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Das Bewusstsein der Erde – Von Gaia zu Demeter

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 31

Transkript als PDF:

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Ich habe das heute genannt: „Von Gaia zu Demeter – zur Weiterentwicklung und Vertiefung der Gaia-Theorie vom Bewusstsein der Erde“. Und ich möchte mal anknüpfen an das, was wir vor einer Woche behandelt haben. Wir waren ja der Frage nachgegangen, das war ja das Thema der Vorlesung: Können wir dem Kosmos trauen?, ausgehend von einer Frage Einsteins, die dann von Mathew Fox weiterentwickelt wurde, und wir haben uns mit bestimmten Kataklysmen-Theorien, Katastrophen-Theorien beschäftigt, unter anderem mit der Frage, ob es möglich, besser wahrscheinlich, in absehbarer Zeit wahrscheinlich ist, dass eventuell eine kosmische Katastrophe auf dieses Gestirn Erde zukommt. Die Frage, die in dem Zusammenhang im Raum stand, ist von allerhöchster Brisanz und auch Aktualität, auch im Hinblick auf die Frage, die uns ja in diesem Semester ohnehin zentral beschäftigt: In welchem Universum, in was für einem Universum leben wir?

Es ist ja keine intellektuelle oder müßige akademische Frage, sondern ja eine zentrale Frage, die jeden in der einen oder anderen Form berührt oder berühren müsste. Kein Mensch kann sich ja vollkommen rausnehmen aus dieser Frage. Jeder ist ja, lebt ja zu seinem Teil auch eine Antwort auf diese Frage. Und die Frage nach dem größeren Kosmos, nach dem Makrokosmos und der Stellung der Erde bzw. des Menschen innerhalb dieses Makrokosmos ist auch in diesem Zusammenhang zentral wichtig. Ich sage das deswegen, weil ich vor kurzem einen längeren Brief erhalten habe im Hinblick auf meine beiden letzten Bücher von einem, sagen wir mal, grün-spirituell orientierten Menschen, der seine Achtung ausdrückte in diesem Brief über diese Bücher und viel Anerkennung, ja Bewunderung erkennen ließ, aber dann einen Einwand erhob, eine Einschränkung machte. Er sagte: ob es nicht letztlich für den Menschen mehr oder weniger unerheblich sei, in welchem Makrokosmos er sich befinde, ob es nicht für die Erhaltung der Erde, für den Schutz der Natur, für die Orientierung auf dieses Gestirn Gaia unerheblich sei und der Mensch sei aus gutem Grund, schrieb er mir, nicht ausgestattet mit Wahrnehmungsorganen für den Makrokosmos. Er sei aus gutem Grund in seiner Ausstattung als Mensch mehr oder weniger festgelegt auf diese Gestirnoberfläche.

Nun könnte man zunächst sagen: Ist das überhaupt so? Stimmt das? Ist das richtig? Zumindest kann man das, was die Sinnesorganisation betrifft, ja mit Sicherheit so sagen, und das muss man ja bejahen. Und dem liegt aber ein interessanter Schluss zugrunde, der immer wieder zu hören ist, nämlich die Frage oder die These, dass dem Menschen ein vertieftes Wissen über das Universum, über den Kosmos, den Makrokosmos mehr oder weniger verschlossen sei und dass es den Menschen eher ablenke von seinen eigentlichen und ihn ständig bedrängenden und bewegenden Problemen. Das ist nach meiner Überzeugung falsch. Denn die Vorstellung von dem Universum als Ganzes in irgendeiner Form bewegt jeden mehr oder weniger, jeder lebt mehr oder weniger, ich sage es noch mal, auch seine spezifische Form der Antwort auf diese Frage. Es ist nicht so, dass man das grundsätzlich voneinander abkoppeln könnte.

Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Michael Succow und Rudolf Bahro im Audimax vor sechs Jahren, sechs, sieben Jahren. Da ging es auch schon mal um diese Frage. Damals hat Michael Succow gesagt: Ja, die ganze Frage des Kosmos, der Kosmologie sei doch für den Ökologen vollkommen unwichtig. Er habe sich zu konzentrieren auf die Erde und weitergehende Gedanken, wie denn der Kosmos als Ganzes beschaffen sei, würden den Menschen eher davon abbringen. Man könnte mit Fug und Recht, so meinte damals Succow, die Erde wieder ins Zentrum des Universums setzen, man könnte wieder geozentrische, eine geozentrische Kosmologie befürworten. Ja, in gewisser Weise sollte und müsste man das auch tun. Man müsste diese Erde, diesen Organismus Gaia wieder ganz ins Zentrum stellen. Das ist der eine Punkt.

Ich habe das damals schon im Audimax in der Diskussion zurückgewiesen und ich habe versucht, Gegenargumente zu bringen. Ob die damals so überzeugend waren für Succow, weiß ich nicht. Auf jeden Fall hat sich eine heftige Diskussion um die Frage entzündet.

Wenn wir hier in dieser Vorlesung immer wieder auch auf Grundfragen eingehen nach der Stellung des Menschen im Universum und auch nach den Gesetzen, die das Universum bestimmen, und wenn ich in verschiedenen meiner Bücher und auch hier im Saal ja oft auch Kritik vorbringe an der Mainstream-Physik oder Mainstream-Kosmologie, so sind das nicht primär intellektuelle Fragen, sondern, ich sage es nochmal, das sind existenzielle Fragen, weil diese Bilder in unserem Kopf, in unserer Seele und unserem Geist tatsächlich auch unser In-der-Welt-sein und Auf-der-Erde-sein wesentlich mitbestimmen. Das ist wirklich zentral für die gesamte Fragestellung. Es ist nicht unerheblich, wie das Universum als Ganzes beschaffen ist, auch für die Ökologie-Frage. Das habe ich auch immer wieder versucht zu sagen. Ja, ich habe ja die relativ weitgehende, man kann auch sagen: allzu weitgehende, provokative These verschiedentlich formuliert, dass, wer ein bestimmtes Bild vom Universum verficht, vertritt und dafür einsteht, wie es in der Mainstream-Kosmologie geschieht, der wird geneigt sein, wenn er dann die Erde so bewertet, wie sie bewertet wird, auch die ihn tragende Erde zu zerstören, also bis hin zu der extremen These: Wer den Urknall favorisiert, der favorisiert in gewisser Weise auch die Zerstörung des Planeten.

Nun könnte man sagen: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Das eine ist eine theoretische Überlegung, die man anzweifeln kann, wo man Gegenargumente für geben kann. Was hat das [damit] zu tun? Ich meine aber, es ist eine grundlegende Frage, die mit unserem In-der-Welt-sein, Auf-der-Erde-sein zu tun hat, mit Bewusstsein und Geist. Und auch jetzt mit der Frage von heute Abend nach dem Bewusstsein, nach dem möglichen Bewusstsein der Erde. Ist dieses rätselhafte Gestirn, das wir bewohnen, dessen Oberfläche wir leidlich gut kennen, ein Organismus oder mehr oder weniger eine bewohnte, belebte Steinkugel, die irgendwann das Leben durch verrückte, komplizierte Zufallsprozesse hervorgebracht hat? Das sind ja Fragen, die jeden beschäftigen.

Gestern gab es im „Spiegel“, ich erwähne das mal kurz, wieder eine Titelgeschichte zur Physik und diesmal das Gehirn des Jahrhunderts. Es ging um Einstein und wieder mal wurden die alten Legenden und Mythen neu dargestellt, und es hat mich natürlich gereizt oder hätte mich gereizt, darauf jetzt eingehend einzugehen. Und das würde allerdings einen gewissen Umfang erfordern, und ich will das im Moment auf sich beruhen lassen, weil die Gefahr besteht, wie letztes Mal auch, dass ich dann zu ausführlich darauf eingehe, wie ich das bei der Fernsehsendung über das Licht getan habe. Ich möchte sie aber auf den Artikel hinweisen, und sie können den Artikel ja kontrastieren oder konfrontieren, wenn sie wollen, mit Dingen, die ich hier im Saal auch gesagt habe und die ich zum Teil auch in dem Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“ geschrieben habe.

Nur zwei Punkte möchte ich erwähnen, weil die wichtig sind und weil sie auch eine Grundfrage berühren, eine Grundfrage nach der Gesetzesordnung im Universum, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Mathematik und Wirklichkeit. Darüber haben wir auch schon oft gesprochen. Eine mathematische Präzision, ein mathematisches Modell, viele mathematische Modelle werden ja häufig, wie man sagen kann und gesagt hat, ontologisiert, das heißt, man macht aus bestimmten Konstrukten, mathematischen Konstrukten, Wirklichkeiten. Und da ist die Relativitätstheorie ein Musterbeispiel dafür, wie man aus bestimmten, im Grunde zirkelhaft gebauten Konstruktionen ein Weltmodell, ein Weltbild, ja eine Kosmologie entwickelt. Ich darf sie nur auf zwei Stellen mal in dem Buch hinweisen, die das unter anderem beleuchten, etwa auf den zweiten Teil des zweiten Kapitels, wo es um die Frage der Formel E=mc² geht, also Energie gleich Masse mal dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Seite 45 folgende, zweiter Teil des zweiten Kapitels, „Gründe und Abgründe physikalischer Gleichungen ̶ das Beispiel E gleich m c Quadrat“. Da gebe ich hier eine, wie ich sagen möchte, mit einigem Selbstbewusstsein in dieser Form bisher einmalige naturphilosophische Analyse dieser Formel, und zeige, was in der Formel möglicherweise steckt und wo eine Absolutsetzung dieser Formel heillos in die Irre führt.

Und natürlich spielt das in dem „Spiegel“-Artikel eine ganz zentrale Rolle. Auch die ganze Frage Einstein ̶ Newton spielt eine zentrale Rolle. Und ich will noch einmal einen kleinen, eine kleine Stelle aus dem sechsten Kapitel dieses Buches „Räume, Dimensionen, Weltmodelle ̶ Impulse für eine andere Naturwissenschaft“ vorlesen, weil da zentral auf diese Frage Bezug genommen wird nach dem Verhältnis von Mathematik und Wirklichkeit. Dann ist es ja immer wieder die Frage: Was bilden denn diese mathematischen Formeln ab? Sind sie Konstrukte des Geistes, oder bilden sie in irgendeiner Form Gesetzprinzipien des Universums ab, aus denen man dann weitreichende Schlussfolgerungen ableiten könnte? Eine Passage mal aus diesem Buch, aus dem sechsten Kapitel, und dann werden wir uns der Gaia-Frage zuwenden. Aber das hat auch mit Gaia zu tun. Das hat auch mit der Frage nach der Natur, nach der kosmischen Qualität der Gestirne überhaupt und dann auch der Erde zu tun.

„Als ein Musterfall für die Genauigkeit und Voraussagekraft der Newtonschen Himmelsmechanik gilt gemeinhin die Entdeckung des Planeten Neptun durch Leverrier im Jahre 1846. Leverrier hatte auf Grund von Bahnstörungen des Planeten Uranus auf einen sonnenferneren, bis dahin noch unbekannten Planeten geschlossen und dessen fiktive Masse und Umlaufzeit errechnet. Tatsächlich ist dieser neue Planet Neptun dann auch in unmittelbarer Nähe des von Leverrier vorausgesagten Ortes gefunden worden. Allerdings konnte die Bahnunregelmäßigkeit des Uranus auch dadurch nicht restlos geklärt werden. Die Entdeckung wurde damals enthusiastisch gefeiert. Als großer Triumph der Newtonschen Himmelsmechanik ging das durch die Weltpresse, damals, Mitte des 19. Jahrhunderts. Weniger gefeiert, und zwar aus naheliegenden Gründen, wurde eine andere Entdeckung des französischen Astronomen,“ also Leverrier, „die aufgrund genauer Bahnberechnungen erhärtete Feststellung, dass der sonnennächste Punkt der Umlaufbahn des Merkur, sein sogenanntes Perihel, jedes Jahr um einen bestimmten Betrag weiter rückte“. Das spielt natürlich auch eine große Rolle in diesem „Spiegel“-Artikel über Einstein. „Unter Berücksichtigung aller Störwirkungen blieb ein nicht aufzuklärender Restbetrag, der keineswegs als gering einzustufen ist, die schon genannten 43 Bogensekunden pro Jahrhundert. Dass mehr als 99 Prozent des verrechneten Gesamtbetrags, 5600 Bogensekunden, schulmechanisch oder klassisch zu erklären waren, wie immer behauptet wird, ist nur dann von Belang, wenn die Prämissen, auf denen die ganze Rechnung beruht, zutreffend sind. Sind sie es nicht, wovon ich überzeugt bin, dann ergibt sich ein ganz anderes Bild. Dann sind die 43 Bogensekunden Restbetrag nur eine Aussage darüber, dass das komplizierte System von Zirkelschlüssen, Fiktionen und empirischen Werten, auf denen alle Rechnungen dieser Art beruhen, auch bei bestem Bemühen nicht aufgegangen ist. Keine der Planetenbahnen im Übrigen entspricht exakt den Newtonschen Gesetzen.“

Dann bring ich ein Zitat hier, was von Carl F. von Weizsäcker stammt aus seinem Buch „Die Einheit der Natur“, wo er den Versuch macht, die Frage zu klären, was es mit der Mathematik und der Wirklichkeit auf sich hat, aus dem Buch „Die Einheit der Natur“, 1971. Vorher vielleicht noch ganz kurz, heißt es hier: „Mit der Schulmechanik lässt sich die Bewegung von festen Körpern auf der Erdoberfläche mit großer Genauigkeit berechnen. Für die Gestirne als Ganze hat diese Physik keine Gültigkeit, das habe ich nachgewiesen. Es ist im Wortsinn eine Oberflächenphysik, keine Physik der Tiefe. Um es unmissverständlich zu sagen: Die Entdeckung der Periheldrehung des Merkur hat das Gravitationsgesetz und die schulmechanische Bewegungslehre endgültig widerlegt. Alle Versuche, beides zu retten, sind erfolglos geblieben. Das mechanistische Denken überhaupt hat seine Unfähigkeit erwiesen, die Subtilität der Planetenbewegung zu verstehen. Wiederholt mokierte sich Einstein über alle Versuche, die klassische Mechanik in ihrer Anwendung auf die Gestirnbewegung mit mehr oder weniger gewaltsamen Zusatzeinnahmen zu retten.“ Nicht, das hat er oft getan. Es gab ja viele Überlegungen, wie man sozusagen die Schulmechanik retten konnte. „Der Spott war unberechtigt, und zwar aus doppeltem Grund. Zum einen ist aus der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht abzulesen, dass Einstein den eigentlichen Fehler im Gravitationsgesetz und in der schulmechanischen Bewegungslehre verstanden hätte. Auch ist die Fiktion der Raumkrümmung bzw. Krümmung der Raumzeit in der Nähe großer Massen eine gewagte, hoch abstrakte Konstruktion auf brüchigem Boden.“ Das habe ich hier nachgewiesen. „Zum anderen hat Einstein selbst auf eine dieser Zusatzeinnahmen, die von Paul Gerber vorgelegte, zurückgegriffen, diese aber verschwiegen.“ [alle Zitate aus „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“] Darüber habe ich das letzte Mal gesprochen. Der Vorwurf, dass hier ein Plagiat begangen wurde, ist nie schlüssig widerlegt worden.

Jetzt kommt die Passage von Weizsäcker in dem Buch „Die Einheit der Natur“. Zitat Carl Friedrich von Weizsäcker: „So wie die Physiker meistens reden, sagen sie, Newton hat seine Hypothese empirisch bestätigt. Er hat die Planetenbahnen ausgerechnet, und sie kamen heraus wie in der Erfahrung. Das Gravitationsgesetz ist empirisch richtig. Nun gibt es aber das eigentümliche Phänomen des Fortschritts in der Physik, auch in den Grundlagen. Sie verbreitert sich nicht nur, sie legt auch ihre Fundamente tiefer. So hat Einstein im ersten Viertel unseres Jahrhunderts die sogenannte Allgemeine Relativitätstheorie aufgestellt, welche sowohl Newtons Mechanik wie Newtons Gravitationsgesetz überholt. Beide haben nur noch als Grenzfälle Gültigkeit.“ [So] die gängige Sicht der Mainstream-Physik. „Nach Einstein sind also streng genommen sämtliche Newtonschen Formeln falsch.“ Immer noch Weizsäcker: „Sie sind Näherungen, die zwar in den meisten Fällen sehr gut, in einigen Fällen aber messbar ungenau sind. Was tun? Verlangt man, dass das Wort ,wahr‘ für eine Theorie in aller Strenge gebraucht wird, so muss man folgern, die Newtonsche Theorie war nicht wahr. Sie war falsch, obwohl sie zwei Jahrhunderte unangefochten gegolten hat. Offenbar tut diese Sprechweise dem wirklichen Sachverhalt Gewalt an. Newtons Theorie war doch beinahe wahr. Aber was heißt beinahe wahr? In der Mathematik würde man dergleichen Sprachgebrauch schwerlich zulassen.“ Zitat Ende.

Jetzt hier der Kommentar [ „Räme, Dimensionen, Weltmodelle“] dazu: „Die halb distanzierte, halb ernst und direkt vorgetragene Formulierung, die Newtonsche Theorie sei beinahe wahr, geht von der Überzeugung aus, dass Einsteins Theorie nicht beinahe, sondern vollständig wahr ist. Weizsäcker glaubt an die Wahrheit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Dass, streng genommen, sämtliche Newtonschen Formeln falsch sind, gilt ja nur, weil Einstein die richtigen und wahren Formeln gefunden hat, von denen aus die Newtonschen Grenzfälle sind, nach dieser Sicht. Logisch und physikalisch ist streng genommen die Aussage von Weizsäckers unhaltbar. Entweder sind physikalische Formeln, ob nun die Newtons oder die Einsteins, nur Konstrukte des menschlichen Geistes, die mehr oder weniger gut funktionieren, ohne dass sie im eigentlichen und buchstäblichen Sinne gleichsam konstitutiv wahr sind.“ Das ist ja eine Möglichkeit, das wäre die positivistische Position. „Und dann ist es im Grunde auch kein Problem, alte, messbar ungenaue Formeln durch neue, genauere zu ersetzen. Von Wahrheit ist ohnehin nicht die Rede. Oder aber die Formeln sind der Ausdruck eines wirklichen Gesetzes, das tatsächlich und als es selbst dafür sorgt, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Dann gibt es nur die Alternative zwischen einem wahren, wirklichen, weil real wirkenden Gesetz, das ja objektiv da ist und durch keinen noch so schlauen Kunstgriff verändert werden kann und einem Als-ob-Gesetz oder Schein-Gesetz, das nur deswegen für ein wirkliches gehalten wird, weil es bisher nicht widerlegt werden konnte. Womit haben wir es also zu tun? Mit Konstrukten unseres Geistes oder mit wirklichen Gesetzen in einer wirklichen Welt? Die Frage muss nicht mental entscheidbar sein, aber es ist wichtig, den hier angedeuteten prinzipiellen Gegensatz zu begreifen.

Wenn der Raum wirklich gekrümmt ist, dann sind alle Aussagen, ob als Formeln oder verbal-philosophisch, schlicht falsch, die von einem euklidischen Raum ausgehen. Streng genommen, also logisch, ontologisch, physikalisch und philosophisch, kann nicht eine Wahrheitsbehauptung der Grenzfall einer anderen sein, es sei denn, man versteht Wahrheit oder Wirklichkeit als in sich paradox, als widersprüchlich und sich jedem mentalen Zugriff entziehend, was durchaus legitim ist. Nur erhält man dann neue Probleme. Was ist dann mit den Formeln und Theorien? Gibt es dann ein „anything goes“, sozusagen eine Theorienbeliebigkeit? Oder doch nicht so ganz, nur halb streng genommen nicht und doch auch wieder? Man landet dann, ohne es zu wollen, bei der These von der Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit einer Theorie. Die eine funktioniert besser, also wird sie angewendet, die andere funktioniert nur ungenau, also wird sie fallengelassen. Nur ist zwischen Theorien-Wirrwarr und Zen-Paradoxie ein substantieller Unterschied.“ Und so weiter. Also, die Frage ist zentral für unser ganzes Thema, weil in Diskussionen über diese Fragen ja häufig, auch vollkommen verständlich, auf die mathematische Präzision bestimmter Interpretationen eingegangen wird und das als Argument herangezogen wird. Da muss man immer wissen und nachfragen: Wovon ist die Rede? Ist von wirklichen Prinzipien der Welt die Rede, die die Wirklichkeit bestimmen, wie sie ist? Oder handelt es sich um Konstrukte unseres Geistes, die auch wieder völlig anders sein könnten? Oder ist die Frage, was man ja auch annehmen kann, gar nicht entscheidbar? Sozusagen, wir müssen die Frage grundsätzlich offen lassen. Aber sie ist wichtig, weil aus den Konstrukten der Mainstream-Physik ja weitreichende Schlussfolgerung abgeleitet werden darüber, wie das Weltall ist, wie die Erde ist, was die Erde ist, was die Planeten sind, was die Sonnen und sogenannten Fixsterne sind. Das ist ja wichtig auch für die Frage, die uns heute und jetzt beschäftigen soll, die Frage nach der Lebendigkeit der Erde, nach einem möglichen Bewusstsein der Erde.

Die Gaia-Theorie ist, kurz umrissen, in ihrer traditionellen Form einfach eine schon sehr alte Theorie, über 30 Jahre alt, von dem Mediziner James Lovelock, die besagt: Diese Erde, dieser Planet, dieses Gestirn ist als Ganzes ein Quasi-Organismus. Das ist wichtig, nicht buchstäblich ein Organismus. James Lovelock war sich da Zeit seines Lebens, also bis heute unsicher, ist es nun wirklich ein Organismus, oder kann man die Erde so betrachten, als ob sie ein Organismus sei? Ist sie ein wirklicher Organismus oder ein Quasi-Organismus? Der Begriff Gaia geht auf die griechische Mythologie zurück und meint Erdmutter. Der Begriff taucht in der Kosmogonie des Hesiod auf. Mittlerweile ist die Theorie in unzähligen Büchern abgehandelt, fast schon zu Tode geritten, kann man sagen. Selbst in der herkömmlichen oder der Mainstream-Physik wird sie immer wieder ventiliert. Mir geht es heute Abend um etwas anderes. Ich will gar nicht diese Theorie groß darstellen. Das können Sie in zig Büchern nachlesen, wie gesagt, die Literatur ist sehr umfangreich, sondern ich will versuchen, da einen Schritt weiter zu gehen, die Frage noch mal von einer anderen Ebene aus behandeln und einige Fragen stellen, die man in dem Zusammenhang häufig nicht stellt, die aber gestellt werden müssen. Zum Beispiel, wenn ich frage: Hat die Erde ein Bewusstsein? Dann erhebt sich sofort die Frage: Was für ein Bewusstsein kann denn ein Erd-Bewusstsein sein? Was ist dieses Bewusstsein, wenn es denn überhaupt ein solches ist?

Der große Renaissance-Philosoph Giordano Bruno war der Auffassung, um nur mal ein prominentes Beispiel zu nehmen, die Gestirne sind gewaltige kosmische Lebewesen mit einer eigenen kosmischen Wahrnehmung. Sie hätten also eine weit in das Weltall hinein reichende Wahrnehmung, und die Frage stellt sich natürlich: Wie kann das sein, wie kann ein Himmelskörper denn ein eigenes Bewusstsein haben, vielleicht sogar die Konfiguration eines Bewusstseins sein?

Das führt immer wieder auf die Frage, die ja in dem Kontext gestellt wird, was überhaupt Bewusstsein ist. Ich habe immer wieder darauf geantwortet, will es hier zunächst auch gleich am Anfang sagen, die Frage lässt sich nicht [beantworten]. Was ist Bewusstsein? Die Frage lässt sich nicht in einer einfachen Formel einfach so fixieren. Wir können deswegen nicht eine eindeutige, eine prägnante, eine formelhafte Deutung dessen geben, was Bewusstsein ist, weil wir selber in unserem Denken, Fühlen, Empfinden und Sein Bewusstseinswesen sind. Um das zu können, müssten wir einen quasi nicht menschlichen, einen Standpunkt einnehmen, der dieses Bewusstsein von der … wie ein archimedischen Punkt oder von einem archimedischen Punkt aus auf dieses Bewusstsein blickt. Das könnte zum Beispiel eine höhere oder andere Bewusstseinsebene sein, dann wäre das vielleicht möglich. Wenn man also eine höhere Bewusstseinsebene hätte oder einnehmen könnte, dann könnte man zurückblicken auf diese niedrigere Stufe und vielleicht sagen, was das Bewusstsein ausmacht, obwohl auch das ja schwierig ist, nicht? Können wir denn, wenn wir meinen, wir hätten ein höheres Bewusstsein als etwa Tiere, können wir denn wirklich sagen, wie das Bewusstsein der Tiere von innen aussieht? Oder wie das Bewusstsein, das möglicherweise existierende Bewusstsein der Pflanzen von innen aussieht? Ganz zu schweigen von einem möglicherweise existierenden Bewusstsein der sogenannten anorganischen Welt oder gar des Gestirns als Ganzes?

Also, wir können nur leben, denken und fühlen im Fluidum des Bewusstseins. Wir sind Bewusstseinswesen. Und wir sind sozusagen unrettbar verstrickt in dieses Fluidum. Wir sind Teil dieses Fluidums, und insofern ist eine Definition, das oder das ist Bewusstheit, schlecht möglich. Es gibt natürlich tausend Ansätze dazu, das Bewusstsein sei ein Spiegel zum Beispiel, Bewusstsein sei ein Spiegel der Welt. Das finden sie in der abendländischen Philosophie genauso wie in der asiatischen Religion, etwa im Buddhismus. Der Bewusstseinsspiegel, der möglichst rein und frei von Beschmutzung sein soll, damit er die Welt widerspiegelt. Aber auch alle diese Theorien, wenn man sie genauer betrachtet, setzen Bewusstsein immer voraus. Wir können gar nicht anders, wir müssen Bewusstsein grundsätzlich voraussetzen, sonst können wir uns überhaupt nicht verständigen. Und da liegt ein Dilemma, das nicht aufhebbar ist. Und das hat der Idealismus, sage ich mal, der philosophische Idealismus, das hat er immer gewusst, deswegen muss er so nicht stimmen. Aber das war immer eine Stärke des objektiven Idealismus Hegels und anderer, dass er darauf verwiesen hat, auf diesen Punkt, dass wir letztlich die Welt außerhalb von Bewusstsein überhaupt nicht denken, fühlen, empfinden können. Wie gesagt, deswegen muss der objektive Idealismus Hegels und anderer nicht stimmen, aber das war eine Stärke. Das war immer eine Schwäche, sagen wir mal reduktionistischer oder materialistischer Ansätze, wo der Geist in irgendeiner Form, wo das Bewusstsein in irgendeiner Form sich entwickelt haben soll aus der anorganischen Materie, was ja in der Form noch nie jemand beobachtet hat, das ist ja eine reine Hypothese. Die lässt sich auch gar nicht beweisen, weil sie ist nicht beweisbar. Wie soll das möglich sein? Wie soll plötzlich eine anorganische Materie in irgendeiner Form wirklich tatsächlich zu Bewusstsein und zum Organischen kommen?

Ich hatte vor 14 Tagen, glaube ich, war es, da hatten wir ein Gespräch über einen kleinen Text, einen späten Text von Rudolf Steiner über die Erde. Da war ja am Schluss der Diskussion die Frage aufgetaucht nach der Entwicklung des Ich und nach dem Zusammenhang von Ich-Entwicklung und Kosmologie. Sie werden sich vielleicht erinnern, es gab ja auch eine Diskussion darüber. Konnte sich das Ich-Bewusstsein nur entwickeln, weil das Bewusstsein letztlich von einem toten Makrokosmos ausging? Aber da war die Frage: Was meint Steiner damit? Und ich habe ja da verschiedene Einwände auch dagegen gebracht. Ich habe den Text jetzt noch mal mitgebracht, er ist ganz kurz nur, um Ihnen die Formulierung hier zu zeigen, das war ja noch offen, das hatte ich ja dann weggelassen. Ein ganz kurzer Text nur und mit vielen impliziten Behauptungen, Thesen, Hypothesen, Spekulationen, Fiktionen auch, aber doch in sich relativ schlüssig. Januar 1925, Steiner ist im März 1925 gestorben, also wenige Wochen vor seinem Tode hat er diesen Text aufgeschrieben für die anthroposophische Bewegung mit dem Titel „Was ist die Erde in Wirklichkeit im Makrokosmos?“

Ich lese mal ein paar Kernsätze hier vor, weil das noch in der Schwebe war und weil ich das auch als Anhaltspunkt benutzen kann, um dann den Schritt zu vollziehen, zu meiner Vorstellung von einem Erden-Bewusstsein, was ich eher mit dem Begriff „Demeter“ als „Gaia“ verbinde. Dazu gleich mehr. Also Steiner schreibt hier: „Das Werden des Kosmos und der Menschheit ist in diesen Betrachtungen von den verschiedenen Gesichtspunkten aus angeschaut worden.“ Er bezieht sich auf frühere Aussagen. „Gezeigt hat sich, wie der Mensch die Kräfte seines Wesens vom außerirdischen Kosmos hat, außer denen, die ihm sein Selbstbewusstsein geben, diese kommen ihm von der Erde.“ Wesentliche These der Anthroposophen also, vor allem die Erdkräfte sind es, die das menschliche Bewusstsein, Selbstbewusstsein schaffen. „Damit ist die Bedeutung des Irdischen für den Menschen dargelegt. Es muss sich daran die Frage knüpfen, welche Bedeutung hat das Irdische für den Makrokosmos? Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, muss man den Blick auf das hier schon Dargestellte werfen. Der Makrokosmos, also der große Kosmos als Ganzes, wird von dem schauenden Bewusstsein in immer größerer Lebendigkeit gefunden, je weiter der Blick in die Vergangenheit zurückdringt.“ Also frühere Bewusstseinsformen, Bewusstseinsstufen hätten, sagen ja auch andere Bewusstseinsforscher, den Kosmos eher lebendig, in toto lebendig empfunden. Von irgendeinem bestimmten Punkt in der Geschichte an sei das dann nicht mehr der Fall gewesen. Das lässt sich auch ganz gut belegen. „Er lebt in ferner Vergangenheit so, dass jede Berechnung seiner Lebensoffenbarung da aufhört. Aus dieser Lebendigkeit heraus wird der Mensch abgesondert. Der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein.“ Und das kann man zurückverfolgen, lässt sich auf die Pythagoreer, im Besonderen dann auf die kopernikanische Revolution, auf die Renaissance-Philosophie und Naturwissenschaft [zurückverfolgen]. „Also der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein. Damit aber erstirbt er allmählich“, nun nicht ontologisch, also buchstäblich als er selbst, sondern natürlich in unserem Bewusstsein. „Damit erstirbt er allmählich. In dem Maße, in dem der Mensch, der Mikrokosmos als selbständige Wesenheit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser.“ Also, der Mensch als Mikrokosmos konstituiert sich zu sich selber, und indem er das tut und weil er das tut, wird gleichsam der größere Kosmos bewusstseinsleer, wird quasi seines Lebens beraubt. „In dem Maße, in dem der Mensch, der Mikrokosmos, als selbständige Wesenheit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser. In der kosmischen Gegenwart besteht ein erstorbener Makrokosmos.“ Also heute meint er, 1925, das gilt ja im Wesentlichen auch noch immer, mehr als 70 Jahre danach, ist die herrschende Bewusstseinsverfassung so gepolt, dass man davon ausgeht, dass der Kosmos mehr oder weniger ein toter, ein verstorbener Makrokosmos ist. Allenfalls Oasen des Lebendigen werden zugestanden. „Aber im Werden desselben ist nicht nur der Mensch entstanden. Es ist aus dem Makrokosmos auch die Erde entstanden. Der Mensch, der von der Erde die Kräfte für sein Selbstbewusstsein hat, steht dieser innerlich viel zu nah, um ihr Wesen zu durchschauen. In der vollen Entfaltung des …“ , hier fehlt etwas im Text, das mit Handschrift dann von meinem Gewährsmann hier eingetragen, das kann ich schlecht lesen; „… der vollen Entfaltung des Selbstbewusstseins im Zeitalter der Bewusstseinsseele hat man sich gewöhnt, den Blick auf die räumliche Größe des Weltalls zu wenden und die Erde wie ein Staubkorn unbedeutend gegenüber dem physisch-räumlichen Weltall anzusehen.“ Das wissen sie, es war ja diese berühmte These, die dem 18. und 19. Jahrhundert zunehmend sich verbreitete: Die Erde ist ein Staubkorn. Sie ist wie ein Nichts im Universum, letztlich vollkommen unbedeutend. Sie hat zwar das Privileg, dass sie bewusstseinsmäßige Wesen hervorbringt, eben den Menschen unter anderem, aber sonst sei sie letztlich ein Staubkorn. „Daher wird es zunächst absonderlich erscheinen, wenn ein geistiges Anschauen die wahre kosmische Bedeutung dieses angeblichen Staubkorns enthält.“ Und dann kommt der entscheidende Passus, auf den ich mich das letzte Mal vor 14 Tagen bezogen habe. „Er, der Mensch“, ich lasse mal den Zwischenteil aus, „nimmt an diesem keimenden, was sich jetzt werdend gestaltet, sowohl wie an dem erstorbenen Leben teil. Aus dem erstorbenen Leben hat er seine Denkkräfte.“ Nicht, also eine These, die man bei den Anthroposophen viel findet, dass also Denken an Todesprozesse gebunden ist und nicht unmittelbar an Lebensprozesse. Dass also das Denken, der Geist eigentlich durch Todesprozesse entsteht. „Aus dem Erstorbenen hat er seine Denkkräfte. Solange diese Denkkräfte in der Vergangenheit aus dem noch lebenden Makrokosmos kamen, wie das früher der Fall war, waren sie nicht Grundlage des selbstbewussten Menschen.“ Also der Mensch konnte im Sinne dieser Theorie seine Bewusstseinsqualitäten nicht wirklich entfalten, in einem in toto lebendigen Universum. Ich habe schon mal gesagt, dass ich die These für falsch halte, aber ich will sie nun zunächst mal hier vorstellen. „Solange diese Denkkräfte in der Vergangenheit aus dem noch lebenden Makrokosmos kamen, waren sie nicht Grundlage des selbstbewussten Menschen. Sie lebten als Wachstumskräfte in dem Menschen, der noch kein Selbstbewusstsein hatte. Die Denkkräfte dürfen für sich kein Eigenleben haben, wenn sie die Grundlage bilden sollen für das freie menschliche Selbstbewusstsein. Sie müssen für sich mit dem erstorbenen Makrokosmos die toten Schatten von Lebendigem der kosmischen Vorzeit sein.“

Also eine ganz dezidierte, völlig klare These, die mit einer ganz klaren Sprache abgefasst ist, dass ein Selbstbewusstsein in unserem Sinne nur möglich war, nur ermöglicht wurde durch die Vorstellung, dass der Makrokosmos als Ganzes letztlich erstorben ist. Das heißt, in einem flutend-lebendigen, in toto lebendigen Universum wäre der Mensch garnicht zu dieser Art von Selbstbewusstsein gekommen. Das ist eine sehr weitreichende These, wo man schon mal einwenden könnte, ob das nicht heißt, die tatsächliche Geschichte, wie sie nun mal gelaufen ist und die wir ja kennen, nicht erst seit der Renaissance, schon seit zweieinhalbtausend Jahren und noch viel länger, ob das nicht heißt, diese Geschichte in gewisser Weise zu rechtfertigen, ihr sozusagen noch eine Weihe zu geben, dass es so und nicht anders hätte laufen können, was nicht bedeutet, dass man jetzt sagt, es hätte grundsätzlich anders laufen können. Das ist eine Entscheidung, die wir nicht fällen können, wir wissen es nicht, es ist müßig.

Es gibt ja immer wieder Versuche zu sagen, wo wurden Weichen gestellt, die dann schließlich zu dem ökologischen und geistigen Desaster heute geführt haben. Das ist ja immer wieder versucht worden. Man hat versucht, die Renaissance als eine Schlüsselepoche hinzustellen. Hier habe es die entscheidende Gabelung gegeben. Man hat gesagt, vor zweieinhalbtausend Jahren in der griechischen Philosophie habe eine Abspaltung stattgefunden, bei Sokrates, Platon, Aristoteles und anderen. Und dann habe sich das Selbstbewusstsein des Menschen aus dieser Abspaltung heraus entwickelt und müsse nun in einem großen Bogen auf einer neuen und höheren Ebene die alte Einheit mit dem lebendigen Makrokosmos zurückgewinnen, um jetzt mal mich dieser Sprache zu bedienen. Das ist schwer. Letztlich können wir eine wirklich fundierte Aussage darüber nicht machen. Es liegt nahe, so etwas zu sagen, und ich selber sage das auch öfter. Aber ich bin mir bei einiger kritischer Selbstdistanz doch darüber im Klaren, dass man es nicht wirklich sagen kann. Wir wissen es einfach nicht. Vielleicht hätte die Entwicklung tatsächlich nur so laufen können, wie sie gelaufen ist. Welche wirklichen Freiheitsspielräume für die Menschen in den je verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte existiert haben, wissen wir nicht. Das ist einfach müßig auch, darüber zu spekulieren, zumal wir ohnehin keine Möglichkeit haben, in irgendeiner Form gleichsam als Zeitreisende in die Vergangenheit zurückzugehen und nun im Sinne dieses Modells der Zeitreise an der Schraube der Gegenwart zu drehen. Das wäre ja im Modell der Zeitreise möglich, Reise in die Vergangenheit zurück und [man] kann dann die Gegenwart beeinflussen. Dann würde ja alles, was geschehen sei, in gewisser Weise wieder zur Disposition gestellt.

Das ist ja immer das berühmte Dilemma aller Vorstellung von Zeitreisen, wie sieht es da mit der Freiheit aus? Was kann ich dann ändern? Und wie sieht es dann mit dem Bewusstsein aus? Also das wollte ich noch bringen als Ergänzung. Man mag die Texte bewerten wie man will, aber er ist an sich in seiner Struktur ziemlich eindeutig.

Ich neige der Annahme zu, dass diese Grundthese falsch ist, dass es eine Möglichkeit des menschlichen Selbstbewusstseins auch gibt und gegeben hat und immer geben wird in einem in toto lebendigen Kosmos, ja, dass wahrscheinlich der Kosmos immer in toto bewusstseinserfüllt und lebendig war. Ich will aber zunächst mal, bevor wir über die Frage der Erde und des Bewusstseins der Erde näher verhandeln, die Frage klären nach dem Leben, nach dem Lebendigen, nach den Qualitäten eines Lebewesens.

Schon die Schwierigkeit bei der Gaia-Theorie von James Lovelock ist ja die, überhaupt zu definieren, was ein Lebewesen ist. Wenn sie sich der Mühe unterziehen, Biologiebücher zur Hand zu nehmen und zu fragen: Wie wird dort Leben gedeutet, erklärt, definiert? Dann, werden sie immer feststellen, dass Leben nicht erklärt wird. Es gibt zwar verschiedene Möglichkeiten, Leben zu definieren, zu bestimmen, aber letztlich bleibt es undeutlich: Was ist Leben? Man kann sagen, gut, Leben ist Metabolismus, Leben ist Stoffwechsel, ist ständiger Wechsel bei gleichzeitiger relativer Kontinuität der Gestalt. Ist Leben immer Bewusstsein? ̶ Nicht sicher. Man könnte sagen, das Lebendige als Gestalthaftes ist ein gestalthaftes Bewusstsein. Man kann die Hypothese wagen, dass Leben ohne Bewusstsein nicht denkbar ist. Gibt es Leben vollkommen jenseits jeglichen auch nur vorstellbaren Bewusstseins? Wissen wir nicht. Ich würde vermuten, das ist nicht so. Ich würde vermuten, dass Bewusstsein immer gegeben ist und in allem, was wir lebendig nennen, zumal wir dann auch weitergehen müssten und fragen: Hat auch die sogenannte anorganische Materie eine eigene Form von Lebendigkeit?

Ich darf daran erinnern, dass ich vor einigen Wochen hier, bei der Vorlesung über die Bewegung ja Verschiedenes gesagt habe auch zur Frage des Willens. Ja, [das ist] auch eine Art von Willens-Metaphysik gewesen, die ich da vorgetragen habe. Zur Frage des Willens als Bewegungsursache, also ein Wille, der ja bis in die sogenannte anorganische Materie hineinreicht und die anorganische Materie von innen bestimmt. Eine alte philosophische Vorstellung, die nicht erst seit Schopenhauer in der deutschen Philosophie eine Rolle spielt und die ich ja versucht habe, auf eine andere Weise wiederzubeleben.

Also, ich glaube, dass das Lebendige immer mit Bewusstsein verbunden ist. Wenn man überhaupt eine Definition geben möchte, würde ich sagen:

Leben ist gestalthaftes Bewusstsein, und zwar gestalthaftes Bewusstsein im ständigen Wandel mit einer relativen Kontinuität dieser Gestalt.

Das macht ja gerade den Metabolismus, das macht ja gerade den Stoffwechsel aus. Nicht, der Stoffwechsel bedeutet ein ständiges Fließen der Stoffe, während die Gesamtgestalt bleibt. Ist die Erde ein … (Augenblick hier, ich muss dort diese Stelle noch kurz vorlesen hier.) „Was also ist Leben? Was ist ein Lebewesen?“ Aus dem Buch „Was die Erde will“, gibt es hier im sechsten Kapitel Aussagen über die Frage des Erdbewusstseins, und da stelle ich auch die Frage nach dem Leben, wie man Leben bestimmen kann. Ich lese mal kurz diese Passage hier vor:

„Was also ist Leben? Was ist ein Lebewesen?“ Ich habe ja schon einen Versuch gemacht, das zu definieren, also gestalthaftes Bewusstsein mit relativer Kontinuität. „Was also ist Leben?“ ̶ aus dem sechsten Kapitel des Buches „Was die Erde will“: „Wir alle haben ein naives, unhinterfragtes und meist elementares Verständnis von Leben, jeder Mensch, von lebendig sein und tot sein. Da hat jeder eine naive, sehr direkte, spontane Weise, hat jeder das Gefühl, das ist lebendig, das ist nicht lebendig. Und wenn das in irgendeiner Form irritiert wird dieses Bewusstsein, hier liegt etwas Lebendiges, weil in Wirklichkeit nur eine Puppe vorliegt, wie im Falle etwa von E.T.A. Hoffmanns ,Der Sandmann‘ die Olympia, stellt sich sofort ein Schock her, als ob einem der Boden weggezogen würde, dass eine Puppe als lebendig erscheint. Also: „Wir alle haben ein naives, unhinterfragtes und meist elementares Verständnis von Leben, von lebendig sein, tot sein. Ein Computer ist kein Lebewesen, eine Katze dagegen ist es genauso wie die exotische Pflanze, die den Computerbildschirm umrankt. Sicher können wir auch Gegenstände wie Personen behandeln, können zu Gegenständen intensive seelische Beziehungen aufbauen und pflegen, so dass uns die Dinge wie Freunde und Weggefährten mit eigenem Bewusstsein erscheinen. Für viele ist das Auto ein derartiges Ding, ein Quasi-Lebewesen.“ Ja, eindeutig. „Aber richtig lebendig sein, dass ist doch noch etwas anderes. Offenbar gehört dazu schon im naiven Grundverständnis eine Innenseite, eine Innerlichkeit, ein seelisch-geistiger Innenraum. Denn wenn dieser Innenraum nicht wirklich existiert, sind auch sogenannte Lebewesen im Grunde tot, sind im Grunde Maschinen oder Apparate.“ Also wenn es, in dem, was uns als Leben erscheint, keine Innenseite gibt, grundsätzlich keine Innenseite gibt, weil alles nur außen ist, sind im Grunde auch Organismen nur Bio-Computer, im besten Falle, mehr oder weniger sehr komplexe Apparate.

Denken Sie an das, was ich vor vierzehn Tage vorgelesen habe in diesem Essay über die Frage: Wo sind wir? Und ich habe ja den naturwissenschaftlichen Reduktionismus da als ein Bemühen gedeutet, alles Innen zum Außen zu machen, grundsätzlich. „Da sind doch sogenannte Lebewesen im Grunde tot, sind im Grunde Maschinen oder Apparate. Man zerstört ein Lebewesen, und etwas Fundamentales verändert sich. Das, was eben noch Leben bekundete, ist plötzlich tot. Es mag seine Gestalt noch eine Weile aufrecht erhalten, aber etwas Entscheidendes ist von ihm abgezogen worden. Das frühere Lebewesen“, jetzt kommt ein entscheidender Punkt, „wird zum bloßen Stoff, der nun unaufhaltsam den Gesetzen dieser Stoffeswelt … der Formlosigkeit oder Gestaltlosigkeit [unterworfen wird]. Auch im subatomaren Bereich herrscht hier Ordnung, herrschen Gesetze, herrscht eine gewisse Gestalt. Insofern ist es nur der Absturz von einer Gestalt[ebene] auf eine, wenn man so will, niedere Gestaltebene.

„… liegt auf einer höheren Ebene, einer Ebene, die die unteren Ebenen überschreitet und enthält. Aber dieses ,enthält‘ gilt nur mit Einschränkungen, die in der Systemtheorie so kaum gedacht werden. Materie im Bios, als Bios, funktioniert grundsätzlich anders als auf der Stoffebene.“ Das ist auch wichtig. „Es ist nicht so, wie die Physiker und Chemiker unermüdlich und ungeschützt behaupten, dass die von ihnen entdeckten Gesetze auf der Ebene der Lebewesen noch immer in der gleichen Weise gelten.“ Das kann man als widerlegt ansehen, diese Behauptung. „So haben, um ein Beispiel zu geben, Pflanzen die Fähigkeit, unter bestimmten Bedingungen Elemente umzuwandeln. Wie das geschieht, ist der Wissenschaft nach wie vor ein Rätsel. Der kleinste Grashalm, der zarteste Krokus, die zierlichste Petunie vollbringen etwas, wozu die modernen Alchimisten, die Kernphysiker, bis heute nicht in der Lage sind. Das Leben bedient sich der Stoffe. Es übergreift die Stoffe, verändert ihre Gestalt, hebt sie auf eine andere Ebene. Es ist Gestalt im Wechsel der Stoffe, aber mehr als nur Form oder Struktur.“

Das ist wichtig, weil in der Systemtheorie unermüdlich die Form- und Struktur-Komponente ins Zentrum gerückt wird, als ob Bewusstsein nur Struktur sei, ist ja eine wesentliche These auch von Gregory Bateson und anderen, also, der Geist als pattern, ‚the pattern that connects‘, als Muster, das verbindet. Das heißt letztlich die Geistebene als eine eigene Ebene eliminieren.

„Es ist Gestalt im Wechsel der Stoffe, aber mehr als nur Form oder Gestalt. Es vervielfältigt sich. Es nimmt wahr, erinnert sich und gibt diese Erinnerung weiter. Es fließt und es bleibt. Es ist Gestalt-Erhaltung und Gestalt-Wandel in einem.“ Das ist ja schon angedeutet worden in meiner Definition von vorhin: Gestalt-Wandel und Gestalt-Erhaltung in einem Leben ist niemals ableitbar. „Alle Versuche, Lebendiges aus Totem, Organisches aus Anorganischem abzuleiten, sind gescheitert.“ Das muss man einfach nüchtern feststellen. Alle diese Versuche, so sehr sie auch sensationell oft in der Presse dargestellt wurden, sind letztlich gescheitert. „Die reduktionistische Naturwissenschaft postuliert diese Ableitung, aber sie ist nie bewiesen worden. Was wir wirklich beobachten, und zwar ständig, ist, dass Lebendiges zu Totem wird, dass hoch Organisiertes abstürzt auf die stoffliche Ebene. Dass sich die stoffliche Ebene von sich aus aufschwingt, gleichsam zum Lebendigsein, ist noch niemals beobachtet worden. Irgendwie hat es zwar eine Entwicklung des Organischen aus Anorganischem gegeben, aber diese kann auf keinen Fall so erfolgt sein, wie dies die Evolutionsbiologie darstellt, die ja letztlich im Kern eine reduktionistische ist. Nicht von ungefähr gerät der Neo-Darwinismus immer mehr unter Beschuss, weil zunehmend deutlich wird, wie wenig er wirklich erklären kann.“

Ich habe mich darüber ja schon eingehend geäußert und auch, ich glaube im Sommersemester in verschiedenen Zusammenhängen, zur Frage der heute sehr verbreiteten Kritik am sog. Neo-Darwinismus. Übrigens gehört auch James Lovelock, der Begründer dieser Gaia-Theorie, zu den Kritikern des Neo-Darwinismus. „Aber auch bei den meisten Kritikern des Neo-Darwinismus bleibt das Wesentliche unerklärt. Was ist Leben? Wie ist Leben möglich? Wie ist Leben entstanden? Was treibt die Entwicklung voran? Und dann ganz zentral wichtig für jegliche Theorie des Lebendigen: Wie entsteht Neues? Eine der am schwersten zu beantwortenden Fragen, an denen eigentlich der Geist gleichsam kollabiert: Wie entsteht Neues? Es gibt ja einen Begriff, der häufig in dem Zusammenhang verwendet wird, das ist der Begriff der Emergenz, nicht, also, ein Begriff, der im Grunde genommen nur das Problem noch einmal mit einem Begriff bezeichnet, ohne dass er irgendetwas erklärt, denn Emergenz ist nichts weiter als ein spontanes Entstehen. Das erklärt nichts und sagt nur, was passiert. „Wie entsteht Neues? Wie ist intelligentes Bewusstsein möglich? Wie ist es entstanden? Alles Fragen, die nicht geklärt sind, auf die es bis dato keine befriedigende Antwort gibt. Wie sind lebendige Formen entstanden? Ob nun der Schmetterlingsflügel, der keinen Überlebensvorteil bringt, oder die unendlich klugen und wissenden Köpfe der Katzen. Warum gibt es Schönheit, Freude und Leid?“ Und so weiter.

Das sind zentrale Fragen, die, das muss man klar sagen, nicht beantwortet sind. Und: Wenn seit, sagen wir 40 Jahren, die Biologie nun ausgerufen wird, auch in den Medien, als die neue Grundlagen-Wissenschaft, und als solche habe sie, wird immer wieder behauptet, die Physik abgelöst, dann muss man anmahnen, wo wirklich überzeugende, plausible und in sich stimmige Antworten auf diese Fragen gegeben werden: Sie werden nicht gegeben. Und das räumt übrigens selbst dieser Autor des „Spiegel“-Artikels gegen Ende seines Beitrags ein, dass in der heutigen Biologie eine Bündelung von ungelösten Fragen existiert, die bis dato die reduktionistische Biologie nicht einmal im Ansatz hat klären können.

Also alle diese Fragen sind nach wie vor vollständig offen, und die schwierigste Frage von allem ist in dem Zusammenhang: Wie entsteht lebendiges Bewusstsein seiner selbst? Wie entsteht so etwas wie ein Selbst? Wie entsteht und kann entstehen ein Wesen, das in irgendeiner Form „Ich“ sagt, wie kann eine ichhafte Gestalt überhaupt entstehen? Wie ist sie möglich? Und das sind Fragen, die sind von einer ungeheueren Tiefe und Tragweite und beschäftigen jeden denkenden Menschen. Und es ist gut und richtig und wichtig, sich nicht durch allzu vorschnelle Antworten da abspeisen zu lassen, schon gar nicht aus dem Bereich der reduktionistischen Biologie und auch nicht aus dem Bereich der Systemtheorie.

Ich will jetzt nicht noch mal die vielen Argumente vortragen, die ich ja mehrfach auch schon genannt habe, auch im Sommersemester in anderen Zusammenhängen, was man gegen die sog. Systemtheorie, die eine ungeheure Popularität hat, auch in der Ökologiebewegung, alles einwenden kann. Sie ist nach meiner Überzeugung letztlich auch eine subjektblinde, eine subjektvergessene Naturwissenschaft. Sie ist nicht wirklich offen für diese Fragen. Sie verlagert die Thematik auf eine andere Ebene, aber sie löst sie nicht wirklich. Und das ist ein Dilemma überhaupt in der gesamten Ökologie. Deshalb ist ein Großteil der Ökologie auch einfach flach, oberflächlich, vordergründig und letztlich auch reduktionistisch, weil diese Fragen offene Fragen sind, die nicht geklärt sind. Wenn das nicht geklärt ist, kann auch die Ökologie-Frage nicht wirklich sinnvoll angegangen werden.

Ich sehe, ich habe weit überzogen, ich wollte an sich schon längst die Pause machen. Wir machen mal eine kleine Pause.

… gerade in der Pause wurde ich gefragt nach Literatur zur Kritik an der Systemtheorie. Da habe ich auf das Buch „Was die Erde will“ verwiesen. Es gibt natürlich auch andere kritische Ansätze zur Systemtheorie. Es geht hier nicht um die Systemtheorie etwa von Habermas oder Luhmann. Es geht hier vor allen Dingen um die Systemtheorie im Rahmen der Biologie und der Naturwissenschaften. Da ist einer der wichtigsten Denker in dieser Richtung, auf den ich mich auch hier beziehe, auch kritisch beziehe, Gregory Bateson, der eine wesentliche These aufgestellt hat mit dem Satz, dass der Geist also als Muster, als pattern zu betrachten ist, das verbindende [Muster] ̶ the pattern that connects. Das war für Gregory Bateson ein neuer, in seiner Sicht geradezu revolutionärer Ansatz gegen die Vorstellung einer für sich seienden Geisthaftigkeit. Also der hat das ganz bewusst als Gegenbegriff gegen das herkömmliche Selbst-Sein oder Ich-Sein oder Geist-Sein gesetzt, weil er meinte, dass die Vorstellung einer separaten Ichheit die Wurzel des Unglücks und des auch ökologischen Desasters darstellt. Das war sein Hauptansatzpunkt: Die ökologische Krise geht letztlich auf eine falsche Vorstellung vom Bewusstsein zurück, basiert auf der Vorstellung eines separaten Selbst. Und von dort aus gibt es da natürlich Zusammenhang, in einer bestimmten Weise weitergedacht, mit dem Buddhismus. Also, viele der Systemtheoretiker verstehen sich selber als Buddhisten, also Joann Macy ist ein Beispiel dafür, „Wiederentdeckung der lebendigen Erde“, und sie deuten dann eine bestimmte Interpretation der Systemtheorie buddhistisch um. Das übernehmen dann zum Teil die Buddhisten auch wieder ihrerseits. Somit ist da ein gewisses Wechselverhältnis und das basiert häufig auf einer ziemlich verkürzten Vorstellung a) von Buddhismus und b) von Systemtheorie.
Also Joanna Macy ist nur ein Beispiel dafür, aber die Frage kann ich noch weiter beantworten, die mir gestellt wurde. Ein Kritiker dieser Richtung ist auch der amerikanische Philosoph Ken Wilber, der in verschiedenen seiner Bücher gerade diese Form der Systemtheorie scharf kritisiert und nicht nur kritisiert, geradezu geißelt als Flachland-Ontologie, ganz im Sinne des herrschenden Denkens, des Mainstream, sagt, also gerade diese Theorie, diese Art von Systemtheorie ist keine Alternative zu dem Herrschenden, sondern sie ist nur eine andere Spielart des Herrschenden. Und das ist ein wichtiger Punkt. Die Systemtheorie selber, soweit sie sich in einer bestimmten Tradition versteht, etwa Gregory Bateson und andere, versteht sich ja gerade als eine Alternative zur reduktionistischen Naturwissenschaft. Während Ken Wilber und andere, unter anderem auch ich, eben das nicht akzeptieren und der Systemtheorie genau diesen Vorwurf machen, dass sie im Grunde genommen selber der reduktionistischen Mainstream-Naturwissenschaft anheimfällt, also selber von den zentralen Prämissen dieser Mainstream-Naturwissenschaft ausgeht, sie nicht wirklich überschreitet. Das wäre nach meinem Dafürhalten nur der Fall, wenn man die Dimension des Bewusstseins als einer eigenständigen Seinsqualität, einer eigenständigen ontologischen Qualität wirklich akzeptieren würde. Dann kann das Bewusstsein nicht nur einfach ein Netzwerk sein, nicht nur einfach ein Muster sein, dann muss es mehr sein, dann muss man neu und anders nach dem Ich fragen und nach der Entstehung des Ichs. Das ist eine ganz zentrale Frage, gerade die ganze Selbst- und Ich-Frage in diesem Zusammenhang.

Und dann wurde in der Pause, … hat mir jemand gesagt, Hegel hätte eine Definition von Leben gegeben in der „Phänomenologie des Geistes“, die auch sehr einprägsam sei. Es gibt viele Definitionen, natürlich viele Versuche, Leben zu definieren. Schelling zum Beispiel. Ich habe jetzt kein Zitat parat, aber auch Schelling versucht in seiner Naturphilosophie immer wieder auch Leben zu definieren, auch im Sinne der Gestalt, auch, er sagt einmal über die Pflanzen, sie seien der verschlungene Zug der Seele und die organische Natur sei eine Manifestation des Geistes, also letztlich auch eine Geist-Manifestation. Das wird also ganz streng gebunden an Bewusstsein. Aber ich kann da jetzt keine Formulierung aus dem Stegreif so im Einzelnen nennen.

