. Insofern ist es grundsätzlich nicht objektivierbar. Das hängt ja auch mit den Antinomien zusammen, wie das immer behauptet worden sind, zwischen Männlichem und Weiblichem, die Frau, das Weibliche, und die Frau hat das Gespür für die Psycho-Atmosphären, spürt intuitiv raus, was los ist, welche Atmosphäre vorherrscht, während der Mann in diesem eher objektivierenden Sinne eigentlich die Psycho-Atmosphäre von Vor­gängen eher draußen vor lässt.

Und das ist ein spannender Punkt, und das will ich auch versuchen in diesem Semester darzustellen. Das Klima, die Aura, die Psycho-Atmosphäre unserer Leib-Erfahrung ist tatsächlich konstituierend für Erfahrung überhaupt. Das geht bis in feinste Wahrnehmungen, auch jetzt im meteorologischen Sinne klimatischer Zusammenhänge, auch geographischer Zusammenhänge. Und das alles spielt in die Wahrnehmung von Welt [oder Selbst] ganz entscheidend mit hinein, also die Atmosphäre. Ich will mal ein konkretes Beispiel nennen, wo mir das besonders deutlich geworden ist, was psychische Atmosphäre auch im wissenschaftlichen Apparat bedeutet. Damit ist man jetzt an einem konkreten Beispiel. Es war am 5. April in der Urania eine große Diskussion im Jahr der Physik, 2000 gilt als Jahr der Physik. Sie wissen es vielleicht. Die Urania hat ein großes Happening, kann man sagen, gemacht mit hochkarätigen Physikern. „Reise zum Urknall“, die Urania war voll mit Schaubildern, mit Physikern, die den Laien erklärt haben, wie das Weltall funktioniert in ihrer Sicht. Und dann gab es da eine Podiumsdiskussion an diesem 5. April mit Top-Physikern über den Urknall. Ich saß mit auf dem Podium. Ich war eingeladen, Humboldt Saal, 600 Leute im Saal. Was ich sagen will, ist Folgendes: Im Vorfeld saßen wir in einem Raum zusammen, das war eine Art Vorbesprechung über diese Fragen, und ich spürte psycho-atmosphärisch, sage ich mal, eine ganz dichte, schwierige Atmosphäre, was das Thema betrifft, denn ich spürte sofort, das wusste ich auch theoretisch, intellektuell, also mental, aber ich spürte es auch wirklich fast physisch, dass ein vollkommenes Einver­ständnis herrschte in diesem Kreise der Physiker über die Faktizität dieses ominösen Urknalls. Nun bin ich bekannt dafür, dass ich den Urknall für eine Fiktion halte und für schlecht gestützt. Und ich spürte also eine … , sozusagen einen physischen, fast physischen Druck in dieser Gruppe und spürte auch, dass das mich beeinflusste, im Vorfeld dieser Diskussion also eine merkwürdige Aura herrschte. Ich wusste auch, die würde im Saal herrschen, weil vorne die ersten Reihen waren besetzt mit Physikern der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und viele, auch aus dem Wissenschaftsministerium, waren anwesend, es war ja eine Co-Produktion der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit dem Wissenschaftsministerium. Und es bedurfte sozusagen einiger kontemplativer Übungen, um dann diese Psycho-Atmosphäre soweit abzustreifen, dass ich dann mit einer relativen Freiheit die Dinge dann wirklich sagen konnte, die nach meiner Überzeugung zu sagen waren. Und das gilt generell für solche Zusammenhänge.

Es gibt auch in den großen Wissenschaftsapparaten, gibt es immer ganz bestimmte Psycho-Atmosphären,die bis in die Resultate der Experimente hineingehen. So weit geht das. Es gibt also nicht nur einen Gruppendruck, dass ganz bestimmte favorisierte Theorien bestätigt werden müssen, wenn dann Messwerte auftauchen, die sie widerlegen, dann wird es schwierig. Nein, es gibt auch ein gesamtes Klima, und das ist nicht Thema von Wissen­schaft. Das wird überhaupt nicht im eigentlichen Sinne philosophisch und wissenschaftlich thematisiert. Also um diese Fragen soll es gehen. Phänomenologie des Leibes.

Was ist Leib? Ich habe ganz bewusst diesen Begriff benutzt, der ja nicht Körper ist und will mal versuchen einleitend, das überhaupt klar zu machen. Körper im Sinne der Physik ist ein Etwas, ein raumzeitlich, dingliches Etwas. Der Tisch ist ein Körper. Dieses Gestühl, das sind Körper. Wir, als Gestalten, als Leib-Wesenheiten sind auch, sofern wir physisch-sinnliche Körper sind, Körper, wir sind Körper, wie andere Körper auch, der Gravitation unterworfen und damit der Gesamtheit dessen, was die physisch-sinnliche Welt physikalisch bestimmt. Das sind wir auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber sind wir gleichzeitig, mal unabhängig von der Frage, was wir als Seele sind, was wir als Geist sind, sind wir als Leib-Wesen nie identisch mit dem Körper. Das kann man mit einer ganz einfachen Grundwahrnehmung sich vergegenwärtigen, wenn man mal den Versuch macht, bei geschlossenen Augen in den eigenen Körper hineinzuspüren. Was nimmt man wirklich wahr?

Es ist erstaunlich, kann Ihnen das ja mal als sozusagen als meditative Denkübung quasi nahelegen. Man staunt, wenn man sich mal dieser Erfahrung überlässt, was man wahrnimmt, auch das, was man nicht wahrnimmt. Es ist nämlich verblüffend, dass man in keiner Weise sich selber in Gänze als Körper wahrnimmt. Man nimmt sich selber von innen als Leib eher undeutlich wahr. Das Ganze ist ein undeutliches Etwas, ein fast fließendes Gebilde, ein fluktuierendes Gebilde der Innenwahrnehmung, in dem sich, wie das Hermann Schmitz sagt, verschiedene sogenannte Leibes-Inseln befinden. Sie können das wirklich meditativ in der Selbsterfahrung versuchen herauszuspüren. Sie haben große Schwierig­keiten, eine klare Topografie ihres eigenen Körpers zu finden nur vom leiblichen Spüren aus. Auf der anderen Seite haben sie eine Leibempfindung, eine Spürfähigkeit, die weit über den physischen Körper hinausreicht. Sie sind sozusagen leiblich immer viel mehr, sind viel weiter, sind viel ausgedehnter als der physische Leib, anders als der physische Leib, als der Körper, andererseits wiederum weniger, zum Beispiel die ganze organische Innenaus­stattung des Menschen, die inneren Organe sind im Normalfall nicht bewusstseinsfähig. Der Mensch läuft also gewissermaßen, um das mal etwas plakativ zu sagen, als Hohlraum durch die Welt. Innen ist er vollkommen hohl in der Selbstwahrnehmung. Das ist wichtig.

Es geht hier um Bewusstseins-Phänomenologie. Es geht nicht um Anatomie. Es geht nicht um Physiologie. Es geht nicht um Medizin. Es geht um die Selbstwahrnehmung. Und das hat der Hermann Schmitz auf eine wunderbare Weise in seinen Büchern zum Ausdruck gebracht, wie kein anderer. Also Leib ist Wahrnehmung, spürende Wahrnehmung von innen, die natürlich Berührungspunkte hat mit der physisch-sinnlichen Körperlichkeit. Aber das ist nicht deckungsgleich. Sie können das beobachten, etwa ein Schmerz, ein Kopfschmerz. Wo sitzt der Kopfschmerz? Sie können sagen, gut das ist Pochen, das ist Ziehen, das ist bohrend. Sie können versuchen, diesen Kopfschmerz zu beschreiben. Sie werden aber feststellen, dass Sie immer in eine gewisse diffuse Form der Wahrnehmung hineinkommen, dass Sie Mühe haben, das Ganze streng organisch-sinnlich zu lokalisieren. Ganz zu schweigen davon, Traurigkeit ‒ ist ja eine Gefühlsqualität, ist ja kein Wahn. Der Traurige ist ja wirklich traurig. Wo sitzt die Traurigkeit? Was ist eine Bedrücktheit? Was ist eine freudige Erregung? Was ist eine erotische Erregung? Wo sitzt das? Das ist immer ganz leiblich und gleichzeitig sehr schwer im Einzelnen wirklich zu festzumachen. Man ist da also in einem schwierigen Bereich, der wirklich bis vor Kurzem überhaupt nicht philosophiefähig war. Die Philosophen haben es überhaupt nicht für wert befunden, über diese Fragen ernsthaft nachzudenken. Das fanden sie überhaupt kein Thema, was sich lohnt, intellektuell-theoretisch zu behandeln.

Das ist schade. Denn es gibt da sehr, sehr viel Faszinierendes zu entdecken. Ich bring mal ein kurzes Zitat aus einem Büchlein von Hermann Schmitz, ist auch auf der Litera­turliste drauf, wo er in wunderbar knapper Form seine Definition des Leibes nennt. Also ich habe ja plakativ gesagt, Leib ist der Körper von innen, ist einerseits mehr als der physische Körper, auf der anderen Seite weniger als der physische Körper. Nicht, das geht ja bis in die Frage, das kennen Sie ja diesen Punkt, der Phantomgliedmaßen hinein. Phantomgliedmaßen, etwa nach Amputationen, werden ja wie reale Körperteile empfunden, ganz real empfunden, obwohl sie physisch-sinnlich nicht vorhanden sind. Also der Leib, Hermann Schmitz, „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. Zitat Hermann Schmitz: „Unter dem eigenen Leib eines Menschen verstehe ich das, was er in der Gegend seines Körpers von sich spüren kann, ohne sich auf das Zeugnis der fünf Sinne Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken und des perzeptiven Körperschemas, das heißt des aus Erfahrungen des Sehens und Tastens abgeleiteten habituellen Vorstellungsgebildes vom eigenen Körper zu stützen.“

Das perzeptive Körperschema ist die ganzheitliche Körperempfindung, die jeder hat von sich selber. Jeder von uns hier im Raum hat eine ganzheitliche Grundvorstellung, wie er aussieht, wie er im Raum ist. Das haben übrigens zum Teil auch Tiere, denken Sie an das ganze Phänomen der Mimikry, also offenbar in irgendeiner Form ein Körperschema, das nennt Hermann Schmitz das perzeptive Körperschema. Also, der eigene Leib ohne dieses perzeptive Körperschema und ohne die fünf Sinne. „Der Leib ist besetzt mit leiblichen Regungen wie Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Atmung, Behagen, affektives Betroffensein von Gefühlen. Er ist unteilbar, flächenlos ausgedehnt.“ ‒ Das will ich noch im Einzelnen erläutern … und wenn ich Schmitz behandle … flächenlos … Dieser innere Leib hatten im engeren Sinne keine klar definierbare Flächen, keine Außenflächen. Er endet nicht bei der Hautoberfläche, gar nicht. „Er ist unteilbar flächenlos ausgedehnt und als prädimen­sionales, das heißt nicht bezifferbar dimensioniertes, d. h. nicht dreidimensionales Volumen, das in Engung und Weitung Dynamik besitzt.“

Also das wird uns ja noch beschäftigen mit dem Raum. Dieser Raum des Leibes ist nicht im eigentlichen mathematisch-geometrischen Sinne oder euklidischen Sinne ein dreidimensionaler Raum. Das ist wichtig. Er ist, wie das Hermann Schmitz sehr schön sagt, vordimensional. Er ist also eine Art Raum … , entsteht aus einem Raumgefühl vor der euklidischen Dreidimensionalität. „Man macht sich das leicht am leiblich spürbaren Einatmen klar. Es wird in Gestalt einer Insel in der Brust und auch Bauchgegend gespürt, in der simultan Engung und Weitung konkurrieren, wobei anfangs die Weitung und später gegen Ende des Einatmens die Engung überwiegt.“ Kontraktion, Expansion. „Diese Insel ist voluminös, aber weder von Flächen umschlossen, noch durch Flächen zerlegbar und daher auch nicht dreidimensional, die ist nicht teilbar.“ Das ist wirklich eine Ganzheitlichkeit, „da Drei als Dimensionszahl nur aufsteigend von der Zwei her sinnvoll eingefügt werden kann. Solch ein dreidimensionales Volumen kommt auch in anderen Erfahrungsbereich vor, etwa im Wasser für den Schwimmer, der nicht auf die Oberfläche blickt und als Schall-Volumen, das beim schrillen Pfiff scharf, spitz und eng ist, beim dumpfen Gong oder Glockenschlag aber ausladend, weit und weich. Der Leib ist fast immer, außer zum Beispiel im heftigen Schreck, von solchen Leibes-Inseln besetzt, ein Gewoge verschwommener Inseln, die sich ohne stetigen Zusammenhang meist flüchtig bilden, umbilden und auflösen, in einigen Fällen aber auch mit mehr oder weniger konstanter Ausrüstung beharren. Dies besonders im oralen und analen Bereich und an den Sohlen.“

Also erstaunlich, der erste Philosoph der Geschichte, der auch die anale Empfindung für philosophiewürdig hält. Erstaunlich. „Solche Leibes-Inseln kommen auch außerhalb des eigenen Körpers vor, z. B. als Phantomglieder der Amputierten. Seine Einheit erhält der Leib nicht durch einen stetigen Umriss. Seine Haut kann man besehen und betasten, aber nicht am eigenen Leib spüren. Die Weckung von Aufmerksamkeit auf die eigene Haut in der Vorstellung anhand des perzeptiven Körperschemas kann allerdings die Sensibilität für das Spüren von Leibes-Inseln steigern. Die Einheit des Leibes ist einerseits dynamisch durch die Gebundenheit an die Enge in Gestalt einer Engung oder Spannung, die entweder aktuell gespürt wird, oder in Abwesenheit indirekt aufdringlich.“ Also, und so weiter.

Also, Sie haben in dem, was hier als Leib bezeichnet wird, eine innerleibliche Erfahrung des Spürens. Diese ist nicht, ich sage es noch mal, im euklidischen Sinne drei­dimensional und auch nicht mathematisch-geometrisch zu fassen. Es hat eine Unschärfe. Wenn Sie das versuchen, werden Sie immer große Schwierigkeiten haben, dieses Volumen in irgendeiner Form räumlich präzise zu bestimmen. Warum das wichtig ist, warum solche Fragen überhaupt wichtig sind, ist naheliegend. Wenn man mal einen Blick wirft auf die geistige Gesamtsituation und auf das, was man seit 20, 25 Jahren als ökologische Krise bezeichnet, dann ist das ganz eindeutig. Es ist ja in den letzten zwanzig Jahren unendlich viel diskutiert und geschrieben worden über die Frage: Was ist eigentlich diese sogenannte ökologische Krise? Wie kommt es eigentlich, dass der Mensch, das tut er ja offenbar, unaufhaltsam seine sogenannten natürlichen Lebensgrundlagen zerstört? Er tut es, unaufhaltsam, Tag für Tag. Er mag als Einzelner das ablehnen, ja geradezu moralisch verurteilen. Aber das Gesamte, die gesamte sogenannte Megamaschine rollt, wie man vermuten muss, vollkommen ungebremst weiter, und alle Bemühungen, das zu verstehen oder gar zu modifizieren oder zum Stoppen zu bringen, sind bislang gescheitert. Man hat den Verdacht, dass etwas fundamental gar nicht verstanden worden ist, dass wir offenbar gar nicht verstanden haben, was wirklich passiert. Und es ist ja eine von vielen Interpretationen, die immer mit einigem Recht auch gegeben worden sind, zu sagen: Der Mensch hat eine Abspaltung vollzogen. Und wenn von Abspalten die Rede ist, dann wird häufig ins Spiel gebracht, ich habe das ja auch in verschiedenen Zusammenhängen gesagt, eine Abspaltung auch von der eigenen Leiblichkeit.

Wenn [es] seit ebenfalls 20, 25 Jahren einen ungeheuren Boom sogenannter Körper­therapien gibt, dann ist das ja ein Symptom dafür, dass eine zunehmende Zahl von Menschen einfach begreift, dass es darum geht, was Ken Wilber sagt, „Reown the body“, den Körper in gewisser Weise wiederzugewinnen. Also Körpertherapie als Versuch in diesem Sinne den Leib oder den Körper bzw. den Leib zurückzugewinnen. Ich spreche im Zusammenhang mit der ökologischen Krise von einer kollektiven Neurose, einer kollek­tiven Abspaltung, die passiert ist, und zwar eine kollektive Abspaltung in doppelter Hinsicht. Ich will das nicht im Einzelnen hier ausführen, ich werde das in vierzehn Tagen nochmal darstellen im Zusammenhang mit der Entstehung des mentalen Selbst. Im Zuge der Entwicklung, der Genesis, der Evolution des mentalen Selbst hat sich ein Ich herausgebildet, das erst einmal weitgehend von allem Leiblichen sich frei wähnt, ja seine eigentliche Würde darin zu finden glaubt, wo der Leib nicht ist. Nicht, wenn man Natur im allgemeinsten Sinne als das verstehen möchte, was von sich aus ist, im Sinne auch einer anerkannten antiken Definition, also der Natur als das von sich aus Seiende. Das ist ja ein Problem des Menschen als Natur und Leibwesen die Frage: Wo ist das von sich aus Seiende im eigenen Leib? Sind wir … , wie kommen wir, wenn wir denn Ich-Wesen sind, quasi leiblose Ich-Wesen, wie kommen wir denn hinein in diese konkrete Leiblichkeit?

Das ist ja eine Frage, die in der ganzen Evolution des Ichs eine ungeheure Rolle gespielt hat und auch natürlich hineinspielt in die ganze Frage von männlich-weiblich. Nicht, das habe ich in meinem Buch „Was die Erde will“ ja eingehend dargestellt. Die Entwicklung also auch der ganzen Geschlechter-Problematik in dem Zusammenhang. Auf jeden Fall ist eine Abspaltung passiert, was ich eine kollektive Neurose nenne. Eine ganz andere Frage ist, ob das notwendig war, ob das vermeidbar war, ob das ein Irrweg war, eine Fehlentwicklung, das kann man auf sich beruhen lassen. Fakt ist, es ist passiert, und es hat eine ganz bestimmte Form des In-der-Welt-Sein des Menschen ausgelöst, an deren Folgen wir heute, an den ungeheuren Trägheitskräften dieser Folgen wir heute alle leiden. Und das ist ein wesentlicher Punkt, warum natürlich die Frage wichtig ist: Wie steht es eigentlich mit dem, was ich das In-Sein des Menschen nenne? Worin ist der Mensch in seiner eigentlichen existenziellen Wesenheit? Und das ist natürlich dann auch eine Frage, was der Mensch überhaupt ist. Und das spielt ja auch in diese ganze Thematik mit hinein. Was ist der Mensch? Ist der Mensch, als der er ja generell von vielen gesehen wird, ein höheres Tier? Ist er letztlich so zu definieren, oder ist er anders und von einer höheren Ebene aus zu definieren und zu bestimmen? Das ist ganz zentral wichtig, die Frage: Was ist der Mensch? Ist der Mensch ein höheres Tier? Was eine mögliche Betrachtungsweise ist, oder ist der Mensch eine Geist-Seele-Gestalt, eine Geist-Seele-Leib-Gestalt in einem ganzheitlich verstandenen Kosmos, der ihn trägt, bestimmt und ermöglicht? Allerdings mit der Freiheit, sich auch geistig-mental von all dem zu trennen, denn das muss als Möglich­keit ja im Menschen liegen, sonst würde es nicht passiert sein. Da kommt das Mysterium der Freiheit ins Spiel. Der Mensch hat immer die Freiheit, die Möglichkeit, sich auch gegen das Ganze zu entscheiden. Die Größe und auch die Tragik des Freiseins im Menschen.

Diese Entwicklung, was ich die kollektive Neurose nenne, geht bis in die feinsten Verzweigungen auch der Sprache hinein und hat unsere gesamte Begrifflichkeit in entscheidender Weise mitgeprägt. Und das muss man wissen, um überhaupt eine Wahrnehmung dafür zu gewinnen, was hier an Terrain wiederzugewinnen ist, wenn von Leib die Rede ist, was an ungeheuerem Nuancenreichtum wiederzugewinnen ist. Auch hier noch einmal kurz ein Zitat von Schmitz aus diesem Büchlein „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. Er nennt seine Sichtweise „Neue Phänomenologie“ und grenzt sie ab zu Heidegger und Husserl, also Neue Phänomenologie. Er schreibt hier ganz am Anfang: „Die Neue Phänomenologie widmet sich der Aufgabe, die Abstraktionsbasis der Theorie und Bewertungsbildung tiefer in die unwillkürliche Lebenserfahrung hinein zu legen. Unter der Abstraktionsbasis einer Kultur verstehe ich“ ‒ Hermann Schmitz ‒ „die [die] zäh prägende Schicht vermeintlicher Selbstverständlichkeiten zwischen der unwillkürlichen Lebenser­fahrung einerseits, den Begriffen, Theorien und Bewertungen andererseits den Filter bildet. Die Abstraktionsbasis entscheidet darüber, was so wichtig genommen wird, dass es durch Worte und Begriffe Eingang in Theorien und Bewertungen findet. Deshalb sind gegensätzliche Theorien und Bewertungen derselben Abstraktionsbasis möglich. Die Abstraktionsbasis einer Kultur wird teilweise durch die Suggestionskraft sprachlicher Strukturen, zum anderen Teil durch epochale geschichtliche Prägung bestimmt.“

Wir wissen das oft gar nicht mehr, wie sehr wir ganz zentral durch epochale Prä­gungen der Sprache, der Begrifflichkeit auf suggestivste Weise geprägt sind, dass wir einen Filter, wie ein Bewusstseinsfilter aufhaben, was überhaupt ein bewusstseinswürdiges Phänomen, ein denkwürdiges Phänomen und was wird von vornherein ausgeblendet in den Nebelraum bloßer Subjektivität. Nicht, das ist ja … , viele Menschen fühlen sich ja heute in diesem technisch-abstraktionistischen Gesamtsystem ihrer eigenen leiblichen Form und ihrem subjektiven in der Weltsein völlig alleingelassen. Sie haben das Gefühl, das zählt überhaupt nicht. Es gilt nichts. Es hat keine Würde. Es ist letztlich geistig-philosophisch nichts wert. „Wir stecken gleichsam in einem Urwald geschichtlicher Vorprägungen, der nicht durch den bloßen Entschluss zur Unbefangenheit in freies Feld verwandelt werden kann.“ Das geht nicht. Man kann nicht sagen, ich möchte das jetzt, ich will das ‒ das ist harte geistige Arbeit, das wirklich zu leisten, man muss ganz tief auch in die Begriffe reingehen und versuchen zu zeigen: Woher stammt das, in welchem geschichtlichen Kontext ist das entstanden, und was heißt das für hier und jetzt? „Vielmehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen, um in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzung zu werden.“ Was sehr schwer ist, weil jeder von uns natürlich selbstverständlich in einer Fülle von Voraussetzungen steckt. Jeder Einzelne von uns steckt wirklich in dieser Art Urwald von Prämissen, dem, was wir ständig unhinterfragt voraussetzen. Viele wissen das gar nicht mehr, was sie ständig voraussetzen. Das kann man aber hinterfragen. Da kann man nachfragen. Und es ist hochinteressant und ein Punkt, der mich seit vielen Jahren immer wieder beschäftigt, die Frage: Was setzen Menschen voraus, ohne darüber nachzudenken? Viele im normalen Sprechen stellen Theorien auf, sind Anhänger von Theorien, von Weltanschauungen, von religiösen Überzeugungen und so weiter und sind sich oft über­haupt nicht darüber im Klaren, was sie bis in die Feinheiten ihrer Begrifflichkeit ständig schon voraussetzen. Also das ist ein ganz entscheidender Punkt, der hier bedacht werden muss. Setze ich also voraus, dass ich ich bin, dass ich eine eigene, gleichsam metaphysische Entität bin, oder gehe ich von vornherein davon aus, dass das ich bin, eigentlich keine Rolle spielt? zum Beispiel.

Und das wird uns auch beschäftigen im Zusammenhang mit dem Leib ist das entscheidend wichtig, die Ich-Frage. Was ist das Ich? Wo sitzt das Ich? Im Kopf, in der Brust, in den Beinen? Oder ist es hinten, ergreift mich quasi von außen? Wo ist das Ich? Auch das ist eine Frage, die, wenn man dem mal versucht, auf den Grund zu gehen, abgründig ist. Wo ist der ontologische Ort des Ich? Hat es solchen Ort? Gibt es den Ort des Ich? Oder ist das Ich quasi ortlos, raumlos? Gleichsam auch weltlos? Also, die Frage ist auch für diese ganze Thematik zentral wichtig: Wo sitzt eigentlich das Ich? Da ist übrigens Hermann Schmitz sehr radikal. Man kann auch sagen zu radikal, weil in gewisser Weise einseitig, weil er versucht, erst einmal, diese Ichhaftigkeit des Menschen und die, was er die „Innenwelt-Hypothese“ nennt, von Seele, Geist und Bewusstsein zu demontieren. Er versucht konsequent phänomenologisch bei dem zu bleiben, was tatsächlich wahrge­nommen wird, ohne nun noch ein ichhaftes Substrat dahinter, eine sogenannte Seele, ein Geist, ein Gemüt, wie Kant sagt, ein Bewusstsein zu unterstellen. Das ist nicht konsequent durchführbar, meine ich, und da verwickelt sich auch Schmitz in Widersprüche und Zirkelschlüsse. Aber das kann im Moment mal außen vor bleiben. Wichtig ist auf jeden Fall die Ich-Frage: Wo ist der Ort des Ich? Der ontologische Ort aber der auch der leibliche Ort? Sind wir identisch als Leib mit dem Ich? Kaum, also kaum einer wird ernsthaft behaupten, dass er in Gänze als physisch-sinnlicher und von innen gespürter Leib dieses Ich ist.

Wir haben ja bis in den Sprachgebrauch des Alltags hinein die Vorstellung, dass der Einzelne einen Körper, womit ja eigentlich eher Leib gemeint ist, einen Körper hat und nicht dieser Körper ist. Auch wenn in einigen Ansätzen der modernen Körpertherapie bis in Buchtitel hinein anderes behauptet wird, etwa ein Buchtitel ist mir mal vor Augen gekommen: „Ich bin mein Körper“. Ein absurder Satz, natürlich, ein Satz, der ganz bewusst sich wendet gegen eine Abspaltung, die damit demontiert werden soll, als lebensfeindlich denunziert. Hier ist das Ich, ein abstraktes Gebilde, ein Geistwesen, das von oben herab irgendwie in die Niederungen des Physischen, Leiblichen sozusagen hinab schaut und von oben das Ganze steuert. Also ganz konsequent und radikal zu sagen: Ich bin mein Körper, also ich bin identisch mit alledem. Das würde bei einer vertieften philosophischen Reflexion unmöglich sein, also diese Identität ist so nicht möglich. Also die Frage: Wo ist das Ich?, ist zentral wichtig. Wo ist der Geist, der ja nicht unbedingt das Ich selber ist? Wo ist die Seele und wo ist der Wille? Oder sind das alles nur Begriffsungetüme, mit denen wir letztlich überhaupt keinen konkreten Wahrnehmungsinhalt verbinden können? Auch da ist es sinnvoll, mal wirklich in die Tiefen reinzugehen und nicht von vornherein mit Begriffs­hülsen zu operieren, als ob das Selbstverständlichkeiten seien. Insofern ist es wichtig: Was wird vorausgesetzt? Was ich gerne und oft auch in meinen Büchern und vielen Vorträgen immer wieder als Subjektblindheit der Naturwissenschaft bezeichne, berührt ja diesen Fokus.

Jede Wahrnehmung von Welt, jedes Reden über Welt, jedes Theoretisieren, jedes Disku­tieren, jede Wissenschaft, jede Kunst, was auch immer, setzt das lebendige Subjekt voraus. Sozusagen dieses lebendige Subjekt ist immer der Hase, der schon da ist. So sehr der Hase sich auch abstrampelt, um den Igel zu überholen, er kommt am anderen Ende an und der Igel, in diesem Falle die Frau des Igels, die aber genauso aussieht wie er, insofern kann er es nicht unterscheiden, sitzt schon da. Das heißt, das lebendige Subjekt ist im Grunde genommen der Igel, der immer schon da ist. So sehr der Hase sich auch halbtot und schließlich wirklich tot läuft, weil das ist das nicht Hintergehbare, weil alles Denken, Forschen, Meinen, Diskutieren, Streiten, wie immer setzt lebendige Subjekte voraus. Und es war eine Tragödie in gewisser Weise, dass in der neuzeitlichen Denkbewegung, vor allen Dingen in den Naturwissenschaften, das Subjekt vollkommen eliminiert wurde. Natürlich gab es das Subjekt. Es gab nicht nur die einzelnen Forscher-Subjekte mit ihren ganz speziellen und spezifischen, auch emotionalen Befindlichkeiten, auch ihrem Geltungsdrang, ihrem Bedürfnis nach Preisen und Anerkennung durch Andere usw. Es gab auch natürlich immer das Über-Subjekt, das unberührte Über-Subjekt, was das Ganze wie von außen betrachtet.

In Physik-Lehrbüchern, schauen wir in ein normales Physik-Lehrbuch rein: man nehme, man tue, man mache, es ist immer ein anonymes „man“. Sie oder ich, der Einzelne in seiner je anderen Spezifik wird überhaupt nicht angefragt, sondern das anonyme „man“, das anonyme Subjekt ist gefragt, und weil dies so ist, kann man auch von allen Subjektivitäten abstrahieren. Das macht einen Teil des ungeheuren Erfolges auch dieser Art von Subjektheitblindheit aus. Denn dieser Erfolg ist immens. Das muss man einfach sehen. Dieser Erfolg ist immens. Es war ein ungeheuer erfolgreiches Projekt, das Subjekt erst einmal auf diese Weise zu eliminieren. Das Subjekt, das hier einbezogen wird in den Vorgang der Beobachtung, [ist] ja nicht das konkrete, lebendige Subjekt, sondern ebenfalls ein anonymes „man“, letztlich eine Art Es-haftes Subjekt, nicht der lebendige Einzelne, um den geht es genauso wenig wie auch sonst. Also „vielmehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen“, noch einmal kurz zurück zu Schmitz, „ … um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzung zu werden.“ Sehr schwer. Ich sage es nochmal, das ist wirklich harte Denkarbeit, um dieser Voraussetzungen Herr zu werden. Wenn das überhaupt der richtige Begriff ist, wenn das überhaupt rein mental geht. Wahrscheinlich geht das gar nicht. „Deswegen ist Phänomenologie nur im Zusammenhang mit kritisch-historischer Einstel­lung sinnvoll. Diese muss für die Zwecke der Neuen Phänomenologie hauptsächlich den für die Prägung der dominanten europäischen Intellektualkultur entscheidenden Paradigmen­wechsel bei den Griechen in der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhundert, ins Auge fassen.“ Das ist naheliegend, es wird immer wieder gemacht, das tue ich in anderem Zusammenhang auch. „Die meisten Versuche, sich durch das Labyrinth der Verkünste­lungen des Denkens und Wollens zurückzutasten, brechen viel früher ab, nämlich bei dem großen Barock-Denkern des 17. Jahrhunderts wie Francis Bacon, Hobbes, Galilei, Descartes und Leibniz. Das ist kurzsichtig. Diese Denker haben keine neue Abstraktionsbasis gelegt, sondern auf der ererbten weitergebaut und durch Formulierung des Prinzips und der Methode der ,Weltbemächtigung’“ ‒ ein Begriff von Heidegger, der hier nicht in Anführungszeichen steht ‒ „in der Methode der Weltbemächtigung, das in der längst etablierten Perspektive schlummernde Potenzial zu der folgenden Explosion des natur­wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu befreien, indem man sich davon mitreißen ließ“ ‒ Heidegger spricht von Fortriss ‒, „indem man sich davon mitreißen ließ, ist die Verkünstelung inzwischen so weit gediehen, dass das Denken den Spezialisten der Computer-Manipulation und das Zeugnis von ,sich befinden‘ und ,zumute sein‘ der Menschen dem nahezu ausgestorbenen Volk der Dichter überlassen werden muss. Diese Scherung ist gefährlich“ ‒ das ist ein sehr schönes Argument, starkes Argument von Schmitz ‒ „diese Scherung ist gefährlich, weil sich unter der Oberfläche der Rationali­sierung eine ungesicherte Dynamik des affektiven Betroffenseins staut.“ ‒ Notwendig, staut sich, weil sie muss ja sich Raum schaffen. Sie ist ja eine Bewusstseinqualität, eine Gefühls­qualität, sie muss ja ihren Raum haben ‒ also „staut und irgendwann unkontrollierbar durchbricht, zum Beispiel in Deutschland unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Deswegen ist die Neue Phänomenologie darum bemüht, die klaffende Spanne zwischen Begreifen und Betroffensein durch Gedanken zu durchleuchten, der unwillkürlichen Lebenserfahrung mit genauen und geschmeidigen Begriffen zu füllen und dadurch das Betroffensein der Besinnung anzueignen.“

Ein sehr starkes Argument, finde ich, weil Schmitz sagt mit einigem Recht, dass gerade weil das sogenannte affektive Betroffensein, der ganze Bereich der sogenannten Gefühle in dem Wissenschaftsklima, was von Objektivität und Abstraktion bestimmt ist, praktisch keine Rolle spielt, aber trotzdem da ist als lebendige Wirklichkeit jedes Einzelnen, neigt es natürlich dazu, sich zu stauen, weil es ja keinen Raum findet. Beobachtungen haben ja keinen Wert. Einwände aus der elementaren Leiberfahrung etwa gegen eingefahrene, etablierte Theoriegebäude werden ja schnell abgebügelt als irrelevante, letztlich ignorante Beobachtung. Das ist wichtig, und das finde ich einen kolossal entscheidenden Punkt hier in diese Wahrnehmung wieder ein Stück Geist und philosophischer Würde reinzubringen. Und das setzt, das habe ich vorhin schon gesagt, Genauigkeit in der Wahrnehmung voraus und an der mangelt es überall. Das kann man sehen. Ganz Wenige, die diese, sagen wir mal, diese Genauigkeit der Selbstwahrnehmung, was das sogenannte leibliche Befinden betrifft, haben, sind die Homöopathen, nicht, weil in der homöopathischen Arzneimittelprüfung zum Beispiel oder auch in der Beschreibung von Zuständen, von Krankheitsbildern eine ganz präzise Form gefunden werden muss. Wann verstärken sich die Schmerzen, bei Feuchtigkeit, bei Kälte, morgens oder abends, nachts oder mittags usw. Da wird eine genaue Beobachtung vorausgesetzt und kann auch geschult werden. Also das geht. Man kann tatsächlich, wenn man mal den Schlüssel gefunden hat für diese Zusammenhänge überhaupt, erstaunlich weit kommen in der Beobachtung dieser Vorgänge. Vielen geht schon von einem bestimmten Punkt an, sage ich mal, die Differenzierung verloren, weil Begriffe fehlen, weil Kategorien fehlen, weil man überhaupt gar nicht weiß, wie man das irgendwie, sprachlich, geistig überhaupt fassen soll, was da passiert. Das ist ein sehr schwieriges Feld.

Ich glaube, ich habe mal eine kleine Pause und ein paar Minuten und Sie können sich in der Zwischenzeit mal hier auch noch das Literaturverzeichnis holen. Wenn es nicht schon ganz herumgegangen ist, machen wir mal mal 6, 10 Minuten Pause.


Das hier ist schön [gesagt]: „Phänomenologie ist das Bestreben, durch systematische Abschälung aller vom Belieben abhängigen Annahmen den harten Boden der Phänomene freizulegen, nämlich der Sachverhalte, die man jeweils als Tatsachen anerkennen muss, weil man sie nicht im Ernst bestreiten kann.“ Das ist wichtig. Es geht wirklich um den harten Boden der Phänomene und den kann man nur erschließen durch eine große Genauigkeit der Beobachtung und durch eine hohe Differenzierung in der Sprache. Es ist nicht willkürlich, nicht beliebig. Gerade das ist es nicht. Es ist nur nicht üblich, ist nicht verbreitet. Es wird häufig nicht für würdig befunden, überhaupt in die philosophische Reflexion einzugehen. Noch kurz, weil es wichtig ist für die gesamte Vorlesung. Ich habe das genannt: „Die Fragen des Leibes ‒ wie lässt sich Naturphilosophie als Leib-Philosophie betreiben?“ Weil das immer wieder gefragt wird, nach dem grundlegenden Zusammenhang auch von Naturphilosophie, wie ich sie verstehe, und Naturwissenschaft. Ich will das nochmal ganz kurz sagen, obwohl ich das in verschiedenen Zusammenhängen auch immer wieder angedeutet habe. Im strengen Sinne einer vertieften Betrachtung von Natur lassen sich Naturwissenschaft und Naturphilosophie überhaupt nicht voneinander trennen. Punkt Eins. Nicht zufällig, auch das sage ich hier öfter, hat sich einer der bekanntesten Naturforscher, nämlich Newton, primär als Naturphilosoph bezeichnet, nicht als Physiker. Das ist also im Grunde gar nicht streng zu trennen. Und doch besteht ein wesentlicher Unterschied, der sich geschichtlich gesehen zuweilen darin gezeigt hat, dass Naturwissen­schaftler mit einer gewissen Freude und Inbrunst verkünden, sie seien eben keine Philosophen. Das kann man im Gespräch, oder das habe ich häufig in Gesprächen mit Naturwissenschaftlern, Physikern usw. festgestellt. Von einem bestimmten Punkt an kommt der Rückzieher in die Rede: Ja, ich bin kein Philosoph, also das kann und will ich in der Form nicht durchdenken.

Hat die Naturphilosophie überhaupt einen eigenen Anspruch, oder ist sie nicht letztlich nur eine Art Magd der Naturwissenschaft, wie das früher war, Naturwissenschaft als Magd der Theologie. Muss nicht die Naturphilosophie letztlich immer ein Augenmerk richten auf das, was in den Naturwissenschaften passiert und dadurch natürlich ihre eigene Würde, ihren eigenen Zugang vernachlässigen? Ja und nein. Ich will das mal an einem Zitat eines Naturwissenschaftlers erläutern, [Bernulf] Kanitscheider, sein Buch „Von der mechanistischen Welt zum kreativen Universum“. Er streitet ausdrücklich, das ist eine Position, die man häufig hören kann, den Eigenanspruch der Naturphilosophie, der Philosophie als eigener Welterfahrung überhaupt ab. Kanitscheider schreibt: „Die Idee einer autonomen philosophischen Welterfahrung“ ‒ die ich ja letztlich auch voraussetze ‒ „die genuine Erkenntnisse der Realität jenseits der wissenschaftlichen Rationalität hervor­bringt, ist eine Illusion. Es gibt kein einziges Beispiel eines absolut analyse-resistenten Sachverhalts, der durch unmittelbar erlebte Erfahrung gewonnen wurde. Wir haben nur die historische Abfolge von Theorien und ihren verschiedenen Repräsentanten der Natur und ihre Bewährungsgrade zur Verfügung. Was wir vernünftigerweise als existierend ansehen, ist der Objektbereich, über den die zum gegenwärtigen Zeitpunkt besten Theorien sprechen. Es gibt keine spezielle philosophische Erkenntnisquelle, die diese ontologische Relativität durchbrechen kann.“

Also vollkommen eindeutig eine Zurückweisung eines eigenständigen philoso­phischen Anspruchs. Wenn man dann die Argumentation sich im Einzelnen anschaut, dann weiß man auch, warum das so ist. Das wird ja hier auch schon in dem kurzen Zitat deutlich. Die Grundrichtung der Naturwissenschaft ist eine reduktionistische. Sie versucht ständig Phänomene, Qualität zu reduzieren, zurückzuführen auf jeweils das, was ihnen als das eigentlich Reale zugrunde liegt. Die Naturwissenschaft ist im Grunde genommen immer das, was Max Planck mal genannt hat, die Suche nach dem endgültig Realen. Das heißt, immer weiter zurückführen auf das, was in den Erscheinungen den letzten Grund darstellt, den zu fassen. Und dieser letzte Grund ist in weiten Bereichen der modernen Natur­wissenschaft einfach die mathematische Form, die Auflösung des Stofflichen bis hin zur mathematischen Form, also eine Mathematisierung und eine Reduktion. Und wenn man das absolut setzt, kann natürlich der philosophischen Betrachtung etwa des Leibes gar keine Eigenwürde zugesprochen werden. Dann ist das, was Hermann Schmitz macht, und andere machen in dem Punkt oder was auch in diesem Falle der Vorlesung versucht wird, letztlich naturwissenschaftlich-reduktionistisch gesehen, nichts weiter als qualitatives Reden auf einer bestimmten Ebene der Phänomene, die letztlich nicht weiter reduziert werden, weil man noch nicht dahin gelangt ist. Man wird und kann es, aber man soll es auch. Das glaube ich nicht.

Nun kann man da das mit aller Vorsicht sagen. Man muss keine Rückzugsgefechte führen, das ist immer schwierig, wenn das philosophische Denken sich im Rückzugsgefecht behaupten muss. Rückzugsgefechte sind ja, werden ja geführt, wenn die Schlacht eigentlich schon verloren ist. Man kann aber feststellen, dass diese Phänomenologie des Leibes tatsächlich eine ganz eigene Qualität hat, die mit den reduktionistischen Naturwissen­schaften überhaupt nichts zu tun hat. Absolut nichts, weil es um eine lebendige, ganzheitliche Erfahrung geht, die sich in ihrem Wesen nach nicht reduzieren lässt. Ich habe das ja vorhin schon gesagt. Erfahrung jedes einzelnen Menschen in der Welt ist immer ein In-Sein, einschließlich aller atmosphärischen, klimatischen oder auratischen, wenn man so will, Zusammenhänge. Der Einzelne ist nie eine isolierte Zelle im Nirgendwo. Der Einzelne ist immer eingebettet in einen Gesamtzusammenhang, auch da, wo er, wie im Falle der wissenschaftlichen Apparate, diesen Zusammenhang ignoriert, wo dieser Zusammenhang gar keine Rolle spielt. Wenn Sie in irgendeinem riesigen Teilchenbeschleuniger arbeiten als Physiker, und Sie thematisieren die Psycho-Atmosphäre oder gar die Möglichkeit, dass hier sogar Ergebnisse bestimmt sein könnten, machen Sie sich einfach lächerlich. Weil, das ist kein Thema, kein eigenes Thema in diesem Kontext. Faktisch ist es aber so, dass diese Dinge ständig hineinspielen und auch jeden einzelnen Forscher in unvorstellbarer Weise Maße mitprägen, beeinflussen. Jedes einzelne Forschungsinstitut hat eine eigene psycho-atmosphärische Aura, die jeden einzelnen Teilnehmer dann ganz stark bestimmt. Tatsächlich, bis zum Teil jedenfalls, bis in die Ergebnisse hinein.

Es ist ein Mythos anzunehmen, dass all das jenseits dieser Psycho-Atmosphären geschieht und dass es die pure Objektivität gäbe, an der nicht zu rütteln ist. Allein schon diese strikte Aufteilung in das sogenannte Objektive und das sogenannte Subjektive ist bei Licht gesehen überhaupt nicht haltbar. Denn was sind sogenannte Tatsachen, wenn einer sagt, gut, das ist eine Tatsache? Ja, was sind Tatsachen? Ist der Tisch eine Tatsache, die Brille, die darauf liegt, ist eine Tatsache, Licht ist eine Tatsache. Dann ist die Trauer eines Menschen eine Tatsache, der Schmerz eines Menschen, die Eitelkeit, die Dummheit des Menschen, sind alles Tatsachen. Bloß, wie fasse, wie greife, wie bestimme, wie verifizierte ich diese sogenannten Tatsachen?

Also schon da wird es schwierig, das zu tun. Das heißt, vielleicht sogar kann man so weit gehen zu sagen, dass diese Aufteilung in Subjekthaftes und Objekthaftes in der in Jahrhunderten praktizierten Form so eine pure Illusion ist. Das lässt sich nie durchhalten. Es ist ein Postulat, eine Prämisse, die bis zu einem gewissen Grade auch erfolgreich ist. Darauf basiert ja zum Beispiel die gesamte Technik, dass [es] eben keine Rolle spielt, welche Qualitäten jeweils vorliegen und auch welche qualitativen Raum-Empfindungen vorherrschen, etwa im geometrisch-mathematisch-euklidischen Raum und im dreidimen­sionalen Raum oder ganz zu schweigen von mathematischen abstrakten Hyperräumen, ist es vollkommen egal, was der Einzelne fühlt, denkt und empfindet. Das wird abgespalten, abgetrennt. Das ist in diesem Sinne ein, wenn man das so nennen will, ein neurotisches Produkt, das ist ein wichtiger …, ein wichtiges Element, die Subjekthaftigkeit hier zurück­zubinden und tatsächlich in eigener Würde anzuerkennen, und das ist schon sehr viel mit dem gesamten Phänomenbereich, der dazu gehört. Ein letztes Zitat nochmal zum Leib aus dem Buch „Leib und Gefühl“ von Hermann Schmitz. Relativ anspruchsvolle, schwierige Texte, aber hochinteressante Texte. Wer mal den Versuch macht, sich da einzulesen, wird zunächst Schwierigkeiten haben, aber wenn er eingelesen ist, dann ist das wirklich kolossal erhellend und fruchtbar. Man kann man es dann gar nicht mehr ausklammern, wenn man mal den Blick dafür gewonnen hat.

Über den Leib nochmal: „Jeder spürt Schmerz, Hunger, Durst, Schreck, Wollust, Behagen, Frische, Mattigkeit, Ein- und Ausatmen. Das sind Beispiele leiblicher Regungen, die in der Gegend, Gesicht und tastbaren eigenen Körpers, auftreten, ohne selbst sichtbar und tastbar zu sein.“ Die Frische, die ich fühle oder die Müdigkeit oder die Langeweile sind ja keine sichtbaren, fassbaren Dinge, sind ja keine Gegenstände, keine Es-heiten. „Die herkömmliche Meinung, die sich an der Zerlegung des Menschen in Körper und Seele alias Bewusstsein, Mind, Geist, Gemüt, orientiert, zerlegt so auch die leiblichen Regungen in einer Weise, die sich in dem gängigen Ausdruck Organ-Empfindungen niederschlägt. Das Körperliche soll eine auf dem Weg über Besehen, Tasten zugängliche Veränderung an Körperteilen sein, das Seelische eine zugeordnete, vielleicht davon hervorgebrachte Empfindung. Nach meiner These handelt es sich dagegen um ein eigenständiges Gegenstandsgebiet des Spürens am eigenen Leib, das mit genuiner Struktur weit über diesen hinausreicht, unter anderem als Spielraum leiblicher Kommunikation zwischen Menschen, die ständig passiert. In jedem Gespräch mit einem anderen Menschen in Blickkontakt gibt es eine Art leibliche Kommunikation und erkenntnistheoretisch, anthro­pologisch, sozial, pathologisch und so weiter, von grundlegender Bedeutung. Diese Eigenart bekommt natürlich namentlich an dem die Funktion, Dynamik des spürbaren Leibes charakterisierenden Kategorien-System oder Alphabet der Leiblichkeit zum Vorschein, lässt sich aber schon vorher durch wenige hervorstechende Merkmale der Räumlichkeit des Leiblichen summarisch charakterisieren. Das eigenleiblich Gespürte ist stets räumlich ausgedehnt, wie an sich der tastbare Körper aber in wesentlich anderer Weise. Dieser Körper hat nach außen eine scharfe, flächige Grenze an der Haut. Der spürbare Leib hat keine Haut und keine Flächen. Man kann Flächen ebenso wenig am eigenen Leib spüren, wie man sie hören kann. Überhaupt hat die leiblich spürbare Räumlichkeit mit dem Hörbaren einiges gemein. Dazu gehört, dass in beiden Fällen trotz Flächenlosigkeit Volumen vorliegt.“ Und so weiter.

Ich werde darauf im Einzelnen noch eingehen. Es ist wichtig, dass diese sogenan­nten Psycho-Atmosphären, etwa eine beklommene Stille, eine peinliche Atmosphäre, eine gespannte Erwartung, eine gelangweilte Haltung, eine aufmerksame Haltung, eine belustigte kollektive Gemütsverfassung, eine höhnische kollektive Haltung. All das sind Wirklichkeiten, die tatsächlich sehr tiefgehen und sehr tief beeinflussen, von dem man sich nicht ohne Weiteres loslösen und befreien kann. Ich habe das ja an dem Beispiel der Podiumsdiskussion genannt, dass das bis ins fast Physische hineingeht, wie ein physischer Druck entsteht da, dass man plötzlich das Gefühl hat, das, was man sagen möchte, wird erschwert durch diesen Druck, der da entsteht, also in dieser Psycho-Atmosphäre.

Letztlich geht es ja um die Frage überhaupt in diesem Semester generell beim Denken, sonst ist ja Denken völlig müßig und auch im Grunde ein intellektuelles Sand­kastenspiel, wenn es nicht um Wirklichkeit geht. Und was ist sonst interessant außer der wirklichen Wirklichkeit? Denken kann nur dann sinnvoll sein, wenn es Wirklichkeit berührt. Und das ist letztlich das, worum es geht: Was ist Wirklichkeit? Man kann natürlich sagen, Schmitz macht das zum Beispiel, dass die dichteste, konkreteste, kompakteste Wirklichkeit immer dann vorliegt, wenn der Einzelne, wie er das nennt, in die primitive Gegenwart geschleudert wird, etwa durch einen massiven Schmerz, der stürzt und [sich] eine Schürfwunde zufügt. In diesem Moment, vollkommen reduziert auf diesen Moment des Schmerzes, der ihn vollkommen durchzuckt und alle seine übrigen Leibempfindungen zentral beeinflusst. Ist das ein höherer Grad an Wirklichkeit, etwa der Schmerz, der physische leibliche Schmerz, ist das ein höherer Grad von Wirklichkeit, und auch der Zahnschmerz und andere Schmerzen, wie Nierenkoliken ‒ sind das höhere Grade von Wirklichkeit als zum Beispiel eine distanzierte, objektivierende Betrachtung der Distanz von all dem, etwa im Denken oder in der Ich-Empfindung?

Ich meine, dass … die Ich-Empfindung entsteht ja aus einer gewissen Distanz, die das Tier nicht hat. Wenn Sie Tiere beobachten, dann stellen Sie fest, dass das Tier in gewissem Maße vollkommen identisch ist mit der eigenen konkreten Leiblichkeit. Es hat nicht die Möglich­keit, gleichsam zurückzutreten, in einer Art von Eskapismus sich zurückzunehmen aus der eigenen leiblichen Verhaftetheit, was der Mensch kann. Der Mensch kann jeder, fast jeder Situation in gewisser Weise sich rausnehmen, hat also diese Möglichkeiten, dieses Tor quasi des Eskapismus. Ja, ist das weniger wirklich, diese distanzhafte Haltung, die eine Beobachterhaltung ist, nicht unmittelbar festgenagelt, hineingezerrt, sozusagen in das Hier und Jetzt, wie etwa durch einen starken Schmerz oder auch einen seelischen Schmerz, eine überwältigende Emotion? Das ist ja so, dass viele Menschen, einer der ersten, der das klar beobachtet hat, war Schopenhauer, aber auch Spinoza und andere, dass festgestellt wurde, dass Menschen sich nur dann wirklich interessieren für irgendetwas, wenn ihre Subjekt­haftigkeit ins Spiel kommen darf, auch ihre Emotionen, ihre Befindlichkeiten, Wut, Hass, Freude. Wenn das gar nicht ins Spiel kommen darf, setzt Langeweile ein. Sozusagen die Langeweile stellt sich in dem Moment ein, wo der Einzelne das Gefühl hat, das alles hat mit mir nichts zu tun. Es ist sozusagen abgetrenntes, abgespaltenes Gerede und löst ein Gefühl der diffusen Langeweile aus, des Absinkens des Aufmerksamkeitspegels. Aber in dem Moment, wo der Einzelne sich als unmittelbar Betroffener fühlen kann und als unmittelbar Betroffener auch wirklich ernst genommen wird und nicht kleingemacht wird, als ob das alles keine Bedeutung habe, da ist die Aufmerksamkeit [vorhanden]. Insofern ist die Phänomenologie des Leibes etwas, was, wenn man es genau betrachtet, jeden Einzelnen vollkommen betrifft und erfüllt. Also keiner kann bei diesem Thema in gewisser Weise das draußen lassen, weil, wenn er es ernst nimmt, muss er es reinnehmen, weil sonst bleibt es einfach ein … das, was Goethe gern als Wortkram bezeichnet, ein abgetrenntes Reden über etwas, und dann ist es nicht wirkliche Phänomenologie. Die Phänomenologie kann nur dann einen Sinn haben, wenn sie ernsthafte Phänomenologie ist, wenn sie wirklich die Bewusstseinsphänomene in den Blick nimmt, beobachtend, spürend und auch mittels der Sprache. Das ist mir immer sehr wichtig, aber das habe ich auch in meinen letzten Büchern versucht durchzuhalten, den Einzelnen immer, wenn er denn überhaupt sich hinein nehmen lassen möchte, ihn direkt in seiner unmittelbaren Welt an Lebenserfahrung anzusprechen, nicht dieses Abgetrennte, Abgespaltene. Da ist die Phänomenologie des Leibes ein wunderbares Mittel, eine ganz andere Wahrnehmung zu gewinnen für das eigene In-der-Welt-sein. Gut, ich will das erstmal … , das soll für die Einleitung heute einfach reichen.


Ich will noch einmal einiges sagen zum Literaturverzeichnis und zum Gesamtkonzept des Semesters und heute keine Diskussion machen. Und, die Frage, die jetzt gestellt worden ist schon zwei, dreimal, ob ich das wieder ändern kann mit dem Zeitpunkt. Im Moment lasse ich das jetzt. Mir war klar gesagt worden, der Raum sei belegt, er ist es offenbar heute nicht gewesen, von sechs bis acht. Aber ich will jetzt keine weitere Konfusion stiften. Wir lassen das erst mal bei acht Uhr. Ja, das können wir dann machen. Ich kann ja auch. Wir können es ja auch anders machen. Ich kann ja auch darauf verzichten. Wir gucken mal. Es geht schon. Kriegen wir schon hin.


Können Sie mein Literaturverzeichnis mal hervornehmen, ich will da ein bisschen was zu sagen. Ich habe mir sehr genau überlegt, welche Literatur ich hier reinnehmen soll für das Thema, und ich habe wirklich sehr bedacht eine Auswahl getroffen, die ich für sinnvoll halte. Ich geh jetzt nicht die Punkte der Reihenfolge nach durch, ich fang mal im unteren Drittel an. Hermann Schmitz, das ist ein Autor, der ungeheuer viel geschrieben hat und ich greife nur zwei seiner Bücher hier raus „Der Leib, der Raum und die Gefühle“, ein schmales Bändchen von kaum hundert Seiten, das den Versuch macht, die Essenz dieser Phänomeno­logie zu bringen. Und dann „Leib und Gefühl“, eine Sammlung von Essays in der Reihe „Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaften“, von Therapeuten herausgegeben, großer Verehrer von Schmitz sind und davon ausgehen, dass Schmitz‘ Leib-Phänomeno­logie auch psychotherapeutisch eine große Bedeutung hat. Also ein wunderbarer Band mit Essays zur Phänomenologie.

Dann der zweite Titel hat auch mit Phänomenologie zu tun, das ist ein Buch eines Anthroposophen, eines anthroposophischen Physikers, „Wäme, Urmaterie und Ich – Neue Beiträge zur Anthropologie und Kosmologie. Basfeld, ein anthroposophischer Physiker beschäftigt sich sehr intensiv mit Phänomenologie und da liegt dann auch die Stärke. Übrigens auch mancher anderer anthroposophische Autoren, auch wenn man deren Interpretationen nicht immer teilen kann, so sind sie doch im Beschreiben von Phäno­menen oft sehr stark. Und deswegen haben sie ihre Bedeutung. Also in der phänomeno­logischen Hinsicht, nicht unbedingt immer in der, sagen wir mal ideologischen Vorprägung, die dann Interpretationen liefert. Nicht, dass alle Interpretationen deswegen falsch sein müssen und wir sagen. Das ist erstmal nicht das Primäre. Aber die Phänomene sind es, die Phänomenologie.

Wichtig für uns, auch für dieses Semester sind die beiden Bände von Peter Sloterdijks „Sphären 1 und 2“. Das habe ich auch im Wintersemester gesagt und möchte das hier auch noch mal erwähnen. Zwei hochfaszinierende Bände, jetzt demnächst soll der dritte Band erscheinen. Es gibt drei Bände und in denen sehr viel auch von phänomenologischen Raum-Erfahrungen die Rede ist und auch von Leib-Erfahrungen bis hin zu möglichen Erinnerungen an pränatale, an intra-uterrine Geschehnisse. Also das spielt eine große Rolle, und das kann ich wirklich sehr empfehlen, bei allen sprachlichen Manierismen auch von Sloterdijk, in seiner auch wirklich oft überbordenden, manchmal auch geschwätzigen Form. Aber gleichwohl sind viele faszinierende Ansätze drin, die auch für das Thema wichtig sind.

Sloterdijk bezieht sich mehrfach auf einen Autor, denich hier auch drin habe am Schluss, ein HNO-Arzt, Alfred Tomatis. Eines seiner vielen Bücher habe ich angegeben. „Der Klang des Lebens“. Tomatis hat geforscht über die Klang-Wahrnehmungen im Mutterleib, also in der intra-uterinen Phase: Was wird wahrgenommen vom Fötus an Geräuschen der Mutter, an Klängen? Wann entwickelt sich das Ohr und so weiter? Davon wird in der Rede die Rede sein in der Vorlesung am 4. Juli.

Von mir selber habe ich meine beiden letzten Bücher aufgenommen, die auch viel enthalten zur Phänomenologie, das Letzte, „Räume, Dimensionen, Weltmodelle – Impulse für eine andere Naturwissenschaft“, vor allen Dingen naturwissenschaftlicher Natur, philo­sophisch-kosmologische Fragen, eine radikale Kritik an der Mainstream-Naturwissenschaft und der Versuch einer Alternative.

Zwei Aufsätze von mir habe ich hier angegeben. Einer in dieser Zeitschrift „Hagia Chora“ mit dem Titel „Wie ausgedehnt sind wir – Raum, Leib und Bewusstsein“, der sich mit der Frage beschäftig nach der Leib-Wahrnehmung außerhalb der Grenzen des phy­sisch-sinnlichen Körpers.

Und in dem anderen Essay in dem Sammelband steht, „Wissenschaft vom Lebendigen“ von Heiko Lassek herausgegeben, ein Beitrag zur Polarität von Schwere und Licht. Das wird uns auch beschäftigen in der Vorlesung vom 20.06, vor allem im Zusammenhang mit der Leib-Wahrnehmung: Wie nehmen wir den Leib bei Licht und in der Dunkelheit wahr? Nämlich anders.

Dann ist sie auch ja von der Zeit die Rede. In dieser Folge am 1.5. habe ich ein Buch aufgenommen, was ich sehr interessant finde. Hans Jörg Fahr, das ist der ein, zwei, drei, vier, fünfte Titel, „Zeit und kosmische Ordnung – Die unendliche Geschichte von Werden und Wiederkehr“. Hans Jörg Fahr ist Astrophysiker, Professor für Astrophysik an der Universität Bonn, einer der wenigen Physik-Professoren, der ein radikaler, prononcierter Gegener der Urknall-Hypothese der Urknall-Fiktion ist überhaupt, die moderne Kosmo­logie überhaupt scharf kritisiert. Und das ist ein hochinteressantes Buch, ein Versuch, die Zeitdimension, Ich, Leib usw. bleib kosmisch zu beleuchten, nicht einfach zu lesen. Relativ anspruchsvoller Stoff, manchmal in der Sprache auch etwas spröde von der Begrifflichkeit. Man muss sich wirklich einlesen, aber wenn man es geschafft hat, wenn man sich eingelesen hat, hat man kolossalen Gewinn. Also richtig starkes Buch über Zeit. Eines der besten Bücher, die es gibt darüber.

Gernot Böhme, der Autor, der davor auftaucht, ist ein Mann, der sich in dieser Frage der Leib-Philosophie auch einen Namen gemacht hat, hat viel geschrieben über die Leibfrage. Sein Bruder Hartmut Böhme ist hier an der Humboldt-Universität. Sie haben auch verschiedene zusammen was veröffentlicht. Gernot Böhme, viele Bücher geschrieben. Habe eins seiner Bücher hier aufgeführt. Suhrkamp Taschenbuch „Natürlich Natur“. Und da auch noch ein sehr interessanter Essay, auch mit dem Titel „Leib – Die Natur, die wir selbst sind“. Also Gernot Böhme ist ein wichtiger Mann, der sich auch intensiv mit Schmitz und Anderen beschäftigt hat.

Dann ein Buch, was ich für sehr wichtig halte, obwohl es kaum bekannt ist. Günter Schulte, das ist oberhalb von Sloterdijk, „Philosophie der letzten Dinge – Liebe und Tod als Grund und Abgrund des Denkens“ ist ein Philosoph aus Köln, der hier Essays zusammen­trägt, auch über die Frage der Leib-Wahrnehmung viel spricht. Und hochinterressant, kaum bekannt, aber faszinierend, was er zusammenträgt. Auch im Sinne der Grundthese, dass die Beziehung des Denkens zum Eros, zur Liebe bzw. zum Tod die Achse des Denkens überhaupt ist, und zwar die uneingestandene, die undurchschaute Achse des Denkens.

Der vorletzte Titel beschäftigt sich mit einer …, sagen wir mal, ist von einer eher feministisch orientierten Philosophin, die den Versuch macht, von der Leiblichkeit der Frau aus die ganze leib-philosophische Frage zu beleuchten. „Sophias Leib ‒ Entfesselung der Weisheit.“ Annegret Stopczyk. Sie wirft der ganzen Philosophie eben diese Leib-Fremdheit vor, die Leib-Vergessenheit vor, weil da von der Erfahrung der Leiblichkeit der Frau aus sich da ein neuer Zugang eröffnen könnte.

Ja, also diese Titel sind … so der erste Titel ist auch ein Anthroposoph, ein Physiker und Mathematiker. Eine Sammlung von Essays. Auch phänomenologisch hochinteressant, nicht immer in den Interpretationen so schlüssig. Gut.

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Der Leib, der Raum und die Gefühle – Hermann Schmitz

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil III
In-der-Welt-Sein, Im-Leib-Sein. Zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2000 Dozent: Jochen Kirchhoff

Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 36

Transkript als PDF:


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Ich habe dieses Semester ja gewidmet einem zentral wichtigen Thema: der Frage des menschlichen Leibes. Das soll ja in allen Vorlesungen eine wichtige Rolle spielen. Und heute im Speziellen will ich Ihnen einen Denker präsentieren, ich will sozusagen zurücktreten quasi. Natürlich kann ich das nicht vollständig. Ich muss da auch kommentierend als eigener Philosoph auch zu einem anderen Philosophen [auftreten]. Ich will Ihnen einen Denker vorstellen, der für diese Thematik wahrscheinlich heute der wichtigste ist, nämlich Hermann Schmitz.

Ich will ganz kurz einige Bemerkungen zu diesem Philosophen machen, wie ich zu ihm komme und was der mit dieser Thematik zu tun hat. Ich selber habe vor relativ Kurzem den Namen noch nicht einmal gekannt. Ich hatte immer mal wieder gehört, gelesen in verschiedenen Kontexten, es gäbe einen sogenannten Leib-Philosophen Hermann Schmitz, der sei Professor für Philosophie in Kiel. Immer mal wieder hat man Zitate irgendwo gefunden, die schienen mir fast durchgängig sehr interessant zu sein. Ich bin dann zum ersten Mal vor drei Jahren, also ‘97, über ein Buch eingehender auf Schmitz aufmerksam geworden, also relativ spät, Schmitz ist Jahrgang 1922, mittlerweile ist er 78, also sehr spät. Vor drei Jahren bin ich durch ein Buch aufmerksam geworden auf Schmitz, was auch im Literaturverzeichnis ist, Günter Schulte, ein Philosoph und Bildhauer, sehr interessanter Mann aus Köln. Günter Schulte, auch relativ unbekannt, aber ein sehr interessanter, pointierter Denker. Günter Schulte hat ein Buch geschrieben, das heißt, [er hat] viele Bücher geschrieben, aber ein Buch war mir in die Hände gefallen, hatte mir jemand geschenkt: „Die Philosophie der letzten Dinge“, bezogen auf einen Buchtitel von Otto Weininger mit dem Untertitel „Liebe und Tod als Grund und Abgrund des Denkens“. Generalthese: Alles Denken dreht sich bewusst oder unbewusst um die Frage: Was ist der Tod? Und was ist die Liebe? Auch, so weist Günther Schulte nach, bei Denkern, die das gar nicht im engeren und direkten Sinne thematisieren. Und in diesem Buch wird an mehreren Stellen, an mehreren prominenten Stellen Hermann Schmitz erwähnt, die Leib-Philosophie von Hermann Schmitz erwähnt. Da gibt es einen brillanten Essay, der beschäftigt sich mit dem eher makaberen Thema einer Ganzkörper-Transplantation und den schauerlichen und erkenntnistheoretisch äußerst verzwickten, um nicht zu sagen abgründigen, ja monströsen Konsequenzen, die ein derartiger Gedanke hat. Da taucht Hermann Schmitz auf. Und dann bin ich bei einem, später im Winter 98/99, bei einem anthroposophischen Physiker, Martin Basfeld, auch wieder auf Schmitz gestoßen. Also einem Anthroposophen, der sich sehr wohlwollend, kritisch, aber doch mit viel Respekt, viel Anerkennung, zu Hermann Schmitz äußert, und dann war ich im letzten Sommer, also ‘99, in dem dickleibigen Buch von Peter Sloterdijk „Sphären II – Globen“ auch noch mal zum dritten Mal auf Hermann Schmitz gestoßen. Sloterdijk verehrt Schmitz sehr. Er ist auch stark beeinflusst von ihm, obwohl er relativ selten direkt genannt wird im Buch.

Kurzum, es waren drei Bezüge, die mich dann irgendwann dazu veranlasst haben, mir mal einige Bücher von Schmitz zu besorgen und mich da rein zu vertiefen. Nun, das war ein spannendes Unterfangen und das ist es auch heute noch, denn diese Bemühungen sind keineswegs abgeschlossen. Ich habe festgestellt, dass dieser Hermann Schmitz wirklich ein faszinierender Denker ist, der wie kaum ein Anderer, die Frage des menschlichen Leibes, darüber haben wir ja schon in den drei vorherigen Vorlesungen gesprochen, versucht hat, sehr subtil, sehr differenziert, sehr tiefgründig und vieldimensional anzugehen. Also nicht die Frage des Körpers, also des menschlichen Körpers, sondern die Frage des Leibes. Ich hab das ja schon mehrfach anklingen lassen. Also, und das will ich Ihnen versuchen darzustellen. Ich habe dann natürlich versucht, das Umfeld von Schmitz ein bisschen zu erkunden. Woher kommt er? Wovon ist er beeinflusst? Man versucht ja immer heraus­zubekommen, wovon sind Denker beeinflusst? Was sind prägende andere Denker, die ihn in irgendeiner Form direkt oder indirekt geprägt haben?

Er selber nennt einen Denker, den er sich wie keinem anderen verwandt fühlt und als dessen Erbe er sich selbst begreift. Und das ist Ludwig Klages. Ludwig Klages, ein umstrittener, von manchen ja als faschistoid verdächtigter Denker, 1872 bis 1956 sind seine Lebenszeiten, sind seine Lebensdaten, hat ein riesiges philosophisches Werk hinter­lassen. Sein wichtigstes und voluminösestes Buch trägt den Titel „Der Geist als Wider­sacher der Seele“, einen provokativen Titel, in dem eigentlich schon die ganze Grundthese des Buches enthalten ist, 1929/1930 erschienen. Grundthese ganz vereinfacht: Der Geist ist der Widersacher der Seele. Es gibt einen, quasi einen transzendenten Dämon, den Geist, verstanden als abstrakten Intellekt, der den lebendigen Fluss stört, unterbricht, ja zerstört, der also als Widersacher von lebendigen Prozessen auftritt. Und Klages hat in einem anderthalbtausend Seiten Opus, eben dem „Geist als Widersacher der Seele“, faszinierend plausibel gemacht oder zu machen versucht, dass die Ur-Wahrnehmung des menschlichen In-der-Welt-Seins sich in Bildern vollzieht. Er hat also versucht, die Vorstellung des Bildhaften in der Weltwahrnehmung in den Mittelpunkt zu rücken. Die Wahrnehmung der Welt vollzieht sich in Bildern, in Atmosphären. Bei ihm taucht der Begriff dann in einer Weise auf, wie wir ihm dann auch bei Hermann Schmitz begegnen, in Atmosphären. Er hat also ein Element rausgegriffen, das in der üblichen Philosophiegeschichte ja eher unter­belichtet war ‒ Atmosphären ‒ das Herausspüren von ganzheitlich verstandenen Zusam­menhängen der Weltwahrnehmung und der Wahrnehmung anderer Menschen, von Tieren und Pflanzen war ja eher in der traditionellen Philosophie ein Feld, was dem Subjektiven zugewiesen wurde. Das habe ich ja Ihnen in der letzten Stunde versucht zu erläutern im Zusammenhang mit der Frage der Genesis, der Entstehungsgeschichte des sogenannten mentalen Selbst.

Nicht, also das Fühlen wurde zwar anerkannt als eine Wirklichkeit des Seins, aber hatte keine, gewissermaßen keine eigene ontologische Wirklichkeit. Denn was ist Fühlen? Was ist Trauer? Was ist Freude? Was ist Zorn? Was sind Stimmungen? Eine Abend­stimmung, eine Morgenstimmung, eine niedergedrückte Stimmung, eine gewittrige Stim­mung? Was sind das alles für Atmosphären, die den Einzelnen ja ganzheitlich-integral ergreifen und vollkommen durchwalten und durchstimmen? Und das hatte ja in der Antike vor der Herausbildung des mentalen Selbst dazu geführt, dass der Mensch sich, das habe ich ja erläutert, immer im Blickfeld numinoser Mächte sah. Er war immer der Angeblickte, der Mensch immer als der Angeblickte, von allen Seiten des Kosmos Durchstrahlte und Durchwaltete, während sein eigenes Ich, was ganz zaghaft, zart, rudimentär im Entstehen war, im 6., 5., 4. Jahrhundert vor Christus, ganz allmählich erst diese ontologische Kehrtwendung vollzog vom Angeblickt-werden zum Selber-blicken. Und damit war eine fundamentale Kehre eingeleitet in der Betrachtung.

Der Mensch ist nun der selber Blickende, und man kann hier, wie das ja auch Heidegger und Andere getan haben, einen Akt der Selbstermächtigung erblicken. Wie immer man das jetzt bewertet im Einzelnen. Das kann man ja erst einmal phänome­nologisch betrachten. Der Mensch ergreift quasi die eigene Ichhaftigkeit, er [er]greift die eigene Subjektivität, er löst sich von diesem numinosen Angeblickt-werden, Durchwaltet- und Durchstrahltwerden und blickt nun selber. Er ist selber der Blickende und damit verobjektiviert er die Welt. Damit wird die Welt verobjektiviert, sie wird vergegen­ständlicht. Die Welt wird zum Außen. Das ist wichtig. Die Welt war vorher in einem ganzheitlichen Sinne ein schwer definierbares Ineinander von außen und innen. Außen [und] innen war nie scharf getrennt. Der Mensch hat nicht eine sogenannte objektive Außenwelt scharf getrennt von einer so genannten rein subjektiven Innenwelt. Das ist ja die moderne Universaltrennung, die erst einmal Jeden von uns mehr oder weniger direkt oder intensiv bestimmt. Es gibt eine objektiv existierende Außenwelt, und es gibt eine Innenwelt, die mehr oder weniger in den vielfältigen subjektiven Innenräumen der je Einzelnen besteht, die aber immer eine gewisse Unverbindlichkeit haben, zumal dann, wenn Gefühle ins Spiel kommen. Und das ist die Ausgangsposition. Davon geht Schmitz aus. Er bezieht sich da auch auf Heidegger, ganz stark, ich sagte das schon, auf Klages und Andere. Und er sieht, wie das Nietzsche als erster erfasst hatte, dass mit Sokrates und Platon ungefähr eine Kehre einsetzt in der Geistesgeschichte. Und das zeigt er in einem wunderbaren Essay, den ich jetzt hier an den Anfang stellen möchte, wie sich der Prozess vollzog, den ich mit ganz anderer Sprache bezeichne, eben als diese Kehre vom Angeblickt-werden, also aus dem kosmischen Ganzen ständig Durchwaltetwerden, zum Selber-blicken. In einem brillanten Essay mit dem schlichten Titel, dem sehr abstrakt theoretisch wirken­den Titel „Leib und Seele in der abendländischen Philosophie“ versucht er zu zeigen, was sich damals abgespielt hat. Und ich will das mal Ihnen darstellen, weil es auch viele Zusammenhänge aufweist mit meinem eigenen Denken.

Vielleicht noch eine Bemerkung zuvor. Warum ich von Schmitz fasziniert war, war nicht nur, oder bin, war nicht nur der Versuch, den Leib zu denken. Ja, sehr schwierig, darüber haben wir schon gesprochen. Der Leib ist ja nicht der Körper, den Leib wirklich zu denken, ihn auf prägnante oder in prägnante Begriffe zu fassen, was wirklich im innerleib­lichen Spüren und im atmosphärischen Spüren passiert, das war das Eine. Und dann hatte mich fasziniert beim Schmitz, dass er wie wenige Andere versuchte, den Raum zu denken. Das ist ein Thema, was mich seit Jahrzehnten beschäftigt. Darüber habe ich viel geschrie­ben und auch viel gesprochen in der Öffentlichkeit. Was ist der Raum? Ein Mysterium im Grunde. Es gibt keine wissenschaftlich ausdifferenzierte, wirklich fundierte Theorie des Raumes. Der Raum ist nach wie vor ein großes Mysterium. Und Schmitz wirft der her­kömmlichen Philosophie mit ihrem, wie er das nennt psychosomatischen Dualismus im Grunde vor, dass sie die Seele raumlos macht, dass sie der Seele eigentlich den ontolo­gischen Ort im Raum und als Raum streitig macht. Und er geht dann sogar so weit, auch das war ja schon angeklungen, den Seelenbegriff überhaupt erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Er sagte, er habe aufs Ganze seiner Wirkungen gerechnet eher Verwirrung gestiftet. Der Begriff der Seele oder wie er das nennt, die Innenwelthypothese, die ja jedem von uns geläufig ist, weil wir sind ja alle Erben dieser Innenwelthypothese, die ja synchron zu sehen ist zur Vergegenständlichung der Außenwelt.

In diesem wunderbaren Essay heißt es zum Beispiel über diese Frage „Leib und Seele in der abendländischen Philosophie“: „Die leiblichen Regungen, um das einfachste und vielleicht wichtigste Gegenbeispiel zu wählen“ ‒ also gegen diesen psychosomatischen Dualismus ‒ „passen nicht in dieses Verteilungsschema, hier der Körper, dort eine raum­lose, ortlose, unausgedehnte Seele. Hunger, Durst, Schmerz, Kitzel, Wollust, Ekel, Frische, Müdigkeit und vielerlei Benanntes oder noch Namenloses dieser Art aus dem Gegenstands­gebiet des Spürens am eigenen Leibe ohne Vermittlung durch Sehen, Hören und Tasten, ist unverkennbar auf eigentümliche Weise räumlich ausgedehnt und kann schon deshalb nicht der als raumlose Innenwelt gemeinten Seele zugerechnet werden. Ebensowenig darf es als Bestandteil des Körpers, als körperlich im herkömmlichen Sinn gelten, da man sonst mittelbaren oder unmittelbaren Zugang durch Sehen und Tasten zu ihm verlangen müsste.“ Also diese Gefühle wie Hunger, Durst, Schmerz und so weiter, meint er und macht er auch plausibel, haben einen räumlichen Charakter. Sie sind nicht raumlos, sie sind nicht ortlos, auch wenn sie nicht unbedingt in einem koordinatenmäßigen Sinne am Körper, am physischen Körper, jedenfalls nicht immer, zu fixieren sind. Weiter Schmitz: „Ich kenne nur einen Fall, in dem eine fremde leibliche Regung so unmittelbar geradezu wie Körper oder Farben gesehen werden kann, nämlich als begegnender Blick.“ Das spielt in seiner Philosophie eine große Rolle, das Blicken, der Ringkampf der Blicke. Er hat sich sehr intelligent zur Frage des Blickens, des sich Anblickens geäußert. Was passiert, wenn Menschen sich anblicken, nicht psychologisch, sondern leiblich, direkt, wirklich, in der leiblichen Kommunikation? Was geschieht in diesem Blicken? „Die dualistische Tradition sucht sich die leiblichen Regungen als Organempfindungen zurechtzulegen.“ Diese These kennen sie alle. „Organ soll die körperliche Empfindung, die seelische Hälfte sein, in die das schlichte Phänomen zerrissen wird. Es gibt keine Organempfindung, wie ich gezeigt habe.“ Immer wieder, sagt er: „habe ich widerlegt, habe ich gezeigt“. Nun, das ist der … , fast apodiktisch gesagt, das kann man jetzt auf sich beruhen lassen. Er glaubt, das gezeigt zu haben. Er glaubt wirklich, diese Innenwelthypothese widerlegt zu haben. „Erst indem ich die leiblichen Regungen aus diesem Versteck am Rande der herkömmlichen Wissenschafts­systematik befreite, konnte es mir gelingen, das große und wichtige Gegenstandsgebiet des Spürens am eigenen Leibe von der Wurzel her begrifflich zu rekonstruieren und in seiner Bedeutung für das Menschsein bestimmen. Unräumlichkeit versagt also als Kriterium des Seelischen beim Versuch einer Aufgliederung des Menschen in Körper und Seele.“ Also, eine wesentliche These seiner Überlegung ist immer wieder die von der Räumlichkeit der Gefühle, auch der Räumlichkeit der leiblichen Regungen. Er sagt immer wieder, darüber haben wir ja schon gesprochen, Gefühle sind Atmosphären. Wenn ich in dem Zusammen­hang schon in der ersten Vorlesung vor drei Wochen das Wort Psycho-Atmosphären verwendet habe, dann ist das nicht im Sinne von Schmitz, weil für Schmitz gibt es keine Psycho-Atmosphären, es gibt nur Atmosphären. Das ist also das, was wir als Psycho-Atmosphäre bezeichnen, ist darin eingeschlossen.

„Nicht besser steht es mit der Privatheit, die von denen, die jedem Menschen eine private Innenwelt im Gegensatz zur öffentlichen Außenwelt reservieren möchten, als Kenn­zeichen des Seelischen empfohlen wird.“ Wir wissen alle, dass mit der Entstehung der modernen Subjektivität natürlich auch die Privatheit entstand, die sogenannte Privat­sphäre. Jeder hat seinen privaten, nur eigenen und nur eigenen Innenraum. Die Innenwelt­hypothese: Seiner Überzeugung nach hat dieser Vorgang, den ich ja auch gekennzeichnet habe, vor einer Woche in meiner Sprache, bei ihm hat das drei entscheidende Kompo­nenten, die er folgendermaßen bezeichnet:

Die erste Komponente also, was sich vor ungefähr zweieinhalbtausend Jahren abgespielt hat. Erste Komponente: die menschliche Selbstermächtigung, wie er das nennt, in Anlehnung an bestimmte Begriffe, die man dann auch bei Martin Heidegger und anderen findet. Die menschliche Selbstermächtigung.

Die zweite Komponente ist der sogenannte Physiologismus, die Wahrnehmungs­theorie, dass über Sinnesrezeptoren der Hauptteil der Weltwahrnehmung als eine Außen­weltwahrnehmung dann in etwas Inneres, in die seelische Innenwelt hineinkommt und dort, wie das Kant gesagt hatte, mittels des Verstandes als in sich konsistente Wahr­nehmung interpretiert wird. Er meint, das stimmt nicht. Und stellt das in einem riesigen Gedankenbogen dar, dass wir immer schon vor all dieser Art von Aufteilung eine ganz­heitliche Wahrnehmung haben, jenseits der bloßen Ordnung von Sinnesempfindungen im Sinne von Kant und Anderen.

Die dritte Komponente ist die Objektivierung der Außenwelt. Also die menschliche Selbstermächtigung ist die eine Komponente, dann, was er den Physiologismus nennt, also die genannte sinnesphysiologische Lehre und die Objektivierung der Außenwelt.

Die menschliche Selbstermächtigung fungiert für ihn als der Versuch des Menschen, sich zu befreien von der ihn ständig bestimmenden und bedrohenden Überwältigung, was ich das Angeblickt-werden nenne. Der Mensch befreit sich von der Überwältigung. Es gibt ein interessantes Wort im griechischen Denken: „thymos“, was so viel wie Liebe, Zorn heißt, aber auch herrschen und frei sein, was als bewusster Gegenbegriff gesetzt wird zu Psyche, die er …. und zunehmend mehr dann mit dem Ich verbunden wird. Das heißt, er zeigt das sehr schön, noch bei Homer, dass der Mensch noch kein klar herauskonturiertes Ich entwickelt hat, dass er sich durchwaltet fühlt vom Thymos, von einer numinosen, ihn vollständig ergreifenden Macht, und dass alle Empfindungen, Stimmungen, Aura-Empfin­dungen und Ähnliches, letztlich eigene Wirkmächte und wirkliche Mächte sind, auch Eros als eine eigene Wirkmacht.

Die Seele ergreift sich selber in dieser Selbstermächtigung und distanziert sich von diesen sie durchwaltenden und durchwirkenden, überwältigenden Mächten. Aber sie müssen irgendwo bleiben, diese überwältigenden Mächte, müssen ja ihren Ort haben, sind ja nach wie vor da, sie müssen abgedrängt werden und werden auch abgedrängt. Sie werden nun zunehmend in eine quasi unverbindliche Innenwelt abgedrängt. Bis hin zu der berühmten Lehre der primären und sekundären Sinnesqualitäten von John Locke, dass das eigentlich Objektive nur die materielle Welt, die Ausdehnung sei, die Stofflichkeit, dann gefasst als Kausalität in der idealistischen Philosophie, und dass der Rest, Gefühle, Empfindungen, Farben und Ähnliches, der nur subjektiven Innenwelt angehört. „Der nun sich so ermächtigte, ermächtigt habende Mensch“, schreibt Schmitz sehr tiefsinnig, „sei nun formal vernünftig und emanzipiert, eben deshalb, welche grausige Ironie, aber inhaltlich ratlos geworden, letztlich auch inhaltleer.“ Darüber werden wir noch sprechen.

Der zweite Punkt ist nun, dass die Sinnesphysiologie, die ja bis heute eigentlich die dominierende ist, Grundthese: es gibt eine Außenwelt, es gibt einen Organismus, der über Sinnesorgane, Information, Kunde erhält von dieser Außenwelt und der nun in seinem Geist, in seinem Gemüt, wie Kant das nennt, diese Welt zu einer konsistenten Erfahrung fügt. Schmitz wendet dagegen ein und macht das an vielen Beispielen deutlich, dass der Mensch immer schon, bevor diese Trennung, diese, wie er meint, künstliche Trennung vorliegt, eine ganzheitliche Wahrnehmung von Situationen hat, bevor er überhaupt Zeit hat, bevor auch der Organismus gleichsam Zeit hat, überhaupt zu reagieren, reagiert der Mensch bereits in einer ganzheitlichen Situation. Er hat also eine Art Universalwahr­nehmung, eine integrale Wahrnehmung des Ganzen, gleich nachdem Platon, von dem stammt das, wissen viele nicht, diese Sinnesphysiologie in dem modernen Sinne geht auf Platon zurück. Gleich nachdem Platon im „Theaitetos“ durch Deutung der Augen, Ohren usw. als Sinnesorgane, das heißt Werkzeuge der Wahrnehmung von Qualitäten wie weiß, schwarz usw. den Physiologismus endgültig etabliert hat, begründet er den Rationalismus, indem er die Sachverhalte, das etwas ist, was es ist und wie es sich zu etwas verhält, aus der Wahrnehmung verweist und der Einsicht des Verstandes oder Urteilsvermögens überträgt.

Es ist so selbstverständlich für viele sogenannte moderne Menschen, dass sie gar nicht verstehen können erst einmal, was daran ernsthaft zu kritisieren wäre, weil wir sind ja alle, das habe ich ja letztes Mal auch schon gesagt, ja Erben dieser Selbstermächtigung und der Entstehung des mentalen Selbst. Dieses mentale Selbst ist ja die conditio der gesamten modernen Denkbewegung, unser aller Grundlage, erst einmal, unser aller, wenn man so will, Abstraktionsbasis. Insofern eine vollkommene Selbstverständlichkeit. Der Sinnesphysiologe heute würde ja gar nicht akzeptieren können, dass ein Mensch über die Sinnesorgane hinaus, ohne dass es deswegen übersinnlich wäre oder jenseitig oder transzendent, eine Gesamtwahrnehmung hat. Schmitz bringt ganz viele Beispiele von etwa Jemand, der einer Bedrohung ausweicht, der in einer ungeheuren Schnelligkeit ganzheitlich auf diese Bedrohung reagiert und seinen Körper entsprechend bewegen kann, bevor überhaupt im Sinne der sinnesphysiologischen Lehre diese Reaktion möglich ist. Darüber sprechen wir noch.

Der dritte Punkt ist die Objektivierung der Außenwelt, darüber habe ich schon gesprochen. „Der moderne Ingenieur als Endprodukt, der mit nüchterner Selbstdisziplin alles Begegnende auf das Zähl- und Messbare reduziert, schließt so den Bogen zwischen diesen beiden Säulen der psychosomatischen Anthropologie, der Selbstermächtigung der Person und der Objektivierung der Außenwelt.“ Dann zeigt Schmitz das sehr schön im Zusammenhang mit Äußerungen von Klages am Eros. Er sagt mit einigem Recht zu dieser Selbstermächtigung, Sie erinnern sich an das, was ich vor einer Woche gesagt habe, zu dieser Selbstermächtigung gehört auch ein Distanzverhältnis zu dem Überwältigenden, zu dem in einem numinosen Sinne Überwältigenden des Eros. Er zeigt das an einer promi­nenten Stelle von Platon in der „Politeia“. Er paraphrasiert das und kommentiert das. „Wie prekär am Höhepunkt und Abschluss der Seelengründungszeit dieser Versuch noch ist“, also diese Selbstetablierung des mentalen Selbst, wie ich das nenne, „zeigt das schauerliche Bild der Seele, das Platon in der Politeia entwirft. Der Mensch im Menschen, die für sich allein schwache, aber zur Herrschaft berufene Vernunft“ ‒ die Geburtsstunde auch des Rationalismus, Sokratismus ‒ „bewacht zusammen mit dem Löwen im Menschen, dem Herd der aggressiven Regungen, des Stolzes und Ehrgefühls, das vielköpfige, undurch­schaubare, unheimliche Ungeheuer im Menschen, das dort den meisten Platz einnimmt: den Herd der sinnlichen Regungen.“

Also, die sinnliche Regung als ein gewaltiges Meer, als ein quasi chaotisches Meer, was ständig anflutet und dem das mentale Selbst also eine Barriere errichtet. „Dieses Gleichnis hat der Folgezeit die verhängnisvolle Doktrin des Humanismus beschert.“ Das muss man hier im Kontext sehen, nicht, es wendet sich nicht gegen den Humanismus im üblichen Sinne, im Sinne eines Antihumanismus, um das nicht misszuverstehen, „beschert der den Menschen in einen eigentlichen Menschen, den Menschen im Menschen und einen Unmenschen im Menschen spaltet. Diese Spaltung hat sich besonders stark auf die Einordnung des Geschlechtslebens in das menschliche Selbstverständnis ausgewirkt. Der Geschlechtstrieb mit seiner spontanen und heftigen Entzündbarkeit galt als besonders gefährliche Bedrohung der personalen Emanzipation und Selbstermächtigung. Darüber haben wir ja auch ansatzweise im Zuge meiner Theorie der Bewusstseinsentwicklung gesprochen, dass natürlich die Sexualität, jetzt um einen modernen Begriff zu verwenden, immer die Bedrohung war, der Eros war immer das Bedrohende, dem sich natürlich das sich selbst ergreifende Subjekt immer konfrontiert sah in irgendeiner Form.

„In Platons ,Phaidros‘ ist einerseits, wie schon gesagt wurde, seine Erregung durch den Anblick schöner Knaben beim homosexuellen Mann gleichsam die unterste Stufe der erotischen Leiter, die den Aufstieg zu den Ideen in Aussicht stellt. Andererseits aber ist er dort das böse Seelenross, das den Seelenwagen aus dem Kurs zu bringen droht und nur mit Mühe und Not gebändigt werden kann gleich dem gegen die göttliche Vernunft im Kopf wie ein wütendes Tier rebellierenden männlichen Glied nach dem ,Timaios’“. Also der Phallus als ein Ungeheuer quasi, als ein kaum zu bändigendes Ungeheuer. „Die Bemühung, den Geschlechtstrieb in die abgegrenzte und zentrierte Innenwelt des Einzelnen Bewusst­habers einzuschließen, wurde aufgrund dieser Einschätzung seiner Wirksamkeit als gefährliche Störungsquelle personaler Emanzipation besonders stark. Mit der Folge, dass die Offenheit dieses Triebes für atmosphärische Gefühle, Eindrücke und Impulse verkannt oder geschädigt wurde.“ Auch in diesem Zusammenhang, auch zu diesen Dingen, habe ich mich ja im Einzelnen schon geäußert.

Eros war ganz eindeutig noch etwa bei Empedokles, gar nichts Personales, sondern war eine den Menschen ganzheitlich ergreifende, quasi kosmische Macht. Eros war eine numinose kosmische Macht und keineswegs eine personal zu begrenzende Form von Weltwahrnehmung, die man als Sexualität im engeren Sinne bezeichnen könnte.

Das also in ganz knapper Form zu dem Versuch von Schmitz, das von mir in der letzten Woche Dargestellte in seinen Worten zu begründen und abzuleiten.

Also, nun macht er einen kolossal gewagten Versuch, und das muss man einfach sagen, das ist gewagt, mit hohem Risiko. Ob ihm das gelungen ist, kann man auf sich beruhen lassen. Aber man sollte erst mal zur Kenntnis nehmen, was er macht. Er macht nun folgenden Versuch. Er versucht nun den Bogen zurückzuspannen, ähnlich wie Heidegger, aber vollkommen anders, in diese Phase vor zweieinhalbtausend Jahren, versucht herauszuspüren, was geschehen ist und versucht nun, diese ganzheitlich ergrei­fenden, im Sinne der Antike numinosen Mächte phänomenologisch zu bestimmen, also nicht im Sinne eines Rückfalls in einer vormentale Bewusstseinsverfassung, eine Regression. Das ist nicht der Fall. Es wäre ja eine Möglichkeit. Man könnte ja sagen, gut, diese mentale Entwicklung war ein Irrweg. Wir korrigieren diesen Irrweg und sagen: Gut, wir müssen das rückgängig machen. Das geht nicht, wie wir wissen, das ist illusorisch, das ist naiv, das ist illusionistisch. Aber es gibt ja diese Ansätze, unter anderem ja im ganzen Kontext des Prä-Faschismus und Faschismus ja auf rabiate Weise, Ergreifung des Vitalen, als das unmittelbar Lebendigen, angeblich nur Wirklichen, gegen das abstrakt Rationa­listische. Also das, in dieser vereinseitigten Form ist immer, zumal dann, wenn es sich politisch artikuliert, furchtbar.

Schmitz versucht nun phänomenologisch wieder die Atmosphären dieses ganzheit­lich jenseits der Subjekt-Objekt-Trennung Existierende in den Blick zu nehmen, das ist wichtig. Es ist ein Etwas, das nicht im engeren Sinne subjektiv und nicht im engeren Sinne objektiv ist, sondern in dem und durch das die Subjekt-Objekt-Dichotomie immer schon aufgehoben ist, die Subjekt-Objekt-Dichotomie immer schon aufgehoben ist. Insofern in sich etwas zutiefst Dialogisches. Und kurz nochmal einen Rückblick auf Klages, auf den er sich ja bezieht, obwohl er sich von ihm abgrenzt und auch vieles von ihm für naiv hält. Klages hatte ja einen ähnlichen Versuch Jahrzehnte vorher unternommen. Ein Versuch, von dem man sagen muss, aufs Ganze gesehen, gesehen, dass er gescheitert ist, weil Klages ein Konstrukt eingebaut hat, was so nicht haltbar war. Klages hatte, wie das ja schon der Buchtitel seines voluminösen Werkes zeigt, einen abstrakten, lebensfeindlichen Geist, sozusagen als deus ex machina postuliert, der langfristig, wie er meint, alles Leben zerstört. So war ja Klages, wie einige von Ihnen ja auch wissen, einer der Gründerväter der ganzen Ökologiebewegung. Er war ja einer der Ersten überhaupt, der schon um die Jahrhundert­wende, da war er ja erst Ende zwanzig, also um die letzte Jahrhundertwende, der als einer der ganz frühen Mahner gegen den Industrialismus und seine Zerstörung der Erde auftrat, auch in seinen Vorträgen auf …, die er auf dem Hohen Meißner 1913 gehalten hat „Mensch und Erde“ und so weiter. Er war also ein früher Mahner dessen, was man später als Umweltzerstörung bezeichnet, ein Vordenker, wie man es ja so schön oft sagt, der ökolo­gischen Bewegung.

Also Klages fingiert einen Dämon, den lebensfeindlichen Geist-Intellekt, der alles Lebendige untergräbt, und das war fatal, in dieser Form fatal, weil er dann auf eine ungenaue und gefährliche Weise von einer lebensphilosophischen Strömung dann verein­nahmt werden konnte, die den Geist überhaupt und grundsätzlich ablehnt, ja verteufelt. Trotzdem oder gleichwohl enthält das Werk von Klages faszinierende Einsichten. So polemisiert Klages als einer der ersten in der neueren Denkbewegung gegen die bloße Subjektivität der Gefühle. Das ist wichtig, gegen die bloße Subjektivität der Gefühle, als ob diese Gefühle sozusagen nur subjektive Innenwahrnehmungen wären, denen überhaupt keine Gültigkeit, auch keine ontologische Wertigkeit in der Welt zukommt. Wogegen er scharf vorgeht. Und auch die sogenannten „Atmosphären“, den Begriff führt Klages hier ein, sind den Menschen als Ganzes ergreifende Wesenheiten, nun nicht mehr numinose Mächte, göttliche oder quasi göttliche Mächte, aber Wesenheiten, Wirklichkeiten der Welt.

Ich habe Ihnen das ja am Beispiel der Raumkonzeption erläutert, wie Schmitz aus dem leiblichen Weiteraum und dem Richtungsraum in einem langen Abstraktionsprozess dann der Außenraum wird, der euklidische dreidimensionale Raum, dann später der abstrakt-vierdimensionale Raum, den er als Ortsraum bezeichnet. Ich sage ja dazu Koordi­natenraum, also wo man ganz genau festlegen kann, hier ist dieser Punkt im Kontext ganz bestimmter Koordinatenfestlegungen, während diese Räumlichkeit der Atmosphären und auch des innerleiblichen Spürens zwar Ausdehnung hat, aber diese Ausdehnung hat keine klaren Grenzen. Diese Ausdehnung hat keine Flächen. Diese Ausdehnung ist, wie er das nennt, vordimensional, prädimensional. Es ist eine Ausdehnung, aber diese Ausdehnung ist nicht genau lokalisierbar. Sie ist randlos, sie ist flächenlos. Etwas, [das] zunächst einmal für den modernen Rationalismus schwer zu begreifen ist.

Nun beschäftigt sich Schmitz sehr eingehend mit dem, was eigentlich in der Welt­wahrnehmung des Menschen und zwischen Menschen passiert. Wenn Menschen mitein­ander kommunizieren: Was passiert eigentlich wirklich? Sind das zwei oder drei oder mehr oder eine Gruppe von Körpern, die über ihre jeweiligen Innenwelten nun die jeweiligen sinnesphysiologisch verstandenen Signale interpretieren, das alles spielt sich dann nur in dem Kopf ab, wie das die moderne Sinnesphysiologie ja bekanntlich behauptet, steht ja in allen Lehrbüchern, das ist sozusagen alles nur im Kopf. Wie kommt dann eigentlich diese doch für Jedermann sofort begreifbare, ja auch seine alltägliche Erfahrung bestimmende Unmittelbarkeit der Wahrnehmung zustande? Jeder kennt das doch auf eine sofort, eine spontane, eine sekundenschnelle Art Atmosphären begreifen, dass wir menschliche Kom­munikation begreifen, dass wir ein Verständnis entwickeln für eine Situation, ohne dass wir uns darum eigentlich bemühen müssten. Er zeigt das zum Beispiel an den Blicken, das habe ich ja schon angedeutet, das ist besonders interessant. In der Antike waren ja …, wurde ja das Blicken, das Sehen immer noch verstanden als etwas nach außen Greifendes. Blicken war nicht nur einfach ein physiologischer Vorgang, dass irgendwelche elektromag­netischen Schwingungen auf der Netzhaut landen, dann weiterverarbeitet werden, irgendwann im Gehirn landen, sondern Blicken war immer etwas nach außen Gerichtetes. Es war immer ein Ausgreifendes in den Raum. Und das kann man immer noch merken, spüren, wahrnehmen im Blickkontakt.

Es gibt Kulturen, das wissen Sie, wo es als absolut unschicklich, ja unmöglich gilt, einen Menschen länger als zwei Sekunden anzuschauen, das ist schon unmöglich. Das ist bei uns nicht so. Aber Sie können das beobachten, wenn Sie in der U- oder S-Bahn fahren und Sie haben einen längeren Blickkontakt, gibt es immer die Möglichkeit, ist das jetzt peinlich, ist das eine pure Neugierde, kenne ich den oder die Betreffende? Oder ist das einfach ein Grundinteresse, weil der gefällt mir oder den finde ich interessant. Auf jeden Fall kommt sofort eine eigenartige Kommunikation in den Raum, die etwas Rätselhaftes hat, die man überhaupt nicht fassen und greifen kann. Dazu mal Schmitz, zu diesem Blicken, weil das ein hochinteressantes Feld ist, was ja zunächst einmal für die Philosophie überhaupt kein Thema war. Die meisten Philosophen, ob nur Kant oder Hegel oder Descartes und wie sie alle heißen, haben sich ja nicht mit der Frage beschäftigt: Was sind Blicke? Wie wirken Blicke? „Man kann niemals einem Anderen ins Auge schauen, ohne dass sich ein Ringkampf der Blicke, in Anführungszeichen, mit ganz derselben Struktur einspielt. Das liegt nicht an irgendeiner herrschsüchtigen Absicht, sondern an der Struktur des leiblichen Befindens, die den sich begegnenden Blicken als unteilbar ausgedehnten leibli­chen Richtungen eingeprägt ist“. Der Blick ist nach Schmitz eine leibliche Richtung. Das heißt zur Weltwahrnehmung, auch zu dem, was er dann das motorische Körperschema nennt, gehört der Blick als eine Komponente: das In-die-Welt-blicken. Vielleicht erinnern Sie sich auch die, die da waren, an das, was ich über das von meiner Philosophie aus, über das Sehfeld oder das Gesichtsfeld Ihnen versucht habe zu verdeutlichen. „Blicke, die ineinander tauchen, sind wie Speere im Turnier. Sie greifen tief ins leibliche Befinden beider Partner ein, die sich dadurch bedeutsame Signale geben, sind schwer auszuhalten, werden gern vermieden, wenn die Situation nicht das Besondere erfordert und entfalten sich im Drama des Augenblicks zu einem vielfältigen Wechselspiel“, wie jeder weiß, [das] ist eine elementare Grunderfahrung beim Menschen überhaupt: Was geschieht, wenn man sich anblickt, was da in blitzartiger Form an Kommunikation geschieht jenseits des rationalen und jenseits des Physiologismus. „Es handelt sich um ein Drama, des elementar leiblichen Betroffenseins, nicht um eine Beigabe von Bedeutungen, die erst das personale Erleben hineinlegte. Das zeigt sich daran, dass Blicke ebenso über Tiere wie über Menschen Macht ausüben.“ Es gibt ja ein interessantes Beispiel, was jeder Tierdompteur ja kennt, und jeder auch weiß, ist ja ein bekanntes, aber nicht erklärtes Phänomen: warum Dompteure in der Lage sind, durch Blickkontakt ein Tier, ein sogenanntes wildes Tier unter Kontrolle zu halten. Wenn der Blickkontakt weggeht, kann das Tier außer Kontrolle gera­ten. „Es fehlt uns heutzutage noch eine ausreichende Erklärung dafür, wie der Blick eines Menschen wirkt, zum Beispiel bei Tierbändigern. Tatsache ist, dass sobald diese ihren Blick abwenden, dann die Bestien nicht mehr im Zaum gehalten werden können. Wenn man etwa einem ruhig daliegenden und noch so majestätisch unverwandt geradeaus schauen­den Löwen in die Blicklinie tritt und ihn scharf fixiert, so hält er nicht stand, dreht vielmehr sein mächtiges Haupt mit blinzelndem Auge zur Seite.“ Also, aus dem elementaren Vorgang des einander Anblickens leitet Schmitz eine grundlegende, eine quasi ontologische leibliche Kommunikation ab, die sich ständig abspielt, ununterbrochen im Kontakt mit Anderen, ob das nun Tiere oder ob das Menschen sind. Schmitz erfindet jetzt einen Begriff, der für seine Philosophie entscheidend wichtig ist, ein Begriff, der wie ein Aperçu wirkt, aber doch tief ist, den Begriff der „Einleibung“, den hat er erfunden, den Begriff, den gibt es nicht im Lexikon. Einleibung: Was ist gemeint?

Man kennt die Einverleibung in einem direkten physiologischen Sinne, die Einver­leibung etwa [bei] der Nahrungsaufnahme, ich verleibe mir das ein, dieses wunderbare Stück Kuchen oder was immer. Die Einverleibung, was immer da an mysteriösen Vorgängen jetzt dann geschieht, das ist wieder ein eigenes Ding, oder auch im Sinne einer geistigen Einverleibung. Er benutzt den Begriff der Einleibung. Ganz kurz vereinfacht gesagt und vielleicht auch allzu simplifizierend gesagt, meint er, dass im Kontakt leben­diger Wesen, also Leibwesen, ein quasi-Leib entsteht, ein höherer oder anderer Leib, der die jeweils beteiligten oder involvierten Leiber überwölbt und durchdringt, ja bildet. Nicht, das kennt man ja auf einer eher platten Form, sagen wir mal in der Psychologie, auch in der Gebärdensprache. Also es gibt eine bestimmte, jeder hat eine bestimmte Art, wie … , ich auch und jeder von Ihnen auch, bestimmte Worte, Sätze, Gedanken mit einer Gebärdensprache zu unterstreichen, eine bestimmte Gestik oder bestimmte Körperhaltungen. Man weiß ja aus Erfahrung, dass es bestimmte Synchroni­sierung von Körperhaltungen gibt, die auch verblüffend sind. Schmitz interpretiert das im Sinne seiner Theorie der Einleibung. Zitat Schmitz: „Der in Einsamkeit und Gemeinsamkeit invariante“ ‒ also sich nicht ändernde ‒ „dialogisch kommunikative Charakter des leiblichen Befindens“ ‒ das ist wichtig. Das muss ich noch vorab sagen, dass das Leibliche, sagte ich vorhin, immer dialogisch ist, immer auch kommunikativ, auch immer polar ‒ des leiblichen Befindens ist nach Schmitz die von Enge und Weite. Enge, Engung und Weitung, gezeigt etwa am Atmen, also die ständige Pulsation von Engung und Weitung. „Der in Einsamkeit und Gemeinsamkeit invariante dialogisch kommunikative Charakter des leiblichen Befindens legt die spontane Bildung und Erhaltung übergreifender, quasi-leib­licher Einheiten nahe, die die Struktur des Leibes gemäß dem Alphabet der Leiblichkeit“ ‒ wie er das nennt ‒ „besitzen, aber über den einzelnen eigenen Leib, den unmittelbaren Gegenstand des eigenen leiblichen Spürens hinausgehen. So etwas bezeichne ich als Einleibung. Sie ereignet sich zunächst im Alltag unablässig als Verschmelzung aufeinander eingespielter oder sich einspielender Leiber, zum Beispiel beim Sich-anblicken, schon dem ganz flüchtigen unter Passanten, die einander auf bevölkerten Gehwegen ohne planmäßige Koordination entgegenkommen und erstaunlicherweise ihre Bewegungen so gut auf die zu erwartenden der anderen abzustimmen verstehen, dass Zusammenstöße selten sind und mit ausdrücklicher Entschuldigung bedacht werden. Ebenso beim Händedruck, der in Deutschland üblichen Begrüßungsgeste, beim Gespräch, beim Liebesspiel, zum Beispiel zwischen Mutter und Säugling, bei jeder Suggestion und Faszination und besonders auffällig durch Ko-Agieren ohne Reaktionszeit in gut eingespielter Kooperation bei gemein­samer Handwerksarbeit, gemeinsamem Musizieren, Wettkämpfen, Boxen, Fechten, Tennis, Rudern, Ballspiel in Paaren und Mannschaften und so weiter. Wie die Glieder usw. eines Leibes, etwa bei den Bewegungen und Gewichtsverlagerungen, die blitzartig einen drohenden Sturz abfangen. Die Blicke und Gliederbewegung des Autofahrers, der ebenso rasch in kritischen Augenblicken einen Unfall abwendet, so co-agieren ohne Reaktionszeit unter den angegebenen Bedingungen, die durch antagonistische“ ‒ also gegensätzliche ‒ „oder solidarische Einleibung in einer übergreifenden, quasi-leiblichen Einheit kooperativ verschmolzenen Partner ohne Reaktionszeit, also instantan“, also eigentlich augenblicklich ohne eine erkennbare Reaktionszeit. „Darüber hinaus gibt es Einleibung auch im Verhältnis zu Gegenständen der Wahrnehmung, die an sich nicht Leiber sind, wenn sie auch durch Gestaltverläufe, die mit eigenleiblich spürbaren Bewegungssuggestionen übereinstimmen und diese nahverwandte synästhetische Charaktere, eine sozusagen leibartige Physio­gnomie besitzen. Die unwillkürlichen Mitbewegungen des durch Faszination gefesselten Zuschauers, zum Beispiel mit beim Fußballspiel liefern Zeugnis von solcher Einleibung.“

Jetzt grundsätzlich. Ich sage es noch kurz vor der Pause. Er bringt es nochmal hier auf den Punkt: „Überhaupt ist normale Wahrnehmung, die ja die Sinnesphysiologie in dem bekannten Sinne interpretiert, also überhaupt ist normale Wahrnehmung nicht bloß Aufnahme und Verarbeitung von Signalen wie die Physiologie und die an dieser sich orientierende Psychologie nahelegen, sondern in erster Linie Einleibung.“ Nochmal, zum Sehen. „Eine einfache Beobachtung am Sehen macht das klar. Wenn die schnelle, bedroh­liche Näherung eines Gegenstandes gesehen wird, ist der Sehende gewöhnlich in der Lage, durch zweckmäßige Körperbewegungen unwillkürlich, oft sehr geschickt und ohne Über­legung auszuweichen, sei es, dass er zur Seite springt oder nur den Kopf von einer zum Schlag ausholenden Hand wegbiegt und so weiter. Dazu ist er ja nicht dadurch in der Lage, dass er den bedrohten eigenen Körper so gut wie das gefährliche Objekt sähe. Das tut er meistens gar nicht und sich überlagern und Abstände dieser Dinge Rechenschaft gäbe. Den eigenen Kopf zum Beispiel sieht er im Allgemeinen nicht. Vielmehr ist der eigene Leib im Sehen-ohne-gesehen-zu-werden dennoch mit wahrgenommen, weil Sehen Einleibung ist und daher ein Co-Agieren ohne Reaktionszeit mit dem andringenden Objekt ebenso gestattet wie in den vorher besprochenen Fällen. Wie wenig solches Geschick selbstver­ständlich ist, bemerkt man beim Vergleich des Sehens mit dem Hören, dem es fehlt.“ Nicht, beim Hören ist es vollkommen anders. „Wenn man das bedrohliche Objekt nur heran­brausen hört, ist man viel ratloser als beim Sehen, wie und wohin man sich wenden soll, um sich zu schützen. Das liegt nicht etwa daran, dass das Hören weniger als das Sehen zur Einleibung begabt wäre, aber es hat dafür andere Kanäle. Rhythmischer Schall aller Art, Gesang, Instrumentalmusik, Händeklatschen, anfeuernde Rufe ist der stärkste Zünder der Einleibung, fähig, diese wie eine Glocke über eine Menschenmenge zu stülpen, wodurch die bekannten massenpsychologischen Effekte ausgelöst werden“, die er auch so erklärt übrigens. Er gibt auch eine ganze hochinteressante Theorie massenpsychologische Effekte, die in der Form sehr originell ist, er interpretiert das mit seiner Theorie der Einleibung, „wodurch die bekannten massenpsychologischen Effekte ausgelöst werden, aber nicht nur sie. Wenn ein anregender Gesprächspartner den anderen mitreißt, nachdem er eine Hemmschwelle der Lustlosigkeit und des Widerstandes überwunden hat, bildet sich eine gemeinsame Situation und Atmosphäre, worin die Beteiligten miteinander warm werden und sich gleichsam die Bälle zuspielen, die Spannung und Schwellung in der leiblichen Ökonomie oder die Ballspiel-Mannschaften im schon erwähnten Beispiel des sportlichen Wettkampfs für Einleibung.“

Das erstmal vor der Pause. Also der Begriff der Einleibung ist ein Kunstwort. Ich will das noch einmal versuchen, auf den Punkt zu bringen, was es meint. Es meint eine spontane, ohne erkennbaren Zeitverlust sich abspielende Herstellung eines quasi-Leibes, der nicht zum Körper gerinnt und sich nicht verdichtet, materialisiert zum Körper eines quasi-Leibes, eines ganzheitlich atmosphärischen gemeinsamen quasi-Leibes, der elemen­tar und in rasender Schnelligkeit entsteht und auch wirkmächtig ist. Das kann man nur von einer ganz oberflächlichen, rationalistischen oder physiologistischen Sicht aus leugnen, dass das so ist. Und das sind ja bewegende Fragen, die ja die herkömmliche Philosophie überhaupt nicht klären konnte, wie so etwas überhaupt zustande kommt, wie so etwas in einer Gruppensituation zum Beispiel, in einer massenpsychologischen Situation geschieht. Und da liefert er eine ganze Reihe hochinteressanter Ansätze. Wer das zum ersten Mal hört, der ist vielleicht etwas verwirrt und verblüfft und denkt vielleicht: Was ist das hier? Aber wir sprechen doch darüber.

Wir machen eine kleine Pause, sagen wir mal 6, 7, 8 Minuten, so.

… bezogen auf einen Band, der auch im Literaturverzeichnis steht, „Leib und Gefühl“, Materialien zu einer philosophischen Therapeutik, in einer psychotherapeutischen Reihe erschienen. Das ist interessant, weil Hermann Schmitz ist der einzige Philosoph, der auch von vielen Psychotherapeuten nicht nur geschätzt wird, sondern auch, wenigstens partiell, in die eigene Arbeit einbezogen wird. Also, er hat sich ein Renommee verschafft und viele seiner Überlegungen, das kann ich hier gar nicht darstellen, das kann ich nur andeuten, haben auch enorme therapeutische Auswirkungen. Er hat sich zum Beispiel sehr intensiv mit der Schmerzbehandlung beschäftigt. Was ist Schmerz? Ich habe nirgends und von niemandem so etwas Tiefsinniges und Intelligentes jemals gelesen über Schmerz. Was ist Schmerz? Auch vieles sehr Feinsinnige und Tiefsinnige gesagt, über den Umgang mit Schmerz. Schmitz hat eine Fülle von Phänomenen überhaupt in die Sprache gebracht, von denen man bislang kaum wusste, dass man sie präzise begrifflich fassen kann. Was ist Erschrecken? Was passiert beim Einschlafen? Was passiert beim Aufwachen? Was passiert in ganz bestimmten Situationen mit der Raum-Empfindung? Was ist Angst? Was passiert mit der eigenen Leib-Wahrnehmung in der Angst und Ähnlichem? Also ganz überraschend hat er die Sprache in einer ungeheuren Weise verfeinert und das auf Formeln gebracht, was gemeinhin entweder im reinen Physiologisch-Medizinischen bleibt oder im Meinen und Wägen und, sagen wir mal, eher dumpfen Gefühligen. Er hat das wirklich auf Begriffe gebracht.