Ich habe da gesagt: Von Gaia zu Demeter. Ich sag noch mal: „Gaia“ ist ein Begriff aus der griechischen Mythologie, meint einfach Erdmutter, taucht auf bei Hesiod ungefähr 700 v. Chr. und im Zusammenhang auch mit Eros und Chaos, Eros, Eros-Kraft, Gaia-Kraft und Chaos-Kraft, Chaos im Sinne von Hesiod als eine Art Pleroma, als die ungeschiedene schöpferische Fülle der Dinge, nicht als Unordnung, nicht als Disorder, sondern als Grund des Schöpferischen, in diesem Sinne.

Wenn ich sage „Von Gaia zu Demeter“, dann meine ich Folgendes: Wenn man die Gaia-Theorie des James Lovelock und der vielen, die in seinem Sinne das weiterentwickelt haben, genauer betrachtet, dann kann einem nicht entgehen, dass man letztlich mehr oder weniger prägnant vom Bios und nur vom Bios ausgeht. Es ist immer eine Theorie, die den Bios, das Leben, was immer das bedeutet, absolut setzt, [es] ist eine Bios-Theorie. Man kann das auch polemisch als eine biologistische Theorie bezeichnen. Also Biologismus ist einfach, genauso wie Physikalismus, also Biologismus, einfach eine Theorie, [die] davon ausgeht, dass das Prinzip des Bios das letztmögliche Prinzip in der Erscheinung in der Welt überhaupt ist. Und zwar nicht unbedingt gebunden an Bewusstsein, sondern Bios im eher vordergründigen Sinne. Und so wird letztlich die Erde im Sinne dieser Theorie als ein großes Bios-System gesehen, als ein großes Gaia-System. Letztlich ist das eine Art von systemtheoretischer Vorstellung. Die Erde ist ein System ein Gaia- oder Bios-System. Es wird nirgendwo, wenn ich die Texte richtig verstanden habe, davon ausgegangen, dass diese Erde als ganzes tatsächlich eine eigene Bewusstseinsqualität hat. Und das meine ich mit dem Begriff der Demeter.

Ich beziehe mich auch in dem Buch „Was die Erde will“ ausdrücklich auf den wohl wichtigsten Naturkult der Antike, auf den Demeter-Kult. Hier war Demeter oder Gemeter, zwar auch die Erdmutter, aber eine Erdmutter, die immer das Geistige, das Spirituelle, die Transzendenz beinhaltet. Und das gerade ist in den Bios-Theorien, in den biologistischen, systemtheoretischen nicht der Fall. Das ist ein wesentlicher Punkt. Da hat übrigens auch der Ken Wilber viel zu gesagt, etwa in seinem Buch „Halbzeit der Evolution“. Da schreibt er verschiedentlich auch, dass [es] ein großes Missverständnis sei, dass man die Erdmutter gleichgesetzt habe mit der Großen Göttin. Es gibt also eine eingehende Passage bei ihm, wo er diese beiden Begriffe einander gegenübersetzt. Das eine ist ein transzendentes Prinzip, und das andere ist ein pures Bios-Prinzip, was dazu neigt, den seiner selbst bewussten Geist zurückzunehmen oder zurücknehmen zu wollen, in den Bios. Nicht, Sie kennen das vielleicht aus der Jungschen Psychologie. Da wird ja davon ausgegangen, dass die menschliche Bewusstwerdung eine Bewusstwerdung ist gegen den allverschlingenden Zusammenhang der Großen Mutter. Bei Erich Neumann zum Beispiel ist das ganz deutlich: Das Bewusstsein, um sich zu einem Ich zu entwickeln, muss die große, umschlingende, alles verschlingende Mutter quasi töten. Also Muttermord als Bedingung für Bewusstsein. Und das sind ja Überlegungen, die gerade natürlich von ökofeministischer Seite aus scharf kritisiert worden sind, als patriarchal und als einseitig männlich bestimmt, aber denen man doch eine gewisse Teilberechtigung nicht absprechen kann. Denn man kann das schlechterdings nicht leugnen, dass die Entwicklung eines integrierten Selbst nur möglich ist, wenn man bis zu einem gewissen Grade auch die Bios-Fesseln abstreift, nicht vollständig abstreift, aber doch in einem gewissen höheren Sinne auf einer höheren Ebene dann integriert, so dass der Bios dann eine integrierte Ebene wird und nicht die pure Dominanz behauptet.

Und insofern sind die Gaia-Theorien seit James Lovelock alle geprägt von dem Gedanken, sage ich es mal jetzt etwas polemisch überspitzt: Die Erde ist das große Muttertier, der große Bios und in dem sind wir alle eingegliedert, in gewisser Weise das große potenzielle Öko-Paradies, in das wir uns zurückbegeben müssten. Wir Menschen müssten verstehen, wir sind auch nur ein Lebewesen wie jedes andere Lebewesen und müssen uns re-integrieren in diesen Gaia-Zusammenhang. Niemand wird bestreiten, dass da natürlich selbstverständlich ein wichtiger Impuls drinsteckt. Die Gefahr bei allen diesen Ansätzen besteht nur darin, dass dann die Eigenart und die eigene spezifische Qualität des Menschen, nämlich seine Geistseele-Natur, biologistisch überdeckt wird. Dann bleibt undeutlich, worin sich dann das Geistseele-Mensch-[Wesen], das Wesen Mensch mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein von anderen lebendigen Wesen unterscheidet. Und da liegt eine Klippe. Da liegt eine …, ein Ansatz, der mit gutem Recht von einigen auch scharf kritisiert wird. Das muss man auch ganz klar herausstellen: Wenn wir eine Chance haben sollen und wollen, die Erde neu zu begreifen, dann kann es nicht darin bestehen, dass wir die Erde nur als Bio-System und im biologistischen Sinne als Gaia betrachten, dann müssen wir einen Schritt weitergehen und müssen die Erde in dem Sinne auch als Demeter betrachten.

Nun kann man natürlich fragen, das habe ich ja vorhin schon gesagt, wie sähe dann ein Bewusstsein der Erde [aus], wenn es denn überhaupt so etwas geben kann? Wie könnte das dann überhaupt aussehen? Was wäre das dann, ein Erd-Bewusstsein. Hat dieses Gestirn als ganzes Wahrnehmungsorgane quasi in den Raum hinein? Gibt es so was? Ist das denkbar? Oder ist es nur eine mehr oder weniger poetische Vorstellung, eine Metapher? Ist es Dichtung, Poesie, Literatur? Wie könnte die Wirklichkeitsqualität dahinter sein? Hat dieses Gestirn, die Gestirne überhaupt, im ganzheitlichen Sinne eine Art von Wahrnehmung? Das könnte durchaus sein. Denken sie einmal an die ja selbst in der traditionellen Physik gängige Vorstellung, dass häufig gesagt wird, die Trägheit der Materie, das findet man sogar in Physik-Büchern, Physik-Lehrbüchern, ich habe das hier mehrfach gesagt, sei, so wörtlich, ein Fühlorgan für die Raumzeitmetrik. Diese merkwürdige, rätselhafte Fähigkeit der Trägheit, die ja eine bestimmte Qualität aller Materie ist, als ein Fühlorgan. Und das ist ja, das [ist] natürlich metaphorisch gemeint. Aber trotzdem ist es ja merkwürdig, dass da eine elementare Wahrnehmung unterstellt wird bis in den Mikrobereich der Materie hinein. Warum soll ein Gestirn auch in diesem Sinne nicht gleichsam kosmische Fühlorgane haben und sich in dieser Weise auch im kosmischen Zusammenhang bewegen können?

Mal ein Zitat von Giordano Bruno, was ich hier gebe in dem Buch „Was die Erde will“ über die Frage des Bewusstseins der Himmelskörper. Bruno, das habe ich ja vorhin schon gesagt, war ein leidenschaftlicher Verfechter der Vorstellung, dass die Himmelskörper, die Planeten und die Gestirne, sogenannte Sonnen, im Grunde Lebewesen sind, ja nicht nur Lebewesen, sondern quasi Götter. Eine These, die ich ja hier auch in diesem Buch zum Teil aufgegriffen habe „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“, wo man von dem Radialfeld aus auch sagen kann, dass dieses die Gestirne spiritualisiert, so dass sie in gewisser Weise zu großen kosmischen Wesenheiten, zu großen Organismen werden. Bruno schreibt in seinem berühmten Buch „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“, 1584 geschrieben, Zitat Giordano Bruno: „Darum ist es erforderlich, dass von einem unerreichten göttlichen Angesicht ein unendliches Abbild sei“, also dass die Unendlichkeit des Göttlichen erfordert auch die Unendlichkeit einer erschaffenen Welt, „darum ist erforderlich, dass von einem unerreichten göttlichen Angesicht ein unendliches Abbild sei, in welchem sich dann als unzählige Teile, unzählige Welten, welche jene andern sind, befinden. Darum muss es aufgrund unzähliger Grade der Vollkommenheit, welche bestimmt sind, die unkörperliche göttliche Vortrefflichkeit in körperlicher Weise zu entfalten, “ ̶ die wesentliche These, also die physische Manifestation, ist immer ein Spiegelbild der göttlichen Vollkommenheit ̶ „unzählige Einzelwesen geben, welche die großen Lebewesen sind, also die Gestirne, von denen diese Erde eines ist, die göttliche Mutter, die uns geboren hat und uns ernährt und uns wieder in sich aufnehmen wird. Zur Aufnahme dieser unzählig vielen ist ein unendlicher Raum erforderlich.“

Ich werde darüber ja noch in meiner Vorlesung am 11. Januar über Giordano Bruno Ihnen einiges darstellen für eine Art Gedenkvortrag nicht direkt zum 400. Todestag von Bruno, aber im Umfeld, im Umkreis dieses 400. Todestages. Er wäre ja erst am 17. Februar 2000, also 1600 und 2000. „Es ist sogar gut“, noch immer Bruno, „dass unzählige Welten, so wie sie sein können, sind, die dieser gleichen, wie sie sein könnte und sein kann, wie es gut ist, dass sie ist.“ Für Bruno, heißt es dann, wird es zur Erfüllung jeder Gestirnentwicklung, intelligentes Leben zu tragen, grundsätzlich [ist] jedes Gestirn in der Lage dazu, in welcher Form und auf welche Existenz- oder Seinsebene auch immer. Die Gestirne als kosmische Lebewesen, jetzt kommt der entscheidende Punkt, haben nach Bruno eine empfindende, wollende und denkende Seele. Die Gestirne in seiner Sicht sind auch denkende Wesen. Die Gestirne als kosmische Lebewesen haben nach Bruno eine empfindende, wollende und denkende Seele und ein in die Weltweiten des Weltenraums sich erstreckendes Bewusstsein. Bruno schreibt einmal, die Gestirne hätten, Zitat: „das Vermögen, Gott, die Prinzipien alles Seienden und die Verteilung der Ordnungen des Weltalls anzuschauen.“ Sie haben ein dem Menschlichen weit überlegenes kosmisches Raumbewusstsein, sind mit eigenen Organen für den unendlichen Raum ausgestattet.

Also eine sehr, sehr weitreichende These, die hier behauptet wird vor 400 Jahren. Zudem sind alle Gestirne und so auch die Erde einem kosmischen Stoffwechsel unterworfen. In der Schrift „Vom Unendlichen“ heißt es dazu noch, ein Zitat: „Daher ist diese Erde, wenn sie ewig und dauernd ist, dies nicht auf Grund des Fortbestandes ihrer Teile und Unteilbaren“, großgeschrieben, „sondern aufgrund des Wechsels zwischen den einen, die sie aussendet, und den anderen, die an deren Stelle in sie übergehen, so dass der Körper, der immer dieselbe Seele und Intelligenz hat, sich Teil für Teil beständig verändert oder erneuert.“ Also ein großer kosmischer Stoffwechsel der Gestirne wird hier behauptet. „So bewegen sich auch die Erde“, noch einmal Bruno, „und die anderen Gestirne, ihrer verschiedenen Lage entsprechend aus dem inneren Prinzip, welches ihre eigene Seele ist.“ Die Brunoische Gestirnseele ist in etwa, ungefähr das, was ich mit dem Radialfeld der Gestirne bezeichne. „So bewegen sich auch die Erde und die anderen Gestirne ihrer verschiedenen Lage entsprechend aus dem inneren Prinzip, welches ihre eigene Seele ist.“

Das ist nicht die Weltseele, weil die Weltseele im Sinne von Bruno ist die den ganzen Kosmos durchflutende Allseele, während die Gestirnseele eine gestirnbezogene Manifestation dieser Allseele ist, aber nicht identisch mit ihr. Es wird oft in eins gesetzt, es ist nicht das Gleiche. „Glaubt ihr, sagte Nundino „dass diese Seele empfindend sei? Nicht nur empfindend, antwortete der Nolaner“, also Bruno selbst, „sondern auch denkend und nicht nur denkend wie die unsere, sondern vielleicht in noch höherem Grade als diese.“

Also auch eine sehr weitreichende Behauptung, dass die Gestirne ein höheres Bewusstsein haben als das menschliche. Und wenig später heißt es dann noch, ein Zitat, „dass, wenn die Erde Empfindungen besitzt, so nicht dieselben wie wir, wenn sie Glieder hat, sie nicht wie die unseren sind, wenn sie Fleisch, Blut, Nerven, Knochen und Adern hat, diese nicht in unseren gleichen. Und wenn sie ein Herz hat, dann nicht so eines wie wir, sondern entsprechen auch alle übrigen Teile den Gliedern vieler anderer Wesen, die wir lebendig nennen und die gemeinhin als Lebewesen angesehen werden.“

Also, sicherlich ist die Vorstellung der Erde als eines großen Organismus alt, man findet sie etwa in der griechischen Philosophie, bei Platon im „Timaios“ und „Kritias“; da wird schon gesagt, die Erde sei ein großes Lebewesen, ein lebender Gott und sei auch eine Art von kosmischem Stoffwechsel unterworfen ̶ übrigens auch bei anderen in dieser Zeit gibt es die Vorstellung eines der Gestirne als Organismus, zum Beispiel bei Kepler, in sehr starkem Grade. Kepler schreibt einmal: „Da ich mit der Analogie vorankam, geschah es, dass ich sie noch weiter trieb und die Körper der Tiere mit dem der Erde verglich. Ich fand dabei, dass das allermeiste, was aus einem Tierkörper herauskommt und damit bekundet, dass diesem eine Seele innewohnt, auch aus dem Körper der Erde herauskommt. Wie nämlich der Körper auf der Oberfläche der Haut Haare, so bringt die Erde Pflanzen und Bäume hervor.“ In gewisser gewisser Weise ist für Kepler die Erde eine Art kosmische Pflanze, die auch einem eigenen Stoffwechsel unterworfen [ist].

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Licht und Bewusstsein II

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale Wintersemester 1999/2000
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 28

Transkript als PDF:

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Ich habe das heute genannt, darf das noch mal angeben: „Zur Naturphilosophie des Äthers“ und dann in Klammern dahinter gesetzt, ich erläutere das gleich, „Licht-Äther, Raum-Äther, neue Argumente dafür, dass es den Äther tatsächlich gibt oder geben könnte“. Das ist der zweite Teil des Mittelteils dieser Vorlesung „Licht und Bewusstsein“. Beide Begriffe sind nicht selbstverständlich. Ich will sie kurz erläutern. Was ist Licht-Äther und was ist Raum-Äther?

Die Lichteräther-Frage ist zunächst einmal die Frage nach dem schwingenden Medium dessen, was wir indirekt, wie Sie wissen, als Licht wahrnehmen. Es geht also um die Frage, in welchem Stoff, in welchem quasi-stofflichen Medium schwingt das Licht, das wir sehen bzw. eigentlich nicht sehen? Ich habe Ihnen das ja das letzte Mal erläutert, dass wir hier im strengen Sinne des Wortes das Licht gar nicht sehen können. Das Licht selber ist unsichtbar. Es ist quasi dunkles Licht, sondern wir sehen nur die Phänomene, Dinge, Gegenstände, Objekte, wenn Licht auf sie fällt, nicht im eigentlichen Sinne das Licht selbst. Es gibt im eigentlichen Sinne auch keine Lichtstrahlen. Das sind Bilder, in gewisser Weise anschauliche Fiktionen für einen im Grunde genommen schwer verständlichen und auch in der Tiefe wirklich schwer zu vermittelnden Vorgang im Raum.

Also die Lichtäther-Frage ist diese Frage: Gibt es da ein Medium oder schwingt das Licht quasi im Nichts? Gibt es ein schwingendes Nichts oder ein schwingendes Etwas, das die Frage des Lichtäthers, die das 19. Jahrhundert sehr beschäftigt hat, im 20. Jahrhundert in den Hintergrund gedrängt worden ist, ohne dass sie vollständig geklärt oder gelöst worden wäre. Dazu nachher mehr.

„Raum-Äther“ ist noch schwieriger. Raum-Äther meint im Grunde die Vorstellung, dass der Raum selber als solcher, der Weltenraum, der unbegrenzte Raum, als Behälter der Dinge eine Art von Äther selber ist. Das hieße also, dass nicht der Äther sich im Raum befindet, sondern dass der Raum selber eine Art Äther darstellt. Das kann man verschieden deuten, interpretieren: Bedeutet das eine quasi-Verstofflichung des Raumes? Dann wäre ja der Raum ein feinster quasi-Stoff. Solche Gedanken gibt es ja auch in Zusammenhang mit der Diskussion in den letzten Jahren über eine sogenannte Vakuumenergie, auch Raumenergie. Darüber soll noch zu sprechen sein. Also im Grunde ein sehr schwieriger Begriff. Raum-Äther, nicht identisch mit Licht-Äther, obwohl beide Begriffe ganz dicht miteinander zu tun haben und in gewisser Weise auch dieselbe Grundfrage berühren, nämlich die Frage: Was hat das Licht, dieses rätselhafte Etwas, mit dem Raum zu tun? Das hat uns ja schon das letzte Mal beschäftigt.

Ich will mal einsteigen mit zwei kurzen Zitaten von zwei vollkommen verschiedenen Denkern, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, und zwar sowohl mit der Raumäther-Frage als auch mit der Lichtäther-Frage, die ja auch in meinem Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“ eine zentrale Rolle spielt. Der ursprüngliche Titel des Buches sollte überhaupt heißen „Weltäther, Weltseele, Raumenergie“. Aus verschiedenen Gründen ist es dann geändert worden.

Ich nehme mal als Beispiel den bedeutenden Arzt und Theoretiker der Orgon-Energie, Wilhelm Reich. Der hat ein Buch geschrieben 1949, auf Englisch erschienen: „Ether, God and Devil“. Da macht er den Versuch, übrigens zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, eine Art in sich konsistente Äther-Theorie zu entwickeln, die er dann zusammenschließt mit dem, was er als Orgon-Energie bezeichnet, entdeckt zu haben und plausibel gemacht zu haben glaubte, wie immer man heute dazu im Einzelnen stehen mag. Das schreibt er im Mittelteil dieses Buches „Äther, Gott und Teufel“, 1949 wohlgemerkt, also vier Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombomben. Darauf bezieht er sich auch hier. Zitat Wilhelm Reich, Seite 84, „Äther, Gott und Teufel“. Die deutsche Übersetzung ist nicht von Reich selber: „Da die physikalische Anschauung der Natur ein Ergebnis der biologischen Konstitution des Naturbetrachters ist“, eine Prämisse von Reich, „kann das Weltbild nicht vom Schöpfer des Weltbildes getrennt werden.“ Eine Grundprämisse, die ja viele heutige, überhaupt Mainstream-Physiker so in der Form ablehnen würden. „Kurz, der Naturforschung, die die Atombombe erfand, steht die Naturforschung, die die kosmische Orgon-Energie entdeckte, gegenüber, scharf, klar und unvereinbar.“ Jetzt kommt die entscheidende Passage, die wird im Text kursiv hervorgehoben. „Es geht um die Entscheidung der Frage, ob die Natur ein leerer Raum mit einigen wenigen weit zerstreuten Flecken“, also etwa Materie und ihre Partikelchen, „ob die Natur ein leerer Raum mit einigen wenigen weit zerstreuten Flecken oder ob sie ein Raum voll von kosmischer primordialer Energie ist, ein Kontinuum, das lebhaft funktioniert“, er meint wahrscheinlich lebendig funktioniert, „und einem allgemein gültigen Naturgesetz gehorcht“. Primordial heißt ursprünglich. Also die Frage: Ist der Raum eine Leere? ‒ im Sinne des antiken Atomismus, etwa von Leukippos oder Demokrit, eine Leere, innerhalb derer sich einzelne Partikel, im Sinne von Demokrit Atome, befinden? Oder ist der ganze Raum gefüllt? Gibt es also in diesem Sinne überhaupt keinen leeren Raum? Der Raum selber ist quasi eine vibrierende, allgegenwärtige, alles durchdringende, alles umhüllende und alles bestimmende Energie, eine primordiale Energie. Das ist ja im Grunde genommen in gewisser Weise eine Verlebendigung der alten Äther-Vorstellung, auf die sich auch Reich direkt beruft. Er hebt das auch hervor, das sei im Grunde genommen nichts weiter als der alte Äther-Gedanke neu betrachtet von der Theorie der Orgon-Energie aus. Dann heißt es weiter:

„Der Techniker der Physik, dessen Denken von der mechanistischen Weltanschauung geprägt wurde, hält alle, aber auch alle physikalischen Probleme für grundsätzlich gelöst. Sein Weltbild erschöpft sich darin, dass Flugzeuge durch feine Apparate gelenkt werden können, so dass der lebende Pilot ausgeschaltet ist.“ Das ist das, was ich seit Jahren bezeichne als die Subjektblindheit der Naturwissenschaft, die Ausschaltung, die Eliminierung der lebendigen Subjekthaftigkeit des Betrachters. Letztlich wird die Welt zum bloßen Objekt, zum Ding und damit in gewisser Weise zu einem geheimnislos planierten Flachland degradiert. „Den Einbruch der infamsten Mordwaffe seit Menschengedenken hält er für den Anbruch einer neuen Ära der Atomenergie“. Also 1949 bezogen auf 1945, Atombombe über Hiroshima und Nagasaki. „Seine Welt zerfällt ihm unter den Beinen, doch sein Weltbild ist fest und kompakt, in erster Linie bestehend aus einem leeren Raum und einigen wenigen Flecken darin. Wir wollen uns mit ihm nicht weiter auseinandersetzen, obgleich seine Meinung ein wesentliches Stück der allgemeinen Meinungsbildung darstellt. In dieser Meinung hat das Lebendige keinen Platz mehr. Der praktische Effekt seiner Anschauung von der Natur ist destruktiv. In der Theorie durch Auslassung der lebendigen Substanz aus aller Betrachtung ‒“, also das wäre theoretisch konzeptionell, der Betrachter fällt raus, „ in der Praxis durch sozialen Mord und Krieg. Also sehr weitgehend die These von Reich, die besagt, die Eliminierung der lebendigen Subjekthaftigkeit des Naturforschers bedeutet nicht nur theoretisch-konzeptionell, dass die Dimension des Lebendigen und auch des Bewusstseins fehlt, sondern bedeutet auch in der sozialen politischen Praxis Destruktion, Gewalt, Unterdrückung, Kolonialisierung und so weiter. „Es ist anders mit den Begründern dieser toten und tötenden Weltanschauung bestellt. Die Begründer des leeren toten Universums sind kluge und gelehrte Menschen“ und so weiter. „Woher kommt es, müssen wir fragen, dass die mechanistische Physik durch ihre hervorragendsten Vertreter sich für bankrott erklärte, aber bisher die Fähigkeit nicht aufbrachte, den eisernen Ring ihres Denkens zu durchbrechen, in dem sie sich gefangen fühlt“ und so weiter. Eine sehr schöne und prägnante, ja auch provokative, auch plakative Passage.

Jetzt mal einige Jahrhunderte zurück. Einer, der mehr als andere, in den letzten Jahrhunderten nachgedacht hat, auch über die Frage des Äthers, und zwar primär über die Frage des Raum-Äthers war Giordano Bruno, vor allen Dingen im Zusammenhang mit der neuen Situation, die sich ergeben hatte ihm Nachkopernikanismus. Die Äther-Frage stammt aus der griechischen Antike und war ursprünglich bezogen auf ein geozentrisches, kugelförmiges Gesamtuniversum, nicht auf einen entgrenzten Raum. Übrigens ist die Etymologie des Äther-Begriffes, soweit ich weiß, undeutlich. Es hat zu tun mit einem leuchtenden, schnell bewegten Etwas. Es gibt unterschiedliche Ableitungen, was eigentlich genau dieser Begriff „Äther“ meint. Und in einer seiner berühmtesten Schriften „Von dem Unendlichen, dem All und den Welten“ äußert sich Bruno an mehreren Stellen zu dieser Frage des Äthers, in seinem Sinne eines ins Unendliche entgrenzten Alls, also nicht eines sphärenmäßig kugelförmig beschränkten, begrenzten Alls, auch im Sinne einer All-Lebendigkeit, All-Beseeltheit, eines Weltseelen-Universums.

Zitat Giordano Bruno aus diesem Buch: „Alle diese Welten“ ‒ Gestirne ‒ „sind bewohnt von lebenden Wesen. Sie selber sind die bedeutendsten und göttlichsten Lebewesen des Alls.“ Darauf werde ich noch in 14 Tagen bzw. in der Folge dann in drei Wochen oder vier Wochen eingehen im Zusammenhang mit Gaia und Demeter, auf diese Vorstellung, dass die Gestirne selber große Lebewesen sind. „Außerhalb der vier Elemente ist eine unermessliche ätherische Region, in der alles sich bewegt, lebt und webt. Dies ist der Äther, der jegliches Ding umfasst und durchdringt, der, soweit er sich innerhalb einer Sphäre befindet“, innerhalb einer Gestirnsphäre ist hier gemeint, „gewöhnlich Luft genannt wird, wie zum Beispiel diese Dunstatmosphäre zwischen den Meeren und Bergen mit ihren dichten Wolken und stürmischen Winden. Sofern er aber rein ist, also im eigentlichen Sinne Äther und keinen Teil der Zusammensetzung mehr bildet, sondern den Schoß und Umfang, in dem die Weltkörper sich bewegen und laufen, heißt er im eigentlichen Sinne Äther. So hat der Äther an und für sich keine bestimmte Eigenschaft, Form oder Gestalt, sondern empfängt dieselbe von dem nächsten Körper, die er selbst durch seine Bewegung zur Wirksamkeit anregt. (…) Denn wir kennen“, kleine Passage habe ich übersprungen, „einen Himmel, einen unendlichen Raum, in dem die Weiten ihre Räume, Bahnen und zureichende Entfernung haben, der sich überall ausbreitet, alles durchdringt und umfasst, in stetigem Zusammenhang keine Leere lässt, wenn man nicht etwa ihn selbst als Leere bezeichnen will“, also als Vakuum bezeichnen will, „oder etwa als das Substrat des leeren Raumes.“

Das ist im Grunde genommen schon ein erster Entwurf, wenn man das so nennen will, einer Art von Raumenergie oder Vakuumenergie, weil Bruno ja hier sagt, man könnte diesen Raum, die Leere, auch als Vakuum bezeichnen und dann könnte man diesem Vakuum auch eine eigene Raumenergie, Vakuumenergie zuordnen, ein Substrat des leeren Raumes. „Denn wenn wir den leeren Raum als ein bestehendes Ding auffassen wollen, so müssen wir schon sagen, er sei das ätherische Gefilde, das die Weltkörper enthält und einhüllt. Auf den siebenten Einwurf antworten wir …“, das betrifft Aristoteles und seine Argumentation gegen einen unbegrenzten Raum. Aristoteles hatte ja in seiner Schrift „De Cielo“ („Vom Himmel“) Argumente vorgetragen, warum der Raum nicht unendlich sein kann. Ich habe das schon angedeutet, ich will das nicht noch mal wiederholen. Sie erinnern sich vielleicht an diese Denkfigur, die ich Ihnen versucht habe darzustellen, dass diese riesige Hohlkugel, die der Kosmos darstellt, keine Außenwölbung hat, also nicht in einem direkten, quasi naiven Sinne eines Ortes in einem Raum sich befindet, sondern in gewisser Weise keinen Ort hat. Diese Kugel ist keine wirkliche Kugel, sie ist nur eine Hohlkugel. Außen ist sie nicht im Nichts, aber in einem Etwas jenseits von Zeit, Raum und unserer Vorstellung von sinnlich- physischer Manifestation, also in einem letztlich geheimnisvollen Etwas, in dem Aristoteles dann auch den göttlichen, unbewegten Beweger ansiedelt. „Auf den siebten Einwurf antworten wir, dass das unendliche Weltall in Wahrheit nur eins und ein unermessliches Kontinuum des reinen Äthers ist, gefüllt mit zahllosen Welten, die in verschiedenen Teilen desselben, wie die unsrige in dem Teile, wo sie sich befindet, weben und leben.“ Und dann heißt es in einer kurzen anderen Passage, die ich noch eben vorlesen möchte hier … Nein, das kann ich auslassen, das brauch ich jetzt nicht, das ist im Wesentlichen mit anderen Worten noch mal eine ganz ähnliche Denkfigur ausgesprochen, das muss ich nicht noch mal hier vorlesen.

Also wir haben, um das nochmal auf den Punkt zu bringen, bei Wilhelm Reich und bei Giordano Bruno sehr verschiedene Konzeptionen von Äther, aber doch, wenn man genau hinschaut, eine gewisse Parallelität. Das ist kein Zufall. Reich, wie sie vielleicht wissen, ein großer Bewunderer von Giordano Bruno ‒ er hat ihn sehr geschätzt und gerade in seinen späten Jahren immer wieder hervorgehoben. Was ist die Parallelität? Beide sagen: Der leere Raum, das Vakuum ist nicht wirklich leer, sondern in diesem Raum gibt es ein Etwas. Reich sagt: eine universale primordiale, ursprüngliche Energie, eine vibrierende Ur- und Grund-Energie, die alles umhüllt und durchdringt, die also so fein ist, dass sie Materie mühelos durchdringen kann.

Wenn wir den erst später ins Spiel kommenden Begriff der Verstrahlung hier reinbringen, wir sagen müssten oder würden, man könnte hier von Verstrahlung sprechen, dann könnte es ja nur eine Verstrahlung sein, die so ungeheuer energiereich ist, die eine quasi unendlich kleine oder unendlich große Wellenlänge hat bzw. eine quasi unendliche Geschwindigkeit. Die würde in der Lage sein, auch die dickste Materie wie Schaum, wie ein Nebelgebilde zu durchschlagen. Und es gibt Hinweise darauf, dass man sagen kann, dass die Gravitation eine solche Qualität aufweist. Also das ist die Frage, um die es geht. Es geht um die Frage, gibt es so eine universale Substanz? Und wenn ja: Warum spielt sie in der Mainstream-Physik keine Rolle mehr?, muss man sagen, hat sie jemals eine Rolle gespielt? Auch das müsste uns noch beschäftigen und wird uns noch beschäftigen.

Ich beginne mal mit der Frage nach dem Licht-Äther. Das habe ich in der letzten Stunde, am zehnten Jahrestag des Mauerfalls auch kurz schon angedeutet und dann abgebrochen, weil ich etwas früher Schluss gemacht habe.

Als im frühen 19. Jahrhundert, gut begründet und gut fundiert von einigen Physikern, vor allen Dingen von dem Engländer Thomas Young und dem Franzosen Augustin Fresnel, die im Grunde alte Theorie wieder aufgegriffen wurde, dass Licht eine wellenförmige Schwingung ist ‒ dafür gab es gute Gründe, etwa das berühmte Doppelspalt-Experiment ‒ hat sich diese Theorie aus zwei Gründen zunächst sehr, sehr schwer durchsetzen können, obwohl die experimentellen Belege überwältigend waren und alle Analogien mit den gemeinhin bekannten Wellen, etwa Wasserwellen, ja auffällig waren, kaum zu widerlegen. Warum war das so schwer, dieser Theorie zum Durchbruch zu verhelfen?

Das hatte zwei Gründe. Auf der einen Seite war im 18. Jahrhundert über viele Jahrzehnte hinweg in der Newton-Nachfolge die Behauptung in der Mainstream-Physik der damaligen Zeit fast ein Dogma, Licht ist ein feinster Teilchenschauer. Licht, das sind feinste, von den Licht aussendenden Körpern unaufhörlich abgestrahlte Partikel. Nicht, Newton hatte ja seine ganze Optik darauf aufgebaut. Licht ist feinste Materie. Das ist also ein ständiger Geschosshagel. Das würde auch für dieses Licht in dem Raum gelten. Ein ständiger Hagel von winzigsten Geschossen, wobei er natürlich davon ausgehen musste, im Sinne seiner Gravitationstheorie und seinen Fiktionen, Hypothesen, dass dann auch selbstverständlich diese Geschosse von der Gravitation gebogen werden müssen, dass es im Grunde gar keine Geradlinigkeit der Bewegung geben darf, das war das Eine. Es war, wenn man so will, eine Lähmung durch eine Autorität.

Der zweite Punkt war fast noch gravierender. Als man die experimentellen Ergebnisse soweit auch in der Scientific Community Europas also nicht mehr bezweifeln konnte, gab es ein weiteres Problem, das jetzt die Wissenschaftler beschäftigte und in Schwierigkeiten brachte. Das habe ich angedeutet. Wenn Licht tatsächlich eine Wellenbewegung ist, dann müsste sich diese Wellenbewegung, die man ausrechnen kann, [sich] mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit abspielen, das heißt also billionenfach in der Sekunde mit einer unvorstellbar winzigen Wellenlänge. Und wenn man jetzt sich überlegt, was ist das für ein Stoff oder ein quasi-Stoff oder ein Etwas, das überhaupt in der Lage ist, mit so einer extrem winzigen Wellenlänge in so rasender, unvorstellbarer Geschwindigkeit [sich] zu bewegen, dann kam man in ein Labyrinth von Widersprüchen hinein. Denn man musste letztendlich davon ausgehen, dass diese Substanz, dieser Äther, dieses Etwas, eine Dichte hat, um ein zigtausendfaches größer als Stahl, eine ungeheure, massive Dichte. Und gleichzeitig musste dieser Stoff eine Feinheit haben, die feiner ist als das feinste Gas. Das heißt, das waren Momente, die in sich vollkommen widersprüchlich waren, die man physikalisch überhaupt nicht vereinbaren konnte. Wie kann ein Etwas, ein quasi-materieller Stoff auf der einen Seite ungeheuer dicht sein, kompakt sein, das zigtausendfache von Stahl notwendig haben müssen, auf der anderen Seite aber eine Feinheit, so fein, feiner als jedes Gas, dass es die Materie mühelos durchdringt? Das war die Äther-Frage der Physik im 19. Jahrhundert. Das war nicht mehr die Raum-Äther-Frage, etwa im Sinne von Giordano Bruno und anderen. Das war von vornherein eine wesentlich eingeschränkte Vorstellung von Äther, im Grunde schon eine mechanistische Äther-Vorstellung.

Wenn man die Literatur im 19. Jahrhundert sich anschaut, die großen Denker der Physik darüber befragt, dann stellt man fest, dass das ein ständiges und quälendes Problem war. Man kam nicht zurande mit der Frage: Was ist dieser Äther? Was hat er für Eigenschaften? Und sind die überhaupt in irgendeiner Form physikalisch verifizierbar? Das war das Eine. Dann kam noch ein Weiteres, eine weitere Schwierigkeit hinzu, die das Ganze noch komplizierter machte. Es wurden Überlegungen angestellt: Wo befindet sich dieser Äther? Ist dieser Äther sozusagen über den ganzen Raum verbreitet, quasi ruhend wie eine Atmosphäre oder wie eine Flüssigkeit, eine ruhende Flüssigkeit, so dass die Körper im Raum sich durch diesen Äther hindurch bewegen, der seinerseits ruht? Dann hat man hochkomplizierte, auch intelligent konzipierte Experimente sich ausgedacht, wie man das beweisen kann, dass es diesen ruhenden, diesen statischen Äther tatsächlich gibt.

Und das berühmteste Experiment dieser Art, eines der berühmtesten Experimente überhaupt in der gesamten Physik-Geschichte, war das Michelson-Morley-Experiment. Das werden Sie vielleicht wissen. 1881 hier in Potsdam-Babelsberg hat der Physiker Michelson, bevor er Jahre später nach Chicago auswanderte und das dann 1887 mit seinem Kollegen Morley wiederholt hat, einen Versuch, eine Versuchsanordnung aufgestellt, die davon ausging, die das Ziel hatte, zu beweisen, wenn diese Erde sich durch einen ruhenden Äther, durch diese feinste, rätselhafte Substanz hindurch bewegt, dann müsste es eine Art von Äther-Wind geben, wie ein Fahrzeug, das sich durch die ruhende Lufthülle bewegt, eine Art Windwiderstand registrieren muss. Nun hatte man dann einen Lichtstrahl parallel zur Erdbewegung gesandt, einen im rechten Winkel dazu, die dann im Spiegel … , auf eine Spiegelfläche zurückgeschickt und hatte nun erwartet, dass eine gewisse Interferenz der Lichtquellen eintreten müsste, weil, das kann man ausrechnen, das kann man mathematisch logisch plausibel machen, beide Lichtstrahlen dürften nicht gleich schnell sein. Das ist unmöglich. Das kann man mit dem Parallelogramm der Kräfte ausrechnen. Es gibt bestimmte Formeln dafür, an denen erstmal logisch-mathematisch nicht zu rütteln ist. Diese beiden Wege müssten verschieden lang sein, und dann müssten also diese beiden Lichtstrahlen geringfügig phasenverschoben, in einer sogenannten Interferenz, zusammen­kommen. Das ist nicht eingetreten erstmal. Die Physiker waren erstaunt, dass diese Ätherwind-Effekte ausblieben. Es gab überhaupt keine Ätherwind-Effekte, so schien es erstmal, und so wurde es auch dann in die breitere Öffentlichkeit getragen. Dazu gleich mehr, auch zu anderen Versuchen im 20. Jahrhundert.

Die Schlussfolgerung daraus war schwierig. Es gab nur relativ wenige Interpre­tationsmöglichkeiten dafür. Eine Interpretationsmöglichkeit war, das Gestirn Erde trägt diesen Äther einfach mit. Das war eine von mehreren Physikern auch favorisierte Deutung, die auch noch im 20. Jahrhundert immer wieder als Deutung aufgetaucht ist, die auch eine gewisse Plausibilität hat. Also wie die Erde [in] ihrer rasenden Geschwindigkeit, etwa 30 Kilometer pro Sekunde Orbital-Geschwindigkeit, ja die Lufthülle in einer Weise mitträgt, dass wir nicht ständig einen Fahrtwind spüren. Das war ja das Argument der Kritiker des Kopernikus, man müsste ständig einen Fahrtwind spüren, wenn denn die Erde so rasend schnell sich durch das All bewegt. Also ein Fahrtwind war nicht spürbar, warum sollte dann ein Äther-Wind spürbar sein? Also die Erde trägt den Äther mit. Das war eine Möglichkeit.

Und dann war eine andere Möglichkeit zu sagen: Es gibt den Äther überhaupt nicht. Das war ja die berühmte Lösung, die dann Einstein 1905 gefunden hatte, die er favorisierte, die berühmte Spezielle Relativitätstheorie. Es gibt diesen Äther überhaupt nicht, weil die Äther-Wind-Effekte sind nicht nachgewiesen worden. Es gab verschiedene Überlegungen, dass die Erde den Äther nicht mittragen konnte. Natürlich Grundüberlegungen, wie ist der Äther beschaffen. Das waren alles mehr oder weniger Vermutungen, denn diesen feinsten Stoff konnte man ja in keiner Weise fassen.

Und es ist erstaunlich, dass Einstein mit dieser zunächst Mal aberwitzigen, abenteuerlichen Theorie Erfolg haben konnte. Dass es bis heute immer schwierig war, die Spezielle Relativitätstheorie zu widerlegen, hängt einfach damit zusammen, dass es zunächst einmal heuristisch, in sich vollkommen zirkelhaft gebaut ist. Einstein war, das muss man hier sagen, weil es zum Thema auch gehört, seiner philosophischen Grundhaltung nach Licht-Metaphysiker. Einstein glaubte ganz tief, gleichsam archetypisch, das Licht ist eine absolute Qualität, das Licht ist quasi das Göttliche. Denken sie an das, was ich Ihnen erzählt habe letztes Mal über die drei Lichter ‒ das Ur-Licht, das absolute Licht, dann das Licht der Erscheinungswelt und das Licht des Geistes. Also Einstein war im Grunde Licht-Metaphysiker. Er glaubte an die absolute Seinsqualität des Lichtes und hielt es für legitim, nun das Licht, genauer in seinem Verständnis, diese sogenannte Lichtgeschwindigkeit absolut zu setzen. Wenn man das aber tat, dann ergibt sich notwendig aus dem Befund dieses Experimentes eine radikale, grundstürzende, ja erschreckende Relativierung von Raum und Zeit. Wenn man das so tut, dann steht kein Stein mehr auf dem anderen, weil dann in jedem Moment eines bewegenden Etwas im Raum und in der Zeit sich quasi das gesamte Raum-Zeit-Gefüge mit dieser einen absoluten Größe verändert. Und natürlich haben Kritiker an der Stelle ganz früh und bis heute muss man sagen, nicht wirklich widerlegt gesagt, allein der Begriff der Geschwindigkeit setzt logisch die Existenz eines in diesem Sinne absoluten Raum-Zeit-Gefüges voraus. Man kann einen Begriff von Geschwindigkeit, auch wenn er eine Höchstgeschwindigkeit ist oder sein soll, gar nicht abkoppeln von der Vorstellung eines in diesem Sinne absoluten Raum-Zeit-Gefüges. Das ist ein logischer Einwand, der immer wieder gebracht worden war, dem mit empirischen Argumenten entgegnet wurde.

Also, es war letztlich eine licht-metaphysische, im Grunde philosophische Konzeption. Kritiker haben immer wieder gesagt: Im Grunde ist es eine Licht-Metaphysik und -Philosophie, an die sich eine Physik anschließt, die aber in sich, ich sage es noch mal, heuristisch vollkommen dicht gebaut ist, deswegen alle vorschnellen und oft flachen und oberflächlichen Versuche, das aus den Angeln zu heben, fast alle gescheitert sind, weil man den Kernpunkt berühren müsste, der aber nicht berührt wurde.

Also Einstein hat die Physik des zwanzigsten Jahrhunderts, jedenfalls die Mainstream-Physik, erst einmal dahingehend beeinflusst, bis heute in alle Lehrbücher hinein: Den Äther gibt es gar nicht. Das hat natürlich lange gedauert. Von 1905 dann 14, 15, 18, 19 bis in die 20er Jahre hinein, bis sich das wirklich durchgesetzt hat. Irgendwann, man kann sagen, in den frühen 40er Jahren war es endgültig soweit: Der Begriff Äther war vollständig aus der physikalischen Diskussion eliminiert, und es war wissenschaftlicher Selbstmord, noch fürderhin von einem solchen Äther zu sprechen. Der das tat, war in den Augen der Mainstream-Physiker 19. Jahrhundert. Also wer ernsthaft noch von diesem Äther sprach, der zeigte, so wurde gesagt, dass er eigentlich gar nicht verstanden hat, was die eigentliche revolutionäre Neuerung dieser Idee war.

Nun hat das Ganze noch einige weitere, fast möchte man sagen, heitere Pointen. Ich selber habe lange Jahre, obwohl ich eine ganze Reihe von, denke ich, auch gut fundierten, Gegenargumenten gegen diese Spezielle Relativitätstheorie ins Feld geführt habe, nicht gewusst, dass es in den USA in den 20er, 30er Jahren eine Fülle von Versuchen noch mal wieder gegeben hat, diesen Äther-Wind festzustellen, etwa von Morley und dann nach dem Tod von Michelson mit Miller, etwa im Jahre 1927. Und ich habe mir die Mühe gemacht, das ist schwer, weil das Material ist schwer zugänglich, weil die meisten Lehrbücher berichten ja darüber nichts, da heißt es ja nur, es hat diesen Äther-Wind nicht gegeben. Man muss also ganz genau in die Materialien reingehen. Man muss wirklich recherchieren, um überhaupt dahin zu kommen, die Original-Ergebnisse sich anzuschauen. Siehe da, es hat fast immer einen Äther-Wind gegeben, fast immer. Dieser Äther-Wind war nur sehr gering, so dass er häufig als eine Messungenauigkeit hingestellt wurde. Also es gab fast immer einen gewissen Äther-Wind-Wert. Manchmal war er nur, lag er nur, bei acht bis neun Kilometer pro Sekunde, immerhin ein beachtlicher Wert, keineswegs eine „quantité négligeable“, sondern wirklich eine Größe. Und das hat großes Aufsehen erregt, als [19]27 die genauen Versuche dann in die Öffentlichkeit kamen. Es gab eine große öffentliche Diskussion darüber. Diese Diskussion ist nicht einfach, und das berührt ja unser Thema [als] eine, sagen wir mal, physik-immanente Diskussion. Man könnte hier sagen, was geht mich das an, ob es nun diesen Äther gibt, oder ob es ihn nicht gibt, oder ob es den Äther-Wind gibt, oder ob es den Äther-Wind nicht gibt. Das muss mich nichts angehen.

Das ist nicht so, weil die Fundamente dessen, was wir verstehen, verstehen können von Raumzeit, Licht, Kausalität und anderen Grund-Koordinaten der Existenz damit zusammenhängen. Und das hängt auch zusammen mit grundlegenden Koordinaten unseres gesamten Seins-Verständnisses. Das ist also nicht einfach eine Sache einer intellektuellen oder gar nur Physiker betreffenden Frage.

Also es gab diese Äther-Wind-Experimente, sie waren erfolgreich, man hat den Äther-Wind gemessen. Es gab natürlich früh Versuche, den alten ruhenden Äther zugunsten eines eher dynamischen Äthers zu überwinden. Einer dieser Versuche ist der Versuch von Wilhelm Reich, hier in diesem Buch [von] 1949, einen dynamischen, einen bewegten Äther anzunehmen. Und wenn man von diesen Prämissen dann ausgeht, dann kann man dahin kommen zu sagen, es kann diesen Äther-Wind nicht geben, den es aber doch gab. Das ist sehr kompliziert, weil die meisten Autoren, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, felsenfest davon ausgehen, es hat den Äther-Wind nicht gegeben, auch übrigens Reich. Es hat den Äther-Wind aber tatsächlich gegeben, er ist nur sehr klein. Man muss dann also in die Interpretation einbeziehen, dass diese Möglichkeit besteht. Das ist aber jetzt eine sehr differenzierte Betrachtung, die ich an d[ies]er Stelle nicht weiterführen möchte, kann das aber gerne, wenn die Frage darauf kommt, noch in der Diskussion machen. Weil das geht sehr ins Detail dann hinein.

Dann, wie kann man das dann erklären? So oder so, mit Einstein ist es nicht zu erklären, das wusste er. Er hat auch 1927 ausdrücklich gesagt, wenn die Michelson-Morley-Versuche tatsächlich einen Äther-Wind gezeigt hätten, wäre die Spezielle Relativitäts­theorie dahin. Weil, diesen Äther-Wind darf es nicht geben, weil die Lichtgeschwindigkeit gilt als eine absolute Größe und wenn diese absolute Größe nicht gewährleistet ist, dann kann das nicht nur, wie man ja sagen könnte, auf einer Messungenauigkeit beruhen.

Ich habe mich in dem Buch hier, „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“, auch zu dieser Frage im 7. Kapitel relativ eingehend geäußert, auch zu einer möglichen Inter­pretation dieser Phänomene, die davon ausgeht, dass der Äther tatsächlich mitgetragen wurde. Bloß, man muss dann andere Eigenschaften für diesen Äther annehmen, als sie in der Hypothese des ruhenden Äthers angenommen wurden.

Also, wenn man die letzten Jahre, sagen wir mal 10, 12 Jahre sich anschaut, dann stellt man fest, dass zu der Frage eines sogenannten Lichtäthers … [Audio-Fehlstelle]… eine kurzschlüssige Schlussfolgerung, eine zu kurz gegriffene Schlussfolgerung. Ich glaube, dass man, um das Phänomen Bewusstsein zu verstehen, noch in andere Dimensionen hinein­gehen kann und auch sollte, auch davon wird noch zu reden sein, die ich mit dem alten Begriff Weltseele bezeichne.

Es gibt zum Beispiel den Systemtheoretiker, Philosophen und Physiker Ervin Laszlo, der in seiner Psi-Feld-Theorie, eine hochinteressante Raum-Äther-Theorie aus der Mitte der 90er Jahre, sagt, dieses Feld ist, so wörtlich Laszlo, eine Art verallgemeinerte Psyche des Universums. Das ist ja nur ein anderes Wort für Weltseele. Er setzt also seine Sub-Quanten-Energie, seine Vakuumenergie, seine Äther-Energie, Äther-Raum, gleich mit der Weltseele. Er macht da keinen Unterschied mehr. Und da liegt ein Punkt, den man genau betrachten muss, und der sich auch wie ein roter Faden durch diese Vorlesung zieht, dass man da genau unterscheiden muss: Ist das angängig? Ist das nicht dann letztlich nur wieder eine neue Form von Reduktionismus?

Reduktionismus, kurz gesagt noch mal als Begriff, weil er etwas plakativ ist ‒ das Bemühen, alle geistig-seelischen Phänomene, jetzt bezogen auf das Bewusstsein, letztlich zurückzuführen auf materielle oder energetische oder im engeren Sinne verstandene naturgesetzliche Faktoren. Kurzformel: Bewusstsein ist nur ein sogenanntes Epiphänomen, hat keine eigene Qualität und als Epiphänomen, auch etwa neurophysiologisch, gehirnphysiologisch, total abhängig von dem jeweiligen materiellen Substrat. Das ist im Grunde genommen, wenn man es noch auf eine vereinfachte Formel bringen will, der Versuch, also Reduktionismus wäre dann der Versuch, alles Innen auf Außen zurück­zuführen. Das ist ja überhaupt eine Grundtendenz des modernen Denkens seit drei-, vierhundert Jahren alles Innen als ein letztlich nur Außen zu beweisen. Das heißt, allem Innen ein materielles Korrelat zuzuordnen im Sinne der Kausalität. Weil dieses materielle Substrat so gebaut ist, so arbeitet, so funktioniert, hat es die[se] und jene Auswirkungen, die wir Bewusstsein nennen. Also im Letzten eine reduktionistische Sicht.

Ich will das nur sagen, weil das ein Punkt ist in der „New Science“ [Physik-erneuerungsbewegung, Ende 20./Anfang 21. Jhd.] , der heikel ist. Und da bewegt man sich auf einer Grenzzone, wenn es da nicht gelingt, ich will dann nach der Pause das auch weiter ausführen, wenn es da nicht gelingt, Bewusstsein in einem tieferen Sinne noch einmal neu ins Spiel zu bringen, wird das, glaube ich, sehr schwierig werden, wirklich eine „New Science“, oder wie ich das nenne, eine andere Naturwissenschaft, zu etablieren. Dann läuft man immer Gefahr, dass man letztlich nur eine, sagen wir mal modifizierte Version der Mainstream-Naturwissenschaft präsentiert.

Und die Diskussion ist auf jeden Fall sehr lebendig, die wird geführt und auch sehr kontrovers geführt, und ich versuche, soweit ich es kann, mich an dieser Diskussion zu beteiligen, mich da wirklich kräftig auch einzumischen.

Also nochmal ganz kurz jetzt vor der Pause. Wir haben heute im ausgehenden 20. Jahrhundert eine Situation, wo die Licht-Äther-Frage kaum eine Rolle spielt. Und da ist dann doch der enorme Einfluss, Einstein so oder so, dann doch spürbar. Aber die Raum-Äther-Frage, häufig auch als Vakuum-Frage, als Raum-Energie-Frage, bezeichnet, ist zentral, ohne dass eigentlich die Licht-Äther-Frage in diesem von mir genannten Sinne wirklich jemals gelöst worden wäre. Sie ist nicht wirklich gelöst worden. Jeder Elektrotechniker etwa operiert wie selbstverständlich, auch ohne dass er sich mit theoretischer Physik beschäftigt oder ohne dass er gar naturphilosophische Grundlagenreflexionen anstellt, operiert wie selbstverständlich mit der Existenz, mit der objektiven Existenz eines wie immer gearteten Äthers. Das ist aus dem Elektromagnetismus, auf dem er einen Großteil der modernen Technik auch beruht, überhaupt nicht wegzudenken. Nur wird die Frage kaum gestellt oder eher in den Hintergrund gedrückt: Was ist denn dieses Etwas, etwa auch elektromagnetisch verstanden, was in der Lage ist, so unendlich viele Informationen auf verschiedenen Frequenzen zu speichern?

Die Freaks mit ihren Handys denken ja im Normalfalle nicht darüber nach, was da eigentlich Ungeheuerliches ständig passiert, obwohl es hochinteressant ist und auch sogar physikalisch hochinteressant im Hinblick auf die Äther-Frage, sich zu überlegen, wann hat man einen klaren Empfang, und wann nicht, d. h. wann wird dieses Äther-Meer quasi abgeschirmt? Wann funktioniert es nicht mehr? Und wie ist es möglich, dass unendlich viel an Information sich auf so kleinstem Raum [befindet]. Alleine in diesem Raum sind abermillionen Informationen im winzigsten Raumteil anwesend, ständig anwesend, könnten auch theoretisch, die geeigneten Geräte vorausgesetzt, kontaktiert werden. Und das ruft immer wieder die Frage auf oder hervor: Was ist dieses Etwas? Was für eine Zustandsänderung eines rätselhaften, allgegenwärtigen Fluidums, das man eben früher Äther nannte und das man heute eher, wie das einige tun, einfach als Vakuum bezeichnet? Das ist einfach das Vakuum. Denken sie an das, was wir gehört haben von Wilhelm Reich, aber auch von Bruno, der in gewisser Weise auch so etwas sagt. Nicht, das Zitat aus dem „Vom Unendlichen“: „Das Vakuum, die Leere ist dieser unendliche Äther selbst.“ Bruno sagt ja ausdrücklich nicht dieser Äther befindet sich im Raum. Er sagt, dieser Äther ist in gewisser Weise dieses Vakuum selber, ist in gewisser Weise dieser unendliche Raum.

Ich habe etwas überzogen. Wir machen mal eine kleine Pause … zu dieser ganzen Frage.

Bevor ich eine kleine Passage mal aus dem Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle – Impulse für eine andere Naturwissenschaft“ von mir vorlese, möchte ich noch einmal auf einen anderen Punkt eingehen.

Ich sagte vorhin, dass die Frage nach einem möglichen Äther keine ausschließlich oder gar primär physikalische, erkenntnistheoretische oder nur naturphilosophische Frage sei, sondern dass das auch zu tun hat mit unserem Selbstverständnis als Menschen hier auf der Erde im Kosmos. Deswegen ist die Frage interessant, um es schwach auszudrücken. Sie ist eine zutiefst aufwühlende Frage. Und der Zusammenhang, den auch hier Reich herstellt , existiert wirklich. Das hat wirklich etwas zu tun mit der Frage von Leben und Bewusstsein und auch mit den Ursprüngen von Leben und Bewusstsein. Also [das ist] nicht nur eine Frage, die man quasi ausgrenzen könnte aus der eigenen Existenz. Hinzu kommt, das habe ich vor einer Woche auch schon angedeutet, dass in dem Zusammenhang natürlich immer die Frage gestellt wird nach der Herkunft des Lichtes.

Ich habe einige Bemerkungen gemacht über die Widersprüchlichkeit und Rätsel­haftigkeit der herrschenden Theorien über die Sonne. Die Sonne wird von den meisten als vollkommen selbstverständlich betrachtet. Sie ist halt da, ohne dass man in einem tieferen Sinne darüber nachdenkt. Aber sie sollte oder könnte doch zum Nachdenken veranlassen. Sie könnte oder sollte einen wirklich zum Grübeln bringen. Was ist dieses rätselhafte Etwas, was als Sonne bezeichnet wird? Was hat es für eine Qualität und wie hängt das Licht damit zusammen? Die herrschenden Theorien, die vielfältig popularisiert, überall nachzulesen sind, die muss ich hier nicht paraphrasieren, sind auf dünnem Boden gebaut. Und es gibt, wie auch in der Diskussion im Übrigen in der Werkstatt für dezentrale Energieforschung dann deutlich wurde, eine Fülle von, tausende von rätselhaften Faktoren, die sich gar nicht in einen konsistenten Theorierahmen bringen lassen.