Also, „Material zu einer philosophischen Therapeutik“. Eine Zusammenfassung seiner Philosophie in einem kleinen Bändchen, ‘98 erschienen, ist „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. So habe ich das hier heute genannt. Das ist die knappste Zusammenfassung, die er vor einigen Jahren gegeben hat über seine eigene Philosophie. Ich will noch mal zwei Stellen Ihnen darstellen. Ich sagte, ich will heute als Philosoph in gewisser Weise ein bisschen zurücktreten und hier dem Schmitz das Feld quasi überlassen, deswegen zitiere ich länger, als es sonst üblich ist. Aber es ist wichtig für unseren Zusammenhang, weil wir auf Schmitz in anderen Zusammenhängen immer wieder stoßen werden. In der gesamten Vorlesungsreihe in diesem Sommersemester ist er eine wichtige Figur. Noch einmal zur Frage der Gefühle.

In einem wunderbaren Essay mit dem Titel „Die Autorität der Trauer“ schreibt er Folgendes, ich zitiere das mal: „Die herrschende Lehre behandelt Gefühle als bloß subjek­tive, private Zustände des Erlebens.“ Das ist ja nur Gefühl, nicht, die rationalistische Philosophie, das ganze rationalistische Denken wertet das ja im gemeinen ab, nur Philo­sophie, nur Gefühl, nur subjektives Gefühl. Also, „die herrschende Lehre behandelt die Gefühle als subjektive, private Zustände des Erlebens, so in der neuesten Psychologie sogar als kognitive Reaktionen, das heißt Weisen der Verarbeitung von Kenntnisnahmen. Was aber auf viele Gefühle, z.B. grund- und gegenstandslose Trauer ersichtlich nicht zutrifft. Für ein solches Gefühlsverständnis muss die Autorität von Gefühlen ein Rätsel bleiben. Was könnten meine privaten Zustände und Reaktionen mir zu sagen haben, in dem Sinn, dass sie mich zu einem Gehorsam verpflichten, eventuell sogar, im Fall verbindlicher Normen, ohne Rücksicht auf mein Belieben.“

Also das ist ja das, was man in der Antike als das Überwältigende und Ergreifende gesehen hat, also im Sinne von Empedokles: Der Eros ergreift den Menschen, der ist also weder subjektiv noch objektiv. Das ist ein Etwas, ein Etwas, was den Menschen ganzheitlich ergreift, was ihn packt, das ihn vollkommen durchwaltet und durchwirkt, wo sein Ich klein ist dagegen und kapituliert. „Das Rätsel löst sich erst, wenn man solche Gefühle richtiger als Atmosphären versteht“ ‒ den Begriff hat er von Ludwig Klages übernommen in dem Zusammenhang ‒ „die den Menschen umhüllen und einnehmen wie das phänomenale Wetter, das ja keineswegs ein Zustand der mehr oder weniger warmen und feuchten Luft ist, sondern eine eigenartig charakterisierte, einbettende Weite, die bloß am eigenen Leibe gespürt wird, aber nicht als etwas vom eigenen Leibe, sondern als eine Art Gegenspieler, der über den Leib hinaus geht und auf ihn Macht ausübt wie in anderer Weise die reißende, niederziehende Schwere, der man sich im Fallen entgegenstemmt, obwohl man sie nirgends als am eigenen Leib spürt. Luft ist ein erdachter Körper, den man sich zurecht legt, um solche gespürten Atmosphären auf das für Berechnung und Prognose handlichere Festkörpermodell zu reduzieren, dem die Luft vollends gehorcht, wenn man sie als ein aus Molekülen oder Atomen, gleichsam wirbelnden Steinchen bestehendes Gas deutet. Den Phänomenen wird man besser gerecht, wenn man solche Atmosphären wie das Wetter mit den Gefühlen zusammenstellt.“ Es ist kein Zufall, dass Menschen mit solcher Begeisterung, mit solchem Interesse, mit solchem Engagement sich zum Beispiel über die jeweilige Wetterlage unterhalten. Das ist kein Zufall, das ist auch nicht banal, wenn man sagt, ach, das ist ja banal. Das ist gar nicht banal, weil das tief eingreift in diese leibliche Grund­kommunikation des menschlichen In-der-Welt-seins. „Ein Mittelglied bilden die optisch-klimatischen Atmosphären, die keineswegs aus einem optischen und einem klimatischen Anteil zusammengesetzt sind, wie ein physiologistischer Fehlschluss von den sensorischen Aufnahme-Organen auf die Phänomene nahelegen könnte, sondern ganzheitliche Eigenart besitzen.“ Hier trifft mal dieses Wort, was ich sonst, wie ja einige von Ihnen wissen, eher vermeide, dieses modisch abgeflachte Wort des „Ganzheitlichen“. Hier trifft es wirklich.

„Als erstes Beispiel erwähne ich die kühlfahle, in eigentümliche Fremdheit sich entziehende Atmosphäre des verbleichenden Tages, worüber Nietzsche seinen Zarathustra sprechen lässt“, jetzt Zitat Nietzsche: ,Die Sonne ist schon lange hinunter, sagte er endlich. Die Wiese ist feucht. Von den Wäldern her kommt Kühle. Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was? Du lebst noch, Zarathustra? Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht eine Torheit zu leben? Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine Traurigkeit.’“ Zitat Ende. „Hier geht die Atmosphäre der Dämmerung in die Atmosphäre der Trauer über, freilich einer besonderen, befremdenden Trauer, die man auch als Angst und Verzweiflung bezeichnen könnte, weil alle Erstrek­kungen des Strebens, die den Menschen normalerweise an seine Umgebung binden und ihm Halt und Orientierung geben, in dieser Atmosphäre wie ins Leere führen oder wie an eine glasige Wand, die durchsichtig ist, aber nichts mehr zu greifen gestattet, das heißt, die Lebensbezüge nicht mehr zu ihren Bezugspartnern durchlässt.“

Hochinteressante Beobachtungen, gerade heute Nacht ist mir das deutlich gewor­den. Wenn man viel Schmitz liest, dann nimmt man anders wahr. Ich war auch nachts um vier wach, hellwach und war längere Zeit auf dem Balkon draußen. Und das ist ja die Zeit, wo um diese Jahreszeit schon eine gewisse Helligkeit zu spüren ist. Die Nacht ist vorbei, aber der Morgen ist noch nicht gekommen. Und diese eigenartige, fahle, gespenstische, zwischen Farbigkeit und Farblosigkeit pendelnde, changierende Atmosphäre ist wirklich hoch faszinierend, wenn man das mal wirklich zulässt und das versuchen würde, in die Sprache zu bringen. Er macht das. „Verwandt ist jede Atmosphäre, die frösteln lässt wie das trübe, feucht-kühle Novemberwetter. Ganz im Gegensatz zu der trockenen Kühle unter einem blauen Himmel eines klaren Wintertages oder zu der lauen, dunstigen eröffnend-zerfließenden Atmosphäre des Frühlings.“ Und so weiter.

Und dann gibt es, durch sein ganzes Werk sich ziehend, immer wieder Betrach­tungen, zum Beispiel zur Stille. Also das fand ich, wenn ich Schmitz lese, immer wieder begeisternd und faszinierend. Ich habe noch nie etwas Besseres und Tieferes und Feinsinniger gelesen über Stille. Wir wissen ja alle, dass Stille vollkommen verschieden wirken kann. Stille ist etwas vollkommen anderes, wenn es vorher laut war. Stille kann sich plötzlich als peinliche Stille herausstellen, als beklemmende Stille, als beängstigende Stille. Man kann das ja beobachten, wenn man Menschen in der …, etwa in der S-Bahn beobachtet. Beim Fahrgeräusch, dann ist das ein ständig mitlaufendes Geräusch. Dann werden Zeitungen geblättert, dann knistern die Zeitungen, es werden Bücher vielleicht gelesen, Gespräche mehr oder weniger laut. Wenn dann plötzlich die Bahn auf der Strecke stehenbleibt und es alles vollkommen ruhig wird, dann kommt eine ganz eigenartige Stimmung im Abteil auf. Das Knistern der Zeitung ist ganz laut, was vorher leise war und man merkt nach einigen Minuten, wenn das also länger dauert, wie eine gewisse Unbehaglichkeit sich breit macht, die Menschen, denen ist also der Geräuschhintergrund genommen und die plötzliche Stille, die eintritt, hat etwas Gespenstisches. Man lacht verlegen, es gibt plötzlich Blickkontakt, den [es] vorher nicht gegeben hat. Und plötzlich ist ein ganz anderes Fluidum im Raum. Das ist nicht banal, sondern es ist wirklich, das ist ja lebendig. Das ist ja wirklich, das ist ja keine Fiktion.

Also über die Stille: „Ich meine, das braucht aber ihrer Autorität nicht im Wege zu stehen. Im Gegenteil, die Abstandnahme von dieser durch personale Emanzipation wird dadurch schwieriger als die von der Autorität eines bequem objektivierbaren Befehls­gebers generell für solche Atmosphären. Für solche Autorität von Atmosphärischem erwähne ich jetzt noch das Beispiel einer Atmosphäre, die genauso wenig wie das Wetter als Gefühl verstanden zu werden pflegt, ja im Gegensatz zu diesem nur selten als Atmosphäre überhaupt entdeckt wird, aber als solche und durch Autorität Gefühlen mindest nahesteht.“ Schmitz sagt immer wieder, diese Atmosphären haben Autorität. Es ist keine Fiktion, es hat sich keiner ausgedacht. Das ist weit das Subjektive übersteigend. „Ich meine die Stille, die physiologisch weiter nichts als Abwesenheit akustischer Reizung ist, phänomenologisch aber ein höchst aufdringlicher Gegenstand der Wahrnehmung sein kann, und zwar ohne jede Rücksicht auf akustische Sinnesdaten, nämlich sowohl bei deren gänzlichem Fehlen als auch in Konkurrenz mit gleichzeitig gehörtem Geräusch. Ich denke an feierliche oder zarte Stille in der Natur oder in einer hohen Halle, an dumpfe, lastende, bleierne Stille, an die brütende, panische Stille zum Beispiel des mediterranen Mittags, die den Griechen als Sirene, den Kirchenvätern unter anderem als Mittagsdämon erschien.“

Ja auch die Figur des Pan in der griechischen Mythologie ist ja so etwas, Pan ist ja eine wirkliche, im Sinne der antiken Befindlichkeit, eine wirkliche Größe, der Pan, der den panischen Schrecken verursacht, der in der Mittagshitze, wenn die Sonne senkrecht steht, auftaucht, als eine eigene numinose Gewalt, den Menschen vollständig durchwirkt und durchwaltet. „Solche ausgeprägte Stille hat Weite, Gewicht und Dichte, und im Falle der feierlichen oder zarten Stille eine Autorität, mit der sie dem für sie Empfänglichen, von ihr affektiv betroffenen Menschen die verbindliche, das heißt von seinem Belieben unabhängig geltende Norm auferlegt, sie zu schonen. Das heißt, nicht ohne triftigen Grund laut zu sprechen, zu schreien oder zu lachen oder auf andere Weise, die die Stille zerreißt, Getöse zu machen. Auf einen Menschen, der in einer solchen Atmosphäre unvermittelt ordinäre Musik vom Radio oder Band erscheinen lässt, werden sich gleich die strafenden Blicke Feinfühliger richten, strafend, weil sich der Betreffende gegen einen in ihrer Sicht für alle Anwesenden verbindliche Norm vergangen hat. Eine Norm, die niemand erlassen und sanktioniert hat, die vielmehr von der feierlichen oder zarten Stille ausstrahlt.“ Und so weiter, findet sich leitmotivisch in seinem gesamten Werk immer wieder. Es finden sich [in seinem Werk] immer wieder Betrachtungen über die Stille.

Und über das Phänomen der Faszination. „Faszination“, ein Wort, das ja eigentlich Fesselung bedeutet; übrigens der erste Denker, der die Faszination in diesem umfassenden Sinne als Fesselung verstanden hat, war der von mir ja, wie Sie wissen, sehr geschätzte Giordano Bruno, wenig bekannt. Giordano Bruno hat um 1589/90 eine kleine Schrift geschrieben. „De vinculis in genera“, über die Fesseln im Allgemeinen, wo er fast im Vorgriff auf die Jahrhunderte später erst entwickelte Leib-Philosophie von Hermann Schmitz, diese Vorgänge als Fesselung beschreibt, dass also leibliches Kommunizieren immer einer Fesselung entspricht und im Sinne Schmitzs eine Einleibung, zum Beispiel, dass Jemand beobachtet einen Seiltänzer, der also mit einer Stange balanciert und in atemloser Spannung gibt es eine, wie man trivial sagt, eine Identifizierung, aber im Grunde genommen, sagt Schmitz, ist es weniger eine Identifizierung als eine spontane, synchrone Einleibung. Ein quasi-Leib überwölbt und durchdringt den ganzen Kontext, die ganze Situation.

Kritisch, negativ könnte man sagen, das ist ja eine mythologische Denkfigur, die hier wieder aufgegriffen wird. Das ist nicht so, ich muss das noch mal klar sagen. Schmitz ist da sehr präzise. Es geht nicht darum, ich möchte das noch mal betonen, eine vormentale Form von Numinosität und allseits ergreifenden Mächten in unserer Zeit wiederzubeleben. So nicht. Aber es geht sehr wohl darum, dieser ohnehin uns ständig begleitenden und ständig bestimmenden und durchstimmenden Wahrnehmung eine Würde wieder zuzugestehen, eine eigene Dignität und eine Genauigkeit der Beobachtung und eine Genauigkeit der Sprache. Gerade damit wir nicht auf eine unkontrollierte und unreflektierte Weise hineinfallen in solche ergreifenden numinosen Vorgänge, wie das ja zum Beispiel, Sie kennen das vielleicht, der Psychologe C. G. Jung am Beispiel des Nationalsozialismus verdeutlicht hat, dass die Deutschen ergriffen worden seien, seine berühmte These, von einem Wotan-Archetypus, also einem gewaltig ergreifenden numinosen Etwas.

In der Psychotherapie und der Psychoanalyse findet man natürlich auch derartige ergreifende Wesenheiten, etwa unter dem Titel der Komplexe, der Minderwertigkeits­komplex zum Beispiel. Also, die Komplexe in der Psychoanalyse sind ja ähnliche, ergrei­fende, bestimmende Wesenheiten oder auch die Jung’schen Archetypen. Da taucht das ja auf mit anderer Sprache, in anderer Begrifflichkeit, aber da hat man das ja auch, dass also den Menschen etwas ergreift, was sein Ich weit übersteigt und was er eben nicht ohne Weiteres abschirmen kann, also wo er nicht seine kleine Ichhaftigkeit einfach so einzemen­tieren kann, dass das nicht durchdringt, sondern das ist immer da. Das durchwaltet uns ständig, das ist eigentlich unsere alltägliche Erfahrung. Und das ist der Grundansatz von Schmitz: unsere alltägliche Erfahrung, das was jeder kennt und jeden Tag ohnehin lebendig wirklich schaut, wahrnimmt, dem eine Sprache zu geben, und zwar keine verschwommene, keine fluktuierende und auch im engeren Sinne keine dichterische Sprache, obwohl es bestimmt Begriffe gibt, die auch etwas quasi-Poetisches haben, sondern eine sehr genaue, eine phänomenologisch genaue Begrifflichkeit. Und das mit Engung und Weitung hört sich zunächst sehr simpel an. Engung und Weitung als Grundpulsation des Lebendigen, es [ist] fast banal. Aber wenn man das weiterdenkt, dann hat das erstaunliche Konsequenzen für auch das eigenleibliche Spüren, was ist Engung, was ist Weitung. Das kann man ja im Atmen ganz genau spüren. Wo gibt es eine Weitung, die dann wieder umschlägt, eigen­tümlich, in eine gespannte Engung, die dann wieder in eine Weitung ausläuft, in der ständigen, lebendigen Pulsation. Das macht ja überhaupt den Prozess des Lebendigen hier aus.

Also, Phänomenologie in diesem Sinne: das Ernstnehmen, was sowieso uns alle bestimmt, da müssen wir nichts dazu erfinden. Und Schmitz baut auch keine Metaphysik an diese Stelle und will es auch gar nicht, sondern er betrachtet die Phänomene. In diesem Sinne ist es Phänomenologie und erhebt allerdings einen erheblichen Anspruch, wo ich sagen würde, den er in der Form nicht einlösen kann. Der ist vielleicht auch nicht einlösbar, einen neuen Schritt im Selbstverständnis des Menschen zu leisten. Den Anspruch erhebt er, also eine neue Anthropologie zu schaffen, den Menschen also nochmal ganz neu zu betrachten und alle Dogmen und Hypothesen, ja Fiktionen von Innen, Außen, Innenwelt, Außenwelt, Seele, Geist, Körper erst einmal zu den Akten zu legen und [zu] sagen, das ist ja nicht das, was beobachtet wird. Und da liegt die kolossale Faszination dieses Denkens, dass dieses Denken tatsächlich diese Beobachtung vollkommen ernst nimmt. Und das finde ich spannend und hochinteressant und das wird auch mich weiterhin beschäftigen.

Und wir haben jetzt noch ein bisschen Zeit, in zehn Minuten, ein paar Fragen zu stellen.

Ich bin hier mal heute als Jemand aufgetreten, der quasi den Schmitz in den Mittelpunkt gestellt hat. Hab mal mein eigenes Ding eher zurückgehalten, zurückgestellt, das war mir für heute wichtig. Ich will dann das nächste Mal jetzt mehr von meinen eigenen philos­ophischen Ansätzen aus die Frage der Zeit behandeln. Und zwar nicht Zeit in einem abstrakt philosophischen oder physikalischen Sinne, auch nicht im naturwissenschaft­lichen Sinne, sondern Zeit im Sinne der Leibes-Phänomenologie. Also wie wirkt Zeit? Was ist zum Beispiel die leiblich erlebte Gegenwart? Wie manifestiert sich das? Was ist für den Leib Vergangenheit ‒ und diesen ganzen Bereich, also der Zeitwahrnehmung in der Leibes-Phänomenologie mal darstellen am Prozess, am Prozesshaften, am Prozessualen, am Rhythmischen zeigen. Das ist ja eine wesentliche Komponente der Zeit, [das] ist ja nicht einfach das Fließen, das lineare Fließen, sondern [das] ist ja das Rhythmische, die Pulsa­tionsbewegung, das rhythmisch Prozessuale, wenn man das so nennen will. Gut.

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Die Frage des Leibes – Naturphilosophie als Leibphilosophie

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil III
In-der-Welt-Sein, Im-Leib-Sein. Zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 2000Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 35

Transkript als PDF:


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Wie generell in den letzten drei, vier Jahren kehre ich in gewisser Weise aus dem Kosmos zurück auf die Erde im Sommer. Ich glaube, die letzten drei Wintersemester [habe ich] im weiten Sinne Fragen der Kosmologie behandelt: Mensch, Erde, neue Naturphilosophie, neue andere Kosmologie und in den letzten drei Sommersemestern weit gefasst Fragen von Ökologie, von Geomantie, von Polarität in der Erfahrung hier auf der Erde, eben auch in der Leib-Erfahrung. Insofern ist die Frage des Leibes uns immer wieder schon begegnet. Ich habe heute zum ersten Mal seit vielen Jahren die Leibfrage jetzt in den Mittelpunkt gerückt, also das lebende Buch der Natur, Teil 3 heißt jetzt „In der Welt sein, im Leib sein – Zur Philosophie und Phänomenologie des Leibes“.

In-der-Welt-sein, das ist ja ein Begriff, ein Terminus, der auf Heidegger zurückgeht. In seiner Zeit, 1927 taucht er auf und meint, kurz gesagt, kurz gefasst, eine elementare Grundgegebenheit der Existenz. Der Mensch ist nicht einfach im Nirgendwo. Er hängt nicht in einem Irgendwo, sondern er hat einen konkreten Ort. Der Mensch ist nicht ortlos, er ist nicht weltlos, sondern er hat einen Ort in der Welt. Ja, er ist seinem Wesen nach ein Wesen, was sich bestimmt durch das in-der-Welt-sein. Das mag sich fast banal anhören, ist aber keineswegs banal, denn die traditionelle Philosophie hat diesen Sachverhalt, der sich auch, wie wir sehen werden, über die Leiblichkeit vermitteln lässt, in großen Teilen ausge­klammert. Das In-der-Welt-sein wurde weitgehend eliminiert. Also In-der-Welt-sein ‒ ich spreche eher und vielleicht prägnanter noch in meinem Kontext von In-sein des Menschen. Also der Mensch ist ein In-sein-Wesen. Seinem Wesen nach ist er immer innerhalb absoluter und relativer Zusammenhänge. Es gibt ein Darin des Menschen und dieses Darin ist unter anderem der Raum und der Kosmos. Der Mensch ist ein Im-Kosmos-sein-Wesen, das ist wichtig.

Philosophie und Phänomenologie des Leibes. Was heißt das? Phänomenologie ist ein Begriff, das will ich kurz erläutern, der nicht selbstverständlich ist. Er geht auf die griechische Philosophie zurück und bezieht sich auf die Phänomene, auf das, was erscheint, also ein Phänomen ist etwas, was erscheint. Der Begriff „Welt der Erscheinungen“ als ein Begriff für die phänomenale Welt, die Welt der Erscheinung geht auf Kant zurück. Kant hat den Begriff erfunden, der bis heute übrigens auch in der Naturwissenschaft verwendet wird, die Welt der Erscheinungen. Ein sehr schwieriger, ein auch missverständlicher, ja geradezu diffuser Begriff, denn er wirft sofort Fragen auf: Wenn diese Sinnenwelt eine Welt der Erscheinungen ist, dann erhebt sich sofort die Frage: Was erscheint da? Was ist dieses Erscheinende, und für wen erscheint es? Und das hatte ja Kant ziemlich eindeutig beant­wortet: Diese Welt ist eine Welt der Erscheinungen für ein bestimmtes Subjekt, für das, was er das transzendentale Subjekt nannte, also nicht unbedingt für den je Einzelnen, sondern für das transzendentale Subjekt, was jeder Einzelne in sich trägt und ist. Und das hat große Verwirrung und ungeheuer viel Diskussion ausgelöst. Was erscheint da eigentlich? Und was verbirgt sich in dieser Erscheinungswelt? Und das wird uns also beschäftigen. Und Phänomenologie des Leibes bezieht sich auf das In-der-Welt-Sein im Hinblick auf die Frage, welche leiblich erfassbare, leiblich erfahrbaren Phänomene lassen sich in einen konsisten­ten philosophischen Zusammenhang bringen?

Das setzt voraus, dass man überhaupt diese Phänomene erkennt, dass man sie überhaupt zulässt und dass man eine Sprache dafür hat. Das ist ja nicht selbstverständlich, dass man eine Sprache findet für das eigene Im-Leib-sein, das eigene In-sein auch als Leib­wesen. Und wenn man die Philosophiegeschichte sich anschaut, dann stellt man fest, dass die Sprache, was diesen Bereich betrifft, eher unterentwickelt ist, dass sie also erst einmal in erster Lesung weitgehend nuancenlos ist, dass viele bedeutende Philosophen oder die als solche gelten, kaum etwas ausgesagt haben über die ungeheure Differenzierung, die unvorstellbare Subtilität der Leiberfahrung. Das findet man eigentlich erst in Ansätzen bei Schopenhauer, vorher fast überhaupt nicht. Bei Schopenhauer, bei Nietzsche und dann bei anderen, Husserl, Heidegger und andere, auch Sartre zum Teil, findet man also den Versuch, die Leiberfahrung auch sprachlich auszudifferenzieren.

Am extremsten und faszinierendsten bei einem zeitgenössischen Philosophen, der in diesem Semester eine große Rolle spielen wird, bei dem Philosophen Hermann Schmitz, einem mittlerweile emeritierten ehemaligen Philosophieprofessor aus Kiel, der in einem riesigen Werk wie kein anderer Leib-Philosophie betrieben hat, die er Neue Phänomeno­logie nennt, und wie kein anderer in einer ungeheueren Breite und auch sprachlichen Differenzierung und einem ungeheuren Nuancenreichtum Dinge philosophisch quasi in die Sprache, überhaupt in die philosophische Dignität gehoben hat, die bis dahin gar nicht sprachlich-philosophisch in Erscheinung getreten waren. Also auf faszinierendste Weise, bis in Kleinigkeiten hinein, bis in das Spüren der Gliedmaßen, das Spüren von Atmo­sphären. Also das ist ein ganz wichtiger Punkt im Kontext dieser Phänomenologie, und das will ich in diesem Semester versuchen zu entwickeln, dass wir ja alle, wenn wir erfahren, auf eine ganzheitliche Weise immer in bestimmten Psycho-Atmosphären stehen, auch in diesem Raum zum Beispiel, in diesem Moment. Wir sind ja immer in bestimmten Psycho-Atmosphären. Das hat die Philosophie weitgehend unbeachtet gelassen. Die Naturwissen­schaft auch, weil Psycho-Atmosphären sind kein Gegenstand der objektivierenden, exakten, der mathematisierenden Naturwissenschaften. Das ist sozusagen nur subjektiv in Anführungszeichen. Und da spiegelt sich eine uralte Trennung, die desaströs gewirkt hat, dass man auf der einen Seite das sogenannte Objektive, das Mathematisierbare, das technisch Umsetzbare vollkommen abgespalten hat von dem sogenannten Subjektiven, von dem sogenannten subjektiven Fühlen, von dem gesamten Bereich der Subjektivität über­haupt.

Sie kennen ja alle wahrscheinlich die berühmte Lehre von John Locke über die primären und sekundären Sinnesqualitäten. Da wurde ja gesagt, gut, die primären Sinnesqualitäten, das eigentlich Objektive sind die Dinge in ihrer Gegenständlichkeit in der Ausdehnung, Raum-Zeitlichkeit, in ihrer Bewegung, in ihrer Substanzhaftigkeit, in ihrer Materialität. Der Rest, Farben zum Beispiel, Empfindungen für Phänomene, ganzheitliche Zusammenhänge usw., Gefühle, all das ist subjektiv. Insofern ist es grundsätzlich nicht objektivierbar. Das hängt ja auch mit den Antinomien [nicht sicher] zusammen, die dann immer behauptet worden sind zwischen Männlichem und Weiblichem, die Frau, das Weibliche, die Frau hat das Gespür für die Psycho-Atmosphären, spürt intuitiv raus, was los ist, welche Atmo­sphäre vorherrscht, während der Mann in diesem eher objektivierenden Sinne eigentlich die Psycho-Atmosphäre von Vorgängen eher draußen vor lässt. Und das ist ein spannender Punkt. Und das will ich auch versuchen, in diesem Semester so darzustellen: das Klima, die Aura, die Psycho-Atmosphäre unserer Leib-Erfahrung ist tatsächlich konstituierend für Erfahrung überhaupt. Das geht bis in feinste Wahrnehmungen, auch jetzt im meteorolo­gischen Sinne, klimatischer Zusammenhänge, auch geographischer Zusammenhänge. Und das alles spielt in die Wahrnehmung von Welt ganz entscheidend mit hinein, also die Atmosphäre.

Ich will mal ein konkretes Beispiel nennen, wo das besonders deutlich geworden ist, was Psycho-Atmosphäre auch im Wissenschaftsapparat bedeutet. Damit ist man jetzt an einem konkreten Beispiel. Es war am 5. April in der Urania eine große Diskussion im Jahr der Physik 2000, das Jahr der Physik. Sie wissen es vielleicht. Die Urania hat ein großes Happening, kann man sagen, gemacht, mit hochkarätigen Physikern, „Reise zum Urknall“. Die Urania war voll mit Schaubildern, mit Physikern, die den Laien erklärt haben, wie das Weltall funktioniert in ihrer Sicht. Und dann gab es da eine Podiumsdiskussion an diesem 5. April mit Top-Physikern über den Urknall. Ich saß mit auf dem Podium, ich war eingeladen. Humboldt-Saal, 600 Leute im Saal. Was ich sagen will, ist Folgendes: Im Vorfeld saßen wir in einem Raum zusammen, das war eine Art Vorbesprechung über diese Fragen und ich spürte Psycho-Atmosphäre, sage ich mal, eine ganz dichte, schwierige Atmosphäre, was das Thema betrifft, denn ich spürte sofort, das wusste ich auch theoretisch, intellektuell, also mental, aber ich spürte es auch wirklich fast physisch, dass ein vollkommenes Einver­ständnis herrschte in diesem Kreise der Physiker über die Faktizität dieses ominösen Urknalls. Nun bin bin bekannt dafür, dass ich den Urknall für eine Fiktion halte und für schlecht gestützt. Und ich spürte also sozusagen einen fast physischen Druck in dieser Gruppe. Und ich spürte auch, dass das mich beeinflusste im Vorfeld dieser Diskussion, also eine merkwürdige Aura herrschte. Ich wusste auch, die würde im Saal herrschen, weil vorne, die ersten Reihen waren besetzt mit Physikern der Deutschen Physikalischen Gesell­schaft und viele auch aus dem Wissenschaftsministerium waren anwesend, da ja eine sozusagen Co-Produktion der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit dem Wissen­schaftsministerium [stattfand]. Und es bedurfte einiger sozusagen konzentrativer Übungen, um dann diese Psycho-Atmosphäre soweit abzustreifen, dass ich dann mit einer relativen Freiheit die Dinge dann auch wirklich sagen konnte, die nach meiner Überzeugung zu sagen waren. Und das gilt generell für solche Zusammenhänge.

Es gibt auch in den großen Wissenschaftsapparaten immer ganz bestimmte Psycho-Atmosphären, die bis in die Resultate der Experimente hinein gehen. So weit geht das. Es gibt also nicht nur einen Gruppendruck, dass ganz bestimmte favorisierte Theorien bestätigt werden müssen. Wenn dann Messwerte auftauchen, die sie widerlegen, dann wird es schwierig. Nein, es gibt auch ein gesamtes Klima, und das ist nicht Thema von Wissen­schaft. Das wird überhaupt nicht im eigentlichen Sinne philosophisch und wissenschaftlich thematisiert.

Also um diese Fragen soll es gehen: Phänomenologie des Leibes. Was ist Leib? Ich habe ganz bewusst diesen Begriff benutzt, der ja nicht Körper ist und will mal versuchen einleitend, das überhaupt klarzumachen. Körper im Sinne der Physik ist ein Etwas, ein raumzeitlich dringliches Etwas. Der Tisch ist ein Körper, dieses Gestühl, das sind Körper. Wir als Gestalten, als Leib-Wesenheiten sind auch, sofern wir physisch-sinnliche Körper sind, Körper, wir sind Körper wie andere Körper auch, der Gravitation unterworfen und damit der Gesamtheit dessen, was die physisch-sinnliche Welt physikalisch bestimmt. Das sind wir auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber sind wir gleichzeitig mal, unabhängig von der Frage, was wir als Seele sind, was wir als Geist sind, sind wir als Leib-Wesen nie identisch mit dem Körper. Das kann man mit einer ganz einfachen Grundwahr­nehmung sich vergegenwärtigen, wenn man mal den Versuch macht, bei geschlossenen Augen in den eigenen Körper hineinzuspüren. Was nimmt man wirklich wahr? Es ist erstaunlich, ich kann Ihnen das ja mal sozusagen als meditative Denk-Übung quasi nahe­legen. Man staunt, wenn man sich mal dieser Erfahrung überlässt, was man wahrnimmt, auch das, was man nicht wahrnimmt. Es ist nämlich verblüffend, dass man in keiner Weise sich selber in Gänze als Körper wahrnimmt. Man nimmt sich selber von innen als Leib eher undeutlich wahr. Das Ganze ist ein undeutliches Etwas, ein fast fließendes Gebilde, ein fluktuierendes Gebilde der Innenwahrnehmung, in dem sich, wie das Hermann Schmitz sagt, verschiedene sogenannte Leibes-Inseln befinden. Sie können das wirklich meditativ in der Selbsterfahrung versuchen rauszuspüren: Sie haben große Schwierigkeiten, eine klare Topografie ihres eigenen Körpers zu finden nur vom leiblichen Spüren aus.

Auf der anderen Seite haben sie eine Leib-Empfindung, eine Spürfähigkeit, die weit über den physischen Körper hinausreicht. Sie sind sozusagen leiblich immer viel mehr, sind viel weiter, sind viel ausgedehnter als der physische Leib. Anders als der physische Leib, als der Körper, andererseits wiederum weniger. Zum Beispiel die ganze organische Innenaus­stattung des Menschen, die inneren Organe sind im Normalfall nicht bewusstseinsfähig. Der Mensch läuft also gewissermaßen, um das mal etwas plakativ zu sagen, als Hohlraum durch die Welt. Innen ist er vollkommen hohl in der Selbstwahrnehmung. Das ist wichtig. Es geht hier um Bewusstseins-Phänomenologie, es geht nicht um Anatomie, es geht nicht um Physiologie, es geht nicht um Medizin. Es geht um die Selbstwahrnehmung. Und das hat der Hermann Schmitz auf eine wunderbare Weise in seinen Büchern zum Ausdruck gebracht, wie kein anderer. Also Leib ist Wahrnehmung, spürende Wahrnehmung von innen, die natürlich Berührungspunkte hat mit der physisch-sinnlichen Körperlichkeit. Aber das ist nicht deckungsgleich. Sie können das beobachten: etwa ein Schmerz, ein Kopfschmerz. Wo sitzt der Kopfschmerz? Sie können sagen, gut, das ist Pochen, das ist Ziehen, das ist bohrend, Sie können versuchen, diesen Kopfschmerz zu beschreiben. Sie werden aber feststellen, dass Sie immer in eine gewisse diffuse Form der Wahrnehmung hineinkommen, dass Sie Mühe haben, das Ganze streng organisch-sinnlich zu lokalisieren. Ganz zu schweigen davon, Traurigkeit, ist ja eine Gefühlsqualität, ist ja kein Wahn. Wer traurig ist, ist ja wirklich traurig. Wo sitzt die Traurigkeit? Was ist eine Bedrücktheit? Was ist eine freudige Erregung? Was ist eine erotische Erregung? Wo sitzt das? Das ist immer ganz leiblich und gleichzeitig sehr schwer im Einzelnen wirklich zu festzumachen. Man ist da also in einem schwierigen Bereich, der wirklich bis vor Kurzem überhaupt nicht philosophiefähig war.

Die Philosophen haben es überhaupt nicht für wert befunden, über diese Fragen ernsthaft nachzudenken. Das fanden sie überhaupt kein Thema, was sich lohnt, intellektuell theoretisch zu behandeln. Das ist schade und … denn es gibt da sehr, sehr viel Faszinie­rendes zu entdecken. Ich bringe mal ein kurzes Zitat aus einem Büchlein von Hermann Schmitz, ist auf der Literaturliste drauf, wo er in wunderbar knapper Form seine Definition des Leibes gibt. Also ich habe ja plakativ gesagt, Leib ist der Körper von innen, ist einerseits mehr als der physische Körper, auf der anderen Seite weniger als der physische Körper. Nicht, das geht ja bis in die Frage, das kennen wir, diesen Punkt, der Phantom-Gliedmaßen hinein. Phantom-Gliedmaßen etwa nach Amputationen werden ja wie reale Körperteile empfunden, ganz real empfunden, obwohl sie physisch-sinnlich nicht vorhanden sind. Also der Leib, Hermann Schmitz „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. Zitat Hermann Schmitz: „Unter dem eigenen Leib eines Menschen verstehe ich das, was er in der Gegend seines Körpers von sich spüren kann, ohne sich auf das Zeugnis der fünf Sinne Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken und das perzeptive Körperschema, das heißt des aus Erfahrungen des Sehens und Tastens abgeleiteten habituellen Vorstellungsgebildes vom eigenen Körper zu stützen.“

Das perzeptive Körperschema ist die ganzheitliche Körperempfindung, die jeder hat von sich selber. Jeder von uns hier im Raum hat eine ganzheitliche Grundvorstellung wie er aussieht, wie er im Raum ist. Das haben übrigens zum Teil auch Tiere, denken Sie an das ganze Phänomen der Mimikry. Also offenbar in irgendeiner Form ein Körperschema, das nennt Hermann Schmitz das perzeptive Körperschema. Also, „der eigene Leib ohne dieses perzeptive Körperschema und ohne die fünf Sinne. Der Leib ist besetzt mit leiblichen Regungen wie Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Atmung, Behagen, affektives Betroffensein von Gefühlen. Er ist unteilbar, flächenlos ausgedehnt“ ‒ das will ich noch im Einzelnen erläutern wenn ich Schmitz behandle ‒ flächenlos, dieser innere Leib hat in dem engeren Sinne keine klar definierbare Flächen, keine Außenflächen. Er endet nicht bei der Haut­oberfläche, gar nicht. „Er ist unteilbar flächenlos ausgedehnt und als prädimensionales, das heißt nicht bezifferbar dimensioniertes, das heißt nicht-dreidimensionales Volumen, das in Engung und Weitung Dynamik besitzt.“

Also das wird uns ja noch beschäftigen mit dem Raum. Dieser Raum des Leibes ist nicht im eigentlichen mathematisch-geometrischen Sinne oder euklidischen Sinne ein dreidimensionaler Raum. Das ist wichtig. Er ist, wie das Hermann Schmitz sehr schön sagt, vordimensional. Er ist also eine Art Raum, entsteht aus einem Raumgefühl vor der euklidischen Dreidimensionalität. „Man macht sich das leicht am leiblich spürbaren Einatmen klar. Es wird in Gestalt einer Insel in der Brust oder Bauchgegend gespürt, in der simultan Engung und Weitung konkurrieren, wobei anfangs die Weitung und später gegen Ende des Einatmens die Engung überwiegt. Kontraktion und Expansion. Diese Insel ist voluminös, aber weder von Flächen umschlossen, noch durch Flächen zerlegbar und daher auch nicht dreidimensional, sie ist nicht teilbar.“ Es ist wirklich eine Ganzheitlichkeit. „Da die Drei als Dimensionszahl nur aufsteigend von der Zwei hier sinnvoll eingefügt werden kann. Solch ein prä-dimensionales Volumen kommt auch in anderen Erfahrungsbereich vor, etwa im Wasser für den Schwimmer, der nicht auf die Oberfläche blickt und als Schallvolumen, das beim schrillen Pfiff scharf, spitz und eng ist, beim dumpfen Gong oder Glockenschlag aber ausladend, weit und weich. Der Leib ist fast immer, auch zum Beispiel [beim] heftigen Schreck von solchen Leibes-Inseln besetzt. Ein Gewoge verschwommener Inseln, die sich ohne stetigen Zusammenhang meist flüchtig bilden, umbilden und auflösen. In einigen Fällen aber auch mit mehr oder weniger konstanter Ausrüstung verharren, dies besonders im oralen und analen Bereichen und an den Sohlen. Also erstaunlich, der erste Philosoph der Geschichte, der auch die analen Empfindungen für philosophiewürdig hält ‒ erstaunlich.

„Solche Leibes-Inseln kommen auch außerhalb des eigenen Körpers vor, zum Beispiel als Phantomglieder der Amputierten. Seine Einheit erhält der Leib nicht durch einen stetigen Umriss, seine Haut kann man besehen und betasten, aber nicht am eigenen Leib spüren. Die Weckung von Aufmerksamkeit auf die eigene Haut in der Vorstellung anhand des perzeptiven Körperschemas kann allerdings die Sensibilität für das Spüren von Leibes-Inseln steigern. Die Einheit des Leibes ist einerseits dynamisch durch die Gebun­denheit an die Enge in Gestalt einer Engung oder Spannung, die entweder aktuell gespürt wird oder in Abwesenheit indirekt aufdringlich.“ Also … und so weiter. Also, wir haben in dem, was hier als Leib bezeichnet wird, eine innerleibliche Erfahrung des Spürens. Diese ist nicht, ich sage es noch mal, im euklidischen Sinne dreidimensional und auch nicht mathe­matisch-geometrisch zu fassen. Es hat eine Unschärfe. Wenn Sie das versuchen, werden Sie immer große Schwierigkeiten haben, dieses Volumen in irgendeiner Form räumlich präzise zu bestimmen.

Warum das wichtig ist, warum solche Fragen überhaupt wichtig sind, ist nahe­liegend. Wenn man mal einen Blick wirft auf die geistige Gesamtsituation und auf das, was man seit 20, 25 Jahren als ökologische Krise bezeichnet, dann ist das ganz eindeutig. Es ist ja in den letzten zwanzig Jahren unendlich viel diskutiert und geschrieben worden über die Frage: Was ist eigentlich diese sogenannte ökologische Krise? Wie kommt es eigentlich, dass der Mensch, das tut er ja offenbar unaufhaltsam, seine sogenannten natürlichen Lebensgrundlagen zerstört? Er tut es unaufhaltsam, Tag für Tag. Er mag als Einzelner das ablehnen, ja geradezu moralisch verurteilen. Aber das Gesamte, die gesamte sogenannte Megamaschine rollt, wie man vermuten muss, vollkommen ungebremst weiter, und alle Bemühungen, das zu verstehen oder gar zu modifizieren oder zum Stoppen zu bringen, sind bislang gescheitert. Man hat den Verdacht, dass etwas fundamental gar nicht verstan­den worden ist, dass wir offenbar gar nicht verstanden haben, was wirklich passiert. Und es ist ja eine von vielen Interpretationen, die immer mit einigem Recht abgegeben worden sind, sozusagen: Der Mensch hat eine Abspaltung vollzogen. Und wenn von Abspaltung die Rede ist, dann wird häufig ins Spiel gebracht, ich habe das ja auch in verschiedenen Zusam­menhängen gesagt, eine Abspaltung auch von der eigenen Leiblichkeit. Wenn [es] seit ebenfalls 20, 25 Jahren einen ungeheuren Boom sogenannter Körpertherapien gibt, dann ist das ja ein Symptom dafür, dass eine zunehmende Zahl von Menschen einfach begreift, dass es darum geht, was Ken Wilber sagt [nennt] „to reown the body“, den Körper in gewisser Weise wiederzufinden, also Körpertherapien als Versuch, in diesem Sinne den Leib oder den Körper bzw. den Leib zurückzugewinnen.

Ich spreche im Zusammenhang mit der ökologischen Krise von einer kollektiven Neurose, einer kollektiven Abspaltung, die passiert ist, und zwar eine kollektive Abspaltung in doppelter Hinsicht durch die, ich will das nicht im Einzelnen hier ausführen, ich werde das in vierzehn Tagen nochmal darstellen im Zusammenhang mit der Entstehung des mentalen Selbst. Im Zuge der Entwicklung der Genesis, der Evolution des mentalen Selbst hat sich ein Ich herausgebildet, das erst einmal weitgehend von allem Leiblichen sich frei wähnt, ja seine eigentliche Würde darin zu finden glaubt, wo der Leib nicht ist. Nicht, wenn man Natur im allgemeinsten Sinne als das verstehen möchte, was von sich aus ist, im Sinne auch einer anerkannten antiken Definition, also der Natur das von sich aus Seiende, dann ist ja ein Problem des Menschen als Natur und Leibwesen die Frage: Wo ist das von sich aus Seiende im eigenen Leib? Sind wir … wie kommen wir, wenn wir denn Ich-Wesen sind, quasi leiblose Ich-Wesen, wie kommen wir denn hinein in diese konkrete Leiblichkeit? Das ist eine Frage, die in der ganzen Evolution des Ichs eine ungeheure Rolle gespielt hat und auch natürlich hineinspielt in die ganzen Fragen von männlich-weiblich. Das habe ich in meinem Buch „Was die Erde will“ ja eingehend dargestellt, die Entwicklung also auch der ganzen Geschlechterproblematik in dem Zusammenhang. Auf jeden Fall ist eine Abspaltung passiert, was ich eine kollektive Neurose nenne.

Eine ganz andere Frage ist, ob das notwendig war, ob das vermeidbar war, ob das ein Irrweg war, eine Fehlentwicklung, das kann man auf sich beruhen lassen. Fakt ist, es ist passiert, und es hat eine ganz bestimmte Form des In-der-Welt-Sein des Menschen ausge­löst, an deren Folgen wir heute, mit den ungeheuren Trägheitskräften in der Folge, (wir heute) alle leiden. Und das ist ein wesentlicher Punkt, warum natürlich die Frage wichtig ist: Wie steht es eigentlich mit dem, was ich das In-sein des Menschen nenne? Worin ist der Mensch in seiner eigentlichen existenziellen Wesenheit? Und das ist natürlich dann auch eine Frage, was der Mensch überhaupt ist. Und das spielt ja auch in diese ganze Thematik mit hinein: Was ist der Mensch? Ist der Mensch, als der er ja generell von vielen gesehen wird, ein höheres Tier? Ist er letztlich so zu definieren? Oder ist er anders und von einer höheren Ebene aus zu definieren und zu bestimmen, das ist ganz zentral wichtig. Die Frage: Was ist der Mensch? Ist der Mensch ein höheres Tier, was ja eine mögliche Betrachtungs­weise ist, oder ist der Mensch eine Geist-Seele-Gestalt, eine Geist-Seele-Leib-Gestalt in einem ganzheitlich verstandenen Kosmos, der ihn trägt, bestimmt und ermöglicht. Aller­dings mit der Freiheit, sich auch geistig-mental von all dem zu trennen, denn das muss als Möglichkeit ja im Menschen liegen, sonst würde es nicht passiert sein. Da kommt das Mysterium der Freiheit ins Spiel. Der Mensch hat über die Freiheit die Möglichkeit, sich auch gegen das Ganze zu entscheiden. Die Größe und auch die Tragik des Freiseins im Menschen. Diese Entwicklung, was ich die kollektive Neurose nenne, geht bis in die feinsten Verzweigungen auch der Sprache hinein und hat unsere gesamte Begrifflichkeit in ent­scheidender Weise mitgeprägt. Und das muss man wissen, um überhaupt eine Wahr­nehmung dafür zu gewinnen, was hier an Terrain wiederzugewinnen ist, wenn von Leib die Rede ist, was an ungeheuerem Nuancenreichtum wiederzugewinnen ist.

Auch hier nochmal kurz ein Zitat von Schmitz aus diesem Büchlein „Der Leib, der Raum und die Gefühle“. Er nennt seine Sichtweise „Neue Phänomenologie“ und grenzt sie ab zu Heidegger und Husserl. Also „Neue Phänomenologie“. Er schreibt hier ganz am Anfang: „Die Neue Phänomenologie widmet sich der Aufgabe, die Abstraktionsbasis der Theorie und Bewertungsbildung tiefer in die unwillkürliche Lebenserfahrung hineinzulegen. Unter der Abstraktionsbasis einer Kultur verstehe ich“ ‒ Hermann Schmitz ‒ „die zäh prägende Schicht vermeintlicher Selbstverständlichkeiten, die zwischen der unwillkürlichen Lebens­erfahrung einerseits, den Begriffen, Theorien und Bewertungen andererseits den Filter bildet. Die Abstraktionsbasis entscheidet darüber, was so wichtig genommen wird, dass es durch Worte und Begriffe, Eingang in Theorien und Bewertungen findet. Deshalb sind gegensätzliche Theorien und Bewertungen derselben Abstraktionsbasis möglich. Die Abstraktionsbasis einer Kultur wird teilweise durch die Suggestionskraft sprachlicher Strukturen, zum anderen Teil durch epochale geschichtliche Prägungen bestimmt.“ Wir wissen es oft gar nicht mehr, wie sehr wir ganz zentral durch epochale Prägungen der Sprache, der Begrifflichkeit auf suggestivste Weise geprägt sind, dass wir einen Filter, wie einen Bewusstseinsfilter aufhaben, was [ist] überhaupt ein bewusstseinswürdiges Phänomen, ein denkwürdiges Phänomen und was wird von vornherein ausgeblendet, in den Nebelraum bloßer Subjektivität.

Nicht, das ist ja, viele Menschen fühlen sich ja auch heute in diesem technisch- abstraktionistischen Gesamtsystem in ihrer eigenleiblichen Form und ihrem Subjektiven in der Weltzeit völlig alleingelassen. Sie haben das Gefühl, das zählt überhaupt nicht. Es gilt nichts. Es hat keine Würde. Es ist letztlich geistig-philosophisch nichts wert. „Wir stecken gleichsam in einem Urwald geschichtlicher Vorprägungen, der nicht durch den bloßen Entschluss zur Unbefangenheit in freies Feld verwandelt werden kann.“ Das geht nicht. Man kann nicht sagen, ich möchte das jetzt, ich will das, sondern das ist harte geistige Arbeit, das wirklich zu leisten, ganz tief auch in die Begriffe reingehen und versuchen zu zeigen, woher stammt das, in welchem geschichtlichen Kontext ist das entstanden, und was heißt das für hier und jetzt? Viel mehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen, um in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzung zu werden.“ Was sehr schwer ist, weil Jeder von uns natürlich selbstverständlich in einer Fülle von Voraussetzungen steckt. Jeder Einzelne von uns steckt wirklich in dieser Art Urwald von Prämissen, dem, was wir ständig unhinterfragt voraussetzen. Viele wissen das gar nicht mehr, was sie ständig voraussetzen. Das kann man aber hinterfragen. Da kann man nachfragen. Und es ist hochinteressant und einen Punkt, der mich seit vielen Jahren immer wieder beschäftigt, die Frage: Was setzen Menschen voraus, ohne darüber nachzudenken?

Viele, im normalen Sprechen, stellen Theorien auf, sind Anhänger von Theorien, von Weltanschauungen, von religiösen Überzeugungen und so weiter und sind sich oft über­haupt nicht darüber im Klaren, was sie bis in die Feinheiten ihrer Begrifflichkeit ständig schon voraussetzen. Also das ist ein ganz entscheidender Punkt, der hier bedacht werden muss. Setze ich also voraus, dass ich ich bin, dass ich eine eigene, gleichsam metaphysische Entität bin, oder gehe ich von vornherein davon aus, dass ich ich bin eigentlich keine Rolle spielt, zum Beispiel. Und das wird uns auch beschäftigen, im Zusammenhang mit dem Leib ist das entscheidend wichtig, die Ich-Frage. Was ist das Ich? Wo sitzt das Ich im Kopf, in der Brust, in den Beinen, oder ist es hinten, ergreift mich quasi von Außen. Wo ist das Ich? Auch das ist eine Frage, die, wenn man der mal versucht auf den Grund zu gehen, abgründig ist. Wo ist der ontologische Ort des Ich? Hat es solchen Ort? Gibt es den Ort des Ich? Oder ist das Ich quasi ortlos, raumlos, gleichsam auch weltlos? Also die Frage ist auch für diese ganze Thematik zentral wichtig. Wo sitzt eigentlich das Ich?

Da ist übrigens Hermann Schmitz sehr radikal. Man kann auch sagen: zu radikal, weil in gewisser Weise einseitig, weil er versucht, erst einmal diese Ichhaftigkeit des Menschen und das was er die „Innenwelt-Hypothese“ nennt von Seele, Geist, Bewusstsein zu demontieren. Er versucht konsequent phänomenologisch bei dem zu bleiben, was tat­sächlich wahrgenommen wird, ohne nun noch ein ichhaftes Substrat dahinter, eine sogenannte Seele, ein Geist, ein Gemüt ‒ wie Kant sagt ‒ ein Bewusstsein zu unterstellen. Das ist nicht konsequent durchführbar, meine ich, und da verwickelt sich auch Schmitz in Widersprüche und Zirkelschlüsse. Aber das kann im Moment mal draußen vor bleiben. Wichtig ist auf jeden Fall die Ich-Frage: Wo ist der Ort des Ich? Der ontologische Ort aber auch der leibliche Ort? Sind wir identisch als Leib mit dem Ich? Kaum. Es wird kaum einer ernsthaft behaupten, dass er in Gänze als physisch-sinnlicher und von innen gespürter Leib dieses Ich ist. Wir haben ja bis in den Sprachgebrauch des Alltags hinein die Vorstellung, dass der Einzelne einen Körper, womit ja eigentlich der Leib gemeint ist, einen Körper hat und nicht dieser Körper ist, auch wenn in einigen Ansätzen der modernen Körpertherapie bis hin in Buchtitel hinein Anderes behauptet wird, etwa ein Buchtitel, ist mir mal vor Augen gekommen: „Ich bin mein Körper“. Ein absurder Satz. Natürlich ein Satz, der ganz bewusst sich wendet gegen eine Abspaltung, die damit demontiert werden soll, als lebensfeindlich denunziert ‒ hier ist das Ich, ein abstraktes Gebilde, ein Geistwesen, das von oben herab irgendwie in die Niederungen des Physischen, Leiblichen sozusagen hinab schaut und von oben das Ganze steuert. Also ganz konsequent und radikal zu sagen: ich bin mein Körper, also ich bin identisch mit alledem. Das würde bei einer vertieften philosophischen Reflexion unmöglich sein, also diese Identität ist so nicht möglich.

Also die Frage „Wo ist das Ich?“ ist zentral wichtig. Wo ist der Geist, der er ja nicht unbedingt das Ich selber ist? Wo ist die Seele, und wo ist der Wille? Oder sind das alles nur Begriffsungetüme, mit denen wir letztlich überhaupt keinen konkreten Wahrnehmungs­inhalt verbinden können? Auch da ist es sinnvoll, mal wirklich in die Tiefen reinzugehen und nicht von vornherein mit Begriffshülsen zu operieren, als ob das Selbstverständlich­keiten seien. Insofern ist es wichtig: Was wird vorausgesetzt?

Was ich gerne und oft auch in meinen Büchern und vielen Vorträgen immer wieder als Subjektblindheit der Naturwissenschaft bezeichne, berührt ja diesen Punkt. Jede Wahrnehmung von Welt, jedes Reden über Welt, jedes Theoretisieren, jedes Diskutieren, jede Wissenschaft, jede Kunst, was auch immer, setzt das lebendige Subjekt voraus. Zu sagen, dieses lebendige Subjekt ist immer der Hase, der schon da ist, so sehr der Hase auch sich abstrampelt, um den Igel zu überholen, er kommt am anderen Ende an, und der Igel, in diesem Falle die Frau des Igels, die aber genauso aussieht wie er, insofern kann er es nicht unterscheiden, sitzt schon da. Das heißt, das lebendige Subjekt ist im Grunde genommen der Igel, der immer schon da ist, so sehr der Hase sich auch halbtot und schließlich wirklich tot läuft. Weil, das ist das Nichthintergehbare, weil alles Denken, Forschen, Meinen, Disku­tieren, Streiten, wie immer, setzt lebendige Subjekte voraus. Und es war eine Tragödie in gewisser Weise, dass in der neuzeitlichen Denkbewegung, vor allen Dingen in den Natur­wissenschaften, das Subjekt vollkommen eliminiert wurde. Natürlich gab es das Subjekt. Es gab nicht nur die einzelnen Forschersubjekte mit ihren ganz speziellen und die spezi­fischen, auch emotionalen Befindlichkeiten, auch ihrem Geltungsdrang, ihrem Bedürfnis nach Preisen, Anerkennung durch andere usw. Es gab auch natürlich immer das Über­subjekt, das unberührte Übersubjekt, was das Ganze wie von außen betrachtet. In Physik-Lehrbüchern, schauen Sie in ein normales Physik-Lehrbuch rein: Man nehme, man tue, man mache, es ist immer ein anonymes „man“. Sie oder ich, der Einzelne in seiner je anderen Spezifik wird überhaupt nicht angefragt, sondern das anonyme „man“, das anonyme Subjekt ist gefragt. Und weil dies so ist, kann man auch von allen Subjektivitäten abstra­hieren. Das macht einen Teil des ungeheuren Erfolges auch dieser Art von Subjektblindheit aus, denn dieser Erfolg ist immens. Das muss man einfach sehen. Dieser Erfolg ist immens. Es war ein ungeheuer erfolgreiches Projekt, das Subjekt erst einmal auf diese Weise zu eliminieren.

Das Subjekt, was hier einbezogen wird in den Fokus der Beobachtung, ist ja nicht das konkrete, lebendige Subjekt, sondern ebenfalls ein anonymes „man“, letztlich eine Art es-haftes Subjekt, nicht der lebendige Einzelne, um den geht es genauso wenig wie auch sonst. Also: „Vielmehr muss man sich durch den Urwald durchschlagen, noch einmal kurz zurück zu Schmitz, um ererbte vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu durchschauen und in hinlänglichem Maß Herr der eigenen Voraussetzungen zu werden.“ Sehr schwer. Ich sage es nochmal, das ist wirklich harte Denkarbeit, um dieser Voraussetzungen Herr zu werden, wenn das überhaupt der richtige Begriff ist, wenn das überhaupt rein mental geht. Wahrscheinlich geht es gar nicht. „Deswegen ist Phänomenologie nur im Zusammenhang mit kritisch-historischer Einstellung sinnvoll. Diese muss für die Zwecke der Neuen Phäno­menologie hauptsächlich den für die Prägung der dominanten europäischen Intellektual­kultur entscheidenden Paradigmenwechsel bei den Griechen in der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhundert ins Auge fassen.“ Das ist naheliegend. Es wird immer wieder gemacht, das tue ich in anderem Zusammenhang auch.