Das ist ein Mysterium, eine Fülle von Fragen. Und es hat natürlich im Laufe des 20. Jahrhunderts auch, übrigens auch von Wilhelm Reich, aber auch von Nikola Tesla und anderen, immer wieder Überlegungen gegeben, die Entstehung und den Transport des Lichtes durch den Raum ganz anders zu deuten. Ich wusste das bei Tesla nicht, ich habe das erst in einem Aufsatz erfahren, den mir im letzten Jahr Marco Bischof mal als Kopie gegeben hat. Ein Aufsatz von ihm: „Nikola Tesla, ein ‚Schamane des 20. Jahrhunderts’“. Da habe ich zu meiner Verblüffung gelesen, was mir bis dahin vollkommen unbekannt war, dass auch Tesla der Auffassung war, dass Licht nicht direkt von der Sonne ausgeht, sondern das Licht im Spannungsfeld, quasi im Äther-Spannungsfeld dieser zwei Gestirne, in dem Raum dazwischen, was auch Wilhelm Reich annahm, erstrahlt. Ich lese mal diese kurze Passage hier vor. Ich weiß nicht genau die Quelle, auf die sich hier Marco Bischof bezieht, kenne also die Texte diesbezüglich von Tesla nicht. Da schreibt hier Marco Bischof, Tesla wiedergebend, ich muss das mal so hinnehmen. Ich lese das mal vor: „Zwar ist der Äther seit etwa 1940 gänzlich aus den Physik-Lehrbüchern verschwunden“, das habe ich ja gesagt, „und jeder, der seither wie Tesla ernsthaft den Äther zur Sprache brachte, wurde als Ignorant oder Pseudowissenschaftler angesehen.“ Sie wissen, dass es eine heftige Diskussion ja über die Frage des Äthers auch im Zusammenhang mit Nikola Tesla in dem Zusammenhang gegeben hat. „Trotzdem haben sowohl Michelson selbst wie auch Dirac und de Broglie das Äther-Konzept aufrechterhalten und weiterentwickelt. Und auch der große Mathematiker und Physiker Poincaré meinte, wir haben uns vorzeitig vom Konzept des Äthers befreit“, Parenthese, das bringt hier Marco Bischof nicht an der Stelle, es gibt einen berühmten Vortrag von Einstein 1920 an dieser Universität, Friedrich-Wilhelms- Universität, mit dem Titel „Äther und Relativitätstheorie“, wo Einstein überraschend., meistens ist das nicht bekannt, sagt, Physik ohne Äther kann gar nicht betrieben werden. Der Äther muss in der Physik weiterverwendet werde, nur darf es nicht der Äther des 19. Jahrhunderts sein. Ich habe eine kurze Passage aus diesem Einstein-Vortrag auch in dem Buch zitiert, weil es aufschlussreich ist, dass Einstein da einräumt, dass man ohne das Äther-Konzept letztlich gar keine Physik betreiben kann, nur eben darf es kein mechanistisch verstandener Äther im Sinne der mechanistischen Physik sein. Jetzt heißt es hier weiter im Text über Tesla: „Es spricht überdies vieles dafür, dass Teslas universelles Kraftfeld etwas Subtileres, Differenzierteres und Präziseres ist als der undeutlich und allgemein gefasste Begriff des Äthers seiner Zeit“.

Wie gesagt, ich kenne die Texte nicht, auf die sich Marco Bischof hier beruft. „Das zeigt sich auch darin, dass Tesla überzeugt war, mit genau dem Kraftfeld, das er für ein nicht-elektromagnetisches hielt, technisch schon umzugehen. Er glaubte zum Beispiel, dass das Sonnenlicht das Ergebnis von Schwingungen in diesem Kraftfeld im Raum zwischen Erde und Sonne sei.“ Nochmal: „Er glaubte zum Beispiel, dass das Sonnenlicht das Ergebnis von Schwingungen in diesem Kraftfeld im Raum zwischen Erde und Sonne sei und sagte, er sei fähig hier auf der Erde ähnliche Schwingung zu erzeugen … “ und so weiter. Das sind diese ja viel umrätselten und auch belächelten, ja auch megalomanisch wirkenden Technikphantasien auch von Tesla, auf die ich hier im Einzelnen nicht eingehen möchte. Auf jeden Fall scheint es so zu sein, dass Tesla den Gedanken auch tatsächlich ventiliert hat, dass man Licht auch anders deuten kann als in dem üblichen Mainstream-Sinne, direkt aus einem als glühend vorgestellten Körper ausgehend, der Sonne genannt wird. Also ich prophezeie, ich glaube, ich habe das schon mal gesagt, dass diese Frage in den nächsten Jahren noch viel mehr ins Blickfeld rücken wird, weil das einer der ganz großen, man könnte es auch Skandale nennen, der Mainstream-Kosmologie und -Naturwissenschaft ist, dass keine wirkliche Klärung erfolgt ist über die Frage, was die Sonne eigentlich ist, und was Licht eigentlich ist, und wie und wo es sich bewegt, vor allen Dingen nicht über die Frage des Zusammenhangs von Licht und Raum. Das habe ich ja auch schon kurz angedeutet. Wie ist der rätselhafte Zusammenhang des an sich unsichtbaren dunklen Lichtes mit dem an sich unsichtbaren dunklen Raum. Es muss einen Zusammen­hang geben. Aber wie genau sieht dieser Zusammenhang aus?

Und das führt ja genau auf die Frage der sogenannten Raum-Energie oder auch Vakuum-Energie. Ich will mal eine kurze Passage aus dem Buch hier „Impulse für eine andere Naturwissenschaft“ vorlesen, aus dem 7. Kapitel, die das, glaube ich, ganz gut auf den Punkt bringt. Das ist das siebte Kapitel, das heißt „Raumenergie und Äther – von der Rehabili­tierung einer alten Idee und dem Versuch, sie neu zu denken“. Übrigens habe ich in dem Zusammenhang auch einen eigenen Unterabschnitt gebracht: „Warum scheint die Sonne ? – Von der Spektralanalyse zur Spektralysynthese.“ Also wen das interessiert, der könnte das dann im Einzelnen nachlesen, dass man das ganz neu und anders tatsächlich denken kann, überraschend für die meisten.

Hier heißt es in dem Unterabschnitt „Raum-Energie in der New Science“: „Was Physiker wie Harold Aspden, Shiuji Inomata“, ein Japaner, „Thomas Bearden“, auch ein Amerikaner, „und andere in das Zentrum ihrer theoretischen Reflexion und ihrer experimentellen Arbeit stellen, ist die Frage der Raum-Energie“, also genau diese Frage nach dem Vakuum. „Die New Science Physiker begreifen das Vakuum als universelles und sehr reales Energiefeld, das eine eigene Struktur bzw. Sub-Struktur aufweist, die als Ursache gilt für Gravitation, Elektromagnetismus und die subatomaren Teilchen bzw. deren rasende Bewegung.“

Sie erinnern sich vielleicht daran, dass ich Ihnen vor 14 Tagen versucht habe, deutlich zu machen, dass es zu den großen, in der Mainstream-Physik vollkommen ungeklärten Fragen gehört, wie überhaupt Bewegung zustande kommt. So ist etwa die subatomare, ja rasende Bewegung eine letztlich als ursachelose Perpetualbewegung vorgestellte. Das ist ein wichtiger Punkt, wie übrigens auch die planetare Bewegung, was die Ursachenebene betrifft, nicht geklärt ist. Viele, die zum ersten Mal davon hören, wundern sich und denken, das kann nicht sein, das kann nicht stimmen. Und doch kann man das sehr schnell nachvollziehen.

Raum-Energie wird zur Ur-Energie, aus der alle anderen Energiearten hervorgehen. Die entscheidenden Fragen hierbei sind die folgenden:

Jetzt stelle ich die fünf entscheidenden Fragen zur Raum-Energie zusammen.

  • Erstens: Welche physikalischen oder auch metaphysikalischen Eigenschaften hat diese Raum-Energie? Naheliegende Frage, welche Eigenschaften?
  • Zweitens: Wie vollzieht sich der Übergang von der unmanifestierten Ebene der reinen, primordialen Raum-Energie, also der ursprünglichen Raum-Energie, zur manifestierten und damit auch physikalisch fassbaren Ebene? Das ist ja die Grundfrage bei Gedanken dieser Art: Wie kommt das eine zum anderen? Was passiert da wirklich, wenn aus diesem universellen Raum-Medium, dem Raum-Äther, so etwas wie Materie hervorgeht? Wie geschieht das?
  • Dritte Frage: Welche Struktur bzw. Sub-Struktur hat die Raum-Energie? Das müsste sie haben. Davon muss man ausgehen. Sie kann nicht einfach ein quasi uniformes Universal-Medium sein. Sie muss eine innere Struktur haben.
  • Vierte Frage: Wie steht die Raum-Energie zum Raum selbst?
  • Und die fünfte Frage: Ist die Raum-Energie zugleich der gesuchte Licht-Äther? Oder was hat die Raum-Energie als Raum-Äther mit dem Licht-Äther zu tun? Ist das Licht-Äther-Konzept durch das Raum-Äther-Konzept abgelöst und damit überflüssig geworden?

Frage 4 ist die schwierigste: Wie steht die Raum-Energie zum Raum selbst? Wahrscheinlich ist sie in der Tiefe unbeantwortbar, in der Tiefe unbeantwortbar, denn man müsste gleichsam in der tiefsten ontologische Tiefe wissen, was Raum ist, und das weiß niemand. Insofern ist sie wahrscheinlich in der Tiefe unbeantwortbar. Sämtliche wissenschaftlichen und philosophischen Raum-Theorien bisher sind voller innerer Widersprüche und Inkonsistenzen. Es gibt praktisch keine in sich konsistente Raum-Theorie. Also Frage 4 ist die schwierigste. Wahrscheinlich ist sie in der Tiefe unbeantwortbar. Ich habe mich dazu an verschiedenen Stellen geäußert.

In transpersonalen Zuständen, also in grenzüberschreitenden Zuständen, wird ein Raum erfahren, kann erfahren werden, von dem die Physik nichts weiß, auch nicht die avanciertesten, subtilste Physik. Also ich meine jene grenzüberschreitenden Erfahrungen, die man auch holotrope oder transpersonale Erfahrung nennen kann, in denen der Einzelne sich quasi wie ausgegossen über den Raum erfährt, was man ja auch in bestimmten Drogenerfahrungen kennt oder davon weiß.

Die Raum-Energie-Konzepte der New Science Physiker, soweit sie mir bekannt sind, setzen den leeren Raum, das Vakuum, in der Tat mit der Raum-Energie gleich. Das ist reduktionistisch und materialisiert den Raum, wenn auch auf eine sehr subtile Weise. Der Raum wird zum feinstofflichen Medium.

Helmut Friedrich Krauses, ist ein von mir geschätzter Philosoph, der hier auch mehrfach vorkommt, Raum-Energie, er hat zum ersten Mal den Begriff geprägt 1937, Helmuth Friedrich Krauses Raum-Energie dagegen ist nicht der Raum selbst. Die Raum-Energiefelder der Gestirne sind auf zwar unsichtbare, aber doch anschauliche Weise in den unendlichen Raum eingelagert. Das in diesem Buch hier vertretene Konzept der Radial[feld]-Energie postuliert eine enge Verbindung zwischen Raum und Radial-Energie, Raumenergie, aber keine Identität. Aber ich sag es, im Letzten ist die Frage nicht zu klären, sie ist nicht klärbar. Das übersteigt ein menschliches Bewusstsein, glaube ich, in die tiefsten Gründe des Raums selber hinab- oder hinaufzugehen. Da scheint eine ontologische Barriere zu sein, die wir zunächst einmal nicht überschreiten können. Diese Verbindung lässt sich nicht auf präzise Weise beschreiben. Das überichhafte kosmische Bewusstsein der Radial-Energie eines Gestirns, das stelle ich einfach mal jetzt so hin, ohne es näher zu verifizieren, ist zugleich eine Art Raum-Bewusstsein oder Universal-Bewusstsein für den Raum. Wenn die Physiker mitunter Trägheit als Fühlorgan für die Raumzeit-Metrik definieren, das steht in vielen Physikbüchern, im Sinne der Allgemeinen Relativitätstheorie, dann ließe sich und mit weitaus größerer Berechtigung die Radial-Energie analog und metaphorisch als Fühlorgan für den Raum bezeichnen, und zwar als Fühlorgan des Gestirns.

Der frühere Licht-Äther gilt den Raum-Energetikern als überholt, ich habe das gesagt. Die Licht-Äther-Konzeption taucht kaum auf. Ich glaube nicht, dass es sich so verhält und halte den vor-einsteinschen Licht-Äther noch immer für aktuell, wenn es gelingt, ihn nicht mechanistisch zu denken, und das ist allerdings die Grundvoraussetzung. Man müsste wirklich darin reüssieren, diesen Licht-Äther nicht im Sinne des 19. Jahrhunderts mechanistisch zu denken, dann könnte man die Frage noch mal neu aufrollen. Es ist evident, dass die ersten drei Fragen eng miteinander zu tun haben, also die Frage nach den Eigenschaften, die Frage nach der inneren Struktur und die Frage, wie aus der tiefsten Ebene, der Primordial-Ebene, die manifestierte Welt hervorgeht.

Eine der Eigenschaften der Raum-Energie bzw. des Raum-Äthers könnte es sein, den als Licht erfahrbaren Schwingungen als Trägermedium zu dienen. Und dann wäre die Raum-Energie bzw. der Raum-Äther eben der gesuchte Licht-Äther, also dieser selbst.

Die Eigenschaften der Raum-Energie sind nicht abstrakt zu bestimmen. Postulate führen nicht weiter. Aber wenn diese Raum-Energie tatsächlich die promordiale Energie darstellt, die Ur-Energie, aus der alle anderen Energie-Manifestationen und die Materie hervorgehen und die das Vakuum vollständig ausfüllt, und das nehmen die Raum-Energie-Theoretiker der „New Science“ an, dann ergeben sich bestimmte Eigenschaften fast von selbst. Und jetzt habe ich mal diese Eigenschaften, die auch hier eine Rolle spielen, aufgelistet, was letztlich aus diesem Konzept der Raum-Energie, mehr oder weniger identisch mit Vakuum-Energie oder Raum-Äther, folgt. Folgende Punkte lassen sich aus den gesamten Konzepten, die es heute gibt, herausfiltern. Das habe ich mal, übrigens auch einschließlich meiner eigenen Konzeption, sozusagen, heraustretend auch aus diesem Blickwinkel, universell dargestellt.

Was ist das Verbindende dieser verschiedenen Konzeptionen heute, die primordiale Energie zu denken, einschließlich meiner Konzeption? Da sind folgende Punkte. Wir müssen immer denken, dass Raum-Energie praktisch synonym ist mit Raum-Äther:

  • [Erstens:] Die Raum-Energie ist ein universelles und in höchstem Grade wirkliches und wirkendes Energiefeld von unvorstellbarer Dichte und zugleich von unvorstellbarer Feinheit oder Zartheit.
  • Zweitens: Die Raum-Energie kann nicht entstanden sein. Sie muss immer existiert haben, wie der Raum immer existiert hat. Die Raum-Energie ist so absolut wie der Raum. Zugleich ist sie in dieser Eigenschaft das absolute Bezugssystem jeder Bewegung. Der Bewegungsrelativismus von Leibniz bis Einstein wäre dann so nicht mehr aufrechtzuerhalten. Was das Nicht-entstanden-sein des Raumes und der Raum-Energie anlangt, so gilt dies natürlich nur, schreibe ich hier in einer Klammer, wenn die Möglichkeit eines Hyperraums ausgeklammert wird, der dann immer noch Raum wäre, nur eben ein anderer Raum. Das ist ja eine bekannte Konzeption, dass man sagt, dieser Raum ist eigentlich nur eine Manifestation eines höheren Raums, den man dann als Hyperraum bezeichnen kann. So könnte es natürlich eine Hyperraum-Energie geben, einen Hyperraum-Äther. Man muss sich nur hüten hier nicht abstrakt und mathematisch spekulativ Dimensionen der Hyper-Ebenen zu postulieren, die nicht erfahrbar sind, was eine große Gefahr ist. Ich sage das ja immer wieder auch bei mathematischen Modellen. Dass man die dann ontologisiert, das heißt aus diesen mathematischen Modellen Schlussfolgerungen ableitet, als ob man damit objektive Wirklichkeiten beschrieben hätte. Das ist schwierig. Das ist eine ganz heikle Frage, überhaupt die nach dem Zusammenhang mathematischer Modelle mit der Wirklichkeit.
  • Dritter Punkt: Die Raum-Energie ist masselos. Im Grunde kann sie nur eine masselose Strahlung sein. Wobei sich natürlich die Frage erhebt, von wo aus diese Strahlung ausgeht. Da sie als allgegenwärtig vorgestellt wird, muss es quasi unendlich viele Strahlungszentren geben. Möglich wäre auch, dass die Strahlung keine Strahlung im landläufigen Verständnis ist, was ja immer vektorielle Qualitäten einschließt, also Gerichtetheit, sondern eher einer Skalar-Strahlung entspricht, also einer Strahlung ohne die Eigenschaft der Gerichtetheit. Dann müsste man natürlich ganz andere Eigenschaften annehmen. Das ist ja in dieser Skalar-Vorstellung auch mitgedacht, dass diese Strahlung also eigentlich keine gerichtete Strahlung ist. Dann könnte man natürlich fragen, was hat das dann noch zu tun mit unserer Vorstellung von Strahlung?
  • Nächster, vierter Punkt: Die Raum-Energie ist unerschöpflich, sie ist ein nie versiegender Quell. Gelänge es, diesen Quell anzuzapfen, hätte dies unfassbare Auswirkungen. Eine auf der Anzapfung der Raum-Energie basierende Technik würde die gesamte bisherige [Energie-]Technik hinfällig machen. Klammer: Die Anhänger der sog. Freien Energie sind davon überzeugt, dass eine derartige Raum-Energie-Technik möglich ist. Ich erinnere mich daran, dass ich, als ich hier vor einem Jahr in ganz anderem Kontext das erwähnte, weiß nicht ob der Betreffende im Raum ist, in diesem Raum hier, im Raum sonst wird er sein, er kann dem Raum nicht entfliehen, der Mensch kann dem Raum nicht entfliehen, es gibt keine Raum-Eskapismus, ‒ der hat mir erzählt, dass er von seinem Großvater, interessant, von seinem Großvater in den 20er und 30er Jahren gehört hätte, hier in Berlin habe es eine Vorführung gegeben der technischen Umsetzung der Raumenergie, ein Raum-Energie-Konverter. Überraschend, eigenartig. Ich kann das einfach gar nicht nachvollziehen und weiß auch nicht, ob das irgendwie Hand und Fuß hat. Zumal kommt mir die Zeit auch eigenartig vor. Sollten es wirklich die 20er, 30er Jahre gewesen sein, weiß ich nicht. Auf jeden Fall, es war eigenartig, wie er meinte, das habe er von seinem Großvater gehört, das sei also schon damals besprochen und auch technisch umgesetzt worden.

Mittlerweile gibt es eine riesige Literatur in den einschlägigen Szenen über diese sogenannte frei verfügbare Raum-Energie bis hin zu jeder Menge Spekulationen und Hypothesen über mögliche Antriebsenergien, antigravitative Energien von extraterres­trischen Raumschiffen und so weiter. Die Literatur ist da sehr gewaltig. Auch die Zeitschrift „Raumzeit“ übrigens hat eine dicke Dokumentation rausgebracht dazu von mehreren hundert Seiten, diese Zeitschrift hier, ein eigenes Spezial zur Frage der Raumenergie und Freien Energie. Und nachdem die Herausgeber der Zeitschrift lange Jahre dieses Konzept favorisiert hatten, sahen sich nun eher zu dem Eingeständnis veranlasst, dass letztlich, substanziell betrachtet in der Tiefe alle diese Konzepte nicht haltbar sind.
Mittlerweile gibt es andere, neue Überlegungen, wie mir Marco Bischof versichert, dass tatsächlich Erfolge da erzielt worden sind. Das ist sehr, sehr, sehr schwer verifizierbar und auch verschiedentlich auftauchende Videos in der Szene über diese Phänomene sind immer noch mehrdeutig. Das ist wichtig. Man darf da nicht einem Experimental-Positivismus verfallen und glauben, man könnte durch ein Experiment, auch was diese sogenannten Experimente mit Antigravitation betrifft, gleichsam pur und direkt etwas beweisen. Nicht, mir hat auch mal vor 2, 3 Jahren ein Hörer dieser Vorlesung, er ist, glaube ich, heute nicht da, ein Video ausgeliehen über Experimente, ich glaube eines schwedischen Wissenschaftlers mit Abschirmung von Gravitation. Wenn man das Experiment so sieht, es ist verblüffend, aber es bietet immer noch einen Deutungsspielraum. Es ist also nicht so, dass man mit einem gewissermaßen schmalen Experimental-Segment so weitreichende Schlussfolgerung ableiten könnte, um nun zu sagen, gut, die Gravitation ist abschirmbar, es gibt so etwas wie Antigravitation. Abgesehen vom sogenannten Auftrieb, der nicht identisch ist mit der Antigravitation. Also die Fragen sind äußerst schwierig. Man muss sich hüten, dass man da nicht irgendwelchen, sagen wir mal Gerüchten allzu schnell aufsitzt. Allerdings ist auch eine übergroße Skepsis erkenntnisblockierend. Also man muss da versuchen, eine Art von flexibler Grundhaltung zu bewahren. Auf der einen Seite sich eine Offenheit lassen, auf der anderen Seite nicht allzu schnell, ich sage es nochmal, einem Experimental-Positivismus zum Opfer fallen. Das ist ja gang und gäbe, auch in der Mainstream-Wissenschaft. Das experimentum crucis, das Schlüsselexperiment, ist oft für eine Theorie kaum zu finden, weil sie immer einen gewissen Spielraum von Mehrdeutigkeit hat. Das macht es ja so schwierig, und das macht oft Diskussionen so elendig und dann auch wieder so dogmatisch besetzt, weil die betreffenden Menschen, die dann darüber reden, häufig gar nicht unmittelbar über dieses Experiment selbst mehr reden, sondern nur noch über ideologische Konzepte, die sie im Kopf darüber haben. So tauscht man dann oft, dann zunehmend ungeduldiger, ja aggressiver, solche Argumente aus, die letztlich Weltbild-Argumente sind. Und das macht es ganz schwierig, sich über diese Frage zu verständigen. Und wenn man erst mal auf der Ebene angelangt ist, dass man sich gegenseitig, also letztlich Weltbilder entgegenhält, dann ist es eigentlich zu spät, weil dann eine wirkliche Diskussionsgrundlage darüber nicht mehr existiert. Da werden ja nur noch Ideologien ausgetauscht, und das kann zu nichts führen. Man kann höchstens tolerant sagen, na gut, lassen wir es dabei, jeder glaubt was anderes, aber das ist auch unbefriedigend. Wir sind ja hier eigentlich nicht im Bereich primär des Glaubens, sondern es geht ja hier um Argumentation.

  • Die letzten beiden Punkte: Die Raum-Energie erlaubt eine quasi-unendliche Geschwindigkeit der Übertragung von Informationen oder in sie eingespeisten Impulsen. Das ist ein schwieriger Begriff. Den habe ich übernommen von Ervin Laszlo. Der spricht immer wieder von quasi-unendlich. Streng logisch ist dieser Begriff ein Unding, das ist klar. Entweder ist eine Geschwindigkeit endlich. Dann mag sie so extrem groß sein, wie sie sein mag. Oder sie ist unendlich. Dann ist sie quasi eine Nicht-Geschwindigkeit. Dann bedeutet das, dass sie praktisch nicht vorhanden ist. Eine unendliche Geschwindigkeit eines Punktes ist das gleiche wie die vollkommene Ruhe dieses Punktes. Also das ist ein changierender Begriff, den ich mit einer gewissen Vorsicht dann doch verwende, um in dieser bewussten Unschärfe zu sagen, es ist eine quasi-Unendlichkeit, eine unvorstellbare Größe. Insofern zur Erklärung also dieses Begriffes, der wirklich logisch unmöglich ist. Also es gibt nur Endlichkeit oder Unendlichkeit, es kann eigentlich keine quasi-Unendlichkeit geben.
  • Also nochmal: Die Raum-Energie erlaubt eine quasi-unendliche Geschwindigkeit der Übertragung von Information oder in sie eingespeisten Impulsen. Das heißt, die Raum-Energie ist unvorstellbar beeindruckensfähig und hat zudem die Eigenschaft, einen einmal empfangenen Impuls im Sinne von Information zu speichern, also am Ort zu lassen, ihn aber genauso bis in fernste Fernen hinein zu transportieren. Alle in der Quantentheorie erörterten Phänomene der Nicht-Lokalität wurzeln in dieser quasi unendlichen Leit- und Transportfähigkeit der Raum-Energie.
  • Letzter Punkt: Die Raum-Energie hat die Fähigkeit zur Bildung von Wirbeln. Ich werde da im Januar noch einiges zu sagen im Zusammenhang mit Strömen und Wirbeln. Diese Wirbel müssen keine anschaulich-linearen Gebilde sein, die mit Wasserwirbeln zu vergleichen wären. Wirbelbildung bezieht sich auf die offenbar unbegrenzte Potenz der Raumenergie, relativ eigenständige Gebilde aus sich heraus zu setzen und rasend zu bewegen, wellenförmig, spiralförmig, kreisförmig oder ähnliches. Diese Heraussetzung, auf der die gesamte materielle Welt beruht, kann auch so gedeutet werden, als ob die Vakuum-Energie oder Raum-Energie durch die Bildung der subatomaren Teilchen gleichsam, jetzt kommt ein Zitat von Thomas Bearden, „in die Manifestierung herabtransformiert“ wird, in dem dort fortwährend Energie aus dem Vakuum abgezogen und in die manifestierte Welt hineingestrahlt wird. Nochmal: Diese Heraussetzung, auf der die gesamte materielle Welt beruht, kann auch so gedeutet werden, als ob die Vakuum-Energie oder Raum-Energie durch die Bildung der subatomaren Teilchen gleichsam, jetzt Thomas Bearden, „in die Manifestierung herabtransformiert“ wird, in dem dort fortwährend Energie aus dem Vakuum abgezogen und in die manifestierte Welt hineingestrahlt wird. Dann wäre dieses Hineinstrahlen bzw. dieses raumenergetische Herab-Transformieren die Ursache der Bewegung im Mikro-Bereich, dann hätte man eine zumindest diskutable Ursache für die rasende Bewegung, auch nichtlineare Wirbelbewegung dieser „Teilchen“, in Anführungszeichen, um das erst mal so stehen zu lassen.

Die hier genannten Eigenschaften, denen sich noch andere zuordnen lassen, können ausnahmslos auch aus dem Konzept der Radial-Energie verständlich gemacht werden und so weiter.“ Dann komme ich wieder auf meine eigene Konzeption, hier im engeren Sinne der Radial-Energie. Noch ein letztes Zitat hier an dieser Stelle aus dem Buch, weil das nochmal genau auf den Punkt führt, wie es eigentlich kommt, wie die reine, die primordiale Energie sich manifestiert in der Materie. Schwierig zu erklären, jedenfalls auf restlos befriedigende Weise, ist der Übergang von der reinen primordialen Raum-Energie zur physikalisch fassbaren Realität.

Das ist ein Punkt, der alle Raum-Energie-Theoretiker beschäftigt und jeder auf seine Weise, auch ich, versucht hier eine Antwort zu finden. Es ist sehr schwer, diese Antwort zu finden. „Hier scheint mir allein das Konzept der Radial-Energie erfolgversprechend zu sein, obwohl es Erklärungsansätze auch bei Inomata, Bearden, Laszlo und anderen gibt. In der Wechselwirkung der Radial-Felder der Gestirne gibt es die mehrfach erwähnten Durchdringungs- und Wandlungs-Zonen, in denen sowohl das kosmische Licht als auch Gravitationswellen und andere analoge Phänomene entstehen.“ Ich lasse das mal so stehen, was ich hier in dem Zusammenhang unter Gravitationswellen verstehe. „Wenn diese Wechselwirkung sich mit besonderer Intensität und Wucht vollzieht, kommt es zur Bildung von Teilchen, die aber ihrer Herkunft nach nie vollständig und nur Teilchen sind, sondern auch im Grunde wohl primär wellenförmige Schwingungen. Laszlos Formel von den soliton-ähnlichen Vektorwellen, die in Form geladener Massenquanten, die den Raum durchlaufen, finde ich in diesem Kontext sehr hilfreich.“ Ein Soliton, das muss ich vielleicht sagen, ist eine bestimmte Art von Welle, die über eine lange Zeit hinweg ihre Konsistenz und Form aufrechterhält. Es gibt in vielen Bereichen Beobachtungen, die darauf schließen lassen, dass hier sogenannte „Solitone“ vorliegen oder auch nichtlineare Wirbelphänomene. Ich deute das nur in aller Knappheit hier an, will aber diese Frage ohnehin immer wieder aufgreifen. Ich sage es noch mal, bei solchen Vorstellungen, was ich auch in diesem Kontext entwickle, muss man immer, fast möchte ich sagen, höllisch aufpassen, dass man nicht in einen subtilen Reduktionismus gerät und niemals außer Acht lassen, dass man bei allen Feinsinnigkeiten der Interpretation sich immer im Bereich der Vorstellungen, der Bilder und auch der Hypothesen bewegt. Das ist einfach wichtig, um nicht eine, sagen wir mal, auch kritische Distanz zu sich selber zu verlieren. Und man muss auch aufpassen, dass man nicht allzu schnell jetzt, ich habe das ja vorhin gesagt, Bewusstsein hier als eine Grundqualität übergangslos postuliert. Schon gar, wenn es um das ichhafte, das menschliche Bewusstsein geht. Und da gibt es ein ungeheures Defizit, ja geradezu eine Undeutlichkeit in der Zugangsweise, die ungünstig ist, gelinde gesagt, weil sie den Blick verstellt. Denn wenn ich von Subjektblindheit der Naturwissenschaft seit Jahren rede und auch darüber viel geschrieben habe, dann mache ich eben genau dies. Man kann auch bei bestem Bemühen, bei bestem Willen, auch auf die intelligenteste, subtilste Weise niemals das menschliche Subjekt, die menschliche Subjekthaftigkeit einfach eliminieren. Es ist müßig, vollkommen müßig, sich eine subjektlose Form von Weltzusammenhang vorzustellen, weil, ob es sie gibt oder nicht gibt, sie ist für uns ohne Belang, weil selbst die Vorstellung eines Nicht-Bewusstseins, die wir theoretisch postulieren können, ja immer eine Aussage innerhalb des Bewusstseins ist. Das heißt aus einer Bewusstseins-Immanenz kommen wir als Menschen, als denkende, fühlende Menschen niemals heraus. Das ist ein Zirkelschluss, der ist in sich nicht aufzubrechen. Das ist genauso die Frage, wenn man .., das gehört genau dazu, wenn man fragt: Was ist Bewusstsein? Gib doch mal eine Definition, was ist Bewusstsein? Dann muss man sagen, wenn man ehrlich ist, diese Definition kann es nicht geben, weil eine Definition von Bewusstsein, es gibt ja zig Definitionen, die alle schlecht sind, weil sie einen Grundwiderspruch aufweisen. Also der Grundwiderspruch besteht darin: Wir können nicht aus dem Bewusstsein aussteigen. Wir haben keinen archimedischen Punkt, von dem aus wir, quasi wie von außen, sagen können, das ist Bewusstsein, wie wir sagen können, dass ist ein materielles Ding im Raum und Zeit, der Gravitation unterworfen. Das können wir nicht. Wir sind immer in einem allgegenwärtigen Bewusstseins-Fluidum, innerhalb dessen wir uns ständig bewegen und mittels dessen wir uns auch verständigen, in diesem Falle über das Medium der Sprache. Es ist vollkommen abstrakt, müßig und auch sinnleer und ohne Erkenntnisgewinn, etwas zu postulieren, was grundsätzlich bewusstseinslos ist. Ob es das gibt oder nicht, ist eine vollkommen andere Frage. Aber es ist für die Immanenz unseres Bewusstseins nicht möglich, [das] in irgendeiner Form zu erfassen.

Ich sage es noch einmal. Bisher ist es noch nie gelungen und kann es auch nicht gelingen, aus dieser Bewusstseins-Immanenz auszusteigen. Insofern werden alle Theorien, auch die intelligentesten, immer von konkreten Subjekten vertreten, argumentativ verteidigt, wie immer. Es sind immer konkrete Subjekte im Spiel. Wenn man diese konkreten Subjekte vollkommen ausstreicht, ist jeder Zusammenhang dahin, auch nur jede Möglichkeit dahin, überhaupt in irgendeiner Form geistig-argumentativ über diese Dinge zu sprechen. Das ist eigenartig, dass das so wenig bedacht wird, obwohl es im Grunde genommen fast banal ist, das zu sagen. Es ist fast eine Banalität zu sagen. Wir kommen aus dieser Bewusstseins-Immanenz als Bewusstseins-Wesen nicht raus. Es ist möglich, sagen wir mal, dass es eine höhere Bewusstseinsform gibt als die unsere, von der aus dann die Möglichkeit bestünde, unser eingeschränkteres Bewusstsein vielleicht quasi wie von außen zu betrachten. Es ist möglich. Aber auch das ist schwierig und lässt sich konsistent nicht wirklich nachweisen, denn wenn wir ein Bewusstsein quasi beobachten wollen, was angeblich oder wirklich eine niedrigere Ebene hat als das eigene, was heißt das? Können wir dann wirklich in das andere Bewusstsein so rein schlüpfen?

Ich habe ja schon im Sommer mal gesagt, im Zusammenhang mit Pflanzen und Tieren, dass wir da eine, wie ich das nenne, eine ontologische Barriere haben, dass wir im Grunde diese ontologische Barriere nicht überspringen können. Wir können uns noch so sehr hineinfühlen in das Bewusstsein etwa eines bestimmten Tieres oder einer bestimmten Pflanze. Aber es wird eine ontologische Grenze geben, die wir nicht überspringen können. Und so würde vielleicht auch dieses höhere Wesen, dieses höhere Bewusstseins-Wesen ebenfalls eine ontologische Barriere haben, uns sich vollkommen mit unserem Bewusstsein zu verbinden. Es könnte das nur begreifen, wenn es dieses Bewusstsein selbst wäre, und wenn es das Bewusstsein wäre, dann ist es eben nicht mehr das andere Bewusstsein. Schwer vorstellbar, dass es eine Identität zweier vollkommen verschiedener Bewusstseinsebenen [geben] sollte, aber auch das ist möglich.

Aber dann müsste man noch einmal ganz neu an die ganze Frage herangehen. Ich will das nur grundsätzlich sagen. Das ist eine erkenntnistheoretische Grundsatzfrage, die man nie außer Acht lassen darf. Also, bei allem, was man an subtilen oder möglicherweise intelligenten [Äußerungen dazu noch beitragen könnte. Das war es erstmal für heute.]

Licht und Bewusstsein I

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil II
Erde und Kosmos. Denkanstöße zu einer anderen (alternativen) Kosmologie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1999/2000
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 27

Transkript als PDF:


* * * * * * *

Und ich will Ihnen ganz kurze Akzente geben, wie das bei mir war, das hängt auch zusammen mit meiner langjährigen Freundschaft mit Rudolf Bahro, an den ich in dem Zusammenhang ganz gerne auch erinnern möchte, weil er in dem Kontext heute fast nie genannt wird. Das hat verschiedene Gründe. Er war ja ausgebürgert worden, war dann im Westen, und ist ja dann im November 1989 überraschend in die damalige DDR zurückgegangen. Das war von ihm angekündigt worden am 6. November in einer Fernsehsendung. Franz Alt hat damals moderiert, ich weiß gar nicht mehr, wie das hieß, „Panorama“ oder so etwas, könnte das geheißen haben. Und in dieser Fernsehsendung am 6. November ’89 hat er angekündigt, er wollte nunmehr in die DDR zurück. Interessanter­weise nun das Argument ‒ um das Vaterland zu retten.

Als ich das sah am Fernsehschirm ‒ , was meint er mit dem Vaterland? Ich war irritiert. Wir haben lange telefoniert. Was meinst du? Was soll das? Nein, er meinte tatsächlich, wie viele, sagen wir mal, mit einer ähnlichen Biografie, die DDR, er meinte die DDR. Er sagte, der DDR geht’s schlecht, da ist nicht mehr viel zu machen. Der Westen wird die DDR überrollen, und da müssen wir was tun, das heißt, wir müssen jetzt neue und eigene Akzente setzen. Das war kurz vor dem Mauerfall, und er verkündete dann auch, wozu ich ihm ohnehin schon Monate vorher geraten hatte, nach Berlin zurückzukehren. Er lebte ja damals in Niederstadtfeld in der Eifel. Ich sagte, komm nach Berlin zurück, hier wirst du gebraucht, wir brauchen dich hier. Es sind jetzt heiße Zeiten, und deine Stimme ist gefragt. Und das hat er dann auch getan, er ist nach Berlin zurückgekehrt.

Bevor ich den Faden weiterspinne, ganz kurz noch, an diesem 9. November, sie können mir glauben, dass diese Geschichte wahr ist, bin ich am Vormittag … , an einem späten Vormittag saß ich in einem Bus in Zehlendorf, relativ weit hinten, am 9. November, als abends diese berühmte Verlautbarung von Schabowski war bei der Pressekonferenz. Da sagte eine Frau vorne im Wagen, die Mauer sei geöffnet worden, es sei freier Durchgang. Alle haben verlegen gegrinst oder sich geräuspert, und irgendwie war ihnen allen das unangenehm, weil das lag nicht in der Luft. Das kann keiner heute erzählen, dass das in der Luft gelegen hätte, das hat nicht in der Luft gelegen in dieser Form. Das war also von mir aus eine, was weiß ich, vielleicht parapsychologisch gesehen, eine Präkognition, ist mir auch rätselhaft, woher diese Frau das wusste oder geahnt hat oder herausgespürt, gefühlt hat, wie immer: auf jeden Fall ein bewegender Moment, als man dann abends erfuhr, was wirklich passierte.

Dann sind für mich diese Tage eng verbunden mit einem meiner Bücher, das auch indirekt mit dem Thema zu tun hat. Es erschien nämlich damals kurz nach dem Mauerfall ein Buch, was damals großes Aufsehen erregte, „Nietzsche, Hitler und die Deutschen – Die Perversion des neuen Zeitalters. Vom unerlösten Schatten des Dritten Reiches“, Vorwort von Rudolf Bahro. Rudolf Bahro hatte das Manuskript 1988 gesehen, er fand das toll, hat gesagt, wenn du das veröffentlichst, dann schreibe ich ein Vorwort dazu. Und das Interessante ist, dieses Vorwort ist am 9. November geschrieben worden. Jeder, der das sieht, denkt, das ist Absicht. Das hat er doch reingeschrieben, das kann nicht stimmen. Das ist wirklich so. Er hat dieses Vorwort am 9. November vormittags in der Eifel geschrieben. Also eine merkwürdige Synchronizität, ein Zufall, wenn Sie so wollen, wie immer.

Interessant und wie immer auf jeden Fall, es war auch dieser Tag, und die Massen von beiden Seiten, von hier und von dort der Mauer, die dort strömten, waren für mich immer verbunden mit einer bestimmten Druckerei in Kreuzberg, wo ich die Druckfahnen las. Ich musste mich also zum Teil durch die Menschenmassen durchbahnen und las dann portiönchenweise die Druckfahnen dieses Buches, und das hat ja dann, viele werden das gar nicht mehr wissen, noch in der DDR für Aufsehen gesorgt, hat noch die ganze Szene des Neuen Forums erfasst, viele haben das gelesen, selbst Gysi hat das gelesen, damals noch PDS/SED und dann auch Bärbel Bohley und andere der Opposition. Das ist vergessen worden weitgehend. Auf jeden Fall hat das Buch eine kolossale Rolle gespielt, und ich konnte dann in der Spätphase der DDR, angefangen sagen wir mal von Januar 1990 an, eine ganze Reihe von Veranstaltungen in der noch-DDR darüber abhalten, oft mit einem ganzen Tornister dieser Bücher. An den Grenzübergängen, da gab es ja dann die Kontrolle. Beim letzten Mal, weiß ich noch, hatte ich die ganze Tasche voller Bücher, die ich dann eins zu eins verkauft habe, vor der Währungsunion am 1. Juli, und man wurde zunehmend weniger kontrolliert ‒ ach so, was ist das, na gut, dann weiter durch. Das Interesse an Nietzsche war immens groß, und das ist dann schnell abgeflaut.

Auf jeden Fall war das auch für mich eine hochinteressante, aufwühlende Zeit, zumal als dann Bahro nach Berlin zurück kam, und wir haben uns oft getroffen, und ich konnte all diese Dinge auch, die er erlebt hatte, etwa den berühmten Auftritt auf dem SED-Parteitag am 3. Dezember 1989, von ihm dann aus erster Hand hören. Kurzum in diesen Erinnerungen, zehn Jahre danach, fällt fast nie der Name Bahro. weil das eine schwierige Figur war, schon damals. Auf jeden Fall, wenn die Dinge nicht so gelaufen wären, wie sie gelaufen sind, und wenn wir nicht so eng befreundet gewesen wären, würde ich heute nicht hier stehen. Das hat mit all dem zu tun, eine lange Geschichte, die auch noch dann in späteren Jahren mich bewegt hat. Auf jeden Fall, das wollte ich vorab sagen, in aller Knappheit.

Und das Vorwort, was Bahro damals geschrieben hat, an diesem wirklich 9. November am Vormittag, ist heute wie ein Dokument aus einer anderen Zeit. Das ist wirklich ein faszinierendes Zeitdokument. Da kommt noch was durch von einer Utopie, einer möglichen anderen DDR. Nur mal ein ganz kleiner Ausschnitt aus diesem Vorwort von Bahro von diesem 9. November: „Gerade in dieser Stunde unserer Geschichte“ ‒ also morgens 9. November, wo man noch nicht wissen konnte, dass die Mauer fällt ‒ „gerade in dieser Stunde unserer Geschichte machen die Deutschen Ost unter verhältnismäßig günstigen nationalen und internationalen Experimentierbedingungen den nächsten Test auf das innerstaatliche Kräfteverhältnis zwischen ‒ was die Pole betrifft ‒ dem Rache schnaubenden Berserker und dem Meister in uns.“ ‒ das ist ein Thema auch dieses Buches, eine bestimmte, sagen wir mal, Qualität von Geist, von Mentalität der Deutschen, die hier auch abgehandelt und kritisch beleuchtet wird ‒ „Im Allgemeinen ist heute in Mitteleuropa klarer als früher, dass niemand anderes als wir selbst die Ursache der heraufziehenden Totalkatastrophe und der einzelnen Konvulsionen sind. Hoffentlich gibt es genügend viele Menschen in der DDR, denen aufrichtig bewusst ist, dass die Politbürokratie, die bis dato das Land regiert hat, ihr eigener Schatten ist.“ Es war damals eine große Diskussion, die wir hatten: Brauchten die einander? Ist eigentlich die Politbürokratie eine Art Quasi-Schatten gewesen der Bevölkerung; natürlich sehr unpopuläre Gedanken heute auch. ‒ „Wenn es zu mehr nicht gereicht hat in der DDR, an wem liegt das? An denen allein? Wird das in uns zur Vernunft, das heißt zum Stehen kommen, was im Ergebnis der Staatskrise massivere Weltzerstörung nämlich so oder so die gesamtdeutsche Vollendung der Auto-Gesellschaft will.“ Das ist ja nun eine gute Formel, die ja nun vollkommen eingetreten ist ‒ Gesamtdeutsche Vollendung der Auto-Gesellschaft. Das ist wirklich passiert. „Wenn die SED nicht genügt, dann braucht es offenbar eine anders konstituierte führende Kraft …“ und so weiter. Dann also die Utopie, das wissen ja viele von Ihnen noch, die ja da war, eine andere DDR. Und es gab verrückte Westler, mich eingeschlossen, die ernsthaft gedacht haben, na jetzt gehen wir da auch hin und machen richtig eine neue Gesellschaft. Ich habe auch ein paar Wochen lang … , ein paar Wochen lang war ich davon erfüllt, das jetzt hier ist eine einmalige Chance. Gut, also das nur als kleines … , quasi Aperçu dieser Zeit vor zehn Jahren. Und nun ist es interessant, ich taste mich langsam auf das Thema vor „Licht und Bewusstsein“ ‒ wenn man sich einen Moment mal anschaut, warum Menschen überhaupt solche Jahrestage, solche Jubiläen begehen. Was liegt dem zugrunde?

Was ist denn dieser Zeitraum von zehn Jahren für einen so besonders herausragender oder eindrucksvoller Zeitraum? Das ist in der Geschichte relativ spät zu beobachten, dass das Jahrzehnt, das Jahrhundert, das Jahrtausend oder gar ein Zeitraum von 10000 Jahren so signifikant bedeutend war. In China zum Beispiel war 10000 eine Zahl, die einfach meinte: eine sehr große Zahl. Und natürlich hängt es eng mit dem Dezimalsystem zusammen, ist klar. Und relativ spät in der Geschichte taucht erst auf, dass auch ein runder Jubiläumstag, wie auch ein runder Geburtstag, eine signifikante Größe ist. Das ist vorher nicht der Fall gewesen, im Judentum zum Beispiel, woran man ja immer denkt in dem Zusammenhang, ist ja das Jubeljahr das 50. Jahr. Das hängt zusammen mit der Zahl 7. 7 mal 7 ist 49, die im Judentum eine große Rolle spielte, und das Jubeljahr ist das 50. Jahr gewesen. Es gibt andere Interpretationen dieser 50 Jahre, die davon ausgehen, dass ein Wissen existiert hat in der alten Kultur über den unsichtbaren Begleiter des Fixsterns Sirius, Sirius B; dass diese Kulturen gewusst haben, dass es einen unsichtbaren Begleiter gibt, Sirius B, der den Hauptstern Sirius in 50 Jahren umkreist und dass deswegen das Jubeljahr 50 Jahre umfasste. Es wurde tatsächlich ein ganzes Jahr gefeiert, sieben mal sieben neunundvierzig plus eins, also das Jahr 50.

Nun, ich habe vor Jahren hier mal im Audimax ja über Zahlen gesprochen, auch über Zahlensymbolik. Und das ist natürlich hochinteressant, wenn man das sich mal von der tieferen zahlensymbolischen Schicht aus betrachtet. Wie kommen Menschen dazu? Auch die sogenannten rationalen aufgeklärten Abendländer, Europäer, Nordamerikaner haben tief unten ein ganz starkes zahlen-mystisches Potenzial, sag ich mal, das darauf schließen lässt, dass es offenbar so eine Art archetypisches Reservoir in der menschlichen Psyche gibt, das zu tun hat mit ganz bestimmten Zahlen. Es war ja ein damals viel diskutiertes Phänomen, warum denn gerade dieser 9. November, der doch in der deutschen Geschichte ohnehin eine große Rolle spielt, 1918, 1938 und so weiter, warum gerade jetzt dieser so herausragende 9. November hat damals, selbst in der, sagen wir mal, normalen Presse eine Fülle von Zahlenspekulationen ausgelöst: Der Schicksalstag der Deutschen, der 9. November. Warum war es nicht der zehnte November oder der elfte? Oder auch der 8. oder 7. November? Und diese Fragen haben auch zu tun mit Licht, weil in allen Kulturen Zeitvorstellungen, die Vorstellung vom Ablauf, vom kosmisch-rhythmisch bestimmten Zeitablauf ja immer gebunden war an Licht bzw. Finsternis, am elementarsten in der Rotation der Erde ‒ Licht und Dunkel, Tag und Nacht, aber dann auch im Jahreslauf. Und insofern ist die Dimension der Zeit immer gebunden an eine bestimmte Vorstellung von Licht. Zeit ist immer kosmisch-rhythmisch, vom Lichtrhythmus her bestimmte Zeit.

Viele Mathematiker auch, die eine zahlenmystische, sagen wir mal, Komponente erst einmal verneinen würden, sind faktisch, wenn man das genauer beleuchtet, Zahlenmystiker und glauben, sehr viele Mathematiker glauben, an eine im Grunde numinose und eine quasi göttliche Qualität von Zahlen. Gut, das vorab als Vorspann zu dem Thema hier.

Nun die Frage des Lichtes. Ich habe das genannt, ich habe das formuliert mit der Frage: Gibt es zwei Lichter? Ganz vereinfacht gesagt: Gibt es ein primär geistiges Licht? Man kann das auch ein vielleicht spirituelles Licht nennen, ‒ und gibt es daneben ein sogenanntes physisches Licht, ein quasi materielles, ein der Erscheinungswelt zugehöriges Licht? Oder sind beide Lichter, Lichtmanifestationen im Grunde genommen nur Ausdrucksformen eines darunter liegenden tieferen Lichts, so dass man in gewisser Weise sagen kann, dieses verbindende Licht sei eine Art drittes Licht. Das ist verschiedentlich auch genau so gedeutet worden. Es gibt in der mystischen Tradition der Welt die Vorstellung von drei Lichtern, auf der einen Seite das absolute Licht der Gottheit, oft identifiziert mit dem Göttlichen selber, das Licht als das göttliche Selbst, und zwar einmal göttlich groß und selbst klein und im zweiten Falle umgekehrt herum, also als das göttliche Selbst und die beiden anderen Lichtmanifestationen als Auswirkungen oder Erscheinungs­formen desselben. Marco Bischof in seinem Geschichts-Essay, er hat einen großen Essay hier geschrieben über das innere und äußere Licht, gibt er einen Überblick über diese Debatte, äußert sich auch unter Heranziehung des Mystikers Bonaventura und unter engerem Bezug auf Ken Wilber, das Buch „Eye to Eye“, „Die drei Augen der Erkenntnis“, zu diesen drei Lichtern. Da zitiert er Ken Wilber aus diesem Buch, der wiederum seinerseits auf den Mystiker Bonaventura aus dem 13. Jahrhundert rekurriert. Es gäbe drei Lichter, ‒ erstens das lumen exterius, das äußere Licht, also das sogenannte physische Licht, das Licht, was diese Erscheinungswelt erhellt. Wahrnehmung der äußeren Welt, des Raumes, der Zeit und der Dinge der Welt der Sinnesobjekte, das uns vertraute Licht, das aber gleichwohl in dieser Vertrautheit ein großes Mysterium war und nach wie vor ist. Dazu gleich mehr. Dann als zweites Licht, ‒ ein lumen interius, inneres Licht, Auge des Geistes, der Seele, nach Bonaventura, verschafft Zugang zu philosophischer Erkenntnis, zur Logik, zu seelischen Wahrheiten, zum Geistigen, manchmal auch als „imago dei“ bezeichnet, also das Bild Gottes oder des Göttlichen. Und dann gibt es, wird angenommen, ein drittes Licht ‒ lumen superius, ein höheres Licht, Auge der Kontemplation eröffnet Erkenntnis transzendenter Wirklichkeiten, durch die die Seele unmittelbar mit Gott eins wird, manchmal auch dann abgegrenzt als Lux von Lumen.

Also man hat dann eine Dreifachheit, man hat also ein absolutes Licht, eine Art Ur-Licht, in gewisser Weise das Göttliche Selbst, von gleißender, unerträglicher, alle nur denkbaren Sinneswahrnehmungsorgane übersteigender Helligkeit. Man hat dann das Licht des Geistes, und man hat das sogenannte physische Licht.

Nun sind diese Begriffe alle schwierig. Ich habe das schon mal vor drei Jahren, glaube ich, in einer Vorlesung angedeutet, dass allein der Begriff des oder eines physischen Lichtes ungenau ist. Denn Licht, was immer es in der Tiefe sein mag, ist nie im engeren Sinne physisch, kann gar nicht physisch sein und ist auch an sich oder für sich oder allein gelassen, wie jeder weiß, unsichtbar. Das will ich noch einmal in Erinnerung rufen. Ich habe das damals auch gesagt und auch in einer Vorlesung im Sommersemester über Farben und Regenbogen das angedeutet.

Ich will das nur noch einmal kurz in Erinnerung rufen, dass also Licht für sich genommen nicht sichtbar ist. Das ist immer wieder verblüffend oder für manche verblüffend, wenn sie das zum ersten Mal hören. Sie denken, sie trauen ihren Ohren nicht, das Licht soll nicht sichtbar sein, das ist doch unmöglich. Es ist aber tatsächlich so. Licht selber ist vollkommen unsichtbar, genauso unsichtbar wie Materie. Und erst im Wechselspiel der dunklen Qualität Licht mit der dunklen Qualität Materie entsteht diese sichtbare Welt. Nicht, dieses berühmte Beispiel, was Arthur Zajonc in seinem Buch „Catching The Light“, „Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein“ gleich am Anfang bringt: Wenn man auf der einen Seite eine gleißende Lichtquelle hat und daneben ein Licht, ein Schirm und ein gleißender Lichtstrahl von der einen Seite zur anderen geht und man schaut im rechten Winkel darauf, sieht man nichts, absolute Finsternis. Das heißt der Lichtstrahl, der auf der auf dem Screen, auf dem Schirm, gleißendes Licht hervorruft, ist von der Seite betrachtet gar nicht vorhanden. Es ist absolut dunkel.

Arthur Zayonc hat ja viele sogenannte Astronauten, weil ihn das sehr interessierte, die Frage gefragt: Was habt ihr gesehen da draußen? Ich habe das ja auch im 7. Kapitel meines Buches „Impulse für eine andere Naturwissenschaft“ gebracht. Was habt ihr gesehen, was habt ihr wirklich gesehen? Und er hat immer wieder die gleichen Antworten gehört: Wir haben die Gestirne relativ intensiv wahrgenommen, intensiver als sonst. Wir haben uns quasi eingehüllt gefühlt in diese Gestirne, wird zum Teil gesagt. Auch das wieder variiert im Hinblick auf die Entfernung, in der man sich gerade von der Erde befindet. Man habe die Sonne wie einen Punkt wahrgenommen. Auch das ist zunächst verblüffend für das naive Bewusstsein. Die Sonne wirkt außerhalb der Erdatmosphäre wie ein gleißend heller Punkt, keineswegs wie ein großes Gestirn. Und der Raum selber sei absolut finster gewesen, wird immer wieder gesagt, in einer erschreckenden, in einer erstaunlichen, zwar theoretisch bekannten, aber dann doch existenziell aufwühlenden Dunkelheit. Also, das vollkommene, finstere, quasi-Nichts, das aber das Licht in irgendeiner Form birgt und enthält. Denn eine kleine Drehung etwa in dem genannten Abstand zwischen gleißender Lichtquelle und Schirm, eine kleine Drehung etwa eines Stücks Materie zwischen diesen beiden Polen macht sofort schlagartig das Licht sichtbar oder genauer gesagt: den Gegenstand im Licht sichtbar, nicht das Licht selber. Genauso wie noch niemals ein Mensch dieser Erde jemals einen Lichtstrahl gesehen hat. Es gibt keinen Lichtstrahl. Was gesehen wird, sind nur die sinnlich-physischen, die materiellen Manifestationen dieses quasi-Lichtstrahls. Es ist ein Bild, in gewisser Weise eine Modellvorstellung, dass es so etwas wie Lichtstrahlen im engeren Sinne gäbe. Es gibt eine geradlinige Ausbreitung des Lichtes erst einmal, idealtypisch verstanden, aber im engeren Sinne hat noch nie jemand Lichtstrahlen gesehen.

Das ist wichtig, weil das auch ein Argument ist für ein grundsätzliches Problem, was man, in Parenthese gesagt, in der ganzen Kontroverse von Newton und Goethe berücksichtigen muss. Denn darauf hat Goethe immer wieder hingewiesen, dass man sich hüten müsse, dass die Modellvorstellungen über das Licht, die Bilder, er spricht von den Fiktionen, sich nicht setzen an die Stelle der Dinge selber. Also eine sehr berechtigte Warnung von Goethe in seiner Farbenlehre 1810. Man möge also vorsichtig sein, dass sich nicht eine bestimmte, modellhafte fiktive Größe an die Stelle des Phänomens setzt, was ja immer wieder geschieht in bestimmten experimentellen Situationen und deren Interpretation. Also ein ganz entscheidender Punkt, der hier angesprochen ist. Also Licht selber ist für sich genommen unsichtbar, und Materie ist auch unsichtbar. Die Frage, die sich der naiv-sinnliche Mensch natürlich sofort stellt oder vielleicht weniger als eine rational formulierbar Frage als vielmehr als ein Grundgefühl: Wie ist das möglich, dass es dunkles Licht gibt? Das ist ja letztlich die Konsequenz. Es gibt dunkles Licht.

Vielleicht kennen Sie ein berühmtes spätes Gedicht von Hölderlin, schon an der kritischen Phase kurz vor seinem geistigen Zusammenbruch. „So reiche mir einer die Schale des dunklen Lichtes“, heißt es da. Und wenn Sie bestimmte mystische Traditionen sich anschauen, dann werden Sie immer wieder auf die Vorstellung stoßen des dunklen Lichtes. Was soll ein dunkles Licht sein? Licht ist per definitionem das, was hell ist oder in irgendeiner Form erleuchtet, wenn es auch selber und als solches nicht sichtbar ist. Da berührt man schon allein vordergründig physikalisch, ohne dass man da ganz tief gehen müsste, philosophisch, erkenntnistheoretisch, eine wichtige Stelle beim Licht. Das Licht ist eigentlich dunkel, und doch erleuchtet es die Welt, macht die Dinge sichtbar.

Geschichtlich gesehen, das wissen Sie alle, hat die Vorstellung über lange Zeiträume geherrscht, dass es im Grunde genommen keinen Unterschied macht, ob ein geistig-spirituelles Licht wahrgenommen wird oder ein sogenanntes physisches Licht. Die Erleuchtungserfahrung aller Zeiten und Kultur und mystischer Tradition, spiritueller Überlieferungen gilt ja als eine Licht-Erfahrung. Der so Beglückte, Beseligte oder auch Erschütterte nimmt das Licht wahr, er nimmt eine Lichtüberflutung wahr, Kaskaden des Lichtes und deutet diese ihm geschehene Offenbarung der Licht-Manifestation als Erleuchtung, als Erfahrung des Göttlichen, wie immer, und letztendlich dann auch das Licht des Tages als etwas zutiefst Göttliches. Das ist so genau nie getrennt worden, und auch in der Dreifachheit, von der ich gesprochen habe, ist es ja so gesehen worden, dass das absolute Licht auf dem Grunde der Welt das Göttliche bedeutet, ja ist, und dass von diesem Ur-Licht, von dem absoluten Licht, die beiden anderen Lichtformen emanieren.

Das können Sie durch die gesamte Philosophie, etwa des Neuplatonismus, ganz klar verfolgen, als Beispiel, als eine große, wichtige philosophische Tradition, die hier eine Rolle spielt. Und das hat sogar an der Schwelle der neuzeitlichen Naturwissenschaften eine entscheidende Rolle gespielt. Ich habe das in meinem Kopernikus-Büchlein in der Mitte der achtziger Jahre auch schon gebracht, dass die Überzeugung, dass die Sonne als die Lichtquelle der Gestirne eine zentrale Position haben müsste, war ein wesentliches Movens für die „Entthronung“, in Anführungszeichen, der Erde aus der Mittelpunktposition des Universums.

Es gibt eine berühmte Stelle in den kopernikanischen „Revolutiones“. Ich darf das mal kurz zitieren, ich habe das hier gebracht in der Rowohlt-Monografie über Kopernikus. Die ist die am meisten zitierte Stelle überhaupt bei Kopernikus. Aber sie ist wichtig auch für unser Thema. Achten Sie mal darauf, wie Kopernikus selber diese Lichtqualität beschreibt. Macht er einen Unterschied, oder ist das für ihn letztlich das Gleiche? Ich lese mal vor aus dem berühmten Buch über die Kreisbewegung der Himmelskörper von 1543: „In der Mitte aber von allen“, gemeint ist das Sonnensystem, „steht die Sonne. Denn wer wollte diese Leuchte in diesem wunderschönen Tempel an einen anderen oder besseren Ort setzen, als dorthin, von wo sie das Ganze zugleich beleuchten kann?“ Also hier wird die Ausleuchtungsfähigkeit der Sonne als ein Argument angeführt, dass diese Sonne in der Mitte der Welt stehen müsste. „Denn wer wollte diese Leuchte in diesem wunderschönen Tempel an einen anderen oder besseren Ort setzen, als dorthin, von wo sie das Ganze zugleich beleuchten kann? Zumal einige sie, nicht unpassend, das Licht, andere die Seele, noch andere den Lenker der Welt nennen.“ So bezieht er sich, ohne es direkt zu sagen, auf die neuplatonische Tradition, insbesondere auf den „Timaios“ von Platon. „Trismegistos bezeichnet sie als den sichtbaren Gott.“ Trismegistos, das meint „Hermes Trismegistos“, eine Sammlung von Schriften, 42 an der Zahl, von der man in der Renaissance bis ins späte 17. Jahrhundert hinein glaubte, dass diese Texte uralt sind. Noch Newton war der Überzeugung, dass diese Texte eine uralte Weisheit widerspiegeln vor der griechischen Philosophie und vor Moses. Also all diese Texte galten als sehr alt, man hat lange gerätselt, wann sind sie wirklich entstanden? Man weiß es nicht. Es gibt Spekulationen darüber, zweites, drittes, viertes Jahrhundert nach Christus. Neuerdings wird es wieder angezweifelt. Einige meinen, die Texte seien doch viel älter, als man angenommen hat. Also Trismegistos bezeichnet sie als den sichtbaren Gott. Also eine interessante Passage, ‒ der sichtbare Gott. „Die Elektra des Sophokles als den alles Sehenden.“ Damit wird also der Lichtqualität, der kosmischen Lichtqualität die Qualität auch des Sehens zugesprochen. Wir werden nicht nur, wir sehen nicht nur das Licht oder die Dinge im Licht, wir werden auch vom Licht gesehen. „So lenkt in der Tat die Sonne auf dem königlichen Thron sitzend, die sie umkreisende Familie der Gestirne. Auch wird die Erde in keiner Weise um den Dienst des Menschen, des Mondes gebracht, sondern der Mond steht, wie Aristoteles in seinem Werk „Di Animalibus“ sagt, mit der Erde im engsten Verwandtschaftsverhältnis. Indessen empfängt die Erde von der Sonne und wird schwanger mit jährlicher Geburt.“, also ganz metaphorisch-blumig, kann man sagen, poetisch hier von Kopernikus, der ansonsten eher ein nüchterner Geist war. „Wir finden also in dieser Anordnung eine bewunderungs­würdige Symmetrie der Welt und einen festen harmonischen Zusammenhang zwischen der Bewegung und der Größe der Bahnen, wie man ihn auf andere Weise nicht finden kann. Denn hier kann der aufmerksame Beobachter feststellen, warum das Vor- und Zurückgehen beim Jupiter größer erscheint als beim Saturn und kleiner als beim Mars und wiederum bei der Venus größer als beim Merkur“ und so weiter. ‒

Ganz kurz noch hier der Kommentar, den ich hier gebe in dem Büchlein, ein paar Sätze dazu. „In der Mitte aber von allen steht die Sonne. Mit diesem Satz beginnt einer der berühmtesten und meist zitierten Passagen der ,Revolutiones‘, von Interpreten häufig als Indiz gewertet für die Abhängigkeit des Kopernikus von der neuplatonischen Licht-Metaphysik, wie sie etwa in Marsilius Ficinus Schrift ,De Sole‘, ,Über die Sonne‘, zum Ausdruck kommt. Zuweilen wird gar die Geburt des heliozentrischen Grundgedankens aus der neuplatonischen Sonnenverehrung abgeleitet, so als sei diese der entscheidende Anstoß für Kopernikus gewesen, die traditionelle Astronomie zu verlassen. Eine derartige Interpretation kann leicht in die Irre führen, zumal wenn sie außer Acht lässt, dass auch innerhalb des ptolemäischen Weltsystems eine Art von Heliozentrik gegeben war, die zentrale Position der Sonne auf dem Weltradius zwischen Erde und Außensphäre, was meist vergessen wird.“ Also auch da gibt es eine Art Heliozentrik, die Sonne genau auf der Mitte des Abstandes zwischen dem Planeten, zwischen der Erde und der Fixsternsphäre. Platon hat noch darüber gegrübelt, ob man der Sonne nicht vielleicht die zweite Sphäre zuordnen müsste, damit sie die Welt optimal ausleuchtet. Also, Sie spüren das, dass bei Kopernikus, wie später noch stärker, noch stärker auch poetisch angereichert, dann bei Kepler gar keine klare Unterscheidung existiert zwischen diesen Lichtern. Das sogenannte physische Licht ist gleichzeitig das geistige, das spirituelle Licht, und die kosmische Ordnung wird von dieser Lichtmanifestation entscheidend mitbestimmt, ganz zentral dann bei Kepler.

Erleuchtungserlebnisse als Sonnen- oder Licht-Einflutungen, wenn man so will, gibt es nicht nur in der asiatischen Tradition, wo sie ja bekannt ist. Es gibt sie auch in der europäisch-abendländischen Überlieferung, und es gibt sie in einer sehr prominenten Stelle, auch bei dem größten Denker der Renaissance, bei Giordano Bruno, der in seiner Schrift „Die heroischen Leidenschaften“ ein solches Erlebnis einer Licht-Überflutung oder Licht-Ekstase, wie immer man das nennen will, beschreibt, die ihm im Alter von dreißig Jahren zuteil geworden sei. Das heißt, da er 1548 geboren ist, im Jahre 1578. Ich bringe das hier in der Bruno-Monografie an einer Stelle. Ich will das mal vorlesen, weil das im Grunde genommen eine Art von Erleuchtungserlebnis beschreibt, wenn Sie das so nennen wollen, nicht aus der buddhistischen oder asiatischen Tradition, sondern aus der westlichen Tradition. Also Giordano Bruno beschreibt, was ihm widerfahren ist im Alter von dreißig Jahren. Und auch er, das wird Ihnen auffallen, verbindet die geistig-spirituelle Lichtdimension mit der naturphilosophisch-kosmischen Lichtdimension.

„Die Strahlen oder Pfeile Apollons“, schreibt er, „offenbaren die göttliche Güte, Einsicht, Schönheit und Weisheit je nach den verschiedenen Wesensordnungen, wie sie nur durch leidenschaftlich Liebende aufgenommen werden. Das aber geschieht, sobald der Getroffene, nicht mehr mit diamantartiger Oberfläche das eindringende Licht zurückwirft, vielmehr durch die Glut und Helligkeit aufgeweicht und bezwungen, in seinem ganzen Wesen lichtartig wird. Er selbst wird gleichsam Licht, in dem dieses sein Fühlen und Denken durchdringt.“ Also man kennt solche Aussagen ja aus der Tradition etwa buddhistischer Erleuchtungserlebnisse. Also, „durch die Glut und Helligkeit aufgeweicht und bezwungen in seinem ganzen Wesen lichtartig wird, er selbst gleichsam Licht, in dem dieses sein Fühlen und Denken durchdringt. Das ist am Anfang bei der Zeugung noch nicht der Fall. Wenn die Seele, gerade eben berauscht aus dem Lethe und ganz durchtränkt aus den Wassern des Vergessens und der Verworrenheit hervorgeht, da ist der Geist noch zu sehr in die Gefangenschaft des Körpers und in den Dienst des vegetativen Lebens eingeengt. Der Begeisterte, der hier spricht“, er meint sich selbst, „bekennt 6 Lustren“, das sind 30 Jahre, „in dieser Verfassung“, also der Unerleuchtetheit, „Gebundenheit an die Materie verharrt zu haben und in ihrem Verlaufe noch nicht zu jener Reinheit der Einsicht gelangt zu sein, die ihn befähigt hätte, zur Wohnstatt der fremden Gestalten zu werden, die immer an die Tür der Vernunft pochen und sich allen in gleicher Weise darbieten.“

Also diese Lichtstrahlung des Geistes, dieses spirituelle Licht, ist immer anwesend, pausenlos, permanent anwesend. Nur meistens ist das Selbst dagegen diamantartig abgepanzert. „Schließlich aber ließ die Liebe, die ihn bis dahin vergeblich von verschiedenen Seiten her und zu verschiedenen Malen angegriffen hatte, ebenso wie man sagt, dass die Sonne für jene, welche im Innern der Erde im tiefen Dunkel sind, vergeblich leuchte und wärme, sich in den geheiligten Lichtern nieder. Sie zeigte ihm durch zwei intelligible Gestalten“, also geistig-seelische, metaphysische oder übersinnliche Gestalten, „die göttliche Schönheit. Diese band ihn nämlich durch die Sinngestalt der Wahrheit, die Vernunft und erwärmt ihn durch die Gestalt der Güte das Gefühl. So wurde das materielle und sinnliche Begehren überwunden, das vorher triumphierte, da es trotz der Vortrefflichkeit der Seele ungebrochen blieb. Nun konnten jene Strahlen, welche vom erleuchtenden und wissenden Geist, von der Sonne der Einsicht ausgesandt wurden, leicht durch seine Augen eingehen, und zwar die der Wahrheit durch die Pforte der erkennenden Kraft, die der Güte durch die Pforte des Begehrens ins Herz, d. h. ins Grundwesen des Gefühls, also so zum ersten Mal in dieser Weise erwärmt und im Geiste erleuchtet wurde, war jener siegreiche Punkt und Augenblick erreicht, von dem gesagt wird: vicet instans, der Augenblick siegt.“

Also eine klassische, eine, wenn man das genau liest, sehr genaue, hochsignifikante und faszinierende Beschreibung einer Lichtmanifestation, einer Art Erleuchtung, eines Erleuchtungserlebnisses. Das scheint offenbar früheren Bruno-Darstellern und -Forschern nicht aufgegangen zu sein. Aber seitdem das dann auftauchte in der Bruno-Monografie, geistert also das Erleuchtungserlebnis Brunos, dankenswerterweise kann man sagen, durch die Bruno-Literatur, und selbst der unsägliche Eugen Drewermann hat sich das in seinem Buch nicht nehmen lassen, dann auch von dem Erleuchtungserlebnis Brunos zu sprechen, das ihn an einem Strand zuteil wird, das fabuliert dann Drewermann sich zusammen. Es war dunkel, wolkenverhangenen Himmel, plötzlich brach die Sonne durch die Wolken, und, natürlich, Bruno sieht eine schöne Frau. Und dieser Zusammenhang, der plötzlich durchbrechenden Sonne zusammen mit der schönen Frau, macht das frei in seiner Seele, was vorher verschlossen war.

Gut, auf jeden Fall eine klare Beschreibung einer Lichtmanifestation, auf die Bruno seine gesamte Kosmologie und Philosophie zurückführt. Denn von diesem Augenblick an, soweit wir das zurückverfolgen können überhaupt, ist die gesamte Grundstruktur dieser revolutionären Kosmologie vollkommen fertig da, wird also nur noch modifiziert. Das hat ja immer wieder Verblüffung ausgelöst, wie Bruno so viele Dinge hat sagen können, ohne jemals ein Fernrohr benutzt zu haben. Es gab das Fernrohr noch nicht, es wurde ja erst 1610 erfunden. Also viele Dinge [hat er] einfach intuitiv geschaut, gewusst und erkannt. Eine zweite kurze Stelle aus einer ganz anderen Schrift, wo noch einmal auf diese Licht-Metaphysik eingegangen wird, und zwar in der Schrift „Die Fackel der dreißig Statuen“. Da schreibt er im Zusammenhang mit der Weltseele, anima mundi, die häufig auch als Weltlicht interpretiert wird, als Grundprinzip des Welt-Zusammenhangs, Zitat Giordano Bruno: „Wenn es eine Sonne gibt und einen zusammenhängenden Spiegel, dann kann man die eine Sonne in jenem ganzen Spiegel betrachten. Wenn es nun aber geschieht, dass jener Spiegel zerschlagen wird und in unzählige Teile zersplittert, so repräsentiert doch jeder Teil das Ganze, und wir sehen in jedem Splitter das ganze ungeteilte Bild der Sonne. In diesen Splittern aber wird wegen ihrer Kleinheit und weil sie in Unordnung geraten sind und sich vermischt haben, fast nichts mehr von der universellen Form erscheinen, die aber dennoch in ihnen enthalten ist, allerdings auf unentfaltete und verborgene Weise.“

Also in jedem kleinsten Teil der physisch-sinnlichen Materie, ist letztlich noch, wie in einem zerbrochenen Spiegel, das Ganze, wenn auch unentfaltet, enthalten, unmani­festiert. Also auch ein ganz wesentlicher Punkt, wo Bruno keinen substanziellen Unter­schied macht zwischen dem sogenannten physischen Licht und dem metaphysischen Licht.

Nun nochmal erkenntnistheoretisch, das ist wichtig für das ganze Thema ‒ physisches Licht oder metaphysisches Licht. Licht ist ja nur Licht, wenn es wahrgenommen wird, auch indirekt. Das energetische Korrelat, die energetische oder quasi-materielle Entsprechung des Lichtes ist ja nicht das Licht. Das ist ja ein Thema, was ich verschiedentlich auch angesprochen habe im Zusammenhang mit den Farben. Man kann zwar bestimmte Farben bestimmten Wellenlängen und Frequenzen zuordnen, das geht, das ist möglich. Dann hat man das quasi materielle Korrelat dieser Farben. Man hat aber nicht die eigentliche Qualität dieser oder jener Farbe. Die Qualität dieser oder jener Farbe bedingt ein wahrnehmendes Subjekt, bedingt ein wahrnehmendes Bewusstsein, ein Auge, eine seelisch-geistige Wesenheit, wahrscheinlich Ich-Wesenheit. Das ist wichtig, weil in den reduktionistischen Ansätzen, Natur zu betrachten, häufig dieser Punkt vergessen oder, schwächer formuliert, vernachlässigt wird. Man betrachtet oft nicht genau genug das, was wirklich passiert. Licht ist ein Wahrnehmungsvorgang.

Es geschieht etwas im Raum in einer bestimmten energetisch-materiellen Konfiguration, und das erscheint diesem Auge, einem Betrachter, als Licht. Das, was dieses Licht unabhängig von dem es betrachtenden Auge ist oder sein könnte, ist von diesem betreffenden Subjekt aus gar nicht entscheidbar. Es ist auch müßig. Es ist genau die Frage, die man ja immer wieder stellen kann: Was wäre eine Welt, grundsätzlich, wenn es nicht denjenigen gibt, der sie betrachtet? Naiv und schnell kann man sagen, natürlich existiert die Welt auch, wenn man sie nicht betrachtet. Schwieriger wird die Frage im Zusammenhang mit dem Licht. Gibt es das Licht, auch wenn es nicht gesehen wird, in diesem indirekten, von mir genannten Sinne? Das ist nicht entscheidbar die Frage, weil letztlich Licht als Licht, wie wir es verstehen, immer ein Gesehen-werden bedeutet oder ein Sehen von Dingen durch das selbe, in einem höheren Sinne vielleicht sogar grundsätzlich ein Von-diesem-Licht-gesehen-werden, von einem quasi göttlichen Auge aus dem Kosmos heraus Angeblickt-werden. Ein entscheidender Punkt für die ganze Frage nach dem Licht. Wenn man das Licht genauer betrachtet, sozusagen direkt auf das Licht zumarschiert, mittels Experimenten, mittels reduktionistischen Verfahren, mittels immer mehr verfeinerter technischer Instrumentarien, wird es immer rätselhafter. Es ist nicht so, dass das Licht in irgendeiner Form an irgendeiner Stelle sein Geheimnis offenbart und nun wüssten wir, was das Licht ist. Das ist gerade nicht der Fall. Das hat der Arthur Zajonc in seinem wunderbaren Buch „Gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein“ geradezu zu einem Leitmotiv gemacht. Das Licht, je mehr man sich damit beschäftigt und je genauer man auch experimentell ihm quasi auf den Leib rücken möchte, [es] immer rätselhafter wird, so dass man auch sagen muss, dass alle Vorstellungen, die existieren, gehandelt werden und mittels deren man auch in bestimmten Grenzen experimentelle Voraussagen machen kann, letztlich Bilder sind, die in irgendeiner Form dieses an sich rätselhafte mysteriöse Licht ins Nahe bringen.

Etwa die Photonen-Vorstellung. Es hat noch niemals ein Mensch dieser Erde wirklich ein Photon nachgewiesen. Das weiß jeder kritische Physiker ganz genau. Es gibt keine in sich konsistente Theorie, auch Quantentheorie, der Existenz von Photonen. Das ist eine bestimmte modellhafte Überlegung im Zusammenhang mit Licht, Emission und Absorption, die sich in bestimmten Grenzen als sinnvoll, als fruchtbar und auch als erfolgversprechend gezeigt hat. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass [es] in dem eigentlichen Sinne als objektive Entität Photonen gäbe. Insofern ist streng genommen auch der Titel des wichtigen Buches von Marco Bischof über die Forschung von [Fritz-Albert] Popp und anderen „Bio-Photonen“ unzulänglich, weil es voraussetzt, dass Photonen wirklich existieren. Nicht, das ist auch schon schwierig, überhaupt klar festzumachen. Auch das wird von kritischen Physikern auch eingeräumt, zugegeben. Man sagt, gut, das sind Bilder, mit denen können wir rechnen, mit denen können wir auch bis zu einem gewissen Grade Voraussagen machen.

Was die raumüberbrückende Bedeutung des Lichtes anlangt, über große Entfernung hinweg, so ist sowieso die Wellentheorie wesentlich erfolgreicher und kann da ja auch mit einer erstaunlichen Erfolgsquote angewendet werden und hat natürlich auch dann sofort, und das wird uns ja noch das nächste Mal beschäftigen, die Frage aufgewühlt geradezu: Wenn es denn tatsächlich so sein sollte, dass das Licht mit dieser aberwitzigen Geschwindigkeit von Billionen, zig Billionen Schwingungen pro Sekunde der winzigsten Wellenlänge schwingt, worin schwingt das Licht? Gibt es ein Etwas, in dem das Licht schwingt? Oder schwingt das Licht quasi im Nichts; sozusagen das schwingende Nichts oder das schwingende Etwas ‒ war die Frage. Das hat ja dann auch zu dieser ganzen Debatte geführt um die Frage des Äthers. Das habe ich ja am Freitag in der Werkstatt für dezentrale Energieforschung vorgetragen. Einige waren ja da, und ich will das in anderer Form dann auch in der nächsten Vorlesung am Dienstag bringen, weil das tatsächlich ein entscheidender Ansatzpunkt ist für die weiterführende Frage nach dem Licht. Denn das soll auch das Schwerpunktthema in diesem Semester sein. Das haben sie ja in der Übersicht gesehen: Licht und Bewusstsein. Ich habe ja in jedem Semester ein Schwerpunktthema, und das ist diesmal tatsächlich das Schwerpunktthema: Licht und Bewusstsein. Und in gewisser Weise wird wahrscheinlich auch, obwohl auf ganz andere Weise, der Gastvortrag dann in 14 Tagen in diese Richtung gehen können und darauf hinweisen.

Ich erlaube mir noch mal, das ganz kurz zu sagen, weil es ständig durcheinander gegangen ist. Nicht nächste Woche ist der Gastvortrag, habe ich wieder gestern bei Johannes Heinrichs die falschen Übersichten gesehen. Mit den vertauschten Daten, nicht nächste Woche ist der Gastvortrag, sondern in 14 Tagen, also nächste Woche am 16., wie es hier richtig steht auf dem Plan spreche ich über Lichtäther und Raumäther und überhaupt über die Äther-Frage, und in 14 Tagen wird die daoistische Philosophie von Lu Jin Chuan durch seinen Schüler Heiko Lassek dargestellt, weil der betreffende Dao-Großmeister nicht kommen kann, weil er kein Visum bekommen hat. Also in 14 Tagen ist dieser Gastvortrag von Heiko Lassek.

Ganz verblüffend zum Beispiel, nur mal eine kleine Facette von ganz vielen Facetten, die Zajonc darstellt, ist, dass es noch nicht einmal möglich ist, obwohl das allem naiven Raumgefühl und Ortszurechnungsgefühl widerspricht, den Ort, den genauen Ort des Lichtes festzustellen. Das Licht ist nicht einmal exakt lokalisierbar. Er gibt hier einen eindrucks­vollen Passus hier am Ende seines Buches „Der Ort des Lichtes“: „In einem wichtigen Aufsatz aus dem Jahre 1949“, ich zitiere mal eine kleine Passage hier, „befassen sich Eugen Wegener und T. D. Newton damals an der Princeton University, mit der Frage nach dem Ort von Elementarteilchen, Elektronen, Protonen, Mesonen und Photonen. Sie interessierten sich für lokalisierte Zustände, das heißt, sie suchten nach einer Möglichkeit, den Ort von Teilchen, den hypothetischen Photonen im System der Quantenmechanik eindeutig zu definieren. Alles ließ sich recht gut an, die Elementarteilchen, die wie das Elektron Neutronmasse besitzen, bedeuteten kein besonders Problem. Doch als sie sich dem Licht zuwandten, gab es Schwierigkeiten. Sie gelangten zu der Erkenntnis, das Licht stelle eine Ausnahme dar. Innerhalb der Quantentheorie konnten sie kein mathematisches Objekt finden, das dem Konzept des Ortes oder der Position, wie es uns geläufig ist, entspricht. Diese Beobachtung, ihre Schwierigkeit, den Ort des Lichtes zu entdecken, hat bis heute unverändert Bestand. In ihrer Analyse des Lasers beschreiben Marlen Scully, Mary Sargent und Willis Land eingehend, wie das Licht zwischen den beiden Spiegeln eines Laser-Hohlraums hin und her geworfen wird. Wenn wir uns das Licht korpuskular vorstellen könnten, würden wir uns den Vorgang natürlich als eine Art Tennismatch denken, bei dem die Bälle im Hohlraum hin- und herprallen. Doch das ist nicht der Fall.“ Dieser Hohlraum wird auch als Kavität bezeichnet. „Doch das ist nicht der Fall. Dazu die Autoren: ,Photonen sind innerhalb der Kavität nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort wie verschwommene Bälle zu lokalisieren. Vielmehr breiten sie sich über den gesamten Hohlraum aus.‘ Tatsächlich ist nie eine befriedigende Quantentheorie der Photonen als Teilchen vorgelegt worden,“ das habe ich schon gesagt, „im Gegensatz zu einer weit verbreiteten populären Auffassung, dass dies doch der Fall sei. Im Laufe der letzten 60 Jahre hat man sich immer wieder bemüht, aus der Quantentheorie eine Ortsbestimmung für das Licht abzuleiten, aber sie hat diesem ständig verweigert, was sie Masseteilchen so bereitwillig zugesteht. Warum ist das Licht nicht bereit, seinen Ort preiszugeben?“ ‒

Also eine verblüffende Tatsache, die jedem naiven, naiv-realistischen Vorstellungs­vermögen zuwiderläuft. Warum soll ein Ding, ein Es, ein Etwas, eine Qualität, keinen klar zuschreibbaren Ort haben? Das ist beim Licht tatsächlich der Fall. Das hat auch bei Zajonc dann dazu geführt, anzunehmen, das Licht habe eine grundsätzlich wesensverschiedene Qualität von allen sonstigen Phänomenen in der Welt. Es sei sozusagen eine Art Ur-Licht in der Materie, das sich auch sogar dem normalen Verständnis von Zeit, Raum und Kausalität widersetzt. „Inzwischen sollte längst deutlich geworden sein“, schreibt er am Ende seines Buches, „dass Licht einen ganz eigenen Charakter besitzt. Alle natürlichen Annahmen, die wir im Hinblick auf das Licht hegen, Annahmen, wie sie uns aus alltäglichen Verhältnissen vertraut sind, führen in die Irre. Wenn wir uns in die Domäne des Lichts begeben, geraten wir auf anderes Terrain. Wir müssen lernen, hinter uns zu lassen, was uns in der Vergangenheit lieb geworden ist und auf jeder Ebene zu den Urphänomen des Lichts vordringen. Teilchen, Wellen, Ort, alles sollte wie schmutzige Sandalen an der Schwelle dieses Tempels zurückgelassen werden. Das Licht in seinem Innern gehört einer anderen Ordnung an als die Objekte draußen.“

Das ist eine sehr weitgehende Aussage, nochmal: „Das Licht in seinem Innern gehört einer anderen Ordnung an als die Objekte draußen. Es regt uns an zu subtilen Gedanken, die auf dem Marktplatz nicht gängig sind. Wie Brunelleschi stehen wir im Portal zwischen Heiligtum und Piazza. Er blickte hinaus, interessiert an der Geometrie des Sehens. Wir wenden uns nach innen, fasziniert von der Morphologie des Lichts. Aus der Verbindung unserer aufgeschlossenen Vorstellungskraft mit den harten Fakten der Forschung geht die Einsicht in die Geheimnisse des Lichtes hervor.“

Also, es ist ein erstaunliches Phänomen, das, ich sage es noch mal, je mehr man dem Licht auf einem direkten experimentellen Wege gleichsam auf den Leib, auf den feinstofflichen Leib zu rücken versucht, umso mehr entzieht sich dieses Licht. Das lässt weitreichende Schlussfolgerungen oder Interpretationen zu. Was ist überhaupt dieses Licht? Und natürlich, die Frage, lässt sofort die Frage aufkommen, wie verhält sich diese Art von Licht dann zu Bewusstsein? Müssen wir sagen, dass es dann doch eine quasi physikalische Form des Lichtes gibt und daneben noch eine vollkommen andere, etwa ein Traum-Licht? Was etwa ist das Licht, was Träume illuminiert? Was ist das Licht, das den Geist erleuchtet? Und da sind wir an eine Grenze geraten, die die Denker natürlich immer intensivst beschäftigt hat und immer wieder zu neuen Überlegungen Anlass gegeben hat. Ich habe das auch getan in diesem Buch. Ich habe den Versuch gemacht, eine Art absolutes Licht zu konstatieren und von dort abzuleiten eine Art relatives Licht, wobei das relative Licht mit einer bestimmbaren Geschwindigkeit innerhalb dieses quasi absoluten Lichtes läuft, wobei dieses absolute Licht in diesem üblichen Sinne weder Geschwindigkeit hat, noch im engeren Sinne den physisch-sinnlichen Lichtqualitäten überhaupt ähnelt. Dann könnte man fragen, ist es legitim, überhaupt diesen Begriff zu verwenden? Dann ist man natürlich letztlich bei einer Licht-Metaphysik, ja, Licht-Mystik, wenn man das so nennen will, die man dann auch unterfüttern müsste, was ich glaube auch getan zu haben. Das ist auch ein wesentlicher Aspekt in diesem Buch, eine Art von Licht-Metaphysik, die in Verbindung steht mit einer bestimmten Vorstellung des Äthers.

Und wenn Kopernikus, und nach ihm verstärkt Kepler, und andere auf die Sonne verweisen, dann muss man einfach in Erinnerung rufen, das ist auch am Freitag in der Diskussion in der Werkstatt für dezentrale Energieforschung ganz deutlich geworden, dass wir über die sogenannte Sonne fast nichts wissen. Es gibt bestimmte theoretische, modellhafte Vorstellungen, was die Sonne sei, ein glühender Gasball oder ähnliches, aber man staunt, wenn man die Phänomene genauer betrachtet, was wirklich beobachtet wird und was daraus abgeleitet wird, wie wenig gestützt und sicher dieses sogenannte Standardmodell ist. Das wird auch gelegentlich direkt oder indirekt zugegeben. Das heißt, man muss sich dazu bequemen, dass letztendlich die Frage nach dem Zentralgestirn des Sonnensystems immer noch eine Rätselfrage ist. Es gibt so viele quälende und ungelöste Fragen darüber, dass man sich wirklich dazu bequemen muss, einfach zu sagen, wir wissen es einfach nicht. Und es wäre vielleicht gut, die ganze Frage noch mal in eine völlige Offenheit zu stellen und nicht zu denken, wir hätten die Antworten.

Und das geschieht auch. Das ist ein ganz wichtiger Prozess, der in diesen Jahren, wenn ich es richtig beobachte, läuft, dass tatsächlich, verdeckt noch und nicht marktschreierisch offen, diese Frage neu und offen gestellt wird, nämlich die Frage auch nach der Sonne, die wir vollkommen selbstverständlich ständig voraussetzen, wie man ständig voraussetzt, dass die Erde rotiert, dass die Erde sich bewegt. Das ist alles letztlich genauso. Ich habe Ihnen das ja letztes Mal erläutert, vollkommen ungeklärte Fragen. Das ist ja auch gesagt, dass kein Physiker dieser Erde weiß, warum sich die Erde dreht oder sich die Erde bewegt. Es gibt keine wirklich kausale substantielle Erklärung dafür. Es gibt nur ganz bestimmte Fiktionen, mit denen man rechnen kann, aber nicht wirklich eine kausale, eine substantielle Ursache-Wirkung-Erklärung.

Insofern ist es wichtig bei der ganzen Frage, das Mysterium, das das Licht darstellt, wirklich anzuschauen. Es ist nicht eine Mystifizierung des Lichtes oder sogenannter knallharter physikalischer Fakten. Das ist überhaupt nicht der Fall, eher im Gegenteil. Je genauer man hinschaut, umso rätselhafter, umso mysteriöser wird das Licht, und umso mehr bleibt die Frage letztlich eine beunruhigende und offene Frage, die ich auch nicht lösen kann, wie denn nun dieses spirituelle oder geistige Licht zusammenhängt mit dem sogenannten physisch-sinnlichen Licht, was man ja sowieso als solches nicht sehen kann. Man könnte sogar noch überspitzt sagen, aperçu-haft: Das eigentlich sichtbare Licht ist gerade das spirituelle Licht. Als These mal in den Raum gestellt: Das eigentlich sichtbare Licht, und zwar als solches sichtbare Licht, ist das spirituelle und geistige Licht, während das sogenannte physische Licht nur indirekt sichtbar ist, nur über die Verbindung mit der an sich dunklen Materie. Auch das ist ja im Grunde ein beunruhigendes Phänomen. Das wirft ja Fragen auf, die schwindelerregend sind. Die meisten Menschen denken darüber nicht nach, aber wer darüber nachdenkt, der kommt in einen merkwürdigen Sog rein.

Das wirft ja auch Fragen auf, etwa nach der Natur des Raumes und nach dem Zusammenhang von Raum und Licht. Das hat ja viele Astronauten auch total irritiert, denn es gab ja immer eine gewisse, sagen wir mal, emotionale Erschütterung auch über diese Frage. Was ist das eigentlich? Man hatte sich das ganz anders vorgestellt. Und obwohl es da gewisse Unsicherheiten gibt, wenn sie das mal verfolgen, was genau wahrgenommen wird, werden sie auf Widersprüche stoßen. Ich habe mir die Mühe gemacht, habe das mal genau recherchiert. Leider ist es widersprüchlich, also wenn Sie sagen, was haben die Astronauten etwa auf dem Flug vom Mond zur Erde und umgekehrt genau wahrgenommen? Dann ist das oft eine nachträgliche Interpretation. Selbst bei dem Edgar Mitchell, der in seinem berühmten Buch „Apollo 14 Astronaut“, der in seinem berühmten Buch darüber berichtet, selbst bei ihm kann man gewisse Zweifel haben, weil er hat das Buch, obwohl es schon seriös ist und man ihm das auch abnehmen kann, aber er hat es überarbeitet, und er hat es unter der, sagen wir mal, unter der Federführung eines Schriftstellers, der ihm den Text hat schreiben helfen, abgefasst. Und da ist es natürlich schwierig, ob ihm nicht da bestimmte Formulierungen dann unterlaufen sind, die das Phänomen wieder in ein anderes Licht stellen; also das nur mit aller Vorsicht gesagt.

Und das bleibt eine große Frage: Also welche Lichtqualität verbirgt sich im Dunkeln? Was ist dieses dunkle Licht, und was hat das dunkle Licht mit dem Raum zu tun? Und was hat das dunkle Licht mit dem Bewusstsein zu tun? Denken Sie an Novalis „Die Hymnen an die Nacht“, da haben Sie das ganz genau. Erst der große Hymnus an das Licht und dann „..abwärts wend ich mich nun zu der heiligen, unaussprechlichen Nacht“. Dann kommt plötzlich die Wendung zur Nacht, die auch eine Liebesqualität hat, aber auch eine Lichtqualität, also die Liebes- und Licht-Qualität in der Finsternis, gleichzeitig. Und das finde ich sehr dankenswert von dem Arthur Zajonc, dass er immer wieder betont in seinem Buch, dass man diese beiden Stränge gar nicht so streng trennen kann. Man kann nicht sagen, das ist die mystisch-poetische Dimension und das ist die faktische Dimension, weil an dieser Stelle, was das Licht betrifft, ist diese Trennung nicht zu vollziehen, und dann ist die Frage, ob man sie überhaupt vollziehen kann. Was beim Licht zu beobachten ist, mag vielleicht generell zu beobachten sein. Es gibt ja bei einigen Theosophen, Anthroposophen und anderen interessante Überlegungen dazu, die ich nur bedingt teile, aber die zumindest aufmerken lassen. Zum Beispiel gibt es bei Steiner, habe ich gelesen, einen Gedanken, dass er sagt, ich weiß es nicht genau, wo es steht, dass er sagt: Licht von innen betrachtet, das sind Gedanken. Also es wird dann, darauf baut er eine ganze Reihe von Überlegungen auf und es geht schon von bestimmten Prämissen aus, aber er sagt praktisch, was wir als Licht wahrnehmen, ist nur die Erscheinung, dahinter ist Geist, und zwar Gedanken, das Licht denkt, es denkt, Wesen denken, und wir nehmen dieses Denken als Licht wahr; was immer man davon jetzt halten mag. Eine Aussage jedenfalls, auf die ich gestoßen bin, in irgendeinem der späten Steiner-Vorträge.

Gut, ich will erst einmal an der Stelle einen Schnitt machen. Ich habe jetzt keine Pause gemacht. Ich will das, was jetzt weiter zu sagen wäre, von hier aus auch weiterführen, in der nächsten Vorlesung. Ich greife also direkt nochmal an der Stelle ein , bei der Licht-Frage, und gehe dann über zur Frage des Licht-Äthers und zu dem ganzen Zusammenhang von Licht, Raum, Bewusstsein, auch Raum-Energie, Licht, Bewusstsein, womit man sofort dann zentral in der Frage des Äthers ist, die eine in den letzten Jahren sehr stark diskutierte Frage ist, nachdem jahrzehntelang der Äther als tot galt in der herkömmlichen Physik, meldet er sich ja wieder zurück quasi und ist auf die Bildfläche zurückgekehrt, sagen wir mal im Bereich der sogenannten „New Science“, in den Überschneidungszonen zwischen etablierter Wissenschaft und Grenzwissenschaften.

Und ich habe mich zu dieser Frage auch in dem Buch eingehend geäußert und habe da auch eine eigene Äther-Theorie in die New Science eingebracht. Ich denke, dass ich ausnahmsweise mal der Aktualität des Tages wegen das jetzt so handhabe, wie ich es gesagt habe und überlasse dann Ihnen, wie sie den Tag noch weiter gestalten.

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Conclusio II – Umrisse einer neuen Naturphilosophie

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 24

Transkript als PDF:

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Ich habe das heute genannt: „Conclusio ‒ Umrisse einer neuen Naturphilosophie in tiefenökologischer und sozialökologischer Sicht“ ‒ Umrisse einer neuen Naturphilosophie, das versuche ich ja seit Jahren. Das sind immer wieder neue Annäherungen an ein ungeheuer schwieriges, komplexes Feld. Ein Feld, bei dem man auch ständig gewärtig sein muss, auf eine „Tretmine“ zu treten, also ein weltanschaulich besetztes Feld. Und auch in diesem Semester ging es ja wieder um diese Annäherungen.

Die eine oder andere Wiederholung ist unvermeidlich. Grundsätzlich muss ich das sagen, weil immer mal wieder mir hinterbracht wird: Das hat Herr Kirchhoff doch schon mal erzählt, das oder jenes: Selbstverständlich! Wie kann es anders sein, wenn jemand 200 Vorlesungen hält, dass er nicht immer mal wieder auch Motive aufgreift, zwei, drei, viermal erwähnt und beleuchtet in einem neuen Kontext. Es kann ja nicht darum gehen, ja immer wieder ein neues Happening zu veranstalten mit neuen, sozusagen heißen Stoffen, im buchstäblichen Sinne. Das kann es nicht sein, obwohl das auch reizvoll ist. Insofern wird es notwendig immer wieder Überschneidungen geben und manche Themen werden immer wieder erneut erscheinen in einer neuen Beleuchtung.

Die Frage, wie es zu einer Fehlentwicklung kommt, ist immer schwer zu beantworten. Die Herausgeber dieser Zeitschrift raum&zeit hatte mich für die nächste Ausgabe September/Oktober gefragt, hatte mir eine Reihe von Fragen geschickt, unter anderem auch die Frage: wie kommt es eigentlich zu dieser Fehlentwicklung, und wie sieht eigentlich eine Naturwissenschaft aus, der sie zustimmen könnten? Und er hat mich in diesem Zusammenhang in Verbindung gebracht mit einem von mir hochgeschätzten Mann. Ich fühle mich in gewisser Weise geehrt dadurch. Ja, es ist gleich zu Beginn: Jochen Kirchhoff ist mit Erwin Chargaff wohl der fundamentalste und zugleich fundierteste Kritiker der orthodoxen Naturwissenschaft. Und das gibt mir die Gelegenheit, hier noch einmal auf Erwin Chargaff zu verweisen. Das habe ich in früheren Jahren, in den Jahren 94, 95, 96 öfter getan. In den letzten zwei, drei, vier Jahren kaum. Erwin Chargaff, mittlerweile, wenn ich es richtig gerechnet habe, 94 Jahre alt, also 1905 geboren, einer der wichtigen, großen Biochemiker des 20. Jahrhunderts, der nach der Beendigung seiner wissenschaftlichen Karriere als Biochemiker anfing, für viele überraschend, für Kenner nicht unbedingt überraschend, in deutscher Sprache wissenschaftskritische Bücher zu veröffentlichen. Er ist an sich Österreicher, ist in den 30er Jahren, weil Jude, ausgewandert, ist dann in New York lange Zeit gewesen, er lebt heute noch dort. Verschiedentlich wurde gesagt, er hat den Nobelpreis nur knapp verfehlt. Ich habe ihn darauf angesprochen. Er meinte, er hatte sich nie Ambitionen auf den Nobelpreis gemacht. Er war ja einer der Vorläufer der Entdeckung der DNS schon in den vierziger Jahren. Dieser Erwin Chargaff hat in diesen letzten zwanzig Jahren 12, 15, 16, 17 fundamentale wissenschaftskritische Bücher veröffentlicht, hat es sich mit all seinen früheren Kollegen gründlich verdorben. Kaum einer nimmt ihn nun noch ernst oder nahm ihn nun noch ernst. Und Chargaff stellt sich auch der Frage nach den Gründen der Fehlentwicklung und zentral wichtig für uns: Gibt es Alternativen zu diesen orthodoxen Naturwissenschaften? Ich habe Chargaff in mehreren intensiven Gesprächen Anfang der 90er Jahre darauf angesprochen. Wir haben uns an seinem Urlaubsort im Berner Oberland getroffen und im Wesentlichen, meinte er, und das hat er auch in seinen Büchern immer wieder geschrieben, eigentlich nichts. Es gibt eigentlich keine wirkliche Alternative, es sei denn, man verzichtet auf das Ganze.

Das ist zunächst mal eine relativ radikale These, die er auch dann so im näheren Gespräch gar nicht aufrecht erhält. Ich will das trotzdem mal an einem Essay von Chargaff zeigen, der auch den Titel trägt „Gibt es Alternativen zu unseren gegenwärtigen Naturwissenschaften?“ Ich lese mal einige zentrale Passagen dazu vor, weil das für unsere Thematik zentral wichtig ist, auch für die Frage des Zusammenhangs von Naturphilosophie und Naturwissenschaft, ein Zusammenhang, der ja durchaus nicht selbstverständlich ist und immer wieder neu durchdacht und beleuchtet werden muss. Also, Erwin Chargaff schreibt in diesem Essay von 1988 „Gibt es Alternativen zu unseren gegenwärtigen Naturwissenschaften?“ Chargaff: „Ich bin das oft gefragt worden und habe, soweit ich konnte, darüber nachgedacht. Leider bin ich, um meine Antwort vorwegzunehmen, zu dem Schluss gekommen, dass es unter den jetzigen Umständen keine Alternativen gibt, es sei denn, man verzichtet auf das Ganze. Entsagung ist aber unserer Zeit fremder als irgendeiner anderen. Das abscheuliche Jahrhundert, das jetzt bald zu Ende geht und wahrscheinlich von einem noch ärgeren gefolgt werden wird, hat sich mit der Forschung und Technik verfilzt. Es erwartet von jener, dass sie Entdeckungen macht, die diese dann in neue Erfindungen und in die Produktion verkäuflicher Güter verwandeln kann. Innovation ist ein geistloser Slogan, aber er regiert die Zeit. Daher ist besonders unter Jungen die Sehnsucht nach Alternativen lebendig. Diese sind sich dessen vielleicht mehr bewusst als die Älteren, dass ein Erstickungs- und Vergiftungsprozess im Gange ist, der unsere Erde bald nicht mehr bewohnbar machen wird. Dem so weit wie möglich abzuhelfen, ist ein heroischer Aufruf. Wo aber ist unser Herakles, wo sind die mythischen Helden der Gegenwart? Leider ist diese Gegenwart, die mit Argusaugen, wie ein Haftelmacher sagt man in Wien, auf die kleinste technische Neuerung lauert, um sie sich anzuschaffen. So bleibt eigentlich der Ruf nach Alternativen unaufrichtig, denn ohne Askese geht es nicht. Leute, die die Umwelt aus ihrem privaten Automobil retten, sind mir verdächtig. Aber sie sind die Einzigen, die uns noch verblieben sind. Die hauptsächliche Alternative zu den gegenwärtigen Naturwissenschaften wäre, sich ihrer zu enthalten, sie fallen zu lassen. Ich habe schon anfangs angedeutet, dass das nicht geschehen wird. Noch auch bin ich sicher, dass es wünschenswert wäre. Erstens würden die Schlauköpfe, die sich jetzt mit der fortgesetzten, immer kostspieliger werdenden Zertrümmerung des Atomkerns beschäftigen, oder Diejenigen, die gerade dabei sind, dem Zellkern, Krebs und andere schwere Krankheiten als Erbgut anzuzüchten, dann vielleicht auf noch schlimmere Ideen kommen. Und zweitens kann ich mir nicht verhehlen, dass die Wissenschaft in ihrer Summe, wie sie seit Jahrhunderten aufgehäuft worden ist, viel Großartiges enthalten, worauf die Menschheit nicht verzichten kann.“ Dann heißt es hier weiter: „Alternativen ‒ wie könnte zum Beispiel eine andere Chemie aussehen? Eine Chemie mit einem freundlicheren Gesicht. Forschung an sich ist weder freundlich noch unfreundlich. Sie folgt dem Gesetz, das der verhängnisvolle Wissensdrang des Menschen ihr auferlegt. Nicht einmal die fürchterliche Verschmutzung der Welt kann der reinen Forschung zur Last gelegt werden. Wohl aber kann ich mir vorstellen, dass das Gewissen des einzelnen Forschers als Bremse wirkt, so dass er sich weigert, zum Beispiel über Gifte und Nervengase zu arbeiten und Hekatomben von Tieren zwecks trivialer Details in den Tod zu treiben. Alternativen können nur aus dem Herzen der Einzelnen kommen, die es verstehen, dass Wissenschaft nie zu einer Lizenz der Unmenschlichkeit werden darf. Meiner Meinung nach gibt es nur eine gültige Alternative zur Naturforschung, nämlich mit ihr aufzuhören, ihr wegen ihrer verheerenden Folgen zu entsagen. Ein solcher Entschluss von Seiten der Menschen entspräche einer geistigen Umwälzung, möglicherweise vergleichbar derjenigen, die zur Ausbreitung des Christentums geführt hat.“ Und der Essay schließt ab: „Wer die Gegenwart abscheulich findet und die Vergangenheit unwiederholbar, ist versucht, sich mit der Zukunft einzulassen. Das will ich nicht tun. Schon deshalb nicht, weil ich vermute, dass die Zukunft eine ewige Gegenwart ist. Genauso wie in Dichtung und Kunst alles mit der Moderne aufgehört hat und was nachher kommt, ist nur postmodern, scheinen wir in einer Epoche der Postgegenwart hineingeraten zu sein. Vieles verschwindet, nichts wird ersetzt. Die Wirklichkeit steht nur auf dem Papier. Wir schnappen nach Luft in einem Knäuel von Bei- und Vorläufigkeiten. Wir machen nur so, wir simulieren, dass wir die Pseudozukunft im Griff haben. In Wirklichkeit gibt es keine Wirklichkeit mehr. Die Dienstleistungsgesellschaft kennt nur Fertigwaren, und die sind von sehr schlechter Qualität. Auf dem Bildschirm ist alles ,als ob‘ und noch dazu eindimensional. Auch die Naturforschung ist eindimensional geworden, sie kennt das Bekannte, sie denkt das Gedachte. Sie gleicht einem riesigen Fischteich, aus dem sie jetzt unter Geschrei herauszieht, was sie früher hineingesetzt hat. Wie Fische es tun, hat dieses sich vermehrt gehabt. So erhebt sich die Wiederentdeckung der Wirklichkeit als die einzige Alternative. Woher jedoch die Kraft zur Einschränkung kommen kann, welche die Menschheit zur makroskopischen Wirklichkeit zurückdrängt, weiß ich nicht.“

Ich habe das im Sommer 1996 in ähnlicher Form gebracht und einen langjährigen treuen Hörer damit schwer verärgert, der das für einen Aufruf zur Resignation hielt. Er habe immer gedacht, es gäbe eine andere Möglichkeit, Natur zu betrachten. Nun höre er, dass dem nicht so sein. Ich muss sagen, dass ich über diese Frage mit Chargaff sehr eingehend gesprochen habe, und ich habe ihn direkt angesprochen auf diesen Punkt. Wie ist das? Müssen wir quasi resignieren? Müssen wir sagen, gut, es gibt die herrschende technisch- analytische, reduktionistische Forschung oder als Alternative den Verzicht auf all das. Da hat er dann doch einlenkend und in gewisser Weise nuancierend und relativierend geantwortet: So radikal habe er es doch nicht gemeint, denn er glaube doch, dass es möglich sei, von Seiten einer kritischen Naturwissenschaft oder von Seiten der Naturphilosophie, die Naturwissenschaft daraufhin zu befragen, was denn ihre Prämissen, was denn ihre Voraussetzungen seien, und dies hielt er für eine der wichtigsten Fragen: Kritik der Prämissen; was ist wirklich Wissen, und was ist Vermutung, Spekulation, Mutmaßung, was ist pures Modell. Das war der eine Punkt.

Zum zweiten, sagte er, müsste man unbedingt die ökologische Krise im Kontext dieser Überlegung heranziehen als die Auswirkung dieser Art von Naturwissenschaft. Und dann, was mich sehr verblüffte, meinte er, er kenne nur einen einzigen Naturforscher bzw. Naturphilosophen, von dem er annehme, dass er in gewisser Weise die Voraussetzungen in sich berge, zu einer anderen Naturwissenschaft zu gelangen, und das sei Giordano Bruno, der große Renaissance-Philosoph und Zeitgenosse Galileis. Ich sage das deswegen, weil Chargaff nicht, damals nicht, meine Bruno-Monografie kannte. Soweit ich mich erinnere, kannte er damals nur die Schelling-Monografie. Grundsätzlich hatte er einen Stand erreicht, das wird sich heute nicht geändert haben, wo er Texte der Gegenwart, philosophische, wissenschaftliche Texte der Gegenwart, grundsätzlich für irrelevant hielt und sich weigerte, sie zu lesen. Mir hat er das Kompliment gemacht zu sagen: Ich habe ihr Buch über Schelling nur gelesen, weil es sich um einen, weil es über einen Philosophen handelt, den er schätzt, eine große Persönlichkeit der Vergangenheit, nicht weil es ein zeitgenössischer Philosoph abgefasst hat. Also, ein Punkt, den man erst einmal im Bewusstsein behalten muss.

Eine radikale These wäre es, wir verzichten auf das Ganze. Chargaff weiß, dass das unmöglich ist. Das würde wirklich eine radikale Kulturrevolution bedeuten. Wie sollte das aussehen? Das ist in der Form vollkommen absurd.

Das führt uns oder mich auf die weitere Frage, die in diesen Vorlesungsreihen ja immer wieder eine Rolle gespielt hat, und ich muss das erneut präzisieren: Wie sieht es denn aus mit dem Verhältnis von Naturphilosophie und Naturwissenschaft? Das ist immer wieder Anlass zu Missverständnissen. Immer mal wieder wird gesagt, ich habe das schon einleitend in diesem Semester gesagt: Was kann Naturphilosophie? Naturphilosophie kann nur zur Kenntnis nehmen, was es an Ergebnissen der sogenannt exakten Naturwissenschaften gibt. Naturphilosophie kann dann diese Ergebnisse, wenn sie intelligent ist, in ein gewisses, in sich konsistentes oder kohärentes System bringen. Das glaube ich nicht. Das hieße, die Naturphilosophie, wenn sie denn richtig verstanden wird, weit unterschätzen. Zumal ich grundsätzlich nicht glaube, dass es überhaupt einen substanziellen Unterschied gibt zwischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft. Denn was soll der Unterschied denn sein? Es kann doch nur darum gehen, zu verstehen, was Natur ist. Was ist Natur? ist die zentrale Frage der Naturphilosophie, wie unser Verhältnis zur Natur beschaffen ist, in was für einem Universum wir leben, das ist doch letztlich die Frage, die uns interessiert. Was interessiert uns denn sonst? Die konkrete, lebendige, wirkliche Natur und nicht abgehobene Konstruktionen über dieselbe. Uns interessiert doch in der Tiefe, wie die Wirklichkeit ist. Und da gibt es verschiedene Zugänge zu dieser Wirklichkeit, und lange Zeit hindurch war das auch in der Wissenschaft, Wissenschaftsgeschichte ohnehin das Gleiche. Naturphilosophie war Naturwissenschaft und umgekehrt.

Ich habe ja verschiedentlich erwähnt, dass das Newtonsche Hauptwerk „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie“ hieß und Newton sich ausdrücklich als Philosoph verstanden hat. Das muss man einfach sagen, es war so. Er hat sich als Naturphilosoph verstanden, ein Naturphilosoph, der sich bestimmter mathematischer Prinzipien bediente. Und da ist man natürlich bei der Frage: Wie ist es überhaupt mit der Mathematik in dem Kontext. Ist der Naturwissenschaftler Derjenige, der experimentiert und der sich der Mathematik bedient, während Naturphilosophie nur denkt? Auch so ist es nicht. Man kann auch in ganz anderer Weise, auch mittels der Mathematik und mittels ganz bestimmter Überlegungen über Zahlen sich mit Natur beschäftigen. Auch diesen Gegensatz müsste man eigentlich ausräumen. Ich plädiere dafür, erst einmal grundsätzlich zu sagen, es geht um ein Verständnis der Natur, um ein Verständnis der Wirklichkeit dieses Universums, in dem wir leben ‒ nichts weiter. Und da gibt es verschiedene Zugänge, verschiedene Möglichkeiten. Dass Naturphilosophie im Grunde Naturwissenschaft ist, hat schon vor 200 Jahren Schelling in seinen frühen naturphilosophischen Schriften immer wieder betont. Er sagt mehrfach, Naturphilosophie sei spekulative Physik, wobei man sagen muss, dass der Ausdruck „spekulativ“ in der damaligen Zeit nicht diesen negativen Beigeschmack hatte, den er später hatte. „Spekulativ“ meint einfach denkend im Kontext der Zeit. Philosophie, Naturphilosophie ist spekulative Physik heißt, es ist denkende Physik, aber es ist Physik. Immer wieder hat Schelling betont, dass er im Grunde genommen Physik betreibt, und zwar denkende Physik. Ja, er hat, das weiß ich aufgrund langjähriger Schelling-Studien sogar, er ist sogar so weit gegangen, zu sagen, was Newton macht, sei keine wirkliche Naturwissenschaft. Ein ungeheuerlicher Vorwurf von Seiten eines Denkers, viele halten ihn für absurd. Er macht Newton den Vorwurf, dass seine Naturphilosophie im Grunde keine wirkliche Naturwissenschaft sei, weil [er] sich ausschließlich mit mathematischen Konstrukten beschäftigt und nur bedingt mit der Wirklichkeit des Universums.

Ich lese mal eine kleine Stelle von Schelling vor, die vor 200 Jahren geschrieben wurde, aber im Prinzip, in der Grundanlage kann man sagen, ist das auch heute noch durchaus gültig, wenn man auch die Begriffe verändern muss. „Indem wir dadurch deutlich machen, wodurch unser Unternehmen“, sagt Schelling 1798, „sich von allen ähnlichen bisher gewagten unterscheide, haben wir zugleich den Unterschied der spekulativen Physik von der sogenannten empirischen angedeutet“, also der denkenden Physik von der bloß experimentellen, würde man heute sagen, „welcher Unterschied sich hauptsächlich darauf reduziert, dass jene einzig und allein mit den ursprünglichen Bewegungsursachen in der Natur, also allein mit den dynamischen Erscheinungen, diese dagegen, weil sie nie auf einen letzten Bewegungsquell in der Natur kommt, nur mit den sekundären Bewegungen und selbst mit den ursprünglichen nur als mechanischen, also auch der mathematischen Konstruktion fähig, sich beschäftigt, da jene überhaupt auf das innere Triebwerk und das, was an der Natur nicht objektiv ist, diese, also experimentelle Naturwissenschaft, hingegen nur auf die Oberfläche der Natur und das, was an ihr objektiv und gleichsam Außenseite ist, sich richtet.“ Also sehr vereinfacht gesagt, Naturphilosophie ist der denkende Blick von innen, während in diesem Sinne empirische Physik, im Sinne Schellings, oder experimentelle Physik ein Blick auf die Außenseite der Natur ist.

Natürlich muss man hier auch immer die Innenseite mit berücksichtigen, aber erst einmal geht es um diesen Gegensatz. Für Schelling jedenfalls ist Naturphilosophie im Grunde das Gleiche wie Naturwissenschaft. Es geht nur und ausschließlich um ein Verständnis dessen, was Natur ist.