„Die meisten Versuche, sich durch das Labyrinth der Verkünstelungen des Denkens und Wollens durchzutasten, brechen viel früher ab, nämlich bei den großen Barock-Denkern des 17. Jahrhunderts wie Francis Bacon, Hobbes, Galilei, Descartes und Leibniz. Das ist kurzsichtig. Diese Denker haben keine neue Abstraktionsbasis gelegt, sondern auf der ersten weitergebaut und durch Formulierung des Prinzips und der Methode der Welt­bemächtigung“ ‒ ein Begriff von Heidegger, der hier nicht in Anführungszeichen steht ‒ „in der Methode der Weltbemächtigung, das in der längst etablierten Perspektive schlum­mernde Potential zu der folgenden Explosion des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts zu befreien, indem man sich davon mitreißen ließ“ ‒ Heidegger spricht ja vom „Fortriss“ ‒ „indem man sich davon mitreißen ließ, ist die Verkünstelung inzwischen so weit gediehen, dass das Denken den Spezialisten der Computer-Manipulation und das Zeugnis vom Sich-befinden und Zumute-sein der Menschen dem nahezu ausgestorbenen Volk der Dichter überlassen werden muss. Diese Scherung ist gefährlich, weil es unter der ..“ ‒ ist ein sehr schönes Argument, starkes Argument von Schmitz ‒ „diese Scherung ist gefährlich, weil sich unter der Oberfläche der Rationalisierung die ungesichtete Dynamik des affektiven Betroffensein staut.“ Notwendig staut sie sich, weil sie muss ja sich Raum schaffen, sie ist ja eine Bewusstseinsqualität, eine Gefühlsqualität, sie muss ja ihren Raum haben, also „unkontrollierbar staut und irgendwann unkontrollierbar durchbricht. Zum Beispiel in Deutschland unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Deswegen ist die Neue Phänomenologie darum bemüht, die klaffende Spanne zwischen Begreifen und Betroffensein durch Gedanken zu durchleuchten, der unwillkürlichen Lebenserfahrung mit genauen und geschmeidigen Begriffen zu füllen und dadurch das Betroffensein der Besinnung anzueignen.“

Ein sehr starkes Argument, finde ich, weil Schmitz sagt mit einigem Recht, dass gerade weil das sogenannte affektive Betroffensein, der ganze Bereich der sogenannten Gefühle in dem Wissenschaftsklima, was von Objektivität und Abstraktionismus bestimmt ist, praktisch keine Rolle spielt, aber trotzdem da ist. Als lebendige Wirklichkeit jedes Einzelnen, neigt es natürlich dazu, sich zu stauen, weil es ja keinen Raum dafür [gibt]. Beobachtungen haben ja keinen Wert. Einwände aus der elementaren Leib-Erfahrung, etwa gegen eingefahrene, etablierte Theoriegebäude, werden ja schnell abgebügelt als irre­levante, letztlich ignorante Beobachtung. Das ist wichtig, und das finde ich einen kolossal entscheidenden Punkt hier in dieser Wahrnehmung wieder ein Stück Geist und philoso­phischer Würde reinzubringen. Und das setzt, das habe ich vorhin schon gesagt, Genauigkeit in der Wahrnehmung voraus und an der mangelt es überall. Das kann man sehen. Ganz wenige, die diese, sagen wir mal, diese Genauigkeit der Selbstwahrnehmung was das sogenannte leibliche Befinden betrifft, haben, sind die Homöopathen, weil in der homöopathischen Arzneimittelprüfung zum Beispiel oder auch in der Beschreibung von Zuständen von Krankheitsbildern eine ganz präzise Form gefunden werden muss. Wann verstärken sich die Schmerzen ‒ bei Feuchtigkeit, bei Kälte, morgens oder abends, nachts oder mittags usw. Da wird eine genaue Beobachtung vorausgesetzt und kann auch geschult werden. Also das geht, man kann tatsächlich, wenn man mal den Schlüssel gefunden hat für diese Zusammenhänge überhaupt, erstaunlich weit kommen in der Beobachtung dieser Vorgänge. Vielen geht schon von einem bestimmten Punkt an, sage ich mal, die Differen­zierung verloren, weil Begriffe fehlen, weil Kategorien fehlen, weil man überhaupt gar nicht weiß, wie man das irgendwie, sprachlich, geistig überhaupt fassen soll, was da passiert. Das ist ein sehr schwieriges Feld.

Ich glaub ich mach noch mal ne kleine Pause, ein paar Minuten und Sie können sich in der Zwischenzeit mal hier auch noch das Literaturverzeichnis holen, wenn es nicht schon ganz herumgegangen ist. Wir machen 6, 10 Minuten Pause.


[Die Definition] von Schmitz finde ich sehr schön: „Phänomenologie ist das Bestreben, durch systematische Abschälung aller vom Belieben abhängigen Annahmen den harten Boden der Phänomene freizulegen, nämlich der Sachverhalte, die man jeweils als Tat­sachen anerkennen muss, weil man sie nicht im Ernst bestreiten kann.“ Das ist wichtig. Es geht wirklich um den harten Boden der Phänomene und den kann man nur erschließen durch eine große Genauigkeit der Beobachtung und durch eine hohe Differenzierung in der Sprache. Das ist nicht willkürlich, nicht beliebig, gerade das ist es nicht. Es ist nur nicht üblich, nicht verbreitet. Es wird häufig nicht für würdig befunden, überhaupt in die philosophische Reflexion einzugehen.

Und noch kurz, weil es wichtig ist für die gesamte Vorlesung. Ich habe das genannt: „Die Frage des Leibes ‒ Wie lässt sich Naturphilosophie als Leibphilosophie betreiben?“ Weil es immer wieder gefragt wird, nach dem grundlegenden Zusammenhang auch von Naturphilosophie, wie ich sie verstehe und Naturwissenschaft. Ich will das noch mal ganz kurz sagen, obwohl ich das in verschiedenen Zusammenhängen auch immer wieder angedeutet habe. Im strengen Sinne einer vertieften Betrachtung von Natur lassen sich Naturwissenschaft und Naturphilosophie überhaupt nicht voneinander trennen. Punkt 1. Nicht zufällig, auch das sage ich ja öfter, hat sich einer der bekanntesten Naturforscher, nämlich Newton, primär als Naturphilosoph bezeichnet und nicht als Physiker. Das ist also im Grunde gar nicht streng zu trennen. Und doch besteht ein wesentlicher Unterschied, der sich, geschichtlich gesehen, zuweilen darin gezeigt hat, dass Naturwissenschaftler mit einer gewissen Freude und Inbrunst verkünden, sie seien eben keine Philosophen. Das kann man bis in Gespräche…, oder das habe ich häufig in Gesprächen mit Naturwissenschaftlern, Physikern usw. festgestellt. Von einem bestimmten Punkt an kommt der Rückzieher in die Rede: Ja, ich bin kein Philosoph, also das kann und will ich in der Form nicht durchdenken. Hat die Naturphilosophie überhaupt einen eigenen Anspruch? Oder ist sie nicht letztlich nur eine Art Magd der Naturwissenschaft, wie das früher war? [wie auch die] Magd der Theologie? Muss nicht die Naturphilosophie letztlich immer ein Augenmerk richten auf das, was in den Naturwissenschaften passiert und dadurch natürlich ihre eigene Würde, ihren eigenen Zugang vernachlässigen? Ja und nein.

Ich will das mal an einem Zitat eines Naturwissenschaftlers erläutern, [Bernulf] Kanitscheider, in seinem Buch „Von der mechanistischen Welt zum kreativen Universum“. Der streitet ausdrücklich, und das ist eine Position, die man häufig hören kann, den Eigenanspruch der Naturphilosophie, der Philosophie als eigener Welterfahrung überhaupt ab. Kanitscheider schreibt: „Die Idee einer autonomen philosophischen Welterfahrung“ ‒ die ich ja letztlich auch voraussetze ‒ „die genuine Erkenntnisse der Realität jenseits der wissenschaftlichen Rationalität hervorbringt, ist ein Irrtum, ist eine Illusion. Es gibt kein einziges Beispiel eines absolut analyseresistenten Sachverhalts, der durch unmittelbar erlebte Erfahrung gewonnen wurde. Wir haben nur die historische Abfolge von Theorien und ihren verschiedenen Repräsentanten der Natur und ihre Bewährungsgrade zur Verfügung. Was wir vernünftigerweise als existierend ansehen, ist der Objektbereich, über den die zum gegenwärtigen Zeitpunkt besten Theorien sprechen. Es gibt keine speziell philosophische Erkenntnisquelle, die diese ontologische Relativität durchbrechen kann.“ Also vollkommen eindeutig eine Zurückweisung eines eigenständigen philosophischen Anspruchs.

Wenn man dann die Argumentation sich im Einzelnen anschaut, dann weiß man auch, warum das so ist. Das wird ja hier auch schon in dem kurzen Zitat deutlich. Die Grundrichtung der Naturwissenschaft ist eine reduktionistische. Sie versucht ständig Phänomene, Qualität, zu reduzieren, zurückzuführen auf jeweils das, was ihnen als das eigentlich Reale zugrunde liegt. Die Naturwissenschaft ist im Grunde genommen immer das, was Max Planck mal genannt hat, die Suche nach dem endgültig Realen. Das heißt: immer weiter zurückführen auf das, was in den Erscheinungen den letzten Grund darstellt, den zu fassen. Und dieser letzte Grund ist in weiten Bereichen der modernen Natur­wissenschaft einfach die mathematische Form, das ist die Auflösung des Stofflichen bis hin zur mathematischen Form, also eine Mathematisierung und eine Reduktion. Und wenn man das absolut setzt, kann natürlich der philosophischen Betrachtung etwa des Leibes gar keine Eigenwürde zugesprochen werden. Dann ist das, was Hermann Schmitz macht, und andere machen in dem Punkt oder was auch in diesem Falle versucht wird, letztlich naturwissenschaftlich-reduktionistisch gesehen nichts weiter als qualitatives Reden auf einer bestimmten Ebene der Phänomene, die letztlich nicht weiter reduziert werden, weil man noch nicht dahin gelangt ist. Man wird und kann es, aber sollte man es auch? Das glaube ich nicht.

Nun kann man das mit aller Vorsicht sagen, man muss keine Rückzugsgefechte führen, das ist immer schwierig, wenn das philosophische Denken sich im Rückzugsgefecht behaupten muss. Rückzugsgefechte sind ja, werden ja geführt, wenn die Schlacht eigentlich schon verloren ist. Man kann aber feststellen, dass diese Phänomenologie des Leibes tatsächlich eine ganz eigene Qualität hat, die mit den reduktionistischen Naturwissen­schaften überhaupt nichts zu tun hat. Absolut nichts, weil es um eine lebendige, ganz­heitliche Erfahrung geht, die sich ihrem Wesen nach nicht reduzieren lässt. Ich habe das ja vorhin schon gesagt. Erfahrung jedes einzelnen Menschen in der Welt ist immer ein In-sein, einschließlich aller atmosphärischen, klimatischen oder auratischen, wenn man so will, Zusammenhänge. Der Einzelne ist nie eine isolierte Zelle, nirgendwo. Der Einzelne ist immer eingebettet in einen Gesamtzusammenhang, auch da, wo er wie im Falle der wissenschaftlichen Apparate, diesen Zusammenhang ignoriert, wo dieser Zusammenhang gar keine Rolle spielt. Wenn sie in irgendeinem Teilchenbeschleuniger, in irgendeinem riesigen Teilchenbeschleuniger arbeiten, als Physiker, und Sie thematisieren die Psycho-Atmosphäre oder gar die Möglichkeit, dass hier sogar Ergebnisse bestimmt sein könnten, machen Sie sich einfach lächerlich. Es ist kein Thema, kein eigenes Thema in diesem Kontext. Faktisch ist es aber so, dass diese Dinge ständig hineinspielen und auch jeden einzelnen Forscher in einem unvorstellbaren Maße mit prägen, beeinflussen.

Jedes einzelne Forschungsinstitut hat eine eigene psycho-atmosphärische Aura, die jeden einzelnen Teilnehmer dann ganz stark bestimmt. Tatsächlich, bis zum Teil jedenfalls, bis in die Ergebnisse hinein. Es ist ein Mythos anzunehmen, dass all das jenseits dieser Psycho-Atmosphären geschieht und dass es die pure Objektivität gäbe, an der nicht zu rütteln ist. Allein schon diese strikte Aufteilung in das sogenannte Objektive und das sogenannte Subjektive ist bei Licht gesehen überhaupt nicht haltbar. Denn was sind sogenannte Tatsachen, wenn einer sagt, gut, das ist eine Tatsache. Ja, was sind Tatsachen? Der Tisch, eine Tatsache, die Brille, die [dort] liegt, ist das eine Tatsache? Licht ist eine Tatsache. Dann ist die Trauer eines Menschen eine Tatsache. Der Schmerz eines Menschen, die Eitelkeit, die Dummheit eines Menschen, das sind alles Tatsachen. Bloß, wie fasse, wie greife, wie bestimme, wie verifiziere ich diese sogenannte Tatsachen? Also schon da wird es schwierig, das zu tun. Das heißt, vielleicht sogar kann man so weit gehen zu sagen, dass diese Aufteilung in Subjekthaftes und Objekthaftes in der in Jahrhunderten praktizierten Form, so eine pure Illusion ist. Das lässt sich nie durchhalten. Es ist ein Postulat, eine Prämisse, die bis zu einem gewissen Grade auch erfolgreich darauf basiert, dass zum Beispiel die gesamte Technik … , dass eben keine Rolle spielt, welche Qualitäten jeweils vorliegen und auch welche qualitativen Raum-Empfindungen vorherrschen, etwa in geo­metrisch-mathematisch-euklidischen Raum, in diesem dreidimensionalen Raum oder ganz zu schweigen von mathematischen, abstrakten Hyperräumen. Es ist vollkommen egal, was der Einzelne fühlt, denkt und empfindet ‒ das wird abgespalten, abgetrennt, ist in diesem Sinne ein, wenn man das so nennen will, ein neurotisches Produkt. Das ist ein wichtiges Element, die Subjekthaftigkeit hier zurückzubinden und tatsächlich in eigener Würde anzuerkennen. Und das ist schon sehr viel mit dem gesamten Phänomenbereich, der dazu gehört.

Ein letztes Zitat noch mal zum Leib aus dem Buch „Leib und Gefühl“ von Hermann Schmitz; relativ anspruchsvolle, schwierige Texte, aber hochinteressante Texte. Wer mal den Versuch macht, sich da einzulesen, wird zunächst Schwierigkeiten haben, aber wenn er eingelesen ist, dann ist es wirklich kolossal erhellend und fruchtbar. Man kann es dann gar nicht mehr ausklammern, wenn man mal den Blick dafür gewonnen hat. Über den Leib noch mal: „Jeder spürt Schmerz, Hunger, Durst, Schreck, Wollust, Behagen, Frische, Mattigkeit, Ein- und Ausatmen. Das sind Beispiele leiblicher Regungen, die in der Gegend, des sicht- und tastbaren eigenen Körpers auftreten, ohne selbst sichtbar und tastbar zu sein.“ Die Frische, die ich fühle, oder die Müdigkeit und die Langeweile sind ja keine sichtbaren, fassbaren Dinge, sind ja keine Gegenstände, keine Es-heiten. „Die herkömmliche Meinung, die sich an der Zerlegung des Menschen in Körper und Seele, alias Bewusstsein, Mind, Geist, Gemüt orientiert, zerlegt so auch die leiblichen Regungen in einer Weise, die sich in dem gängigen Ausdruck ,Organ-Empfindungen‘ niederschlägt. Das Körperliche soll eine auf dem Weg über Besehen, Tasten zugängliche Veränderung an Körperteilen sein, das Seelische eine zugeordnete, vielleicht davon hervorgebrachte Empfindung. Nach meiner These handelt es [sich] dagegen um ein eigenständiges Gegenstandsgebiet des Spürens am eigenen Leib, das mit genuiner Struktur weit über diesen hinausreicht, unter anderem als Spielraum leiblicher Kommunikation, der auch zwischen Menschen und ständig passiert. In jedem Gespräch mit einem anderen Menschen, im Blickkontakt gibt es eine leibliche Kommunikation, die erkenntnistheoretisch, anthropologisch, sozial, pathologisch und so weiter, von grundlegender Bedeutung ist. Diese Eigenart bekommt natürlich namentlich an dem die Funktion Dynamik des spürbaren Leibes charakterisierenden Kategorien-System oder Alphabet der Leiblichkeit zum Vorschein, lässt sich aber schon vorher durch wenige hervorstechende Merkmale der Räumlichkeit des Leiblichen summarisch charakterisieren. Das eigenleiblich Gespürte ist stets räumlich ausgedehnt.“ Wie der ertastbare Körper, aber in wesentlicher Weise. „Dieser Körper hat nach außen eine scharfe flächige Grenze an der Haut. Der spürbare Leib hat keine Haut und keine Fläche. Man kann Flächen ebenso wenig am eigenen Leib spüren, wie man sie hören kann. Überhaupt hat die leiblich spürbare Räumlichkeit mit dem Hörbaren einiges gemein. Dazu gehört, dass in beiden Fällen trotz Flächenlosigkeit Volumen vorliegt.“ Und so weiter.

Ich werde darauf im Einzelnen noch näher eingehen. Es ist wichtig, dass diese soge­nannten Psycho-Atmosphären, etwa eine beklommene Stille, eine peinliche Atmosphäre, eine gespannte Erwartung, eine gelangweilte Haltung, eine aufmerksame Haltung, eine belustigte kollektive Gemütsverfassung, eine höhnische kollektive Haltung: All das sind Wirklichkeiten, die tatsächlich sehr tief gehen und sehr tief beeinflusst, von denen man sich nicht ohne Weiteres loslösen und befreien kann. Ich habe das ja an dem Beispiel dieser Podiumsdiskussion genannt, dass das bis ins fast Physische hinein … wie ein physischer Druck entsteht da, dass man plötzlich das Gefühl hat, das, was man sagen möchte, wird erschwert durch diesen Druck, der da entsteht, also in dieser Psycho-Atmosphäre.

Letztlich geht es ja um die Frage überhaupt in diesem Semester generell beim Denken, sonst ist ja Denken völlig müßig und auch im Grunde ein intellektuelles Sand­kastenspiel, wenn es nicht um Wirklichkeit geht. Und was ist sonst interessant außer der wirklichen Wirklichkeit? Denken kann nur dann sinnvoll sein, wenn es Wirklichkeit berührt. Und das ist es, worum es geht. Was ist Wirklichkeit? Man kann natürlich sagen ‒ Schmitz macht das zum Beispiel ‒ dass die dichteste, konkreteste, kompakteste Wirk­lichkeit immer dann vorliegt, wenn der Einzelne, wie er das nennt, in die primitive Gegenwart geschleudert wird, etwa durch einen massiven Schmerz, [wenn einer] stürzt und sich eine Schürfwunde zufügt. [Er ist] in diesem Moment vollkommen reduziert auf diesen Moment des Schmerzes, der ihn vollkommen durchzuckt und alle seine übrigen Leib-Empfindungen zentral beeinflusst. Ist das ein höherer Grad an Wirklichkeit, etwa der Schmerz, der physische, leibliche Schmerz, ist das ein höherer Grad von Wirklichkeit, auch der Zahnschmerz und andere Schmerzen, oder Nierenkoliken. Sind das höhere Grade von Wirklichkeit, als zum Beispiel eine distanzierte, objektivierende Betrachtung der Distanz von all dem, etwa im Denken oder in der Ich-Empfindung?

Ich meine, die Ich-Empfindung entsteht ja aus einer gewissen Distanz, die das Tier nicht hat. Wenn Sie Tiere beobachten, dann stellen Sie fest, dass das Tier in gewisser Weise vollkommen identisch ist mit der eigenen konkreten Leiblichkeit. Es hat nicht die Möglich­keit, gleichsam zurückzutreten in einer Art von Eskapismus, sich zurückzunehmen aus der eigenen leiblichen Verhaftetheit ‒ was der Mensch kann. Der Mensch kann in jeder, fast in jeder Situation in gewisser Weise sich rausnehmen. Hat also diese Möglichkeit, dieses Tor quasi des Eskapismus. Ja, ist das weniger wirklich, diese distanzhafte Haltung, die eine Beobachterhaltung ist, nicht unmittelbar festgenagelt, hineingezerrt, sozusagen, in das Hier und Jetzt, wie etwa durch einen starken Schmerz oder einen seelischen Schmerz, eine überwältigende Emotion? Es ist ja so, dass viele Menschen, einer der ersten, der das klar beobachtet hat, war Schopenhauer, aber auch Spinoza und andere, dass festgestellt wurde, dass Menschen sich nur dann wirklich interessieren für irgendetwas, wenn ihre Subjekt­haftigkeit ins Spiel kommen darf, auch ihre Emotionen, ihre Befindlichkeiten, Wut, Hass, Freude. Wenn das gar nicht ins Spiel kommen darf, setzt Langeweile ein. Sozusagen setzt die Langeweile in dem Moment ein, wo der Einzelnen das Gefühl hat, das alles hat mit mir nichts zu tun. Das ist sozusagen ein abgetrenntes, abgespaltenes Gerede und löst ein Gefühl der diffusen Langeweile aus, des Absinkens des Aufmerksamkeitspegels. Aber in dem Moment, wo der Einzelne sich als unmittelbar Betroffener fühlen kann und als unmittelbar Betroffener auch wirklich ernst genommen wird und nicht kleingemacht wird, als ob das alles keine Bedeutung habe, da steigt die Aufmerksamkeit.

Insofern ist die Phänomenologie des Leibes etwas, das, wenn man es genau betrachtet, jeden Einzelnen vollkommen betrifft und erfüllt. Also keiner kann bei diesem Thema in gewisser Weise das draußen lassen, weil, wenn er es ernst nimmt, muss er es reinnehmen, weil sonst bleibt es einfach das, was Goethe gern als Wortkram bezeichnet, ein abgetrenntes Reden über etwas. Und dann ist es nicht wirkliche Phänomenologie. Die Phänomenologie kann nur dann einen Sinn haben, wenn sie ernsthafte Phänomenologie ist, wenn sie wirklich die Bewusstseinsphänomene in den Blick nimmt, beobachtend, spürend und auch mittels der Sprache. Das ist mir immer sehr wichtig, ich habe das auch in meinen letzten Büchern versucht durchzuhalten, den Einzelnen immer wenn er denn überhaupt sich hineinnehmen lassen möchte, [ihn] direkt in seiner unmittelbaren Selbst- und Lebens­erfahrung anzusprechen. Nicht, dieses Abgetrennte, Abgespaltene, und da ist die Phäno­menologie des Leibes ein wunderbares Mittel, eine ganz andere Wahrnehmung zu gewinnen für das eigene In-der-Welt-sein. Gut, ich will das erstmal … , das soll für die Einleitung heute einfach reichen.

Ich will noch mal einiges sagen zum Literaturverzeichnis und zum Gesamtkonzept des Semesters und heute keine Diskussion machen.


Und die Frage, die jetzt gestellt worden ist, schon zwei, dreimal, ob ich das wieder ändern kann mit dem Zeitpunkt. Im Moment lasse ich das jetzt. Mir war klar gesagt worden, der Raum sei belegt, er ist es offenbar heute nicht gewesen, von sechs bis acht. Aber ich will jetzt keine weitere Konfusion stiften. Wir lassen erst mal bei der Acht Uhr Zeit. … Ja, das können wir dann machen. Ich kann ja auch. Wir können es ja auch anders machen, ich kann ja auch darauf verzichten. Wir gucken mal. Das geht schon. Wir kriegen das schon hin.
Können Sie mal ein Literaturverzeichnis vornehmen? Ich will da ein bisschen was zu sagen. Ich habe mir sehr genau überlegt, welche Literatur ich hier reinnehmen soll für das Thema. Ich habe wirklich sehr bedacht eine Auswahl getroffen, die ich für sinnvoll halte. Ich gehe jetzt nicht die Punkte der Reihenfolge nach durch, ich fange mal im unteren Drittel an.

Hermann Schmitz, das ist ein Autor, der ungeheuer viel geschrieben hat, und ich greife nur zwei seiner Bücher hier raus, „Der Leib, der Raum, die Gefühle“, ein schmales Bändchen von kaum 100 Seiten, das den Versuch macht, die Essenz dieser Phänomenologie zu bringen. Und dann „Leib und Gefühl“, eine Sammlung von Essays in der Reihe „Inno­vative Psychotherapie und Humanwissenschaften“, von Psychotherapeuten herausge­geben, die große Verehrer von Schmitzs sind und davon ausgehen, dass Schmitz‘ Phäno­menologie auch psychotherapeutisch eine große Bedeutung hat. Also ein wunderbarer Band mit Essays zur Phänomenologie.

Dann der zweite Titel hat auch mit Phänomenologie zu tun, das ist ein Buch eines Anthroposophen, eines anthroposophischen Physikers, „Wärme, Urmaterie und Ich-Leib ‒ Beiträge zur Anthropologie und Kosmologie“. Basfeld, also ein anthroposophischer Physiker, beschäftigt sich sehr intensiv mit Phänomenologie, und da liegt dann auch die Stärke. Übrigens auch mancher anderer anthroposophischer Autoren, auch wenn man deren Interpretationen nicht immer teilen kann, so sind sie doch im Beschreiben von Phänomenen oft sehr stark, und deswegen haben sie ihre Bedeutung, also in der phänomenologischen Hinsicht, nicht unbedingt immer in der, sagen wir mal, ideologischen Vorprägung, die dann Interpretationen liefert. Nicht dass alle Interpretationen deswegen falsch sein müssen, will nur sagen, das ist erstmal nicht das Primäre, aber die Phänomene sind es, die Phänomenologie.

Wichtig auch für dieses Semester sind die beiden Bände von Peter Sloterdijk „Sphären I“ und „Sphären II“. Das habe ich auch im Wintersemester gesagt und möchte das hier auch noch mal erwähnen, zwei hochfaszinierende Bände, jetzt demnächst soll der dritte Band erscheinen, es gibt drei Bände, und … in denen sehr viel auch von phäno­menologischen Raum-Erfahrungen die Rede ist und auch von Leib-Erfahrungen bis hin zu möglichen Erinnerungen an pränatale, an intra-uterine Geschehnisse. Also das spielt eine große Rolle, und das kann ich wirklich sehr empfehlen, bei allen sprachlichen Manierismen, auch von Sloterdijk, seiner wirklich oft überbordenden, manchmal auch geschwätzigen Form, aber gleichwohl sind viele faszinierende Ansätze drin, die auch für das Thema wichtig sind.

Sloterdijk bezieht sich mehrfach auf einen Autor, den ich hier drin habe am Schluss, einen HNO-Arzt, Alfred Tomatis. Eines seiner vielen Bücher habe ich angegeben „Der Klang des Lebens“. Tomatis hat geforscht über die Klang-Wahrnehmungen im Mutterleib, also in der intra-uterinen Phase. Was wird wahrgenommen vom Fötus an Geräuschen der Mutter, an Klängen? Wann entwickelt sich das Ohr und so weiter? Davon wird in der Regel noch die Rede sein in der Vorlesung am 4. Juli.

Von mir selber habe ich meine beiden letzten Bücher aufgenommen, die auch viel enthalten zur Phänomenologie, das letzte „Räume, Dimensioen, Weltmodelle – Impulse für den andere Naturwissenschaft“, vor allen Dingen naturwissenschaftlich-naturphiloso­phisch-kosmologische Fragen, eine radikale Kritik an der Mainstream-Naturwissenschaft und der Versuch einer Alternative.

Zwei Aufsätze von mir habe ich hier angegeben, einer in dieser Zeitschrift „Hagia Chora“ mit dem Titel „Wie ausgedehnt sind wir? Raum, Leib und Bewusstsein“, wo ich mich mit der Frage beschäftige mit der Leibwahrnehmung außerhalb der Grenzen des physisch-sinnlichen Körpers.

Und im anderen Essay, der im Sammelband steht „Wissenschaft vom Lebendigen“, von Heiko Lassek herausgegeben, ein Beitrag zur Polarität von Schwere und Licht. Das wird uns auch beschäftigen in der Vorlesung am 20.6., vor allem im Zusammenhang mit der Leibwahrnehmung. Wie nehmen wir den Leib bei Licht und in der Dunkelheit wahr? Nämlich anders.

Dann ist ja auch von der Zeit die Rede in dieser Vorlesung am 30.5., da habe ich ein Buch aufgenommen, was ich sehr interessant finde, Hans Jörg Fahr, das ist der fünfte Titel, „Zeit und kosmische Ordnung – Die unendliche Geschichte von Werden und Wiederkehr“. Hans Jörg Fahr ist Astrophysiker, Professor für Astrophysik an der Universität Bonn, einer der wenigen Physikprofessoren, der ein radikaler prononcierter Gegner der Urknall-Hypothese, der Urknall-Fiktion ist, überhaupt die moderne Kosmologie scharf kritisiert. Und das ist ein hochinteressantes Buch, ein Versuch, die Zeitdimension, Ich-Leib kosmisch usw. zu beleuchten, nicht einfach zu lesen, relativ anspruchsvoller Stoff, manchmal in der Sprache auch etwas spröde in der Begrifflichkeit. Man muss sich wirklich einlesen, aber wenn man es geschafft hat, wenn man sich eingelesen hat, hat man kolossalen Gewinn. Also ein richtig starkes Buch über Zeit. Eines der besten Bücher, die es gibt darüber.

Gernot Böhme, der Autor, der davor auftaucht, ist ein Mann, der sich in dieser Frage der Leibphilosophie auch einen Namen gemacht hat. Er hat viel geschrieben über die Leibfrage. Sein Bruder Hartmut Böhme ist ja hier an der Humboldt-Universität, die haben auch Verschiedenes zusammen veröffentlicht. Gernot Böhme, viele Bücher geschrieben, habe nur eines seiner Bücher hier aufgeführt: Suhrkamp Taschenbuch „Natürlich Natur“. Und da taucht ein sehr interessanter Essay auf mit dem Titel „Leib – die Natur, die wir selbst sind“. Also Gernot Böhme ist ein wichtiger Mann, der sich auch intensiv mit Schmitz und anderen beschäftigt hat.

Dann ein Buch, was ich für sehr wichtig halte, obwohl es kaum bekannt ist. Günter Schulte, ist oberhalb von vorteilhaft „Philosophie der letzten Dinge – Liebe und Tod als Grund und Abgrund des Denkens“. Das ist ein Philosoph aus Köln, der hier Essays zusammenträgt, auch über die Frage der Leibwahrnehmung viel spricht und hochinter­essant, kaum bekannt, aber faszinierend, was er zusammenträgt, auch im Sinne der Grundthese, dass die Beziehung des Denkens zum Eros, zur Liebe bzw. zum Tod die Achse des Denkens überhaupt ist; und zwar die uneingestandene, die undurchschaute Achse des Denkens.

Der vorletzte Titel beschäftigt sich mit einer, sagen wir mal, ist von einer eher feministisch orientierten Philosophin, die den Versuch macht, von der Leiblichkeit der Frau aus die ganze leibphilosophische Frage zu beleuchten. „Sophias Leib, Entfesselung der Weisheit“, Annegret Stopczyk. Sie wirft der ganzen Philosophie eben diese Leibfremdheit vor, die Leibvergessenheit vor. Sie meint, das von der Erfahrung der Leiblichkeit der Frau aus da ein neuer Zugang sich eröffnen könnte.

Der erste Titel ist auch ein Anthroposoph, ein Physiker und Mathematiker. Eine Sammlung von Essays, auch phänomenologisch hochinteressant, nicht immer in den Interpretationen so schlüssig.

Gut, ich will dann in einer Woche wieder um 20 Uhr sprechen über die Frage des Raumes, Räumlichkeit des Lebendigen, ich will den Raum der Physik gegenüberstellen dem Raum des Leibes und versuchen von dort her erste Einsichten zu vermitteln oder zu gewinnen über den inneren Raum des Leibes, von dem schon einleitend die Rede war. Das will ich in den Mittelpunkt stellen der nächsten Vorlesung.

Wenn Sie also andere haben, die auch in die Vorlesung kommen, sagen Sie bitte, dass Ihnen mit der Zeit, dass ich die Zeit also jetzt auf 20 Uhr verlagert hat, dass das sich einpendelt. Und wir lassen es erst mal bei dieser Zeit, 20 Uhr aus. Für manchen Berufstätigen ist vielleicht sogar gar nicht schlecht.

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Die kosmische Triade von Weltäther, Weltseele, Weltgeist

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000
Dozent: Jochen Kirchhoff

Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 34

Transkript als PDF:


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Ich habe das heute genannt: „Die kosmische Triade von Weltäther”, darüber haben wir ja schon eingehend gesprochen, „Weltseele”, auch darüber haben wir gesprochen, und „Weltgeist”. Diese Triade von Weltäther, Weltseele und Weltgeist, jetzt in einem kosmischen Maßstab, in einem kosmischen Sinne, wirft natürlich fundamentale Fragen auf, mit denen ich mich ja auch schon in der einen oder anderen Form beschäftigt habe. Wir haben ja immer wieder gesprochen auch über die Frage, was denn möglicherweise dieser Weltäther [ist], und ich habe Ihnen meine Konzeption dieses Weltäthers ja in einer Vorlesung ausführlich vorgestellt.

Man kann sich diesen Fragen nähern, indem man eine Frage stellt, die ich im Dezember einmal in einer Vorlesung an den Anfang oder auch in den Mittelpunkt gestellt habe, nämlich der ganz schlichten Frage: Wo sind wir? Also die Frage nach dem Ort, auch nach dem, tiefer verstanden, dem ontologischen Ort des Menschen. Wo befindet sich der Mensch? Sie werden sich vielleicht erinnern, dass das eine Vorlesung mitbestimmt hat. Und diese Frage kann man in verschiedenen Kontexten stellen. Man kann sie ganz platt und banal und direkt physisch sinnlich stellen. Wo soll er sich schon befinden? An dem Ort, an dem er gerade ist? Aber wo ist dieser Ort auf diesem rätselhaften Gestirn bzw. auf der Oberfläche dieses rätselhaften Gestirns? Wo ist dieses Gestirn? Hat [es] eine bestimmbare kosmographische Position, wenn man ein Bezugssystem einnimmt? Und so weiter. Man kommt letztendlich mehr oder weniger schnell auf eine ganz andere Frage. Man kommt auf die Frage nach dem Raum. Das hat uns ja immer wieder beschäftigt. Was ist der Raum? Wo sind wir in diesem Raum? Nicht nur in diesem Raum, hier, in diesem Hörsaal, sondern überhaupt im Raum. Und was hat der Mensch in seiner geistig-seelisch-leiblichen Gestalt zu tun mit dem Raum? Ist der Raum ohne Bewusstsein? Hat er Bewusstsein? Hat die Seele Räumlichkeit? Hat der Geist Räumlichkeit?

Sie alle kennen die idealistische Position, die ja ganz strikt davon ausgeht, dass die eigentliche Qualität im Menschen, die Geistqualität, keinen Raum hat. Sie sei nicht räumlich, wird gesagt, der Raum sei nur eine Anschauungsform eines im Grunde raumlosen Geistes. Zu dieser Frage habe ich mich auch verschiedentlich geäußert und immer wieder die These aufgestellt und auch begründet, dass ich glaube, dass die idealistische Position, was diesen Punkt betrifft, schwach gestützt ist. Es gibt viele Argumente dafür zu sagen, dass auch die Seele, dass auch der Geist in irgendeiner Form etwas mit Raum zu tun hat. Weltäther, Weltseele, da ist es immer auch die Raumfrage.

Ich darf noch einmal Ihnen eine kleine Passage vorlesen aus einem Essay, den ich ja in Gänze Ihnen schon vorgetragen habe, wo das nochmal auf den Punkt gebracht wird, die Frage: wo wir sind, auch im Zusammenhang mit dem, was ich die Raumvergessenheit des Bewusstseins nenne. Man spricht ja viel von der Seinsvergessenheit oder auch Naturver­gessenheit, ich spreche gelegentlich von der Raumvergessenheit des Menschen. Und das will ich vielleicht noch vorab sagen, in mehreren Ansätzen in der modernen Philosophie, etwa bei Peter Sloterdijk, in den dickleibigen Büchern über die Sphären wird ja die psycho-kosmologische Krise der Moderne und Nachmoderne auch als eine Raumkrise bezeichnet. Das finde ich im Grunde einen sehr treffenden, einen sehr signifikanten Begriff. Die Bewusstseinskrise unserer Zeit als eine Raumkrise, wobei Sloterdijk, und da steht er nicht allein, ganz dezidiert sagt: Das „Projekt Weltseele”, wie er das nennt, sei grundsätzlich und irreversibel gescheitert. Das heißt, der Mensch befindet sich fortan, spätestens seit dem 18. und 19. Jahrhundert, in einem ganz und gar veräußerlichten Raum. Der Raum ist nur noch außen, das heißt eine Art Immigration der Raumempfindung aus dem, was den Menschen in der Tiefe als seelisch-geistiges Wesen eigentlich angeht. Also er sagt einmal an einer wichtigen Stelle in den Sphären: Der veräußerlichte Raum sei die Grundtatsache des modernen Bewusstseins überhaupt, der veräußerlichte Raum, der Raum als pures Außen, in dem der Mensch nichts zu suchen hat. Daher auch die vollkommene Abkehr des Denkens, spätestens seit Nietzsche, von kosmologischen Fragen, bis dahin, dass viele Intellektuelle, auch philosophisch orientierte Intellektuelle, überhaupt sich kosmologischen Fragen, Fragen der Astronomie, Fragen der Astrophysik, Fragen des Raums vollständig verweigern. Sloterdijk sagt in seinem Buch: Es ist geradezu ein verdächtiges Zeichen wenn ein ernst zu nehmender Intellektueller mit Inbrunst kosmologische Fragen behandelt. Also das ist eine typische Bewegung, die man verfolgen kann.

Ich sage, spätestens seit Nietzsche, also eine Abkopplung, eine Spaltung, dass der auf der einen Seite, der moderne Intellektuelle, der sich als quasi raumlos empfindet, auf der anderen Seite eine mehr oder weniger reduktionistische Kosmologie, die die Welt nur als ein Außen begreift und auch begreifen kann. Und ich meine, wenn es nicht gelingt, diese Spaltung in irgendeiner Form zurückzunehmen und da wieder etwas zusammenzuführen, werden wir, glaube ich, keinen Millimeter weiterkommen. Diese kurze Passage: „Die Subjektblindheit oder auch Subjektvergessenheit der Naturwissenschaft”, wie ich meine, einschließlich der Quantentheorie, die da keine grundlegende Änderung gebracht hat, „ist stets zugleich Raumblindheit oder Raumvergessenheit. Der zum puren Außen degenerierte Raum, „ohne Götter im alten Sinne, im magischen mythischen Bewusstsein, und höheres Bewusstsein, aber auch ohne Weltseele”, macht die Seele raumlos bzw. lässt ihr nur den Innenraum, der als ein bloß subjektiver bequem auszugrenzen war aus dem großen Vermessungsprojekt des Nur-Außen des toten Raumes.” Also, die berühmte Rede von dem „nur subjektiven Innenraum”, der letztlich im eigentlichen Raum gar kein Äquivalent hat. Und von diesem Äquivalent war man ja ausgegangen [bei] der Vorstellung einer Weltseele. Wenn es die Weltseele gibt, wenn diese Weltseele das Universum durchdringt, umgibt, durchflutet, dann hat der menschliche Geist, dann hat die menschliche Seele auch hier ihren Ort. Dann ist Seele immer integraler Teil von Weltseele, und das ist in der modernen Raumvergessenheit nicht der Fall. Also: „ … der als ein bloß subjektiver bequem auszu­grenzen war aus dem großen Vermessungsprojekt des Nur-Außen des toten Raumes. Wenn die Seele nicht mehr im Raum sein darf, weil das Projekt Weltseele ‒ Sloterdijk ‒ als gescheitert gilt. Wo ist sie dann? Auch wenn man nicht die idealistische Position teilt: Wo ist die Seele? Wo ist der Ort der Seele? Wo ist der Ort des Geistes? Einen existenziellen Ort kann die Seele nur haben in einem ihr gleichenden Raum, also einem Raum, der die Weltseele selbst ist, also nur ein Raum, der in gewisser Weise identisch ist mit der Weltseele, kann der Seele auch einen Platz geben. Da kann die Seele eigentlich gründen, [sie] kann der Seele ein Stück Heimat geben. Nur in einem Raum, der zugleich umhüllendes und tragendes Universalbewusstsein ist, hat der Innenraum, die Innenkugel Bewusstsein ihren Ort. Gibt es diesen Ort nicht mehr, ist die Seele als sie selbst im Exil.”

Denken Sie an das, was ich Ihnen in der letzten Vorlesung nochmal in Erinnerung gerufen habe über die Vorstellung der Weltseele bei Giordano Bruno, der in gewisser Weise gar keinen Unterschied mehr macht zwischen Weltraum und Weltseele, obwohl es da bei ihm einige begriffliche Ungenauigkeiten gibt. Manchmal identifiziert er auch den univer­salen Geist, den universalen Intellekt, wie er sagt intellectus, dann auch wieder mit dem Weltäther, sodass das fast das Gleiche wird vorübergehend bei ihm, Weltäther gleich Weltraum gleich Weltseele gleich Weltbewusstsein. Also: „Gibt es diesen Ort nicht mehr, ist die Seele als sie selbst im Exil. Wenn der kosmische Raum kein wirklicher Ort mehr ist, in gewisser Weise ja auch sein darf in der modernen Bewusstseinsverfassung, muss sie sich, also die Seele, in akosmischen, kosmosfernen Räumen, Innenräumen einnisten.” Das tut sie ja auch. Es ist ja das, was ständig geschieht. „Das betäubende Außen als Nur-Außen ist kein Ort für den Menschen”, also die Wendung in die subjektiven Innenräume, in die nur subjektiven Innenräume. Das bekommt ihm nicht gut, wie man weiß. „Die Mensch-Kosmos-Neurose des sogenannten modernen Menschen sitzt tief und hat sein ,In-der-Welt-Sein‘ gründlich ruiniert, allem nachkopernikanischen Selbstbewusstsein zum Trotz.” Ich habe das ja schon angedeutet, dass ich die berühmte These von Sigmund Freud von den drei Kränkungen für ganz falsch halte, für rein fiktiv. Keine dieser drei Kränkungen, im Grunde genommen, weder die Darwinistische, noch die Kopernikanische, noch auch die der Tiefen­psychologie war im Grunde wirklich eine Kränkung, die Kopernikanische schon gar nicht, weil, sie hat eher das menschliche Selbstbewusstsein ungeheuer gesteigert. Denken Sie daran, dass das menschliche Selbstbewusstsein seit dem Kopernikanismus einen kometen­artigen Aufstieg genommen hat und die moderne Subjektivität überhaupt erst im Zusammenhang mit dem Nachkopernikanismus entstanden ist. Es ist also nicht so, schlechterdings nicht so, dass der Kopernikanismus den Menschen in der Tiefe gekränkt habe. Nur eine ganz bestimmte Interpretation des Kopernikanismus hat dies vermocht. Zunächst wäre zu sagen, dass diese Raumlosigkeit der modernen Subjekte in dem genannten Sinne, wie ich meine, auf schlichten Denkfehlern beruht. Gestalthaftes Bewusstsein, und das ist fast eine Definition des Menschen, bedarf nicht nur des real existierenden Fluidums eines allverbindenden Bewusstseins, das als Universalbewusstsein die Weltseele ist, dazu nachher gleich mehr. Das wäre schon eine Art Definition dieser Weltseele, eine Art Universalbewusstsein, sondern es kann sich gar nicht denken ohne dieses Fluidum. Ein gestalthaftes Bewusstsein in einer bewusstseinsblinden Leere, einem Raum-Nichts, das uns nichts angeht, ist buchstäblich undenkbar. Es lässt sich nicht denken. Hier kollabiert der Geist. Das heißt, der Geist kann sich schlechterdings gar nicht vollständig denken in einem puren, in einem reinen Nur-Außen. Es lässt sich erregt postulieren oder argumentativ verteidigen, aber auch dieses Postulieren und Argumen­tieren vollzieht sich notwendig innerhalb dieses Fluidums, ohne dessen Immer-schon-Vorhandensein jedes Subjekt vom schwarzen Loch seiner selbst verschluckt wird. Nur ein bewusstes Universum kann wirklich gedacht werden. Das muss man in aller Klarheit sich mal vor Augen führen: dass wir die Natur eigentlich nur als eine quasi bewusste, eine durchgeistete, eine vom Geist durchstrahlte Natur wirklich denken können. Wenn das nicht so wäre, könnten wir niemals aus den ewigen Zirkeln unserer eigenen Projektionen heraussteigen. Dann wären wir immer gefangen in unseren eigenen Projektionen. Dann gäbe es eigentlich gar keine Erkenntnis. Und insofern sage ich verschiedentlich, dass von dorther der sogenannte objektive Idealismus ein Stück weit immer Recht hat. Also Naturbetrachtung, Kosmosbetrachtung, Denken über Natur ist ohne einen gewissen objek­tiven Idealismus vollkommen unmöglich. Dazu muss man nicht Hegelianer sein, um das festzustellen. Es ist einfach eine schlichte, fast denknotwendige Folgerung. Nur ein bewusstes Universum kann wirklich gedacht werden. Die Seele kann nicht denken ohne das, was sie immer schon ermöglicht hat, das stets Vorgängige jeder seelenhaften Gestalt. Und genau das ist der Kern des Projekts Weltseele, dass nur eine oberflächliche Sicht als gescheitert gelten kann. Ich würde behaupten, das Projekt Weltseele hat vielleicht in der Tiefe noch gar nicht begonnen. Auf jeden Fall müsste es noch einmal grundlegend und fundamental angegangen werden. Ich glaube nicht, dass das Projekt Weltseele gescheitert ist. Vielleicht ist es in einem gewissen Sinne gescheitert. Aber wenn man die geistige Situation genauer betrachtet, wird man feststellen, dass nicht nur der Begriff Weltseele eine Renaissance erlebt, sondern auch die Vorstellung eines durchgängig belebten und bewuss­ten Universums. Auch der götterlose Raum als der nicht-Weltseele-Raum, also der pure Außenraum, ist ein Konstrukt, eine Phantasmagorie innerhalb des gestalthaften Bewusst­seins. Wie ja alles Reden der Subjekte notwendig im Zirkel dieser Subjekte bleibt. Auch wenn ich behaupte, die eigene Subjekthaftigkeit sei nur oasen- oder inselhaft in einem betäubend leeren und toten Universum, dann ist das eine Aussage eines Subjekts und kann nur mit anderen Subjekten ernsthaft verhandelt werden. Also letztlich immer eine bewusstseinsimmanente Aussage.

Die gesamte Mainstream-Kosmologie kann als ein großer Versuch gewertet werden, dem Hasen doch noch zum Sieg über den Igel, das Igelpaar zu verhelfen. Ich benutze ja gern in dem Zusammenhang das Bild vom Hasen und dem Igel. Das lebendige Subjekt ist in gewisser Weise immer der Igel, der schon da ist. Wie immer der Hase sich abstrampelt, der Igel ist notwendig, gleichsam immanent schon da. Fast alle Welt glaubt an den Sieg des Hasen, und zwar deshalb, weil es mit durchschlagendem Erfolg gelungen ist, die Existenz des Igels = vorgängiges Bewusstsein zu leugnen. Nach dem Motto: Es gibt keinen Igel, es gibt keine Weltseele, es gibt kein Universalbewusstsein, also hat der Hase längst gesiegt. Entweder gab es nie einen Igel, oder wir haben ihn getötet. Die berühmte Formel von Nietzsche, „Gott ist tot”, in der fröhlichen Wissenschaft: „Wer wischt das Blut von unseren Messern ab, wir haben ihn getötet”. Also die Konstatierung einer Bewusstseinswirklichkeit des toten Gottes.

Letztes hierzu. „Der wirkliche Raum, der seinem Wesen nach kein Nur-Außen sein kann, ist als quasi-Raum der Götter noch immer unwiderleglich. Die Frage lässt sich stellen mit einigem Recht, ob es überhaupt angängig ist, von einem äußeren Raum zu reden, ob der Raum überhaupt, von einem menschlichen Bewusstsein aus betrachtet, als ein äußerer verstanden werden kann und darf. Ist nicht der Raum als Raum immer letztlich auch Innenraum? Auch dazu habe ich mich in verschiedenen Zusammenhängen geäußert. Dass es den toten nicht-Weltseele-Raum überhaupt geben kann, ist nie überzeugend bewiesen worden. Schon gar nicht von den sogenannten Kosmologen, die ohnehin insgeheim und manchmal auch offen Kosmo-Theologen sind. Die Wo-Frage, die so rätselhaft selten gestellt wird, wo sind wir?, ist eine der brennendsten Fragen überhaupt. Wird sie nicht als Herausforderung angenommen, indem man die Frage für längst gelöst oder für unlösbar oder wie auch für völlig irrelevant hält, hängt auch die Frage nach dem Menschen in der Luft, wobei diese Luft toxisch ist und nicht eingeatmet werden kann. Die Was-ist-Frage in Bezug auf den Menschen ist nicht abzutrennen von der Wo-ist-Frage. Alle Versuche dieser Art haben nur ein hoffnungslose Zirkelschlüsse hineingeführt.” Das also vorab.

Also als These, Ihnen bekannt in meinen Vorlesungen, ich sage ja immer wieder, dass wir davon ausgehen müssen, dass der Raum bewusstseinserfüllt ist und dass wir den Raum nicht denken können außerhalb des Bewusstseins, und dass wir keinen Geist als einen in einem absoluten Sinne raumlosen Geist verstehen können. Ich glaube, dass das ein ent­scheidender Punkt, ein entscheidender Fehler in der idealistischen Philosophie war, der sich ja durchzieht von Descartes, auch bei Kant, zum Teil auch bei Hegel, obwohl es da ein bisschen anders aussieht und dann bis in neuere idealistische Denk-Entwürfe hinein: immer die Vorstellung, dass der Geist raumlos ist, dass er keine Raumnatur habe, sondern dass er jenseits des Raums ist.

Die Weltäther-Frage hängt auch damit zusammen, obwohl man das nicht vermengen soll, unbedingt vermengen dürfte. Ich will nicht noch einmal die Thesen hier im Einzelnen darstellen, die ich in der Vorlesung über den Weltäther gebracht habe, nur noch mal ganz plakativ gesagt: Die Frage nach dem Weltäther war in der Tiefe, die Frage nach einem feinsten Stoff. Die Frage nach der Stoffqualität, nach der feinstmöglichen Stoffqualität der Welt, letztlich eine Frage auch nach der Materie. Also wenn man sagt: Weltäther, Weltseele, Weltgeist, dann ist ja auch die Frage nach dem Stoff, dem feinstmöglichen Stoff, dem Stoff der Seele als Selbstsein und dem Geist. Ich meine, was ist der Mensch? Er ist auch, das bestimmt auch eine Definition des Menschen, eine Gestalt gewordene Einheit von Materie, leiblich-stofflichem, dinglichem Ich-selbst-Sein, und das wäre der Bereich der Seele. Das wäre eine Definition der Seele. Es gibt andere Definitionen der Seele. Man kann aber sagen Seele ist Ich-selbst-Sein, ist das, was den Einzelnen in seinem Ich, in seinem Ich-Sein, in der Tiefe kennzeichnet, und zugleich seit Aristoteles ja auch eine Art Form- oder Formalprinzip des Organischen, auch im Sinne der Entelechie und Geist, als dritte Fakultät, wäre das, woran der Mensch teilhat, woran der Mensch partizipiert, das er vielleicht bis zu einem gewissen Grade auch ist. Deswegen spricht man ja häufig von dem Seelisch-Geistigen zusammen. Also der Mensch als eine Gestalt, Einheit von Leib, physisch-leiblicher Seele, Ich-selbst-Sein und Partizipation am Geist und wahrscheinlich auch ein stückweit Geist-Sein, Partizipation am universalen Logos.

Und wenn das so ist, und wenn der Mensch tatsächlich über seine Ichhaftigkeit und über seine Leibhaftigkeit ein integraler Teil dieses Kosmos ist, dann müsste es auch legitim sein, diese Vorstellungen auf das Universum auszuweiten. Dann ist es möglich, über den eigenen Leib, über die eigene Leib-Geist-Seele-Gestalt, auch Aussagen zu machen über das Universum als Ganzes. Das ist schlechterdings nicht einzusehen, dass diese bestimmte Gestalt, diese bestimmte Konfiguration aus dem Gesetzeszusammenhang des Ganzen herausfällt. In jedem einzelnen Bewusstsein müsste sich, wenn die Einheit der Natur denn gegeben ist, auch das Ganze in irgendeiner Form widerspiegeln und müsste über das Bewusstsein auch in diesem Ganzen auffindbar sein, sogar, im extremen Sinne weiter­gedacht, ohne dass der Einzelne seinen Raum verlässt, also experimentelle Forschung im Außen betreibt. Das ist ja letztlich auch ein Gedanke, der in Abstrichen in der rationa­listischen Philosophie eine Rolle spielt, dass der Einzelne über das Denken tatsächlich Zugang hat zu den Tiefenschichten der Welt.

Also die Weltäther-Frage war die Frage nach dem feinsten Stoff, eine Frage, die besonders brisant wurde im Zusammenhang mit der Licht-Frage, was denn da im Licht und als Licht schwingt. Das ist die Grundfrage, die ja im frühen 19. Jahrhundert, als die Wellen-Theorie des Lichts eine gewisse Verbreitung erlangte, gegen die Newtonsche Korpuskular-Theorie, da war ja die Frage: Wenn denn dieses Licht eine Art von Wellenbewegung ist, dann müsste sich ja diese Wellenbewegung in einer unvorstellbaren, einer rasenden und geradezu betäubend schnellen Form vollziehen. Und dann die Frage: Wenn das so ist, welcher Art ist der Stoff, in dem das überhaupt möglich ist? Und dann gab es ja verschie­dene Überlegungen: Wie müsste dieser Stoff beschaffen sein? Man hat das ja zum Teil auch ausgerechnet, von ungeheurer Dichte, auf der einen Seite und auf der anderen Seite von einer unvorstellbaren Elastizität, eine Elastizität, die jeden physischen Stoff weit in den Schatten stellt. Also ein absolutes Paradoxon, ein Stoff, der auf der einen Seite alldurchdringend ist, oder sein soll, von äußerster Feinheit, auf der anderen Seite soll er eine Elastizität haben und eine Dichte um das zig-tausendfache von Stahl, so ist das von einigen Physikern ausgerechnet worden.

Also diesen Widerspruch galt es zu klären. Der ist im 19. Jahrhundert nicht geklärt worden, aber das war ersteinmal die Äther-Frage. Und längst waren alle älteren Vorstellungen von einem spirituell verstandenen Raum-Äther dahin. Es war letztlich eine Äther-Konzeption, die hier in Frage stand, die mehr oder weniger eine mechanistische war. Obwohl, wenn man das weiterdenkt, und das ist ja zum Teil auch geschehen, man zu erstaunlichen Schlussfolgerungen kommt. Und ich habe Ihnen ja auch dann erläutert in der betreffenden Vorlesung im Dezember, dass auch schon im Rahmen, im Kontext dieser Mainstream-Überlegung über den Äther die Vorstellung eines Nicht-Äthers, der puren Nichtexistenz dieses Äthers, fragwürdig ist im Zusammenhang etwa mit der speziellen Relativitätstheorie. Ganz davon abgesehen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit in den berühmten Experimenten [Michelson – Morley] in der Tat Äther-Wind-Effekte gegeben hat und die keineswegs ohne Äther-Wind-Effekt waren, wie oft behauptet wurde. Also wenn man die Quellen genauer studiert, dann stellt man fest, das hat tatsächlich Äther-Wind-Effekte gegeben. Ich habe kürzlich mit einem Physiker und Astronomen den Punkt verhandelt. Er meinte, das seien Messungenauigkeiten. Bis in die 20er Jahre habe es diese Messungenauigkeiten gegeben und in den neueren Ergebnissen würden diese Messunge­nauigkeiten nicht mehr auftauchen, da würden die Ergebnisse weitestgehend Äther-Wind-frei sein. Auf jeden Fall die Eliminierung dieser Äther-Vorstellung in diesem klassischen Sinne war schon eine fragwürdige Weichenstellung, ganz zu schweigen davon, dass man ganz andere Äther-Konzeptionen ja auch heranziehen kann, ich habe Ihnen das ja vorgestellt.

Wichtig ist, dass man bei all diesen Fragen, das muss ich mit einer gewissen Nachdrücklichkeit sagen, nie in den Fehler verfallen darf, in den aber fast alle Autoren zu dem Thema verfallen, dass man sich zufrieden gibt mit dem, was ich eine Eine-Ebene-Lösung nenne. Eine-Ebene-Lösung heißt, ich unterstelle eine Seins-Ebene als die eigentlich wirkliche. Zum Beispiel einen feinsten Stoff, dem ich bestimmte Eigenschaften zuspreche, ja ihn gar mit dem Raum gleichsetze. Und nun versuche ich aus diesem feinsten Stoff alle Phänomene der Existenz mehr oder weniger reduktionistisch abzuleiten, was das gängige Verfahren ist. Das ist ja eigentlich die Achse des Reduktionismus, die Zurückführung in dieser Form. Nicht dass das reduktive Element im Denken über Natur grundsätzlich falsch sei. Man kann gar nicht anders als bis zu einem gewissen Grade reduktiv vorgehen, man kann sogar bis zu einem gewissen Grade auch gar nicht anders, als in gewissen Zirkelschlüssen zu denken. Im absoluten Sinne kann kein Denken Zirkelschlüsse vermeiden, aber man muss vorsichtig sein, dass man nicht dem Trugbild verfällt, dass man mit diesen Vorstellungen auch weitergehende Qualitäten der Welt verstehen kann. Zum Beispiel eben auch die Seele-Geist-Qualitäten.

Und da meine ich, kommt man nicht aus ohne die Vorstellung der Weltseele, obwohl die Zusammenhänge zwischen dem, was Welt-Äther ist und was Welt-Seele ist, sehr schwer in einem argumentativen Sinne zu denken sind. Eine Weltseele, als All-Seele, als All-Bewusstsein ist ein alter Gedanke, aber was heißt es konkret, und wie steht es zum Weltäther, ganz zu schweigen jetzt zum Weltgeist. Was ist denn nun diese dritte Qualität? Ist das eine eigene göttliche Logos-Qualität in der Welt? Oder ist es mehr oder weniger alles das Gleiche? Es gibt ja ganz andere Modelle, die noch von einer Vielfachheit oder Siebenfachheit der Welt ausgehen. Also letztlich ist die Frage berührt: Was ist wirklich wirklich?

Max Planck hat es mal gesagt: Die einzige Aufgabe der Naturwissenschaft sei letztgültig, das absolut Reale zu finden, das eigentlich Reale. Und das ist die Frage: Was ist das eigentlich Reale, und inwiefern können wir es absolut setzen? Das muss man bei all diesen Vorstellungen mit aller Vorsicht sagen. Und da habe ich ein gewisses Fragezeichen bei vielen dieser Ansätze, dass sie also von einer Eine-Ebene-Lösung ausgehen. Ich will noch mal zwei Stellen aus meinem Buch „Räume, Dimension, Weltmodelle – Impulse für eine andere Naturwissenschaft” vorlesen, die diesen Punkt beleuchten. Ich habe diese Fragen in anderem Zusammenhang auch schon angesprochen, aber sie scheinen mir zentral wichtig zu sein. Man kann für Weltseele auch ganz plakativ und vereinfachend sagen: Das ist ein Begriff, der die All-Lebendigkeit fasst letztlich [als] ein Synonym für All-Leben [sieht]. Eine letztgültig auch intellektuell nach jeder Richtung abgesicherte und logisch konsistente Definition von Weltseele kann es meiner Meinung nach nicht geben, weil das dem Wesen dieser Grundqualität der Existenz widerspricht.

Also die Frage: Was ist die Weltseele? hat ja eine Riesenkontroverse ausgelöst, etwa zwischen Hegel und Schelling. Hegel hat ja Schelling den Vorwurf gemacht, er würde die Weltseele in einem quasi poetischen, ungenauen, verschwommenen, schwärmerischen Sinne denken. Aus gutem Grund haben dann Denker wie Hegel und andere den Begriff überhaupt gestrichen aus der Philosophie, genauso wie der Begriff über lange Zeit aus der Naturwissenschaft gestrichen wurde. Ganz bewusst etwa vermeidet Newton in seiner Argumentation, wie übrigens sein großer Gegenspieler Leibniz auch, den Begriff der Weltseele. Warum? Wenn Sie den großen Briefwechsel zwischen Samuel Clarke und Leibniz lesen, taucht nirgendwo der Begriff Weltseele auf, nur negativ, als Negativbegriff in dem Sinne: Wer von der Weltseele spricht, setzt die Welt als einen großen Organismus, und das sei im Kern eine atheistische Denkform, das sei quasi Gottesleugnung. Welt-Seele wird nur negativ verwendet. Ganz allmählich taucht dann der Begriff „Weltseele” wieder auf, im späten 18. Jahrhundert, aber nicht in der Naturwissenschaft, nur in der Philosophie und auch da gegen große Widerstände.

Also die gesamte Hegelianische Philosophie hat den Begriff der Weltseele schroff abgelehnt, und er hat eigentlich ein Kümmerdasein gefristet. Und wenn man jetzt auf die letzten 10, 15, 20 Jahre schaut, dann stellt man allerdings fest, dass der Begriff „Weltseele” eine erstaunliche Wiedergeburt erlebt und in verschiedensten Kontexten auf eine frucht­bare Weise wieder zum Tragen kommt. Aber es ist schwer, den Begriff wirklich zu etablieren, weil er verbunden ist mit Vorstellungen, die sowohl von der, sagen wir mal hegelianisch, an der Logik orientierten Philosophie, abgelehnt werden, als auch von einer reduktionistischen Naturwissenschaft. Da ist Weltseele also ein, eher ein Störfaktor, ein störender Begriff. Hier heißt es im dritten Kapitel: „Ich will nicht den mindesten Zweifel daran lassen, dass ich die hier skizzierte Vorstellung eines kosmischen All-Lebens” da war vorher von einem Zitat von Ernst Jünger die Rede, in dem er das explizit zum Ausdruck bringt, also „die hier skizzierte Vorstellung eines kosmischen All-Lebens in der Grund­richtung akzeptiere, ja für die einzig befriedigende Denkmöglichkeit halte, ganz eindeutig ohne die geringsten Abstriche, sage ich das. Die Weltseele ist eine Denknotwendigkeit, die einzig befriedigende Denkmöglichkeit. Alle anderen Denkansätze, etwa der eines wesenhaft oder überwiegend toten Universums, aus dem uns dann das sogenannte anthropische Prinzip retten soll, führen konsequent durchdacht in einen Irrgarten der Widersprüche, Zirkelschlüsse und Paradoxien”. Wer sich damit beschäftigt, mit dieser Frage, die ja auch eine naturwissenschaftliche ist ‒ wie entsteht Bewusstsein, wie entsteht organisches Leben ‒ wird immer wieder auf den Punkt stoßen, dass man nie über eine bestimmte Grenze hinauskommt. Man muss immer eine Art salto mortale anstellen aus der Es-Haftigkeit in ein wie immer geartetes Bewusstsein. „Dabei scheint mir die einzig konsequente und auch wirklich überzeugende Denkfigur zu sein, anzunehmen, das Bewusstsein als solches nie entstanden sein kann, sondern immer dagewesen sein muss.” Also die Bewusstseinsqualität der Welt, in den Tiefen, in der Tiefenstruktur des Kosmos verankert, ist ja mit ihr identisch, was etwa Schelling versucht hat zu denken, auch unzulänglich, mit vielen Schwächen, aber doch mit einer gewissen Konsequenz. „Schon Giordano Bruno hat dies in seinen kosmolo­gischen Schriften von 1584 bis 1591 überzeugend dargestellt, ähnlich überzeugend, und wie ich glaube, bis heute unwiderlegt, mit dem Gedanken der aktualen realen Unendlichkeit des Weltraums.” Auch da wenden Hegelianer und idealistische Philosophen ein, seit Kant sei die Frage des Raums doch letztlich im Sinne der Antinomien der reinen Vernunft eine Frage, die so gar nicht mehr gestellt werden kann. Der Raum ist eine Anschauungsform, wird gesagt, und die Frage, ob Endlichkeit oder Unendlichkeit, ist überhaupt keine relevante Frage mehr bzw. kann oder könnte gar nicht mehr ernsthaft gestellt oder gar beantwortet werden. Das glaube ich nicht. Ich glaube, die Frage ist immer noch eine sehr aktuelle Frage. Und dann hörte ich von einem berühmten Mathematiker über einen anderen, der mir das quasi kolportiert hat, der meinte also, man könne heute nur noch indefinite Unendlichkeit denken. Keine wirkliche Unendlichkeit, sondern eine indefinite Unendlichkeit. Das halte ich für einen nichtssagenden, einen Schummelbegriff, der letztlich der Unendlichkeit ausweichen soll. Was soll eine indefinite Unendlichkeit sein?

Natürlich kann man das mathematisch modellhaft fassen, aber letztlich wird man radikal und in gewisser Weise auch erschütternd für das Denken auf die Frage verwiesen ‒ Endlichkeit oder Unendlichkeit? Jede noch so gigantische Ausdehnung des Universums, die von einer Endlichkeit ausgeht, zerschellt an der Frage des unendlichen Raums. Ich meine, das hat, glaube ich, Bruno 1584 in seiner Schrift „Vom Unendlichen” klar bewiesen. Ich kann jeden auffordern, der das nachvollziehen möchte, diese Argumente nachzulesen, die von einem wirklich grandiosen intellektuellen Scharfsinn sind. Er hat wirklich gezeigt, dass man den Raum, wenn man ihn wirklich denken will, nur unendlich denken kann. Also, das halte ich für eine der großartigsten Leistungen der Philosophie überhaupt, obwohl viele diese Leistung gar nicht mehr anerkennen, heute sagen, es ist irrelevant, sozusagen, das ist überholt. Das glaube ich nicht. „Also schon Giordano Bruno hat dies in seinen kosmolo­gischen Schriften überzeugend dargestellt. Ähnlich überzeugend und, wie ich glaube, bis heute unwiderlegt, in den Gedanken der aktualen realen Unendlichkeit des Universums. Alles, was in diesem Buch gesagt wird über Gravitation, Äther, Gestirnbewegung und Ähnliches, ist nicht abzulesen von dieser grundlegenden These der absoluten Existenz des kosmischen All-Lebens”, von der ich in der Tat ausgehe, das ist eine Prämisse, eine für meine Vorstellung denknotwendige Prämisse, eine nicht letztgültig objektivierbare Prämisse. Man kann gar nicht ohne Prämissen denken. Und das ist eine Prämisse, die ich setze und auch klar benenne. „Der das kosmische All-Leben zusammenfassende Begriff heißt Weltseele. Die Weltseele ist das Alpha und Omega meiner gesamten Argumentation. Dieses Universum ist wirklich in toto lebendig, muss in toto lebendig sein, weil es lebendige und bewusstseinserfüllte Wesen hervorgebracht hat. Niemals könnte ein totes Universum Leben hervorbringen. Der Abgrund zwischen dem toten Es, einer absolut gesetzten Außen- oder Dingwelt und dem lebendigen Ich und Wir ist unüberbrückbar.” Das habe ich auch immer wieder versucht zu sagen und argumentativ zu untermauern. Der Sprung vom Es, vom dinghaften Sein zum Bewusstsein ist ein unvorstellbarer Schritt gegen den gehalten jeder Quantensprung zur Lächerlichkeit herabsinkt. Das muss man mal in der ganzen Tiefe begreifen: Was soll das heißen? Bewusstsein entsteht in einer bewusstseinsleeren Nacht? Wie soll die Flamme des Bewusstseins hier entstanden sein? Man kann das nur denken, indem man sagt, in irgendeiner Form, und sei es nur in Potentialität, muss Bewusstsein vorhanden sein. „Niemals könnte ein totes Universum Leben hervorbringen. Der Abgrund zwischen dem toten Es, noch einmal, einer absolut gesetzten Außen- oder Ding-Welt und dem lebendigen Ich und Wir, ist unüberbrückbar. ‒ Zugleich ist dieses alllebendige Universum ein kommunikatives Universum und nichts wäre verfehlter, als hiermit schwärmerische oder schöngeistige Gefühle zu verbinden, die ohne Verbindlichkeit bleiben und nichts oder niemanden bewegen. Das ist es nicht.”

Es wird ja häufig als Gegenargument gebracht gegen solche Gedanken: Das sind schwärmerische, letztlich literarische Gedanken, man wünscht sich, dass es so wäre, letztlich grinst uns nur die kalte Leere da draußen an und alles andere als Bewusstsein. Das glaube ich nicht. Ich meine, dass tatsächlich das Denken ohne diese Vorstellung schlechter­dings gar nicht wirklich voranschreiten kann. Ich jedenfalls habe bis zum heutigen Tage noch nichts gehört, was mich auch nur logisch-argumentativ oder philosophisch überzeugt hätte, das da[raus] hinausläuft: Hier ist eine tote Es-Welt und aus dieser springt quasi, wie der Hase aus dem Hut, das Bewusstsein. Das kann man behaupten, man kann das sagen, dass sei so ‒ wir kennen nichts Dergleichen. Empirisch ist es nicht. Die Empirie beweist ständig, allerorten, jederzeit etwas vollkommen Anderes.


Ich mache erst mal eine kleine Pause


… und wie das so im Bewusstsein weiter tradiert wird. Ich habe von zwei Stellen gesprochen. Ich will noch eine zweite kurze Stelle aus meinem Buch vorlesen, bevor wir dann noch einmal auf die Frage des Äthers und der Weltseele bei Bruno eingehen, [in] gewisser Weise in Weiterführung dessen, was ich das letzte Mal Ihnen gesagt habe. Übrigens die Frage, die in der Pause gestellt worden ist, ob es dieses Buch mittlerweile als Taschenbuch gäbe, aus der Reihe „Philosophie jetzt – Giordano Bruno” weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Reihe geplant war im dtv Taschenbuch Verlag.


Und danke, wusste ich ganz. Ja, ist identisch, ist also, wird also nachgedruckt im Deutschen Taschenbuch Verlag. Danke. Dann ist das also tatsächlich wahrscheinlich 14,90 oder 16,90 oder so. Auf jeden Fall müssen Sie dann nicht dieses relativ teure Buch für 48 Mark kaufen. Das sind 19 Philosophen, die da von Diederichs vorgestellt werden und Giordano Bruno ist einer davon. Ich wusste es nur von dem Marx-Band, dass es den
schon als dtv Taschenbuch gab.

Hier heißt es zu Beginn des siebenten Kapitels über die Frage Raum, Energie und Äther. In dem Unterabschnitt „Der Raum, das Licht und die Schwärze der Nacht”: „Einhellig berich­ten die Astronauten, der Weltraum sei wirklich vollständig schwarz. Eine allgegenwärtige, alles verschluckende Finsternis, die auch das Licht der Sonne und der Sterne nicht aufhält. Zunächst hätte man durchaus naiv annehmen können, da draußen sei alles gleißend hell, müsste nicht das gewaltige Licht der Sonne den gesamten Raum um die Erde in strahlendem Glanz tauchen? Stattdessen wirkt die Sonne wie ein blendender Strahler von der Größe eines Stecknadelkopfes. Aber was erhellt dieser Strahler? Den Raum selbst erhellt er nicht. Der Raum selbst bleibt finster. Erst die Materie macht das Licht sichtbar. Zwar muss es Licht auch dort geben, wo es nicht sichtbar ist, denn es entsteht ja nicht erst, wenn es auf Materie trifft. Aber diese Anwesenheit des Lichtes im Weltraum ist noch nicht das Licht selbst, das eigentliche Licht, sondern erst eine Art Ermöglichungsgrund des Lichtes. Irgendetwas in uns sträubt sich dagegen, das nur potenzielle, noch in der Finsternis verborgene und gleichsam von ihr eingehüllte Licht schon für das eigentliche Licht zu halten, das per definitionem eben sichtbar ist. Licht ist das, was erhellt und als es selbst, die Helligkeit an sich ist. Ein Licht, das man gar nicht sehen kann und das doch da ist, beunruhigt, ja überfordert den empirisch-sinnlichen Menschen. Nun war es theoretisch bekannt, dass das Licht selbst unsichtbar ist. Noch niemand hat jemals das Licht selbst gesehen. Erst wenn es auf Materie trifft, wird es dem Auge erkennbar. Zugleich wird auch die an sich finstere Materie sichtbar. In der Berührung der an sich finsteren Materie mit dem an sich finsteren Licht wird die sinnlich-sichtbare Welt geboren. Auch das, was es denn auf sich habe mit dem Raum, mit unserem rätselhaften Im-Raum-Sein und mit der möglichen Raumqualität von Geist oder von Bewusstsein oder sogar noch weitergehend, wie das der Phänomenologe Hermann Schmitz behauptet, der Raumqualität von Gefühlen. Er hatte eine wunderbare Theorie, die ich im nächsten Semester vorstellen werde und [die hat er] zusammen mit der Leib-Philosophie aufgestellt, dass auch Gefühle räumlich sind, in den Raum gegossene Qualitäten. „Und ein Ahnen kann oder könnte sich einstellen, dass diese Verschwisterung, wenn die Metapher sinnvoll ist, auf ein zeugendes Elternpaar verweist, dass Raum Licht und Bewusstsein hervorbringt. In seinem Buch ,Wege ins Unerforschte‘ schreibt Edgar Mitchell, ehemals Apollo-14-Astronaut, Zitat: ,Im Weltraum kann man mit bloßem Auge etwa zehnmal mehr Sterne sehen als auf der Erde, weil keine Atmosphäre da ist. Auch sind vertraute Objekte ungefähr zehnmal heller. Vor dem kalten schwarzen Hintergrund scheinen Sterne und Planeten zu glühen. Man bekommt den Eindruck, im Kosmos eingehüllt zu sein, wenn man um sich herum das prächtige, stille Glitzern der Milchstraße und der Galaxien jenseits davon sieht.‘ Zitat Ende. Edgar Mitchell. Der kalte schwarze Hintergrund, verleiht dann auch dem Bild des Planeten Erde seinen spezifischen Charakter. Und es entsteht der Eindruck einer Oase des Lebendigen inmitten einer lebensfeindlichen, absolut schwarzen Leere.” Sie kennen die berühmten Astronauten-Aussagen über diesen Punkt.

„Es ist unter anderem dieses Phänomen, dass die Faszination der Gaia-Ikone ausmacht. Und selten wird die an sich naheliegende Frage gestellt: Was ist diese Schwärze, diese Leere, dieser doch lichtdurchflutete und doch so undurchdringlich finster wirkende Raum? Der Raum der Welten und Gestirne: Das Licht, das wir nicht sehen, ist doch da? Eine kleine Drehung nur verursacht durch ein Stück Materie, macht das Unsichtbare jäh sichtbar. Also ist die Dunkelheit gar keine echte oder wirkliche Dunkelheit. Wenn dies so ist, kann der Raum nicht leer sein.

Es gibt viele Gründe, die Leere des Weltraums für einen Abgrund der Fülle und der Allgegenwart von Bewusstsein und Energie zu halten. Die unsichtbare Präsenz des glei­ßenden kosmischen Lichtes gehört zu ihnen. Das Finstere ist nicht wirklich finster, sondern eigentlich hell, und das Helle, ist es nicht eigentlich dunkel?” Wie ist das überhaupt mit Licht und Finsternis? Auch phänomenologisch, empirisch, eine hoch faszinierende Frage. Was ist überhaupt das Helle, das Lichte, das Finstere?

„Dass auch die Schwere einen Licht-Aspekt hat, ja an der tiefsten Tiefe selbst gleißendes Licht ist, ist bereits gesagt worden, und es wäre ein schauendes Auge vorstell­bar, das in der Schwere das Licht ihres Ursprungs wahrnimmt. Das Radialfeld ist die Strahlung selbst oder an sich das Urbild, die Urform aller Strahlungen. Die radiale Energie verbindet die physische mit der nicht-physischen Welt. Die Frage nach dem Wesen der allgegenwärtigen Finsternis, die auch das allgegenwärtige Licht ist, ist auch die Frage nach dem Wesen des Raumes: Ist der Raum selbst Licht-Raum? In den vielfältigsten Abstufungen und Manifestationen ist dann der Wechsel von Tag und Nacht nur Schein? Ist vielleicht gar das Licht der Finsternis stärker als das Licht des Tages? Das sind keine, das sind keineswegs im vordergründigen Sinne mystische oder dichterische Fragen, sondern Seins­fragen, naturphilosophische, ja physikalische Fragen und zugleich Fragen, die mit dem Tod zusammenhängen.” Und so weiter.

Also die Frage bleibt hier erst einmal gestellt, und sie ist eine auch existenziell phänomeno­logisch zutiefst aufwühlende, wenn man sich denn überhaupt dieser Art von Frage einmal anheim gibt. Wenn man diese Frage zulässt, wenn man die Frage zulässt, welche Empfindungen, welches Gefühl eigentlich durch den Raum ausgelöst wird, wie sich auch der menschliche Organismus, wie sich der Leib im Raum anfühlt, wie er im Raum steht.

Ich will versuchen, im nächsten Semester im Zusammenhang mit der Leib-Philosophie, diesen Fragen auch näher nachzugehen. Etwa, wie fühlt sich der Raum hinten an und vorne, rechts und links, oben und unten? Das sind jeweils ganz verschiedene, im Grunde ganz rätselhafte Raumqualitäten. Und allein diese Art von Raum-Phänomenologie ist ein weitgehend unerforschtes Terrain. Es geht hier tatsächlich, das ist wichtig, um den erfahrbaren Raum. Es geht nicht um mathematisch-abstrakte Konstruktionen über einen wie immer dimensionierten Raum. Das ist etwas Anderes, und eine ganz andere Frage und eine letztlich ja auch erkenntnistheoretisch schwierige Frage ist, welches Recht wir haben etwaige Dimensionen, Mehrdimensionalität im mathematischen Sinne nun, wie ich das gerne nenne, zu ontologisieren, zu sagen, das ist die Wirklichkeit? Also welches Recht haben wir zu sagen, wenn wir von einem etwa sechs- oder zwölf dimensionalen Raum sprechen, den man mathematisch konsistent entwickeln kann, zu sagen: Das ist wirklich so? Und da, glaube ich, ist eine wichtige erkenntnistheoretische Frage angesprochen, über die viele auch ganz leichtfertig hinweg springen. Und da muss man wirklich aufpassen, dass man nicht dann auch wieder auf eine andere Weise dem anheim fällt, was ich die Eine-Ebene-Lösung genannt habe. Dann kommt man in einen heillosen Reduktionismus nun mathematischer Art hinein, der ohne Erkenntniswert ist.

Ich will eine Stelle mal von Bruno noch nachtragen, vorlesen über die Weltseele. Ich habe das angedeutet, das letzte Mal in meiner Vorlesung über Bruno, habe aber kein Zitat gebracht. Für Bruno ist der Gedanke der Weltseele ein Schlüsselgedanke. Ich sagte es schon, in gewisser Weise identifiziert Bruno den unendlich vorgestellten Raum mit der Weltseele, obwohl diese Gleichsetzung niemals explizit vollzogen wird. Sie ist aber implizit in seinen Büchern vorhanden, also nicht ausdrücklich wird es jemals so gesagt. Da heißt es hier einmal bei Bruno: „Die universelle Vernunft” – das ist quasi der universelle Geist, das Geist-Prinzip oder Logos-Prinzip in der Welt – „ist das innerste, wirklichste und eigenste Vermögen und der Teil der Weltseele, die ihre Macht bildet. Sie ist ein Identisches, welches das All erfüllt, das Universum erleuchtet und die Natur unterweist, ihre Gattung so, wie sie sein sollen, hervorzubringen. Sie verhält sich demnach zur Hervorbringung der Dinge in der Natur, wie unsere Vernunft sich zur entsprechenden Hervorbringung der sinnvollen Gestalten verhält. Sie wird von den Pythagoreern der Beweger und Erreger des Universums genannt. Von den Platonikern wird sie der Welt-Baumeister genannt. Dieser Baumeister, sagen sie, tritt aus der höheren Welt, welche völlig eins ist, in diese sinnliche Welt hinüber, welche in die Vielheit zerfallen ist, wo wegen der Trennung der Teile nicht nur die Freundschaft, sondern auch die Feindschaft herrscht. Diese Vernunft bringt alles hervor, indem sie selbst ruhig und unbeweglich erhaltend, etwas von dem ihrigen in die Materie eingießt und ihr zuteilt. Wir nennen sie den inneren Künstler, weil sie die Materie formt und von innen heraus gestaltet.” Das Letztere steht natürlich in der aristotelischen Tradition, in gewisser Weise auch der Tradition der Vorstellung, der Entelechie, also das von innen-heraus-Gestalten, die Seele als das Form-Prinzip. Nicht immer klar getrennt ist in vielen Aussagen auch anderer Denker über die Weltseele die Gestirn-Seele von der All-Seele. Das hat ganz nahe liegende geschichtliche Gründe, weil, als in der abendländischen Philosophie der Gedanke der Weltseele aufkam, bei Platon im „Timaios” war das ja ursprünglich eine Konzeption bezogen auf eine, auf diese eine und nur eine Welt, also eine geozentrische Konzeption, konzipiert also im Rahmen des geokonzentrischen Schalen-Kosmos. Und als dann in der Renaissance diese Vorstellung wieder aufgegriffen wurde, in der platonischen Akademie von Marsilio Ficino und anderen, ging man zunächst vorkoper­nikanisch von der einen und einzigen Welt, einer geozentrisch gedachten Welt aus, und erst in dem Schritt, der dann im Nachkopernikanismus besonders radikal von Bruno vollzogen wurde, kommt dann der Gedanke eines unbegrenzten Raumes in die Konzeption der Weltseele hinein.

Nun ist die Frage, wie sieht es mit den Gestirnen überhaupt aus? Auch sie haben nach Bruno eigene innere Seelen- und auch Bewegungskräfte, diese sind aber nicht identisch mit der Weltseele. Also das muss man unterscheiden, obwohl es häufig genug auch in der Literatur, die darauf Bezug nimmt, nicht unterschieden wird. Noch ein kurzes Zitat zu dieser Frage der Verbindung von Allheit, Einheit und Vielheit, die bei Bruno ein zentrales Element ist. Wie kann denn das Viele gleichzeitig das Eine sein und das Eine gleichzeitig das Viele? Und Bruno bedient sich in dem Kontext immer wieder der Metapher des Spiegels. Sie erinnern sich vielleicht an das eine Zitat, das ich letzte Mal gebracht habe über die vier Stufen der Erkenntnis: die sinnlich-physische Erkenntnis als unterste, dann die intellektuelle Erkenntnis, dann die vernünftige Erkenntnis und schließlich die höchste Stufe der mit dem Geist, gleich mens, verbindet, die eine Art Schau ist, eine Art Universal­schau, das heißt: Der Kopf, schreibt Bruno, wird ganz Auge, und zwar auch hinten, also eine Art vollständiger Schau, einer Panoramaschau, eine Art perspektivische Gesamtschau, von der Bruno mehrfach berichtet. Hier heißt es einmal in einem Buch von Bruno, das den Titel trägt „Die Fackel der dreißig Statuen” über diesen Zusammenhang: „Wenn es eine Sonne gibt und einen zusammenhängenden Spiegel, dann kann man die eine Sonne in jenem ganzen Spiegel betrachten. Wenn es nun aber geschieht, dass jener Spiegel zerschlagen wird und in unzählige Teile zersplittert, so repräsentiert doch jeder Teil das Ganze, und wir sehen in jedem Splitter das ganze ungeteilte Bild der Sonne. In diesen Splittern aber wird wegen ihrer Kleinheit und weil sie in Unordnung geraten sind und sich vermischt haben, fast nichts mehr von der universellen Form erscheinen, die aber dennoch in ihnen enthalten ist, allerdings auf eine unentfaltete und verborgene Weise.” Also eine sehr klare, ja auch alte Metaphorik, die hier von Bruno aufgegriffen wird, um zu zeigen, wie das Viele mit dem Einen zusammenhängt, wie sich das Eine in dem Vielen spiegelt. Für Bruno ist es die Hauptaufgabe überhaupt der Philosophie, diesen Nachweis zu erbringen. Erklärung ist für ihn letztlich die Zurückführung des Vielen auf das Eine, das All-Eine.

Eine zweite Stelle möchte ich Ihnen gerne noch präsentieren über die Frage auch von Raum und der Frage leerer Raum, gefüllter Raum, Vakuum, Nicht-Vakuum, Äther-Weltseele, und zwar aus einer Schrift, die erst in diesem Sammelband hier erstmalig übersetzt wurde, „De magia”, „Über die Magie”. Da gibt es einige wunderbare Passagen über die Frage des Vakuums, genauer gesagt, der Nichtexistenz des eigentlichen Vakuums. Ich lese mal diese Passage vor, weil sie auf eine sehr schöne Weise auch gleichzeitig noch mal ein Licht wirft auf das, was ich letzte Mal Ihnen erläutert habe und dargestellt habe über die Vorstellung Brunos in diesem Zusammenhang. Da heißt es in dem Abschnitt über die Vereinigung oder Gemeinschaft der Dinge in der Schrift „De magia”, „Über die Magie”, wir wissen nicht genau, wann die Schrift entstanden ist, ungefähr 1586 bis 1591. Bruno schreibt da: „Es ist erlaubt, eine Ursache anzunehmen und in Betracht zu ziehen, durch die nicht nur die Handlung in Bezug auf das Nächstgelegene, sondern auch in Bezug auf das gemäß der sinnlichen Wahrnehmung Entfernte bestimmt ist.” Nicht, es geht auch um die Frage der Fernwirkung. „Der Sache nach handelt es sich hier um einen Vorgang, der durch die Gemeinschaft des Universalen Geistes zustande gebracht wird, der ganz im Ganzen und in jedem Teil der Welt ist.” Das ist wichtig für die Brunosche Konzeption der Weltseele. Die Weltseele hat keine Teile, sondern die Welt- oder All-Seele ist in jedem Raum-Atom gleichsam, in jeder Monade ganz, das heißt in jedem Teil ist das Ganze nicht etwa ein Teil des Ganzen. Die Welt-Seele ist nicht in diesem Sinne teilbar. „Daher kommt es, dass sowie verschiedene Lichter im gleichen Raum ihre Bahnen ziehen, auch nach Potenz und Akt” – also potentia die Möglichkeit und actus die Wirklichkeit – „verschiedene Seelen ihrer begrenzten und unbegrenzten Zahl nach im Universum in einer Gemeinschaft verbunden werden. Die Figur der Körper aber wird nach der Art einer Umschreibung von einer eigenen Oberfläche oder Peripherie begrenzt, auch wenn die Körper ihrer verschiedenen unzähligen Teile nach aus verschiedenen und unzähligen Orten bestehen. Wenn wir Ort als Raum verstehen” – das geht auf Aristoteles zurück – „so kann ein Körper ebenso wenig auf einen Körper einwirken wie Materie auf Materie bzw. Teile eines Körpers auf die Teile eines anderen Körpers, sondern jede Aktion kommt von der Qualität, von der Form und letztlich aus der Seele.“ – Also Kurzform: Die Fernwirkung wird über die Weltseele vermittelt. – „Diese verändert zuerst die Dispositionen, damit dann die Dispositionen den Körper verändern.” – Also quasi ein zwischengeschaltetes Feld wird hier eingeführt. – „So wirkt der Körper auf einen entfernten und einen nahen Körper ein und auf seine eigentümlichen Teile, und zwar durch den gewissen Konsensus, die Copula,” – also Verbindung – „und Vereinigung, die die Form ist, die wiederum die Weltseele ist.” Bruno identifiziert häufig genug die Weltseele mit der universellen Form. „Weil deshalb jeder Körper von der Form gelenkt wird, bzw. die Teile von Teilen, die durch einen Spiritus” – Geist – „verbunden werden, wie es ja vorkommt, dass eine Seele auf eine andere, ihr nächste, überall und von überall einwirkt, so kommt es auch notwendigerweise vor, dass sie auf den Körper einwirkt wo immer sie auch sei, als auf das, was jener Seele zu Diensten steht, und ihr untersteht.” Diese Art von Wirkung in die Ferne in einem seelischen Sinne wird von Bruno ganz eng mit der Weltseele verbunden. Er liefert in diesem Buch, in diesem Büchlein „De magia” eine Art naturphilosophische Grundlegung der Magie, auch der Korrespondenzenlehre im Sinne der Renaissance-Philosophie, die damals, das habe ich ja angedeutet, ungeheuer verbreitet war. „Wer also diese unauflösliche Kontinuität der Seele, die mit einer gewissen Notwendigkeit an den Körper gebunden ist, erkannt hat, wird nicht nur auf mediokre Weise über ein Prinzip verfügen, um zu operieren und um auf wahrere Weise über die Natur der Dinge zu meditieren. Er wird auch hier sogleich den Grund dafür finden, warum es kein Vakuum gibt bzw. keinen Raum ohne Körper.” Das ist wichtig. Damit ist, werden wir gleich sehen, nicht gemeint, dass der Raum in Gänze angefüllt sei von physisch-sinnlichen Körpern. Das gibt auch den universalen feinstofflichen Körper, also „dass es kein Vakuum gibt bzw. keinen Raum ohne Körper. Es bewegt sich ja kein Körper aus einem Ort fort, ohne dass ein anderer nachrückte. Die Seele zwar verlässt ihren eigenen Körper nach dem Leben, den universalen Körper aber kann sie niemals verlassen. Oder, wenn du es so lieber sagen willst, sie kann nicht von dem universalen Körper verlassen werden. Die verlassene Seele nämlich, einfach oder zusammengesetzt, wird auf ein anderes Einfaches oder Zusammengesetztes übertragen, oder es wird die von einem Körper verlassene Seele von einem anderen Körper aufgenommen und gestützt.”

Das geht in die Lehre der Seelenwanderung, die Bruno auch zurückgreifend auf pythagoräische Vorstellungen Anderer in seiner Philosophie verarbeitet hat, ohne dass sie auf eine sehr starke Weise ein Hauptakzent wäre. „Sie hat einen unauflöslichen Nexus mit der universalen Materie, und weil ihre Natur überall ganz und kontinuierlich ist, nimmt sie wahr, dass die körperliche Natur überall zugleich mit ihr existiert. Daher der Schluss, dass es kein Vakuum geben kann als Raum ohne Körper. Dass also das Vakuum wie der Raum ist, in dem verschiedene Körper aufeinander nachfolgen und sich bewegen. Von da kommt auch die zusammenhängende Bewegung der Teile eines Körpers gegen die Teile eines anderen, nämlich durch den Raum” – jetzt eine wichtige Stelle – „durch den Raum als Kontinuum, das nirgends durch ein Vakuum unterbrochen ist, das zwischen zwei vollen Raumteilen wäre.” – Also der Raum als ein universell gefülltes Kontinuum. – „das nirgends durch ein Vakuum unterbrochen ist, das zwischen zwei vollen Räumen teilen wäre, außer wir nennen Vakuum Dasjenige, in dem eben kein sinnlich wahrnehmbarer Körper ist.” Das [raum]körperliche Kontinuum ist tatsächlich nicht sinnlich wahrnehmbar, das ist wichtig. „Es besteht nämlich in einem luftigen oder ätherischen Spiritus, Geist. Jener ist das Aktivste und Wirkungs­vollste sozusagen mit der Seele am meisten wegen seiner Ähnlichkeit mit ihr verbunden, aufgrund deren er mehr zurückweicht von der Dichte der schwerfälligen Substanz der zusammengesetzten und wahrnehmbaren Dinge.” – Und so weiter.

Dann führt Bruno ein bisschen später den Begriff des geistigen Körpers ein und identifiziert ihn mit dem universalen Körper und diesen wiederum in gewisser Weise mit dem Weltäther. Das sind Gedanken, die einen letztlich dazu bringen könnten, zu vermuten, dass Bruno den Raum als Äther denkt, dass er in gewisser Weise an Raum-Äther denkt, obwohl es in dieser expliziten Form nicht gesagt wird. Eine zweite kurze Stelle nochmal zu dieser Frage des Allzusammenhangs aus einem anderen Buch über die Monas, über die Einheit, über die Monade. Da heißt es: „Ein Seiendes, das die Formen der Dinge, das Leben und die Zahl umfasst, wird in einem unendlichen Kreis und in einer unendlichen Sphäre erkannt.” Eine bei Bruno kolossal wichtige Denkfigur, die Vorstellung einer unendlichen Kugel. Natürlich kann man sagen, die Kugel, per definitionem, ist und kann nur sein, eine endliche Kugel, eine unendliche Kugel kann es nicht geben, dann wäre sie keine Kugel mehr. Insofern ist es eine Metapher, wenn man so will, die sich selbst überschreitet. … „als ein Wahres, Ähnliches und Eines. Und du wirst nur das ein für sich selbst von allen Seiten her Bestehendes nennen, was in allen Teilen Gleiches ist. Freilich nennst du auch so das Unendliche, in dem du das Zentrum überall annimmst.”

Die berühmte Aussage: In einem unendlichen Raum ist das Zentrum in jedem einzelnen Raumpunkt, nämlich überall. Also die unendliche Kugel, wenn dann die Metapher einen Sinn macht, ist eine Kugel, deren Zentrum überall ist, eine Aussage übrigens, die [es] schon in etwas anderer Form in den hermetischen Schriften, in dem Corpus des Hermes Trismegistos gibt, auf die sich Bruno mehrfach bezieht. Das sind diese Schriften, auf die sich Bruno mehrfach bezieht, von denen man annimmt, dass sie aus dem zweiten, dritten, vierten nachchristlichen Jahrhundert stammen. Neuere Forschungen allerdings vermuten, dass die Schriften doch wesentlich älter sind, als man lange angenommen hat. „Der eine Kreis und die Kugel zeigen diese Natur in den Dingen auf vollkommene Weise an. Auch wenn wir ihre Bewegung betrachten und ihre Kraft, sich zu bewegen. Der Kreis ist das Fatum, das über allem mit seinem unbeugsamen Gesetz, nachdem sich auch die kontingenten Dinge in ihrer Gewissensfreiheit verbinden, manchmal in Bezug auf ihr Ziel. Das Fatum steht fest als etwas ganz Notwendiges, auch wenn sich der Wille der Natur und der Wille des Geistes widersprechen. Dort wurde nicht ein Ganzes, sondern Partikuläres ausgemacht. Ein Gesetz ist es, nachdem wir durch die Natur geflossen sind, von einem hohen Prinzip aus und indem wir uns erhalten mit Sinn und Ingenium Beschenkte und Lebendige. Schließlich werden wir im Rückfluss aus der dem Tode nahen Gegend zu unserem hohen Ursprung zurückgeführt.” Und so weiter.

Hier stellt Bruno dann seine Lehre dar, die er zum Teil auf Nicolaus von Cusa aufbaut, der Identität des Maximums und des Minimums. Das spielt ja auch in meiner eigenen Naturphilosophie-Kosmologie eine große Rolle. Das habe ich Ihnen ja versucht zu erläutern. Die Frage nämlich, ob in einem äußersten Verdichtungspunkt, wie Bruno das auch mehrfach erläutert, nicht ein Umschlag erfolgt. Es gibt ja bei Bruno eine kleine Schrift, ich habe das ja schon mal angedeutet, die den Titel trägt „De contrazione”, über die Zusammenziehung, und da stellt er dar eine geistige Übung, eine Art Exerzitium, eine Meditation, wenn man das so nennen will, wie der Einzelne meditativ konzentrativ in der Lage ist, von der Kugelperipherie zunehmend weiter ins Innere zu kommen, und wenn das Bewusstsein das geschafft hat, sich ganz in den Mittelpunkt der Kugel zurückzuziehen und quasi in diesen Einheitspunkt, diesen magischen, gleichsam implodierenden Punkt, dann verstrahlt das Bewusstsein in die Unendlichkeit des Alls. Er bringt immer wieder solche meditativ orientierten Bilder in diesem Zusammenhang, sodass man vermuten kann, dass er viele seiner philosophischen Konzeptionen aus derartigen, wenn man es so nennen will, Exerzitien mit gewonnen hat, also die Kontraktion als eine ganz wichtige Grundfigur, also die äußerste Zusammenziehung auf einen Punkt lässt die gesamte Strahlkraft, die unendlichen Radien dieser Kugel in diesem einen Punkt implodieren, und dann folgt die Strahlung in die Unendlichkeit des Alls hinein.

Die Zusammenhänge von Weltseele und Weltäther, ich habe das schon gesagt, sind sehr schwer argumentativ und restlos schlüssig auf den Punkt zu bringen. Ich glaube nicht, dass das im Moment möglich ist. Man muss da gewisse Unschärfen zur Kenntnis nehmen und auch stehenlassen. In Gesprächen ist mir immer wieder deutlich geworden, dass es hier eine grundlegende Barriere gibt, auch in der sprachlichen Fassung. Ich habe das ja schon im Hinblick auf die Weltseele genannt [benannt]. Wenn man fragt: Was ist genau, begrifflich präzise, sagen wir mal auch im Sinne der Hegelschen Logik, die Weltseele, dann muss man diese Unschärfe lassen, dann kann man im Kontext dieser logischen Zirkel diese Frage nicht klären. Es ist insofern kein Zufall, dass aus dem Kontext dieser logischen Zirkel eigentlich der Begriff „Weltseele” eher eliminiert wird. Also ich sage es nochmal, Weltseele mit einer gewissen Unschärfe, mit einer ganz bewussten Unschärfe, eine Art Universal­begriff für die Existenz, für die reale, für die wirkliche Existenz des Alllebendigen im Universum. Das ist gemeint. Und diesen Begriff nun noch weiter zu pressen, in gewisser Weise, ihn noch zu präzisieren in einer logisch-argumentativen Weise wird nicht gehen, geht jedenfalls im Moment nicht und muss so stehenbleiben.

Genauso schwierig ist natürlich die Frage einer restlosen Klärung und begrifflichen Fixierung dessen, was Weltgeist sein soll. Ich habe ja vorhin schon angedeutet, dass man einen gewissen Grad von objektivem Idealismus in jeder Naturphilosophie voraussetzen muss. Ich muss als Jemand, der den Kosmos, der das Universum betrachtet, bis zu einem gewissen Sinne davon ausgehen, dass mir da draußen tatsächlich ein Geist antwortet, dass eine gewisse Korrespondenz besteht zwischen diesem Geist und mir selber. Wenn ich das in einem absoluten Sinne verneine und sage, das ist nicht der Fall, es gibt diesen Geist nicht, es gibt dieses Korrespondierende, dieses antwortende Bewusstsein nicht, bin ich zurückge­worfen auf mich selbst und bleibe letztlich im Zirkel meiner eigenen Projektion stecken, dann komme ich nicht raus aus dem Zirkel. Ich muss in gewisser Weise die Prämisse machen, das ist eine Prämisse, dass so etwas wie Geist tatsächlich in der Welt vorhanden ist und zwar wirklich vorhanden ist. Und dann ist die nächste Frage, die ich ja auch verschiedentlich in dem Semester angesprochen habe, muss man dann den nächsten Schritt gehen und sagen: Geist lässt sich nicht denken, Bewusstsein lässt sich nicht denken ohne ein Wesen, ohne Wesen, jetzt Plural, die diesen Geist, das Bewusstsein haben.

Das hatten wir ja schon auch in der letzten Stunde in der Diskussion, die Frage mit dem Träger dieses Bewusstseins. Dann könnte man den nächsten Schritt wagen, zu sagen, diese Geistqualität in der Welt da draußen im Universum ist auch zugleich ein Hinweis auf Wesen, auf Existenzen, auf seelisch geistige Wirklichkeiten und Wirkkräfte. Das ist natürlich ein Schritt, der nicht unbedingt mit dem Hinweis auf den objektiven Idealismus abgedeckt ist, aber der möglich ist. Dann wäre man also völlig in einem vollkommen anderen Universum. Wenn man diesen Schritt vollziehen möchte, dann wäre man im brunoischen Sinne in einem allbelebten Universum, in einem von brodelndem Leben erfüllten Universum, was tatsächlich auf vielfältige Weise auch Wesenheiten enthält und geradezu konstituiert wird durch diese Wesenheiten. Dann wären auch die Gestirne, wie ich das ja mehrfach auch angedeutet habe, große götterähnliche Wesenheiten mit einem quasi kosmischen Bewusstsein. Dann ist alles anders. Dann wäre man schlagartig in einer vollkommen anderen Welt. Und das ist nicht ausgeschlossen, dass der Punkt kommen könnte in der Bewusstseinsgeschichte der Menschheit, sage ich mal prognostisch, wenn wir uns nicht selber vorher zerstören, dass das tatsächlich auch erreicht wird, dass man tatsächlich an den Punkt kommt, wo man begreifen wird, dass wenn man in dieses All hinauf- oder hineinblickt, in ein Bewusstsein hineinblickt, in ein lebendiges, auch wesenhaftes Bewusstsein. Und es ist natürlich eine vollkommen andere Blickperspektive, die dann in die Betrachtung kommt, als wenn ich mich als einsames, isoliertes Individuum in einem betäubenden Nichts betrachte, in einem Raum-Nichts, das irgendwo rätselhaft verstrickt ist in eine Außenwelt, die überhaupt nichts von mir weiß, die mich nicht kennt, nicht will, im Sinne dessen, was ich manchmal nenne das Du-bist-nicht-gemeint-Universum, also das Du-bist-nicht-gemeint-Universum, dann kann der Mensch nur, und ist dann auch nur, ein Zigeuner am Rande sein, wie es Jacques Monod gesagt hat, dann ist er nicht gemeint. Dann ist er hinaufgewirbelt in einem Zufallsprozess, in eine monströse Kulisse hineingestellt, wo er dann, wenn er konsequent wäre, sich auch nur daraus verabschieden kann, dann kann er sozusagen nur in die innere Emigration wandern. Dieses Universum kann da nicht seine Heimat sein, aber das ist noch nicht ausgemacht.

Insofern ist es in gewisser Weise verständlich, wenn viele Intellektuelle, ich sage ja spätestens seit Nietzsche, genau diese Emigration vollzogen haben. Ich habe das ja angedeutet, bis hin zu Sloterdijk, der ganz explizit sagt: Wer als Intellektueller heute ernst genommen werden will und beschäftigt sich mit kosmologischen Fragen mit einer gewissen Leidenschaft, was ich ja, wie Sie wissen, auch tue, der ist gar nicht ernstzunehmen. Das ist natürlich ein radikales Verdikt über Denken über [das] Universum überhaupt. Das hat zu dieser ungeheuren Spaltung geführt, dass philosophische Intellektuelle sich mit diesen Fragen überhaupt nicht mehr beschäftigen, dieses Heft vollkommen abgegeben haben an die Physik, Astrophysik, Astronomie, Kosmologie. Das ist schade. Das ist eine verhängnis­volle Schere. Und mein Bemühen seit Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, besteht ja darin, das zusammenzuführen. Und da sehe ich auch eine Chance für die Philosophie. Ich habe das gerade nochmal mit einem längeren Gespräch mit einem Journalisten ventiliert den Gedanken, dass gerade da eigentlich die Philosophie eine große Chance hätte, wenn sie überhaupt noch einen Sinn haben soll, wenn sie nicht vollkommen abdanken will und sozusagen das Feld frei lässt für die reduktionistische Physik mit ihren Anreicherungen, was weiß ich, durch New Age und spirituelle Physik, Dao der Physik und was nicht alles, aber letztlich sich vollkommen rausnimmt oder sich verstrickt in, was weiß ich, hegel­ianisch-logische Zirkelspiele, was auch nichts bringt, also nach meiner Überzeugung.

Also, es wäre wirklich die Philosophie nochmal aufgerufen, einen neuen Beitrag zu leisten für diese Frage, die ich eingangs gestellt habe: Wo sind wir? In was für einem Universum leben wir eigentlich? Das kann ja letztlich keinem Menschen gleichgültig sein. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ein Mensch das mit Gleichgültigkeit betrach­tet, wie die Dinge sind, wie er in den Dingen steht, in welchem Universum er sich befindet.

Er kann die Frage ausklammern, er kann sagen, die Frage ist letztlich eine religiöse Frage, die ist gar nicht zu klären von der Wissenschaft, dass Denkmuster kapitulieren. Man kann da glauben oder nicht glauben. Das ist eine andere Frage. Aber es gibt auch eine Dimension von Erkenntnis, die über die Glaubensebene hinausreicht. Und da sind wir, glaube ich aufgerufen, was zu leisten, und da ist noch viel zu leisten. Und da finde ich, dass da etwa der Philosoph Giordano Bruno eine wichtige Rolle spielen kann. Und ich bin gespannt, was zu dem 400. Todestag, der ja bald kommt, in der sogenannten Öffentlichkeit sich ereignet. Da werde ich ja auch ein bisschen dran beteiligt sein, wie sich das gestaltet. Also wenn ich den Text lese, der da in der Ankündigung des Urania-Vortrages steht, also wenn ich diesen Text mir angucke, dann kann man immerhin vermuten, dass da bestimmte Gedanken diese Richtung geäußert werden. Zumindest scheint man begriffen zu haben, dass die Frage nach einem lebendigen Universum wirklich eine zentrale Frage ist. Aber ich habe schon angedeutet, ob ich zu dem Vortrag, ob ich mich da in den Saal setze, wahrscheinlich nicht, aus verschiedenen und durchaus verständlichen oder naheliegenden Gründen werde ich das wahrscheinlich nicht tun. Auf jeden Fall, die Frage bleibt auf der Tagesordnung und ist vielleicht mehr denn je auf der Tagesordnung. Und wenn diese Vorlesungsreihe, die ja noch eine weitere Vorlesung in der nächsten Woche enthält, ein bisschen, sagen wir mal, ein Ahnen in der Richtung vermittelt hat, wäre das schon viel. Denn mehr als das kann es nicht sein, ein Ahnen zu vermitteln, dass die Frage nach der eigenen Existenz im Universum noch einmal ganz neu grundlegend gestellt werden muss. Man kann nicht einfach das abgeben an die reduktionistische Naturwissenschaft-Kosmologie. Die hat da im Grunde keine wirklichen Antworten oder zieht sich aus den wirklichen Antworten heraus, stellt schon gar nicht mal die Fragen und delegiert es von vornherein an die Glaubensfakultät. Kann sein, kann nicht sein, kann man glauben, muss man nicht glauben, nach dem berühmten Muster. Ich glaube, das ist zu kurz gedacht und das heißt, das Denken nun wirklich zu klein machen. Ich denke, da hat das wirkliche Denken eine große Chance und in dieser Richtung habe ich bisher gearbeitet und werde auch weiter in der Richtung arbeiten.

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Giordano Bruno zum 400. Todestag

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000 Dozent: Jochen Kirchhoff

Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 33

Transkript als PDF:


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Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich, wie immer zu der nunmehr elften Vorlesung in diesem Wintersemester. Thema ist heute ein konkreter Anlass, der eigentlich erst den 17. Februar 2000 berührt, nämlich der 400. Tag der Ermordung, muss man sagen, Giordano Brunos durch die Inquisition am 17. Februar 1600.

Zuvor, hier liegen wie immer Kassetten-Mitschnitte der letzten anderthalb Jahre aus. Sie können das käuflich erwerben. Das kostet vier Mark. Das steht Ihnen zur Verfügung. Dann habe ich zwei kurze Ansagen. Ich habe Anrufe bekommen, ich soll das auslegen. Ich identifiziere mich nicht damit, aber es könnte für den Einen oder Anderen von Interesse sein. Da gibt es eine Vortragsreihe über Buddhismus, die hier startet, an der Humboldt-Universität am dritten Februar. Das liegt hier aus; und eine weitere Veranstaltung in Rottenburg, auch bezogen auf einen Anruf, den ich … immer es war, damit ist der Sache Genüge getan. Wir müssen da nicht weiter ins Detail hineingehen.

Der Gedanke … oder das Gedenken an Giordano Bruno kommt in diesen Wochen sehr zögernd, sehr mühsam ins Rollen, was mich wundert. Es wäre eigentlich zu erwarten, dass in der Presse, im Rundfunk, im Fernsehen schon in irgendeiner Form etwas geschieht. Bisher ist das nicht der Fall. Meine Bemühungen beim Rundfunk, da etwas zu tun, sind bislang gescheitert. In der Urania, wo ich ja langjähriger Dozent bin, hat man mir mitgeteilt, es gäbe bereits für den 17. Februar einen Vortrag. Der ist schon festgelegt, müsste bald im Programm erscheinen. Also ich werde da nicht auftreten, was ich ursprünglich wollte. Und so beschränke ich mich auf einige Zeitschriftenbeiträge und auf diesen jetzigen Vortrag, der in gewisser Weise vorgezogen ist.

Ich will versuchen, Ihnen in kurzer Form etwas zu vermitteln von der ungeheuren Brisanz, der revolutionären Einzigartigkeit dieses Denkens, das auch für heute, für die Jetztzeit, nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Es ist hier ein sehr naheliegender Gedanke zu sagen: Da hat es einen Philosophen gegeben vor über 400 Jahren, dieser Philosoph ist, da ursprünglich Dominikaner und dann als Ketzer gebrandmarkt, in Rom verbrannt worden. Das sei sozusagen eine Thematik von vorgestern. Und Bruno wird ja in vielen Darstellungen der Philosophie und der Naturwissenschaft als bedeutender Denker gewürdigt, aber immer mit gewissen Einschränkungen.

Die Naturwissenschaftler zum Beispiel sagen, Bruno sei sicherlich wichtig. Man kann auch kaum leugnen, dass er wesentliche Gedankenimpulse weitervermittelt hat, etwa an Galilei, an Kepler, auch an Newton, überhaupt an die spätere Astronomie, auch Astrophysik. Aber meistens kommt dann eine Einschränkung: dass Bruno im Grunde genommen nicht wirklich Naturwissenschaftler gewesen sei. Er sei quasi Poet gewesen, letztlich ein Schwärmer, ein Mystiker, wie es auch manchmal heißt. Sie kennen vielleicht das berühmte Wort des Philosophen Ernst Bloch, der Bruno sehr schätzte, sehr verehrte, der gesagt hat in seiner „Geschichte zur Philosophie der Renaissance“: Bruno sei ein Minnesänger der Unendlichkeit. Das war positiv gemeint, hat natürlich eine gewisse, sagen wir mal, ironische oder spöttische Konnotation ‒ ein Minnesänger der Unendlichkeit. In vielen Darstellungen erscheint Bruno als ein Quasi-Mystiker.

Jetzt gerade wieder vor einigen Wochen ist ein Büchlein erschienen über Bruno von Gerhard Wehr im dtv-Verlag. Ich habe das überflogen, weil da im Wesentlichen nichts Neues für mich drinsteht. Aber mir ist aufgefallen, dass auch da wieder die Komponente des Mystischen herausgestellt wird. Und, auch bezeichnend, und das muss man im Vorfeld sagen, die eigentlich nicht christliche, um nicht zu sagen antichristliche Haltung Brunos, an der überhaupt kein Zweifel ist. Diese antichristliche Haltung wird runtergespielt, wird als eine Konfrontation dargestellt, die nur der Kirche gegolten habe. Das stimmt nicht. Das kann man sehr genau an den Zeugnissen belegen, dass, wie das Hans Blumenberg mal gesagt hat, ein guter Bruno-Kenner, dass die Bruno’sche Kosmologie ins Zentrum, in die Substanz des christlichen Glaubens reicht und dieses Zentrum, die Substanz, attackiert und zwar sehr scharf attackiert und nicht die historische Form, in der der christliche Glauben in den Kirchen sich manifestiert hat.