Es ist eine grundsätzlich wichtige Frage in dem Zusammenhang, wie der denkende Naturphilosoph oder Naturforscher umgeht mit dem, was ihn an experimentellen Ergebnissen der sogenannten empirischen Naturforschung erreicht. Sprich, wie stellt er sich zu bestimmten Messergebnissen? Das hat ja auch Irritationen ausgelöst, dass ich da von Hauschka Messergebnisse erwähne aus den 30er-Jahren, die so vielleicht nicht im üblichen Sinne reproduzierbar sind. Wie kommen wir dazu, die eine Messreihe für legitim und die andere für nicht legitim zu halten? Das ist ein sehr schwieriger Punkt.

Man darf nie außer Acht lassen, dass auch in der sogenannten theoretischen Physik in den seltensten Fällen, wenn es um Denkzusammenhänge geht, direkt nachgeprüft wird. Der theoretische Physiker übernimmt die Messergebnisse von den Experimentalphysikern. Er prüft das ja nicht nach, er hätte ja viel zu tun, wenn er in jedem Augenblick, sagen wir mal Messergebnisse, Lehrbücher auch noch selber verifizieren wollte. Es gab ja genügend auch theoretische Physiker, Wolfgang Pauli ist ein berühmtes Beispiel dafür, die haben es geradezu abgelehnt, jemals ein konkretes Experiment durchzuführen, sondern sie haben im Wesentlichen Gedankenexperimente favorisiert. Woher weiß, grundsätzlich gesprochen, der theoretische Physiker, dass die Messergebnisse, die er von Experimentalphysikern übernimmt, überhaupt stimmen? Das kann er gar nicht wissen. Er nimmt, übernimmt erst einmal aus den herkömmlichen und allgemein akzeptierten Lehrbüchern die Messwerte. Anders kann er gar nicht verfahren, versucht die dann in ein kohärentes System zu bringen.

Nun ist es aber …, nun gibt es genügend Beispiele aus den Wissenschaften, dass auch falsche und schlecht gestützte Messergebnisse in den Lehrbüchern auftauchen. Es gibt viele spektakuläre Beispiele. Das ist nicht unbedingt eine Frage einer bewussten Fälschung, sondern einer gewissen Nonchalance im Weitertradieren dieser Messergebnisse. Ich habe schon einmal ein Beispiel genannt, was ich in ganz anderem Zusammenhang dann im Wintersemester nochmal aufgreifen möchte, die berühmten Michelson-Morley-Versuche, weltberühmte Versuche, in Potsdam-Babelsberg begonnen, in Chicago fortgeführt und in weiteren Städten. Es ging um die Frage: Gibt es einen sogenannten Ätherwind? Ätherwind ‒ das will ich ganz kurz erläutern, bedeutete in der damaligen Vorstellung, Maxwell hatte das zunächst vorgeschlagen: Wenn wir davon ausgehen, dass es einen Äther gibt, der im Universum ruht, dann müsste, wenn die Erde sich durch dieses All bewegt, ein Ätherwind zu registrieren sein, wie auf einem Fahrzeug, was sich bewegt, eine Art Wind zu verspüren ist, auch wenn Windstille herrscht. Man hat sich dann Experimente ausgedacht, sehr differenzierte Experimente, wie gesagt, Maxwell hat diese Experimente zunächst vorgeschlagen, Michelson hat sie nachgemacht und dann zusammen mit Morley in Chicago 1887 und viele andere Messreihen. Gibt es diesen Ätherwind, oder nicht?

Ich habe mir die Mühe gemacht, die einschlägigen Lehrbücher zu befragen. In allen Lehrbüchern steht, es gibt diesen Ätherwind nicht. Alle Messergebnisse hätten eindeutig bewiesen, der Ätherwind existiert nicht. Also, konnte man darauf schließen, entweder gibt es den Äther überhaupt nicht; das war ja die Schlussfolgerung, die dann gezogen wurde seit Einstein, oder der Fehler liegt woanders. Nicht, dann musste man darüber nachdenken, wurde der Äther vielleicht mitgeführt von der Erde? Das war ja auch eine Überlegung, oder gibt es andere Möglichkeiten? Die extremste Interpretation war bekanntlich die von Einstein, das ganze Raum-Zeit System einfach umzubauen, ausgehend von der absoluten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Wenn man aber sich der Mühe unterzieht, das kostet wirklich einige Mühe, mal Detailforschung zu betreiben und nachzuforschen, was ist denn wirklich gemessen worden? Dann stellt man heraus, es hat immer Ätherwinde gegeben. Alle einschlägigen Experimente haben Ätherwinde erbracht, immer zwar minimale Ätherwind-Effekte, aber es hat immer einen gewissen minimalen Ätherwind-Effekt gegeben. Was verblüffend ist, das kann man nicht unbedingt mit Messungenauigkeit erklären.

Man kann natürlich sagen, es darf keinen Ätherwind geben, kann man sagen. Dann muss man alle Messungen, die es dann wirklich gibt, für Fehler halten. Die Leute haben einfach falsch gemessen. Es geschieht ja oft. Irgendeiner behauptet etwas aufgrund von Messungen, geschieht ja ständig. Dann sagt erstmal die scientific community, das kann nicht stimmen, weil, der hat falsch gemessen, wie etwa immer mal wieder der Verdacht aufgetaucht ist im Laufe der Geschichte der Naturwissenschaft, dass fallende Körper nicht gleich schnell fallen. Die berühmte Annahme Galileis, alle Körper fallen gleich schnell im Vakuum, ob eine Feder oder eine Bleikugel. Immer mal wieder ist der Verdacht aufgetaucht, dass stimmt gar nicht. Es habe geringfügige Abänderungen gegeben, verursacht durch ein sogenanntes fünftes Feld. Das hat sich nie hundertprozentig verifizieren lassen, ist aber erst einmal bezeichnend, dass solche Messungen immer wieder aufgetaucht sind. Ich will nur sagen, wo kann ein normaler kritischer Betrachter, … woher kann er wissen, was stimmt, was nicht stimmt? Er muss sich also den Kontext sehr genau ansehen, und es ist ganz fatal, wenn er einer bestimmten Interpretation vollständig verfällt, übrigens auch was die Hauschka-Experimente betrifft. Ich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass diese Experimente so jederzeit reproduzierbar sind. Es ist überhaupt eine grundsätzliche Frage, ob Experimente in diesem absoluten Sinne, wie es die Naturwissenschaft favorisiert, überhaupt reproduzierbar sein können. Auch das ist ein sehr weites und schwieriges Feld: Ist es nicht abhängig, auch wieder von der Tages- und Jahreszeit, vom Breitengrad, von ganz feinen Anomalien, auch der Gravitation, des Elektromagnetismus und so weiter? Will sagen: Diese Fragen sind extrem schwierig, und wenn eine bestimmte Interpretation sich mal durchgesetzt hat, wenn sie akzeptiert wird von der scientific community, dann wandern diese betreffenden Behauptungen auch durch die Lehrbücher, und der philosophisch Interessierte, Deutende und Interpretierende ist gezwungen, sich darauf zu beziehen. Das ist wirklich ein ganz zentraler Punkt. Wir können gar nicht anders, wir müssen uns bis zu einem gewissen Grade auf solche Dinge beziehen.

Wenn wir die Möglichkeit haben, das nachzuprüfen, was ich in einzelnen Punkten auch gemacht habe, dann kann man das tun. Ich weiß, dass es ja diese berühmten Experimente von Wilhelm Reich gegeben hat in den 30er Jahren. Die hat man lange Zeit angezweifelt. Heiko Lassek und sein Team hat dann mit einem Super-Elektronenmikroskop diese Versuche nachgemacht. Siehe da, die Ergebnisse von Reich stimmten. Jahrelang, jahrzehntelang hat man behauptet, Reich hat phantasiert. Es gibt diese sogenannte Bionen gar nicht. Dann hat man aber tatsächlich mit enormen … , mit dem damals leistungsstärksten Elektronenmikroskop festgestellt: Reich hat Recht, es gibt so etwas wie diese Bionen, jedenfalls nennt es Reich so. Ob es dann wirklich diese Bionen als kleinste Atome gleichsam des Lebendigen gibt, ist eine andere Frage. Aber er hat in diesem Sinne richtig beobachtet. Auch da ist es schwierig, weil, wie gesagt, lange Jahre behauptet wurde, der Reich hat phantasiert. Also das ist auch filmisch festgehalten. Ich kann mich im Moment nicht erinnern, ob Heiko Lassek vor drei Jahren bei mir auch die Filme gezeigt hat. Ich glaube nicht, aber er hat in seinen Vortragsreihe in der UFA mehrfach auch die Filme gezeigt. Man kann das also tatsächlich nachprüfen.

Nun kann man nicht immer alle Experimente ausführen, aber es ist wichtig, erst einmal da eine gewisse Aufmerksamkeit darauf zu richten und zu wissen, dass die Frage wirklich schwierig ist. Also Michelson-Morley ist nur ein Beispiel. Ich werde im Winter noch mal auf diese Frage zu sprechen kommen, weil das zentral wichtig ist für das Verständnis überhaupt dessen, was Licht bedeutet.

Was die Naturphilosophie, wenn man sie einmal von der experimentellen, der empirisch messenden Naturforschung jetzt doch abtrennt, leisten kann oder leisten sollte, ist tatsächlich eine Art Grundlagenkritik, eine Kritik an den Prämissen. Und diese Prämissen sind philosophische Prämissen. Man darf das nie außer Acht lassen, das sind philosophische Prämissen. Und wenn Forscher, was immer wieder vorkommt, sich überhaupt nicht einigen können über grundlegende Messdaten, obwohl die Messdaten vorliegen, dann ist es häufig darauf zurückzuführen, dass Forschergruppen jeweils ganz unterschiedliche Auffassung von dem haben, was überhaupt Wissenschaft sein soll, und was überhaupt eine legitime wissenschaftliche Theorie ist. Ich nenne immer wieder gerne das berühmte Beispiel des totalen Zerwürfnisses von Niels Bohr und Albert Einstein über die Frage der Quantentheorie. Einstein hat nur gespottet: Die Bohrsche Physik sei eine Tranquilizer-Philosophie, das hat er nie akzeptiert. Und umgekehrt war der Spott auf der anderen Seite. Also beide hatten grundsätzlich verschiedene Vorstellungen darüber, wie Wirklichkeit beschaffen ist. Also, wenn man probabilistisch, wenn man meint, man habe nur probabilistische Ergebnisse … und Einstein immer wieder sagt: Das kann nicht stimmen, da ist ein Fehler drin, da gibt es irgendwo eine verborgene Größe oder gewisse verborgene Parameter, die muss man mal herausfinden. Mittlerweile ist es so, dass eine ganze Reihe von Naturforschern auch dieser Auffassung sind, und die Quantentheorie in dieser Form, in der Kopenhagener Interpretation, gerät arg in Bedrängnis. Man hat sich oft genug jetzt über diesen Aspekt von Einstein mokiert. Könnte sein, dass er in der Tiefe Recht gehabt hat mit seiner Kritik daran.

Ich will nur sagen, auch das ist schwierig. Von welchen Voraussetzungen geht man denn aus? Was hält man für wirklich? Was ist denn überhaupt eine Wissenschaft? Legitime, wissenschaftlich legitime Theorie, und, das sage ich auch mehrfach: Welche Phänomene werden denn überhaupt als Phänomene akzeptiert? Das ist ja auch sehr schwierig ‒ und damit überhaupt für würdig befunden, gedeutet zu werden. Ich kann natürlich sagen, wenn man jetzt diese legendären, berühmten, ja in der Presse immer wieder auftauchenden sogenannten Kornkreise überlegt, das ist von vornherein nur ein Fake, eine Fälschung. Es hat natürlich, man weiß das, einige Leute gegeben, die haben diese Kornkreise gefälscht, aber die pure Quantität und Qualität dieser Kornkreise kann in Gänze nicht gefälscht worden sein, und die Frage bleibt die: Hier ist ein beunruhigendes Phänomen, das man erst einmal sich anschauen muss, nicht von vornherein sagen kann, von einer bestimmten Prämisse aus, was ist wirklich, was ist unwirklich ‒ das ist unmöglich. Und dafür plädiere ich seit Jahren immer wieder in dem Zusammenhang, dass man überhaupt erst mal eine Phänomenologie auffächert, die die Würde dieser Phänomene begreift und dann auch wirklich versucht zu interpretieren ‒ und nicht von vornherein bestimmte Phänomene wegfiltert, weil sie nicht sein dürfen.

Nicht, wenn man jetzt sagt, wie man es ja lange Zeit auch dogmatisch fast gesagt hat, nach 1905, als ich dann …, oder sagen wir mal in den 20er Jahren, als sich die Spezielle Relativitätstheorie etabliert hatte, sagte, den Äther gibt es nicht. Nur hat der Äther natürlich unter der Oberfläche immer ein bestimmtes Dasein geführt. Im Quantenvakuum taucht er dann wieder auf als Raum-Äther. Aber erst einmal der Begriff war fast tabuisiert. Das gibt es nicht, weil die Messergebnisse so sind, wie sie sind. Mal ganz abgesehen davon, dass man auch die Messergebnisse, wenn sie so sein sollten, wie es immer behauptet wird, anders interpretieren kann. Auf jeden Fall ist da ein großes Feld von Denken über Phänomene und wirklich ein vorurteilsfreies Denken der Phänomene, so weit das möglich ist. Jeder hat seine Vorurteile, es ist ganz klar, aber es ist wichtig, dass man erst einmal diese Phänomene sich anschaut. Es gibt viele andere Phänomene dieser Art und da staunt man, wenn man sich mal diese Offenheit wirklich zu erhalten versteht, was es da alles zu entdecken gibt, und wie mysteriös und rätselhaft dann immer noch, sage ich mal, diese Welt ist. Diese Welt ist immer noch ein brodelndes, vollkommen abgründiges Mysterium. Da sollte man sich keiner Sekunde einer Illusion hingeben. Diese Welt ist immer noch ein brodelndes, abgründiges Mysterium, und alle Ergebnisse sind kleinste Lichtsignale in eine große, gewaltige, uns Menschen bei weitem übersteigende Größenordnung. Das ist wichtig.

Auch Chargaff betont das immer wieder, dass da letztlich ein großes Mysterium besteht, was auch das Lebendige überhaupt auszeichnet. Denn bis zum heutigen Tag ist noch niemandem gelungen, Leben wirklich eindeutig verständlich zu machen, überhaupt verständlich zu machen: Was ist Leben? Das hat die Biologie bis heute nicht geleistet. Man kann fast sagen: Es ist gut, dass sie es nicht geleistet hat, in Anführungszeichen. Also, die Frage bleibt, und ich habe ja in diesem Semester immer wieder vom Leben gesprochen. Wir haben uns ja immer wieder verständigt über die Frage: Was ist Leben? Wie entsteht lebendige Form? Ich habe Ihnen ja Möglichkeiten vorgestellt, wie man lebendige Form verstehen kann, etwa mittels biologischer Felder, was uns ja auch hier Marco Bischof vorgestellt hat im Sinne der Biophotonen. Eine ganz andere Frage ist grundsätzlich: Gibt es überhaupt Photonen? Auch das habe ich ja schon angedeutet, auch wenn viele sich wundern werden – das ist nicht bewiesen. Bis zum heutigen Tage hat keiner bewiesen, dass es wirklich Photonen gleichsam als objektive Entitäten gibt. Das ist eine bestimmte Modellvorstellung im Zusammenhang mit der Emission und Absorption, kann man das Licht so betrachten, als ob es aus kleinsten Partikeln bestünde. Ob es wirklich so ist in der letzten ontologischen Tiefe, ist damit in keiner Weise ausgesagt.

Also die Fragen sind kolossal schwierig, und man muss immer wieder neue Überlegungen anstellen, auch Hypothesen aufstellen. Es ist ja eine Hypothese, wenn man sagt: Form, lebendige Form, ist zurückzuführen auf ein Feld. Da kommt man ja sofort auf die alte Frage: Was sind überhaupt diese Felder? Auch das weiß ja niemand. Was ist die ontologische Wirklichkeit dieser Felder? Sind [es] Strukturen im Raum, Vibrationen im Raum? Auch das ist sehr schwer zu begreifen. Niemand weiß wirklich, was eigentlich diese Felder sind. Insofern erklärt man eigentlich die eine Unbekannte mit einer anderen Unbekannten. Aber man kann bis zu einem gewissen Grad mit diesen Vorstellungen argumentieren und kann bis zu einem gewissen Grad auch mit ihnen dann mathematisch umgehen. Und das wird ja auch getan.

Und da bin ich bei einem letzten Punkt, bevor ich dann eine kleine Pause mache. Die Frage der Mathematik ist zentral für das ganze Thema. Ich habe ja im Wintersemester 98/99 eine Vorlesung gehalten über Zahlen, einige Hinweise nur gegeben, geben können, über die Frage der Zahlen, die Frage der Ontologie der Zahlen. Die Frage der Philosophie der Zahl ist eine vollkommen ungeklärte. Warum ist es überhaupt bis zu einem gewissen Grade möglich, Natur mathematisch zu beschreiben? Natürlich kann man sagen, wie das Galilei und Kepler und andere getan haben. Es ist deswegen möglich, weil die mathematische Form letztlich die wirklichen Gesetze des Kosmos widerspiegelt. Denn wenn es nur, wenn es nur Projektionen wären, warum kann man erst einmal im Rahmen bestimmter Prämissen damit rechnen? Also auch diese Frage ist eine vollkommen ungeklärte, aber eine hochspannende, auch die mich seit vielen Jahren beschäftigt, die Frage nach der Ontologie der Zahlen. Was sind überhaupt Zahlen? Was sind das für Entitäten? Sind das objektiv existierende Wirkgrößen im Universum, oder sind das reine Kopfgeburten, reine Konstruktionen? Auch diesen Fragen muss man sich immer wieder stellen, also gleichsam die Gretchenfrage ja überhaupt heute ohnehin der Naturwissenschaft ist hier die noch der Mathematik, weil ein Großteil der Naturwissenschaft ist mathematische Naturwissenschaft. Und man muss fragen, warum das so ist, und warum das in Grenzen dann auch erfolgreich ist, auch wenn es ganz widerstreitende, sich total widersprechende Überlegungen gibt es zu einzelnen Phänomenen. Aber auch dieser Frage muss man sich bis zu einem gewissen Grade stellen, und man kann sich ihr auch stellen, ohne dass man in jede Nuance der mathematischen Beweisführung hineingehen muss.

Man kann aber die Prämissen befragen, und das ist zentral wichtig für die gesamte Frage. Naturforscher neigen immer dazu, das weiß ich aus vielen Gesprächen, einen auf die eigenen Prämissen festzuklopfen und dann von diesen Prämissen aus diese Kleinschrittigkeit, also einen quasi zu zwingen, von diesen Prämissen aus diese Kleinschrittigkeit mitzuvollziehen. Wobei ich dann immer sage, gut, im Rahmen dieser Prämissen mögen diese Schlussfolgerungen richtig sein, aber ich bezweifle die Prämissen. Lasst uns also erst einmal darüber reden, ob die Prämissen überhaupt stimmen. Sie wissen alle, ich habe das oft gesagt, dass der Neo-Darwinismus mittlerweile an vielen Fronten attackiert wird. Es gibt gute Gründe, ihn zu bezweifeln. Trotzdem hat er im Rahmen seiner Prämissen erst einmal einen ganz erheblichen Erklärungswert gehabt. Und da muss man auch in die Grundlagen, in die Fundamente reingehen. Wovon geht der Neo-Darwinismus aus? Was setzt er stillschweigend voraus als eine letztlich philosophische Grundannahme? Mit diesen philosophischen Grundannahmen kann man sich beschäftigen. Das geschieht auch. Es ist erstaunlich, wenn man die Literatur der letzten Jahre verfolgt, an wie vielen Fronten, ich sage es noch mal, der Neo-Darwinismus also unter Beschuss gerät.

Ich mache eine kleine Pause und will dann nach der Pause versuchen, an drei Aspekten, an drei Zugangsweisen zur biologischen, zur lebendigen Natur Ihnen zeigen oder noch mal aufgreifen, wie man sich den Phänomenen nähern kann. (…)

Hier kam eben in der Pause die Frage auf, was denn ein Phänomen sei, oder wie man ein Phänomen unterscheiden könnte von der physikalischen Wirklichkeit. Also streng erkenntnistheoretisch zunächst einmal gar nicht. Ein Phänomen ist erst einmal dasjenige Etwas, welchen Wirklichkeitsgehalt es immer haben möge, was erscheint. „Phenomenon“ ist das Erscheinende. Insofern ist erstmal die gesamte Welt, die gesamte sinnlich-physische Welt, eine Welt der Phänomene, eine Welt der Erscheinungen für ganz bestimmte Bewusstseine, natürlich für verschiedene Bewusstseine. Natürlich gibt es für verschiedene Bewusstseins-Formen, -Ebenen, -Strukturen, ganz andere Phänomene, das ist klar. Also Phänomen ist einfach Dasjenige, was erscheint. Und die Frage ist immer, wie objektivierbar Phänomene sind, grundsätzlicher Art. Wenn ich sage, als ich hier auf dem Wege vom Café Einstein zur Humboldt-Universität gegangen bin, ist mir ein merkwürdiges Wesen begegnet, und ich beschreibe das, und keiner von Ihnen hat es jemals gesehen, haben sie verschiedene Möglichkeiten, sich darüber zu verständigen. Sie können das als absurd ansehen, als Halluzination oder wie immer. Auf jeden Fall hat es keinerlei Objektivierbarkeit, es sei denn, sie fragen Menschen, die das auch gesehen haben. Also die grundsätzliche Frage ist immer nach dem Wirklichkeitsgehalt. Wie kann der Wirklichkeitsgehalt festgestellt werde? Auch das ist schwierig, viel schwieriger als es erscheint. Auch eine sogenannte Halluzination ist nicht ohne Weiteres so abzuwehren, weil es auch kollektive Halluzinationen gibt. Sehr schwierig. Das wäre eine eigene Vorlesung für sich, über diese Frage zu sprechen. Die Frage des Wirklichkeitcharakters von dem, was in die Erscheinung tritt.

Ich habe ja in diesem vergangenen Semester im Zusammenhang mit den lebendigen Phänomenen versucht, Ihnen Möglichkeiten vorzustellen, wie man auf eine integrale Weise, wie ich das gerne nenne, um nicht das Wort „ganzheitlich“ zu verwenden, wie man auf eine integrale Weise in Kontakt kommen kann mit der lebendigen Wirklichkeit, mit den lebendigen Phänomenen, mit der Erde. Und ich will mal drei Facetten noch einmal kurz ansprechen … als anschauendes Denken. Und mir ist in dem Zusammenhang der Goethesche Begriff des Ur-Phänomens sehr wichtig, ein Begriff, der vielleicht die wichtigste naturphilosophische Errungenschaft der Goetheschen Naturwissenschaft überhaupt ist. Also der Begriff des Ur-Phänomens ist mir sehr wichtig und auch die Goethesche Einsicht, dass, wie er wörtlich sagt, alles Faktische schon Theorie ist. „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen. Sie selbst sind die Lehre.“, hat er immer wieder gesagt und immer wieder darauf hingewiesen, dass im Sinne der Signatur der Dinge, der signatura rerum, das Wesen in der Erscheinung sich manifestiert. Das heißt, wie die Dinge erscheinen, so sind sie auch bis zu einem gewissen Grade. In diesem Sinne war Goethe Phänomenologe. Er hat es abgelehnt, analytisch-reduktiv hinter die Erscheinung zu gelangen. Das schien ihm, vom Ur-Phänomen aus gesehen, illegitim. Ja, wenn man seine scharfe Polemik gegen Newton, gegen die Newtonschen Optik sich anschaut, geradezu verbrecherisch.

Also, denkende Anschauung, das ist auch heute noch möglich. Es ist auch heute noch für einen, sagen wir mal, Menschen, der sich einen Rest an ganzheitlicher Wahrnehmung bewahrt hat, möglich, die Phänomene in ihrer Gestaltganzheit zu betrachten, auch als Einzelner, auch in einer Gruppe. Natürlich haben alle diese Zugangsweisen immer auch eine starke soziale Komponente. Das darf man nie vergessen. Eine bestimmte Richtung der Naturwissenschaft hat sich ja mehrheitlich im Kollektiv durchgesetzt und verurteilt erst einmal den Einzelnen, der einen anderen Zugang hat, zu einem mehr oder weniger isolierten Dasein, zu einer isolierten Existenz. Und das ist wichtig für den gesamten Vorgang. Man muss nicht so weit gehen, wie das Chargaff tut, indem man sagt, man müsste eine kulturrevolutionäre Wandlung abwarten oder herbeiführen, wie immer, aber, es ist unabdingbar, dass ohne einen kollektiven Bewusstseinswandel die sogenannte andere oder integrale Naturwissenschaft nicht den Hauch einer Chance hat. Das muss man einfach klar sagen. Das ist immer auch eine Frage der im tiefen Sinne verstanden Sozialökologie, auch natürlich der politisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge. Denn was wird jeweils favorisiert, wo fließen die Forschungsgelder hin? zum Beispiel. Auch das ist ja ein Thema, was Chargaff immer wieder ventiliert: Wer bekommt die Forschungsgelder, und welche Forschungsprojekte bekommen eben keine Forschungsgelder? Das ist ein wichtiger Punkt. Deswegen bleiben viele wichtige Fragen auf der Strecke, weil Diejenigen, die sie erforschen wollen, keine Gelder bekommen, weil diese Fragen als nicht forschungswürdig oder unterstützungswürdig gelten. Ein ganz wesentlicher Punkt. Man darf das nie herausnehmen aus diesen ganz konkreten auch Machtzusammenhängen. Naturwissenschaft, technische Apparate-Wissenschaft ist heute ein ungeheurer Machtfaktor, und zwar weltweit. Sämtliche Politiker dieser Erde sind letztlich davon abhängig, und kein Staat, keine Nation könnte es sich leisten, sich da in irgendeiner Form in größerem Maßstab davon abzukoppeln. Nicht, das ist also ein internationaler, harter, wirklich gnadenloser Wettbewerb. Der ist letztlich immer orientiert an dem, was Louis Mumford die „Megamaschine“ genannt hat. Das ist die Wirklichkeit erst einmal. Da haben alle Ansätze anderer Art erst einmal nur ein Nischendasein. Insofern ist eine denkende Anschauung im größeren Stil unter den derzeitigen Bedingungen tatsächlich chancenlos. Das heißt nicht, dass man resignieren sollte, im Gegenteil. Aber man muss die Machtfaktoren sehen, wie sie existieren. Denn das ist nicht ein System, das man beliebig durch ein anderes austauschen könnte, was herrscht, und das ist das, was weltweit in allen politischen Systemen dominiert. Alle Akademien, alle Universitäten, alle Machtapparate dieser Erde dienen letztlich diesem megamaschinell verstandenen System. Das ist der eigentliche imperator mundi, der eigentliche Weltherrscher, wenn man so will, jenseits jeglicher Religion. Das ist der eine Punkt.

Das ist immer noch ein großartiger Ansatz, der Goethesche Ansatz, der vielfältig auch weitergeführt werden muss, auch außerhalb anthroposophischer Zusammenhänge. Ich bin eher ein Kritiker davon, dass die Anthroposophen für sich in Anspruch nehmen, dass sie diesen Goetheschen Ansatz als Einzige wirklich legitim aufgegriffen haben und auch weiterentwickelt haben. Das ist nicht so. Aber sie erwecken in der Öffentlichkeit diesen Eindruck, dass für viele, wenn man überhaupt diese Themen behandelt, immer der Eindruck entsteht, dass man letztlich an dieser Stelle anthroposophische Argumente verwendet. Ich möchte ganz klar sagen, dass es auch außerhalb dessen möglich ist, was in der herkömmlichen Anthroposophie realisiert wird. Ein wichtiger Punkt, weil da eine Art Monopolanspruch von Seiten der Anthroposophie in die Welt gesetzt wird. Das ist bedauerlich. Dagegen muss man auch angehen.

Ein zweiter wichtiger Punkt verbindet sich mit der Leib-Erfahrung. Man kann Naturphilosophie sinnvollerweise, meine ich, und da stimme ich ganz überein, was diesen Punkt betrifft, mit Wilhelm Reich, bei aller Kritik auch an Wilhelm Reich, ohne eine integrierte Leib-Erfahrung nicht leisten. Das heißt, der Leib, der eigene, lebendige, beseelte Körper als Leib ist immer letztlich der Ausgangspunkt, und eine neurotisierte und vielfältig verbogene Leiblichkeit, was ja auch Wilhelm Reich immer wieder betont hat, wird kaum in der Lage sein, ein wirklich ganzheitlich integriertes Weltbild zu erstellen. Es ist nicht so, dass neurotisierte, vielfältig pervertiert geradezu zu nennende Wesen in der Lage sein würden, die Welt zu erkennen, wie sie ist. Das setzt eine bestimmte Leib-Integration voraus, und Reich hat das unermüdlich betont, man kann sagen: dogmatisch betont, aber immerhin, besonders in seinem naturphilosophischen Hauptwerk „Äther, Gott und Teufel“, wo das unermüdlich zum Ausdruck kommt, wie ein Leitmotiv in diesem Buch, das glaube ich, Ende der vierziger Jahre erschien, wo er immer wieder sagt, dass das nicht abzukoppeln ist. Ein ganz beliebiges Beispiel von vielen hier aus diesem Buch im Mittelteil. Ich zitiere das mal kurz: „Da die physikalische Anschauung der Natur ein Ergebnis der biologischen Konstitution des Naturbetrachters ist, kann das Weltbild nicht vom Schöpfer des Weltbildes getrennt werden.“ Das ist ja das Dogma erst einmal der etablierten Wissenschaft, dass das möglich ist, dass sozusagen das anonyme „man“, das jeder Beliebige ausfüllen kann, ganz fern von seiner Subjektivität letztlich im Mittelpunkt steht. Nicht, ganz egal was, sage ich ja oft, was einer denkt und fühlt, ob einer Buddhist ist oder Anthroposoph oder Moslem, Hauptsache, wenn er im Laboratorium steht, er rechnet und misst richtig. „Kurz, der Naturforschung, die die Atombombe erfand, steht die Naturforschung, die die kosmische Orgonenergie entdeckte, gegenüber, scharf, klar und unvereinbar.“ Was immer man jetzt von dieser Orgonenergie hält oder von Lebensenergie überhaupt, auf jeden Fall ist da erst einmal ein fundamentaler Gegensatz. Die Forschung kann nur so weit gehen, wie die jeweiligen Individuen auch gehen. Das ist ein ganz kritischer und auch heikler Punkt, weil die herrschende Ideologie in dem Punkt ist genau das Gegenteil. Nicht, das ist das berühmte „man“, klein geschrieben, ein anonymer Archetypus, den jeder im Prinzip ausfüllen kann. Das ist ein ganz zentraler Punkt, und ich habe an mehreren Stellen auch versucht zu zeigen in dieser Vorlesung, dass diese Leib-Erfahrung auch erkenntnistheoretisch ungeheuer fruchtbar ist. Ich denke hier nur an die Berliner Vorlesungen, die Arthur Schopenhauer 1820 gehalten hat, die es als Buch gibt und, die berühmte Parallel-Vorlesung zu den Vorlesungen von Hegel. Er hatte kaum Zuhörer, er musste dann aufgeben, weil er gescheitert war. Hegel hat den vollen Hörsaal und zu Schopenhauer sind nur zwei oder drei Leute, maximal vier Leute gekommen. Aber die Texte sind erhalten, brillante, großartige Texte, in denen er den Versuch macht, die Naturphilosophie von der Leib-Erfahrung aus darzustellen. Ein genialer Einfall, ein einfacher, aber ganz genialer Gedanke, dass der Einzelne zunächst einmal die Objektwelt via eigener Leiblichkeit hat, und nur so. Das ist wichtig. Und dass er nur derart eine Möglichkeit hat, tatsächlich dann auch ein Stück weit wirklich in das Innere der Dinge zu gelangen. Eine ganz kurze Passage mal aus den Berliner Vorlesungen 1820, nur ein paar Sätze; gibt es als Piper-Taschenbuch, ein wunder-, wunderschöner Text, einer der besten Texte von Schopenhauer: „In der Tat ist das dargestellte Problem auf dem Wege der bloßen Vorstellung nicht zu lösen, also als Phänomen. Wenn man von der Vorstellung ausgeht, kann man nie über die Vorstellung hinaus gelangen. Man fasst als dann immer nur die Außenseite aller Dinge, aber nie wird man von außen in ihr Inneres dringen und erforschen, was sie an sich sein mögen.“ Jetzt kommt die entscheidende Passage: „Zu diesem Inneren der Dinge kommen wir nicht von außen, sondern eben selbst nur von innen, gleichsam durch einen unterirdischen Gang, der uns mit einem Male hineinversetzt, indem wir eine insgeheim von uns mit den Dingen unterhaltene Verbindung benutzen, vermöge deren wir in die Festung eingelassen werden, da hier durch Angriff von außen zu nehmen unmöglich war. In der Tat würde der begehrte Übergang nie gemacht werden können und die Welt ewig als ein Bild ohne Deutung, ein Phantom, das nichts sagt, vor uns stehen, wenn der Forscher eben nichts weiter wäre als rein erkennendes Subjekt.“ Aber er selbst wurzelt ja in eben dieser Welt. Er ist nicht nur das Subjekt, sondern er ist zugleich Individuum und als solches selbst zugleich Objekt, Teil der objektiven Welt.“ Das hat er ja ganz bewusst gegen die erkenntniskritische Position Kants gesetzt. Doch der Mensch selber in seiner Leiblichkeit ist ja auch das Ding an sich. Kant hat ja gesagt das „Ding an sich“, die Dinge, wie sie wirklich sind, sind ein für alle Mal nicht erkennbar. Schopenhauer meint, das ist nicht, das gilt nicht für die eigene unmittelbare Leiberfahrung. Wir sind sozusagen schon qua Leib im Innern der Dinge. Ein hochinteressanter Ansatz, der auch erkenntnistheoretisch, ich sagte es, schon sehr fruchtbar ist, der wenig weiterverfolgt worden ist, eigenartigerweise, obwohl er eigentlich sehr aufschlussreich ist. Auch die ganze Leib-Philosophie des 20. Jahrhunderts hat nur sehr wenig auf Schopenhauer zurückgegriffen.

Der dritte Aspekt, der von mir verschiedentlich angedeutet worden ist, ist der Versuch, sich mit der Natur, mit den lebendigen Phänomenen auf eine, ich sage es mal jetzt in Anführungszeichen, „schamanische Weise“ zu nähern. Schamanismus dient hier als Symbolbegriff für die Herstellung eines anderen Bewusstseinszustandes. Ich habe das verschiedentlich angedeutet, dass es wünschenswert sei oder wäre, dass der Mensch in der Lage ist, diese Tiefenerfahrung jenseits seines Ichs zu machen und gleichzeitig seine eigene mentale Ichhaftigkeit aufrecht zu erhalten, was ja normalerweise nicht geschieht. Normalerweise geschieht ja in solchen Erfahrungen ein tranceartiges Abtauchen unterhalb der Ich-Schwelle. Aber es ist ein wesentlicher Punkt, die Ich-Schwelle aufrecht zu erhalten, und eine ganze Reihe von interessanten Forschern haben sich mit der Frage beschäftigt, unter anderem der Anthropologe Terence McKenna in seinem Buch „Die Speisen der Götter“. Deswegen müssen die Positionen von Terence McKenna in Gänze nicht haltbar sein, das sind sie auch meiner Überzeugung nach nicht. Aber es ist ein hochinteressanter Versuch zu zeigen, wie man tatsächlich einen authentischen Zugang gewinnen kann über schamanische Tiefenerfahrung. Das ist möglich. Denken sie auch an das Buch, was ich ihnen empfohlen habe: „Schamanische Wissenschaften“. Dieser große Band von Rätsch und Gottwald herausgegeben, wo ja auch der Versuch gemacht wird, über die schamanische Erfahrung einen Zugang zu gewinnen. Das ist auch fruchtbar. Und alle drei Ansätze in der Kombination in einem integralen Sinn zusammengeführt, sind äußerst fruchtbar. Keiner dieser Ansätze ersetzt die Empirie, wie wir sie kennen. Aber es sind Versuche, tiefer zu kommen, wirklich hinter die Phänomene und in die Phänomene hineinzukommen, darum geht es letztlich. Sonst bleibt eben die Erfahrung nur Phänomen. Und damit kann sich ein denkender Geist, glaube ich, nie wirklich zufrieden geben. Und auch Goethe hat das nicht getan. Ihm ging es ja nur darum, polemisch eine analytisch-reduktive Art, wie er sie bei Newton unterstellte, zurückzuweisen, weil er glaubte, dadurch werden die Phänomene letztlich zerstört.

Gut, dann lassen wir es, dann wünsche ich Ihnen schön einen schönen Sommer. Wir würden uns dann am 19. Oktober in dem Raum unten wiedersehen.

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Die vier Elemente – Aspekte der Elementelehre

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 22

Transkript als PDF:


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Nun zu den Elementen. Nun etwas verkürzt, da es ja nun die Hälfte der Zeit nur ist, ich kann das nicht wieder aufs nächste Mal jetzt verlagern, sonst kommen wir für das nächste Mal wieder [in Zeitnot o.ä.] Was das eigentliche Thema betrifft, verkürzt, ich muss es also jetzt zusammenziehen, zentral auf die naturphilosophischen Aspekte der Elementelehre.

Dass so ein Buch wie dieses [wahrscheinlich ist Georg Kniebe „Die vier Elemente“ (1993) gemeint] überhaupt erscheinen kann in diesen Jahren, ist ein Beleg dafür, dass es ein Thema ist, was tatsächlich, wie man so schön sagt, in der Luft liegt. Eine Neubesinnung auf die klassische, primär die antike Elementelehre, die man zurückführen kann auf den Naturphilosophen Empedokles, der, soweit wir das wissen können, als einer der Ersten diese Lehre aufgestellt hat: Feuer, Wasser, Luft und Erde und immer auch die Verbindung … , da war immer auch die Verbindung mit einem fünften Element. Ich habe das ja schon vorhin angedeutet, dass in der antiken Tradition nie so eindeutig klar definiert war, dann in der lateinischen Tradition als quinta essentia bezeichnet, als die fünfte Essenz oder überhaupt als die Essenz, als eine Art von sehr feinem Stoff. Dann aber auch wieder eher seelisch-geistig verstanden oder kosmisch, metakosmisch verstanden. Dafür einmal ein Beispiel aus diesem sehr schönen Buch der Gebrüder Böhme über Feuer, Wasser, Luft, die sich mit dieser Frage sehr auseinandersetzen. Das gehört auch mit zur Elementelehre. Was ist denn das Verbindende? Was ist denn dieser Äther? „Entgegengesetzt der unnennbaren, unwissenden Nacht, einer dichten und schweren Gestalt ist das ätherische Feuermeer“, also häufig identifiziert mit dem ätherischen Feuer im Sinne von Heraklit, womit also quasi der Äther eine Art verfeinertes Feuer wird, manchmal auch mit der Luft identifiziert, mit dem Pneuma. Es gibt da also viele verschiedene Überlegungen. Also, „unwissende Nacht einer dichten und schweren Gestalt ist das ätherische Feuermeer, das milde, überaus behände, überall mit sich selbst identisch, doch mit dem anderen nicht identisch [ist]“. Und dann wird hier davon gesprochen, dass dieser Äther auch als Gestirn-Äther im Sinne der geozentrischen Kosmologie auch eine eigene Sphäre darstellt, auch dann wieder gleichgesetzt wird mit dem Seelenfeuer, das wiederum eng verbunden ist mit der Seele des Menschen.

Es gibt keine einheitliche Überlieferung darüber, was denn nun dieser, im Sinne der antiken Tradition, der Äther genau bedeutet. Also manchmal fast ein Pneuma, ein ganz feiner Hauch, ein ganz feines, luftförmiges Etwas und dann auch wieder ein ganz feines, flammenförmiges, feuerförmiges Etwas.

Man muss vielleicht sagen, wenn man von den Elementen redet, dass ja die Grunderfahrung der Elemente jedem von uns ohnehin ständig geläufig und gegenwärtig ist, auch auf dem Hintergrund der vielen Dinge, die wir wissen aus der Chemie, und das in der, sagen wir mal, mythischen Verfassung ja die Elemente immer gebunden sind, in der mythischen Bewusstseinsverfassung, immer gebunden sind mit der unmittelbaren Herausforderung und des Ansprechens: Der Mensch steht immer im Angesicht eines kosmischen Blicks, kosmischer Blitze, die Blitze des Zeus, es ist immer ein Angeblitzt-werden, Angeblickt-werden, ständig eine numinose, herausfordernde Energie, die den gesamten Kosmos durchwaltet. In der eher rational orientierten Naturphilosophie, dann seit Empedokles und anderen, hat man dann versucht, diese Stoffe, die die vier Elemente als Grunderfahrung unseres Seins, als quasi-Stoffe zu definieren, also als vier Ur-Stoffe, aus denen sich dann durch je verschiedene, sehr komplexe Mischungen die ganze physisch-sinnliche Welt zusammensetzt. Und dann war es immer sehr schwierig, genau den Rang, sozusagen die kosmische Hierarchie des Feuers zu bestimmen. Es war immer ziemlich einfach zu sagen, die Erde ist unten, das Feste schlechthin. Also jetzt mal im Sinne der späteren Chemie einfach der feste Aggregatzustand, also das Feste unten, im Sinne der geozentrischen Kosmologie, dann das Wässrige, das Flüssige schlechthin, das Fluidale als eine zweite Ebene, aber immer noch unten. Und dann die Luft, das Luftförmige, das Gasförmige, das ja seiner Wesensart nach Erdflüchtige als die dritte Stufe. Was ist mit dem Feuer?

Und es ist ja interessant, dass die Metamorphose dieser alten Elementelehre in die moderne Chemie ja am Feuer in gewisser Weise haltgemacht hat. Man kann ja sagen, was früher, das erdhaft Feste war, ist heute der feste Aggregatzustand, es gibt dann den flüssigen Aggregatzustand und den gasförmigen Aggregatzustand. Aber was ist Feuer? Man kann sagen, was Feuer chemisch ist, aber man kann schlecht sagen, dass Feuer ein eigener Aggregatzustand sei. Sehr schwierig, Feuer in diesem Sinne zu bestimmen. Und man muss, wenn man die Elementelehre betrachtet, immer berücksichtigen, dass das Grunderfahrungen sind des Menschen überhaupt. Die Erfahrung mit der festen Erde, mit dem Wasser und auch mit der Luft und mit dem Feuer, und zwar auch in destruktiver Hinsicht, in schrecklicher Hinsicht. Es ist nicht so, dass der magisch-mythische Mensch, aber auch nicht im Sinne der antiken Philosophie, diese Elemente nur betrachtet hätte als archetypische, göttliche Größen. Er hat sie auch in ihrer zerstörerischen, ja beängstigenden Qualität gesehen. Und so kann das heute noch einem Menschen, einem, sagen wir mal bürgerlich gehüteten Menschen, leicht passieren, der irgendwie in eine Natursphäre hineingerät, wo eben nur die Elemente quasi herrschen, er wird dann elementar konfrontiert mit den Elementen, die ihn wie Nichts achten.

Da gibt es auch eine schöne Stelle aus dem „Faust“, wo das herauskommt, als Faust erblindet zu Boden sinkt. Am Ende des „Faust II“ gibt es einen bösen Kommentar von Mephistopheles, wo er sich ausdrücklich auf die Elemente bezieht. Auf diesen eher erschrek-kenden Aspekt, den Elementen ausgeliefert sein, dem Wasser, dem Sturm, wie immer. Faust noch begeistert, aus dem Palaste tretend, tastet an den Türpfosten, mittlerweile ist er erblindet. Er freut sich darüber, dass die Lemuren, die Diener von Mephistopheles, graben. Er glaubt, der Graben wird gezogen. Dabei wird sein Grab geschaufelt: „Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt. Es ist die Menge, die mir frönet, die Erde mit sich selbst versöhnet, den Wellen ihre Grenze setzt, das Meer mit strengem Band umzieht.“ Und jetzt Mephistopheles, zynisch, direkt: „Du bist doch nur für uns bemüht, mit deinen Dämmen, deinen Bunen, denn du bereitest schon Neptun und dem Wasserteufel großen Schmaus. In jeder Art seid ihr, ihr Menschen, verloren. Die Elemente sind mit uns verschworen und auf Vernichtung läuft es hinaus.“ Also auch die Vernichtungsdrohung an die menschliche Individualität, dass die Elemente auch diesen zutiefst beunruhigenden Charakter haben, also auch etwas Dämonisches beinhalten können.

Denken Sie, etwa sehr literarisch meisterhaft gestaltet, etwa im „Zauberberg“ von Thomas Mann, einige von Ihnen werden ihn vielleicht gelesen haben, wo dieser Hans Castorp dann in ein Schneetreiben gerät und nichts mehr sieht, weil nur noch Schnee um ihn herum ist und der dann vollkommen verwirrt wird und so elementar konfrontiert wird eben mit dem Element und dann eine Art Halluzination oder Vision hat und also plötzlich schockartig begreift, was es wirklich bedeutet, in dieser Weise eine Konfrontation zu erfahren.

Also, in der magisch-mythischen Bewusstseinsverfassung ist der Mensch immer angeblickt, angeblitzt von dem Numinosen einer ihn ständig durchdringenden und umge-benden Sphäre. In der antiken Naturphilosophie hat man versucht, die Elemente zu bestimmen als Stoffe, niemals als pure, vom Menschen und von den menschlichen Seelenqualitäten abgelöste Stoffe. Das Feuer, das ist wichtig, zentral wichtig, ist immer auch gleichzeitig die Qualität der Erfahrung von Feuer, und zwar auch die Qualität der Erfahrung von Feuer in einem eher metaphorischen Sinne. Also wenn man davon spricht, etwa von einer feurigen Erscheinung, von einer feurigen Rede, von einer feurigen Persönlichkeit. Also zum Beispiel, wie das in einem Nietzsche-Vers hier herauskommt, zitiert Georg Kniebe in seinem Buch über die Elemente, eins von vielen Beispielen Nietzsche, „Ecce humo“: „Ja, ich weiß woher ich stamme, ungesättigt gleich der Flamme blühe und verzehr ich mich. Licht wird alles was ich fasse, Kohle alles was ich lasse, Flamme bin ich sicherlich.“ Also die Identifizierung der Individualität mit der Flamme.

Und das kann man in der antiken Philosophie immer wieder beobachten, dass das niemals abgetrennt wird. Das ist auch eine changierende, fluktuierende Überschneidung, das ist nicht klar getrennt, hier das Feuer als ein physikalisches Phänomen, da unsere Erfahrung von Feuer, häufig genug berühmtestes Beispiel, Heraklit, ist das Feuer, auch eben das ätherische Feuer, das Seelen-Feuer, wie heißt es bei Heraklit: trockene, feurige Seele am weisesten und am besten. Und dann für die Seelen ist es Tod, zu Wasser zu werden.

Es gibt ein letztes Faust-Zitat, dann möge der „Faust“ hier mal wieder beiseite gelegt werden. Es gibt ja eine wunderschöne Stelle in der klassischen Walpurgisnacht, wo es um Wasser und Feuer geht. Um zwei Sichtweisen auch auf die Natur, die in der Goethe-Zeit bekannt waren als Plutonimus und Vulkanismus. Also die einen favorisierten eher das Wasser als einen [in] langen Zeiträumen wirkendes Element, die anderen eher das Eruptive, Destruktive und Gewalttätige dieser Energie. Wo liegt das Zentrum? Homunkulus [im „Faus II“]: „Nur um dir es im Vertrauen zu sagen, zwei Philosophen bin ich auf der Spur, Anaxagoras und Thales, ich horche zu, es hieß Natur, Natur. Von diesen will ich mich nicht trennen, sie müssen doch das irdische Wesen kennen. Und ich erfahre wohl am Ende, wohin ich mich am allerklügsten wende. / Mephistopheles: Dass du auf deine eigene Hand, denn wo Gespenster Platz genommen, ist auch der Philosoph willkommen, damit man seiner Kunst und Gunst sich freue, erschafft er gleich ein Dutzend neue.“ Und dann, dieser berühmte Dialog zwischen Anaxagoras und Thales: „Dein starrer Sinn will sich nicht beugen, bedarf es Weiteres, dich zu überzeugen.“ Eben war gerade ein Berg eruptiv gewaltsam entstanden. Thales: „Die Welle beugt sich jedem Winde gern, doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.“ Anaxagoras: „Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu handen.“ Thales: „Im Feuchten ist Lebendiges entstanden.“ Anaxagoras: „Hast du, oh Thales je in einer Nacht solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?“ Thales: „Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen. Sie bildet Regeln, jegliche Gestalt, und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.“ Also die grundlegende Frage: Ist [sind] es eher lange Fließprozesse, oder sind es eruptive, kataklysmische Prozesse? Eine Frage, die ungeklärt ist. Es ist schwer zu sagen, jetzt mal nur was die Erdgeschichte betrifft. Anaxagoras: „Hier aber war es. Plutonisch grimmig Feuer, äolischer Dünste, Knallkraft-Ungeheuer durchbrach des flachen Bodens alte Kruste, dass neu ein Berg sogleich ent-stehen musste.“ Thales: „Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt? Es ist auch gut, und er ist noch da, und das ist gut zuletzt. Mit solchem Streit verliert man Zeit und Weile und führt doch nur geduldig Volk am Seile. “ Goethe neigte eher dem Plutonismus zu. Er lehnte diese eruptiven Gewaltelemente der Natur seiner eigenen Wesensnatur entsprechend ab.

Also es gab immer den Zusammenhang zwischen den seelischen Erfahrungs-qualitäten des Feurigen, des Wässrigen, der Luft und den jeweiligen physischen Qualitäten. Also, das ist ein wichtiger Punkt, das ist nicht vollständig getrennt, und das kann man noch zeigen in der Elementelehre auch im Mittelalter. Bis in die Renaissance hinein kann sich das immer wieder manifestieren, dass vier Elemente vorausgesetzt werden und immer wieder davon gesprochen wird, dass es ein fünftes, letztlich die anderen vier konstituie-rendes, durchdringendes, ja ermöglichendes Element gäbe. Deswegen ist die Frage nach den Elementen immer auch die Frage nach dem Äther gewesen. Das ist sogar noch in der, sagen wir mal, abgeflachten, reduktionistischen Form der Physik des 19. Jahrhunderts in Restbeständen erkennbar. Nicht, die Frage nach dem Urstoff, der letztlich dann auch die Elemente begründen müsste und könnte.

Ich habe angedeutet, dass dieses Thema in gewisser Weise in der Luft liegt und dass aus verschiedenen Richtungen Versuche unternommen werden, diese Elementelehre auf eine neue Weise zu verstehen. Und eines der Bücher, das mir, wie gesagt, erst vor kurzem hier in die Hände gefallen ist, stammt von Callum Coats „Natur-Energien, verstehen und nutzen“. Da versucht Coats am Beispiel des Wassers und seiner rätselhaften Phänomeno-logie zu zeigen, dass man hier ein grundlegendes Verständnis gewinnen kann über Flüssig-keit, über Strömungen, über Natur-Energien schlechthin. Zum Beispiel weist er darauf hin, das wird in vielen Büchern dieser Art gesagt, dass, es ist ein bekanntes Faktum, [das] aber immer wieder Staunen erregend, man weiß ja …, dass erstmal, dass überhaupt zwei Gase in dieser Form im Sinne von H2O eine Flüssigkeit bilden, ist als Phänomen hinzunehmen, das ist nicht weiter zu begründen. Eigenartig ist, dass Wasser bei 4 Grad [Celsius] den sogenannten Anomaliepunkt erreicht hat, den Punkt des größten spezifischen Gewichtes und der größten Dichte. Wenn das nicht so wäre, dann könnte etwa eine Eisfläche sich gar nicht auf dem Wasser halten. Also Wasser dehnt sich aus, wenn es wärmer wird als 4 Grad, aber eigenartiger, rätselhafterweise im Gegensatz zu den meisten anderen Flüssigkeiten, eben dehnt es sich auch aus, wenn es gegen Null Grad geht. So kann man also eine Eisfläche beobachten, die tatsächlich auf dem Wasser gehalten wird. Das spezifische Gewicht ist also geringer als das des 4 Grad kalten Wassers. Das ist eine Anomalie, eine der vielen Merk-würdigkeiten, die zu beobachten ist. Vielleicht mal kurz ein Zitat von Callum Coats hierzu über den Anomaliepunkt des Wassers. Das ist nicht trivial, sondern tatsächlich entscheidend, denn man könnte ja zunächst sagen, das Wasser ist einfach eine anorga-nische Substanz, ja, geradezu ein Mineral. Und doch spüren wir auf aufgrund unserer eigenen Erfahrung mit dem Wasser, dass auch das sogenannte Anorganische im Wasser als das flüssige Fluidale schlechthin, mehr ist als das, es immer auch eine seelische Qualität hat, auch wenn es nicht mit organischen Stoffen direkt durchsetzt ist.
Zitat mal von Callum Coats: „Auch das anomale Expansionsverhalten des Wassers ist ein Faktor von großer Bedeutung. Obwohl dieses Thema zum Teil bereits im Kapitel 7 abgehandelt wurde, sind weitere Ausführungen dazu nötig. Rekapitulieren wir kurz: Das Verhalten des Wassers unterscheidet sich von dem aller anderen Flüssigkeiten. Warum das so ist, ist bis dato unbekannt. Während durchweg alle Flüssigkeiten beim Abkühlen immer dichter werden, erreicht allein das Wasser seine größte Dichte bei einer Temperatur von plus 4 Grad Celsius. Das ist der sogenannte Anomaliepunkt, der entscheidend für die Kraft des Wassers ist und einen großen Einfluss auf seine Qualität hat. Unterhalb dieser Tempe-ratur dehnt sich Wasser wieder aus. Warum? Bei plus 4 Grad Celsius hat es mit einer Dichte von [0,999975] Gramm pro Kubikzentimeter das kleinste Raum-Volumen und lässt sich praktisch nicht weiter komprimieren.“ Sie wissen, dass Flüssigkeiten überhaupt sehr schwer zu komprimieren sind, im Gegensatz zu Gasen, wo das einfacher ist. „Plus 4 Grad Celsius bezeichnet außerdem die Temperatur, bei der Wasser seinen höchsten Energie-gehalt hat und einen Zustand aufweist, den Schauberger als Indifferenz bezeichnet. Mit anderen Worten, bei seinem höchsten natürlichen Grad von Gesundheit, Vitalität und lebensspendendem Potenzial befindet sich Wasser im Zustand seines höchsten inneren Energie-Gleichgewichts und in einer thermisch und räumlich neutralen Verfassung. „Das ist eigentlich rätselhaft. „Um die Gesundheit, Energie und Lebenskraft des Wassers zu schützen, müssen gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, mit denen wir uns später befassen werden. Für den Augenblick ist es vor allem wichtig, dass die +4°C-Anomalie“, so wird es auch genannt, der Anomalie-Punkt des Wassers, „entscheidend für die vielfältigen Funktionen des Wassers ist. Im folgenden Abschnitt sollen Schaubergers Theorien über den Temperatur-Gradienten und ihre Umsetzung behandelt werden. Steigt die Temperatur des Wassers auf über 4 Grad, so dehnt sich aus, wird es kälter als dieser Wert, so beginnt es sich ebenfalls auszudehnen und sein spezifisches Gewicht verringert sich. Diese anomale Ausdehnung unterhalb von 4 Grad ist wichtig für das Überleben der Fische. Wenn das Wasser sich weiter ausdehnt abkühlt, kristallisiert es bei 0 Grad schließ-lich zu Eis und bildet an seiner Oberfläche eine schwimmende, Isolierschicht, die das Leben darunter von den schädlichen Auswirkungen der tiefen winterlichen Lufttemperaturen schützt“, und so weiter.

Also das ist nur eine von vielen Merkwürdigkeiten, die mittels der herkömmlichen Physik und Chemie einfach nicht erklärt werden können, die man einfach als Phänomen konstatieren muss. Und es ist hochinteressant, sich jetzt klar zu machen, wie Wasserqualität hiervon abhängig ist. Da hat Viktor Schauberger eingehend zu geforscht. Ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich vielleicht im Wintersemester eine eigene Vorlesung mache, eine eigene Doppelstunde zu dem Phänomen des Wassers, weil man das nicht in kurzer Form abhandeln kann, auch zur Frage der Strömungen, wie Wasser sich strömend verhält. Was hier auf dieser Zeitschrift drauf ist, ist eines von vielen, ja sehr bekannten und häufig reproduzierten Beispiele aus dem Buch von Theodor Schwenk über das sensible Chaos aus Wasser, Theodor Schwenk (1910 bis 1986), hatte eines der grundlegenden Bücher geschrieben zum Wasser, vor 30 Jahren „Das sensible Chaos“, das die ganze Wasserversorgung enorm beeinflusst und geprägt.

Man kann ja dann auch zeigen, und das möchte ich im Wintersemester eingehender auch tun, dass diese Strömungen und Verwirbelungen auch einen durchaus universellen Charakter haben. Und dabei meine ich nicht nur die berühmte Analogie etwa von Spiralnebeln oder Muschelformationen und Ähnlichem, obwohl das natürlich auch ganz bestimmte Verwirbelungen sind, über die man nachdenken kann, die man denkend meditativ erschließen kann. Also das ist auf jeden Fall ein hochinteressantes Feld, und ich bleibe an diesem Thema dran und versuche das noch mehr zu fundieren und mache es vielleicht, ich werde es in den nächsten Tagen festlegen, was ich im Wintersemester machen möchte. Vielleicht mache ich da also eine Doppelstunde mal ausschließlich zum Wasser.

Also, das ist eine Möglichkeit, dass, was uns so selbstverständlich erscheint, auf eine neue Weise anzugehen in seiner schwer begreifbaren, rätselhaften, mysteriösen und zutiefst anrührenden Qualität. Aber, ich sage es noch mal, Wasser für sich genommen, ist einfach eine anorganische Substanz. Genau genommen, wenn man es so nennen will, ein Mineral, wenn der Begriff hier überhaupt richtig verwendet ist. Und doch spielt es eine so zentrale, eine fundamentale Rolle in jedwedem Lebensprozess. Das wäre das Eine.

Ich habe gesagt, dass die Elemente in der antiken Elementelehre von vornherein immer verbunden waren mit seelischen Qualitäten und habe das ja auch kurz gesagt am Beispiel des Feuers. Feuer also, als das verzehrende, das Transformierende, Feuer als das Element, das eigentlich kein Element ist. Denn was wäre das für ein Element? Machte es überhaupt einen Sinn, wenn man das Feuer in eine Reihe einordnete im Sinne von Erde, fest, Flüssigkeit, das Flüssige, dann Luft und schließlich Feuer? Das ist in der Antike gemacht worden. Das konnte nur deswegen gemacht werden, weil das Feuer von vorn-herein in seinen kosmischen oder metakosmischen Qualitäten betrachtet wurde, als das Aufsteigen, das eigentlich Erdflüchtige. Wasser und Erde, das erdgebundene, Luft, das Erdflüchtige und Feuer, auch das Erdflüchtige.

In dem Buch von Georg Kniebe, einem Physiker, über die vier Elemente, werden viele Beispiele gebracht, wie man Feuer auf eine neue und andere Weise verstehen kann, wie man auch über das Feuer denkend, meditierend hineinkommen kann in andere Formen der Wahrnehmung. Ich habe ja schon vorhin das Nietzsche-Zitat hier gebracht, was hier Kniebe bringt. Ich darf ganz kurz mal den Kommentar hier vorlesen von Kniebe, ich glaube, er ist Physiklehrer am Gymnasium: „Kaum noch einmal zu betonen ist das Wandelbare des Feuers, seine Beweglichkeit, sein Flimmern und Flackern. ,Flamme bin ich sicherlich‘, hieß das Nietzsche-Zitat. Nietzsche erinnert darüber hinaus daran, dass das Feuer immer Nahrung braucht, etwas verzehrt und Asche hinterlässt. Wir könnten hinzufügen: Es verstrahlt etwas, sein Licht, seine Wärme, sein Verbrennungsgas. Alles wird durch das Feuer geändert, vieles geläutert, einiges vernichtet. Eine weitere Frage kann aus dem Gegenüber von Goethes und Nietzsches Texten aufwachen.“ Er zitiert hier vorher einen längeren Text von Goethe über den Granit. Goethe hat den Granit, das Granitgestein als archetypisches Beispiel für das Feste schlechthin gesehen. „Also eine weitere Frage kann aus dem Gegenüber von Goethes und Nietzsches Texten aufwachen? Nietzsche identifiziert sich selbst im Kern seines Wesens mit der Flamme.“ Auch das hat eine uralte Tradition, bis auch in die Naturlyrik hinein, die Seelenlyrik hinein. Es werden immer wieder bestimmte Seelen-Energien mit dem Feurigen identifiziert.

Wie ist das möglich? Ist das jetzt nur so zu verstehen, als ob der Mensch aufgrund seiner Erfahrung des Feuers eine Übertragung vornimmt auf seelisch-psychische Phäno-mene? Oder ist da, für sich genommen, in der Substanz gleichsam des Feurigen, bereits der Zusammenhang angelegt? Es könnte ja auch so sein, was verschiedene Forscher gesagt haben, dass der Mensch durch Katastrophen eine bestimmte Haltung zum Feuer entwickelt hat, unter anderem durch Impakte. Der Wiener Geologe [Alexander] Tollmann hat ja vor fünf, sechs Jahren ein Buch darüber geschrieben, ein dickes Buch, wo er versucht zu zeigen, dass in allen Welten-Mythologien Feuer immer eine sakrale, religiöse Bedeutung hatte, auch im Sinne der Bedrohung. Und zwar führt er das zurück auf einen Kometen-Impakt, der vor 8000 Jahren passiert sei und der einen kollektiven Schock für die Menschheit bedeutet hat. Also ein Komet sei hier eingeschlagen, in sieben Teile zersplittert, in verschiedene Teile eingeschlagen, einer im Pazifik, einer im Atlantischen Ozean, habe eine ungeheure Katastrophe ausgelöst. Das hat man mittlerweile, was da passiert, auch mittels Computersimulation nachvollzogen. Und daraufhin hat er dann die ganzen Schilderungen durchgesehen und hat festgestellt, das können nur Schilderungen eines realen Impakts sein. Und das wäre auch eine Möglichkeit, dass vielleicht die kosmische Bedrohung von vornherein hier mit dem Feurigen verbunden war. Das ist schwer zu sagen.

Es mag sein, es ist möglich, dass eine Menschheitskatastrophe dieser Größen-ordnung im kollektiven Gedächtnis der Menschen einen so bleibenden Eindruck hinter-lassen hat, dass in allen Mythologien der Völker tatsächlich immer wieder auch der bedrohende Charakter, auch im Sinne eines Strafgerichts, des göttlichen Strafgerichts [spürbar ist]. Noch bei Heraklit ist das ja spürbar. Alles wird das Feuer, wenn es herein-bricht, richten und ergreifen, heißt es bei Heraklit. Das haben dann die Stoiker übernom-men und später die Christen auf ihre Weise interpretiert.

„Also Nietzsche identifiziert sich selbst, den Kern seines Wesens, mit der Flamme, und die Überschrift bekräftigt, das ist der Mensch. Ich bin Flamme, sagt die letzte Zeile. Für Goethe dagegen ist der Felsenuntergrund, Grundlage und Widerlager des Eigenseins und doch etwas Getrenntes von ihm. Und auch sein Vergleich mit der Seele wahrt Distanz. Er würde nicht sagen: Ich bin der Fels, die Erde oder etwas Ähnliches. Daraus entnehmen wir die Frage, wenn das Feuer den empfindenden Menschen dazu einlädt, sich mit ihm zu identifizieren, die Erde, das Feste, dagegen eher als Grundlage für mich erlebt wird, besteht wohl eine nähere Verwandtschaft zwischen Ich und Feuer, eine andere zwischen Erde und unserer sichtbaren Lebensgrundlage. Wenn es so wäre, würde allerdings wie Nietzsche nur ein Mensch sprechen können, dem sein Leib weniger nahe stünde als sein eigentliches Ich, was manchen Zeitgenossen doch sehr erstaunen würde.“

Das ist natürlich immer auch eine Frage, die Elemente-Frage ist immer auch eine Frage der Materie überhaupt, des Stoffes: Was ist Materie? Was ist der Stoff, auch vorangetrieben in seine allerfeinsten Verzweigungen? Auch das ist ja eine letztlich kaum im Letzten erklärbare Frage. Aber es hängt damit ganz eng zusammen.

Also ich vermute, dass es eine Möglichkeit geben könnte, ganz vorsichtig gesagt, über bestimmte denkerisch-meditative Betrachtungen von Feuer zu einer anderen Wahrnehmung wieder zu kommen. Das ist auch tief drin in der kollektiven Psyche, in jederlei Hinsicht, bekanntermaßen ja auch in politischen Zusammenhängen. Das Feuer, die Fackel, die elementare Form des Angerührtseins durch die Flamme, durch das aufsteigende Flackern, das Unruhige, sich ständig Bewegende, nie zur Ruhe kommende der Flamme. Und die Elemente sind immer auch verbunden gewesen mit bestimmten zahlensymbolischen Vorstellungen. Es ist kein Zufall, dass man so festgehalten hat an der Vierzahl der Elemente. Das hatte immer eine kosmische oder kosmologische Funktion, die Zahl Vier als eine Grundzahl.

Ich habe ja mal im Winter gesagt, dass die Pythagoreer der Auffassung waren, dass die Summe der beiden ersten Quadratzahlen, der neun und die vier, die 13, kosmische Gerechtigkeit bedeutet, also die Vier als eine kosmische Grundzahl und dann auch die Fünf in gewisser Weise als ihre Vollendung und Krönung in dem Sinne, dass diese Äthersubstanz letztlich allem zugrunde legt, der eigentliche göttliche Stoff der Dinge ist. Das findet man noch in der Renaissance-Philosophie bei Paracelsus zum Beispiel, also letzte Anklänge davon, der ja auch eine Art Elementelehre vorgestellt hat.

Nun mal als kleines Beispiel hier, was die Gebrüder Böhme bringen in ihrem riesigen Material, was sie hier auffächern. Kurzes Zitat mal aus dem Buch [über] „Feuer, Wasser, Luft und Erde ‒ Kulturgeschichte der Elemente“ im Hinblick auf Paracelsus. Da kommt es noch mal so richtig auf den Punkt. Da wird zunächst gesagt: „Der Mensch ist Konzentrat, Auszug, das heißt, die Quintessenz der Natur, so wie das Licht Quintessenz der Elemente ist. Darin drückt sich sein Schöpfungsprivileg aus. Ebenbild Gottes ist er, weil und insofern er Quintessenz der die Natur grundierenden vier Elemente ist.“ Davon ging Paracelsus aus. „Der Mensch ist gleichsam als Mikrokosmos die Manifestation dieser vier Grundelemente der kosmischen Wirklichkeit. Dabei hat der Mensch einen doppelten Leib, den korporalischen und den siderischen. Darin folgt Paracelsus, dem sowohl platonischen wie christlichen anthropologischen Dualismus. Er gibt ihm freilich seine Pointe. Der korporalische Leib, also der physisch-sinnliche Leib, wird im Wesentlichen aus Erde und Wasser gebildet. Das entspricht dem Lehm, Schlamm, Tonklos, woraus der Mensch geformt wird, und schwingt in der Luft, wie das Lebensmedium auch Chaos heißt. Sein anderer Körper ist von der siderischen Materie, also dem Element Feuer, und bildet seinen materialisierten Geistkörper.“ Jetzt Zitat, selbst von Paracelsus: „So ist also der Mensch in zween“, also zwei, „Leiber gesetzt. Das ist in den sichtbaren und den unsichtbaren, das ist in den elementischen und himmlischen.“ Also der irdisch-sinnliche Mensch, der Mikrokosmos, hat den elementischen Leib und daneben noch einen astralischen Leib. Paracelsus hat diesen Begriff erfunden, der dann in der abendländischen Esoterik ja so eine zentrale Rolle gespielt, also den Astralleib.

„Nach diesem merkt“, jetzt weiter, „der Leib kommt aus den Elementen, der Geist aus dem Gestirn. Aus dem folgt jetzt, dass die Elemente den Leib führen müssen und der Himmel seinen Geist. Das ist, was die Elemente handeln, dient in dem Leib des Blutes und Fleisches, der aus den Elementen ist. Und was der Himmel im Menschen himmlisch handelt, das dient in den Sinnen und die Gedanken, weiter aus den Elementen isst und trinkt er zur Erhaltung seines Bluts und Fleisches, aus dem Gestirn ist er sein Sinnen und Gedanken in seinem Geist.“ Und so weiter.

Also auch bei Paracelsus spielt das eine ganz zentrale Rolle, dass der Mensch eine Konfiguration des Elementischen ist, also eine Gestaltkonfiguration der Elemente. Und auch bei Paracelsus changiert das zwischen der physisch-sinnlichen Bedeutung und der Bedeutung im Sinne der seelischen Qualitäten, das auch bei Goethe ständig auftaucht. Wenn sie sich an das Zitat erinnern, aus dem „Faust II“, da ist ja dieses schockartig Angeblickt-werden quasi vom Licht, das Feuer, auch das Feuermeer, gleichzeitig dann das metaphysische Licht, ohne dass das gleichgesetzt wird, also das physisch-sinnliche Licht, wenn man das überhaupt so nennen darf, ich halte das schon [für] falsch, überhaupt vom physischen Licht zu sprechen, aber sagen wir es mal in Anführungszeichen. Also das physisch-sinnliche Licht ist sozusagen die Manifestation eines dahinter stehenden, quasi göttlichen Feuers, des metaphysischen Lichtes. Man kann ja so weit gehen zu sagen, dass das Licht überhaupt, auch das sogenannte physische Licht, letztlich etwas zutiefst Immaterielles ist.

Und man soll sich nicht täuschen lassen durch bestimmte, sagen wir mal, Modellvorstellungen der neueren Physik. Photonen sind nie bewiesen worden. Auch das mag überraschen. Es ist eine Modellvorstellung; eine in sich konsistente Theorie der Photonen als Teilchen gibt es nicht. Das hat unter anderem der Arthur Zajonc, ein Spezialist auf dem Gebiet als Quantenoptiker, auch immer wieder herausgestellt: Es ist nicht möglich, es ist eine Modellvorstellung. Noch nie hat einer in direktem eigentlichen Sinne ein Photon registrieren können. Das ist auch wichtig. Das Licht hat viele Rätselhaftigkeiten und Anomalien. Zum Beispiel zeigt Zajonc auch auf, dass das Licht in bestimmten experimen-tellen Zusammenhängen sogar verweigert, den Ort genau fixieren zu lassen, es hat quasi keinen festlegbaren Ort. Es wimmelt von Rätselhaftigkeiten und je mehr sich etwa die Quanten-Optik mit dem Licht beschäftigt, umso rätselhafter wird das Ganze.

Also man muss das mit allergrößter Behutsamkeit erst einmal angehen, dass man nicht Modellvorstellungen, die gerade mal im Schwange sind, einfach so übernimmt. Im engeren Sinne gibt es dann auch keine Bio-Photonen, sondern es ist etwas Anderes. Das heißt nicht, dass es sie nicht geben sollte oder könnte, sondern es ist nicht belegt. Es ist nicht wirklich konsistent, restlos überzeugend klargemacht, dass Licht so etwas sein könnte wie winzigste Korpuskeln im Sinne einer Wiederbelebung der Newtonschen Korpuskular-Theorie.

Also da ist noch ungeheuer viel zu erforschen, und die sogenannten Elemente bieten da interessante Möglichkeiten. Und das Wasser ist vielleicht das signifikanteste Beispiel, weil man am Wasser am direktesten zeigen kann, wo die Punkte liegen und zwar empirisch zeigen kann, nicht abstrakt spekulativ, sondern wirklich: Wie bewegt sich das Wasser? Wie sind ganz bestimmte Strömungen, wie verwirbelt es sich? Was geschieht hier mit den gravitativen Wirkungen? Warum können Forellen zum Beispiel einen Wasserfall aufwärts springen, hüpfen? Warum können sie das, als Beispiel? Was passiert da genau? Das kann man also empirisch auch nachweisen und zeigen.

Und insofern ist dieses Thema der Elemente eine hoch spannende Frage, auch im Hinblick auf eine mögliche, wie ich das nenne, integrale Naturphilosophie und bietet viele Ansatzpunkte. Wichtig ist, es sind empirische Ansatzpunkte. Es ist nichts. Es geht nicht darum, sich in eine Elemente-Mystik, sage ich mal, hineinzufantasieren. Das wäre vollkommen verfehlt. Es geht um ein denkendes Betrachten, denkende Anschauung, wie Goethe das nennt, dieser Elemente, etwa des Wassers. Und was ich da gelesen habe, auch in anderen Büchern dieser Art, ist wirklich staunenswert. Das sind wirklich Sachen, über die man normalerweise nicht nachdenkt, weil Modelle den Blick auf die elementarsten Phänomene verstellt haben. Und das ist auch ein wichtiger Impuls überhaupt darin, wieder genau hin zu gucken: Was sind die Phänomene?

In diesem Sinne plädiere ich dann wirklich für eine Art Phänomenologie: wirklich die Phänomene angucken und nicht von vornherein, Feuer? na ja, Stichwort Oxidation oder Wasser, H2O. Als ob damit irgendetwas ausgesagt sei, was die eigentliche Qualität, unsere erfahrungsmäßige, unsere empirische Qualität anlangt.

Insofern hat da auch Goethe Recht, wenn er versuchte, genau immer wieder das Augenmerk darauf zu richten. Und wenn das nicht geschieht, glaube ich, kommt man da keinen Millimeter weiter. Also da ist ein wirklich, ein wirklich hochinteressanter Ansatzpunkt.

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Licht und Finsternis, die Farben und der Regenbogen

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 20

Transkript als PDF:

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Ich will nur mal ganz kurz stichwortartig in Erinnerung rufen, was ich gesagt hatte, ganz kurz noch, und dann auch daran anknüpfen. Wir hatten ja gesagt, dass Goethe von der Prämisse ausging, dass Licht und Finsternis eigenständige, gleichsam kosmische Entitäten sind, die in ihrem Zusammenwirken Farben hervorbringen. Und ich hatte Ihnen das ja dargestellt, dass und wie Goethe polemisierte gegen die Annahme von Newton, dass im weißen Licht, im Tageslicht, wie er das polemisch nannte, farbige Lichter enthalten sind, also Lichtstrahlen, bei Newton kleinste Korpuskelschauer mit bestimmten Brechungsindizes, die Farbe hervorrufen. Goethe hat selber viel experimentiert. Ich habe das gesagt. Er hat keineswegs Experimente abgelehnt. Wer die Farbenlehre durcharbeitet, dem müsste das auffallen, dass Goethe ein leidenschaftlicher Experimentator war. Das ist nicht der Punkt des Dissenses. Der Dissens lag ganz woanders.

Der Dissens lag in einem grundlegend anderen Verständnis von der Art und Natur und Struktur dieser Experimente und von der Art, Natur und Struktur der Grund- und Urphänomene überhaupt. Goethe hat ja den Begriff der „Ur-Phänomene“ eingeführt in die Naturphilosophie. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass einer vorher jemals den Begriff verwendet hätte, in bewusster Anlehnung an die platonische Idee, der Idee ‒ „eidos“, das Ur-Phänomen, d. h. die Vielzahl der Phänomene der Natur lässt sich für Goethe zurückführen auf Elementar-Phänomene, eben auf das Elementar-Phänomen Licht und das Elementar-Phänomen Finsternis, ich sage es noch einmal: als eigenständigen, wirkenden Mächten oder Entitäten. Das ist wichtig.

Dann habe ich Ihnen kurz versucht zu erläutern, dass Goethe in der Tiefe Licht-Metaphysiker war, der Licht-Theorien überhaupt abgelehnt hat. Das ist wichtig, weil es in vielen Büchern falsch dargestellt wird. Goethe war kein Anhänger der Wellentheorie etwa von Christian Huygens und anderen. Sie wissen ja, dass die Wellentheorie im frühen 19. Jahrhundert dann erst an Boden gewann durch Thomas Young und Augustin Fresnel und andere durch ihre berühmten Versuche, die Doppelspalt-Versuche. Dann konnte die scientific community davon überzeugt werden: In der Tat, Licht kann als ein Wellen-Phänomen besser verstanden und auch genauer beschrieben werden als mittels der Newtonschen Korpuskular-Theorie. Das hat Goethe in der Tiefe überhaupt nicht interessiert, diese Frage. Ich habe immer wieder in Darstellungen darüber gefunden, Goethe habe die Wellen-Lehre favorisiert. Das stimmt einfach nicht. Goethe war Licht-Metaphysiker, hat das Licht in diesem Sinne als Ur-Phänomen begriffen, das man nur mittels ganzheitlicher Experimente überhaupt verstehen kann. Er lehnte schon Versuchsanordnungen der Art, wie wir sie von Newton kennen, ab, ohne die Phänomene zu bestreiten. Er lieferte bloß eine ganz andere Interpretation. Ich habe das dargestellt. Ich will das nicht noch mal hier wiederholen.

Wir waren dann stehengeblieben bei der Frage, die hatte ich Ihnen quasi als eine Denkaufgabe, wenn man das so nennen möchte, zu heute gegeben. Ich hatte zwei Fragen gestellt, die jeder für sich behandeln oder ventilieren möge. Ich hatte gefragt: Warum ist der Himmel blau? Und warum gibt es das Phänomen der Abend- und Morgenröte? Beide Phänomene haben Goethe kolossal interessiert und immer wieder zu neuen Reflexionen angeregt. Er hatte ja in dem Zusammenhang auch in seiner Lehre von der sinnlich-sittlichen Wirkung der Farben, etwa Blau und Rot als ganz verschiedene Grundqualitäten der Natur und unserer seelischen Empfindungen klassifiziert, also Rot als das Drängende, vorwärts Stürmende. Rote Räume wirken kleiner als blaue Räume. Das Blau scheint zurückzufliehen, blaue Räume wirken in der Tendenz größer.Und so weiter. Ich gehe gleich darauf ein.

Ich habe jetzt eine Stelle, die ich ihnen gerne vorlesen würde, als Überleitung. Und vielleicht kann ich so den Bogen spannen und gleichzeitig auch das Thema der Elemente behandeln. Aus dem „Faust“, aus dem Beginn des „Faust II“, eine berühmte Stelle, übrigens wunderbar vertont von Robert Schumann. Wer die Möglichkeit hat, die Faust-Musik mal zu hören, dem müsste das aufgehen, dass das kongenial vertont worden ist von Robert Schumann. Faust erwacht, dann hört man das Donnern der Sonne, ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne im Sinne der Goetheschen Vorstellung, dass Licht auch Klang ist, ja, Lärm, Getöse. Also, der Aufgang der Sonne ist laut. Ariel, der Luftgeist: „Horchet, horchet in dem Sturm der Horen tönend wird für Geistes Ohren schon der neue Tag geboren. Felsentore knarren rasselnd, Phoebus-Räder rollen, prasseln, welch‘ Getöse bringt das Licht! Es trometet, es posaunet, Auge blitzt.“ ‒ „Trometet“ heißt es, nicht „Trompetet“ ‒. „Es trometet, es posaunet, Auge blitzt und Ohr erstaunet. Unerhörtes hört sich nicht.“ Und dann: „Faust: des Lebenspulse schlagen, frisch, lebendig, ätherische Dämmerung milde zu begrüßen.“ Dazu nachher mehr, zum Begriff auch des Äthers, Vater Äther, wie das dann bei Hölderlin heißt. „Du Erde warst auch diese Nacht beständig und atmest neu erquickt zu meinen Füßen, beginnst schon mit Lust, mich zu umgeben. Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen, zum höchsten Dasein immerfort zu streben. In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen, der Wald ertönt von tausend-stimmigem Leben, Tal aus, Tal ein ist Nebelstreif ergossen. Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen und Zweig‘ und Äste frisch erquickt, entsprossen, dem duftigen Abgrund, so versenkt sie schliefen.“ Eine wunderbar präzise Schilderung. Was passiert beim Sonnenaufgang? Sehr präzise. „Auch Farb‘ an Farbe klärt sich los vom Grunde, wo Blum‘ und Blatt von Zitterperle triefen. Ein Paradies wird um mich her die Runde hinauf geschaut. Der Berge Gipfelriesen verkünden schon die feierlichste Stunde. Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen, das später sich zu uns hernieder wendet. Jetzt zu der Alpe grün gesenkten Wiesen wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet und stufenweis‘ herab ist es gelungen. Sie“ – also die Sonne – „tritt hervor und leider schon geblendet, kehr‘ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen. So ist es also, wenn ein sehnend‘ Hoffen dem höchsten Wunsch, sich traulich zugerungen, Erfüllungspforten findet Flügel offen. Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen ein Flammenübermaß. Wir stehen betroffen, des Lebens Fackel wollten wir entzünden. Ein Feuermeer umschlingt uns, welch‘ ein Feuer. Ist’s Lieb, ist’s Hass, die Glühenden zum Winden mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer, so dass wir wieder nach der Erde blicken, zu bergen uns in jugendlichstem Schleier. So bleibe denn die Sonne mir im Rücken, der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend, ihn schau ich an mit wachsendem Entzücken, von Sturz zu Sturz wälzte jetzt in tausend, abertausend Strömen sich ergießen hoch in die Lüfte, Schaum an Schäume, sausend, allein wie herrlich diesem Sturm ersprießend, wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,“ ‒ also ein Regenbogen wird hier wahrgenommen, ‒ „wirbt sich des bunten Bogens Wechseldauer, bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend, umher verbreitend duftig kühle Schauer. Der Regenbogen spiegelt ab das menschliche Bestreben, ihm sinne nach und du begreifst genauer: am farbigen Abglanz haben wir das Leben.“

Ja wohl die berühmteste Zeile dieser wunderbaren Passage, die, wenn man das mehrfach liest, immer wieder erstaunt wegen ihrer enormen Präzision. Zunächst mal, könnte man ganz vordergründig sagen, es ist eine Art poetische Adaption an den plato-nischen Lichtmythos, Höhlenmythos, also, der Faust wird geblendet vom Licht, er kann dieses Licht nicht ertragen, das auch gleichzeitig das Göttliche, das Metaphysische, das kosmische Licht ist. Er wendet sich zurück: Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. Dann ist von den Elementen die Rede, dem Wasser, der Luft, dem Feuer, Feuermeerflammen Übermaß, dem Licht, auch in seinen antiken Konnotationen, auch in seinen antiken Zusammenhängen. Also Feuermeer auch schon angenähert an Äther-Meer. Das muss man sagen, wenn man auf die antike Vorstellung der Elemente schaut, dass das nie scharf getrennt ist. Es ist nicht so, dass der Äther als das fünfte Element einfach etwas prinzipiell anderes wäre. Häufig wird das angenähert dem Feuer, dem Feuermeer, und Feuer ist auch wieder nicht nur das physische Feuer, auch in der antiken Naturphilosophie, das ätherische Feuer, das kosmische, dass Seelen-Feuer, das Geist-Feuer, ja das richtende Feuer, so etwa in der Philosophie von Heraklit. Also das geht sehr dicht, eng ineinander über und liegt sehr dicht beieinander. Das muss man vorab sagen, dass man das nicht allzu analytisch auseinanderdifferenziert.

Nun nimmt Goethe hier das Bild das Regenbogens als Beispiel dafür, dass wir am farbigen Abglanz das Leben haben. Und da möchte ich anknüpfen, an dem Phänomen des Regenbogens. Nun ist ja der Regenbogen ein wirklich aufwühlendes Phänomen. Wem das begegnet ist, wie mir gestern Abend, dass er überraschend, ich war in Jütchendorf im Südwesten von Berlin, überraschend gegen Abend einen Regenbogen sieht, jedenfalls ein Teil dieses Regenbogens, gewaltig breit die Farben, der ist erst mal überrascht, ja beglückt, erstaunt. Ich hatte nicht damit gerechnet, war nur ganz zarte Feuchtigkeit im Himmel. Also, ein eindrucksvoller Regenbogen, sie wissen, außen das Rot, dann nach innen hin, schließlich zum Blau, zum Violett hin und interessant, es zeigte sich in einiger Entfernung ein zweiter Regenbogen, wesentlich schwächer. Dieser Regenbogen wird häufig als Teufels-Regenbogen bezeichnet. Die Farbe, das Spektrum ist genau umgekehrt, also Violett liegt außen und Rot liegt innen, und als Teufels-Regenbogen deswegen, weil im Sinne der Mythologien vieler Völker aber auch vieler religiöser Vorstellungen der Regenbogen ein Symbol immer war zwischen dieser Welt, der physisch-sinnlichen Welt und einer kosmischen oder metakosmischen Welt, also die berühmte Regenbogenbrücke, die man ja auch aus der germanischen Mythologie kennt, zum Beispiel, Wagner hat das ja aufgegriffen am Ende, im Finale des „Rheingold“.

Die Götter gehen über die Regenbogenbrücke, also der Regenbogen als ein Symbol von Diesseits und Jenseits, aber auch von dieser Welt und einer höheren ätherischen Welt, spielt auch für Goethe eine zentrale Rolle. Die berühmteste Stelle vielleicht überhaupt, stammt aus dem Alten Testament. Sie wissen das, nach der Sintflut wird also Noah, dem Volk Israel, der Menschheit als Ganzes der Bund verhießen. Nicht, solange also der Bogen steht, wird nicht aufhören…, wird diese Erde bestehen bleiben: „… der sei gesetzt als Zeichen des Bundes zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.“ Daran knüpft das an, und der andere Bogen, der zweite Bogen bis eben in diesem Sinne der Teufels-Regenbogen, als da alles seitenverkehrt ist, quasi. Das ist hochinteressant. Wer übrigens darüber sehr schön geschrieben hat, das will ich nur kurz hier erwähnen, weil es ein wirklich faszinierendes Buch ist, ist der amerikanische Physiker Arthur Zajonc. „Catching the Light“ heißt das Buch, „Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein“. Er schreibt zum Beispiel über den Regenbogen: „In der frühen Geschichte des Regenbogens wurde der farbenschillernde Halbkreis zwischen Himmel und Erde ganz selbstverständlich zu einer Brücke, die beide Welten verband. Der griechische Komödiendichter Aristophanes schrieb: ,…und der schüch-ternen Taube vergleichbar ist nach Vater Homeros (Homer) die Iris, und sie überbringt Botschaften zwischen Göttern und Menschen.‘ Iris selber als Götterbotin, also nicht nur als Brücke. Das Motiv findet man auch in anderen Kulturen.

Für nordamerikanische Indianer, Polynesier und andere Naturvölker war der Regen-bogen ein Pfad, über den die Seelen in die höhere Welt gelangen. In Japan hieß er die schwebende Himmels-Brücke, in der isländischen Sagendichtung Edda fragt König Gylfi in Gestalt von Ganglerie nach dem Weg von der Erde zum Himmel, und Har antwortete laut auflachend: „Nun, das ist nicht klug gefragt. Hat man dir nicht gesagt, dass die Götter eine Brücke von der Erde zum Himmel gespannt haben? Bifröst mit Namen, du musst sie gesehen haben. Mag sein, dass ihr sie Regenbogen nennt. Sie besteht aus drei Farben.“ ‒

Sie werden sich vielleicht erinnern, dass ich Ihnen ja erläutert habe, dass es ganz verschiedene Möglichkeiten gibt, jetzt physikalisch gesprochen, diese Spanne von 400 bis 700 nm [Nanometer=10-9 m] Wellenlänge Farben zuzuordnen. Das ist in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedlich gehandhabt worden. Ich hörte vor Jahren auf Bali fetzen-weise ein Gespräch zwischen zwei Menschen. Da sagte der eine zum andere, das hat mich dann ins Grübeln gebracht: Hier auf Bali sieht man wirklich einen 7-farbigen Regenbogen, während man in Deutschland nur sechs Farben sieht. Ich dachte, wie kommt das? Was meint er? Ich konnte mir das nicht vorstellen, weil gerade ja im asiatischen Kulturkreis, in der gesamten Mythologie jedenfalls zum überwiegenden Teil der Regenbogen fünf Farben hat und nicht sieben.

Newton ging von sieben Farben aus. Ich sagte, dass Goethe eher von sechs Farben [ausging]. Die Frage, ist Indigo eine eigene Farbe oder muss das Blau zugeschlagen werden? ‒ „Von Heimdahl wird sie streng bewacht“ ‒ also die Regenbogenbrücke – „und die Götter, die sie täglich überqueren, werden sie zum letzten Mal betreten, wenn sie unserer Welt für immer den Rücken kehren. Wenn die Götterdämmerung hereinbricht, dann wird der Regenbogen zerstört werden.“

C.G. Jung hat mal gesagt, das ganze Bestreben der abendländischen Kultur sei der immer erneut scheiternde Versuch, unter dem Regenbogen durchzuschlüpfen, was einfach nicht geht. Der Regenbogen entzieht sich, bis dahin, dass man oft gefragt hat, gibt es den Regenbogen überhaupt, weil jeder, das kann man auch physikalisch zeigen, einen anderen Regenbogen sieht. Und ich will ihnen mal versuchen, das zu erläutern, wie das aussieht.

Es ist ja ein zunächst keineswegs so unmittelbar einsichtiges Phänomen, wie der Regenbogen überhaupt zustande kommt. Wenn man da eine Umfrage machen würde, was sagen wir mal, die physikalische Allgemeinbildung betrifft, würde man wahrscheinlich die abenteuerlichsten Vorstellungen darüber hören, wie das sich tatsächlich vollzieht. Das ist ein sehr komplizierter Vorgang, der in der Grundstruktur, zumindest, sagen wir mal geometrisch, von Descartes offengelegt worden ist. Descartes war Derjenige, soweit ich das weiß, der auch als erster erkannt hat, dass hier ein ganz bestimmter Brechungswinkel immer auftritt, ein Brechungswinkel nämlich von 42 Grad. Das ist merkwürdig und im Grunde genommen rational empirisch kaum zu begründen.

Es ist aber so und Zajonc versucht das hier in seinem Buch zu erläutern am Beispiel der Ballistik. Sie wissen ja, dass sie, wenn Sie ein Geschoss abfeuern oder auch eine Kugel stoßen, dass der Winkel von 45 Grad der optimale Winkel ist. Wenn sie zum Beispiel einen Rasen bewässern, da ist es ebenso. Wenn sie zunächst in der Waagerechten den Strahl halten, dann werden sie die Weite vergrößern können, je mehr Sie in Richtung auf den Winkel von 45 Grad kommen. Überschreiten sie aber den Winkel, kommt wieder der gegenteilige Effekt [zustande]. Dann wird also die Strahl[reich]weite wieder verkürzt. Es gibt also einen Umkipppunkt, einen Umkehrpunkt, der liegt in diesem Falle, jetzt mal alle anderen Faktoren beiseite gelassen, die natürlich immer vielfältig hineinspielen, also Windverhältnisse und so weiter, [eben bei] 45 Grad.

Beim Licht ist es eigenartigerweise der Winkel von 42 Grad. Man sieht einen Regenbogen und fragt sich, wo ist er eigentlich genau? Ich habe heute morgen noch mal im Arthur Zajonc gelesen und [er schreibt], man solle sich mal fragen: Wo steht der Regenbogen? Ist er ganz tief am Horizont, zu welcher Tageszeit ist er zu sehen und aus welchem Winkel? Er zeigt dann auf, dass [man] den Winkel von 42 Grad ansetzen kann, wenn man davon ausgeht, ich lese ihnen mal die Stelle vor, das ist hier präziser, als ich es vielleicht paraphrasieren könnte: „Wenn der Regenbogen gewöhnlich die Form eines Halb-kreises annimmt“ , selten wird er als Kreis gesehen, auch das kommt vor, in bestimmten Zusammenhängen können sie den ganzen Regenbogen sehen, dann werden sie merken, dass es eigentlich kein Bogen ist, sondern ein Kreis. „Wenn der Regenbogen gewöhnlich die Form eines Halbkreis annimmt, wo befindet sich dann sein Mittelpunkt? Er lässt sich ganz einfach finden, und zwar auf folgende Weise: Ziehen sie eine Linie von der Sonne“, also, wenn sie sich wieder zur Sonne wenden, „eine Linie von der Sonne durch das beobachtende Auge und setzen sie sie fort bis zum Erdboden unter dem Regenbogen.“ Also Sonne beobachten ins Auge und quasi Erdboden unter dem Regenbogen. „Und dort werden sie einen Schatten bemerken, den Schatten ihres eigenen Kopfes.“ Das kann passieren, es klingt so, als ob das immer der Fall wäre, das kann sein, es muss nicht sein. „Die Linie, die Sonne, Auge und Schatten verbindet, ist die Mittelachse des Regenbogens, also Sonne, Auge, Kopfschatten unterhalb des Regenbogens. Eine zweite Linie lässt sich vom Auge zum Regenbogen ziehen, ganz gleich, wo er sich befindet und ob er in einem Frühlingsschauer oder im Sprühregen eines Gartenschlauchs erscheint, der Winkel zwischen der ersten und der zweiten Linie beträgt stets 42 Grad. Das ist der Regenbogen-Winkel.“

Das hat Descartes als Erster, soweit ich das weiß, ausgerechnet. Und hier gibt es einen Umkehrpunkt, der letztlich der Grund dafür ist, dass der Regenbogen überhaupt sichtbar wird. Wenn das nicht der Fall wäre, würde man den Regenbogen überhaupt nicht erkennen. Ich darf noch eine zweite Stelle vorlesen. Erspar mir das hier jetzt noch mit einer Zeichnung an der Tafel zu erläutern, könnte das aber in der Diskussion dann machen. Zajonc bringt hier auch eine Zeichnung, wie das Descartes und andere versucht haben, plausibel zu machen.

„Zur Simulation eines Regenbogen könnte [man] ein großes kugelförmiges Glasgefäß mit Wasser verwenden“, um das an einem Modell zu zeigen, „in das wir einen dünnen Strahl weißen Lichtes schicken. Zunächst lassen wir den Strahl in die Mitte der Kugel eindringen. Nun lassen wir den eindringenden Strahl langsam und stetig über die Wasserkugel zum Rand wandern. Entsprechend bewegt sich der Strahl, der aus dem Glasgefäß herauskommt, immer weiter zur Seite. Er rutscht quasi immer mehr weg, bis er wie beim Wasserschlauch halt macht und umkehrt eben genau am Winkel von 42 Grad. In dem Augenblick, da er innehält, zerbirst der gebrochene und reflektierte Strahl in Farben, die Farben des Regenbogens.“ Hier geschieht also eine sich verstärkende Interferenz und nur durch diese sich verstärkende Interferenz ist überhaupt ein Regenbogen sichtbar. „Der Winkel zwischen den ein- und austretenden Strahlen beträgt dann genau 42 Grad, der des Regenbogens. Die Umkehr ist der Schlüssel zum Rätsel des Regenbogens. Ohne sie würde die Brechung, ganz gleich wie stark, nicht ausreichen, einen Regenbogen am Himmel erscheinen zu lassen. Damit lässt sich auch das dunkle Band erklären.“ Da geht er auf den Nebenregenbogen ein, auf den sogenannten Teufels-Regenbogen.

Nun ist das eine rein … , erstmal ein physikalischer Ansatz, das zu erklären, das lässt sich schlechterdings nicht bestreiten. Eine andere Frage ist: Was ist diese Farbskala? Was ist dieses Farbspektrum, was da aufscheint? Was bedeutet das für das aufnehmende Auge? Und da ist genau der Punkt erst einmal, der fundamental den Goetheschen Ansatz von dem Newtonschen trennt, dass Goethe immer davon ausging, dass das Phänomen Farbe grundsätzlich niemals vom betrachtenden Auge getrennt werden kann. Dass es also nicht angängig ist, hier zu sagen: Dort der Regenbogen, das Farbspektrum, hier das beobachtende Auge. Ich hatte Ihnen das ja auch am Beispiel des ersten Prismaversuchs von Goethe 1790 versucht zu erläutern.

Goethe hat darunter gelitten, dass er nicht in der Lage war, das war er wirklich nicht, den Regenbogen abzuleiten. Das hat [er] nicht gekonnt. Dazu reichte seine Farbenlehre rein physikalisch nicht aus. Darunter hat er sehr gelitten, hat immer neue Anstalten gemacht zu verstehen: Wie kommt der Regenbogen zustande? Das konnte ja Newton im Formalen, zumindest, im formal Geometrischen, von den Brechungsgesetzen her, an denen ja nicht zu zweifeln ist, gut ableiten. Da sah die goethische Farbenlehre, was diesen Punkt betrifft, recht unzulänglich aus. Goethe wusste das, und er litt auch darunter.

Nun, was sind Farben? Man kann ja sagen, in einem sehr strengen Sinne, Farben können als Farben, als sie selber überhaupt kein Gegenstand der Physik sein, weil, was die Physik messen kann, was sie feststellen kann, sind Frequenzen [bzw. Wellenlängen], etwa die genannten vier bis sieben [zehn]tausendstel Millimeter. Sie kann ganz bestimmte Wellenlängen [bzw.] kann ganz bestimmte Frequenzen messen, etwa diese wahnwitzige Zahl – vom empirisch Sinnlichen aus – 300 [400 bis 800 THz; 1 Tera-Hertz=1012 Hz] Billionen Schwingungen pro Sekunde, im Schnitt, also unvorstellbar. Die Frage hat ja immer dann die Gemüter beunruhigt, wenn da ein Stoff, ein feiner Stoff zugrunde liegt: Was für Eigenschaften muss der haben, dass der so unvorstellbar schnell schwingt, gleichzeitig so fest, so dicht ist und so elastisch? Das ist hier die ganze Frage des Lichtäthers, die das 18. und 19. Jahrhundert beschäftigt hat, mit der sich auch Newton übrigens herumgeschlagen hat, die in der Form Goethe so ablehnt. Das muss man auch klar sagen. Goethe lehnt das deswegen ab, weil das für ihn bereits bedeutet hätte, das Licht reduktionistisch zu behandeln. Also da war er ganz, fast dogmatisch: Licht ist ein Urphänomen, muss als Urphänomen betrachtet werden, darf grundsätzlich nicht analytisch-reduktionistisch angegangen werden.

Was sind Farben? Sehr schwer zu sagen. Farben sind Qualitäten, die natürlich ein bestimmtes Korrelat in der materiell-sinnlichen Welt haben, aber sie gehen nicht auf in diesem Korrelat. Ich habe das ja letztes Mal schon angedeutet. Die Frage ist legitim und keine Scheinfrage, keine akademische Frage, zu fragen: Was wäre Ultraviolett für eine Farbe? Ist ja ohne Weiteres möglich, dass man sich eine Skala-Verschiebung des Auges vorstellt, das also Rot mit der längsten Wellenlänge quasi verschwindet, das Ganze sich verschiebt Richtung Ultraviolett, dann müsste man jenseits von Violett eine andere Farbe sehen: Ultraviolett. Was wäre das für eine Farbe? Wir haben keine Möglichkeit, darüber irgendeine Aussage zu machen.

Es wird immer wieder berichtet auch von spirituellen Menschen, dass sie in der Lage gewesen wären, eine qualitativ und fundamental andere Farbe zu sehen. Also eine Farbe, die nicht aufgeht im Regenbogenspektrum, eine Farbe, die auch nicht resultiert aus einem Mischverhältnis. Von sehr vielen Menschen wird das berichtet. Ich selber hatte auch einige Wahrnehmungen dieser Art, das ist rätselhaft und lässt sich auch sprachlich nicht vermitteln, weil, wenn man das sprachlich vermitteln will, muss man sich ja der bekannten Farben bedienen: Es ist wie Violett, aber es ist nicht Violett. Es ist wie Grün, aber es ist nicht Grün. Das sind ja alles dann wieder Qualitäten aus der sinnlich-unmittelbaren Erfahrung, die das nicht treffen. Also man kann das vielleicht einfach als Phänomen stehen lassen.

Es gibt die Möglichkeit, grundsätzlich andere Farben wahrzunehmen und auch das hat kulturgeschichtliche, vielfältige Bedingungen. Ich habe ihnen ja das Beispiel des Blau, das nicht vorhandene Blau in der Antike, vorgestellt.

Nun die Frage, warum der Himmel blau ist. Eine Kinderfrage: Warum ist der Himmel blau? Nach Goethe gibt es da zwei Möglichkeiten, das zu betrachten. Ich will die beide nennen. Goethe ging ja grundsätzlich davon aus, dass Licht und Finsternis als zwei eigen­ständige urphänomenale Entitäten zusammenwirken. Sie schaffen die farbige Welt im Medium dessen, was Goethe „die Trübe“ nennt, die Trübe, ein Luft-Medium in diesem Falle. Also, wenn dieses Luft-Medium nicht da wäre, würde der Himmel vollkommen schwarz sein, wie zum Beispiel im Weltraum, dem sogenannten Weltraum, weit außerhalb der Erde. Das weiß man von vielen Berichten der sogenannten Astronauten. Der Himmel ist tatsächlich vollkommen schwarz, und auch die Sonne erscheint nur als stecknadelkopf-großer Punkt, was viele, die das zum Ersten mal hören, sehr verwirrt. Sie denken sich ganz naiv-realistisch, wenn man weiter rauskommt, müsste die Sonne immer größer werden, gewaltig werden. Das Gegenteil ist der Fall. Sie wird immer kleiner. Sie wird dann quasi zum Punkt. Der Weltraum selber ist vollkommen finster. Das heißt, das Licht erhellt den Raum selber überhaupt nicht. Das ist ja von mir auch mehrfach gesagt worden. Das kann man nicht bezweifeln. Das ist effektiv ein immer wieder objektivierbares Phänomen.

Licht selber ist als solches nicht sichtbar, wird erst sichtbar, wenn Materie ins Spiel kommt. Also, die eine Version der Erklärung besteht einfach darin, dass Goethe sagt: Hier gibt es ein trübes Medium, durchlichtet von der Sonne, was die Finsternis des Weltraums aufhellt, also Blau als eine aufgehellte Finsternis. Zitat mal, von Goethe aus der Farbenlehre: „Wird die Finsternis des unendlichen Raumes durch atmosphärische, vom Tageslicht erleuchtete Dünste hindurch angesehen, so erscheint die blaue Farbe.“ Da könnte man sagen, rein phänomenologisch ja nicht zu leugnen. Hat das ein naturphilosophischen oder gar physikalischen Aussagewert? „Auf hohen Gebirgen sieht man am Tage den Himmel königsblau, weil nur wenige feine Dünste vor dem unendlichen, finstern Raum schweben. Sobald man in die Täler herabsteigt, wird das Blaue heller, bis es endlich in gewissen Regionen und bei zunehmenden Dünsten ganz in ein Weißblau übergeht.“

Also, das Medium der Trübe, in diesem Fall das Medium Luft, muss dazwischen-kommen, dass die Schwärze des unendlichen Raumes, wie Goethe sagt, quasi aufgehellt wird. Und jetzt, gleich zu der zweiten weitergehenden Erklärung, die mit der sinnlich sittlichen Wirkung der Farben zusammenhängt, wie Goethe das nennt. Aber noch zum Morgenrot und zum Abendrot. Zitat auch noch mal Goethe, aus der Farbenlehre: „Die Sonne, durch einen gewissen Grad von Dünsten gesehen, zeigt sich mit gelblicher Scheibe. Oft ist die Mitte noch blendend gelb, wenn sich die Ränder schon rot zeigen, beim Hehrrauch, wie [er] 1794 auch im Norden der Fall war, und noch mehr bei der Disposition der Atmosphäre, wenn in den südlichen Gegenden der Scirocco herrscht“ ‒ ein ganz feiner Sandsturm ‒ „erscheint die Sonne rubinrot mit allen sie im letzten Falle gewöhnlich umgebenden Wolken.“ Das ist zum Teil wirklich so, dass durch die Luftverschmutzung die Abendröte eindrucksvoller ist als sie das wäre ohne die Luftverschmutzung. Das ist paradox und vielleicht auch befremdlich, aber es ist wirklich so. „Wenn in südlichen Gegenden der Scirocco herrscht, erscheint die Sonne rubinrot mit allen sie im letzten Falle gewöhnlich umgebenden Wolken, die alsdann jene Farbe im Widerschein zurückwerfen. Morgen- und Abendröte entstehen aus derselben Ursache. Die Sonne, die sich durch eine Röte verkündigt, indem sie durch eine größere Masse von Dünsten zu uns strahlt.“

Also, das durch das Medium Luft gleichsam abgedunkelte weiße Licht erscheint gelb bzw. orange. Das könnte man auch durchaus phänomenologisch oder fast im Sinne einer herkömmlichen Subjekt-Objekt-Trennung interpretieren. So wird es auch häufig inter-pretiert, und so hat dieser Aspekt der Farbenlehre auch eine gewisse Wirkung zu verzeichnen. Da bleibt aber ein wesentlicher Punkt draußen vor, das, was ich Ihnen das letzte Mal kurz angedeutet habe, was Goethe die sinnlich-sittliche Wirkung nennt der Farben. Goethe hat in diesem Punkt seine eigene Theorie, seine eigene Lehre, nicht wirklich stringent und konsequent weiterverfolgt, denn er hätte auf den Punkt kommen müssen, den er nur implizit sagt, dass die seelische Qualität der Farben, das heißt, wie wir seelisch-subjektiv Farbe da draußen wahrnehmen, auch etwas zu tun hat mit den natürlichen Qualitäten draußen. Das versucht Bodo Hamprecht in seinem kleinen Büchlein über die Farbenlehre zu zeigen mit dem Titel „Goethes Farbenlehre – Die andere Art Naturwissen-schaft“ zu betreiben.

Er stellt Folgendes dar, ich darf mal kurz diese Stelle vorlesen, die ich sehr eindrucksvoll finde, aus seinem Essay über die Goethische Farbenlehre. Wahrscheinlich ist er momentan der beste Kenner überhaupt der Farbenlehre, der seit Jahrzehnten ja darüber unzählige Vorträge gehalten hat und auch in der FU eine lange währende Ausstellung darüber veranstaltet hat und so weiter, seit Jahrzehnten. Er ist Direktor des Instituts für Elementarteilchenphysik an der Freien Universität. „Wenn wir uns an das Beispiel, welches Goethe uns beschreibt“, jetzt also versucht Hamprecht, den Goethe weiterzutreiben und seine Inkonsequenz, die er auch nachweist, deutlich zu machen, „und die Natur uns vor das Auge führt, das Rot der auf- und untergehenden Sonne und das Blau des Himmels. Das Rot etwa der untergehenden Sonne wird gerade von jenem Licht bewirkt, welches sich gegen die Finsternis, die atmosphärischen Trübungen hat durchsetzen können und trotz aller Hindernisse zu uns gelangte. Es ist ein Trotzdem-Licht. Die rote Farbe ist angemessen. Ein Übermaß an Finsternis wird vom Licht beherrscht. Nimmt die Finsternis ab, während das Licht die Herrschaft behält, also sich durchsetzt, und zum Betrachter vordringt, so erscheint Orange und schließlich Gelb. Auch das Himmelsblau ist angemessen. Ohne die Luft, die hier die Rolle der Finsternis zu übernehmen hat, wäre der Himmel schwarz. In diesem Sinne haben wir das Himmelsblau der Aktivität der Finsternis zu verdanken,“ die dunkle .., die Dunkelheit als ein aktives Prinzip. In gewisser Weise ja auch die Materie, also ein dunkles, aktives Prinzip, das im Zusammenspiel mit dem dunklen, aktiven Prinzip Licht die farbige Welt hervorbringt. „Hier hat sie sich durchgesetzt. Denn was vom blauen Himmel herab scheint, liegt nicht mehr in der Ausstrahlungsrichtung des Sonnenlichts. Die Finsternis gibt den Ton, das heißt die Richtung an, aber nicht wie beim Rot haben wir es mit einer aggressiven Gebärde zu tun. Das Licht wird gleichsam von der Luft hereingeholt und aufgenommen, ganz der Gebärde der Finsternis und der blauen Farbe entsprechend. Die Finsternis beherrscht das Licht, aber ihre Herrschaft gründet nicht auf Kampf, sondern auf Umarmung. Die Natur verstellt sich also nicht, sie sieht so aus, wie sie wirklich ist.“

Und jetzt kommt der entscheidende Punkt, den Hamprecht aus der Farbenlehre ableitet, der bei Goethe nur implizit drin ist, nicht konsequent durchgehalten wird. „Die Farben treten in der Seele mit denselben Eigenschaften auf wie draußen in der äußeren Natur.“, das ist ein ganz weitreichender Satz: „Die Farben treten in der Seele mit denselben Eigenschaften auf wie draußen in der äußeren Natur.“ Das heißt, das, was Goethe die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben nennt, etwa das Weitende oder Saugende des Blaus, beispielsweise, hat tatsächlich etwas zu tun mit den Naturphänomenen. Da liegt der Punkt, also hier ist die Verbindung zwischen der menschlichen Subjektivität, seiner Wahrnehmung dieser Qualitäten der Farbe und der Natur da draußen.

Das ist weitgehend, denn wenn man das nicht einbezieht, kann man ja sagen, ich habe das ja auch verschiedentlich angedeutet, was soll man da eigentlich ernsthaft gegen einwenden? Wenn Goethe das phänomenologisch so sieht, dann muss das ja nicht in irgendeiner Form irgendwelchen Grundüberlegungen über Licht und Farben vonseiten der Physik widersprechen. Aber hier liegt ja der entscheidende Punkt, die entscheidende Erweiterung. Unsere sinnlich-sittliche, die sinnlich-sittliche Wahrnehmung der Farben, wie sie Goethe beschreibt, hat auch etwas zu tun mit den Farben da draußen. Das ist sehr weitgehend, wirft natürlich eine Fülle von Fragen auf: Ist das überhaupt haltbar? Ist das nicht kulturgeschichtlich ganz bedingt? Gibt es da nicht viele relativierende Einschrän-kungen?

Auf jeden Fall, da müsste man, könnte man und hat man zum Teil auch, müsste man weiter forschen, hat man zum Teil auch weiter geforscht. Dann heißt es bei Hamprecht, wichtig für ihn als Physiker, der ja eben keinen Grundwiderspruch sieht, denn was da von physikalischer Sicht [aus] zu sagen ist, das kennt er nun wahrlich. „Was über Lichtstreuung und -absorption auf molekularer Ebene zu sagen wäre, sollte unter diese Perspektive gerückt werden und nicht umgekehrt.“, wichtig. Also das, was man in der analytisch-reduktionistischen Physik tatsächlich sagen kann, da würde man ja eben die Frage, warum ist der Himmel blau, genau in diesem Sinne beantworten: als ein Phänomen der Licht-streuung, der Lichtabsorption durch die Moleküle des Mediums Luft. Also dies, was man da sagen kann, sollte unter diese Perspektive gerückt werden. Damit ist also eine gewisse Hierarchie dargestellt, das heißt die größere, die weitere, die tiefere, in diesem Sinne wirklichere Perspektive sei die andere, die also die qualitas der Farben mit einbezieht und eine untergeordnete, eben die reduktionistische, die aber in Grenzen ihren Wert hier durchaus behält, bzw. ihr Wert wird als solcher nicht geleugnet. Übrigens gegen Goethe gesagt, nicht, Goethe hätte das ja niemals akzeptiert, diesen Punkt.

„Es würde ja auch niemandem einfallen“, letzte Bemerkung noch von Hamprecht, „den Sinn einer Wanderung etwa aus der Physiologie der Beinmuskeln ableiten zu wollen. Aber wie im Einzelnen die Beine dem Wandern und Moleküle der Manifestation von Farbqualitäten dienen können, wäre schon eine interessante weiterführende Frage, die allerdings den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen müsste.“, und so weiter. Also, eine sehr schöne Arbeit mit vielen anderen Aspekten noch, die ich jetzt hier nicht genannt habe. Nur, da liegt der entscheidende Punkt. Ich glaube, dass da noch sehr viel zu forschen ist. Ich sehe da auch die einzige Möglichkeit, über die Farben tatsächlich zu einem anderen Verständnis dann zu kommen. Nur so geht es.

Wir haben gerade sieben. Ich denke, ich mache eine kleine Pause mal und kann dann die Brücke schlagen zur Elementenlehre. (… ) Ich will nur kurz darauf hinweisen, dass hier am Montag, den 28. Juni in dem Raum hier eine Vorlesung stattfinden wird.

…Gastvortrag in der Reihe von Johannes Heinrichs von Iring Fetscher: Marx nach dem Ende des Marxismus, Marxismus und Ökologie, 28. Juni, 18 Uhr. Hier. Da liegt hier vorne noch eine Werbung aus für eine taoistische Praxis.


Und ich will überhaupt im nächsten Semester, ich bin dabei, das nächste Semester schon mal im Grundsätzlichen zu konzipieren, auch auf Fragen eingehen, die hier nur am Rande eine Rolle gespielt haben. Auch noch mal was die Bewegung angeht, das Wesen der Bewegung, was Strömungen und Wirbel und Ähnliches angeht. Ich bin vor kurzem erst auf ein faszinierendes Buch gestoßen, was auch zu der Elementelehre gehört, habe ich erst zum Drittel gelesen, von einem Engländer, Callum Coats, mit dem Titel „Natur-Energien – Verstehen und Nutzen. Viktor Schaubergers geniale Entdeckungen“. Ein englischer Architekt, der mittlerweile über zwei Jahrzehnte sich mit den faszinierenden Forschungen von Viktor Schauberger beschäftigt hat und darüber ein wirklich sehr spannendes Buch geschrieben hat. Ich bin erst dabei, es zu lesen, hat mir aber wieder die Anregung gegeben, dass ich das Thema im Wintersemester aufgreife. Ich weiß noch nicht, wie ich das nennen werde, aber das ist wichtig, über die Bewegung überhaupt noch mal zu sprechen, weil das auch in meinem neuen Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“, das im August oder September erscheint, eine wichtige Rolle spielt. Also Wasser, Wirbel, Strömungen überhaupt. Was ist Bewegung? Wie kann man Bewegung denken? Bewegung der Gestirne, Bewegung von Lebewesen, Bewegung im Wasser und so weiter.