Dann natürlich ist es klar, dass im Rahmen der Philosophie auch Bruno immer wieder Erwähnung findet. Auch hier findet man eine ähnliche, sagen wir mal, Relativierung. Es wird nicht bestritten, dass Bruno ein wichtiger Denker sei, er hat seinen Platz in der Philosophiegeschichte, etwa in der Reihe beim Eugen Diederichs Verlag, herausgegeben von Peter Sloterdijk. Da werden 19 der wichtigsten Philosophen vorgestellt, unter anderem eben ein Band über Giordano Bruno. Eine sehr schöne Auswahl aus seinem Werk, zum Teil bis dato noch kaum übersetzt, noch nicht übersetzte lateinische Schriften. Also er wird herausgestellt, aber: In vielen Philosophiegeschichten taucht Bruno auf als ein Denker, der letztendlich auch eine Art mystischer Denker gewesen sei mit irrationalistischen Zügen, der nicht scharf, nicht präzise, nicht begrifflich exakt zu denken vermochte. Man bezieht sich dann auf seine oft recht blumige Sprache. Er war Italiener. Vor allen Dingen in seinen italienischen Schriften favorisiert Bruno eine ungeheuer bilderkräftige Sprache, die tatsächlich etwas Poetisches hat, aber im guten Sinne poetisch ist. Und das wird gegen Bruno ausgespielt. Also Brunos Bedeutung wird nicht bestritten, aber er wird letztlich als eine doch mehr oder weniger nur noch historisch bedeutsame Figur hingestellt.

Die dritte große Strömung im Abendland, die sich auf Bruno bezieht, ist natürlich die religiöse Strömung, vor allen Dingen hier die christliche, die christlichen Kirchen. Die tun sich nun in der Tat am allerschwersten mit Bruno. Für die katholische Kirche ist bis heute Giordano Bruno ein Todfeind. Daran muss man überhaupt nichts beschönigen oder verkleinern oder bagatellisieren. Sie werden das erleben, ich sage das voraus für den 17. Februar in Italien, in welcher Form die katholische Kirche dieses Datums gedenken wird. Man hat Galilei, wie Sie wissen, rehabilitiert. Johannes Paul II. hat Galilei rehabilitiert, eigentlich ein Absurdum ‒ wer rehabilitiert da eigentlich wen? Er hat Galilei rehabilitiert ‒ Bruno ist nie rehabilitiert worden und seine Schriften haben bis zum Jahre 1965, als der index librorum prohibitorum, das Verzeichnis der verbotenen Bücher, aufgelöst wurde, auf diesem Index gestanden. Und ich habe mir mal die Mühe gemacht vor Jahren, Lexikon-Artikel nachzuschlagen in Kirchen-Lexika über Bruno. Da stehen unglaub­liche, hanebüchene Dinge drin, eine Herabwürdigung auch der denkerischen Leistung. Noch vor 100 Jahren, als es um die Frage gehen sollte, soll in Rom ein Denkmal errichtet werden, das ist ja 1889 geschehen, hat die Kirche versucht, diesen Mord, diesen Justizmord überhaupt zu leugnen. Bruno sei nie umgebracht worden.

In der protestantischen Kirche ist es nicht wesentlich besser, es ist anders, aber … zumal auch Bruno ein großer Verehrer von Luther war, er hatte in seinen Reden immer wieder darauf hingewiesen, dass Luther für ihn ein wichtiger, bedeutender, auch revolu­tionärer Geist sei. Aber auch da tut man sich sehr schwer, diesen Denker einzuordnen. Kurzum, Bruno ist in gewisser Weise ein Ärgernis geblieben. Und so haben sich relativ wenige Denker, Philosophen, Wissenschaftler direkt und unmittelbar auf ihn bezogen, haben versucht, ihn weiterzudenken, ihn wirklich konsequent weiterzudenken. Von den heutigen Denkern, Philosophen bin ich offenbar der Einzige überhaupt, der das macht.

Ich will jetzt erst einmal in kurzer Form die Situation schildern, wie sie vor 400 Jahren war, damit sie auch mal ein bisschen den historischen Hintergrund haben, obwohl ich das relativ knapp halten will, weil es mir nicht primär um eine historische Darstellung geht. Wenn man das wirklich differenziert machen würde, würden die beiden Stunden dieser Vorlesung hier damit verbracht werden. Und das ist nicht der Fokus. Der Fokus ist eher die Bedeutung Brunos für die Kosmologie heute und für das ganze Verhältnis Mensch-Kosmos. Das will ich noch vorab sagen, dass [das] ein zentral wichtiges Thema ist und gerade heute, gerade in den letzten Jahren, von einer ungeheuren Aktualität und Brisanz ist und zunehmend aktueller und brisanter wird. Und gerade da ist Bruno ein ungeheuer wichtiger Kronzeuge für eine bestimmte Form von, im guten Sinn, im besten Sinne des Wortes, ganzheitlichem, kosmologischem, sehr lebendigem oder auch integralem Denken. Was geschah vor 400 Jahren? Jetzt mal historisch. ‒ An diesem 17. Februar des Jahres 1600 wurde Bruno auf dem Blumenplatz, [dem] Campo dei Fiori in Rom bei lebendigem Leibe verbrannt. Warum hat die Kirche einen Mann hingerichtet, genauer gesagt: ermordet auf brutale Weise? Was war ihm vorzuwerfen, was war der Grund? Kurz, warum wurde Bruno ermordet? Was führte dazu? Die Frage ist nicht in letzter Sicherheit zu beantworten, und zwar deswegen nicht, weil die Prozessakten verschwunden sind. Wir haben also nicht die Akten des Prozesses mit allen Details. Wir wissen, es hat in den langen Jahren der Kerkerhaft Brunos, Bruno war ja ein Jahr in Venedig in Kerkerhaft und dann sieben Jahre in Rom, man hat wiederholt Befragungen Brunos durchgeführt. Unter anderem war maßgebend bei diesen Befragungen beteiligt der Kardinal Bellarmino, der dann auch in den ersten Gesprächen mit Galileo 1616 eine Rolle spielte. Also man hat viele Befragungen durchgeführt. Es ist auch einiges durchgesickert, was der Gegenstand dieser Befragungen war. Aber wir wissen letztlich nicht genau, was die zentralen Punkte der Anklage waren. Bruno hat noch einige Wochen vor seinem Tode, er bekam da die Gelegenheit, etwas aufzuschreiben ‒ normalerweise durfte er nichts aufschreiben im Kerker ‒ eine kurze Schrift abgefasst und diese dem Papst öffentlich übergeben. Diese ist aber, wie ein Chronist bemerkt, ungelesen beiseite gelegt worden. Wir wissen nicht, was in der Schrift dringestanden hat.

Wenn man die gesamte Situation sich vergegenwärtigt, dann kommt man auf zwei Punkte, die mit großer Wahrscheinlichkeit den Anstoß gegeben haben. Nicht, dabei ist, entgegen einer verbreiteten irrigen Überzeugung, der Kopernikanismus. Bruno ist nicht als ein Märtyrer des Kopernikanismus auf dem Scheiterhaufen gelandet. Den Koperni­kanismus, die Lehre des Kopernikus, hat die Kirche bis zu diesem Zeitpunkt relativ gelassen betrachtet, entgegen dem, was in vielen Büchern geschrieben wird, aus einer ganz anderen Perspektive heraus. Dazu will ich nachher noch einiges sagen. Also die Kirche hat die Lehre des Kopernikus teils völlig missachtet, teils mit einer gewissen Gelassenheit betrachtet, und zwar im Sinne der Lehre von der doppelten Wahrheit: Es gibt eine religiöse Wahrheit, das glaubte die Kirche, [das] sei die von ihnen vertretene. Und dann gibt es eine davon abgetrennte philosophische Wahrheit. Also das war es nicht. Was war es dann?

Es war, wenn wir den Dokumenten glauben können, auch wenn man die Schriften Brunos sich anschaut, erstens, der Gedanke der Unendlichkeit des Weltalls, und zwar die Unendlichkeit des Weltalls als eines allbeseelten, als eines alllebendigen, als eines von unvorstellbar vielfältiger Intelligenz und Leben erfüllten Universums. Das war ein Punkt, der in den Gesprächen, die Bruno geführt hat mit den Kardinälen, soweit wir davon wissen, immer wieder angesprochen wurde, er solle Abstand nehmen von dem Wahn, von dem Wahn der vielen Welten. In diesem Zusammenhang kam nicht vor die Bewegung der Erde, ob sich die Erde um die Sonne bewegt, ob sie um ihre Achse rotiert und Ähnliches war überhaupt kein Thema in diesen Auseinandersetzungen. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, dieser Platztausch, den Kopernikus vorgenommen hatte von Erde und Sonne, war durchaus kompatibel mit dem katholischen dogmatischen System.

Die zweite Komponente betraf seine radikal antichristliche Haltung. Soweit wir wissen, hat da vor allen Dingen ein Buch eine Rolle gespielt, das bis heute zu den ganz großen Raritäten auf dem Büchermarkt gehört. Es ist nicht zu bekommen auf dem Büchermarkt, oder ganz schwer nur, man muss sehr große Mühe darauf verwenden, die Schrift ,Spacio della Bestia trionfante‘, zu deutsch ,Die Vertreibung der triumphierenden Bestie‘. Das ist eine große, sagen wir mal, moralische Allegorie, die davon ausgeht, dass die 48 Sternbilder gleichsam negative Eigenschaften, Laster, Fehler, Irrtümer verkörpern, und dass man in einer umwälzenden Revolution des Himmels nun alle diese Laster, Irrtümer, Fehler durch Tugenden, durch Wahrheit ersetzen müsste. Und in diesem Zusammenhang wird auch erwähnt der Grieche Orion, und wer den Text genauer liest, ich kann gerne, wenn das irgendwie infrage steht, das betreffende Zitat auch vorlesen, ich habe es in meinem Bruno-Büchlein auch gebracht, dieser Orion wird mit scharfen Worten attackiert, verspottet, angegriffen, dieser Orion ist Jesus von Nazareth selber. Es ist also gar kein Zweifel daran, dass Bruno zu den wenigen Kritikern des Christentums gehört, die auch den Stifter mitkritisiert haben. Das ist ein Skandal, auch heute noch für viele Christen, sie können sich damit nicht abfinden, wie wir … ich habe immer wieder, ja auch im Laufe der Jahre mit Lesern auch damals meine Biografie, Monografie gesprochen, die das gar nicht verstehen können und die sich dieser … Da hat wohl Bruno in irgendeiner Form einen kardinalen Irrtum begangen.

Aber es ist so, Bruno attackiert das Christentum nicht nur im Sinne der katholischen kirchlichen Institutionen, sondern er attackiert das Christentum im Kern. Es gibt sehr scharfe Worte über den Jesus von Nazareth, die er auch im privaten Gespräch, wie man aus Denunziantenberichten weiß, immer wiederholt hat. Und da könnte mal eine Stelle vielleicht als Beispiel dienen, die das untermauert. Ich sage noch mal, es gab zwei Gründe. Der eine Grund war die aktuale Alllebendigkeit des Universums und die Unendlichkeit. Das zweite war die radikale Frontstellung gegen das Christentum, wobei das Christentum im Kern, in der Substanz tatsächlich getroffen wurde. Dieses Buch ist nicht umsonst über die Jahrhunderte hinweg ein Skandal gewesen und ist auch heute noch, würde ich sagen, für Jeden, der das vorurteilsfrei liest, ein Schock. Wenn man nicht verblendet ist und gleich Abwehr entfaltet, muss man das erst einmal so zur Kenntnis nehmen. Das ist erstaunlich und verblüffend und auch wirklich skandalös, in einem jetzt mal wertfreien Sinne gesprochen. Es gibt verschiedene Äußerungen von Denunzianten, die das der Inquisition weitergetragen haben, dass Bruno solche Dinge auch im privaten Gespräch geäußert hat, das muss man sich mal vorstellen. Das, was ich jetzt vorlese, stammt aus dem Jahre 1591, dass ein Philosoph allen Ernstes im privaten Gespräch, als er sich unbelauscht fühlte, in unfassbarem Leichtsinn eigentlich, eine unfassbare Naivität, solche Dinge äußerte in Venedig, wo das der Boden der Gegenreformation war, die in mächtiger Form natürlich versuchte, den verlorenen, gegen die Reformation verlorenen Boden zurückzugewinnen und überall Spitzel hatte.

Er ist einem Spitzel auf geradezu unsagbar naive Weise auf den Leim gegangen, diesem venezianischen Adligen Giovanni Mocenigo, der ja einen legendären Ruf und Ruhm dadurch erlangt hat. Der schreibt in seinem ersten Denunziationsschreiben vom 23. Mai 1592. Wilhelm Reich zum Beispiel, der späte Wilhelm Reich, war ein glühender Bewun­derer von Bruno und bezieht sich auch immer wieder auf diese Schlüsselszenen, auch mit Mocenigo. Mocenigo schreibt, 23. Mai 1592: „Ich denunziere Ihnen hochwürdige Vater, gezwungen von meinem Gewissen und auf Befehl meines Beichtvater, dass ich den Giordano Bruno aus Nola bei verschiedenen Gelegenheiten, indem er sich mit mir in meinem Hause unterhielt, sagen hörte, es sei ein großer Blödsinn seitens der Katholiken zu behaupten, das Brot verwandele sich in Fleisch, er sei ein Feind der Religion, er sei ein Feind der Messe. Ihm gefalle keine Religion. Christus sei ein Betrüger gewesen und habe, wenn er, um das Volk zu verführen, betrügerische Werke ausübte, leicht voraussagen können, dass man ihn hängen werde. Es gebe unzählige Welten, und Gott schaffe deren unaufhörlich unzählige, denn er behauptet, Gott wolle auch alles, was er kann. Christus habe nur scheinbare Wunder verrichtet und sei ein Magier gewesen. Die Seelen, die von der Natur geschaffen würden, wanderten von einem Tier zum anderen, und wie die niederen Tiere aus der Verwesung entstehen, so entstünden auch die Menschen, so oft sie nach den Fluten ins Leben zurückkehren. Unser katholischer Glaube sei voll von Lästerung gegen die Majestät Gottes. Man müsse den Brüdern die Lehrtätigkeit und überhaupt das Einkommen wegnehmen, da sie die Welt beschmutzen und alle Esel seien, und unsere Ansichten seien die Ansichten von Eseln.“ ‒

Wer die Schriften Brunos liest, der weiß einfach, dass diese Dinge genau so gesagt worden sind. Selbst der Hinweis auf die Seelenwanderung, hier Reinkarnation, ist korrekt. Ungenau wiedergegeben in der Paraphrase, in diesem Denunziationsschreiben aber voll­kommen korrekt. Die Metapher des Esels spielt bei Bruno eine ganz große Rolle. Er hat eine eigene kleine satirische Schrift geschrieben über den Esel, und der Esel wird immer wieder herangezogen, um akademische Ignoranz und Dummheit zu geißeln. Also das ist …, daran kann kein Zweifel bestehen. Wir wissen übrigens auch, dass Bruno seinen Mitgefangenen schon in Venedig, in der Kerkerhaft in Venedig, sehr freimütig viele von diesen Dingen erzählt hat. Einige, selbst Angeklagte der Inquisition, haben das dann den zuständigen Inquisitoren weitererzählt, in der armseligen Hoffnung, sich selbst zu retten, den Anderen zu denunzieren: Der ist noch furchtbarer als ich selber, damit ich mich rette. Das ist überliefert worden. So sind diese Gedanken zum Teil dann auch noch weiter getragen worden. Allerdings, soweit wir das aus den Quellen wissen, hat keiner dieser Betreffenden, die da versucht haben, ihr Leben zu retten, auf diese Weise etwas davon gehabt. Sie sind alle genauso umgebracht worden durch die Inquisition. Also sie haben sich selber nicht gerettet mit dieser erbärmlichen Denunziation.

Einer der besten Kenner Brunos in Italien, heute wahrscheinlich der beste Kenner Brunos, ist der Italiener Anacleto Verrecchia, mit dem ich seit kurzem in regem Kontakt stehe. Wir haben jetzt zum ersten Mal länger telefoniert und wollen uns in Kürze treffen in Wien. Und er will sich auch einsetzen, dass mein neues Buch ins Italienische übersetzt wird. Und er schreibt zu dem Punkt, das Buch ist 1999 erschienen, „Giordano Bruno – Nachtfalter des Geistes“, eine exzellente Biographie Brunos. Er schreibt in diesem Buch: „Manche seiner satirischen Attacken gegen das Christentum, zum Beispiel im ,Spacio‘, also ,Vertreibung der triumphierenden Bestie‘, sind noch vernichtender als jene von Voltaire. Sie sind aber auch radikaler als die Kritik Nietzsches. Denn sie schonen nicht einmal die Figur Christi, der im Gewand des Orion der Satire ausgeliefert wird. Sie erinnern eher an die antichristliche Kritik eines Celsus oder des Kaisers Julian, des berühmten Kaisers Julian Apostata. Wenn man genau hinsieht, ist die ganze Philosophie Brunos radikal antichristlich.“

Soweit also Anacleto Verrecchia. Wenn Sie eine Biographie lesen wollen, mein Büchlein von damals ist ja keine Biografie, ist ja eine Monografie, der biographische Teil ist ja nur ein kleiner Teil daraus, dann kann ich Ihnen unbedingt den Anacleto Verrecchia empfehlen, der mit einer ungeheuer differenzierten Recherche, nun würde ich behaupten, die zentrale, gewisserweise die Standard-Biographie von Giordano Bruno vorgelegt hat, die in gewisser Weise bisher gefehlt hat. Also, Bruno wurde angeklagt, behauptet zu haben, der Kosmos ist unendlich, überall gibt es lebendiges Wesen, es gibt überall lebendige Intelligenz. Warum war das ein Skandal für das Christentum? Naheliegenderweise, weil, wenn das so ist, wenn wir sozusagen umgeben sind von einem brodelnden Leben, wenn überall auf den verschiedensten Ebenen, in den verschiedensten Seinsformen, Intelligenz, intelligentes Leben existiert, dann ist die Einzigartigkeit der Erde dahin und natürlich auch die Einzigartigkeit dieser Religion. Und es ist kein Zufall, dass im Zusammenhang mit dieser Kontroverse gerade von christlicher, auch kirchlicher Seite die Urknalltheorie gerne herangezogen wird. Sie wissen, dass ich sie scharf kritisiere, dass die Urknalltheorie herangezogen wird, um gerade die christliche Schöpfung mit zu untermauern und die moderne Kosmologie in ihrer Grundüberzeugung, dass Leben nur oasenhaft da ist, wird herangezogen und geradezu favorisiert, begeistert aufgegriffen. Ich erinnere mich an eine lange Diskussion, die ich hatte vor 30 Jahren mit einem Pfarrer über diesen Punkt. Er sagte: Was wollen Sie denn? Es ist doch ganz klar und nun mittlerweile zweifelsfrei erwiesen, dass wir wahrscheinlich, das sagte er Mitte der 60er Jahre, allein sind im Universum. Dann ist das Ganze ja nur eine gigantische Veranstaltung, dann sind wir doch zentral, und dann ist das Christentum eben zentral. Dann müssen wir uns gar nicht damit beschäftigen, dass es vielleicht nur eine provinzielle Angelegenheit sei. Das war ein Einwand, der erst mal sehr stark war. Und die schroffe Kritik am Christentum tat das ihre.

Bruno hat auch andere, nicht nur die katholische Version, auch die calvinistische und die protestantische Version kennengelernt. Er war längere Zeit in Genf. Ich will jetzt kurz etwas zur Biographie sagen, und ist auch da in Ungnade gefallen, in den Kerker geworfen worden, hat dann Genf verlassen. Am gnädigsten mit ihm verfahren sind dann die Protestanten in Wittenberg, in der Luther- und Melanchthon-Nachfolge. Was insofern eigenartig ist, als gerade die Protestanten zunächst Diejenigen waren, die den Koperni­kanismus, als dessen revolutionären Vollender ja Bruno sich selbst sah, ganz scharf abgelehnt haben. Sie wissen ja vielleicht, dass Luther darüber spottete und auf Bibelstellen hinwies, die dem widersprechen. Auch Melanchthon tat das. Also was war vorausgegangen, jetzt rein biographisch? Ich will das in aller Knappheit skizzieren, um das zu verdeutlichen, wie kam das, dass Bruno in die Fänge der Inquisition geraten konnte?

Bruno ist 1548 geboren, wahrscheinlich im Januar oder Februar, wir wissen es nicht genau. Nur mal zum historischen Kontext: Galilei, Galileo Galilei, 1564 ‒ also ungefähr ein Generationsgenosse. Galileo ist ein bisschen jünger, Kepler 1570, nur um, dass Sie mal den Zusammenhang haben. Als Galilei im Jahre 1592 28-jährig Professor für Mathematik in Padua wird, er bekommt die Professur in Padua, bevor er später nach Florenz geht, gerät Bruno in die Fänge der Inquisition in Venedig. Also Bruno, Januar/Februar 1548 geboren, in Nola bei Neapel. Dort, wo auch ein Denkmal steht von Bruno, neben dem Denkmal in Rom auf dem Campus dei Fiori. Bruno ist sehr früh in den Dominikaner-Orden eingetreten. Und was wir wissen über diese Zeit im Dominikaner-Orden, er wurde noch zum Priester ordiniert und so weiter, deutet darauf hin, dass er offenbar sehr früh Schwierigkeiten hatte, Schwierigkeiten bekam mit den Ordensoberen. So wird berichtet, dass er als 18-Jähriger, also relativ früh, etwa alle Heiligenbilder aus seiner Mönchszelle verbannt habe, mit dem Hinweis darauf, dass sei Götzendienst, was immerhin erstaunlich [war] für einen 18-jährigen Dominikanermönch in dieser Zeit, dass er das als Götzendienst bezeichnete. Dann hat er wohl sehr früh in der Klosterbibliothek auch Schriften gelesen, die Zweifel geweckt haben, unter anderem schon damals offenbar die Schrift, die Hauptschrift des Kopernikus über die Kreisbewegung der Himmelskörper, die ja 1543 erschienen war. Ich sage es noch mal, das war wirklich in der Bibliothek des Klosters zu finden. Und zwar deswegen, weil dieses Buch in seiner Brisanz, in seiner revolutionären Sprengkraft gar nicht erkannt worden ist, weil der Platztausch zwischen Sonne und Erde erst einmal, ich sag es noch mal, im Grundsatz kompatibel war mit dem dem katholischen Dogma. Also, Bruno kam früh in Schwierigkeiten, wir wissen nichts Genaueres.

Man kennt nur eine kleine Episode, dass er einmal nach Rom beordert worden war vom damaligen Papst, der etwas wissen wollte über die Gedächtnisleistung von Bruno. Bruno war bekannt dafür schon als Mönch, dass er ein phänomenales Gedächtnis hatte. Er konnte seitenweise auswendig in Diskussionen Aristoteles zitieren. Das hat er später in Diskussionen mit seinen Gegnern auch immer gemacht. Er kannte seine Gegner immer besser als sie sich selbst. Er kannte die Originaltexte, auf die sie sich ja bezogen, Aristoteles war ja der philosophische Übervater der Epoche, kannte er viel genauer und besser als die, die diese Texte gegen ihn verwendet haben. Also der Papst hat ihn nach Rom beordert aufgrund seines hervorragenden Gedächtnisses, und er hat sozusagen eine Präsentation dieses Gedächtnisses geliefert. In seiner Philosophie spielt die Gedächtnisschulung eine zentrale Rolle. Er hat darüber auch viele Vorlesungen gehalten und auch einige Schriften abgefasst, von denen allerdings nicht alle erhalten sind, einige sind verlorengegangen. Bruno ist dann 1576 im Alter von 28 Jahren in eine schwierige, sehr schwierige Situation gekommen. Es gab Anklagepunkte gegen ihn. Er musste einen Prozess wegen Ketzerei gewärtigen. Wir wissen nicht genau die Punkte. Wessen wurde er angeklagt? Warum, wissen wir nicht. Tatsache ist, er kam in Schwierigkeiten und glaubte diesen Schwierig­keiten nur zu entgehen, indem er den Orden in einer Nacht- und Nebelaktion verließ. Das geschah 1576.

Bruno verließ den Orden und irrte nun erst einmal für die nächsten Monate in Italien umher, versuchte sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hat kurze Zeit später, das ist erhalten, ein Drama, ein satirisches Drama geschrieben, „Il Candelaio“, der Kerzenhalter, wo er das Mönchsleben verspottet. Und, ein wunderbares satirisches Theaterstück, was wirklich auf die Bühne gehörte und in dem er das Mönchsleben im Kloster geißelt. Also 1576 verlässt Bruno das Kloster, begibt sich also auf eine lange Wanderschaft, zunächst in Italien und dann, wichtig, zentral wichtig, in Frankreich, erst in Toulouse, dann längere Zeit Paris. Man muss wissen, wenn man von Frankreich redet, dass Frankreich damals ein wirklich schwieriger Boden war. 1572 war die berühmte Bartholomäusnacht, die Ermordung der Hugenotten. Es war ein riesiges Blutbad. Zehn­tausende wurden abgeschlachtet in einer einzige Nacht im August 1572. Es war also ein wirklich schwieriger Boden, und Bruno hat auf sich aufmerksam gemacht über seine Gedächtniskunst. Er hat erstmal Vorlesungen gehalten über die Gedächtniskunst und wurde vom damaligen König in Frankreich gefördert. Und hatte dann auch die Möglichkeit zu schreiben. Wenig ist erhalten aus der Zeit. Man muss sagen, dass Bruno in der ihm verbliebenen Zeit ein Riesenwerk hinterlassen hat von ungefähr 50 Schriften, von denen zwanzig verloren gegangen sind. Also wir haben nur dreißig Schriften tatsächlich erhalten, zwanzig Schriften sind verlorengegangen, vor allen Dingen die Schriften aus der frühen Zeit sind fast alle verloren gegangen. Mit Ausnahme dieser Schrift „Il Candelaio“, „Der Kerzenhalter“.

Bruno ging dann nach England in Begleitung von Michel de Castelnau, des französischen Botschafters in London. Und das war die berühmte, in vielen Biographien ja auch mit Recht herausgestellte fruchtbare und ruhigste Zeit überhaupt im Leben Brunos in den Jahren 1584/85, zum Teil auch 1586. Er lebte in der Butcher Road in London unter schwierigen Bedingungen. Zum Beispiel hat er sich geweigert, Englisch zu lernen, was schwierig war damals in London. Viele konnten Italienisch, aber er hasste die englische Sprache. Das hat ihm die Sache nicht erleichtert. Er hat also kein Englisch gelernt, er wollte es nicht. Und er hat dann in relativ schneller Folge hintereinander seine großen italienischen Dialoge abgefasst. Zunächst einmal die Schrift „La Cena de le Ceneri“, „Das Aschermittwochsmal“, bezogen auf ein Gespräch, eine Gesprächsrunde, die tatsächlich stattgefunden hat, wo er im Kreise von Gelehrten, Doctores, zum Aschermittwoch des Jahres 1584, also im Februar, also er hat über dieses Gespräch eine gigantische, brillante Satire abgefasst, und in diese Satire baut er nun, Stück für Stück, sukzessive seine neue und andere Kosmologie ein, ein einmaliges literarisches Meisterstück. Auch Kritiker Brunos sagen, es ist ein Meisterstück der Literatur, also ein großes Stück Literatur. Wie er das geschafft hat in einem packenden, brillanten, einem Prestissimo an Einfällen und Dialogen, witzigen Episoden, dann darin, seine Kosmologie zu verpacken, kann man sagen, aber auch mit scharfen, kritischen Tönen gegen die Engländer. Das hat ihn so in so große Schwie­rigkeiten gebracht, dass er fast des Landes verwiesen worden wäre. Er musste dann in der nächsten Schrift „De la causa principia et uno“, „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“ darauf Bezug nehmen, also die nächste Schrift dann „Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen“, wo er seine All-Einheits-Philosophie umreißt.

Viele halten dieses Buch für die Hauptschrift von Giordano Bruno. Es ist das am meisten zitierte und auch erwähnte Buch Brunos. Schopenhauer zum Beispiel war ein so großer Verehrer dieses Buches, dass er es ins Deutsche übersetzen wollte, was dann nicht geschehen ist, aber er hatte es geplant, „Von der Ursache ..“ ins Deutsche zu übersetzen. Dann gleichzeitig entstand 1584 die zweitwichtigste kosmologische Schrift Brunos, die Schrift „Vom Unendlichen, dem All und den Welten“. Hier stellt Bruno seine Kosmologie der Unendlichkeit dar. Er stellt diese dar in einer argumentativen Konfrontation mit Aristoteles. Er geht jeden einzelnen Punkt der aristotelischen Kosmologie durch und versucht, ihn zu widerlegen. Ich meine, ich habe diese Texte mehrfach gründlich durch­gearbeitet. Ich meine, dass diese Argumente, die er bringt, auch intellektuell von einem ungeheuren Scharfsinn sind und auch heute überhaupt nichts von ihrer Brisanz eingebüßt haben.

Eines der Hauptargumente etwa von Aristoteles war, es könnte nur eine Welt geben, weil, wenn man sich dazu bequemen würde, dass es mehrere Welten gäbe, dann würde kein Halten mehr sein. Ich habe das ja schon mal in anderem Zusammenhang angedeutet, es könnte nur eine Welt geben, eine kugelförmige Welt, und diese Welt dürfte keinen Ort im Raum haben. Sie erinnern sich vielleicht an diese Ausführung. Wenn man annehmen würde, diese Welt habe einen Ort im Raum, dann wäre es eine Kugel im Raum, und es könnte da noch andere Kugeln im Raum, andere Kosmen im Raum geben, und dann wäre der Raum nicht mehr zu befrieden, dann würde er ins Unbegrenzte quasi sich ausweiten und das ließe sich gedanklich argumentativ nicht mehr einbinden. Deswegen müsste man sich dazu bequemen: Es kann nur eine Welt geben und so weiter. Dann die genannte Schrift „Spaccio de la bestia trionfante“, 1585, eine Satire, eine moralisch-ethische Satire mit diesen genannten Ausfällen, auch was den Orion betrifft, und dann eine Schrift, die den Titel trägt „Die heroischen Leidenschaften“ [„De gli heroici furori“], wo er eine Sammlung von Gedichten vorführt, zum Teil von ihm selbst, und diese Gedichte dann philosophisch interpretiert.

Bruno ist dann in Schwierigkeiten geraten, wie immer in seinem Leben, und musste London verlassen. Er ist dann nach Paris zurückgegangen. Wir sind jetzt im Jahre 1586. Immerhin hat er sein … hatte er sich schon einen gewissen Namen gemacht durch diese Bücher, die in gewissen Kreisen auch gelesen wurden, ganz bewusst übrigens [für] die Verwendung der italienischen Sprache [entschieden]. Er war der Erste überhaupt, der diese Gelehrtensprache Latein zugunsten des Italienischen zur Seite legte. Die Schriften sind also aus gutem Grund [in] Italienisch abgefasst. Er war der Erste bis dato, der das gemacht hatte. Er ist dann allerdings später zum Lateinischen zurückgekehrt. Er ging dann nach Paris zurück, 1586. Und es kam da zu einem der spektakulärsten Ereignisse in der Biographie Brunos, zu einer Diskussion im Collège de Cambrai, zu einer öffentlichen Disputation über seine Thesen. Er hatte dann eine Reihe von Thesen aufgestellt gegen die Peripatetiker und Aristoteliker seiner Zeit und hat über einen Schüler, Jean Honnequin, wie das damals üblich war, in der öffentlichen Disputation diese Thesen verteidigen wollen. Es gab dann turbulente Szenen, es gab Gebrüll im Saal, es gab Angriffe, es gab Prügeleien der Studenten untereinander. Das, was wir davon wissen, muss ziemlich heftig gewesen sein. Und Bruno hat es dann vorgezogen, was ihm Biographen zum Teil verübelt haben, nicht wieder zu erscheinen, was verständlich ist. Er ist dann zu einer anberaumten Diskussion am nächsten Tag nicht mehr gekommen, um dem auszuweichen. Kritiker haben natürlich gesagt, seine Thesen seien schwach gestützt, er hatte Angst vor der Argumentation. Das ist kaum anzunehmen, dass er Angst vor der Argumentation hatte. Er hatte nur Angst vor der aufgeheizten, vor der mob-ähnlichen Stimmung im Saal, die ihm das überhaupt gar nicht mehr ermöglichte, seine Sachen vorzutragen.

Bruno ist dann nach Deutschland gegangen, also damals das Deutsche Reich, und hat lange Zeit in Wittenberg gelebt. Wittenberg, da toleriert von den Lutheranern, das muss man sagen. Die Lutheraner haben zwar in keiner Weise seine Philosophie akzeptiert, auch nicht mal honoriert, aber er ist in Ruhe gelassen worden. Er konnte in Ruhe arbeiten. Von Wittenberg ging er nach Helmstedt, hat auch da längere Zeit gelebt und gearbeitet und ist dann nach Prag gegangen. Wie er es überhaupt fertiggebracht hat, in diesem unruhigen Wanderleben unter ständigen finanziellen Schwierigkeiten auch unter ständiger Anfeindung, dann noch ein viele tausend Seiten umfassendes weiteres, nun in lateinischer Sprache abgefasstes Werk an, ans Licht zu bringen, ist rätselhaft. Denn allein der pure Umfang dieses Werkes ist so erstaunlich, dass es kaum vorzustellen ist, dass Jemand in diesen schwierigsten Lebensumständen überhaupt in der Lage war, das aufzuschreiben. Die vielleicht wichtigste kosmologische Schrift Brunos hat den Titel „De Immenso“, „Vom Unermesslichen“. Diese Schrift ist bis heute nicht übersetzt. [mittlerweile übersetzt]. Das ist eigentlich einer der ganz großen Skandale der Geistesgeschichte, dass eine der größten Schriften der Kosmologie bis zum heutigen Tage nicht übersetzt worden ist. „De Immenso“, ein großes Lehrgedicht nach dem Vorbild des Römers Lucretius über den Kosmos, das noch hinausgeht über die Schrift „Vom Unendlichen“. Hier findet sich übrigens nur ein kleiner Aspekt unter ganz vielen Aspekten, der erste Hinweis jemals eines Menschen auf die Rotation der Sonne, 1591. Bruno ist der erste Mensch überhaupt, der klar sagt, dass auch die Sonne rotiert. In fast allen Darstellungen über die Frage der Sonnenrotation wird entweder Kepler oder Galilei als erster angegeben. Kepler war der zweite und Galilei der dritte, wenn man denn überhaupt in solche Prioritäten denken möchte, wenn die überhaupt einen Sinn ergeben.

Auf jeden Fall, Bruno. In dieser grandiosen Schrift verkündet er noch einmal, noch wieder auf einer neuen, höheren Ebene seine These von einem alllebendigen, allbeseelten, von einem von hoch differenzierter Intelligenz auf allen Ebenen erfüllten Universum. Jetzt kommt der entscheidende Punkt, der rätselhaft in der Biographie bleibt: Warum ist er nach Italien zurückgegangen? Er war doch … , konnte doch relativ ruhig leben in Wittenberg und in Helmstedt, in Prag schon weniger. Warum ist er nach Italien zurückgegangen? Er hatte in Frankfurt auf der Buchmesse, schon damals ein wichtiger Umschlagplatz, 1592, eine Einladung bekommen, dieses venezianischen Adligen Mocenigo. Der wollte ihn als Haus­lehrer praktisch in sein Haus holen, in seine Villa. Diese Villa steht noch, die kann man heute besichtigen, besuchen in Venedig. Auch die Gasse vorne heißt nach Mocenigo. Also er hat Bruno eingeladen, bei ihm zu wohnen. Bruno hat es abgelehnt, hat in Padua gewohnt, ist immer gependelt, ist dann zum Unterricht für Giovanni Mocenigo nach Venedig zurückgegangen, hat den unterrichtet, und wir wissen nicht genau, worin eigentlich unterrichtet. Vermutlich handelte es sich um eine Technik, das Gedächtnis zu schulen, und das war in den Augen von Mocenigo so eine Art, eine Art von Magie. Bruno galt als Magier, als Künstler, weil sich keiner vorstellen konnte, dass einer so ein phänomenales Gedächtnis hat. Schließlich hat er den ganz großen Fehler begangen. Er hat sich dann einquartiert in die Villa Mocenigos. Keiner weiß, warum. Alle Biografen haben darüber gerätselt, wie konnte er einen so unvorstellbaren Fehler machen. Wie konnte er so naiv sein, nicht zu wissen, dass der Mocenigo nur darauf lauerte, dass der längst seine Kontakte zur Inquisition hatte und ihm längst das merkwürdig vorkam, was der Bruno ihm erzählt hat. Schließlich hat er ihn denunziert bei der Inquisition. Ich habe hier einen kurzen Auszug aus dem Schreiben vorgelesen.

Bruno ist dann festgesetzt worden und zunächst in die berüchtigten Bleikammern in Venedig gekommen. Dann hat es erste Verhöre gegeben, Bruno ist gefoltert worden und hat zunächst in einem ersten Aufwallen der Verzweiflung, auch Biographen unverständ­licherweise haben sich zum Teil auch darüber erregt, über diese Zugeständnisse, hat er einen Teil seiner Lehre zurückgenommen. Im allerersten Moment, Anfang Juni 1592 aufgrund dieser Folterung. Nun wahrlich hätte keiner der Biographen irgendwie Grund, sich über diesen Punkt gerade zu erheben, aber es taucht immer wieder auf. Man wundert sich darüber (…) als Fürst der Ketzer, dass man den Venezianern von Seiten Roms das nicht mehr zutraute. Es gab ein Tauziehen zwischen Rom und Venedig. Irgendwann ist dann Bruno in Rom gelandet, und dann verlieren sich die Wege Brunos. Wir wissen nur den Kerker, in dem er gesessen hat. Ich habe lange vermutet, dass es die sogenannte Engelsburg gewesen sei. Durch … eine Engelsburg, in der sogenannten … Durch Anacleto Verrecchia erfahre ich, dass es nicht stimmt, sondern [dass es] ein anderer Kerker [war]. Man muss wissen, geschichtlich noch, um das zu verstehen, dass ungefähr zur gleichen Zeit war der große Prozess gegen Tommaso Campanella, 1599, auch ein Dominikaner, berühmter Philosoph, Verfasser ja des Buches „Der Sonnenstaat“, utopischer Sozialismus. Marx hat ihn sehr geschätzt, [hat] ein Riesenwerk hinterlassen, das nicht übersetzt ist. Also Campanella, zwanzig Jahre jünger als Bruno, hatte einen politischen Aufstand inszeniert gegen die Machthaber, hat also versucht, seine Ideen vom Sonnenstaat politisch durchzusetzen, ist in Kerkerhaft gekommen. Seine Mit-Aufrührer sind alle umgebracht worden. Er selber kam mit dem Leben davon, blieb aber 27 Jahre in Kerkerhaft, konnte dann aber fliehen. Ihm ist es tatsächlich gelungen zu fliehen. Er ist nicht hingerichtet worden. Er konnte dann vieles … ist dann nach Frankreich gegangen, nach Paris und hat da noch relativ friedlich lange Jahre gelebt.

Also, viele der Inquisitoren witterten in Bruno auch einen politischen Revolutionär. Und schließlich hat man dann den Versuch unternommen, die Hinrichtung, die lange geplant war, auf die Centenar-Feier zu legen, ganz bewusst auf das Jahr 1600. Das sollte ein Höhepunkt sein dieser Feier, denn in diesem Jahr war in Rom, das weiß man aus den Quellen, zwischen einer und drei Millionen Menschen anwesend. Also Rom war angefüllt mit Pilgern, und der damalige Papst Clemens VIII. glaubte, mit der Hinrichtung eines in Europa mittlerweile sehr bekannten Denkers ein Zeichen zu setzen. Bruno wurde dann … , das wurde noch immer wieder hinausgeschoben, und schließlich in einer Zeitungsnotiz vom 12. Februar heißt es, und das zeigt gut die Stimmung im damaligen Rom, da heißt es in einer Zeitschrift am 12. Februar: „Heute glaubten wir eine feierliche Hinrichtung zu sehen, und man weiß nicht, warum sie verschoben ist.“ Also richtig Enttäuschung, wenn man dieses Spektakel nicht hat. „Es handelt sich um einen Dominikaner aus Nola, einen sehr hartnäckigen Ketzer, der vergangenen Mittwoch im Palast des Kardinals Martinuzzi abgeurteilt wurde, als Vertreter verschiedener ungeheuerlicher Ansichten, bei denen er mit Hartnäckigkeit verblieb. Und gleichwohl hört man, das jetzt noch täglich Theologen sich um seine Bekehrung bemühen. Und in summa, wenn ihm der Herrgott nicht hilft, will er als verstockter Ketzer sterben und lebendig verbrannt werden.“

Man weiß nicht, warum die Hinrichtung aufgeschoben wurde. Man weiß nur, dass am 8. Februar 1600 formal das Todesurteil verkündet wurde. Das war in der damaligen Inquisition so, dass der Delinquent den weltlichen Mächten ausgeliefert wurde, mit dem Hinweis, ihn möglichst milde und ohne Blutvergießen hinzurichten. Also eine abgrundtiefe Verlogenheit, die darin steckte. Die Kirche selbst war [es] nicht, haben sich nicht sozusagen die Finger mit Blut beschmutzt. Sie haben das an die weltliche Macht, an den Gouverneur von Rom weitergegeben, der faktisch ein Büttel des damaligen Papstes war. Man weiß, dass, als Bruno am 8. Februar 1600 das Todesurteil verkündet worden war, er nur einen Satz gesagt haben soll, der mehrfach von verschiedenen Quellen überliefert worden ist. Der Satz hat folgenden Inhalt. Nachdem er das Urteil sich angehört hat, er musste niederknien, hat sich das Urteil angehört. Vor ihm waren also die prunkvollen Kardinäle aufgebaut im Ornat. „Ihr verhängt das Urteil vielleicht mit größerer Furcht, als ich es annehme.“ Ein berühmter Satz, viel zitiert, auch bewundert. Denken Sie an Bertolt Brecht „Mantel des Ketzers“. Also ein Satz, der wirklich ein weltgeschichtlicher Satz, ein wahrer Satz, kein kolportierter Satz, keine Legende. Ihr verhängt das Urteil vielleicht mit größerer Furcht, als ich es annehme. Dazu schreibt Anacleto Verrecchia in seiner Bruno Biographie: „Das sind furchterregende und denkwürdige Worte, die das Fundament der Peterskirche erschüt­tern, die man am Felsen der Geschichte festmachen möchte und die allein schon genügen, die Größe des moralischen Charakters Giordano Brunos verständlich zu machen.“ Und dann der Schlusspunkt, der 17. Februar selber, Rom, ich sage es noch einmal, war angefüllt mit Schaulustigen, war vollgepackt mit Pilgern. Und dann heißt es hier, das ist [erst] sehr spät aufgefunden worden in einem Bericht über diese Hinrichtung, von einer Bruderschaft von Sankt Johannes dem Enthaupteten. Da heißt es wörtlich, ich zitiere das als Letztes zu diesem biographischen Teil. Dieses Dokument war lange verborgen und ist erst im 19. Jahrhundert ans Licht gekommen: „Um zwei Uhr nachts wurde die Bruderschaft benach­richtigt, dass am nächsten Morgen die Hinrichtung eines Unbußfertigen stattfindenn werde. Um sechs Uhr morgens versammelten sich die Trostspender und der Kaplan entsandt aus Sola und gingen zum Gefängnis in der Tor di Nona.“ Dort hat Bruno einge­sessen, nicht in der Engelsburg. „Dort betraten sie die Kapelle und sprachen die üblichen Gebete für den zum Tode verurteilten Giordano Bruno, ein abtrünniger Bruder aus Nola, ein verstockter Ketzer. Er wurde von unseren Brüdern mit Liebe ermahnt. Auch riefen wir zwei Patres der Dominikaner, zwei von den Jesuiten, zwei von der neuen Kirche des heiligen Hieronymus. Sie zeigten ihm mit großem Eifer und mit großer Gelehrsamkeit seinen Irrtum. Er jedoch beharrte bis zum Ende in seiner verdammten Widerspenstigkeit und verdrehte sich das Gehirn und den Verstand mit tausend Irrtümern. Ja, er ließ nicht nach in seiner Halsstarrigkeit. Nicht einmal, als ihn die Gerichtsdiener zum Campo del Fiori abführten. Dort wurde er entkleidet“, auch [eine] äußerste Demütigung, der Hinzu­richtende wurde also ausgezogen. „Dort wurde er entkleidet, an einen Pfahl gebunden, lebendig verbrannt“, übrigens geknebelt. Vielen wurde die Zunge herausgerissen. Das hat man bei Bruno nicht gemacht. Man hat ihm aber einen Knebel in Mund gestopft, dass er nichts sagen kann, weil man Gefahr [sah], weil man Angst hat, dass Bruno noch in seinen letzten Minuten etwas sagen würde. Man hat ihn also geknebelt. „Dort wurde er entkleidet, an einen Pfahl gebunden und lebendig verbrannt. In all dieser Zeit wurde er von unserer Bruderschaft begleitet, die ständig ihre Litaneien sang, während die Confrontatori bis zum letzten Augenblick versuchten, seinen hartnäckigen Widerstand zu brechen, bis er schließ­lich sein elendes und unglückliches Leben aufgab. Ein Augenzeuge berichtet, was noch geschehen ist, als ein schauriger Schlusspunkt. Man hat ihm dann durch die Flammen hinweg an einem langen Stab, damit sich die Betreffenden nicht ihre Arme irgendwie ankokeln, an einem langen Stab ein Kruzifix vors Gesicht gehalten, das er küssen sollte, er hat sich angeekelt abgewandt, wie ein Zeitgenosse berichtet, der dieser Szene beigewohnt hat.

Und was dann geschah in der Wirkung danach, ist beispiellos. Die Schriften wurden, soweit die Kirche ihrer habhaft werden konnte, alle eingezogen und vernichtet. Das hatte zur Folge, dass tatsächlich für zwei Jahrhunderte hinweg zum Beispiel diese Schrift ,Die Vertreibung der triumphierenden Bestie‘ in Europa kaum aufzufinden war. Die war wie verschollen. Es war wie eine Sage in Europa, dass [es] überhaupt dieses Buch gibt. Die Schriften Brunos kamen auf den Index, und erst jetzt ging die Kirche in Konfrontation zum Kopernikanismus. Erst jetzt. Das heißt, die Haltung, die dann eingenommen wurde der aufkommenden modernen Naturwissenschaft, Kosmologie gegenüber, geht zurück auf diese Auseinandersetzung mit Bruno. Erst jetzt wurde die Kirche hellhörig, und das kann man ganz deutlich zeigen an den Gesprächen, die Bellarmin, einer der Kardinäle, die das Todesurteil mit unterzeichnet haben, dann mit Galilei führte. Alle haben sie geschwiegen. Galilei erwähnt in seinem, in seinen Büchern, Bruno nie, mit keinem einzigen Wort, obwohl man nachweisen kann, dass er in vielerlei Hinsicht auch von Bruno stark beeinflusst ist. Zum Beispiel übernimmt er zum Teil wörtlich in seinem Dialog die Argumentation Brunos, warum man nichts merkt von einer bewegten Erde. Das berühmte Beispiel mit dem Stein, den man an einem Mast runterfallen lässt auf einem Schiff. Da war ja immer das Argument gewesen, dass der Stein ein bisschen hinter dem Mast aufkommen müsste, weil sich ja das Schiff unter dem fallenden Stein wegbewegt hat. So meinte man also, dass wenn ein Stein zu Boden fällt, die sich bewegende Erde ja unter dem Stein hinweg drehen müsste, hinwegbewegen müsste. Bruno hat nachgewiesen, dass es nicht der Fall ist. Und das hat Galilei in seinen Discorsi übernommen. Kepler erwähnt Bruno meines Wissens nur einmal, nur in einem Brief, in einer Briefstelle erwähnt er Bruno und erwähnt die Unhaltbarkeit der Theorie von den unendlichen Welten, vom unendlichen Weltall mit einem interessanten Argument; und zwar bringt Kepler folgendes Argument: Das kann nicht stimmen, weil, wenn es stimmen würde, dann hätte die Bewegung kein Bezugssystem. Also das ist ein eigenartiges Argument, das hat er gegen Bruno gewandt. Also Kepler in einer Briefstelle an einen Freund äußert sich zu Bruno in diesem Sinne negativ, absolut negativ. Das haben übrigens dann im Laufe der nachfolgenden Generationen fast alle gemacht, fast alle Philosophen, fast alle Naturwissenschaftler, die Kirchenleute sowieso, fast ausschließlich sich negativ geäußert, wenn sie überhaupt sich geäußert haben. Und eine gewisse Verän­derung hat sich dann erst im späten 18. Jahrhundert ergeben.

Und darauf will ich dann eingehen nach der Pause. Ich mach eine kleine Pause, ich habe ein bisschen überzogen. Das macht aber nichts. Wir machen mal fünf Minuten vielleicht nur Pause. [Ich möchte Ihnen jetzt einige] zentrale Punkte der Kosmologie darstellen und auch die Wirkungsgeschichte in einigen zentralen Aspekten beleuchten.

Ja, an der Stelle, das finde ich richtig. Die ist damals revolutionär gewesen, und das ist sie auch heute noch. Da sollte man sich keinen Illusionen darüber hingeben. Das ist sie auch heute noch. Bruno musste dafür am 17. Februar [1600] in Rom auf dem Scheiterhaufen sterben, doch seine Gedanken [werden] noch im neuen Jahrtausend Wege weisen. Gut, dass das ganze Universum selbst göttlich, lebendig und überall von Geist erfüllt sei, das ist im Prinzip richtig hier paraphrasiert. Das wird häufig mit dem Schlagwort oder Stichwort vom Pantheismus versehen. Bruno wird ja in vielen Philosophiegeschichten als ein quasi-Pantheist hingestellt, der deo sive natura im Sinne von Spinoza, also, der mehr oder weniger die Gottheit, das Göttliche, den Gott gleichsetzt mit dem Universum. Das stimmt nicht. Da macht Bruno sehr wohl einen Unterschied, obwohl er, ich greife jetzt nur mal auf, weil das hier in der Formulierung auftaucht, Bruno vertritt weder die These von einem vollständig transzendenten Gott noch die These von einem vollständig immanenten Gott. Er vertritt die These von der paradoxen Einheit von Transzendenz und Immanenz, das wichtig, in diesem Sinne ist er im engeren Verständnis, kein Pantheist. Für ihn hat die Gottheit auch eine transzendente Dimension. Sie geht nicht vollkommen auf in der Welt. Insofern ist eine Gleichsetzung von Universum und Gott nicht zutreffend. Aber es fließt auch die gesamte Weisheit, die unendliche Schöpferkraft in dieses Universum ein. Das war ja ein wichtiger Gedanke überhaupt bei Bruno, dass er sagte, und das ist in der Tat ein Argument, was in direkter Konfrontation mit Aristoteles entwickelt wurde, er sagte, es hieße die göttliche Schöpferkraft beschränken und einschränken, verkleinern, wenn man annähme, dass die Gottheit, die eine unendliche Welt hätte schaffen können, sich begnügt hätte mit einer nur endlichen Welt. Und das ist eine wesentliche These bei Bruno, dass die Göttlichkeit … , die Unendlichkeit der göttlichen Schöpferkraft, müsste ihr Äquivalent haben, in der Unendlichkeit der Schöpfung. Deswegen ist die Schöpfung selber im engeren Sinne nicht identisch mit Gott, wiewohl göttlich.

Das ist ein schwieriger Punkt. Ein gewisses Paradoxon taucht da auf, eben die Einheit von Transzendenz und Immanenz. Das hat die Wirkungsgeschichte Brunos übrigens entscheidend mitbeeinflusst. Denn dass Bruno aus der Vergessenheit heraus­geholt wurde, fast zwei Jahrhunderte nachdem seine wichtigen Schriften entstanden waren, geht genau auf diesen Punkt zurück. Denn der Goethe-Freund Friedrich Heinrich Jacobi hatte im Zusammenhang mit seiner Polemik in den 80iger Jahren des 18. Jahrhunderts gegen den Spinozismus, gegen diese Lehre der Einheit von All und Gott, eine Lehre, die er als Atheismus bezeichnete, scharf polemisiert und nun nach Quellen gesucht dieses Pantheismus. Und im Zuge dieser Recherche nach Quellen des Pantheismus stieß er dann auf Giordano Bruno, hat nur eine einzige Schrift herangezogen, „Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen“, und hat hier Auszüge aus dieser Schrift veröffentlicht. Und diese Auszüge haben dann eine ungeheure Wirkungsgeschichte Brunos ausgelöst. Denn diese Auszüge haben dann zum Beispiel die deutschen Idealisten aufgegriffen, allen voran Schelling, haben diese Texte gelesen, auch Goethe hat das gelesen, er hatte auch schon einen anderen Kontext Giordano Bruno gelesen, und das hat dann eine enorme Wirkung in Deutschland ausgelöst.

Überhaupt [war] die Hauptwirkung Brunos in Deutschland zu verzeichnen, nicht in Italien. Das geht so weit, ich habe mit Verrecchia darüber korrespondiert, auch kürzlich lange telefoniert, warum sein Buch, das in Deutsch erschienen ist, nicht auf Italienisch erschienen ist. Also ein Italiener schreibt eine Biographie über seinen großen Landsmann Giordano Bruno, aber dieses Buch ist nur auf Deutsch erschienen. Er selber spricht fließend Deutsch, hat es italienisch geschrieben, aber auch mitübersetzt mit einem Freund. Er sagte mir, es gibt es einen Grund dafür, Herr Kirchhoff: Italien ist beherrscht von Pfaffen und von Kommunisten. Deswegen, die mögen alle den Bruno nicht, deswegen ist es nicht so. Ich war also verwundert darüber, dass dieses wunderbare Buch nicht auch im Italienischen erschienen ist und habe mich immer gewundert darüber, dass meine Bruno-Monografie, die vor zwanzig Jahren erschienen war, überhaupt nicht ins Italienische übersetzt worden ist. Ich meine, die Italiener, das ist doch einer ihrer bedeutendsten Geister, vielleicht überhaupt der bedeutendste Geist der italienischen Geistesgeschichte. Es wäre doch naheliegend, dass sie sich auch damit auseinandersetzen. Das tut man Italien nur sehr bedingt. Es gibt neuerdings eine Zeitschrift, die „Bruniana und Campanelliana“ [korrekter Titel] heißt, eine gerade ins Leben gerufene Zeitschrift, die sich dem Thema widmet. Aber es ist sehr, fast möchte man sagen, unterkühlt. Und es gibt im Wesentlichen nur auch eine akademische Auseinandersetzung damit, und keine wirklich lebendige Auseinander­setzung. Also diese Texte, die Jacobi in Auszügen veröffentlicht hatte, haben dann eine enorme Wirkung ausgelöst im deutschen Idealismus und haben dann eine Bruno-Welle hervorgerufen, die bis weit ins 20. Jahrhundert hineinging. Aber immer gab es diese Vorbehalte gegen Bruno, das habe ich ja schon angedeutet. Immer diese Vorbehalte: Ist er denn wirklich ein ernst zu nehmender, exakter Denker, Naturphilosoph oder Naturwissen­schaftler? Da gab es immer Fragen. Ist das nicht letztlich Schwärmerei, zu sagen, das Universum sei unendlich belebt? Noch Sloterdijk in seinen dicken Bänden über Sphären, vor allem im zweiten Band, äußert sich dazu und sagt: Wer heute noch ernsthaft solche Thesen vertritt, das sei heute pure Literatur, schon im 19. Jahrhundert, pure Literatur oder schlechte Poesie. Obwohl er andererseits ein großer Bewunderer von Bruno ist und auch immer wieder bewundernde Worte für Bruno findet, so ist doch für ihn die Leblosigkeit des Universums ausgemachte Sache. Dass wir da draußen im All nichts zu suchen haben, ist für ihn ausgemachte Sache. Wir müssen uns beschränken auf diesen Globus. Und da, meint er, irrte Bruno entscheidend.

Wovon war Bruno ausgegangen? Das muss man nochmal im Moment in seine Erinnerung rufen, weil das viele nicht mehr wissen. Was war denn überhaupt die Frage, nachdem das epochemachende Buch von Kopernikus erschienen war? Worum ging es denn? Auch wenn es zunächst gar nicht verstanden worden war. Welche Fragen standen an? Das sind vor allen Dingen sieben Fragen, die ich als kopernikanische Herausforderung bezeichne. Ich nenne mal diese sieben Punkte, mit denen sich nun jeder Naturwissen­schaftler, jeder Kosmologe seitdem auseinandersetzen musste, ob er wollte oder nicht. Kopernikus’ Werk hat sieben Grundfragen aufgeworfen, und diese sieben Grundfragen mussten in irgendeiner Form behandelt werden. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass das Werk des Kopernikus 1543 erschienen war, mit einer Vorrede an den Papst, in dem sicheren Gefühl, dass von der Kirche keine Opposition kommen könnte und dass Kopernikus die Fixsternsphäre, die gewaltige Hohlkugel, die die Welt umgibt, in der geozentrischen [solarzentrischen] Kosmologie beibehielt. Folgende sieben Punkte mussten alle seitdem behandelt [werden], [sind] auch behandelt worden.

Erster Punkt: Unsere Sinne glauben nicht an Kopernikus. Warum? Warum wirkt der irdische Boden unter unseren Füßen so, als ob er ruhe? Wie kann etwas wie ruhend wirken, sich aber zugleich rasend schnell bewegen? Das war eine Frage, die ungeheuer brisant war. Denken Sie auch an die berühmte Stelle in dem Galilei-Drama von Brecht, wo darüber gespottet wird, wenn die Erde sich tatsächlich so rasend schnell bewegt, müsste doch ständig ein Gegenwind wehen, müsste man irgendwie merken. Das war Punkt eins. Für die gesamte Naturwissenschaft und Philosophie danach, die sich mit dem Kosmos beschäftigt, war es die Frage: Warum merken wir nichts von dieser rasenden Bewegung? Zweiter Punkt: Warum bewegen sich die Gestirne, einschließlich der nun aus der kosmischen zentralen Position entbundenen Erde? Die Warum-Frage in Bezug auf die kosmische Bewegung ist zugleich die Frage nach den bewegenden Kräften. Sie wissen ja, ich habe das ja verschiedentlich gesagt, dass die moderne Physik die Fragen letztlich nicht geklärt hat, dass man letztlich eine ursachelose Perpetual-Bewegung annimmt. Ich habe Ihnen ja in der letzten Vorlesung auch versucht, meine Überlegungen dazu vorzustellen. Also die Warum-Frage in Bezug auf die kosmische Bewegung, ist zugleich die Frage nach den bewegenden Kräften. Die Nachfolger des Kopernikus eliminierten auch die die Planeten tragenden Kristallsphären oder -schalen. Damit schwebten oder hingen die Gestirne nun frei im Raum. Das war ja die Annahme, dass die Gestirne daran befestigt sind an diesen gigantischen, unsichtbaren Hohlkugeln.

Drittens: Wie lässt sich die Gravitation erklären, die nun jedem Himmelskörper zugesprochen werden musste? Was ist überhaupt diese Gravitation? Welche Kraft liegt ihr zugrunde und welchen Ursprung hat sie? Warum ist sie so raumüberbrückend und mächtig? Auch da, das habe ich ja schon angedeutet, hat die Mainstream-Physik eigentlich keine Antwort.

Viertens: Ist der Kosmos endlich oder unendlich? Die Frage kam auf. Kopernikus sagt an einer Stelle seines Werkes: ob die Welt endlich oder unendlich ist, wollen wir dem Streit der Naturphilosophen überlassen. Er wollte sich zu der Frage nicht äußern. Auch Galilei hat die Frage zurückgewiesen. Diese Frage hat er in der Schwebe gelassen, während Kepler sich eindeutig gegen eine Unendlichkeit ausspricht. Ist der Kosmos endlich oder unendlich? Sollte er endlich sein, wie lassen sich die Grenzen dieser Endlichkeit bestim­men? Was ist jenseits dieser Grenzen, wenn da überhaupt etwas im raumzeitlichen Sinne ist? Die Frage war mächtig, und Bruno ist augenscheinlich der erste Denker, der konsequent mit seinem ganzen intellektuellen Scharfsinn die Frage der Unendlichkeit des Universums denkt. Das ist ja ein Gedanke, der eigentlich nicht gedacht werden kann. Nicht, Sie erinnern sich, Sie kennen das vielleicht aus der Philosophiegeschichte, dass ja Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“, in den „Antinomien der reinen Vernunft“, die These vertritt, diese Frage ist nicht entscheidbar, vom Geist aus. Man kann beides verfechten. Man kann die Endlichkeit, und man kann die Unendlichkeit genauso logisch intellektuell dar­stellen. Genau die Frage: Hat die Welt einen Anfang, oder hat sie keinen Anfang? Beides ist möglich und beides ist ein nicht auflösbarer Widerspruch. Der Geist, der Intellekt kann das nicht entscheiden.

Fünfter Punkt: Kopernikus entdeckte die Planeten-Natur der Erde. Er macht ja die Erde zum Planeten. Warum sollte dieser Planet, wenn er schon derart erhoben und auch kosmisch relativiert wurde, eine Sonderrolle einnehmen? Gibt es auch anderswo intelligentes Leben? Die Frage ist ja sofort naheliegend. Wenn dann der Planet Erde keine Einzigartigkeit im Kosmos hat, dann muss man fragen: Gibt es auch anderswo intelligentes Leben? Im Sinne der kopernikanischen Logik müsste die Frage bejaht werden. Bruno hat die Frage bejaht. Galilei hat sich zu dieser Frage überhaupt nicht geäußert. Übrigens auch noch Newton nicht. Die Frage hat dann erst eine Rolle gespielt in der Kosmologie des 18. Jahrhunderts und ist dann auch im Sinne Brunos positiv bejahend beantwortet worden, von Voltaire und vielen anderen.

Sechster Punkt: Wie stellt sich das Mensch-Kosmos-Verhältnis in der nun unvor­stellbar entgrenzten Welt dar? Wie kosmisch ist der Mensch? Also die Frage: Was ist denn jetzt, wenn die Welt unvorstellbar entgrenzt ist, überhaupt mit dem Mensch-Kosmos-Verhältnis? Dann muss man das ja erst vollkommen neu denken.

Und die siebente Frage, die theologisch natürlich die brisanteste ist: Was ist mit Gott, der Gottheit, dem Göttlichen in der neu entdeckten Weite des Raumes? Mit anderen Worten: Wo bleibt Gott, wenn denn die Welt sich ins Unvorstellbare ausweitet? Diese Frage hat ja noch im 18. Jahrhundert in vielen Diskursen eine zentrale Rolle gespielt, so zum Beispiel in der ganzen Auseinandersetzung, von mir ja schon mehrfach erwähnt, zwischen Leibniz und Newton. Da geht es immer um die Frage: Wo bleibt Gott im Universum? Und der Vorwurf des Atheismus wurde schnell erhoben, das war auch politisch, auch soziologisch ein gravierender Vorwurf, das darf man nicht vergessen von heute aus. Noch Fichte musste seine Professur in Jena, seine Philosophie-Professur aufgeben, ich glaube 1792, wenn ich es richtig weiß, weil er den Verdacht auf sich zog, Atheist zu sein. Also der Vorwurf des Atheismus war noch dazu angetan, Jemanden von seinem Lehrstuhl zu entbinden. Insofern war die Frage wirklich eine auch politisch-soziologische Frage, eine wirklich brisante Frage: Wie steht es eigentlich mit Gott im Universum? Ist der Gott in der Welt? Ist er ein transzendentes Wesen, wie Newton annahm, außerhalb der Welt? Und, greift er in das Universum ein? Repariert er sozusagen sein kosmisches Uhrwerk immer wieder? Oder läuft das vollkommen von alleine, wie das Leibniz annahm? Einmal angestoßen, läuft es unendlich weiter. Und Leibniz und andere haben ja darüber gespottet, dass Newton ja meinte, Gott muss immer wieder in die Welt eingreifen, damit dieses Räderwerk nicht zum Stillstand kommt. Damit hat er natürlich … also mit diesen sieben Fragen war jeder konfrontiert.

Bruno hat versucht, diese sieben Fragen zu beantworten auf eine ungeheuer weitreichende und revolutionäre Weise, auch von heute aus, das muss man noch mal sagen, das kommt ja auch hier in dem … , in den Sätzen zu dem Urania-Vortrag zum Ausdruck. Auch von heute aus ist das eine ungeheuer brisante und weitreichende Frage, auch die Frage des möglichen extraterrestrischen Lebens: Welche Formen hat dieses Leben? Welche organischen Formen gibt es? Welche Bewusstseins-Formen gibt es? Wie steht es überhaupt mit dem Lebendigen in der Welt? Das wird häufig in den geschichtlichen Darstellungen so dargestellt, übrigens falsch dargestellt, als ob Bruno der Auffassung gewesen wäre, dass es eine unendliche Zahl von Sonnensystemen gäbe, wobei jeweils immer ein Planet in einer bestimmten Sonnenentfernung Leben tragen könne. Bruno hielt ja die Sonnen und Fixsterne selber für bewohnt, worüber viele Nachfahren, Nachkommen eher irritiert waren. Was meint er damit? Er war ernsthaft der Auffassung, es gibt sozusagen, es bedarf gar keiner Planeten. Auch die für ungeheuerlich heiß und glühend gedachten Himmels­körper sind im Grunde genommen, auf eine für uns unvorstellbare Weise bewohnte Himmelskörper. Also Bruno glaubte wirklich an die Allgegenwart des Lebens in diesem Universum, also ein wirklich in toto lebendiges Universum. Wobei er immer wieder gesagt hat, dass wir uns nicht unbedingt eine Vorstellung machen könnten von der Erscheinungs­form, von der Manifestation, von dem Wesen, von der Art dieses Lebendigen. Aber er war davon … ging davon aus, dass das Lebendige überall vorhanden sein müsste.

Ich will mal eine kurze Passage vorlesen von Bruno, die seine, auf eine wunderbare Weise, seine Erkenntnistheorie zeigt. Bruno ging von einer bestimmten Grundannahme aus in seiner Erkenntnistheorie, er hatte eine Erkenntnistheorie. Auch das haben viele gar nicht gesehen. Bruno selber, das muss man vielleicht noch ergänzen, führt seine Philosophie zurück auf eine zentrale Intuition, auf eine zentrale Intuition, ich habe das ja schon mal angedeutet, im Alter von 30 Jahren, auf ein quasi Erleuchtungs-Erlebnis, das er auch eingehend beschreibt. Er hätte im Jahre 1578 als 30-jähriger eine Art von, wie würde man heute sagen, kosmisches Bewusstsein erlangt und habe in diesem einen Moment, in einem blitzartigen Augenblick der Erhellung seine gesamte Kosmologie geschaut. Das kann man so stehen lassen. Immerhin muss man sagen, wenn man das jetzt mal anzweifeln möchte, dass in dieser Intuition eine Fülle von Elementen drin waren, die er auf gar keinen Fall [vorher] wissen konnte. Beispiel ist die Rotation der Sonne. Er war der erste Mensch überhaupt, der die Rotation der Sonne behauptet hat. Er war der erste Mensch, lange vor Kepler, der gesagt hat, dass die Planeten[bahnen] nicht kreisförmig sind, sondern elliptisch. Er war der Erste, der gesagt hat, das jenseits des Saturns, der noch als der letzte Planet galt, weitere Planeten sind und so weiter. Woher wusste er das? Wie konnte er das wissen? Es gab kein Fernrohr zu Brunos Zeit. Das Fernrohr wurde bekanntlich erst 1609/1610 erfunden, also viel später. Er hat nie durch ein Fernrohr geschaut. Er hat es einfach erschlossen aufgrund von einfachen Überlegungen oder geschaut in irgendeinem verän­derten Bewusstseinszustand, den [hat man] bei ihm durchaus unterstellen können, ja, in gewisser Weise unterstellen müssen.

Ich geb jetzt mal diese Stelle seiner Erkenntnistheorie, die stammt aus einer lateinischen Schrift. Ich habe das aus dem Lateinischen ins Deutsche hier übersetzt. Da geht es um die Stufung der Erkenntnis. Ich lese das mal vor, es ist eine halbe Seite hier:

„Im eigentlichen Sinne wird die Erkenntnis aufgefasst als ein Vermögen zur Aneignung der erkennbaren Dinge. Und dies geschieht auf vielerlei Weise.“ Jetzt stuft er das. „Es gibt zunächst die Sinnes-Erkenntnis. Es folgt der Verstand, welcher allein dem Menschen eigentümlich ist, also das Vermögen, welches aus dem durch die Sinneswahr­nehmungen erfüllten und im Gedächtnis Gespeicherten etwas außerhalb der Sinneswahr­nehmung hervorbringt und erschließt, so aus den einzelnen Dingen das Allgemeine und aus dem Nacheinander eine gewisse logische Aufeinanderfolge. Und diese Erkenntnis wird diskursiv genannt.“ Also das ist relativ vertraut. Immer erstaunlich, dass Jemand das um 1590 formuliert, aber relativ vertraut, „insofern als der Intellekt aus einem erkannten Ding zu einem anderen zu Erkennenden fortschreitet.“ Also die intellektuelle Erkenntnis, die sinnliche Erkenntnis. Dann gibt es die intellektuelle Erkenntnis, die verstandesmäßige Erkenntnis, die diskursive, die logisch-diskursive Erkenntnis. Dritte Stufe: „Es folgt die Vernunft“, als eine höhere Stufe gesehen, „die Dasjenige, was der Verstand auf diskursive Weise und mittels der Beweisführung und, wie ich auf eigene Weise sage, mittels der logischen Schlussfolgerung und des kausalen Ablaufs erfasst und begreift.“ Also der Intellekt als Kausal-Sinn. Nimmt in gewisser Weise Kant vorweg, „durch eine gewisse einfache Intuition ein unmittelbares Anschauen aufnimmt. Sie wird intellectio genannt, gleichsam eine interne Lectio, ein innerliches Lesen, und sie ist eine Art lebendiger Spiegel, zugleich sehend, und die sichtbaren Dinge in sich selbst bergend.“

Also, die Sinnes-Erkenntnis, dann der Verstand, das Logisch-Diskursive, dann die Vernunft als die dritte Stufe, als die höhere Stufe, die er auch als eine Art von lebendigem Spiegel bezeichnet, eine Art Schau „zugleich sehend und die sichtbaren Dinge in sich selber bergend“. Vierte Stufe. „Es folgt der Geist.“ Der Geist wird noch darüber gelegt, über Verstand und Vernunft, mens [lat.], oft auch als intellectus bezeichnet, meint nicht Intellekt. „Es folgt der Geist [mens] über aller Vernunft und rationalen Erkenntnis, welcher in einem einfachen Akt des Schauens ohne vorher Vorausgehendes oder Begleitendes, logisch-diskursives Denken und ohne Zahl und Trennung alles erfasst, einem Spiegel vergleichbar, der lebt und zugleich so vollkommen ist, dass das Licht, der Spiegel und alle Formen und Gestalten miteinander identisch sind.“ Unglaubliche Aussage, „also einem Spiegel vergleichbar, der lebt und zugleich so vollkommen ist, dass das Licht, der Spiegel und alle Formen und Gestalten miteinander identisch sind, welche eher ohne Trübung und Vereinzelung sieht und ohne zeitliche, der Veränderung unterworfene Aufeinanderfolge, wie ein Haupt, welches vollständig Auge ist, und überallhin in einem Akt das Höhere und Tiefere, das Vorher und Nachher und das unteilbar ist, auch das Innere und das Äußere sieht.“

Also, der Geist als mens ist eine höchste Stufe. Wie könnte man das nennen, um das verständlich zu machen, eine Art intuitive Gesamtschau jenseits der Vereinzelung, auf die sich Bruno immer wieder in seinen Schriften beruft. Also: sinnliche Erkenntnis, Verstand, Vernunft und dann Geist als diese höchste Bewusstseins-Fakultät, die das Ganze unmit­telbar schaut, auch in einem Akt, in dem Subjekt und Objekt zusammenfallen. Also eine sehr weitgehende, hochinteressante und auch brisante erkenntnistheoretische Grundfigur, die hier aufgefächert wird.

Was übrigens die genannte Intuition anbelangt im Alter von 30 Jahren, so will ich noch diese eine Stelle wenigstens kurz vorlesen, weil sie zeigt, was hier gemeint ist. „Sie“, die Strahlen Apollons sind gemeint, „offenbaren die göttliche Güte, Einsicht, Schönheit und Weisheit, die je nach den verschiedenen Wesensordnungen, wie sie durch leidenschaftlich Liebende aufgenommen werden. Das aber geschieht, sobald der Getroffene nicht mehr mit diamantartiger Oberfläche das eindringende Licht zurückwirft, sondern durch die Glut und Helligkeit aufgeweicht und bezwungen, in seinem ganzen Wesen lichtartig wird. Er selbst wird gleichsam Licht, indem dieses sein Fühlen und Denken durchdringt.“ Das haben sie in allen, auch spirituellen Traditionen der Welt, die Lichtwerdung des Geistes. Das finden Sie in den „Upanishaden“, das finden Sie überall, in der Sufi-Mystik und sonstwo, immer diesen Grundgedanken. „Er selbst wird gleichsam Licht, in dem dieses Sein Fühlen und Denken durchdringt. Das ist am Anfang, bei der Zeugung, noch nicht der Fall, wenn die Seele gerade eben berauscht aus dem Lethe und ganz durchtränkt aus den Wassern des Vergessens und der Verworrenheit hervorgeht. Da ist der Geist noch zu sehr in die Gefangenschaft des Körpers und in den Dienst des vegetativen Lebens eingeengt.“ Und jetzt auf sich bezogen: „Der Begeisterte, der hier spricht, bekennt, sechs Lustren, das sind 30 Jahre, in dieser Verfassung verharrt zu haben und in ihrem Verlaufe noch nicht zu jener Reinheit der Einsicht gelangt zu sein, die ihn befähigt hätte, zur Wohnstatt der fremden Gestalten zu werden, die immer an die Tür der Vernunft pochen und sich allen in gleicher Weise darbieten. Schließlich aber ließ die Liebe, die ihn bis dahin vergeblich von verschiedenen Seiten her und zu verschiedenen Malen angegriffen hatte, ebenso wie man sagt, dass die Sonne für jene, welche im Innern der Erde im tiefen Dunkel sind, vergeblich leuchte und wärme, sich in den geheiligten Lichtern nieder. Sie zeigte ihm durch zwei intelligible Gestalten die göttliche Schönheit. Diese band ihm nämlich durch die Sinngestalt der Wahrheit die Vernunft, und erwärmte ihm durch die Sinngestalt der Güte das Gefühl. So wurde das materielle und sinnliche Begehren überwunden, das vorher triumphierte, das trotz der Vortrefflichkeit der Seele ungebrochen blieb. Nun konnten jene Strahlen, welche vom erleuchtenden und wissenden Geist, von der Sonne der Einsicht ausgesandt wurden, leicht durch seine Augen eingehen, und zwar die der Wahrheit, durch die Pforte der erkennenden Kraft, die der Güte durch die Pforte des Begehrens ins Herz, das heißt ins Grundwesen des Gefühls. Als er so zum ersten Mal in dieser Weise erwärmt und im Geist erleuchtet wurde, war jener siegreiche Punkt und Augenblick erreicht, von dem gesagt wird: vicet instant, der Augenblick siegt.“

Also eine ganz klare Schilderung, eine Art von Erleuchtungserfahrung mit Bildern der neuplatonischen Licht-Metaphysik, das ist klar. Bruno bedient sich hier der Bilder der philosophischen Tradition. Bruno versucht, diese sieben Fragen auf seine Weise zu beantworten. Und was ihn auszeichnet, ist, dass er niemals die lebendige Ganzheit, niemals die lebendige Gestalt aus den Augen verliert. Sein Denken ist niemals ein analytisch- intellektuelles Ding, obwohl er hochgradig intellektuell auch denkt und argumentiert, wirklich messerscharf und luzide argumentieren kann. Ich sage es noch mal: Seine Argumente, die er bringt in dem Buch „Vom Unendlichen“ gegen die Endlichkeitsvor­stellung des Aristoteles sind auch intellektuell ein Bravourstück. Das ist so messerscharf durchdacht, dass ich bis zum heutigen Tage noch niemanden kennengelernt habe, der in der Lage gewesen wäre, diese Argumente aus den Angeln zu heben. Man kann natürlich sagen, diese Prämissen stimmen gar nicht. Allein diese ganze Argumentation ist in sich falsch, das sei unhaltbar ‒ kann man machen. Aber wenn man erst einmal auf bestimmte Grundprämisse sich einlässt, und das muss man immer beim Denken, dann muss man anerkennen, dass diese Argumente wirklich stark sind. Und wie gesagt, ich kenne bis zum heutigen Tage keine wirklich substanziellen oder diese aushebelnden Gegenargumente. Der Skandal Brunos besteht darin, dass er es nie lassen kann, polemisch zu werden, dass er unermüdlich fast jeden Zeitgenossen und aus der Vergangenheit attackiert. Und das haben ihm viele Biographen als Unduldsamkeit ausgelegt oder als Unfähigkeit, Frieden zu halten. Er hat unermüdlich scharfe Attacke, hat wo er es konnte, ist er aufgetreten und hat irgendwo Fehler ausfindig gemacht. Kaum war er in Genf bei einer seinen ersten Vorlesungen an der Universität, da hat er mitgeschrieben und hat dann genau alle Fehler aufgelistet, die gemacht worden sind und hat dann dieses Paper mit den Fehlern des Professors an der Universität angeschlagen. Und kurze Zeit später ist er der Universität verwiesen worden und wegen Verunglimpfung des Lehrpersonals auch eingekerkert worden vorübergehend.

Also eine Grundeigenschaft, die ihm anhaftet, und in allen Diskussionen hat er eine ungeheure Vehemenz und Leidenschaftlichkeit an den Tag gelegt, immer auch getrieben von einer Leidenschaft im Denken, die in der Geistesgeschichte singulär ist. Also ihm war, was immer zu tun, um die vollständige Deckungsgleichheit von Denken und Leben. Es wäre für ihn undenkbar gewesen, dass Jemand das eine sagt, verkündet und denkt und das Andere lebt. Also diese Schizophrenie, die ja doch sehr verbreitet ist, wäre für ihn unlebbar gewesen. Er hat immer versucht, tatsächlich eine Deckungsgleichheit zu realisieren und sich damit im Grunde nur Feinde gemacht. Auch in den nachfolgenden Jahrhunderten, kann man sagen, nur Feinde gemacht, denn er macht es vielen seiner Leser auch heute kolossal schwer, denken Sie an das, was er über das Christentum gesagt hat, da mitzugehen. Da versucht man dann zu relativieren, abzuschwächen und das Ganze in seiner ungeheuren Schärfe nicht gelten zu lassen. Und gerade das ist aber die Herausforderung. Gerade das immer wieder kolossal Unbequeme und ich finde das so schön, schön ist gar kein Ausdruck, also zutiefst adäquat, dass Anacleto Verrecchia in diesem Buch auch diese Schicht bei Bruno immer wieder heraushebt. Das ist also ein Buch, das auch mit einer Leidenschaft geschrieben ist und keineswegs irgendwie abgeklärt, akademisch von außen. Und natürlich haben wir uns da gefunden an der Stelle, das ist klar und auch erkannt. Und es gibt natürlich jetzt einen sehr guten und interessanten Dialog, sozusagen. Das ist genau der hier, auf den ich gewartet habe, in Italien. Ich war immer verblüfft darüber, dass in Italien sich so wenig tut. Das scheint tatsächlich sich zu ändern.

Also, um zu einem gewissen Schluss zu kommen, wenn man das überhaupt sagen kann. Ich bleibe ja sowieso am Thema, denn ich will ja nächstes Mal auch über Weltseele, Weltäther und Weltgeist sprechen, noch einmal über diese kosmische Triade, da greife ich ohnehin das noch mal auf, es ist ja ohnehin ein Leitthema. Also um zum Schluss zu kommen, erst einmal vor der Diskussion sei noch ergänzt kurz, dass in diesem Band hier über Bruno vom Diederichs Verlag auch erstmalig seine sogenannten Magischen Schriften übersetzt sind. Bruno hat auch Schriften zur magia naturalis abgefasst, zur Natur und Magie und zu Fragen der psychischen Wechselwirkungen. So erwähnt Sloterdijk etwa in seinem Buch „Sphären II“ auch eine Schrift von Bruno, die er für eine der interessantesten hält, die sich mit der psychischen Fesselung beschäftigt, auch in der Liebe. Also Bruno war auch ein leidenschaftlicher Mensch und hat sehr viel geschrieben, auch über die Fesselung in der erotischen Liebe als Grundmuster von Zusammenhang überhaupt. Und er war auch Derjenige, der in seiner Schrift „Die heroischen Leidenschaften“ erkennt, es immer verstanden hat, als Leidenschaft, niemals als eine rein intellektuell von der Person des Einzelnen abgelöste Erkenntnisbemühung.

[Ein Handy klingelt …] Schönen Gruß! Das kam sogar im Tristan, gestern war ich in der Philharmonie, und da war tatsächlich bei einer leisen Stelle, einer Gustav- Mahler-Sinfonie, da ging das Handy los bei jemand.

Ich will das erst einmal dabei bewenden lassen. Ich selber, wie Sie wissen, versuche ja auf meine Weise viele dieser Gedanken weiterzudenken, auch wenn Sie an diese beiden letzten Bücher denken, da ist es sehr dezidiert geschehen. Da spielt Bruno eine ganz zentrale Rolle und insofern ist er für mich ein wichtiger Gewährsmann, was nicht bedeutet, dass ich in irgendeiner Form nun alle Aussagen so nehme, wie sie vor über 400 Jahren formuliert worden sind. Das wäre absurd. Darum kann es auch gar nicht gehen. Es kann nur darum gehen, die entscheidenden Impulse dieses Denkens aufzugreifen und weiter zu denken. Und dass das so wenig geschieht, ist bedauerlich. Das hat Gründe, die vielfältig sind.

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Naturphilosophie des Wassers

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 32

Transkripte als PDF:


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Ich begrüße Sie sehr herzlich und hoffe, dass Sie die Jahreswende gut verbracht haben, ohne allzu große Hysterien und Einbrüche psychologischer und sonstiger Art, und wir gehen in die letzte Runde hier in dieser Vorlesung, noch weitere vier Vorlesungen und ganz kurz zuvor: Ich habe hier liegen eine Seminar-Ankündigung. Ich habe das heute Abend genannt „Flüsse-Ströme-Wirbel als kosmische Wirkgrößen. Kann die Naturphilosophie des Wassers auch kosmologisch fruchtbar gemacht werden?” Worum geht es?

Es geht bei dem Thema nicht in erster Linie und ausschließlich gar um die Philosophie des Wassers oder um die Phänomenologie des Wassers. Eher sekundär oder indirekt. Es geht primär um die Frage, ob sich aus einer vertiefteren Betrachtung des Wassers als Wirbel, als Strom, als Fluss, etwas ableiten lässt für eine kosmische Betrachtung. Dieser Gedanke ist nicht neu. Er wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gedacht. Immer wieder hat es Versuche gegeben, bestimmte hydrodynamische Prinzipien, die wir aus der Empirie kennen, zu übertragen auf kosmische Zusammenhänge. Ich habe das auch verschiedentlich getan, unter anderem in meinem letzten Buch. Ich werde dazu noch einige Stellen nachher vorlesen bzw. paraphrasieren. Auch andere haben das getan. So zum Beispiel Ervin Laszlo in seinem Buch „Kosmische Kreativität”. Auch er macht den Versuch, das Meer, den Ozean, das Wasser überhaupt heranzuziehen, um kosmische Vorgänge, unter anderem die kosmische Bewegung, verständlich zu machen. Also darum geht es.

Ich will noch einmal auf zwei Punkte eingehen bzw. an diese anknüpfen, die für heute Abend wichtig sind. Ich habe ja in einer eigenen Vorlesung gesprochen über die Frage der Bewegung, der kosmischen Bewegung, die Frage dargestellt, es gab ja auch Antworten dazu: Was treibt die Gestirne voran? Was ist die Ursache der Gestirnbewegung? Ich habe einleitend damals gesagt, möchte es hier auch noch einmal sagen: Dass die Frage in der Mainstream-Physik weitgehend ungeklärt ist. Das ist eine unbeantwortete Frage. Ähnlich übrigens wie die Frage nach der Ursache der Bewegung im Mikrokosmos. Also auch die atomare oder subatomare, partiell auch die molekulare Bewegung, sind, was die Kausalebene betrifft, mehr oder weniger ungeklärt. Es gibt mathematische Modelle, die diese Vorgänge beschreiben, aber kausal, das heißt, von der Ursachenebene her, wird das nicht wirklich erklärt. Man muss mehr oder weniger zurückgreifen, und das tut man auch, auf eine ursachelose Perpetual-Bewegung, wie ich das verschiedentlich genannt habe, also eine nicht kausal gegründete und bestimmte Bewegung. Das unterstellt man mehr oder weniger auch bei den kosmischen Bewegungen, die, wenn man es genau betrachtet, auch wenn das niemals so direkt genannt wird, letztlich in der Mainstream-Physik darauf hinauslaufen, dass man ein kosmisch-mechanistisches Perpetuum mobile unterstellt oder postuliert, denn eine wirkliche Ursache wird gerade ausgeschlossen. Ich habe Ihnen das erläutert im Zusammenhang mit der geradlinig-gleichförmigen Bewegung, die ja das gleichsam platonische Urbild der Bewegung überhaupt in der mechanischen Physik, nicht erst seit Newton, aber vor allen Dingen und verstärkt dann seit Newton war, also die Vorstellung, dass eine geradlinig-gleichförmige Bewegung kräftefrei verläuft, physikalisch mehr oder weniger identisch ist mit Ruhe und auch keiner kausalen Kraft bedarf.

Das ist ja die Pointe dieser Überlegungen, die man mit gewissen Abstrichen schon bei Galilei findet. Dies ernsthaft anzunehmen oder zu unterstellen, würde der herrschenden Physik nach ja gerade bedeuten, dass man quasi zurückfällt in eine vor-Galileische oder vor-Newtonsche Betrachtungsweise. Ich habe Ihnen dann in anderem Zusammenhang auch, Ihnen, erklärt oder versucht zu erklären, dass Newton selber das ganz anders gesehen hat und dass man hier unterscheiden muss zwischen der Newtonschen Physik, wie sie in Lehrbüchern steht, und der eigentlichen Newtonschen Physik, wie sie sich in seinem Hauptwerk, in den „Principia” finden. Das ist nicht nur ein wissenschaftsgeschichtliches Moment, sondern das ist ein prinzipielles Moment. Darüber habe ich auch in verschiedenen Zusammenhängen gesprochen.

Eine geradlinig-gleichförmige Bewegung als das gleichsam platonische Urbild der Bewegung ist natürlich, und das ist auch nie ernsthaft abgestritten worden, nicht nur ein kausales Paradox, wie das Carl Friedrich von Weizsäcker nennt, sondern auch, wie das selbst von Physikern nicht bestritten wird, eine Fiktion. So etwas ist in der Form nie beobachtet worden, kann aber aufgrund ganz bestimmter Prämissen postuliert werden. Was wir beobachten, sind ganz andere Bewegungen: Wir beobachten vielfältige Bewegungen, und im Lebendigen sind es etwa Orbitalbewegungen. Es sind Bewegungen zirkulärer Art. Es sind Spiral-Bewegungen, es sind wirbelförmige Bewegungen. Es sind lebendige Bewegungen, die niemals den Charakter der geradlinig-gleichförmigen Art haben.

Also lebendige Bewegungen sind etwas grundsätzlich Anderes. Und es ist zu vermuten, dass die Annahme einer geradlinig-gleichförmigen Bewegung in dem unterstellten Sinne in Konfrontation mit der lebendigen Natur zu einer Art Kollision führt oder führen muss, die dann auch mittel- oder langfristig naturzerstörerische Folgen hat. Das habe ich ja auch in verschiedenen Zusammenhängen ausgeführt. Also das vorab.

Dann nochmal zu der Frage, weil es für den Zusammenhang heute wichtig ist, der Kräfte. Es ist sehr schwierig, eine klare Definition zu geben, was Kräfte sind. Kräfte sind das, was bewegt, in gewisser Weise also ein Kausalfaktor, engl. „force” oder „forces”. Und die Frage ist, und das hat Newton bewegt und viele andere bewegt, und ich habe mich dazu auch eingehend geäußert und darüber wirklich viel nachgedacht im Laufe von 15, 20 Jahren. Was sind Kräfte? Das spielt wirklich für das Thema eine entscheidende Rolle, auch für die hydrodynamischen Vorgänge, die man analogiemäßig für den Kosmos auch annehmen kann. Was sind Kräfte? Sind diese Kräfte mehr oder weniger das Gleiche wie der Stoff oder die Materie, den oder die sie bewegen? Oder haben diese Kräfte eine eigene qualitas? Haben sie eine eigene Qualität? Sind sie etwas ontologisch ganz Anderes? Wobei man dann, wie das Newton getan hat, das muss man aber nicht, zu der Annahme kommen kann, man müsste von einem Dualismus ausgehen. Hier der Stoff, die Materie, die träge Materie, der träge Stoff, der dunkle Stoff, und hier eine Bewegungskraft, eine immaterielle Entität, die man ja auch dann als eine hyperphysische, wenn man so will, als eine metaphysische Entität betrachten kann, die die Materie vorantreibt.

Kepler hat das sehr beschäftigt. Galilei hat die Frage offengelassen. Newton hat eine Antwort darauf gegeben, und diese Frage ist sehr viel im Laufe der Jahrhunderte ventiliert worden. Ich selber habe darauf auch Antworten zu geben versucht, aber auch einige dieser Antworten dargestellt. Aber das ist wichtig, grundsätzlich bei jeder Gestalt, auch bei der lebendigen Gestalt, wie ich das im letzten Semester im Sommer dargestellt habe: Was sind die Kräfte der lebendigen, der organischen Gestalt? Und was können wir aus der organischen, lebendigen Gestalt ablesen über die Kräfte, die in ihnen wirksam sind? Also eine ganz wichtige, entscheidende Frage. Das wird uns auch beschäftigen.

Dann letzter Punkt der Vorbemerkung. Ich hatte in der Vorlesung vor der Weihnachtspause gesprochen über die ja bewegende und auch uns alle in irgendeiner Form betreffende Frage: Ist die Erde in irgendeiner Form als ein kosmisches Lebewesen, als ein großer Organismus anzusehen? Vielleicht überhaupt die Gestirne, wie das Giordano Bruno und andere angenommen haben? Und wenn wir die Frage bejahen, wenn wir sagen: Ja, das ist so, das könnte so sein, dann muss man unterscheiden zwischen einer eher schwachen Form, indem man sagt, sie ist ein quasi-Lebewesen, sie ist quasi lebendig, aber nicht wirklich ein Lebewesen. Und der starken Form, die so aussehen würde, dass man sagt, die Erde ist tatsächlich ein Lebewesen, mit allen Merkmalen, Strukturmerkmalen und Ingredienzien eines solchen Lebewesens, unter anderem auch mit der Qualität des Bewusstseins. Das hatte ja Giordano Bruno ganz dezidiert in seiner Kosmologie formuliert: Gestirne sind Großorganismen mit einem über-ichhaften, also das menschliche Bewusstsein weit übersteigendem, kosmischen Bewusstsein, einer Art kosmischer Wahrnehmung, die wir uns nicht vorstellen können, zu denen [der] wir im Grunde auch in unserem normalen Bewusstsein gar keinen Zugang haben. Diese Frage erst einmal an den Anfang gestellt und eine Frage etwa, die in dem Zusammenhang von erstaunlicher Tiefe sein kann, wenn man sie wirklich aufnimmt und zulässt, ist die Frage: Was hält die Gestirne im Raum? Was hält die Gestirne im Raum?

Eine Frage, die die Astronauten zum Beispiel in ihrer Wahrnehmung der Erde aus einer bestimmten Entfernung, mit einer gewissen Erschütterung angerührt hat. Wenn Sie die Zeugnisse lesen, die Dokumente, die Aussagen vieler Astronauten über ihre Gefühle im Rückblick auf die Erde, es ist ja bekannt und sehr weltweit verbreitet worden, dann stößt man immer wieder auf das Erstaunen darüber: Was hält eigentlich das Gestirn im Raum? Man spricht dann meistens davon, dieses Gestirn, überhaupt die Gestirne, schweben im Raum, oder sie hängen im Raum. Wenn man mal genauer betrachtet, was für Verben hier verwendet werden, da wird meistens von „schweben“ oder von „hängen“ gesprochen. Nun, „hängen“ und „schweben“ sind beides Begriffe, natürlich aus der Erfahrung der Erdoberfläche. Ein Luftballon schwebt in einem Medium Luft. Wenn man den Vergleich, wenn man die Analogie zulässt, müsste man sagen: In welchem Medium schwebt dann eigentlich dieser Planet und auch ein anderer Planet? Gibt es ein universales Fluidum, ein Medium, das quasi dieses Gestirn trägt? Dann wäre ja der Vergleich sinnvoll. Er wird ja immer wieder herangezogen. Beim Hängen ist es wieder anders, es hängt ja an etwas. Ein Astronaut spricht mal von „A Christmas Tree Ornament“, wie eine Christbaumkugel. Die Überraschung auch, dass das so ist und wie das so ist. Natürlich kann man sagen, was hält den Mond ‒ die Gravitation der Erde, was hält die Erde ‒ die Gravitation der Sonne, was hält die Sonne und so weiter. Man landet irgendwann bei der Frage: Was hält die Gestirne überhaupt im Raum? Und dann muss man weiter fragen: Was ist dieser Raum? Was für Eigenschaften hat dieser Raum, dass er die Gestirne tragen kann? Und dann ist man bei der Frage, unter anderem bei der Frage, die ich auch dargestellt habe, der sogenannten Raumenergie und auch der von mir umrissenen Äther-Frage.

Ich habe verschiedentlich auch angedeutet, dass man die Frage so beantworten kann, dass man sagt, wie ich das ja versucht habe mittels der sogenannten Radial-Feldes: Das Gestirn hält deswegen im Raum, weil es aus dem Mittelpunkt seiner selbst eine eigene Strahlung ins All schickt, in die Unendlichkeit oder Unermesslichkeit des Raums, und dass sich alle gravitativen Kräfte im Zentrum quasi in sich selber aufheben oder auflösen und das Gestirn auf diese Weise den Kontakt mit dem Unermesslichen hält, weil es selber in sich durch diese radiale Verstrahlung am Unendlichen teilhat, andernfalls dass der Raum [das] wirklich wie eine Christbaumkugel zerdrücken würde. Also eine sehr weitreichende These, die hier nur in aller Knappheit noch mal anführen möchte. Das wäre also ein Angebot, quasi was die Gestirne im Raum hält, also eine eigene, vom Gestirn ausgehende Radial-Energie oder Raum-Energie, die gleichsam dem Raum verschwistert ist und in die Unermesslichkeit des Raums reicht. Das sozusagen die eine Unermesslichkeit, von der anderen Unermesslichkeit getragen wird.

Bei Giordano Bruno gibt es Hinweise auf diese Gedanken, obwohl sie nicht in der letzten Konsequenz weiterentwickelt worden sind, 100 Jahre vor Newton. Newton hatte die Sachen anders gedacht, hatte die radiale Form der Gravitation ja anders interpretiert. Auch darüber habe ich schon gesprochen. Das vorab.

Übrigens, der Naturforscher, der sich wie wenige andere im 20. Jahrhundert mit der Frage des Wassers beschäftigt hat, der Österreicher Viktor Schauberger, 1885 bis 1958, stellt, wie ich zu meiner Verblüffung festgestellt habe, in einem seiner Bücher aus den frühen 30er Jahre mit dem Titel „Unsere sinnlose Arbeit“, guter Titel, eine Reihe von Fragen, von denen er meint, die Wissenschaft kann sie nicht beantworten. Ich mache das auch gerne, denken Sie an meine 30 Fragen zur Schwere, [die] in dieser Form, in dieser gebündelten Form, wie sie in meinem Buch auftaucht, noch nie gestellt worden sind. Und in dieser gesammelten Form stellt auch Schauberger Fragen. So ist die erste Frage, die er stellt in diesem Buch, das entnehme ich hier dem Buch des englischen Architekten Callum Coats, der ein Spezialist für Schauberger ist: Wieso hält sich die Erde schwebend? Das ist die allererste Frage, die er stellt. Das ist ja im Grunde genommen nur eine andere Umschreibung der Frage: Was hält die Erde im Raum? Wobei die Frage des Schwebens hier bereits in gewisser Weise eine Einschränkung bedeutet. Ich habe das ja angedeutet, denn die Analogie des Schwebens der Erde mit einem Luftballon in dem Medium Luft setzt ja bereits etwas voraus, was man nicht unbedingt voraussetzen kann. Ich werde darauf noch eingehen. Das Buch ist auf dem Literaturverzeichnis, und es ist exzellent. Callum Coats „Natur-Energien verstehen und nutzen“, eine exzellente Gesamtdarstellung der Wasserforschung von Viktor Schauberger.

Ich bringe mal einige Zitate am Anfang, die, um jetzt mal direkt auf das Wasser hier auf der Erde zu kommen, die Eigenarten, sagen wir mal die Merkwürdigkeiten, Anomalien und auch rätselhaften Fragen beleuchtet, die das Wasser aufwirft. Denn das ist wirklich ein zwar Jedermann geläufiges Phänomen, das aber, wenn man das genauer betrachtet, einen Abgrund von Fragen aufwirft. Zum Beispiel am aller naheliegendsten die Frage: Wie ist es möglich überhaupt, dass zwei Gase in dieser Form sich zu diesem flüssigen Element verbinden können, was wir phänomenologisch-empirisch als Flüssigkeit wahrnehmen? Wie ist das möglich?

Ein anderer wichtiger Wasserforscher ist Wilfried Hacheney. Ich habe das Buch erst spät entdeckt und konnte es nicht mehr auf die Literaturliste setzen. Er schreibt in diesem Buch „Wasser ‒ ein Gast der Erde“, Wasserforscher seit vielen Jahrzehnten, auch Physiker, der sich wohl wie kaum ein anderer nach Schauberger und Theodor Schwenck und wenigen Anderen mit dem Wasser so intensiv beschäftigt. Also Wilfried Hacheney schreibt in diesem Buch „Wasser ‒ Ein Gast der Erde“:

„Ein ehrlicher Wissenschaftler müsste zugeben, dass er nicht weiß, was Wasser ist, was es wirklich ist.“ Chemische Formel ist bekannt. Das ist nicht die Antwort, was Wasser ist. „Es ist weder mit physikalischen noch mit chemischen Mitteln der gängigen Naturwissenschaft erklärbar. Es folgt keinem ihrer Gesetze. Wasser ist ein Geheimnis, ein substanzielles Nichts, in Anführungszeichen. Eine naturwissenschaftliche Unmöglichkeit. Allein dass es flüssig ist, ist nicht erklärbar mit den Gesetzen der Naturwissenschaft. Nach denen müsste es nämlich gasförmig sein. Das ergibt sich aus der Gesetzmäßigkeit des periodischen Systems durch die Stellung des Sauerstoffs. Aber auch alle anderen Eigenschaften, die chemische Stabilität, die Fähigkeit, Wärme zu speichern, die ist ja enorm bei Wasser, Wärme zu transportieren, Wärme abzugeben, sind Eigenschaften, die so ohne Weiteres nicht erklärbar sind. Wir kommen mit den gewöhnlichen Methoden der Naturwissenschaft, dem Phänomen des Wassers nicht näher. Wir kommen mit den gängigen Vorstellungen nicht aus. Der Versuch, eine Qualität quantitativ zu erfassen, muss scheitern. Wasser ist als empirisches Phänomen, auch phänomenologisch erst einmal, eine Qualität. Wir erfahren Wasser auch als den Archetypus des Flüssigen überhaupt. Auch die Vorstellung von einer Dynamik der molekularen Struktur und der so ins Wasser eingeschriebenen Information können nicht ausreichen, sind doch allein die Begriffe ,Struktur‘ und ,Information‘ nur imaginäre Substitute für die Vermittlungsfähigkeit von Kräften durch das Wasser.“

Eine zweite Stelle aus diesem wunderbaren Buch hier über das Wasser, nach Protokollen aufgeschrieben, nicht ein geschriebenes Buch, sondern nach Tonbandmitschnitten zusammengestellt. „Es gibt also keinen Stoff, der uns solche Hinweise auf unsere offenbarte Welt gibt, wie das Wasser. Leben, Kälte, Wärme, Tod ‒ das Wasser ist mit diesen Vorgängen direkt oder indirekt auf geheimnisvolle Weise verbunden, und es ist das Wasser, das uns am deutlichsten zeigt, wo wir anfangen müssten mit unserer Forschung. Und es zeigt, wo Wissenschaft beginnen sollte. Wasser fordert uns heraus, unser wissenschaftliches Weltbild zu überdenken, und es fordert uns heraus, über die Begrenzung hinauszukommen.“

Zweites Beispiel stammt aus meinem Buch „Was die Erde will“. Da habe ich im Zusammenhang mit der Frage der Geo-Logik der Mineralien, wie ich das genannt habe, auch einen Abschnitt drin über das Wasser. Ich will das mal hier im Mittelteil des Buches vorlesen, weil das auch noch mal von einer ganz anderen Warte aus die Fragen hier aufwirft: „Von den subjektlosen Subjekten im Mineralreich war bereits die Rede“, das war vorher, „auch Minerale haben ganz offensichtlich eine Art von planetarer kosmischer Wahrnehmung“, ich habe das begründet vorher, „auch eine Wahrnehmung der aus ihrem Schoße entspringenden Sphäre des Organischen. Und vollends offenkundig wird das bewusstseinsträchtige Mineralreich in den klassischen vier Elementen“, denken Sie an meine Vorlesung im Sommer, „also in den so verschiedenartigen und tief reichenden Wirkungen, welche durch Erde, Wasser, Feuer und Luft ausgelöst werden. Wasser als Ur-Medium und als Archetypus des Flüssigen ist der Grundstoff des Lebens. Ohne Wasser als Träger von Lebensprozesse wäre die Erde das, was der Mars heute ist, ein Wüstenplanet. Wasser ist ein Mineral, in gewisser Weise ein Mineral. Es ist ein Mineral als Flüssigkeit in der Form von Eis und als Gas bzw. Wasserdampf“, also ein Mineral als Flüssigkeit, in der Form von Eis und als Gas bzw. Wasserdampf. „Wer in Wasser eintaucht, hat nicht das Gefühl, in Totes einzutauchen. Und doch ist Wasser in der reinen chemischen Form, H²O, also ohne organische Beimengungen, tot.“ Das sogenannte destillierte Wasser ist im Grunde genommen tot und langfristig oder sogar mittelfristig und kurzfristig auf Organe schädlich. „Doch existiert Wasser auf diesem Planeten praktisch niemals außerhalb lebendiger Prozesse, deren Träger es ist. Insofern sagt die nackte chemische Formel nichts aus über Tod und Leben. Sicher können Gewässer umkippen und dann biologisch tot sein, etwa durch extreme Schadstofzufuhr. Aber der Normalfall ist dies nicht. Neben die Bedeutung von Wasser im biologischen Sinn für die seelische Qualität des Wässrigen, des Flüssigen. Von der Verbindung des Flüssigen, Wässrigen mit dem Pflanzlichen wurde bereits gesprochen.“ Und so weiter.

Und eine letzte Stelle in dem Buch von Callum Coats über Schauberger. Eine letzte Stelle, im Mittelteil des Buches, in dem Abschnitt, der uns noch beschäftigen wird, auch über die Anomalie des Wassers. Callum Coats schreibt, bezugnehmend auf die Forschungen von Schauberger: „Leben ist Bewegung, und das Wasser verleiht ihm den Ausdruck seines andauernden Zustands von Bewegung und Verwandlung, sowohl äußerlich als auch innerlich. Auch Pflanzensaft und Blut fließen wie Wasser. Wieso nur konnte man zu der Vorstellung gelangen, dieses Lebensmolekül, das unzählige Lebensformen auf unserem Planeten hervorbringt, sei so leblos, wie es in der klinischen Sichtweise des Chemikers als anorganische Substanz H²O definiert wird. Dieses kryptische Symbol stellt eine krasse Fehlinterpretation dar“, wohlbemerkt was die Qualität, die eigentliche Qualität des Wassers anlangt. Es geht nicht darum, dass diese Formel als solche chemisch gesehen falsch ist, darum geht es nicht, dass kein Missverständnis auftaucht. Es geht um die Qualität, um die empirische, phänomenologische Qualität dessen, was Wasser ausmacht und was es bewirkt. „Wäre Wasser bloß das sterile destillierte H²O, als das es die Wissenschaft gegenwärtig beschreibt, dann wäre es für jedes Lebewesen Gift. H²O oder sogenanntes juveniles Wasser ist steriles destilliertes Wasser frei von allen sogenannten Verunreinigungen. Es hat keinen ausgeprägten Charakter, keine ausgeprägten Qualitäten. Um zu reifen, absorbiert es die Merkmale und Eigenschaften von allem, das im Kontakt mit ihm kommt oder von ihm angezogen wird. Das sind vor allem Spurenelemente, Mineralien, Salze und sogar Gerüche. Würden wir ständig reines H²O trinken, so würden die Mineral- und Spurenelement-Vorreiter in unserem Körper schnell ausgeschwemmt und uns schwächen und schließlich umbringen. Wie ein heranwachsendes Kind nimmt juveniles Wasser, gibt aber nichts. Erst wenn es reift, das heißt entsprechend mit Rohstoffen angereichert ist, ist es in der Lage zu geben, sich frei und bereitwillig auszuteilen, damit sich das übrige Leben entwickeln kann.“ Und so weiter. Also das als Vorabfrage dazu.

Das Wasser hat eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten, die einfach hingenommen werden müssen, die phänomenologisch nicht weiter hinterfragt werden können. Eine dieser Eigenschaften, Eigenheiten habe ich auch in einem anderen Kontext bereits erwähnt im Sommersemester, unter anderem im Zusammenhang mit meinen Aussagen über die vier Elemente. Nicht nur in dieser Vorlesung, auch in anderem Kontext. Das ist etwa die Frage des Anomalie-Punktes des Wassers: Warum hat das Wasser bei 4 Grad Celsius die größte Dichte und ist dort am energiereichsten? Wenn das nicht so wäre, würde Eis nicht auf der Wasseroberfläche schwimmen können, bekanntlich. Warum gerade als einzige Flüssigkeit dieser Anomalie-Punkt bei 4 Grad Celsius? Auch das ist viel umrätselt worden. Letztlich kann man es nicht immanent begründen, man muss es hinnehmen als eine Gegebenheit. Trotzdem bleibt es eigenartig, denn wenn es nicht so wäre, würde organisches Leben in dieser Form gar nicht möglich sein. Hier heißt es in diesem Buch von Coats, in dem Abschnitt über den Anomalie-Punkt des Wassers:

„Auch das anomale Expansionsverhalten des Wassers ist ein Faktor von großer Bedeutung. Das Verhalten des Wassers unterscheidet sich von dem aller anderen Flüssigkeiten. Während durchweg alle Flüssigkeiten beim Abkühlen immer dichter werden, erreicht allein das Wasser seine größte Dichte bei einer Temperatur von 4 Grad Celsius. Das ist der sogenannte Anomalie-Punkt, der entscheidend für die Kraft des Wassers ist und einen großen Einfluss auf seine Qualität hat.“ Das ist eine wesentliche These von Schauberger, dass diese Eigenschaft auch verantwortlich ist für Wasserqualität. Also Schauberger hat sehr intensiv geforscht über die Frage: Was ist eigentlich Wasserqualität? Wann hat das Wasser die reinste und beste und auch dem Organismus zuträglichste Qualität?

„Unterhalb dieser Temperatur dehnt sich Wasser wieder aus. Bei 4 Grad Celsius hat es mit einer Dichte von [0,999975] Gramm pro Kubikzentimeter das kleinste Raumvolumen und lässt sich praktisch nicht weiter komprimieren. Plus 4 Grad Celsius bezeichnet außerdem die Temperatur, bei der Wasser seinen höchsten Energiegehalt hat.“ Was nicht selbstverständlich ist, es müsste nicht so sein, ist aber so, „und einen Zustand aufweist, den Schauberger als Indifferenz bezeichnete. Mit anderen Worten, bei seinem höchsten natürlichen Grad von Gesundheit, Vitalität und lebensspendenden Potenzial befindet sich Wasser im Zustand seines höchsten inneren Energiegleichgewichts und in einer thermisch und räumlich neutralen Verfassung. Eigenartig. Warum ist das so?

Um die Gesundheit, Energie und Lebenskraft des Wassers zu schützen, müssen gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, mit denen wir uns später befassen werden. Für den Augenblick ist vor allem wichtig, dass die 4 Grad Anomalie entscheidend für die vielfältigen Funktionen des Wassers ist. Im folgenden Abschnitt sollen Schaubergers Theorien über den Temperaturgradienten und ihre Umsetzung behandelt werden.“ Das bezieht sich auf die Temperatur bei Strömungen. Er hatte genaue Forschungen angestellt: Wo ist das Wasser am kältesten? Er hat damit auch viele Wasser-Forscher seiner Zeit verblüfft, hat festgestellt, dass das Wasser immer da am kältesten ist, wo der Längswirbel in der Mitte eines Stromes liegt und hat in vielerlei Hinsicht überraschende Dinge einfach phänomenologisch festgestellt. Als Forst-Mensch, der er ursprünglich war, hat er einfach genau hingeguckt und hat dann gemessen.

„Steigt die Temperatur des Wassers auf über 4 Grad, so dehnt es sich aus, wird es kälter als dieser Wert, und das ist auch eigenartig, so beginnt es sich ebenfalls auszudehnen und sein spezifisches Gewicht verringert sich. Diese anomale Ausdehnung unterhalb von 4 Grad ist wichtig für das Überleben der Fische, denn wenn das Wasser sich weiter ausdehnt und abkühlt, kristallisiert es bei null Grad schließlich zu Eis und bildet an seiner Oberfläche eine schwimmende, Isolierschicht, die das Leben darunter vor den schädlichen Auswirkungen der tiefen winterlichen Lufttemperatur schützt.“ Und so weiter. Also eine Frage, die in dem Zusammenhang immer wieder gestellt wird, ist die nach dem Anomalie-Punkt des Wassers.

Eine andere Merkwürdigkeit ist, dass man sich offenbar, mit aller Vorsicht gesagt, zu der Annahme bequemen muss, dass Wasser in irgendeiner nicht genau bestimmbaren Form die Fähigkeit hat, Geist quasi zu speichern oder im eher nüchternen Jargon gesagt, Information zu speichern. Das ist ja wichtig im Zusammenhang mit der Frage, wie es möglich ist, dass zum Beispiel bei extremen homöopathischen Potenzen, wo ja praktisch überhaupt kein Molekül der Ursprungssubstanz mehr vorhanden ist, trotzdem die Wirkung die gleiche bleibt, ja noch gesteigert wird. Es hat in Frankreich in den 80er Jahren umfangreiche Untersuchungen über diese Frage gegeben und auch kontroverse Untersuchungen. Ein sehr schönes Buch, was dies darstellt, habe ich auf der Literaturliste, es stammt von dem Michel Schiff „Das Gedächtnis des Wassers“. In diesem Buch stellt er sehr eingehend diese Fragen dar und auch den rätselhaften Punkt, wie es möglich ist, dass das Wasser offenbar eine derartige Qualität, eine Bewusstseinsqualität, eine Geist- und Wirkqualität weitergeben kann, auch wenn es, was die Ursprungssubstanz betrifft … , also wenn die Ursprungssubstanz gar nicht mehr darin vorhanden ist. Es gibt mal eine kleine Stelle hier aus diesem Buch „Das Gedächtnis des Wassers“. Damit fängt er an. Es hat damals umfangreiche Forschungen gegeben, die das zweifelsfrei bestätigt haben, und das warf dann wieder eine ganze Reihe von Fragen weiterhin auf, die nämlich nach dem Zusammenhalt der Materie überhaupt. Das ist wesentlich weniger geklärt als sich der Laie, der sogenannte Laie, das wertneutral gesagt, das vorstellt. Im Grunde ein Mysterium. Warum hält die Materie überhaupt zusammen? Was sind überhaupt die inneren Kräfte, die zum Beispiel eine Flüssigkeit in dieser schmiegsamen Form gleichzeitig, ungeheuer dehnbar, zusammenhalten? Die Fragen sind ungeklärt, und auch in der Quantenmechanik war das ein ganz großes Problem. Schon in den 20er Jahren wurde es viel diskutiert. Wie kommt es eigentlich, dass die Stoffe in ihrer Gestaltform so konstant ist? Was hält das wirklich zusammen? Denn wenn es nur ganz kurz … , ganz kurze Strecken Überbrückende Wirkkräfte wären, müsste auch feste Materie ständig quasi zerbröseln, auseinanderfallen, kollabieren. Hier heißt es am Beginn:

„ ,Homöopathische Verdünnungen‘ und ,Wassergedächtnis‘ sind zwei Begriffe, die bei friedfertigen und intelligenten Menschen zu einer heftigen irrationalen Reaktion verleiten könnten.“ Das ist so, weil das Buch, das kann ich nur kurz andeuten, ist eine große Dokumentation über die … , auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte, dass nämlich die Wissenschaft damals sehr scharf reagiert hat und die Untersuchungsergebnisse von Benveniste und anderen angezweifelt hat. „Dieses Buch berichtet über wissenschaftliche Untersuchungen homöopathischer Verdünnungen und damit verwandter Phänomene sowie über die Art und Weise, wie diese Studien bislang von den meisten Wissenschaftlern aufgenommen wurden. Diese Experimente und die Reaktion darauf führten zu einem lange andauernden wissenschaftlichen Disput.“ Der ist bekannt geworden in der Fachliteratur als Benveniste-Affäre, auch ein Stück Psychologie, kollektiver Psychologie über die Frage: Wie verhält sich die etablierte Wissenschaft, wenn Ergebnisse zutage treten, zweifelsfrei empirisch untermauerte Ergebnisse, die schlechterdings nicht erklärbar sind, die nicht hineinpassen in diese Frage? Ich habe über diese Frage übrigens auch viel, das habe ich glaube ich schon mal gesagt, mit Volker Rohleder diskutiert, einem der führenden Homöopathen in Deutschland, der auch Kontakte hatte mit Physikern, und über diese Frage viel diskutiert hat. Die Frage ist letztlich ein ungeheures Rätsel, wie das möglich ist. Denn wenn man sich dazu bequemt, das es wirklich so ist, müsste man vollkommen neu denken über die Innenstruktur auch von Materie überhaupt.