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Das Phänomen der Farben – Goethes Farbenlehre vs. Newton’sche Optik

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 20

Transkript als PDF:


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Ich will heute sprechen über einen der faszinierendsten und interessantesten und auch für unsere heutige Situation aufschlussreichsten Konflikte der Geistesgeschichte, auch der Geschichte der Naturwissenschaft, nämlich den Konflikt zwischen Goethe, jetzt nicht als Dichter, sondern Goethe als Naturforscher, der er auch war, als Naturphilosoph ‒ und Newton. Genauer gesagt geht es um den Gegensatz zwischen der Goetheschen Farbenlehre, seinem Versuch, die Farben und das Licht auf eine ganz andere Weise als Newton zu bestimmen und fruchtbar zu machen für ein grundsätzlich anderes Naturverständnis und eben der Newtonschen Optik. Der Streit ist berühmt. Es gibt eine riesige Fülle von Literatur zu diesem Streit. Goethe und Newton, nur ganz kurz geschichtlich, waren keine Zeitgenossen, Newton ist 1727 gestorben, Goethe erst 1749 geboren, also anders als bei Leibniz und Newton, wo es ja um Zeitgenossen ging, handelt es sich hier um einen Streit, den Goethe gegen Newton und die Newtoninaer quasi posthum führt.

Man muss wissen, dass, als Goethe den Streit anfing, in das Thema einstieg, das kann man genau sagen, wann das war, das war 1790, hatte das Ansehen, das Renommee Newtons ein kaum unüberbietbares Maß erreicht. Newton war die von kaum Jemandem noch ernsthaft angefochtene Autorität in Sachen Naturwissenschaft. Er war ein Halbgott in gewisser Weise der Physik, und es hat kaum einen mehr gekümmert oder beunruhigt, dass viele seiner Impulse, die er im späten 17. Jahrhundert gesetzt hatte, bereits im Laufe der Jahrzehnte verändert worden waren. Diese Physik, die dann als Newtonsche Physik bekannt wurde, ist gar nicht die Physik des eigentlichen Newton, sondern eine vielfältig abgewandelte Physik. Ich habe da im Wintersemester ja in einer Stunde auch darüber gesprochen, aber es soll jetzt um die Farben gehen, es geht um das Licht und die Farben.

Also der Ausgangspunkt ist sehr einfach zu nennen. Goethe hatte sich ein Prisma ausgeliehen und musste es zurückgeben und hat im letzten Moment, wie das häufig so ist, auch mit Büchern, die man ausgeliehen hat, im letzten Moment guckt man noch mal rein, ist ja doch interessant, also Goethe hat dann, kurz bevor er das zurückgab, mal eben da durchgeguckt. Er hatte gelesen, gehört, dass, wenn man durch ein Prisma guckt, dann zeigt sich das bekannte Regenbogen-Spektrum, und er machte das, hielt das Prisma gegen eine helle Wand und sah nichts. Er sah weiterhin die weiße Wand und stellte dann nach einiger Zeit der Bewegung des Prisma fest, dass Farben nur an den Rändern entstehen und keineswegs generell. Das hat ihn irritiert und war für ihn eine Art Initialzündung und seitdem datiert sein Verdacht, Newton irrt. Irgendetwas an dieser Newtonschen Lehre, die er bis dahin kaum beachtet hatte, stimmt nicht.

Ich gehe gleich nochmal darauf ein, was Newton zentral überhaupt behauptet hatte, weil das in der Literatur über dieses Thema fast unkenntlich geworden ist. Denn es wird in vielen Darstellungen dieses Thema ungefähr folgendermaßen präsentiert, mal ganz verkürzt: Da ist der exakte Naturwissenschaftler und Mathematiker, der in seiner Optik gezeigt hat, etwa, wie Licht gebrochen wird, die Brechungsgesetze, Brechungswinkel errechnet. Er hat bestimmte Hypothesen aufgestellt, die tausend, hunderttausendfach, millionenfach verifiziert werden konnten, nicht, das berühmte Experiment, man verdunkele den Raum, lasse Licht durch eine kleine Öffnung, gebe dahinter ein Prisma, in einiger Entfernung dann ein Schirm, und dann wird man das berühmte Gespenst, wie es dann Goethe nannte, dort sehen können, nicht. Und es ging also um die Frage Licht und Farben. Goethe war primär …, ach so, ich will das noch vorher sagen, wie das meistens dargestellt wird. Also diese exakte Naturwissenschaftler, unzählige Male verifiziert, auf der einen Seite. Und der Dichter, der Augen- und Sinnen-Mensch, der einfach nicht einsehen will, dass man die Natur auch auf diese analytisch-experimentelle Weise betrachten kann.

Im 19. Jahrhundert war es gang und gäbe in der herkömmlichen Naturwissenschaft, Goethe zu verspotten. Berühmt eine Aussage des Rektors dieser Universität du Bois-Reymond, 50 Jahre nach Goethes Tod, der meinte, Goethe sei ein bedeutender Mann und großer Dichter, gar keine Frage, aber was die Farbenlehre betrifft, so habe er sich auf eine geradezu peinliche Weise verrannt. Die Farbenlehre sei ein tot geborenes Kind, ein schlichter Irrtum. Goethe sei einem schlichten physikalischen Irrtum aufgesessen. Schon mal vorab ganz plakativ gesagt.

Goethe hatte ja die Behauptung aufgestellt, das Licht, das Regenbogen-Spektrum ist nicht in dem weißen, strahlenden Tageslicht enthalten, sondern das Regenbogen-Spektrum, Farbe überhaupt entsteht erst im Wechselspiel zweier Entitäten, zweier Wesenheiten im Sinne Goethes, nämlich Licht und Finsternis. Also Farbe entsteht im Wechselspiel, in der Wechselwirkung zweier elementarer, urtümlicher, urphänomenaler Entitäten, nämlich Licht und Finsternis.

Nun hat man häufig dann auch gesagt, na ja, Goethe ist eben als Augen-Mensch von den Phänomenen ausgegangen. Jeder weiß, wer den Abendhimmel betrachtet, der kann feststellen, dass das Blau, wenn es sich abdunkelt, zunehmend in ein sehr dunkles Blau-Violett übergeht und an einer bestimmten Grenze dann ins quasi Schwarze hinein geht. Man kann diese Grenze nicht genau angeben. Irgendwann ist das dunkle Violett zum Schwarz geworden. Nicht, wie man umgekehrt sagen kann, also dass Gelb, wie das Goethe auch gesagt hat, dem Licht, dem Weißen, am nächsten steht. Also phänomenologisch relativ einfach. Goethe meinte einfach Gelb steht dem Licht näher, blau und violett stehen der Finsternis näher, die anderen nehmen eine mittlere Position ein.

Wenn das so wäre, wenn das diese einfache Gegenüberstellung wäre, wäre das Thema einfach ein großes Missverständnis von Goethes Seite. Das ist auch verschiedentlich so gesagt worden. Man könnte ja sagen, Goethe hat einfach einen vollkommen anderen Ansatz gehabt, der muss dem Newtons überhaupt nicht widersprechen. Man kann die Dinge so betrachten, wie das Newton getan hat, wie ich das kurz skizziert habe, und man kann die Dinge so betrachten, wie es Goethe getan hat, einfach von den Phänomenen aus. Das muss sich gar nicht widersprechen.

Nun ist aber Goethe, und das ist ja beunruhigend und ja auch wichtig, im Goethe-Jahr noch einmal zu erwähnen, an keiner anderen Stelle in seiner langen und großartigen Biographie so vehement, leidenschaftlich, polemisch, ja böse geworden. [Er bezeichnete] Newton als Schwätzer, als Scharlatan. Also er hat eine ganze Kaskade von abwertenden Formulierungen verwendet, was ganz untypisch ist für Goethe, weil er sich normalerweise in solche scharfen Auseinandersetzungen gar nicht einmischte und die versuchte zu mildern. In dem Punkt wollte er nichts mildern. Er wollte bewusst Dinge ganz scharf herausmeißeln. Er sah sich als Jemand der, der Einzige, ja der Erste überhaupt, der verstanden hat, was Farben sind, eben Phänomene der Natur, die im Wechselspiel von Licht und Finsternis entstehen, wohlbemerkt im Sinne einer Polarität von Licht und Finsternis, dass Licht und Finsternis eigene Entitäten sind. Das ist wichtig. Goethe war durch und durch Licht-Metaphysiker.

Es gibt viele Ausdrucksformen der Licht-Metaphysik. Eine davon hat Goethe favorisiert, er hat immer wieder betont das Licht ist quasi das Göttliche. Er hat das nicht unbedingt gleichgesetzt, obwohl es bei ihm auch Formulierungen gibt, aus denen man schließen kann, dass er mehr oder weniger sagt, das Licht, das wir wahrnehmen, ist in gewisser Weise auch das metaphysische, das göttliche Licht. Sie kennen ja vielleicht die Quelle dieser Überlegungen, das geht ja bis auf Echnaton zurück, findet sich dann im Neuplatonismus bei Plotin, Ammonius Saccas und anderen. Also die Vorstellung, dass das Licht letztlich, dass hinter dem physisch-sinnlichen Licht quasi ein anderes, ein metaphysisches, ein göttliches Licht steht, sozusagen das physisch-sinnliche Licht als eine abgeleitete, sekundäre Form der primodialen Form des ewigen göttlichen Lichtes. Und Goethe argwöhnte, dass Newton dieses reine, quasi sakrale, quasi göttliche Licht zerspaltet. Nur mal ein Beispiel für seine rüde Polemik, auch in vielen seiner Gedichten, die übrigens eigenartigerweise dann sprachlich-poetisch zu den eher schwächeren Gedichten gehören.

Vielleicht können Sie noch ein bisschen einrücken, dass Sie dann auch alle sitzen können.

Zum Beispiel, ein Gedicht gegen die Newtonianer: „Absurder Pfaffe! Wärst du nicht / in Unnatur verschlämmet?“ Das hat er erfunden, das Wort, alles Schlamm bei dir geworden, verschlammt. Du bist also …, der Pfaffe, ist der Naturwissenschaftler, der Physiker. „[Du] Absurder Pfaffe! Wärst du nicht / in Unnatur verschlämmet, / wer hätte dir eigenes Augenlicht / Vom Ur-Licht abgedämmet? / Du Esel! willst zur Demut mich / Demütigsten ermahnen, / Höre doch den Narrenstolz und dich / und Pfäfferei iah-nen!“, also wie ein Esel I-A machen. ‒

Wenn man die Polemik Goethes sich anschaut, dann kommt man immer wieder auf diese Stelle, dass Goethe theologische Begriffe benutzt, um gegen Newton vorzugehen. Ein sehr schönes Buch zu diesem Thema stammt von dem Germanisten und einem, wohl einem der besten Goethe-Kenner und -Forscher, Albrecht Schöne mit dem Titel „Goethes Farben-Theologie“. Die Grundthese dieses Buches, was ich sehr empfehlen kann, kleines Buch eigentlich, der eigentliche Text ist kaum mehr als 200 Seiten, dann kommen Quellen und Zitate, die Grundthese dieses Buches besteht darin zu sagen, diese Auseinandersetzung von Goethe und Newton war im Grunde eine theologische. Das ist insofern auch interessant, weil, wie vielleicht sich diejenigen sich erinnern, die im Winter dabei waren, als ich über Newton sprach, Newton immer der Auffassung war, Naturwissenschaft ist Gottesdienst, quasi Gottsuche, Dienst an der Erkenntnis um der Gottes-Suche willen. Newton war nie der Auffassung, dass man naturwissenschaftliche Theorien quasi heuristisch, vorläufig aufstellt, ohne die Frage nach Gott zu stellen. Nicht, die Frage der Gravitation zum Beispiel, die ihn jahrzehntelang beschäftigt hatte, ich habe darüber ja ausführlich gesprochen, hatte er dann dahingehend irgendwann beantwortet, für sich beantwortet, die Gravitation ist Gott. Letztlich manifestiert sich in der allgegenwärtigen Schwere der Wille Gottes oder das, was er von den antiken Philosophen [den Begriff übernehmend] als „Pneuma“ bezeichnet hatte. Das war quasi dann seine letzte, wenn man so will, theologische Lösung des Themas. Insofern ist es berechtigt, wenn man von einem auch theologischen Konflikt spricht.

Ich meine, Schöne, das muss man dazu sagen, wendet sich gegen Verflachung in dieser Auseinandersetzung, die es ja in jeder Weise gibt, auch übrigens bei Autoren, die sich eigentlich wohlwollend mit dem Thema beschäftigen, gibt es die Verflachung, die ungefähr folgendermaßen lautet, ob das Steiner ist oder Heisenberg und viele andere, in einem Punkt sind sich alle gleich. Sie sagen nämlich: Goethe redet von vollkommen anderen Dingen als Newton. Das heißt, wo die Physik endet, beginnt Goethe. Das hat Goethe nie so gesehen. Also wenn man, was ich in den letzten Tagen auch noch mal gemacht habe, die Farbenlehre studiert, dann stellt man immer wieder fest, das hätte Goethe nie akzeptiert. Goethe war wirklich der Auffassung, dass er physikalisch eine Lösung gefunden hatte für das Rätsel der Farben, und zwar durchaus im Sinne eines konkurrierenden Anspruchs gegen Newton. Er hätte das niemals akzeptiert, wenn man gesagt hätte, gut, du siehst die Dinge phänomenologisch, du siehst die Dinge so, wie die Phänomene erscheinen, du siehst sie quasi theologisch, von mir aus auch dichterisch, und Newton sieht sie physikalisch. Er sah seine Natur-Forschung als Physik, als Naturwissenschaft. Das ist wichtig.

Diese Fragen sind zentral wichtig, wenn ich das sagen darf, ich habe vor vielen Jahren, Mitte der 70er Jahre, kurz vor seinem Tode, mit Werner Heisenberg über diese Fragen gesprochen, der ja einer der derjenigen war, die diese Frage überhaupt wieder aktualisiert haben, von den eher traditionellen Naturwissenschaftlern. Er hat sich immer über Jahrzehnte hinweg brennend für Goethe interessiert, was viele gar nicht wissen, hat mehrere interessante Aufsätze zu Goethe geschrieben und hat immer betont, dass die Goethesche Naturbetrachtung für eine erweiterte, eine neue, eine andere, heute würden wir sagen: ganzheitliche, Naturwissenschaft, unverzichtbar ist, dass wir den Goethe brauchen.

Nicht dagegen hat er natürlich akzeptiert, den enormen Anspruch, den Goethe erhob. Und das muss man nochmal ganz scharf herausstellen. Goethe war wirklich der Auffassung, er hat ein Stück Wahrheit erschlossen, ihm ging es um Wahrheit. Und Goethe war, was diesen Punkt betraf, fern jeglicher Ironie und bar jeden Humors. Goethe hat überhaupt keinen Spaß verstanden, was diesen Punkt betrifft. Das kann man an einem Beispiel sehen, unter anderem an einem Beispiel sehen, das Eckermann berichtet. Eckermann wagt es einmal, der Adlatus und Mitschreiber der Gespräche, Eckermann wagt es an einer Stelle einmal, Goethe auf einen Fehler hinzuweisen. Später sah Goethe auch ein, dass war wirklich ein Fehler. Goethe ist außer sich, verbannt quasi Eckermann für eine Weile, er darf sich ein paar Tage nicht blicken lassen und beschimpft ihn als Ketzer und, typisches Argument, das in dem Zusammenhang immer kommt: Er hat nichts verstanden. Das ist das Grundmuster aller Diskurse, sage ich mal in dem Zusammenhang, er hat nichts verstanden. Später hat er dann kleinmütig, reuig eingeräumt, dass Eckermann tatsächlich Recht gehabt hat. Ich weiß nicht im Moment genau den Punkt, um den es da in diesem Falle ging. Auf jeden Fall, Goethe hat da keinen Humor gehabt. Das war für ihn eine Sache auf Leben und Tod, da er da keinen Spaß verstanden.

Und er selber hat sich ja, das muss man auch noch mal erwähnen, primär dann, seit den 90er Jahren im 18. Jahrhundert als Naturwissenschaftler verstanden, in zweiter Linie als Politiker und in dritter Linie überhaupt erst als Dichter. Er war Naturwissenschaftler, in seinem Verständnis, Politiker und dann in dritter Instanz Dichter. Er hat gesagt zu Eckermann, zum Beispiel: Auf das, was er als Dichter geleistet habe, bilde er sich überhaupt nichts ein. Es hat viele gute Autoren vor ihm gegeben, es gibt gute Dichter mit ihm, es wird auch nach ihm gute Dichter geben. Aber dass er in der Farbenlehre der Einzige überhaupt sei, der das Richtige, der das Wahre erkannt hätte, darauf bilde er sich dann doch etwas ein und habe ein Gefühl, so wörtlich, der Superiorität, der Überlegenheit seinen Zeitgenossen gegenüber.

Gut, das vorab. Ich will das jetzt mal in kurzer Form versuchen darzustellen, worum es eigentlich ging. Ich nehme mal eine kleine Passage aus der Newtonschen Optik, die schlaglichtartig das Problem beleuchtet. Das Zitat findet sich in einem recht interessanten, aufschlussreichen Buch mit dem Titel „Der Glanz von Kopenhagen – Geistige Perspektiven der modernen Physik“ von einem Physiker, Chemiker, Jos Verhulst, 1994 erschienen. Jos Verhulst vertritt die These, nur als Zentralthese dieses Buches jetzt mal herausgestellt, dass die Quantenphysik im Grunde genommen im Geiste Goethes geforscht hätte. Und er bringt auch den Zusammenhang Heisenberg − Goethe, Heisenberg als Goetheaner. Eine ziemlich weitgehende, kühne, man kann auch sagen, weit hergeholte These, aber es ist ein Stück Wahrheit da dran. Also, er zitiert hier eine Passage, eine Schlüsselpassage aus der Newtonschen Optik. Ich lese mal diese kurze Passage vor. Newton schreibt: „Das Licht der Sonne besteht aus Strahlen, die sich durch bestimmte Grade der Brechbarkeit unter-scheiden. Strahlen, die sich in der Brechbarkeit unterscheiden, unterscheiden sich, wenn sie getrennt werden, auch verhältnisgleich in den Farben, die sie zeigen. Diese beiden Aussagen sind Tatsachen.“ Nicht, er hatte diese berühmten, ja auch schon angedeuteten Versuche gemacht und festgestellt, Violett wird stärker gebrochen. Das ist einfach so, ist eine empirische .., ein empirisches Faktum, und [er] hatte daraus geschlossen, das, was da aufgefächert wird an Farben, im Grunde genommen in dem weißen Licht, in dem Tageslicht, enthalten ist.

Nun muss man dazu sagen, wie kommt Newton dazu, zu sagen, diese Beobachtungen sind Tatsachen, denn es sind ja blanke Spekulationen, Hypothesen. Denn Newton vermengt an der Stelle, wie sehr häufig bei naturwissenschaftlichen Argumentationen, das Faktum mit einer bestimmten Theorie und einer bestimmten Hypothese über das Faktum. Denn was hat er wirklich beobachtet? Er hat ja wirklich nur beobachtet, dass in einer bestimmten experimentellen Situation, eben bei einem Punkt, quasi punktförmig, bei einer quasi punktförmigen Öffnung, wenn man ein Prisma dazwischen legt, dann auf einem Schirm das Spektrum erscheint. Daraus hatte er geschlossen, Atomist, der er war, dass Licht, letztlich eine Art Teilchen, ein permanenter Hagel, ein Geschoss, ein Feuer von winzigsten kleinen Geschossen darstellt. Newton war Atomist, er glaubte, das Licht besteht aus winzigsten Korpuskeln, die quasi von der Sonne ständig abgefeuert werden. Es gab schon andere Theorien zu seiner Zeit, die Vorstellung, dass Licht eine transversale Wellenerscheinung ist, die hat er ganz scharf abgelehnt, gegeißelt als vollkommen unmöglich, unter anderem deswegen, weil man so, so meinte er, die geradlinige Ausbreitung des Lichtes gar nicht erklären kann. Das ist übrigens wirklich schwierig, zunächst einmal, wenn man sich damit nicht näher beschäftigt, zu erklären, wie aus einer transversalen Wellenschwingung überhaupt die Geradlinigkeit des Lichtes hervorgeht. Also er glaubte, das geht nicht. Er hielt es für physikalisch unmöglich. Er glaubte also, Licht ist ein Teilchenschauer. Permanent werden also von der Sonne winzigste Teilchen ausgestoßen. Und diese Teilchen haben verschiedene Brechungsindizes, eben Violett den stärksten Brechungsindex und Rot den am wenigsten starken.

Nun glaubte er, wenn wir die Farben auf diese Weise wahrnehmen, dann können wir eine Korrelation herstellen zwischen dem Brechungswinkel und der jeweiligen Farbe. Er hat also mit einer gewissen, sagen wir mal, Naivität etwas durcheinander gebracht an der Stelle. Das muss man ganz nüchtern sagen, auch wenn man Goethes Überzeugung gar nicht teilt. Newton hat hier nicht unterschieden, nicht streng unterschieden, zwischen der sinnlichen Qualität einer Farbe und dem in seinem Verständnis quasi materiellen Korrelat. Verstehen sie, das ist ja ein großer Unterschied. Also wenn man sagt: Was ist Farbe? Könnte man sagen, na gut, Farbe ist halt eine Wellenerscheinung, nicht, vier tausendstel Millimeter als Violett zum Beispiel oder sechs tausendstel Millimeter als rot. Das ist überhaupt keine Aussage. Es ist nur eine Aussage über das Korrelat, über das, was offenbar mit der Farbempfindung im menschlichen Auge zusammengeht. Das ist ja nicht die Farbe selbst. Das muss man erst mal unterscheiden, das hat Newton nicht unterschieden. Punkt eins. Das ist ein typischer Fehler, wenn man das so will, dessen, was dann später im 20. Jahrhunderts als Repräsentations-Paradigma auch kritisiert wurde. Nicht, der Physiker, überhaupt der Naturwissenschaftler, sieht sich als das quasi allwissende Subjekt und reflektiert gar nicht darüber, welche Bedingungen in seiner eigenen Subjektivität überhaupt die Wahrnehmung bestimmen. Denn wenn ich das so sage, von vier bis sechs, sieben tausendstel Millimeter, dann habe ich nur etwas gesagt, um es noch einmal zu betonen, über das Korrelat, nicht über die Farben selber. Denn innerhalb dieser Bandbreite ist ja ein Auge denkbar, das 70 oder 80 oder 100 Farben sieht, oder überhaupt nur eine Farbe oder drei oder vier oder fünf.

Allein die Anzahl der Regenbogenfarben ist ja so, wie man das kulturgeschichtlich interessant zeigen kann, gar nicht festgelegt. In Asien hat man über lange Jahre hinweg primär von fünf Farben gesprochen, nicht. Und Goethe übrigens spricht interessanterweise von sechs Farben. Newton spricht von sieben Farben. Es gibt andere Kulturen, die sprechen von drei Regenbogenfarben. Also, das ist schon erstmal ein grundsätzlicher Unterschied. Man muss unterscheiden zwischen der qualitas, die die Farbe bedeutet und dem, was die Farbe offenbar erst einmal auf der Ebene begleitet. Das hat Newton nicht getan.

Dann ist natürlich der nächste Punkt. Das Licht besteht aus Strahlen, die sich durch bestimmte Grade der Brechbarkeit unterscheiden. Er ging dann soweit zu sagen, ja, das weiße Licht enthält die farbigen Lichter. Goethe sagt: Warum? Warum soll das weiße Licht die farbigen Lichter enthalten? Da wird eine Auffächerung gemacht, und jetzt entstehen die Farben. Aber wo entstehen sie? Und da setzt er an. Er versucht zu zeigen, dass da ein zweiter [Vorgang], eine zweite Entität hinzukommen muss, nämlich die Finsternis.

Man muss vielleicht einen Moment in Erinnerung rufen, dass man Licht nicht sehen kann. Ich habe auch schon Physiker gesprochen, die, wenn sie das zum ersten Mal hören, denken, sie hören nicht richtig und dann anfangen, irgendwie unsinnig zu polemisieren und sagen, das kann nicht sein. Es ist aber tatsächlich so. Licht selber ist nicht sichtbar. Sie können das sich beliebig und ganz einfach mal verdeutlichen. Wenn sie hier eine sehr starke Lichtquelle haben und hier einen Schirm, der von hier nach dort geht, gleißend helles Licht, die ganze Scheibe, der Schirm ist gleißend hell. Sie haben aber eine Blickachse, die von hier geht [im rechten Winkel dazu], da sehen sie nichts, gar nichts, absolut nichts. Wenn sie also hier sozusagen das ausschalten, sie sehen nichts. [Betrifft also den Blick 90 Grad von der Seite auf den Weg des Lichtes] Und viele andere Überlegungen dieser Art kann man anstellen. Das ist nicht ernsthaft zu bezweifeln.

Es ist nur für den ersten Moment ein bisschen irritierend, weil man zunächst denkt, na ja, Licht ist das, was man sieht. Das ist nicht richtig. Man sieht Licht nicht. Was sie [sehen], wenn sie Lichtstrahlen sehen oder zu sehen glauben, dann sind das meistens das kleinste materielle Teilchen, etwa Staubteilchen, die reflektiert werden, die ihnen als Lichtstrahl erscheinen. Aber das Licht, den Lichtstrahl selber sehen sie nicht. Und das ist ein wesentlicher Punkt, den Goethe immer wieder betont in seiner Farbenlehre, dass ein Lichtstrahl eine Fiktion ist. Er sagt es wörtlich, an mehreren Stellen in der Farbenlehre.

Er bedient sich auch dieser Fiktion. Wenn Sie die Farbenlehre lesen, werden Sie feststellen, auch Goethe bedient sich der Fiktion der Lichtstrahlen, betont aber ausdrücklich, diese Strahlen gibt es eigentlich nicht. Sie sind nur ein Bild und ein Hilfsmittel. Ich gebe ihnen mal eine Stelle aus der Farbenlehre, wo das ganz schön deutlich wird, wo er auch ausdrücklich warnt davor, dass man diese Bilder, derer auch er sich bedient, für Wirklichkeit hält. „Ein freies physisches Phänomen, das nach allen Seiten wirkt, Licht, ist nicht in Linien zu fassen und im Durchschnitt anzudeuten. Niemand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren zu erläutern, bei den physischen Nahverwandten ist es jedoch herge-bracht, weil sich eins und das andere dadurch leisten lässt. Aber sehr oft stellen diese Figuren nur Begriffe dar. Es sind symbolische Hilfsmittel, hieroglyphische Überlieferungs-weisen, welche sich nach und nach an die Stelle des Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und die wahre Erkenntnis hindern, anstatt sie zu befördern.“

Also wenn jetzt so getan wird, das sagt Goethe an mehreren Stellen der Farbenlehre, als ob diesem Bild eine objektiv existierende Wirklichkeit entspricht, dann geht man heillos in die Irre, wie er sowieso meinte, dass die Art der Versuchsanordnung, wie sie Newton vorstellt, im Grunde genommen künstlich ist. Nun ist da ein wesentlicher Unterschied. Die Naturwissenschaft der Neuzeit hätte das Verdikt des Künstlichen in diesem Sinne nie akzeptiert. Es ging ja immer um die Frage bei Newton zentral, bei Galilei und anderen, im Grunde bis heute, geht es immer um die Frage einer Wirklichkeit jenseits der Sinnen-wirklichkeit, die diese immer unzulängliche, vielfältig vermischte Wirklichkeit der Erscheinungswelt überschreitet. Man hat verschiedentlich gesagt, Goethe wollte die Phänomene, die Erscheinung, die bunte Vielfalt der Phänomene retten vor der Abstraktion der Physiker. Da ist eine Teilwahrheit dran. Bis zu einem gewissen Grade kann man das sagen.

Also die Physiker, wenn man das so nennen will, favorisierten seit Galilei eine Art transzendenten Realismus. Das eigentlich Reale, siehe Galilei, sind die mathematischen Formen, ganz platonisch gedacht, und die physisch-sinnliche Welt ist nur eine Annäherung daran und Farben, auch das ist ja bei Galilei und anderen dann, sind Phänomene rein subjektiv-physiologischer Art. Farben an sich, wird gesagt, existieren gar nicht. Auch dagegen hat Goethe scharf polemisiert. Er meint, Farben seien eine eigene Seinsqualität der Natur, also nicht einfach eine rein psychologisch-physiologisch zu erklärende Tatsache. Dann sagt Newton, Strahlen, die sich in der Brechbarkeit unterscheiden, unter-scheiden sich, wenn sie getrennt werden, auch verhältnisgleich in den Farben, die sie zeigen. Denken sie an das, was ich über die Korrelate gesagt habe. Also, nun könnte man sagen, das ist eher eine erkenntnistheoretische Kritik, die hier vorgenommen wird von Seiten Goethes, die bis zu einem gewissen Grade ja auch leicht verständlich ist. Nicht, man könnte mal sagen, nur Newton macht den Fehler, dass er einfach seine experimentelle Anordnung absolut setzt und gar nicht mehr hinterfragt, wie man heute sagen würde. Ich habe gerade hier noch ein schönes Zitat über diese Fiktion, auch der des Lichtstrahls bei Goethe, das zitiert ja der [Autor] Verhulst. „Man hüte sich aber, diese Fiktion wieder zum Phänomen zu machen und mit solchen fingierten Phänomenen weiterfort zu operieren.“ Und: „Zur Bequemlichkeit gewisser Lineardarstellungen nehme man das Sonnenlicht als parallel einfallend an, aber man wisse, dass dieses nur eine Fiktion ist, welche man sich gar wohl erlauben kann, da, wo der zwischen Fiktion und der wahren Erscheinung fallende Bruch unbedeutend ist.“

Nun es ist interessant, dass da Goethe in gewisser Weise sogar von der Quanten-physik her Recht hat. Es gibt nicht den quasi unendlich dünnen Lichtstrahl, es gibt nicht den rein monochromatischen Strahl, den rein einfarbigen Strahl, von dessen Existenz Newton absolut überzeugt war. Also in diesem Punkte hat sogar Goethe, das muss man ihm zugestehen, Recht gehabt. Er hat immer wieder betont, das geht nicht. Newton war der Auffassung, diese Lichtstrahlen sind quasi monochromatisch. Er hat es am Beispiel des Violett versucht zu zeigen. Schon Zeitgenossen hatten Einwände dagegen erhoben. Das geht gar nicht. Heute kann man bestimmte Beugungsphänomene niemals ausschalten. Insofern kann man keinen rein pur monochromatischen Lichtstrahl überhaupt herstellen.

Nun ins Zentrum jetzt der Grundauseinandersetzung. Also ich sage, es wäre zu schwach zu sagen, Goethe ist der Phänomenologe. Er ist der Augen- und Sinnen-Mensch und da ist der analytische Experimentator [Newton]. Auch Goethe war ein leidenschaft-licher Experimentator. Wer die Farbenlehre liest, der staunt, was Goethe sich für Experimente ausdenkt, um wirklich zu beweisen, dass er Recht hat. Er liebte Experimente. Er hatte überhaupt nichts gegen Experimente. Er hat nur immer wieder versucht zu sagen, dass ein grundsätzlicher Fehler darin besteht, dass man die Experimente vom Menschen ablöst, dass man sie rausnimmt aus der lebendigen Ganzheitlichkeit der Subjektivität von Menschen. Nicht, er meinte, dass der Mensch selber, in seinem In-der-Welt-Sein durch seine Sinnesorgane einen unmittelbaren Zugang zur Welt hat und dass er über Hilfsmittel, über technische Hilfsmittel nicht wirklich in das Innere der Natur gelangen kann, dass das zu einer Selbsttäuschung führt. Der Grundansatz von Goethe ist sicherlich auch ein phänomenologischer, aber es geht noch wesentlich weiter.

Ich will mal eine kurze Passage ihnen zeigen, die das verdeutlicht aus dem Vorwort zur „Farbenlehre“, wo Goethe das eigentlich auf eine sehr schöne Weise auf den Punkt bringt. Da heißt es hier, zunächst einmal wird gesagt, das kann ich paraphrasieren: Wer nach den Farben fragt, müsste auch nach dem Licht fragen. Goethe sagt, wir wissen nicht wirklich, was das Licht ist, aber wir können über die Beobachtung der Farben Rückschlüsse ziehen auf das Licht. Um das Licht ging es ihm in erster Instanz, auch das wird in den meisten Darstellungen zu dem Thema falsch dargestellt. Es geht Goethe in erster Linie um die Bewahrung der Reinheit, um die Absolutheit des einen unteilbaren Lichtes, erst sekun-där um die Farben. „Die Farben sind Taten des Lichtes, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genauesten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur zugehörig denken, denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will. Ebenso entdeckt sich die ganze Natur einem anderen Sinn. Man schließe das Auge, man öffne, man schärfe das Ohr, und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Geräusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrei bis zum sanftesten Worte der Vernunft, ist es nur die Natur, die spricht, ihr Dasein, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so dass ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann. So spricht die Natur hinabwärts zu anderen Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen. So spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot, noch stumm.“

Goethe liebte den Begriff der Totalität, Totalität, Ganzheitlichkeit. Er benutzt meistens das Adjektiv „ganz“. Die ganze Natur spricht sich in jedem ihrer Phänomene aus, eben auch in der Farbe. Die Farbe sei die ganze Natur im Hinblick auf den Sinn des Auges, im Hinblick auf den Sinn des Auges. Der Schlüsselbegriff für Goethes Verständnis als Naturphilosoph, das muss ich jetzt sagen, weil das für seine Farbenlehre zentral ist, ist der des Urphänomens. Goethe hat diesen Begriff, soweit ich weiß, erfunden. Mag sein, dass er ihn irgendwo gelesen hat und dann in seinem Sinne verwendet. Auf jeden Fall, er verwendet ihn ganz bewusst im Gegensatz zur platonischen Idee. Nicht eine Idee ist es, aus der die Phänomene abgeleitet werden, sondern es gibt quasi ein urtümliches Phänomen, aus dem sich alle anderen Phänomene ableiten lassen, eben primär und in erster Linie das Licht und dann die Finsternis. Auch hier mal eine Passage aus dem Mittelteil der „Farbenlehre“ über diese sogenannten Urphänome. Denn für Goethe ist wichtig, dass diese Urphänomene nicht weiter hinterfragt werden können, ja sollen. Sie sollen so stehen bleiben, sie sind nicht weiter analysierbar. In diesem Sinne hielt er es für einen fatalen Irrtum zu meinen, die farbigen Lichter seien in dem einen weißen, quasi göttlichen Licht enthalten. Er sah das als einen Frevel, quasi gegen das Göttliche.

Goethe: „Das, was wir in der Erfahrung gewahr werden, sind meistens nur Fälle, welche sich mit einiger Aufmerksamkeit unter allgemeine empirische Rubriken bringen lassen.“ Dem würde jeder Physiker sofort zustimmen. „Diese sub-ordinieren sich abermals unter wissenschaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobei uns gewisse unerlässliche Bedingungen des Erscheinenden näher bekannt werden. Von nun an fügt sich alles nach und nach unter höhere Regeln und Gesetze, die sich aber“, jetzt kommt der Punkt, „die sich aber nicht durch Worte und Hypothesen“ ‒ man muss immer sagen durch mathematische Hypothesen ‒ „dem Verstande, sondern gleichfalls durch Phänomene, dem Anschauen offenbaren.“

Er setzt also das Urphänomen an die Stelle der als mathematische Hypothese vorgestellten Naturgesetze, „die sie aber nicht durch Worte und Hypothesen dem Verstande, sondern gleichfalls durch Phänomene, dem Anschauen offenbaren. Wir nennen sie Urphänome, weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber dagegen völlig geeignet sind, dass man stufenweise, wie vorhin hinaufgestiegen, von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann. Ein solches Urphäno-men ist dasjenige, das wir bisher dargestellt haben. Wir sehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der anderen die Finsternis, das Dunkle. Wir bringen die Trübe zwischen beide, und aus diesen Gegensätzen, mithilfe gedachter Vermittlung, entwickeln sich gleichfalls in einem Gegensatz die Farben, deuten aber alsbald durch einen Wechselbezug unmittelbar auf ein Gemeinsames wieder zurück.“

Also das Urphänomen ist das Letzterreichbare für die Naturforschung nach Goethe. „In diesem Sinne halten wir den in der Naturforschung begangenen Fehler für sehr groß, dass man ein abgeleitetes Phänomen an die obere Stelle“ ‒ also diese farbigen Lichter das Gespenst in der Höhe, in der physikalischen Folterkammer, wie das Goethe öfters nannte ‒ „das Urphänomen an die niedere Stelle setzte, ja sogar das abgeleitete Phänomen wieder auf den Kopf stellte und an ihm das Zusammengesetzte für ein Einfaches, das Einfache für ein Zusammengesetztes gelten lässt, durch welches hinterzuvörderst die wunderlichsten Verwicklungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen sind, an welchen sie noch leidet.“

Noch ein Abschnitt: „Wäre dann aber auch ein solches Urphänomen gefunden“ und Goethe glaubte, er hätte diese gefunden „so bleibt immer noch das Übel, dass man es nicht als ein solches anerkennen will, dass wir hinter ihm und über ihm noch etwas weiteres aufsuchen, da wir doch hier die Grenze des Schauens eingestehen sollten.“ Ein Naturwissenschaftler wird natürlich sagen: Da wird eine Grenze errichtet, eine Barriere, die durch nichts gerechtfertigt ist. Hier wird sozusagen autoritativ gesagt: Hier dürfen wir nicht mehr forschen. Wir wollen aber weiter forschen. „Der Naturforscher lasse die Phänomene ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit dastehen, der Philosoph nehme sie in seine Region auf, und er wird finden, dass ihm nicht in einzelnen Fällen allgemeine Rubriken, Meinungen und Hypothesen, sondern im Grund und Urphänomen ein würdiger Stoff zu weiterer Behandlung und Bearbeitung überliefert werde.“ Das ist zentral für die Goethesche Argumentation. Es gibt Urphänomene, die nicht weiter hinterfragt werden können, ja dürfen. In seiner, ich sage bewusst „dürfen“, in seiner Eigenschaft als Politiker, das erwähnt hier Albrecht Schöne in seinem Buch halb ironisch spöttisch, es ist ganz interessant, hat er tatsächlich versucht, Studenten einmal zum Vorlesungsboykott der physikalischen Vorlesungen aufzurufen. Das wusste ich gar nicht, das habe ich erst dort festgestellt. „Wenn euch die Herren Physiker in den Hörsälen wieder einmal das lutherische Gespenst vorführen, steht auf und geht raus.“ Also, ganz klare Geschichte.

Ich weiß nicht, wie diese, Goethe war ja auch Staatsminister in Sachsen-Weimar bekanntlich, ich weiß nicht, ob diese Aufforderung von Jemandem je befolgt worden ist. Auf jeden Fall: Er wollte auch das politisch wirklich durchsetzen. Also geht raus, steht auf, wenn der wieder seinen alten Schwachsinn erzählt, verlasst den Hörsaal.

So, nun, also was spricht eigentlich dafür, dass die Goethesche Grundüberzeugung überhaupt eine nennenswerte Konkurrenz oder Gegenthese darstellen kann? Das ist gar nicht so einfach zu erläutern. Was ist es überhaupt, was den entscheidenden Punkt ausmacht? Wir hatten zunächst ja nur festgestellt: Hier ist ein analytisch-experimentelles, konstruktives Verfahren mit immer weiteren Schlussfolgerungen. Man kann leicht sehen, dass Newton bei all seinen Verdiensten sich in entscheidenden Punkten geirrt hat. Nicht, also seine sehr enge Zuordnung, der Brechungsindex zu den Farben überspringt erkennt-nistheoretische Grundfragen und so weiter. Auch der Atomismus Newtons ist vielfältig angreifbar. Aber was macht es nun eigentlich aus? Dann könnte man sagen: Gut, Goethe favorisiert die ganze Natur. Heute würde man sagen, würde man das „holistisch“ nennen, oder „ganzheitlich“, sind ja fast Mode-Begriffe geworden. Deswegen ziehe ich den Begriff „integral“ in dem Zusammenhang vor.

Goethe favorisiert in gewisser Weise eine integrale Betrachtungsweise. Zentral wichtig für Goethe ist, und das betont er unermüdlich, ist die Einbeziehung des Menschen. Der Mensch ist nach Goethe ein integraler Teil jeder nur möglichen Naturbetrachtung und kann nie aus der Naturbetrachtung eliminiert werden. Nicht, das auf ganz andere Weise, kennt man ja auch von anderen Naturforschern, beispielsweise von Wilhelm Reich, der das immer wieder betont hat, dass der einzelne Mensch in seiner Subjektivität, in seiner gesamten Konstitution, als Forscher, auch mit dazu beiträgt, was als Ergebnis heraus-kommt. Das ist ja das Dogma, kann man sagen, die Grundannahme der neuzeitlichen Physik überhaupt, dass es überhaupt keine Rolle spielt, wer es macht. Da genau an diesem entscheidenden Punkt setzt Goethe an: Dieses anonyme „man“, diese auch totale Austauschbarkeit ist nicht gewährleistet und damit in der Tat geht er an die Substanz der neuzeitlichen abstrakten Naturwissenschaft, wie das Heisenberg mit einigem Recht genannt hat.

Das muss man wissen, dass Naturwissenschaft der Neuzeit seit Galilei immer in diesem Sinne abstrakte Naturwissenschaft ist. Es geht immer um das quasi platonische Skelett der Erscheinung. Es geht nicht um die bunte Fülle der Erscheinungen. Das ist was ganz anderes. Kann man in seiner privaten, in seiner Freizeit betreiben, kann man die bunten Farben lieben und sich an den Blumen erfreuen oder einen Sonnenuntergang schön finden. Das ist etwas anderes.

Ein weiterer wichtiger Punkt bei Goethe, den er unermüdlich betont, der auch sehr interessant und aufschlussreich ist, dass alles Faktische, so wörtlich Goethe, schon Theorie ist, alles Faktische ist bereits Theorie. Wörtlich Goethe, und dann: „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen. Sie selbst sind die Lehre.“ Das ist ein entscheidender Punkt. Der ist auch erkenntnistheoretisch schwindelerregend. Die Phänomene sind bereits die Theorie. Das kommt in gewisser Weise schon zutage, wenn man das mit dem Urphänomen richtig durchdenkt. Nicht, wenn das stimmt, was Goethe meint, dass das Urphänomen oder die Urphänomene, in diesem Fall Licht und Finsternis, tatsächlich wirklich Urphänomen sind, dahinter ist nichts, was ich mehr erforschen ließe, dann müsste es so sein, dann sagt Goethe eben: Das Himmelsblau ist bereits die Theorie dieser Farbe blau.

Das gebe ich Ihnen mal quasi als kleine, wenn Sie das gestatten, als Denkaufgabe auch nebenbei fürs nächste Mal [mit]: Warum ist der Himmel blau? Warum ist der Himmel blau, und warum ist die Morgen- und Abendröte rot? Versuchen sie mal eine Antwort darauf zu finden, die in irgendeiner Form Plausibilität hat. Ich will Sie nicht daraufhin befragen. Das wäre irgendwie müßig und irgendwie auch dann nicht im Sinne unserer Veranstaltung hier. Aber nur mal, weil wir … und ich mach es einfach mal aus Zeitgründen und um Ihnen einen Anstoß zu geben: Denken Sie mal darüber nach: Warum gibt es Himmelsbläue? Nicht, Kinderfrage: Mama oder Papa ‒ warum ist es eigentlich blau da oben? Die meisten Erwachsenen, fast, fast alle, können es nicht beantworten, wissen nichts dazu zu sagen. Können Sie [es]? Ach ja, das ist so. Haben sie irgendwas von Physik gehört. Dispersion und Refraktion. Es gibt verschiedene Überlegungen, und dann aber es wird nicht wirklich beantwortet. Also warum ist der Himmel blau, und warum gibt es das Abendrot? Und warum gibt es das Morgenrot? Goethe gibt darauf bestimmte Antworten und leitet weitreichende Schlussfolgerungen daraus ab. Wichtig ist, dass er immer in Verbindung mit dem Menschen auch die Wirkung der Farbe einbezieht. Das nennt er die sinnlich-sittliche Wirkung, beispielsweise jetzt noch mal Blau und Rot. Er sagt mit Recht, da gibt es wunderbare, ja auch selbst für Kritiker kaum zu bezweifelnde Aussagen über die Wirkungsweise von Farben, etwa von Blau und Rot, jeder weiß das, dass Räume, die rein blau sind, immer größer wirken.Nicht, Blau, hat eine eigenartige Eigenschaft, sich auszudehnen. Es flieht gleichsam den Betrachter. Sie können das ja am Horizont auch beobachten. Die Berge etwa ganz am Horizont sind blau.

Auch wenn man, wie ich das jahrelang auch immer gemacht habe, Aquarell gemalt hat, muss man das immer berücksichtigen. Da muss man das Blau malen, den Horizont, also es wird blau. Die Ferne ist blau, und gleichzeitig ist damit eine gewisse Kälte verbunden. Die blaue Farbe scheint zu fliehen, und sie ist vergleichsweise kalt, während die rote Farbe immer etwas Anspringendes, etwas Zupackendes hat. Nicht umsonst hat man natürlich das Rot in politischen Zusammenhängen, zuvörderst natürlich bei den Kommunisten, und dann von den Kommunisten haben es die Nazis übernommen, auf andere Weise, auch den Effekt weiß, schwarz, rot. Diese Dreiheit, bewusst als etwas Plakatives, was in die Seele greift. Also das Rot hat etwas sich-Näherndes. Es kommt quasi auf den Betrachter zu. Es nähert sich, während das Blau sich entfernt, eine quasi … , eine Saugwirkung auch auslöst.

Goethe hat sich mit diesen Fragen sehr intensiv beschäftigt, und man muss sogar sagen, dass dieser Aspekt der Farbenlehre bei Goethe zwar zentral wichtig ist, aber nicht konsequent durchgehalten wird. Also Goethe lässt dem, sagen wir mal, oberflächlichen Leser eine gewisse Lücke, eine Nische. Er lässt ihm nämlich folgende Überlegung: Weil er nicht konsequent und ständig in seiner Farbenlehre genau diesen Punkt betont, dass er immer die Wirkung auf den Menschen, das Sinnlich-Sittliche mitbedenkt, kann man das auch ablösen, das ist auch zum Teil geschehen, und daraus eine letztlich auch subjekt-freie Farbenlehre machen. Nicht, der berühmte Farbenkreis, den Goethe ja auch mitkreiert hat, die Komplementärfarbe und all das andere, hat man ja später auch in der Sinnes- und Farben-Physiologie und -Psychologie verifiziert. Man musste zugeben, Goethe hat viele Dinge vollkommen richtig gesehen, gar keine Frage, er hat wirklich als Erster Dinge gesehen, auch die sogenannten physiologischen Farben, die vorher nur als Sinnestäuschung galten, also wenn man etwa einen Augapfel kräftiger drückt, dass man dort Farben sieht, das hat er dargestellt, aber da gibt es eine gewisse Schwachstelle bei ihm. Er hat das nicht konsequent durchgehalten, und so konnte man dann den eigentlichen Punkt auch leicht wieder verdekken. Der eigentliche Punkt eben, der darin besteht, dass das Auge des Betrachters ein integraler Bestandteil ist. Denn Farbe gibt es nicht für sich und an sich. Ohne ein Auge, was die Farbe sieht und als solche wahrnimmt, ist sie nicht da. Auch die Farben als solche sind nicht existent. Man kann es sogar kulturgeschichtlich nachweisen. Ich habe das ja mal vor Jahren auch hier genannt, dass man, wie das Goethe übrigens als Erster herausbekommen hat, und andere haben das dann verifiziert, etwa Arthur Zajonc und andere, dass die Antike kein Blau kennt. Nicht, wer da in Griechenland ist und die blendende Fülle des Blau wahrnimmt, der kann es kaum fassen, dass die Griechen in ihrer großen Dichtung, Philosophie, die Farbe Blau gar nicht kennen. Sie haben ein Wort dafür, was so viel wie dunkel heißt, nicht, also es ist klar, keine eigene Farbqualität. Also auch da spielen natürlich auch vielfältige kulturhistorische Phänomene einfach hinein und die Frage ist sehr berechtigt: Was ist zum Beispiel Ultraviolett für eine Farbe?

Bodo Hamprecht, ein Physiker und Anthroposoph, der sich mit der Frage seit Jahrzehnten beschäftigt, stellt die zum Beispiel in einer seiner Arbeiten über die Farbenlehre. Wir haben darüber oft gesprochen, ich glaube sogar, er hat diesen Punkt aus unseren Gesprächen. Ich habe nämlich immer gefragt, und ja, was [ist das] eigentlich? Man könnte Ultraviolett oder Infrarot ja auch als Farbe bezeichnen. Was wäre das für eine Farbe? Haben wir ein Kriterium so sagen, was ist das für eine Farbe? Nein, haben wir gar nicht. Der menschliche Wahrnehmungsapparat versagt vollkommen. Wir können uns das nicht vorstellen.

Und doch ist es möglich. Man könnte sich ja ohne weiteres ein Auge vorstellen, was in diesem berühmten optischen Fenster, wo da eine gewisse Verlagerung vorgenommen wird, was man ja auch in anderer Form von Tierwahrnehmungen dann sagt. Warum soll man nicht dann das Ultraviolett als Farbe sehen und etwa Rot dann nicht mehr als Farbe oder umgekehrt? Das sind also Qualitäten, die ganz tief gehen. Das ist also nicht quantisierbar, warum genau dieser Ausschnitt vollzogen wird und kein anderer, ist letztlich ein Mysterium, es könnte auch ganz anders sein. Wenn wir von einem Moment auf den anderen dieses Regenbogenfenster verändern würden, würden wir schlagartig eine vollkommen andere Welt wahrnehmen. Nicht, das ist gar keine Frage.

Also, der Punkt ist, dass Goethe, ich muss zum Schluss kommen, es ist schade, weil man den Bogen natürlich weiter spannen muss, sie müssen das bitte entschuldigen. Ich mache das nächste Mal noch weiter. Ich bräuchte im Grunde jetzt noch mal eine Dreiviertelstunde, um das wirklich auszuführen. Also ganz verkürzt noch mal gesagt für heute als Resümee: Goethe als Licht-Metaphysiker, für den das Licht etwas Sakrales, Heiliges, quasi Göttliches ist, besteht darauf, dass sich von der urphänomenalen Qualität des Lichtes aus die Erscheinungen ableiten lassen und von der Qualität der Finsternis. Und da möchte ich dann auch noch beim nächsten Mal einiges sagen zu der Frage des nicht sichtbaren Lichtes, auch Materie, das wissen wir ja, ist nicht sichtbar. Es ist ja ein Phänomen, über das die wenigsten Menschen nachdenken, dass die dunkle Materie und das dunkle Licht im Zusammenwirken plötzlich die farbige Welt ergeben. Wenn sie hier also einen Gegenstand reinhalten, wird der erleuchtet, wenn er weg ist, ist das nicht da. Was ist hier? Gibt es hier etwas als eine pure Potentialität? Da ist eigentlich gar nichts, wie das sehr extrem hier der Verhulst sagt, ich finde auch nicht ganz hundertprozentig haltbar. Aber man kann erst mal so sagen, ich kann von einem Lichtstrahl nicht sprechen. Ich kann nur von einer Möglichkeit sprechen, die sich erst aktualisiert, wenn ich einen Gegenstand da in diesen Lichtstrahl hineinhalte. Und diese Licht-Metaphysik, die Lehre von den Urphänomenen ist also ein radikales Gegenbild zu einer analytisch-experimentellen, primär abstrakten Vorgehensweise, also ein radikaler Gegensatz. Hier wird das Licht zerkleinert, zerlegt, verdingt. Auf der einen Seite bleibt es in seiner Würde und Quasi-Göttlichkeit bestehen. (…)

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Polarität III – Stoff, Geist und Seele

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 19

Transkript als PDF:

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Das ist der dritte Abend zu dem Thema Polarität und in gewisser Weise auch der schwierigste, weil, hier geht es um eine besondere Form von Polarität, die auch etwas zu tun hat mit der Innen-Außen-Polarität, über die ich ja gesprochen hatte. Es geht ja hier primär heute um die Innen-Außen-Polarität im Sinne von Bewusstsein, Innen-Welt, und Materie, Stoff, Außen-Welt; ein Verhältnis, was ja jeden Menschen auch nur bei einem Minimum an Selbstbeobachtung beunruhigen könnte oder müsste, wie Stoffe, jetzt mal ganz weit gefasst, auch chemische Stoffe, ganz bestimmte chemische Stoffe in der Lage sind, die emotionale, psychische und auch die geistige Verfassung des Menschen fundamental umzupolen, zu beeinflussen, zu bestimmen. Ja, also nicht nur die sogenannten psychoaktiven Substanzen, ja auch Medikamente, etwa homöopathische Arzneien und anderes ‒ alles das greift ganz tief ein in die Psyche. Und die Frage ist eine letztlich offene und ungeklärte: Wie tief geht das? Wir haben das ja schon mal angesprochen. Es gibt ja einige Homöopathen und auch Philosophen, die die hohen Potenzen in der Homöopathie ablehnen, weil sie zu sehr in die Tiefenstruktur der Psyche hineingreifen geradezu. Nicht, ich habe das schon mal angedeutet, ich hatte kürzlich auch, oder vor einigen Wochen mal mit Volker Rohleder darüber gesprochen, eine Frage, die ihn auch sehr beschäftigt. Ein Buch übrigens, was ich hier nennen möchte, was nicht auf dem Literaturverzeichnis ist, aber für das Thema wichtig, ich habe es im Winter 97/98 schon mal angegeben, ist von einem Mediziner und Psychiater Josef Zehentbauer: „Körpereigene Drogen“, Untertitel „Die ungenutzten Fähigkeiten unseres Gehirns“. Ein hochinteressantes Buch, es geht um die Neurotransmitter, um die sogenannten Botenstoffe im Körper, also die sogenannten körpereigenen Drogen, die Drogen quasi, die der Körper selber produziert. Und letztlich ist es ein Plädoyer für eine drogenfreie Medizin im Sinne der exogenen Drogen. Es werden auch Möglichkeiten vorgestellt, wie man die endogenen Drogen im eigenen Leib aktivieren kann. Also ein wunderbares, hochinteressantes Buch, was für das Thema wichtig ist.

Zunächst mal, der Begriff „Stoff“ meint im Sinne dieser Vorlesung zweierlei, meint einmal Materie überhaupt. Bei aller Schwierigkeit, die man heute hat, Materie überhaupt zu bestimmen, zu definieren: Was ist Materie? Sie entgleitet einem ja ständig. Je mehr man in die Tiefenstruktur der Materie hineingeht, umso mehr entgleitet sie ja, sie wird in gewisser Weise geistig. Also Materie.

Und dann im engeren Sinne meint es den chemischen Stoff, also durchaus den Stoff im Sinne der Chemie. Denken sie an das, was ich das letzte Mal am Ende der zweiten Stunde gesagt habe über den Stickstoff, über die Atemprozesse, über den Atemrhythmus und über das Eigenartige und meistens nicht Beachtete, dass ja im Atemprozess, der Stickstoff genauso rein- wie rausgeht und eine Art Vehikel darstellt für den Atemrhythmus. Nicht, Sie erinnern sich vielleicht, ich habe das ja mit dem Chemiker Rudolf Hauschka erläutert. Der hat das ja eingehend dargestellt und auch verdeutlicht etwa, dass die Anzahl der Atemzüge pro Tag, bei einem gesunden Menschen etwa 26000, sich in einen Zusammenhang bringen lassen mit dem so genannten großen platonischen Jahr, also dem Zeitenzyklus von 26000 Jahren. Also da wäre ein Zusammenhang hergestellt zwischen einem großen kosmischen Rhythmus und dem kleinen, im Leiblichen sich spiegelnden Rhythmus. Stoff auch im Sinne der sogenannten Feinstofflichkeit. Es geht also nicht nur um den groben Stoff, der in irgendeiner Form sinnlich-physisch dem Leib Widerstand leistet oder sonstwie konzeptionell als grober Stoff verstanden werden kann, [sondern] auch um die feinstofflichen Energien in gewisser Weise. Und da ist man auch bei einem zweiten zentralen Begriff, der natürlich in dem Zusammenhang immer genannt werden muss. Stoffe ‒ Energien, Kräfte. Mal jetzt im Moment den Blick nicht gerichtet auf Seele und Geist.

Was sind Kräfte, und was sind Energien? Das hat in der abendländischen naturphilosophischen Diskussion eine schwierige Rolle gespielt. In der herkömmlichen Naturwissenschaft, wie sie sich in den letzten zwei-, dreihundert Jahren manifestiert hat, spielen Kräfte im eigentlichen, im substantiellen Sinne eine zunehmend geringere Rolle. Es geht meistens um Funktionen. Selbst die Schwerkraft wird von dem Mainstream der Physik gar nicht als Kraft näher betrachtet, im eigentlichen Sinne. Sie wird nur in ihrer Funktionalität gesehen. Ich will das nicht im Einzelnen jetzt erläutern, was es da für Einwände oder Gegenargumente gibt, nur einfach von der Geistesgeschichte aus gesehen; also Kräfte werden kaum noch gesehen oder verstanden als eigenständige immaterielle Wirk-Entitäten, wie das noch Newton gesehen hatte, der ganz scharf geschieden hatte zwischen der Materie, dem Stoff, dem toten, trägen Stoff, der bewegt wird, der auch impulsiert wird von diesen immateriellen Entitäten als Kräften.