„Einer der Lehrer an meinem ehemaligen Gymnasium“, schreibt Michel Schiff, „pflegte seinen Schülern zu sagen, er glaube nicht an die Existenz von Atomen. Zum Glück unterrichtete in meiner Klasse ein verständigerer Lehrer, der mir seinen Enthusiasmus für die Naturwissenschaft vermitteln konnte. Ich erinnere mich noch daran, was er über Atome sagte: Wie kann jemand ihre Existenz bestreiten? Vielleicht spielten diese Worte zwei Jahrzehnte später eine Rolle, als ich mich entschied, ein klassisches Lehrbuch über Atomphysik ins Französische zu übersetzen, ein Buch von Born und anderen über moderne Physik. Ich hatte dieses Werk als Student benutzt. Womöglich hat diese Äußerung meines Lehrers auch dazu beigetragen, dass ich mich noch nach 40 Jahren meines [Lebens ?] sehr für Publikationen interessierte, die der Verbindung zu widersprechen schienen, dass Atome und Moleküle die Grundlage der chemischen und biologischen Wechselwirkungen sind. Wie allgemein bekannt ist, werden in der homöopathischen Medizin häufig Lösungen eingesetzt, die so stark verdünnt sind, dass von der ursprünglich vorhandenen aktiven Substanz kein einziges Molekül mehr vorhanden ist, das chemisch oder biologisch wirken könnte. In den 80er Jahren legte ein renommierter Wissenschaftler Beweise für den umstrittensten Aspekt der Homöopathie vor.“ Nicht, das ist immer wieder versucht worden, angezweifelt worden, immer wieder hat es Versuchsreihen gegeben, manchmal tauchte das auch in der Presse auf, bis heute, Versuchsreihen, die davon ausgegangen waren, dass man es in irgendeiner Form verifizieren könnte oder eben endgültig widerlegen kann. Also: „In den 80er-Jahren legte ein renommierter Wissenschaftler Beweise für den umstrittensten Aspekt der Homöopathie vor. Er hatte gezeigt, dass Wasser die Eigenschaft hat, sich an frühere Kontakte mit biologisch aktiven Substanzen zu erinnern, in Anführungszeichen.“ Das ganze Buch heißt ,Das Gedächtnis des Wassers’“.

Hier muss natürlich mal eine kurze Anmerkung machen, auch jetzt erkenntnistheoretisch_philosophisch: Ist es zulässig, in diesem Kontext den Begriff „Gedächtnis“ zu verwenden? Denn wenn hier eine Geistqualität, und das ist ja letztlich die Information, Information ist ja nur ein nüchternes Wort für Geistqualität, also, wenn eine Geistqualität hier quasi eingespeichert ist und als Wirkqualität auch weitergegeben werden kann, ist es zulässig, in dem Kontext dann zu sagen: Ja, es gibt eine Art Gedächtnis? Setzt nicht das Wort, der Begriff ,Gedächtnis‘ dann in irgendeiner Form ein Bewusstsein voraus? Das müsste man dann bejahen. Oder man verwendet den Begriff ,Gedächtnis‘ nur quasi Begriff, als Verdeutlichungsbegriff. Der Frage sind wir auch schon mehrfach nachgegangen. Ist ja auch wichtig im Zusammenhang mit der Frage, ob etwa Mineralien eine Art von Bewusstseinsqualität haben, was ich glaube, obwohl es letztgültig nicht beweisbar ist, und dass sie vielleicht auf Grund dieser Bewusstseinsqualität überhaupt reagieren können auf bestimmte Geist- und Wirkfaktoren, die sich als sogenannte Naturgesetze manifestieren.

Also: „Er hatte gezeigt, dass Wasser die Eigenschaft hat, sich an frühere Kontakte mit biologisch aktiven Substanzen zu erinnern, in Anführungszeichen. Dieser Forscher war der Franzose Jacques Benveniste. Er hatte das Team geleitet, das auf diesem Gebiet mehrere bahnbrechende Erkenntnisse erzielen konnte. Nach vierjährigen experimentellen Arbeiten über hohe Verdünnungen publizierte sein Team ein Artikel in ,Nature‘, der einflussreichsten Zeitschrift. Die Reaktion auf die Abhandlung waren sehr heftig. Schon einige Tage nach ihrer Veröffentlichung besuchte der Chefredakteur von ,Nature‘ Benvenistes Laboratorium in Begleitung eines für die Aufdeckung wissenschaftlichen Betrugs spezialisierten Physikers und eines professionellen Magiers.“ Das wird oft gemacht. Etwa, Sie werden das vielleicht in der Presse verfolgt haben, mal bei den philippinischen Heilern, da wird oft ein Trick … , wenn man das genau untersuchen will, was passiert da wirklich? Da schickt man manchmal im Verbund einen Physiker und dann auch einen Trickser, also einen Magier, einen Trickmagier. Und da hat es schon eigenartig Ergebnisse gegeben, manches war wirklich getrickst, Anderes konnte man beim besten Willen nicht als Trick und Betrug entlarven. Aber einiges war wirklich Betrug, auch bei diesen philippinischen Heilern.

„Kurz nach ihrer fünftägigen Visite veröffentlichte dieses wissenschaftliche Einsatzkommando in ,Nature‘ einen Bericht mit dem Titel ,High Dilution Experiments A Delusion‘, ,Experimente zur hohen Verdünnung, eine Täuschung‘ und so weiter. Das ganze Buch stellt jetzt diese Geschichte sehr eingehend dar, was da wirklich passiert ist.

Und nur noch kurz zu der Frage der Existenz oder Nichtexistenz oder Nicht-Nachweisbarkeit und Nicht-Beweisbarkeit einer Substanz im Wasser bezogen auf die Avogadro-Zahl, das hat hier der Volker Rohleder im Sommer 98 auch dargestellt. „Außerdem lernten wir im Chemieunterricht die Avogadro-Zahl kennen, sie ja ziemlich genau den Wert von 6 * 10²³ und gibt die Anzahl von Atomen bzw. Molekülen in einem Mol der betreffenden Substanz an. Also enthält ein Mol Wasserstoff-Gas ebenso viele 2-atomige Moleküle wie ein Mol Sauerstoff-Gas, das ebenfalls aus 2-atomigen Molekülen besteht. 1 Mol Wasserstoff-Gas wiegt 2 Gramm und 1 Mol Sauerstoff-Gas wiegt 32 Gramm. Weil die Bildung von Wasser doppelt so viele Wasserstoffatome wie Sauerstoff-Atome erfordert, folgt wieder das Massenverhältnis 1:8. Die Anzahl der Teilchen in einem Mol, die Avogadro-Zahl, ist mit fast einer Billiarde [10¹⁵] Milliarden [10⁹] unvorstellbar groß, aber sie ist nicht unendlich hoch. Beispielsweise hat 1 Mol Wasser eine Masse von 18 Gramm und enthält wie gesagt 6 * 10²³ Wasser-Moleküle. Wir nehmen ein Zehntel davon, dann ein Zehntel dieses Zehntels und so weiter. Machen wir das insgesamt 23 Mal, dann erhalten wir ein Häufchen von nur sechs Molekülen, das wir nicht mehr in zehn gleiche Portionen aufteilen können. Die wiederholte Teilung durch 10 entspricht der Methode zum Herstellen homöopathischer Verdünnungen. Stellen wir uns vor, von einem Wirkstoff sei eine geringe Menge, nämlich 10¹² Moleküle in einem bestimmten Volumen Wasser gelöst. Eine sogenannte Dezimal-Verdünnung erhält man, indem man ein Zehntel der gegebenen Lösungsmenge mit dem 9-fachen dieses Volumens an Wasser auffüllt. Damit hat die neue Lösung das gleiche Volumen wie das ursprüngliche, aber eine zehnmal geringere Konzentration. Mit anderen Worten, sie enthält im selben Volumen zehnmal weniger Wasserstoff-Moleküle, nämlich 10¹¹.“ Und so weiter.

Also die Frage ist damals kolossal intensiv diskutiert worden. Sie wird auch heute noch diskutiert, und sie ist letztlich eine offene Frage. Und sie ist natürlich eine Schlüsselfrage für die Homöopathie überhaupt, weil in der Homöopathie ja bekanntlich gerade Hochpotenzen extremer Größenordnungen eine zentrale Rolle hierbei spielen. Auch hier stellt man sich die Frage, was hat dieses Wasser für eine seltsame Qualität, dass es überhaupt in der Lage ist, eine solche Geistqualität zu speichern und weiterzugeben? Übrigens, was viele nicht wissen, übrigens auch in dem Buch nirgendwo erwähnt ist, ist, dass der Dichter und Dramatiker August Strindberg Anfang des Jahrhunderts zum Teil schon im späten 19., Anfang des vorigen Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts und Ende des 19. Jahrhunderts verschiedentlich vollkommen unabhängig von der Homöopathie solchen Fragen nachgegangen ist und zum Beispiel der Frage, warum die Eisblumen am Fenster etwa bestimmte Formen aufweisen. Er hat dann geforscht als Autodidakt und Privatgelehrter, der er war, neben seiner Tätigkeit als weltbekannter Dramatiker, hat also nachgeforscht und hat festgestellt, dass diese Formen, die sich als Eisblumen am Fenster bilden, ganz bestimmte Bärlapp- und Farngewächse sind. Wie kommen die da hin? Was bedeutet das, und [er] hat dann ähnliche Überlegungen angestellt: Wie ist es möglich, dass im Wasser, in der kristallisierten, in der eisförmigen Gestalt sich solche Bärlapp- und Farngewächse plötzlich zeigen? Er kam da zu einer ganzen Reihe von hochinteressanten Schlussfolgerungen, sicherlich zum Teil auch dilettantisch und nicht immer unbedingt überzeugend, aber hochinteressant, weitgehend vergessen. Ich bin vor vielen Jahren mal auf diese Texte gestoßen, weil mich Strindberg als Autor sehr interessiert hat. (…)

Ich habe nur zwei Beispiele genannt: die rätselhafte Speicherfähigkeit, wenn man es so nennen möchte, von Geistqualität und Wirkqualität, schlichter Information durch Wasser und den Anomalie-Punkt. Es gibt auch andere. Berühmt geworden ist ja Schauberger durch sehr genaue Beobachtungen in oder an Strömen, an Flüssen, an Wasserfällen. So hat er zum Beispiel sich gefragt, was vor ihm in der Form offenbar noch niemand gefragt hatte: Wie es möglich ist, dass Forellen in der Lage sind, einen Wasserfall hoch zu hüpfen, wie das möglich ist, denn das ist nicht zu bezweifeln, es ist wirklich möglich. Oder dass sich Forellen in relativ großer Geschwindigkeit gegen die Strömung, gegen eine relativ mächtige Strömung sogar, also relativ schnell bewegen und sogar in einem Fluchtverhalten sich gegen die Strömung, also flussaufwärts, bewegen. Er hat darüber sehr genaue Forschungen angestellt und hat auf diese Weise Gesetzmäßigkeiten herausbekommen, die vor ihm noch gar keiner in Augenschein genommen hat, nicht einmal im Ansatz. Eine dieser Beispiele will ich noch mal eben verlesen. Das ist besser, hier Callum Coats das Wort zu erteilen, als wenn ich das selber paraphrasieren, er ist wirklich der Fachmann für diese Fragen, und insofern erlaube ich mir mal hier mehr als sonst hier vorzulesen, weil es einfach sehr schön zusammengestellt ist, besser als ich es jetzt hier paraphrasieren könnte. Callum Coats hat seit Jahrzehnten sich beschäftigt mit der Forschung von Viktor Schauberger, die übrigens auch sein Sohn Walter Schauberger, gestorben 1994, und auch dessen Sohn Tilman weitergeführt hat, [also] eine ganze Generation da.

Schauberger hat ja, sagen wir mal in der Szene im weiten Sinne, einen etwas zweifelhaften Ruf bekommen, in vielem mehr oder weniger zweifelhaften Publikationen wird ja kolportiert, einige werden das kennen, und das hat den Namen Schauberger belastet, er habe für die Nazis irgendwelche Flugobjekte gebaut, und die einschlägige Literatur schwirrt von Gerüchten darüber. Und es ist sehr schwer, darüber eine genaue Information zu bekommen. Die Quellenlage ist undeutlich: Was hat er da nun genau entwickelt. Was hat er gebaut? Wie erfolgreich war er? Auch dann Kontakte später zum russischen und amerikanischen Geheimdienst. Er war dann in Amerika. Es gab also eine sehr tragische Entwicklung dieses Mannes, sehr verbittert, dann gestorben 1958, also wirklich sehr verbittert. Und da gibt es viele Rätsel, und das hat den Namen in ein Zwielicht gebracht, wie manche andere Namen in dem Zusammenhang. Das muss man einfach sagen, weil viele, wenn sie von Schauberger hören, denken daran, denken an Flugobjekte, die er für die Nazis gebaut hat, weil er auch dann versucht hat, und das ist wichtig, seine Beobachtung am Wasser technisch umzusetzen. Er hatte ja dann eine eigene Form der Technikkritik entwickelt. Er hatte dann die These vertreten und auch zunehmend untermauert, dass die normale Technik hier, die auf dem Explosionsprinzip beruht, auf der Verfeuerung von Energien, dass die lebensfeindlich ist und den Planeten und das Lebendige langfristig zugrunde richtet, und dass man ein ganz anderes Prinzip an die Stelle dessen setzen müsste, dass er Implosionsprinzip nannte, also das genaue Gegenteil von Explosion. Das eine, also eine Bewegung von innen nach außen, in gewisser gewalttätiger Form, das andere eine spiralförmige Bewegung nach innen, eine Art von Implosion, mit der … , mittels derer eigene Kräfte, eigene Energien freigesetzt werden, auf eine schöpferische Weise. Und er hat dann auch versucht, durch sehr genaue Experimente anhand dieser Wirbelbewegungen nach oben und der sogenannten Levitationskräfte, wie das dann Hacheney und andere genannt haben, Maschinen zu bauen.

Also ein Antriebssystem, und das ist bis heute vollkommen umrätselt: War er da wirklich erfolgreich, oder ist er nie über bestimmte rudimentäre Formen hinausgekommen? Wer sich damit beschäftigt, der kommt in eine gewisse Unsicherheit und auch Verwirrung, weil die Quellenlage ist wirklich undeutlich. Vieles wird spekuliert und man weiß es einfach nicht. Und da möchte ich mich auch nicht darauf einlassen, weil man hat keine klaren Dokumente. Ich will das nur einfach sagen, weil der Name Schauberger aufgrund dessen einfach in gewisser Weise ins Zwielicht geraten ist, kann man sagen. Ungerechtfertigt eigentlich, denn er war wirklich einer der ersten Grünen, wenn man so will, seine Technikkritik sehr berechtigt ist, sehr fundiert und auch gut durchdacht, und er scheint hier auch unglücklich manchmal in seinen Begriffen, die axial-radiale Bewegung, als die nach außen gehende, das ist nicht logisch nachvollziehbar der Begriff, warum axial-radial? das ist nicht aus der Sache ableitbar. Also die explosive Bewegung nach außen, die eine zerstörerische Qualität hat, und die radial-axiale Bewegung die nach innen, die implosive Qualität. Das berühmte Forellen-Beispiel möchte ich kurz erwähnen noch mal mit den Worten von Callum Coats, ich sage es noch mal, der das so genau beschreibt, das ist besser, als wenn ich es paraphrasieren würde. Eines der berühmtesten Beispiele von ihm:

„Schauberger, der sich über Forchheimer“, Forchheimer war ein Professor für Hydrologie und für Wasserforschung an der Universität, der sich interessierte für Schauberger und ihn immer wieder begleitet hat und versucht hat herauszukriegen, was meint dieser Schauberger eigentlich? Ist das haltbar, was der macht? Ist das Unfug, ist das verifizierbar? Und so weiter. Also „Schauberger, der sich über Forchheimers aufrichtiges Interesse freute, suchte nach praktischen Beispielen, anhand derer er ihm etwas über die Substanz des Wassers, sein inneres Wesen und über die eigentümlichen Phänomene beibringen konnte, die bei der Entwicklung von Energien im Wasser auftreten, vor allem im Zusammenhang mit der Wirbelbewegung“. Ist ja ein in der Physik weitgehend ungeklärtes Phänomen. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Physiker darüber, der es mir auch zugestand, dass die Wirbelforschung also eher schwach beleuchtet ist in der Mainstream-Physik. Dafür mag es gute Gründe geben. „Eines Tages bereitete er eine Vorführung für Forchheimer vor. Er nahm ihn in einen bestimmten Teil des Waldes mit, wo sie an einen reißenden Gebirgsfluss kamen, in dem es, wie Schauberger wusste, Forellen gab. Er zeigte auf eine Forelle, die inmitten dieses rauschenden, kalten Wassers, dort, wo die Strömung am schnellsten war“, also im mittleren Bereich, wo das Wasser kälter ist und schneller, Längswirbel, also „er zeigte auf eine Forelle, die inmitten dieses rauschenden kalten Wassers, dort, wo die Strömung am schnellsten war, reglos auf der Stelle verharrte.“ Vollkommen rätselhaft: Wie ist das möglich? „Anscheinend gelang es ihr mühelos, diese Position zu halten. Dabei zuckten ihre Flossen nur ganz sporadisch und ganz gelegentlich. Als Schauberger ein Stöckchen oder auch nur den Schatten des Stöckchens über sie hielt, reichte dies aus, um die Forelle blitzschnell flussaufwärts schießen zu lassen. Sie flüchtete niemals flussabwärts, sondern beschleunigte stets flussaufwärts.“ Naiv, wenn man zum ersten Mal dieses Beispiel hört, würde man annehmen, dass die Forelle einer Fluchtbewegung [folgend] natürlich sich der Strömung des Flusses hingeben würde, sozusagen von ihr sich tragen ließe, mit der Strömung. Das Gegenteil war der Fall. „Sie flüchtet niemals flussabwärts, sondern beschleunigte stets flussaufwärts. Höchst merkwürdig, denn normalerweise würde man die Bewegung flussabwärts für den schnellsten Fluchtweg halten, da sie dann mit der Strömung verliefe. Nachdem sich die Dinge wieder beruhigt hatten und die Gefahr vorbei war, kehrte die Forelle an ihren vorigen Standort zurück. Schauberger bat Forchheimer zu erklären und jetzt den Wissenschaftler, den Professor für Hydrologie, fragte er: Können Sie das erklären? Schauberger bat Forchheimer zu erklären, warum die Forelle stromaufwärts und nicht stromabwärts floh und warum sie dazu überhaupt in der Lage war. Als dieser keine Antwort wusste, antwortete Schauberger schelmisch: Nun Professor, weil sie keine akademische Ausbildung hat. Wären Sie in diesem reißenden Fluss, Sie würden fortgeschwemmt. Reglos in fließendem Wasser zu verharren, wird der Forelle durch folgenden Vorgang möglich.“ Er hat das genau erforscht, und zwar ganz präzise, empirisch, phänomenologisch. Was passiert wirklich mit dieser Forelle in diesem reißenden Strom? Also nicht spekuliert, sondern nur genau hingeguckt. Also: „Reglos in fließendem Wasser zu verharren, wird der Forelle durch folgenden Vorgang möglich. Sie sucht sich immer den Teil des Gewässers, jenen Bereich der Bachströmung aus, in dem das Wasser am dichtesten und am kältesten und der Längswirbel am stärksten ist.“ Also diese Hauptströmung ist ja eine Längswirbelströmung. „Hierbei spielt ein von Schauberger entdeckter Faktor eine wichtige Rolle.“ Das hatte vor ihm noch keiner gesehen. „Die Fließgeschwindigkeit eines jeden Wasserteilchens ist mit einer spezifischen Temperatur verbunden.“ Das haben dann viele angezweifelt, auch Wasserforscher, das stimmt nicht. Er war der Erste, der überhaupt den Zusammenhang herstellte. Also: „Die Fließgeschwindigkeit eines jeden Wasserteilchens ist mit einer spezifischen Temperatur verbunden. Überschreitet es diese kritische Temperatur, kommt es zu Turbulenzen. Beim Umfließen des Forellenkörpers beschleunigt sich jeder einzelne Wasserstrang. Dadurch wird die oben erwähnte kritische Strömungsgeschwindigkeit im Verhältnis zur spezifischen Temperatur überschritten. Mit anderen Worten, durch Ablenkung an der Masse des Forellenkörpers wird jeder einzelne Wasserstrang dazu gebracht, je nachdem, wie nahe er dem Fisch kommt, mit unterschiedlich stark überhöhter Geschwindigkeit zu strömen. Infolgedessen bildet sich an den Flanken der Forelle eine Reihe von Wirbeln, die eine Bewegungskomponente entgegen die Hauptstromrichtung besitzen.“ Was rätselhaft ist und zunächst Erstaunen macht, aber empirisch fundiert ist. Also „eine Reihe von Wirbeln, die eine Bewegungskomponente entgegen der Hauptströmungsrichtung besitzen. Die vereinte Wirkung dieser Gegenbewegungen im direkten Kontakt mit den rückwärtigen Bereichen des Forellenkörpers liefert die Schubkraft, die dem Abwärtsstrom des Wassers entgegenläuft. So entsteht an der Längsseite des Forellenkörpers ein Unterdruck bzw. ein Negativschub. Er ist dem Druck der Hauptwasserströmung entgegen gerichtet. Die Forelle verharrt in der Zone ausgeglichenen Drucks, die ihr eigener Körper bildet. Wenn die Forelle stromaufwärts beschleunigen will, beginnt sie ihre Kiemen zu bewegen. Das Wedeln mit den Kiemenflächen verstärkt die Wirbel an ihren Flanken.“ Also durch die Wirbel, die an den Flanken entstehen ist das möglich. „Das Wedeln mit den Kiemenfächern verstärkt die Wirbel an ihren Flanken. Dadurch wird der Aufwärtsschub größer als der Abwärtsdruck. Je schneller die Forelle also mit ihren Kiemenfächern wedelt, desto schneller bewegt sie sich gegen die Strömung. Und wenn ihre Kiemen sozusagen volle Kraft voraus geben, bewegt sie sich blitzschnell stromaufwärts. Der gesteigerte Ausstoß von sauerstoffarmem, CO²-reichem und daher Kohlenstoff-geladenem Wasser aus den schneller arbeitenden Kiemen hat außerdem ein energetisierenden Effekt.“ Und so weiter. Vielleicht ist das in der ersten Form nicht unbedingt sofort nachvollziehbar, aber das kann ich mir jetzt in dem Moment ersparen, das nochmal zu lesen oder zu paraphrasieren. Auf jeden Fall ist das empirisch gut fundiert. Es gibt die Möglichkeit, auch im rasenden Strom, für eine Forelle, quasi zu stehen, auch bei einem Wasserfall zu stehen oder sich sogar mit relativ hoher Geschwindigkeit gegen die Strömung zu bewegen. Das und diese und viele andere Bewegungen haben Schauberger veranlasst anzunehmen, dass es eine, wie übrigens dann auch Hacheney und andere, dass es eine durch Wirbelbewegungen verursachte antigravitative Kraft gibt, die er Levitationskraft nannte. Ein Begriff, den ja auch Hacheney mehrfach verwendet, eine Levitationskraft.

Sie werden sich vielleicht erinnern, dass ich im Zusammenhang mit der Frage der antigravitativen Energie des Lichtes auch in ganz anderem Zusammenhang diese Fragen ventiliert habe, wie es überhaupt kommt, dass sich Pflanzen aufrichten, wie es kommt, dass etwas Flüssigkeit aus dem Boden nach oben wie gesaugt wird, oft oberhalb, nach weit oberhalb des Erdoberflächenspiegels. Was für eine Kraft gewissermaßen die Säfte aus dem Boden herauszieht und die Wachstumsprozesse ja gegen die gravitative Saugwirkung, wenn man das so nennen will, überhaupt möglich macht. Es ist auch für etwa für die Photosynthese zentral wichtig. Alle diese Fragen haben innigen Zusammenhang, und ich denke, dass man das auch empirisch untermauern kann, dass tatsächlich Licht aus welchen Gründen auch immer, einen, Licht jetzt, einen, zwar minimal, aber doch spürbaren und für die organische Welt wesentlichen antigravitativen Faktor enthält. Und der wahrscheinlich auch zu tun hat, das wäre noch empirisch zu fundieren, das könnte man tun, wenn man sich der Mühe unterzöge, das in breiten Versuchsreihen zu machen, vielleicht auch einen Zusammenhang hat mit der Frage von Wachen und Schlafen der Lebewesen. Nicht, das habe ich ja auch schon angedeutet im Sommer einmal in einem Zusammenhang, dass die Lebewesen oberhalb der Fische … , Schlafen und Wachen, das ist letztlich medizinisch, physiologisch und auch physikalisch nicht geklärt. Hier könnte also eine Antwort darauf liegen, dass das Licht einen gravitations-vermindernden Effekt hat. Von meiner Radialfeld-Hypothese aus wäre es auch vollkommen verständlich, weil durch das Gegeneinanderwirken der Radialfelder ja Licht entsteht und durch die Veränderung, durch die Zustandsänderung des Radialfeldes notwendig auch die gravitative Wirkung sich verändert. Und dann müsste man diese Frage noch einmal neu betrachten.

Ich habe kürzlich mit einem Mediziner und Astronomen über diese Frage gesprochen, ein langes Telefongespräch darüber [geführt], der auch sagte, das müsste sich belegen lassen. Das müsste man durch lange Versuchsreihen über große Zeiträume eigentlich empirisch untermauern können. Er hält hier die These für sehr stark und auch für durchaus diskussionswürdig. Aber es ist bisher, soweit ich weiß, noch nicht wirklich empirisch erforscht worden, weil man einfach erstmal die These akzeptieren müsste als eine ernsthafte Hypothese. Und das wissen Sie, das habe ich auch oft gesagt, es ist da schon schwierig. Man kann ja eine Hypothese nur dann wirklich empirisch untermauern, wenn man sie erstmal wirklich ernst nimmt. Wenn man sich der Mühe unterzieht, mal wirklich einen Moment zu sagen, gut, das ist eine Hypothese, die gucken wir uns mal genauer an. Nicht, wie die Frage der Lichtgeschwindigkeit. Das habe ich Ihnen ja auch erläutert. Ich habe ja die Behauptung, kann man sagen, aufgestellt, dass man nachweisen müsste, auch das ist nie wirklich versucht worden, dass die Lichtgeschwindigkeit am Äquator geringer ist als an den Polen. Ich habe das auch begründet. Bis zum heutigen Tag gibt es keine genauen Untersuchungen darüber, wie die Lichtgeschwindigkeit variiert in Abhängigkeit vom Breitengrad. Es gibt zwar gewisse Hinweise darauf, aber hundertprozentig beweisbar, belegbar, aufgrund der vorliegenden Messergebnisse ist es bislang nicht, müsste sich aber, meine ich, nachweisen lassen, und das wiederum noch in Differenz zu den verschiedenen Tageszeiten. Das ist auch noch wieder ein Unterschied. Und dann müsste man tatsächlich, auch das habe ich gesagt, das Sonnenlicht messen. Man dürfte also kein künstliches Licht messen. Das ist sehr schwierig dann. Das würde sehr aufwendige Versuchsanordnung im Gefolge haben, müsste aber möglich sein.

Also das habe ich in meinem letzten Buch hier auch dargestellt und sage das ja auch öfters in Vorträgen, aber es ist naheliegenderweise äußerst schwierig, das wirklich empirisch zu untermauern. Das setzt sehr weitgehende experimentelle Anordnungen voraus und würde, wenn man das wirklich durchführt, enorm viel Geld kosten, würde also enormen Aufwand bedeuten, das wirklich technisch zu verifizieren. Und man macht es ja nur, das wissen Sie, wenn man wirklich meint, die Hypothese ist diskussionswürdig, wie das ja etwa, weil ich hier sage das nur deswegen, weil hier der „Spiegel“ liegt mit Einstein, dazu habe ich mich ja geäußert zu dem Artikel, weil das ja, als das 1919 da war, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, diese berühmte Sonnenfinsternis-Expeditionen in Brasilien und auf dieser tropischen Insel, hat man ja die Hypothese erst einmal ernst genommen. Da gibt es tatsächlich eine Krümmung der Lichtstrahlen, und dann gab es bestimmte Überlegungen: Wie stark ist die Krümmung, wie groß ist die Krümmung? Und als das dann wenigstens im Grundsätzlichen, in der … qualitativ ungefähr, das war’s nämlich erst einmal, nur bestätigt wurde, war das ja dann ein sensationeller Beleg erst einmal von dieser These aus für die Allgemeine Relativitätstheorie, die dann in einem Nachschlag die Spezielle Relativitätstheorie weltberühmt machte, für die es aber gar kein Beleg war, das ist in der Öffentlichkeit selten genau gesehen worden. Nicht, also diese Lichtablenkung in Schwerefeldern, ich habe das hier auch erläutert, wie man das auch anders interpretieren kann, ich hatte es auch an der Tafel hier, galt als Beleg überhaupt für die Relativitätstheorie, ist aber nur, wenn überhaupt, ein Beleg für die Krümmung von Strahlen, die man auch anders interpretieren kann. Hat zunächst mal mit der speziellen [Relativitätstheorie] sowieso nichts zu tun.

Also, Schauberger hat versucht Maschinen zu bauen, die auf diesem Levitationsprinzip beruhen. Das hat auch Hacheney gemacht, angeblich mit Erfolg. Ich muss sagen, ich weiß es nicht, kann es nicht beurteilen, wenn er sogar auf dem Markt Maschinen angeboten hat, Apparate mit levitiertem Wasser. Ich kann es nicht beurteilen, ich habe darüber auch nur gelesen und gehört, ich habe es nicht irgendwie empirisch fundieren können. Ich will es nur sagen, weil vielleicht viele davon gehört haben oder wissen. Also Hacheney ist auch Praktiker und Techniker, der lange auch für die Wasserwerke gearbeitet hat als Berater, kennt sich also in diesen Fragen bis ins Detail aus. Und das scheint, was ich in diesem Punkte ja wirklich als Laie beurteilen kann, fundiert zu sein, aber ich weiß es nicht. Insofern muss ich das mit aller Zurückhaltung sagen und auch mit allen Vorbehalten.

Ja, ich möchte gar nicht mehr so lange machen, ich möchte gerne noch, damit wir auch noch ins Gespräch kommen können, ich bin ein bisschen im Zeitverzug … Ich wollte eigentlich noch zwei Dinge bringen jetzt, ohne auf den Schauberger noch näher einzugehen. Ich kann ihnen da dringend empfehlen, sich damit selbst sachkundig zu machen. Das könnte man nur in mehreren eingehenden Vorträgen darstellen. Das will ich so eigentlich nicht machen. Es gibt übrigens auch eine Zeitschrift, in der das geschehen ist: ,Zeitgeist‘, mir auch bis vor Kurzem unbekannt, die auch ein eigenes Forum haben, Forum kontrovers, die mich vor einigen Wochen gefragt haben, ob ich einen Vortrag halte, das geschieht im Februar in Stuttgart. Die das dann bringen wir in Ihrer Zeitschrift. Ich kannte die Zeitschrift bis dahin nicht. Interdisziplinäres Forum für Neue Wege in Wissenschaft, Medizin, Kunst und Philosophie. Die bringen auch sehr viel zu der Frage des Wirbels und der Wirbelbewegung, und haben hier einen eigenen Artikel „Wirbel um den Wirbel“, da stellen Sie Hacheney, Theodor Schwenck, berühmter Autor, Anthroposoph des Buches „Das sensible Chaos“, und auch Viktor Schauberger dar. Und das Titelbild, was hier drauf ist auf der Zeitschrift, stammt aus dem Buch von Theodor Schwenck „Das Sensible Chaos“, also über das Wasser, also die Bewegung, wenn man einen festen Gegenstand durch ruhendes Wasser, kommen solche Formen zustande, die man ja generell in der Natur findet, in vielfältigster Form auch in kosmischen, kosmologischen Zusammenhängen.

Ich wollte noch als Letztes, um das jetzt … in gewisser Weise auch zum Punkt zu kommen, der Frage der kosmischen Umsetzbarkeit solcher Überlegung jetzt noch mal etwas darstellen über die Frage, wie man das für die Gestirnbewegung fruchtbar machen kann. Ich habe das ja schon getan in anderem Zusammenhang, im Zusammenhang mit der Frage des Willens. Und ich will das noch mal hier Ihnen darstellen, im Zusammenhang mit der Bewegung der Gestirne, in meinem Verständnis, wie ich das in dem Buch habe, plausibel gemacht habe, warum die Gestirne sich bewegen, und ich bediene mich hier zum Teil auch hydrodynamischer Bilder, was schon Andere auch getan haben. Das ist also für sich genommen nicht neu, nur in der Art und Weise ist es neu und anders. Ich habe im sechsten Kapitel am Schlussteil, es geht hier um die Frage der kosmischen Bewegung, den Abschnitt „Warum sich die Erde bewegt – Grundprinzipien der kosmischen Bewegung jenseits von Newton und Einstein“. Ich habe hier einleitend einige Bemerkungen gebracht und will Ihnen mal einige Stellen hier vorlesen, die auch Bezug nehmen auf die Strömungsvorgänge im Kosmos und die Gestirne. Da heißt es hier in den Grundprämissen: „Gestirne sind keine trägen und schweren Massen, die nach mechanischen Gesetzen bewegt werden. Dies folgt aus der Wirklichkeit und Wirksamkeit der Radialfelder.“ Das habe ich Ihnen erklärt. „Die Aufhebung oder Auslöschung der Gravitationswirkungen aufgrund der bis in die tiefsten Tiefen der Gestirne wirklichen bzw. wirksamen Radialfelder entmaterialisiert die Gestirne in gewisser Weise. Ein Himmelskörper mit eigenem Radial-Feld ist als ein Ganzes jenseits der Materie. Die eigentliche Bewegung wird über das Radialfeld vermittelt, nicht direkt die Materie bewegt sich. Jede Bewegung, die er vollführt, ist in diesem Sinne materiefrei, sie ist rein energetisch und folglich nicht gleichzusetzen mit Fall-, Wurf- oder Stoß-Prozessen materieller Körper auf der Gestirnoberfläche.“ Das widerspricht radikal den Newtonschen Prinzipien. „Gestirne sind kosmische Großorganismen, die offenbar mit einem eigenen überichhaften Bewusstsein ausgestattet sind. Gestirne haben ein kosmisches Bewusstsein unvorstellbar Reichweite.“ Und so weiter. Und jetzt zu der Frage der Strömungsprinzipien im Bewegungsablauf. Ich lese das mal vor, weil das, denke ich, wenn man das nachvollziehen will, das auch verstehen kann, zumindest als eine Denkmöglichkeit, besser als ich es jetzt hier sozusagen freihändig paraphrasieren könnte, das sind nur zweieinhalb Seiten. Dann werden sie sehen, wie ich hier die Strömungsphänomene heranziehe: „In allgemeinster Form und nur auf die Ebene der Radialfelder bezogen lässt sich sagen: Jede Gestirnbewegung ist eine Folge der Verschiebung oder Verlagerung von Radial-Energie in der Durchdringungszone zweier oder mehrerer Radial-Felder. Das sich bewegende Gestirn folgt einer Art Energiegefälle. Genauer und differenzierter gesagt, vollzieht sich offenbar folgender Vorgang. Jedes Radial-Feld stößt alle anderen Radial-Felder in der näheren oder weiteren kosmischen Umgebung ab. Die elektrische und magnetische Abstoßungskraft gleichnamiger Pole scheint hier ihre Wurzeln zu haben. So halten die Gestirne idealtypisch betrachtet ihre jeweilige Position im Raum stabil. In allen Verbindungslinien zu benachbarten Gestirnen bzw. deren Radial-Feldern ergeben sich Durchdringungszonen der unterschiedlichsten Art.“ Radial-Energie ist die energiereichste Strahlung überhaupt, die Materie grundsätzlich durchschlägt. „Die Radial-Energie wird abgebremst, gekrümmt, in Schwingung versetzt, Gravitationswellen und eine potenziell unbegrenzte Vielzahl an elektromagnetischen und analogen Wellen-Phänomen durchjagen den Raum. Durch diese Wechselwirkung, wieder idealtypisch betrachtet, ist jedes Gestirn umgeben von einer über das eigene Radial-Feld vermittelten, sich aus unendlich differenzierten Schichten zusammensetzenden Kugel von Strahlungszonen. Diese Kugel ist potenziell unendlich groß. Wären die Strahlungszonen exakt gleichartig, so müsste das Gestirn ruhen. Das geschieht nirgendwo. Das Gestirn bewegt sich in einer gekrümmten, aber angenähert geraden Linie dorthin im Raum, wo der wechselseitige Verstrahlungswiderstand der Radial-Felder am geringsten ist. Das Radial-Feld bewegt sich entlang eines Gefälles zwischen zwei Potentialen. Das radialenergetische Strömen oder Fließen entlang eines Gefälles, einer Potenzialdifferenz als Bewegungsursache, macht die Vorstellung einer ursachelosen Perpetualbewegung nach herrschendem Muster hinfällig.“ Das ist die Ursache nach meiner Überzeugung, die causa, eine jedenfalls, die man nennen kann, nicht das Ganze. „Insofern bedarf die Gestirnbewegung entgegen der Schulmechanik tatsächlich einer fortwährend angreifenden und einwirkenden Kraft. Erlischt diese, kommt auch die Bewegung zum Stillstand. Dies hat Gültigkeit für jede Bewegung, also auch für die bis dato völlig rätselhaften atomaren bzw. subatomaren Bewegungen.“

Das habe ich Ihnen erläutert im Zusammenhang mit der sogenannten Raumenergie, dass man auch von dorther verstehen kann, warum überhaupt im Mikrobereich, im atomaren, subatomaren Bereich so eine rasende Bewegung ständig aufrechterhalten wird. Auch das wird ja im Normalfall als eine ursachelose Perpetualbewegung hingestellt, die man mathematisch beschreibt, etwa in der Quantentheorie, aber deren Ursache nicht erfasst werden kann und die einfach als akausal gelten. „Auch die Achsendrehung eines Gestirns ist die Folge eines Strömens oder Schließens entlang eines radial-energetischen Gefälles, Ausdruck der Differenzierung, in der jedes Gestirn umhüllende Kugel von Strahlungszonen.“ Ich sage nochmal: Die Radial-Energie ist die feinste, die energiereichste Strahlung, letztlich die Grund- oder Ur-Energie oder Raum-Energie, was die materielle Wirklichkeit betrifft. „Das Gestirn bewegt sich, weil die Radial-Energie wie eine Flüssigkeit einem Gefälle folgt, die aus einer Instabilität in den Relationen der Radial-Felder resultiert. Die Bewegung hat eine bestimmte Richtung im Raum, wie eine Flüssigkeit, die einem Potentialgefälle folgt. Nun wird das sich bewegende Gestirn aus allen anderen Richtungen radial-energetisch beeinflusst, überall, überall im Universum. Die Bewegung des ganzen Gestirns folgt der größten Potenzialdifferenz, dem stärksten Gefälle. Die Achsendrehung folgt dann notwendig dem, Anführungszeichen, zweitstärksten Gefälle. Der Verstrahlungswiderstand, den das Radial-Feld des Gestirns gemäß der Stärke des Radial-Feldes besitzt, erfährt in der Bewegungsrichtung des ganzen Gestirns eine Verminderung. Das Gestirn wird von dort quasi angezogen, aus dieser Richtung [weist auf die Zeichnung an der Tafel] Ein Radial-Feld, das nun seitlich einwirkt, idealtypisch genau im rechten Winkel zur Bewegungsrichtung stößt notwendig auf zwei verschiedene Widerstands-Potenziale. Hier [bezieht sich auf die Zeichnung an der Tafel], auf dieser Seite ein anderes Widerstands-Potenzial als auf der anderen Seite, zwei verschiedene Widerstands-Potenziale. So dreht sich das Gestirn von der Gesamtbewegungsrichtung weg in Richtung auf das seitlich einwirkende Radialfeld. Das Ganze ist ein absolut gewaltloser und schwereenthobener Vorgang ohne jede Materialität.“ Also was letztlich die Relationen bewirkt ist nicht die Gestirnmaterie, sondern es sind die Energien, die Radial-Energien. „Man kann versuchen ihn auf die verschiedenste Weise anschaulich zu machen und damit ins Bild zu bekommen, etwa hydrodynamisch. Die Gestirnkugel treibt gleichsam auf einem Strom.“ Das wäre die Gesamtbewegung, der einem Gefälle folgt, quasi einem Gefälle, die Bewegung des ganzen Gestirns, in der Potenzialdifferenz. „Zugleich gibt es ständig von der Seite einwirkende Wirbelbewegungen, die zwar die Gesamtbewegung nicht ändern können, aber die Kugel zur Rotation veranlassen“. Also aus dieser Richtung [bezieht sich auf die Zeichnung an der Tafel], unendlich differenziert im Einzelnen.

Im Prinzip sind Überlegungen dieser Art nicht neu. Es hat sie in der einen oder anderen Form immer wieder gegeben seit dem 17. Jahrhundert, unter anderem im Zusammenhang mit der Fluidum-Theorie, die im ausgehenden 19. Jahrhundert mit Blick auf die elektromagnetischen Phänomene reaktiviert wurde. „Vor hundert Jahren war das eine kolossal intensiv diskutierte Theorie, heute fast vergessen, zusammen mit der elektromagnetischen Materie-Theorie oder der Äther-Theorie. Äther und Fluidum wurden meist materiell oder quasi materiell vorgestellt. Mein Ansatz schließt alle materiellen oder quasi materiellen Wirk-Elemente aus. Er ist rein energetisch, bezogen auf die Primordial-Energie, die Radial- oder Raum-Energie. Auch als Driften wären die genannten Bewegungsvorgänge modellhaft zu veranschaulichen, sowie Varela und Maturana den Begriff für die Biologie verwenden oder im Rahmen des sog. Chreoden-Modells, das Sheldrake für seine Theorie der morphischen Felder heranzieht. Als Chreode gilt die Bahn einer Kugel in einer epigenetischen Landschaft.“ Das ist jetzt nicht wichtig, der andere Punkt. Es geht noch wesentlich weiter, hier nur als in ganz knappster Form, in aller skeletthafter Form, der Versuch, Bewegung, Gestirnbewegung von der Ursachenebene aus verstehbar zu machen, als eine Bewegung entlang eines Gefälles, quasi wie eine Flüssigkeit oder wie auf einer Wasseroberfläche dahin-Treiben.

Mit aller Vorsicht gesagt, weil alle Vergleiche dieser Art letztlich oder sehr schnell zu sehr kompakten oder materiellen Analogien verleiten. Das ist nicht gemeint. Es sind Bilder, das sind letztlich Bilder für einen Energie-Prozess, für feinststoffliche, wenn man es so nennen will, energetische Wechselbeziehunen. Das heißt also, Bewegung geschieht auf Grund einer radial-energetischen Differenz, und die hydrodynamischen Überlegungen haben Hilfscharakter. Das findet man übrigens auch in ganz anderer Form bei Ervin Laszlo in seinem Buch „Kosmische Kreativität“. Auch er ist bemüht, an verschiedenen Stellen seines Buches, die Bewegung der Gestirne mit solchen Analogien zu erklären. Er benutzt mehrfach auch den Vergleich der Meeresoberfläche. Zum Beispiel heißt es hier an einer Stelle, ich zitiere das hier: „Obgleich das Meer im Gegensatz zum Quanten-Vakuum ein lineares Medium ist, kann seine Wechselwirkung mit den Schiffen als dynamische Metapher der Interaktion angesehen werden, die zwischen den beiden Energiearten des Universums stattfindet.“ Das wäre im Einzelnen zu weitgehend diese Laszlo-These hier noch einmal zu erläutern, die sogenannte Psi-Feld-Theorie.

Ich meine, das auch auf diese Weise verstehbar gemacht werden kann, wie überhaupt Materie entsteht, dass nämlich Materie entsteht in einem sehr intensiven, starken Gegeneinander von radial-energetischen Strömungen, die sich verwirbeln und aufsplittern und in Wellenbewegung geraten. Wie ich auch glaube, ich habe das hier auch dargestellt und wie ich meine auch begründet, dass die ganze Frage nach dem Teilchen-Welle-Dualismus der Quantentheorie auf diese Weise eine gewisse neue Akzentsetzung erfahren kann, dass nämlich der Wellen-Aspekt letztlich der primäre ist und nicht der Teilchen-Aspekt. „Der Teilchen-Welle-Dualismus der Quantentheorie kann in der Radial-Feld-Hypothese aufgelöst werden. Aus den radial-energetischen Wechselwirkungen ergibt sich, dass der Wellen-Aspekt der Teilchen der primäre ist. Zumindest ist das eine Möglichkeit. Der von Ervin Laszlo und anderen eingebrachte Vorschlag, Teilchen als soliton-ähnliche Gebilde zu begreifen, lässt sich auch von der Radial-Feld-Hypothese aus plausibel machen. Das Soliton als Einzelwelle scheint ein getrenntes Teilchen zu sein, ist aber dem ihm zugrundeliegenden Meer der Radial- und Raumenergie ständig verbunden. Das Soliton ist das Meer. Die quasi-Teilchen oder Solitone sind zugleich hochkomplexe nichtlineare Wirbel, gespeist und bewegt, und zwar unaufhörlich, von ihr radial-energetischen Matrix, also ein ständiger Vorgang, der Bewegung verursacht und der auch, glaube ich, in der Lage ist, in diesen sehr starken Wechselwirkungen in bestimmten kosmischen Konstellationen Materie entstehen zu lassen, in einem Wirbelungsvorgang. Wahrscheinlich sind auch so die Galaxien-Strukturen zu erklären, dass in diesen großen Wirbel-Bewegungen tatsächlich auch auf diese Weise auch Materie entsteht. Aber das ist ein weites, schwieriges Feld. Auf jeden Fall kann man mit einigem Recht solche Überlegungen anstellen und man kann vergleichsweise aus, sagen wir mal hydrodynamischen Beobachtungen auf der Erdoberfläche, gewisse Schlussfolgerungen dann auch ableiten, mit aller Vorsicht. Ich bin mir immer bewusst bei all diesen Überlegungen, dass wir uns hier im Bereich der Modelle und der Bilder bewegen, das lasse ich nie aus meinem Bewusstsein. Genau das, das wissen Sie ja, sage ich ja immer wieder bei vielen Theorien, dass das gerade nicht geschieht, dass also eine erkenntnistheoretische Grundlagenreflexion einfach fehl; die ist durchaus hier vorhanden.

Es ist der Versuch, das verstehbar zu machen, mit aller Vorsicht, immer in dem klaren Bewusstsein, dass hier eine Möglichkeit vorliegt und dass hier Bilder verwendet werden und dass diese Bilder natürlich eine ganz bestimmte Vorstellung induzieren, die so in der Form immer auch fragwürdig ist. Das ist klar, also insofern sei das mit allem Vorbehalt gesagt.

Das ist übrigens eine … die Vorstellung, dass Materie durch energetische Wirbelbewegung entsteht, ist auch im Prinzip eine sehr alte Vorstellung. Ich habe selber kürzlich … bin wieder auf eine Stelle gestoßen, die ich gar nicht mehr im Kopf hatte, aus meinem Schelling-Büchlein, vor fast 20 Jahren geschrieben. Beim Durchblättern fiel mir diese Stelle wieder auf, ich hatte sie gar nicht mehr im Kopf, dass Schelling in seiner Naturphilosophie um 1800 ganz ähnliche Gedanken äußert, die wiederum Bezug haben zu der Diskussion seiner Zeit, auch im Zusammenhang mit Messmer und anderen. Da schreibt er einmal über die Wirbelbewegung, die in der Materie, im Stoff, da heißt es hier: „Natur ist nie ohne Bewegung, alle Konstanten sind Fiktionen.“, habe ich geschrieben. Dann: „Die Scheinprodukte der Natur“, Schelling, „sind Hemmungspunkte der an sich unendlichen Tätigkeit, aber in jedem Hemmungspunkt ist noch das Unendliche.“ Das wäre auch nach meiner Überzeugung der Fall, weil die Radial-Energie in sich unendlich ist, letztlich sind das Unendlichkeitsprozesse. Ich schreibe weiter: „Die ewige Schöpferkrafte der Natur wird gleichsam aufgehalten durch eine diametral entgegengesetzte Strömung, der resultierende Widerstand mündet in eine Art Wirbel.“ Jetzt Zitat Schelling: „Ein solcher Wirbel ist jedes ursprüngliche Naturprodukt, jede Organisation, zum Beispiel: Der Wirbel ist nicht etwas Feststehendes, sondern beständig Wandelbares aber in jedem Augenblick neu Reproduziertes“, ist also eine unaufhörliche Speisung durch die Wirbel-Bewegung, die nie zur Ruhe kommt. „Kein Produkt in der Natur ist also fixiert, sondern in jedem Augenblick durch die Kraft der ganzen Natur reproduziert.“ Zitatende.

„Dies sind erstaunliche Aussagen, die erst aus der späteren Feldtheorie verständlich werden. Die kleinsten Einheiten der Natur sind nach Schelling keine materiellen Teilchen des im Sinne des materialistischen Atomismus, sondern Kraft-Wirbel, Zentren unaufhörlicher Bewegungsvorgänge. Schelling sagt wörtlich: ,Ur-Aktionen der Produktivität der Natur‘. Das Atom als Geschehen, als Bewegung, als dynamische Kraft“, das wäre es auch im Sinne meiner Überlegung zu den radial-energetischen Wechselwirkungen, „das ist der Kern des Schellingschen Atomismus. Als Leitgedanke dient die Vorstellung von der wesensmäßigen Einheit aller physikalischen Kräfte.“ Noch einmal Schelling: „Und so wäre es dann wohl Zeit, auch in der organischen Natur jene Stufenfolge aufzuzeigen und den Gedanken zu rechtfertigen, dass die organischen Kräfte Sensibilität, Irritabilität und Bildungstrieb alle nur Zweige einer Kraft sind, ebenso ohne Zweifel wie in Licht, in der Elektrizität usw. nur eine Kraft in ihren verschiedenen Erscheinungen hervortritt. Wenn in der organischen Natur nur der allgemeine Organismus gleichsam sich kontrahiert, so müssen in der allgemeinen Natur wenigstens die Analoga aller jener organischen Kräfte vorkommen.“

Damit war ja Schelling, ich habe das in verschiedenen Kontexten ja auch erwähnt, einer der Gründerväter der elektromagnetischen Feldtheorie, er war überhaupt der erste Denker, der gesagt hat: Elektrizität und Magnetismus sind im Prinzip das Gleiche. Und einer seiner Schüler, Hans Christian Oersted, der Däne, hat dann 1810 über seine ersten Versuche, angeregt durch Schelling, überhaupt dann den Elektromagnetismus ins Rollen gebracht und in die Physik eingeführt. Und als dann Faraday 1832 die elektromagnetische Induktion entdeckte, fühlte sich Schelling bestätigt. Es gibt einen berühmten Vortrag, den Schelling dazu gehalten hat.

Also auch hier taucht die Vorstellung des Wirbels auf. Natürlich ist das viel älter, auch für kosmische Prozesse. Denken Sie etwa an die recht grobe und auch nicht haltbare, aber doch interessante Vorstellung, die Descartes entwickelt hat über die Wirbelbewegung, die dann durch die Newtonsche Gravitationstheorie erst einmal widerlegt worden ist. Aber auch der Gedanke ist naheliegend und auch im Grunde alt. Auch bei Kepler gibt es Überlegungen dieser Art, dass man Bewegungen auch als Wirbelvorgänge deuten kann, also das nur als Anregung zu diesen Vorgängen. Das Ganze wäre eine wirklich ganz eigene Vorlesung zur Frage der Bewegung. Auch hochinteressant, wie ist das im Laufe der Zeit gedacht worden. Und eins steht fest, das kann man sagen aufgrund der gesamten Entwicklung der letzten Jahre in der sogenannten New Science, dass die herkömmlichen Theorien alle nicht stimmen. Das kann man mit Sicherheit sagen, jedenfalls alle voller Widersprüche und Anomalien sind, ob das die Massenanziehungs-Hypothese ist oder alle anderen Theorien dieser Art. Es gibt viele gute Gegengründe und Argumente, die in den letzten 15, 20 Jahren entwickelt worden sind, in der sogenannten New Science. So kann es nicht sein, aber man sucht natürlich nach Möglichkeiten, das verständlich zu machen. Und da gibt es verschiedene Ansätze, und mein Ansatz ist einer von diesen, der, wie ich glaube, am weitesten geht.

Gut, ich will dann erst mal zum Gespräch öffnen und will sagen, dass ich dann in der nächsten Vorlesung, das heißt heute in einer Woche ein sozusagen Gedenk-Vortrag über Giordano Bruno halten möchte. Das ist nicht der 17. Februar, aber 17. Februar ist vorlesungsfreie Zeit. Ich habe für verschiedene Zeitschriften was gemacht. Das ist aber noch nicht erschienen. Die erste Zeitschrift, wo was erscheinen wird von mir über Giordano Bruno ist die Astronomie Zeitschrift „Sterne und Weltraum“. In der Ausgabe vom Februar. Die kommt Ende Januar raus. Da ist ein zehn Seiten-Artikel über Giordano Bruno drin, „Sterne und Weltraum“, das kriegen Sie überall am Kiosk, diese Zeitschrift. Und dann kommt auch in der wissenschaftskritischen Zeitschrift „raumzeit“ Ende Februar ein Artikel und noch in einer dritten Zeitschrift ein längerer Artikel darüber. Aber die „Sterne und Weltraum“ kriegen sie am Kiosk. Kostet, glaub ich, 24 Mark. Ich weiß es gar nicht genau. Oder 18 Mark. Ich habe es nicht im Kopf. Relativ umfangreiche Zeitschrift. Sie sehen das manchmal in den Anzeigen am Kiosk. Da habe ich mich dazu geäußert, weil der zuständige Chefredakteur mich schon im Sommer gefragt hat, ob ich das mache, obwohl ich ihm gleich gesagt habe: Sie kennen ja Sachen von mir und wissen, dass ich durchaus nicht Mainstream-mäßig denke. Ob sie … , ob er das trotzdem akzeptiert dachte gut, machen wir gerade deswegen. Also das finde ich immerhin eine faire und großzügige Geste für eine immerhin vollkommen traditionelle Zeitschrift. Denn „Astronomie und Weltraum“ ist eine populäre Zeitschrift für Astronomie, die nun wahrlich keinerlei herausragende Theorien veröffentlicht. Und ich war erstaunt, dass mir die Möglichkeit gegeben wurde, immerhin auf zehn ganzen Seiten dieser Zeitschrift das darzustellen. Fand das gut und habe das auch gemacht. Und das wird also in Kürze erscheinen.

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