In der Nachfolge von Leibniz ist das dann zunehmend zusammengeführt worden, und man konnte zunehmend weniger unterscheiden: Was ist eigentlich der Stoff, und was ist eigentlich die Kraft darin? Und so sind wir heute in der Lage, oder in der eher unglücklichen Lage, dass wir große Schwierigkeiten haben, klar zu bestimmen: Was sind Kräfte? Und ich sehe darin, das habe ich ja schon im Winter einmal gesagt, eine ganz große Aufgabe der Naturphilosophie überhaupt heute, nochmal ein ganz neues Verständnis für Kräfte zu gewinnen. Was sind Kräfte? Nicht, man kann ja Kräfte, auch spirituell, theosophisch, anthroposophisch, wie immer, einfach als Geister sehen, als Naturgeister. Nicht, es gibt ja genügend Schriften, die sagen, im Grunde genommen sind die Kräfte eigentlich Geistwesen mit einem bestimmten eigenen Bewusstsein, das wir nicht unmittelbar nachvollziehen können, aber in dem Sinne sind es keine es-haften Wesen, sind in irgendeiner Form bewusstseinsbegabte Wesen. Wenn das so wäre, dann ist ja schon eine Trennung von Kräften und Bewusstsein gar nicht so unbedingt möglich.

Auch Newton, ich hatte das im Winter schon mal kurz angedeutet, macht manchmal keinen Unterschied zwischen Force, Kraft, und Spirit. Er sagt manchmal direkt: die Forces, die Materie, ‚pure and animate matter‘, also die rohe, unbelebte Materie, bestimmen, sind spirits. Es sind also Geister. Für Newton waren das immaterielle Entitäten. Und das ist ein wichtiger Punkt, den man in dem Zusammenhang mit berücksichtigen muss. Es ist wirklich die Frage: Was sind diese Kräfte? Besonders schwierig wird es natürlich, wenn man dann auch noch den Begriff „Energie“ dazunimmt, der ja, wie wir alle wissen, sehr unbestimmt, sehr ungenau, vage, verblasen ist und sich einer differenzierenden Genauigkeit zunehmend entzieht. Alles ist irgendwie Energie, alles ist Vibration, alles ist Schwingung. Das sagt dann mehr oder weniger alles oder nichts. Auch die Frage, die natürlich in dem Zusammenhang auch eine Rolle spielt: Ist denn der Stoff, in der angedeuteten Form, selber letztlich nur eine Manifestation von Kraft, von Kräften? Eine Manifestation von bestimmten Energien? Die meisten denken da sofort an Einsteins E=mc². Man vergisst meistens, dass diese Vorstellungen viel älter sind und immer eine Gegenströmung dargestellt haben gegen die andere Vorstellung, die beides ganz scharf schied.

Also, vereinfacht gesagt, die eine Position sagt: Es gibt die träge tote Materie, die wird impulsiert, vorangetrieben, bewegt durch immaterielle Kräfte, Entitäten.

Die andere Position sagt: Dieser Stoff, die Materie selber ist nichts weiter als eine gleichsam erstarrte Form von Kraft, eine erstarrte Form von Energie auch, das war früher nicht klar geschieden.

Eine solche Trennung gibt es eigentlich erst seit dem 19. Jahrhundert, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und auch da noch mit großen Ungenauigkeiten behaftet. Energie und Kraft sind auch heute noch schwer präzise voneinander zu trennen.

Der Protagonist dieser Kraft-Theorie der Materie, in gewisser Weise ihr Begründer, jedenfalls einer, der das erstmalig dargestellt hat im umfassenden Sinne, war [Gottfried Wilhelm] Leibniz und sein Schüler Roger Boscovich, ein Philosoph, den heute kaum einer mehr kennt, der eine sehr ausdifferenzierte Theorie eines Kraftfeld-Kontinuums der Materie entwickelt hatte, die ganz stark dann auch die Feldtheorie von Faraday und anderen beeinflusst hat. Also da sind verschiedene Positionen dabei.

Und wenn man von der menschlichen Erfahrung ausgeht, so habe ich ja einleitend gesagt, dann ist es ja immer wieder eine beunruhigende Frage: Wie hängt denn der Geist mit dem Leib zusammen? Oder gnostisch gefragt: Wie kommt denn der Geist in den Stoff, und wer ist er? Gibt es eine Art von Gleich-Ursprünglichkeit von Geist und Stoff? Ist der Geist irgendwann in den Stoff hineingesetzt worden? Ist der Geist nur eine Emanation, letztlich nichts weiter als Stoff? Oder sind beide Parallelphänomene, die auf eine rätselhafte Weise miteinander korrelieren? Und, die Frage ist aufwühlend, ich habe das ja schon einleitend gesagt, es kann einen immer wieder beunruhigen, wie das Bewusstsein oft durch kleinste Stoffreize fundamental geändert werden kann.

Das kann man natürlich materialistisch interpretieren, kann sagen, das ist doch klar, diese stofflichen Reize sind das Wesentliche, das Eigentliche, das bestimmt eigentlich das Bewusstsein, etwa im Falle der Neurotransmitter, der Botenstoffe, Ausschüttung ganz bestimmter chemischer Substanzen, auch von Hormonen beeinflusst in einem ganz hohen Grade das Bewusstsein. Kaffee, Tee, alles hat eine ganz verschiedene Wirkung auf den Geist, auf die Psyche.

Hinzu kommt, Johannes Heinrichs hat das wiederholt auch mit Recht differenziert, dass man unterscheiden muss zwischen Geist und Seele, was meistens nicht geschieht. Seele möchte ich auch hier als das eigentliche lebendige Wesenhafte, die eigentlich lebendige, wesenhafte Entität, sei es die eines Menschen oder eines Tieres oder einer Tiergruppe oder einer Pflanze, einer Pflanzengruppe, das möchte ich als Seele bezeichnen ‒und Geist eher als die Partizipation dieser Seele an einem universalen oder universell vorgestellten Logos. Obwohl auch das schwierig ist, man kann das auch anders interpretieren. Man kann auch die Ichhaftigkeit des menschlichen Wesens als Geist sehen. Deswegen ist es bis zu einem gewissen Grade legitim, vom Seelisch-Geistigen als einer Gesamt-Entität zu sprechen.

Also um diese Fragen geht es also, wahrlich abgründige und extrem schwierige Fragen, über die man jahrelang meditieren und nachdenken kann. Und es gibt meistens nur kleine Fortschritte in diesem Zusammenhang.

Ich will noch einmal grundsätzlich sagen, was gerade für dieses Thema besonders wichtig ist, dass ich mich nicht der Tatsache verschließe, dass es natürlich bis zu einem gewissen Grade einen legitimen reduktionistischen und analytischen Ansatz in der Naturbetrachtung gibt, den gibt es. Bestimmte Theorien lassen sich gar nicht finden, aufstellen, umreißen, ohne bis zu einem gewissen Grade reduktionistisch vorzugehen. Es bringt also wenig, wenn man den Reduktionismus in Bausch und Bogen vollständig ablehnt. Das ist auch gar nicht erkenntnismäßig haltbar. Also ein gewisser Reduktionismus ist unvermeidbar. Aber ich versuche das also in die Erwägung gezogen, primär in dieser Vorlesung den Blick zu richten auf eine Art Physiognomik, wenn man es so nennen will, auf eine Art Signaturenlehre der Phänomene, im Sinne Goethes also gesprochen, den Blick zu richten auf die Ideen in den Phänomenen, die ganzheitliche Gestalt der Phänomene als ideenträchtig gefasst.

Das ist ja ein wesentliches Element etwa in dem Goetheschen Begriff des Urphänomens, den er ja ganz bewusst gegen die eher abstrakte Vorstellung einer Idee gesetzt hat. Nicht, also, das Urtümliche, das primordiale Ideenhafte, ist wieder selbst ein Phänomen, ist also nicht einfach reiner Geist oder reine Idee. Am Beispiel des Lichtes und der Dunkelheit kann man das ja sehr schön zeigen.

Dann ist ein wesentlicher Punkt, der mir noch mal in der Vorbereitung dieser Vorlesung deutlich geworden ist, der manche immer wieder verwundert, ich sage es aber trotzdem nochmal, dass ich davon ausgehe, dass der Mensch in der Tat eine sehr hohe Funktion hat. Der Mensch ist kein ephemeres, kein Randwesen, sondern ein Zentralwesen und ein Wesen, was tatsächlich für die Erde, vielleicht sogar für das Sonnensystem und für den weiteren Kosmos eine bestimmte hohe Bedeutung hat und auch eine damit verbundene Verantwortung. Also ich glaube, ganz ohne dass ich es im Einzelnen verifizieren könnte und auch im Letzten begründen könnte, ich meine, das ist auch nicht möglich, an eine letztlich kosmische Verantwortung der menschlichen Existenz, eine ganz tiefe kosmische Verantwortung.

Ich war erstaunt, ich stieß in einem Buch, was ich seit zwei Jahren besitze, aber kaum richtig gelesen hatte, wie das häufig so ist, wenn man sich Bücher besorgt und erst einmal in den Bücherschrank stellt und irgendwann guckt man dann genauer hin. Ich stieß auf ein Buch eines Physikers, Wilfried Hacheney, einigen vielleicht bekannt als Wasserforscher, der auch sehr interessant geforscht hat über die Möglichkeit, das Wasser, ähnlich wie Schauberger und Theodor Schwenk, das Wasser auf eine neue Weise durch bestimmte Verwirbelungen zu beleben, also das „tote“ Wasser wieder zu „lebendem“ Wasser zu machen, hat auch eigene Apparate entwickelt, und Hacheney, der es eigentlich ablehnt, in Büchern sich zu äußern, hat sich hier zu einem sehr langen Interview, wenn man so will, einem Gespräch überreden lassen und sagt hier interessante Dinge über den Menschen, die ich zitieren möchte und in diesem Sinne also durch Hacheney nochmal meine eigene Position verdeutlichen möchte. Hacheney ist ein Außenseiter eher. Er scheint der Anthroposophie nahe zu stehen. Die Anthroposophen versuchen ihn zu vereinnahmen. Er scheint das zurückzuweisen.

Auf jeden Fall gibt es da eine gewisse Beziehung, die mir im Einzelnen auch nicht so geläufig ist, das spielt auch keine Rolle. Es gibt einige wunderschöne Aussagen über den Menschen, die ich kurz zitieren möchte. Und wie gesagt, ich leihe mir mal die Stimme von Hacheney, um das Eigene hier zum Ausdruck zu bringen. Er sagt hier: „Der Kräfte-Stufenplan“, ich lasse das mal so stehen, das würde eine weitere Erläuterung bedeuten, „der Kräfte-Stufenplan ermöglicht den Menschen die Überschau über das Sein und die Dynamik der Qualitäten.“ Qualitäten sind für ihn auch Kräfte, also die immateriellen Entitäten, die letztlich impulsieren in die Existenz hinein. Nach ihm, nach vielen anderen dieser Richtung, gibt es überhaupt keine Stoffe, es gibt eigentlich nur Qualitäten. „Was uns als Stoff erscheint, ist nur eine vorübergehende Manifestation dieser Kräfte. Und er gibt den Menschen die Möglichkeit, diese Qualitäten zu ergreifen, zu erheben und lenkend miteinander zu verbinden zu einem Neuen. Also der Mensch hat die Aufgabe, diese kosmischen Qualitäten zu lenken. Frage: So hoch schätzen sie den Menschen ein, so hoch ist der Mensch angelegt, das ist nicht meine Einschätzung, das ist eine Weltenrealität. Ich meine den Menschen, der seinen Auftrag nicht vergessen hat. Ich meine den Menschen, der weiß, dass er das eingekerkerte Licht wieder befreien muss, indem die Erdenstoffe erhoben werden zu Licht und Gestalt.“

Auch für Hacheney spielt die Vorstellung eine zentrale Rolle, die ich ja mehrfach angedeutet habe und im Wintersemester auch noch eingehender darstellen möchte, dass Licht, die Licht-Wesenheit, in der Lage ist, die gravitativen Wirkungen zu mindern, dass es also eine Art antigravitativen Effekt des Lichtes gibt. Er meint auch, Belege dafür zu haben, es sind andere als die, die ich gefunden habe. Aber es ist hochinteressant, der Zusammenhang.

„Also indem die Erdenstoffe erhoben werden zu Licht und Gestalt, an der Erde lernt er, was mit dem Himmel zu geschehen hat. Ich meine nicht den, der nur nehmen, Empfang erhalten will. Es ist nicht so, wie es sich die Natur-Fritzen und Gesund-Esser vorstellen. Die Erde, die ist am Ende ihrer Kraft, und sie braucht den Menschen. Wenn es richtig geschieht, wenn wir wissend sind, dann tragen wir die Erde so hinauf, dann verwandeln wir ihre Früchte in Gestalt und Licht über das Bewusstsein.“

Also eine religiöse, eine quasi sakrale, priesterliche Auffassung vom Menschen hier, der wirklich hier so gesehen wird, als ob er dazu fähig sei, diese kosmischen Qualitäten, diese kosmischen Kräfte wahrzunehmen und gestalthaft zu bündeln und in Licht zu überführen durch sein Bewusstsein. Zweites kurzes Zitat, das Buch geht ja über das Feuer, das heißt Feuer, es ist nicht das physische Feuer gemeint, nicht primär das physische Feuer gemeint, sondern eher die eine Art von Geistfeuer, ätherischem Feuer. „Die Qualität des Lichtes wird über die Qualität des Feuers bestimmt, und die Qualität des Feuers wird über die Qualität des Bewusstseins bestimmt. Wenn der Mensch ein hohes Bewusstsein hat, korrespondiert er mit einer hohen Feuerqualität.“ Ich werde im Zusammenhang mit den Elementen auch noch auf diese Frage des quasi ätherischen Feuers eingehen. „Und wenn er ein abgestürztes Bewusstsein hat, korrespondiert er mit einer sehr niederen Feuerqualität. Dann haben wir nur noch elektrische Menschen, Scheinlichter, lauter Scheinlichter und anstatt das Licht zu verwandeln, legen sie sich in die Sonne und lassen sich bräunen, oder sie zünden Kerzen an, um eine romantische Stimmung [hervorzurufen] [oder sie] schießen Feuerwerkskörper in den Himmel, um ein äußeres Zeichen zu setzen. Und das ist das Entsetzliche, die Menschen scheinen nicht die geringste Ahnung von ihrer immensen Verantwortung zu haben…“ und so weiter.

Also das will ich mir zu eigen machen, ohne dass ich im Einzelnen jetzt hier darstellen könnte, wie Hacheney zu diesen Thesen kommt: Ich halte wirklich den Menschen für ein sehr hohes, zentrales, kosmisch wichtiges Wesen. Und das ist in gewisser Weise auch die Prämisse dessen, was ich vortrage. Davon gehe ich im Grunde aus. Ich habe das immer mal wieder durchblicken lassen. Ich will es nur noch mal hier ganz klar thesenhaft zeigen.

Ich gehe auch aus, und das muss ich auch noch dazu sagen, weil es gerade für das Thema wichtig ist, dass die menschliche Innen-Erfahrung eine Form der Analogie darstellt für den Kosmos überhaupt nach dem Novalis-Satz: „Der Mensch ist eine Analogienquelle für das Weltall.“ Um überhaupt denken zu können, müssen wir Analogien heranziehen, das tut jeder Naturwissenschaftler, Analogien sind gang und gäbe. Ich meine das aber noch in einem etwas spezielleren Sinne. Wir haben nur eine einzige Chance, die Welt wirklich von innen zu verstehen durch uns selber, durch die eigene Leiblichkeit. Und da möchte ich einen Autor noch einmal hier heranziehen, der mir sehr am Herzen liegt, der hier an dieser Universität damals gegen Hegel furchtbar gescheitert ist, nämlich Schopenhauer, der diese Fragen, wie ich finde, auf eine wunderbare Weise auf den Punkt gebracht hat.

Ganz kurz geistesgeschichtlich in Erinnerung gerufen: Schopenhauer war hier 1820 noch über die Mithilfe von Hegel als Dozent eingestellt worden, und er hat die Kühnheit besessen, seine Vorlesung genau parallel zu legen zu der großen Hegel-Vorlesung, zu ihm kam keiner, er hatte zwei, drei Hörer, oder vier Hörer, fünf Hörer. Hegel hatte den großen Erfolg, Schopenhauer hatte keinen Erfolg. Er musste dann irgendwann abbrechen. Seine Vorlesung gibt es noch, als Taschenbücher sind die erschienen bei Piper. Man kann das nachlesen. Großartige Vorlesungen, wunderbare Vorlesungen, also, das gehört zum Besten was es gibt im 19. Jahrhundert.

Ich zitiere mal eine Passage, aus einem unveröffentlichten Manuskript von mir, wo auch Schopenhauer eine Rolle spielt. Um Ihnen das noch mal zu verdeutlichen, das führt ins Zentrum der Frage nach Innen- und Außenwelt, nach Geist, Stoff, Seele. Denn wie anders können wir die Welt sehen als durch uns, weil nur wir selbst haben uns unmittelbar als wir selbst. Alle anderen haben wir nur mittelbar. Ich lese das mal vor, den Text hier, den ich geschrieben habe, und dann die Zitate von Schopenhauer.

Über das Verhältnis von Innenwelt und Außenwelt: „Die Grundfrage der Erkenntnis haben wenige eindringlicher nachgedacht als Arthur Schopenhauer. Seine Willens-Philosophie, die zugleich eine solche des menschlichen Leibes ist ‒ er ist der Leib-Philosoph überhaupt im 19. Jahrhundert ‒ ist ein grandioser Versuch, die Erkenntniskritik Kants sowohl weiterzuführen als auch zu überschreiten. Kant war davon ausgegangen, dass ein unüberbrückbarer Hiatus klafft zwischen der Welt, wie sie sich für den Menschen als Erscheinung darstellt, und der ihr zugrunde liegenden eigentlichen und an sich seienden Welt: Dinge an sich, also jenseits unserer projektiven Anschauungs- und Denkformen, die wir über diese eigentliche Welt-Wirklichkeit legen. In seinem Buch ,Die Welt als Wille und Vorstellung‘ schreibt Schopenhauer (, ich zitiere das jetzt mal): ,Diesem allem zufolge wird man auf dem Wege der objektiven Erkenntnis, mithin von der Vorstellung ausgehend, nie über die Vorstellung, das heißt die Erscheinung hinaus gelangen, wird also bei der Außenseite der Dinge stehenbleiben, nie aber in ihr Inneres dringen und erforschen können, was sie an sich selbst, das heißt für sich selbst, sein mögen. Man bleibt immer außen in der Erscheinungswelt, in der Welt als Vorstellung.‘ Soweit stimme ich mit Kant überein, sagt Schopenhauer. ,Nun aber habe ich als Gegengewicht dieser Wahrheit jene andere hervorgehoben, dass wir nicht bloß das erkennende Subjekt sind, sondern andererseits auch selbst zu den zu erkennenden Wesen gehören, selbst das Ding an sich sind. Wir sind also das, was wir erkennen wollen, dass mithin zu jenem selbsteigenen und inneren Wesen der Dinge, bis zu welchem wir von außen nicht dringen können, uns ein Weg von innen offensteht, gleichsam ein unterirdischer Gang, eine geheime Verbindung, die uns wie durch Verrat mit einem Male in die Festung versetzt, welche durch Angriff von außen zu nehmen unmöglich war.‘ Also der Mensch kommt über sich selbst wie durch Verrat in die Festung, in der er immer war, die er ja nie verlassen hat, die er in gewisser Weise ja ist. Er ist die Festung und das Innere der Festung. Noch immer Schopenhauer: ,Das Ding an sich kann eben als solches nur ganz unmittelbar ins Bewusstsein kommen, nämlich dadurch, dass er selbst sich seiner bewusst wird. Es objektiv erkennen wollen, heißt, etwas Widersprechendes verlangen.’“ Nicht, das kann man natürlich mit Hegel zusammenbringen, das Subjekt muss Substanz werden, wenn man das möchte, obwohl Schopenhauer der schärfste Hegel-Kritiker im 19. Jahrhundert war, er hielt ja Hegel für einen Schwätzer und Dilettanten. Jetzt der Text hier weiter von mir: „Im eigenen Leib als dem von innen gefühlten und gefüllten Körper, also im eigenen Leib, hat der Mensch und ist der Mensch die gesuchte Einheit von Innenwelt und Außenwelt, von Ding an sich und Erscheinung. Der Mensch ist immer innen und außen gleichzeitig. Wenn ich meine Hand betrachte, dann bin ich innen und gleichzeitig ist diese Hand außen, es ist die einzige Möglichkeit, wo ich wirklich Innen und Außen zusammen fassen kann. Als Körper unter Körpern ist der menschliche Leib außen und nur außen, ist er ein Gegenstand, ein Ding, ein Es. Aber dieses Es, dieses Ding, dieser Gegenstand ist zugleich unlösbar innen. Wir, die Menschen, stecken im Körper und machen ihn dadurch zum Leib.“ Also Körper, das Es, das Ding da draußen und Leib der von innen gefühlte und gefüllte, der beseelte, der ichhaft belebte Körper. „Aber dieses Es, dieses Ding, dieser Gegenstand ist zugleich unlösbar innen. Wir, die Menschen, stecken im Körper und machen ihn dadurch zum Leib. Die Festung der Welt ist im Sturmangriff von außen uneinnehmbar. Aber es ist auch nicht nötig, diesen Sturmangriff ins Werk zu setzen. Der Mensch ist schon, wie durch Verrat, in die Festung gelangt. Er ist immer schon als er selbst in der Festung. Der Mensch ist die Festung, die es zu stürmen gilt, und das bereits erreichte Ziel: die Festung von innen. Hier und nur hier ist der Ausgangspunkt genuinen Erkennens. Und diesen Ausgangspunkt kann man über die Schopenhauersche Leibphilosophie hinaus erweitern und vertiefen. Als er selbst ist der Mensch zugleich die innerste Wirklichkeit der Welt und deren Außenseite. Der Mensch ist im Kosmos und zugleich der Kosmos selbst.“

Ich lese diesen letzten Satz nochmal, das ist wirklich für das Thema essenziell wichtig: „Als er selbst ist der Mensch zugleich die innerste Wirklichkeit der Welt und deren Außenseite. Der Mensch ist im Kosmos und zugleich der Kosmos selbst.

Noch einmal Novalis, Zitat: „Was außer mir ist, ist gerade in mir, ist mein und umgekehrt.“ Und, Novalis: „Kosmologie ‒ es ist einerlei, ob ich das Weltall in mich oder mich ins Weltall setze. Spinoza setzte alles heraus, Fichte alles hinein. So mit der Freiheit. Ist Freiheit im Ganzen, so ist Freiheit auch in mir.“ Zitat Ende.

„Alles hängt an der Frage, ob der Analogieschluss vom Einzelnen, wie es sich im Menschen verdichtet, manifestiert zum Ganzen legitim ist.“ Das ist die Kernfrage: Ist das legitim? Kann man das machen? Darf man das machen? „Ich meine, dieser Analogieschluss ist berechtigt. Er ist nicht nur dies, er ist auch notwendig, er ist unverzichtbar. Verneine ich ihn, wird Erkenntnis vollends unmöglich. Dann kann sie nur pure Projektion sein, nur ein projektives In-Beziehung-setzen, wenn ich diesen Grundansatz verneine. Verneine ich ihn, wird Erkenntnis vollends unmöglich. Ich muss schlechterdings davon ausgehen, dass das Leib-Seele-Geistwesen, das ich geworden bin, den Kosmos nicht nur spiegelt oder abbildet, obwohl auch das der Fall ist, sondern dieser Kosmos, bis zu welchem Tiefengrade auch immer, ist. Was Novalis über die Freiheit sagt, die ja nur Willensfreiheit sein kann, berührt diesen Punkt. Das, richtig verstanden, hebelt jeden Reduktionismus aus. Nur auf diese Weise ist die erwähnte Subjektblindheit zu überwinden. Wenn die Substanz, das Außen, der Welten-Stoff, die Natur, nicht auch zugleich Subjekt ist oder werden kann, wenn sie nicht Geist von meinem Geiste ist: Wie soll ich [dann] irgendetwas da draußen erkennen? Es ist einfach unsinnig, vom Außen auszugehen und aus den hier abgeleiteten oder postulierten Gesetzen, Naturgesetzen den Menschen gleichsam zu konstruieren. Diese Konstruktion, an der ja allenthalben gearbeitet wird bis zum modernsten Gehirn­physiologie, bleibt ein erkenntnismäßiger Irrtum.

Nicht, dass die Welt nicht kartografiert und beschrieben werden dürfte oder sollte, sie darf und sie soll es, wenn die Ganzheit der Phänomene dabei nicht zu Schaden kommt. Aber damit wird die Festung nicht erstürmt…“ und so weiter. (Und dann kommt hier, das habe ich nicht gemacht, weil du hier gekommen bist, Johannes, sondern das hätte ich auch so gemacht.) Zu den wenigen Denkern heute, die von einem analogen Ansatz ausgehen, gehört der Philosoph Johannes Heinrichs. In seiner großartigen „Öko-Logik“ schreibt er, hier zwei Zitate: „Die Naturphilosophie muss primär als ganzheitliche Anthropologie entwickelt werden. Der Mensch ist der Schlüssel, und zwar nicht allein, aber einschlussweise einer Philosophie des menschlichen Leibes. Und ein moderner kosmischer Naturbegriff lässt sich von der triadischen Natur des Menschen als Körper-Seele-Geist-Einheit gewinnen. In materialer wie methodologischer Hinsicht bildet der Mensch selbst den notwendigen Ausgangspunkt einer ontologischen Naturphilosophie.“ 100 Prozent d’accord dazu.

„Geht man diesem Ansatz aus dem Wege, und das geschieht ja im Hauptstrom des Denkens der Naturforschung, der Kosmologie heute, landet man fast notwendig beim Reduktionismus, bei dem, was Schopenhauer als ,absolute Physik‘ bezeichnet, also die Physik ohne eine Metaphysik, und, wie ich meine, auch ein für alle mal widerlegt hat.“ Und so weiter.

Also das ist ein wesentlicher erkenntnistheoretischer Ansatz, ohne den ich gar nicht arbeiten kann. Ich habe ja doch die Außenwelt zunächst einmal wirklich nur als diese Außenwelt. Ich habe ja auch jeden anderen Menschen zunächst einmal als den Anderen oder als die Anderen. Und ich muss, um seine Innenseite zu erschließen, ja das, was mir in die Wahrnehmung dringt, interpretieren. Ich muss es deuten. Ich habe ja keinen unmittelbaren Zugang, zunächst einmal, zu der Tiefe des Anderen, der Anderen und auch zur Tiefe der Welt. Aber durch mich selber habe ich diesen Zugang, weil ich bin ein integraler Teil dieses umfassend verstandenen Kosmos und folglich auch in der Lage, die Grundgesetze dieses Kosmos kraft dieser Innenschau und dieses von innen gespeisten Denkens zu erkennen. Das wollte ich Ihnen auf jeden Fall verdeutlichen, weil es wirklich ein Ausgangspunkt ist, eine Prämisse.

Ich sehe nicht oder habe bis zum heutigen Tage noch nicht sehen können, wie das widerlegbar sein soll. Ich habe jedenfalls bis heute noch keine wirklich stichhaltigen Argumente gehört, die in der Lage wären, diese Grundposition in irgendeiner Form zu widerlegen. Ich halte das für einen unabdingbaren Grundansatz.

Ich will auch ganz kurz eine Ergänzung bringen zur Lemniskate. Ich habe Ihnen ja am Beispiel der Lemniskate, der liegenden Acht, versucht, ein bisschen was vom Rhythmus zu erläutern. Und sie werden sich vielleicht erinnern, dass ich auch gesagt hatte, dass der Geist und der Bios nicht synchron gehen, dass häufig genug zu beobachten ist, dass der Geist sich erst dann entfaltet, wenn der Bios absinkt. Quasi durch Todes- und Abbau-Prozesse entfaltet sich der Geist. Das kann man auch mit dieser Lemniskate deutlich machen. [Erläutert das an anhand einer Zeichnung an der Tafel.] Nicht, das ist ja bekannt, dass der Höhepunkt des Bios nie einhergeht, nie synchron geht mit dem Höhepunkt des Logos, sondern dass eher in Todesprozessen Geist geboren (freigelegt) wird. Vielleicht ist das sogar der tiefste Sinn dieser Werde- und Vergehens-Prozesse der Natur, den Geist zu entbinden. Das wäre eine Antwort auf die Frage: Warum gibt es Vergänglichkeit? Das wäre auf jeden Fall eine Möglichkeit.

Dann hatte ich Ihnen, und da möchte ich anknüpfen, am Beispiel des von mir hochgeschätzten Naturphilosophen und Biologen Herbert Fritsche, 1911 bis 1960, anhand seines Buches „Der Erstgeborene“, eine andere Polarität zu verdeutlichen versucht, die auch mit diesem Thema zusammenhängt. Fritsche bezieht sich, wie Sie sich vielleicht erinnern, auf einen von dem Paläontologen Edgar Dacqué herausgestellten Begriff der sogenannten „Ursinnes-Sphäre“. Er meint damit eine magische Bewusstseinsschicht, wir würden vielleicht sagen: eine vor-mentale Bewusstseinsschicht. Und er sieht eine Grundpolarität zwischen dem wach-bewussten Geist, dem ichhaft fokussierten Geist und dieser Ursinnes-Sphäre, er übernimmt diesen Begriff. Und, ich will mal eine Passage, die ich letztes Mal nicht gebracht habe, hier vorlesen. Sie mögen bei der einen oder anderen Formulierung, die hier gewählt wird, vielleicht verwundert sein, weil das ist nicht die Sprache, die heute, sagen wir mal, der philosophical correctness entspricht. Das ist eine andere Sprache, das ist eine ganz eigene Sprache, beeinflusst von bestimmten Strömungen in der deutschen Geistesgeschichte, auch überhaupt in der abendländischen Philosophie, da ist Goethe-Einfluss drin, da ist auch ein Einfluss drin der Theosophie und anderer.

Fritsche war kein Anthroposoph, im Gegenteil, Fritsche war ein starker, prononcierter Gegner von Steiner. Er hat die Anthroposophie scharf abgelehnt, obwohl er in vielerlei Hinsicht auch Ähnlichkeiten hat in seinem Ansatz. Das hat jetzt zu tun mit der Frage Geist, Seele und Stoff. Ich zitiere das mal aus „Der Erstgeborene“, Herbert Fritzsche, Ausgabe 1948: „In tieferen Persönlichkeitsschichten wallt noch immer der frühe Mensch, der magische Mensch.“ Nicht, ungefähr in dieser Zeit hat der Jean Gebser auch seine Bewusstseins-Evolutionstheorie entwickelt, auch vom Archaischen, Magischen, Mythischen, Mentalen bis zum Aperspektivischen, Integralen, also, „in tieferen Persönlichkeitsschichten wallt noch immer der frühe Mensch, der magische Mensch. Wir wollen ihn den Blutmenschen im Gegensatz zum Hirnmenschen nennen. Im Daseinskampf des Alltags überblendet das Großhirn, das Spezialinstrument des Formenkreises Homo sapiens, den gewissermaßen unterirdisch lebenden Blutmenschen, der mehr oder weniger stumm in seinem hormonalen Medium atmet.“ Vielleicht das, was man heute verbindet mit dem limbischen System, mit dem Reptiliengehirn, mit gewissen Abstrichen könnte man das sagen. Es sind ja auch diese drei verschiedenen Gehirne, die im ständigen polaren Wettstreit miteinander liegen. „Wo das Großhirn noch nicht so eindeutig wirkungsmächtig ist wie beim weißhäutigen Homo faber, also bei den Naturvölkern vor allem, ist doch der Blutmensch noch wacher mit Totemismus, Ritual und magischem Weltbemächtigungs­drang, auch wo das Großhirn nachträglich Einbuße erleidet. Bei Neurosen, Psychosen und Prozessen paralytischer Natur kommt der magische Blutmensch zum Vorschein, diesmal jedoch verzerrt und zerfetzt. Die ordnende Kraft der hellen Hirnlichkeit, die Wachbewusstseinshelle wurde von der Krankheit weggenommen. Nun steigt als Chaos, als wüste Walpurgisnacht das befreite Schamanentum ursinnlicher und blutgebundener Mächte aus seinem Kerker und tritt die Herrschaft an, ungehemmt, zügellos, zerstörerisch.“ ‒ Das kann man übrigens im Nationalsozialismus beobachten, das ist zum Teil geschehen. Also dass eine gewisse Schicht sich vehement Bahn gebrochen hat gegen die integrale, gegen die steuernde und lenkende Funktion der Ichhaftigkeit des Menschen. Also ein Aufbrechen dieser vor-mentalen, magischen Schichten. Übrigens, auch zeitgleich ungefähr hat das Jung auf ganz andere Weise in der Archetypenlehre auch versucht darzustellen.

Und dann schreibt er hier noch an einer anderen Stelle: „Könnte nicht die magische Tiefenschicht der Persönlichkeit“, also diese vor-mentale Schicht, „der latent in uns lebendige Blutmensch mit der Potenzenfülle seiner Ursprungsnähe“, ‒ und jetzt beschreibt er seine Vision ‒ „auch einmal heraufgeholt werden in die Geisteswachheit, die uns das Instrument Hirn vermittelt, statt immer nur auf Kosten dieser Geisteswachheit, also gleichsam anarchisch in Erscheinung zu treten. Muss immer dieses klare Bewusstsein des Hirnmenschen, sei es durch Ermüdung, durch Rauschgifte oder durch Hormone, abgedunkelt sein, um den Magus walten zu lassen. Solange diese Abdunklung geschieht, ist der Blutmensch identisch mit dem Erbgedächtnis, in der Mneme lauernden Frühmenschen schamanischer Haltung. Vermag aber der Blutmensch den Hirnmenschen, ohne ihn zu verdrängen, zu durchdringen, so muss an Stelle des Frühmenschen der Zukunftsmensch, der Zielmensch in Erscheinung treten.“ Und dann hier der Versuch, eine Bewusstseinsform visionär darzustellen, die in der Lage ist, diese magisch-schamanischen Tiefenschichten in die ichhafte Klarheit zu überführen und integral zu verbinden. Das erinnert natürlich an Steiner. Also, nicht, die Trancehaftigkeit der Schau, nicht die trancemäßige Schau, sondern die wachbewusste, helle Zugangsweise zu diesen Schichten. Sozusagen das, was an sich dem klaren Bewusstsein sich entzieht, in die Klarheit des Bewusstseins zu überführen. Nicht, das gilt ja generell für die Betrachtung auch von Tieren und Pflanzen. Ich habe ja, glaube ich, das letzte Mal auch schon angedeutet, dass ich ja in dem Buch „Was die Erde will“ sogar gesagt habe, der Mensch müsste das unterichhafte kosmische Bewusstsein der Pflanzen in die Ichhaftigkeit überführen. Es wäre natürlich ein Bewusstseinsakt, dessen Realisierung im Moment gar nicht absehbar ist. Wie soll das gehen? Das würde eine ganz andere und neue, weitere transmentale und und integrale Bewusstseinsform beinhalten. Ich will einige Akzente zu setzen versuchen, nochmal darüber hinausgehen. Man kann ja das Verhältnis, die polare Spannung von Geist und Stoff, archetypisch oder idealtypisch gesehen, auf zweierlei Weise denken. Man kann sagen, das sind einfach zwei grundsätzlich verschiedene Entitäten der Welt. Der Stoff ist das eine, Materie, wie ich das ja gesagt habe am Beispiel von Newton, ‒ und die Kräfte-Welt oder die geistige Welt, das ist nicht unbedingt identisch, ist etwas ganz Anderes. Es gibt also sozusagen die materielle Welt und die immaterielle Welt als zwei auf ewig geschiedene Entitäten, die sich auf eine rätselhafte Weise durchdringen. Aber, man kann auch eine These vertreten, und sie wird viel vertreten, dass es quasi ein Kontinuum gibt in der Welt. Das ist ja eine sehr verbreitete These, dass es ein Kontinuum gibt von dem sogenannten Grobstofflichen, dem materiell Gröbsten, bis zum Feinsten. Dann wäre also der Geist nichts weiter als allerfeinste, allerfeinste Materie, also vom Groben zum Feinsten. Das kann man.

Diese letztere Position, die in gewisser Weise eine sehr simple ist, kann aber doch auch ausdifferenziert werden. Es gibt hochintelligente Formen, das auszudifferenzieren, vielfältigster Art. Ich habe hier gerade in meinen Papieren ein Zitat gefunden von Ernst Jünger, einem hochkarätigen Denker auch, der nicht nur als Schriftsteller bekannt [ist], der genau zu dieser Frage Stellung nimmt. Ich will das mal kurz vorlesen. Das hilft uns für den nächsten Schritt. Ernst Jünger, im vorigen Jahr im Alter von 103 Jahren gestorben, umstrittener Schriftsteller, aber einer der luzidesten Köpfe des 20. Jahrhunderts.

Ernst Jünger schreibt zu dieser Frage: „Die Physik, die zu so scharfsinnigen Gleichungen von Kraft und Stoff vorgedrungen ist, bedürfte der Ausdehnung in neue Dimensionen, um uns zu lehren, dass der Stoff gleichzeitig Geist ist und so gesehen nichts außerdem. Dass der Stoff gleichzeitig Geist ist und so gesehen nichts außerdem. Dort müssen die feinsten, die immateriellen Teilchen sein. Erst so erklärt sich die Macht der Phänomene, und zwar nicht nur der physikalischen, sondern auch der biologischen und moralischen, deren Ähnlichkeit (Analogie) auf eine unteilbare Einheit hinweist und deren Divergenz auf die perspektivische Beschränkung des exzentrisch gewordenen Beobachters.“ Kann man als eine monistische Position interpretieren, mit gewissen Abstrichen oder auch als eine in bestimmter Weise platonistische. Noch mal Jünger: „Das Vegetative ist schon in den Elementen. Das zeigen die Eisblumen. Die Eisblume ist nicht genetisch älter als die Rose. Sie ahmen beide ein verborgenes Vorbild nach. Auch im Kristall ist Leben. Der Baum des Lebens reicht mit seinen Wurzeln bis auf den Grund der Materie. Es gibt keine unbelebte Materie. Das Universum lebt. Was wir als Leben bezeichnen, ist eine kleine Insel, ein Riff im ewigen Meer. Wir wohnen an einem der kritischen Punkte des Weltalls, und wie bei kritischen Temperaturen Kristalle bald wachsen, bald verschmelzen, so leben und sterben wir. Der Tod ist eines unserer Phänomene, ein Aggregatzustand.“ ‒ Ich lasse das einfach mal so stehen. Das müsste man im Einzelnen interpretieren. Was meint Jünger damit? Wie wird das von ihm gedanklich ausdifferenziert? Es ist ja keineswegs so, dass Jünger hier ganz einfach so die von mir skizzierte Kontinuums­vorstellung vorstellt. Aber er sagt, im Grunde ist der Stoff immer notwendig Geist und der Stoff ist immer nicht nur Geist, ist auch gleichzeitig, nicht nur potenziell, sondern real Bios. Es gibt überhaupt keine in diesem Sinne anorganische Welt. Das ist eine These, die man zurückverfolgen kann bis auf romantische Positionen, etwa bei Schelling findet man diese These, auch bei Fechner und anderen Denkern. Also die Annahme, dass es im Grunde genommen gar nichts Anorganisches gibt. Was wir für das Anorganische halten, ist nichts weiter als eine sehr beschränkte Perspektive, weil wir abgeschnitten sind von dem All-Leben, von dem Jünger wie selbstverständlich ausgeht.

„Es gibt keine unbelebte Materie. Was wir als Leben bezeichnen, ist eine kleine Insel, ein Riff im ewigen Meer. Wir wohnen in einem der kritischen Orte des Weltalls, und wie bei kritischen Temperaturen Kristalle bald wachsen, bald verschmelzen, so leben und sterben wir. Auch im Kristall ist Leben.“

Das ist wichtig. Die Grundfrage. [Ich meine] Schelling hatte das ganz klar beantwortet. Organisches Leben aus der toten Materie sich entwickelt… , kann sich niemals aus der toten Materie entwickelt haben. Materie selber muss schon ideenträchtig, geistträchtig und in diesem Sinne selber schon organisch sein.

Dazu noch ein kurzes Zitat, was ich gefunden habe heute Mittag aus Papieren vom letzten Sommer, als ich an einem neuen Buch gearbeitet hatte. Das habe ich dann im Buch so selber nicht verwendet, aber ich lese es mal hier vor, weil es zum Thema gehört, noch mal zu Materie und Geist, zu dieser Frage wie sie auch Jünger hier andeutet und dann zu Hauschka, und zur Frage einer anderen Weise, Substanzen zu sehen, sozusagen eine qualitative, wenn man so will, eine organische Chemie zu entwickeln. Ich habe damals geschrieben, vor ungefähr einem Jahr: „Materie, das Anorganische überhaupt, kann nicht in einem absoluten Sinne tot sein, denn unverkennbar waltet in der Materie insgesamt ein medialer Logos, der überhaupt so etwas wie Ordnung ermöglicht, aus der auch die sogenannten Naturgesetze hervorgehen. Wenn die Physiker Trägheit als, so heißt es in vielen Physik-Lehrbüchern, Fühl-Organ für die Raumzeit-Metrik bezeichnen, Fühl-Organ für die Raumzeit-Metrik, dann ist allein diese gleichwohl nur als Metapher gemeinte Bezeichnung ein Indiz für eine eigene Wahrnehmung der Materie, und zwar eine Wahrnehmung, die in die Grundstruktur der Raumzeit-Ordnung des Universums hineinreicht. Wenn die Materie Naturgesetzen gehorcht, in Anführungszeichen, heißt dies zweierlei: Die Naturgesetze selbst sind Geist, nicht Materie. Sie sind ein eminent starker Geist, so stark, dass aller Widerstand dagegen (der Materie) zwecklos erscheint, ein allgegenwärtiges, allmächtiges Etwas. Die Materie gehorcht.“ Die Frage: Warum tut sie das? „Das heißt, sie registriert den allgegenwärtigen, quasi allmächtigen Logos und reagiert auf ihn als Ganzes. Sie ist nichts weiter als dieses Reagieren.“ Materie ist nichts weiter als das, quasi das Reagieren auf den allgegenwärtigen Logos, siehe Schopenhauer über Materie und Kausalität. „Der herkömmlichen Physik nach ist die Trägheit eine Eigenschaft der Materie, ein Attribut. Diese Eigenschaft soll ein Raum-Zeit-Fühl-Organ sein, das, befreit von allen Kräften, die ewige, geradlinig gleichförmige Bewegung ausführt, schnurgerade in die Ewigkeit, mit einem absoluten Feeling für den leeren, unbegrenzten Raum und für die Zeit, denn die Geschwindigkeit wird nicht verändert. Wie können die immateriellen, ewigen, unwandelbar als quasi göttlich vorgestellten Naturgesetze überhaupt Zugriff gewinnen auf die Materie? Sie können es nur über den Geist der Materie. Geist wirkt auf Geist, die Materie gehorcht den Naturgesetzen als Geist. Insofern wären auch Himmelskörper, die als mausetot eingestuft werden, Materieklumpen mit der Grundeigenschaft, auf den allgegenwärtigen medialen Logos reagieren zu können.“

Also auch ein Versuch, überhaupt verständlich zu machen, warum denn die sogenannte tote oder anorganische Materie überhaupt auf diese sogenannten Naturgesetze reagieren kann. Meine These hier: Sie kann es nur deswegen, weil eine Wahrnehmung vorliegt, wie die Gestirne sich als [Ganzes] nur nach bestimmten Gesetzen bewegen, weil eine quasi kosmische Wahrnehmung vorliegt, die wir nur nachzeichnen können, nicht, aus der Tiefe und von innen her verstehen können.

Nun zu diesem Versuch, Stoffe im Sinne einer organischen Form von Stoff-Lehre, Substanz-Lehre, Chemie zu verstehen. Der Chemiker Rudolf Hauschka hat in seinem exzellenten Buch „Substanz-Lehre“, das 1942 erschien, was immer wieder aufgelegt worden ist, das gibt es auch heute noch [beim] Vittorio Klostermann Verlag, den Versuch unternommen, dieser Frage sich in besonderer Weise zu nähern. Vorab gesagt seine Kernthese, die macht das Folgende deutlich: Er sagt, es gibt eigentlich keine für sich seienden Stoffe in dem üblichen Sinne, sondern Stoffe sind erstarrte Prozesse. Das ist ein wichtiger Punkt. Stoffe sind erstarrte Prozesse, und auch organische Formen sind nichts weiter als erstarrte, quasi versteinerte Prozesse. Das kann man sich mit einiger Phantasie, derer es dann ja auch bedarf, sehr leicht vorstellen, wenn man in einer gewissen meditativen Wachheit etwa Pflanzen-Betrachtungen macht oder sich Wurzelwerk anschaut oder Strukturen von Rinden oder ähnliche Betrachtungen [anstellt], dann kann man die Vorstellung in sich wachrufen, dass das quasi zum Stillstand gekommene, quasi versteinerte rhythmische Bewegungen sind, dass hier etwas gestoppt ist, wie festgefroren, wie erstarrt. Und das kann man dann auch bis in die Gesteine hinein verfolgen. Ganz bestimmte Eisenerze haben bestimmte Strukturen, wie festgefroren. Novalis sagt einmal in „Fragmente“: „Die Natur ist eine versteinerte Zauberstadt.“ Das ist ein wunderschöner Begriff, den man vertiefen kann, auch wie gesagt gedanklich, meditativ. Das kann man wirklich, man kann sich bis zu einem gewissen Grade in diese Wahrnehmung hineinbegeben. Es sind ja wirklich Prozesse. Ich meine, ein solches gewaltiges Baumwesen ist ja prozesshaft entstanden, ist ja wirklich aus dem ganz Kleinen so gewachsen, nur in einer ungeheuren Langsamkeit. Man kann sich das auch schneller vorstellen. Auch das übrigens findet man zum Teil bei Schelling, der immer wieder betont in seiner Naturphilosophie, dass Formen erstarrte Bewegung sind, also Formen sind erstarrte Bewegung. Er geht sogar so weit zu sagen: Es gibt gar keine starren Atome, sondern Atome sind eine erstarrte kosmische Bewegung. Einige haben gesagt, damit habe er wichtige Positionen der späteren energetischen Physik vorweggenommen. Das weiß ich nicht, ob man das so sagen kann. Auf jeden Fall ist es eine Möglichkeit.

Hauschka ist in dem Sinne kein Philosoph. Er beruft sich auf Experimente. Er hat selber in den 30er, 40er Jahren eine Fülle von Experimenten gemacht, um zu zeigen, dass diese Grundthese richtig ist. Er bezieht sich unter anderem auf legendäre Experimente, die von Herzele in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts gemacht worden sind. Er paraphrasiert das wie folgt. Es würde zu weit führen, diese Experimente von Herzele im Einzelnen mit Herzele selber darzustellen. Er bringt im Anhang dieses Buches die genaue Darstellung dieser Experimente. „Herzele veröffentlicht in dieser und den folgenden Schriften etwa 500 Analysen, 1875 bis 77, in dem Dreh, an denen er zeigt, dass der Mineralgehalt von Samen, Kalium, Magnesium, Phosphor, Kalzium und Schwefel beim Keimen in destilliertem Wasser ansteigt, also dass der Mineralgehalt von Samen beim Keimen in destilliertem Wasser ansteigt. Die Versuche wurden in Porzellanschalen ausgeführt, die zum Schutz gegen Staub mit einer Glasglocke auf Luftfilter abgedeckt waren. Entsprechend dem Gesetz von der Erhaltung des Stoffes sollte erwartet werden, dass die im destillierten Wasser wachsenden Pflanzen denselben Mineralgehalt aufweisen müssten wie die Samen, aus denen sie wachsen. Das müsste so sein. Aber Herzeles Analysen zeigen ein deutliches Anwachsen sowohl des Aschengehaltes als auch der einzelnen Aschenbestandteile, was erstaunlich ist, verblüffend eigentlich, [das] dürfte eigentlich nicht sein. In einer weiteren Versuchsreihe verwendet Herzele statt destilliertem Wassers Lösungen mit einem bestimmten Salzgehalt. Er findet zum Beispiel, dass Keimlinge, die in einer Lösung mit bekanntem Phosphorsäuregehalt wachsen, die Lösung an Phosphor ärmer machen, aber selbst an Phosphor nicht zunehmen, stattdessen aber einen erheblichen Zuwachs an Schwefel aufweisen. Es scheint, sagt Herzele, dass die Pflanze fähig ist, Phosphor in Schwefel zu verwandeln, wenn das auch gar nicht vorstellbar ist im Sinne der herkömmlichen Chemie, es kann eigentlich nicht sein. In derselben Weise findet er, dass der Phosphor in der Pflanze zunimmt, wenn sie an einer Nährlösung von Kalziumsalzen wächst und das Kalzium in der Pflanze zunimmt, wenn sie Magnesiumsalz-Nährlösung wächst. Für die Anreicherung des Magnesiums in der Pflanze schließlich, findet er die ….in der Kohlensäure.“ Jetzt werden hier Zahlen genannt, Wägeversuche sind sehr minutiös über viele Jahre hinweg vorgenommen worden.

Hauschka hat das zum Teil nachvollzogen. Die Pflanze scheint also fähig zu sein, Stoffe umzubilden, aber im Organischen sei ‒ Herzele ‒ überhaupt die Entstehung elementarer Stoffe ein alltäglicher Vorgang. Da liegt der Punkt, im Organischen gibt es die Möglichkeit, dass das sogenannte Anorganische entsteht, aus einem letztlich schwer begreifbaren Vorgang heraus. Er geht sogar so weit zu sagen, dass die aprioristische Entstehung eines toten Stoffes unmöglich ist. Zitat Herzele: „Das Lebendige stirbt, aber das Tote wird nicht geschaffen. Nicht der Boden bringt die Pflanze hervor, sondern die Pflanze den Boden.“ Hier zitiert er einen Philosophen namens Preuss, der mir nicht bekannt ist. Preuss äußert sich über diese Forschung folgendermaßen: „Mit seinen Versuchen hat von Herzele den Beweis handgreiflich geliefert, dass die Unveränderlichkeit der chemischen Elemente eine Fiktion ist, von der wir uns losmachen müssen, wenn wir in der Erkenntnis der Natur vorwärtskommen wollen.“

Dann hat Hauschka viele dieser Experimente nachvollzogen, hat sie verfeinert und hat über Jahre hinweg sogenannte Wägeversuche gemacht. „Als das Resultat eines Jahrzehnts eigener Forschungsarbeit des Verfassers muss gesagt werden“, schreibt hier Hauschka, berühmt ja mehr als durch dieses Buch, durch seine Ernährungslehre, „als das Resultat eines Jahrzehnts eigener Forschungsarbeit des Verfassers muss gesagt werden, dass Herzeles Behauptungen im Großen und Ganzen wissenschaftlich haltbar sind und keineswegs so phantastisch, wie sie im ersten Augenblick anmuten. Viele von Herzeles Versuchsreihen wurden nachgeprüft, und die von Herzele angegebenen Tatsachen fanden ihre Bestätigung. Eine Zunahme mineralischer Substanz konnte in vielen Fällen gefunden werden. Aber es muss doch etwas festgestellt werden, was in Herzeles Arbeit nirgends erwähnt ist. In manchen Fällen nämlich zeigte sich auch eine Abnahme von Mineral­substanz. Die Feststellungen Herzeles müssten demnach dahin erweitert werden“, jetzt kommt eine erstaunliche, zunächst einmal schwindelerregende Behauptung, „die Feststellungen Herzeles müssten demnach dahin erweitert werden, dass die Pflanze sowohl Substanz aus einer über-materiellen Sphäre erzeugt, als auch ihre Substanz unter Umständen wieder in einen unmateriellen Zustand überführt. Herzeles Arbeiten lassen übrigens auch die Frage offen, ob wirklich eine originäre Bildung von Materie stattfindet oder ob lediglich eine Stoffverwandlung aus Kohlensäure und Stickstoff in die mineralischen Bestandteile der Pflanze angenommen werden muss. Die eigenen Forschungen haben nun ergeben, dass tatsächlich eine schöpferische Neubildung von Materie in Frage kommt.“ Jetzt beschreibt er seine eigenen Versuche. Die Interesse haben an dem Detail dieser Versuche, mögen da vielleicht eine besondere Aufmerksamkeit walten lassen. Das ist also nicht einfach spekulativ denkend erschlossen. „Die eigenen Keimversuche wurden nun nicht mehr in offenen Schalen ausgeführt, sondern in luftdicht verschlossenen Gläsern, später in [zu]geschmolzenen Ampullen, in die also weder Kohlendioxid noch Stickstoff noch sonst ein stoffliches Agens eindringen oder entweichen kann. Die Gläser bzw. Ampullen wurden nunmehr auf einer Analysenwaage beobachtet. Wenn es richtig ist, dass die Pflanze Materie bildet“, das war seine Prämisse, die hat er erst einmal abgeleitet von Herzeles Versuchen, „dann müsste erwartet werden, dass das Gefäß mit den Keimlingen schwerer wird, denn Materie hat Gewicht. Wenn es andererseits richtig ist, dass in der Pflanze Materie auch vergeht, dann müsste das Glas mit dem Pflänzchen leichter werden. Obwohl beabsichtigt ist, die genaue Versuchsanordnung und alle Einzelheiten der Ergebnisse in Kürze zu veröffentlichen, soll nachstehend eine vorläufige Mitteilung erfolgen.“

Jetzt stellt er im Einzelnen seine Wägeversuche dar. Er stellt dar, dass das im rhythmischen Wechsel passiert, in strenger Abhängigkeit zum Neumond und zum Vollmond, warum auch immer. Das mag damit zusammenhängen, sage ich mal mit einiger Vorsicht, dass möglicherweise auch über Vollmond und Neumond sich die gravitativen Bedingungen ändern. Es ist ja bekannt, dass etwa der Schlaf im besonderen Grade gestört wird bei Vollmond. Nicht, das ist eine im Übrigen nicht geklärte, medizinisch-physiologisch nicht geklärte Geschichte. Ich habe ja letztes Mal Ihnen auch versucht zu erläutern, dass man das Phänomen des nächtlichen Schlafes auf eine neue Weise erklären kann, was ungeklärt ist. Kein Mediziner dieser Erde kann wirklich klar angeben, warum der Mensch nachts eigentlich schläft, was der tiefe Grund dieses Schlafes ist. Das ist letztlich eine vollkommen offene Frage. Es könnte also damit zusammenhängen, dass tatsächlich mit ganz feinen Differenzierungen, unter anderem damit, in den jeweils gravitativen Verhältnissen. Das müsste übrigens sogar im Sinne der herkömmlichen Naturwissenschaft so sein. Denn selbst im Sinne der herkömmlichen Naturwissenschaft ist es ja so, dass auch bei Gezeiten-Effekten nur 60 Prozent dem Mond zugeschrieben werden, aber 40 Prozent der Sonne. Dann müsste es eigentlich so sein, dass am Tage tatsächlich der Körper etwas leichter ist als in der Nacht.

Also, er stellt hier eine ganze Reihe von Versuchen minutiös dar und kommt dann zu folgendem Resümee. Also ich kann ihnen das dringend empfehlen, wenn sie das interessiert, diese Sachen nachzulesen. Das Buch ist noch erhältlich. Das ist also ein geistiges Abenteuer, das im Einzelnen hier auch nachzuvollziehen.

„Das auffallende Abklingen der Kurven nach den großen Ausschlägen des Jahres 1934 kann in diesem Rahmen nicht näher erläutert werden. Es ist aber augenscheinlich, dass ebenso wie der Sonnenrhythmus, dem Mondenrhythmus übergeordnet ist, jener durch einen noch größeren Rhythmus umfasst ist.“ Darauf will er ohnehin hinaus, dass alle kleineren Rhythmen letztlich abhängig von größeren kosmischen Rhythmen sind. „Beim Studium der Pflanze berühren wir eine Sphäre, wo die Prozesse sich von mechanischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten emanzipieren und sich anderen kosmischen Einwirkungen und Gesetzmäßigkeiten öffnen.“ Denken Sie an das, was ich mehrfach gesagt habe über die Möglichkeit anzunehmen, dass es einen quasi anderen Raum gibt, der diesen antigravitativen Effekt hat. Ein Raum, in dem im Letzten das Licht angesiedelt ist, wenn das Wort „angesiedelt“ überhaupt richtig ist. Da sind extrem subtile Fragen, die aber der Durcharbeitung bedürfen. Ich arbeite seit Jahren an diesem Thema, und es ist unerschöpflich. Ich will versuchen also auch im Wintersemester noch einiges dazu zu sagen.

„Das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes ist nur gültig innerhalb bestimmter Grenzen in der mineralischen Natur, jedenfalls aber nicht ohne Weiteres im Bereich des Lebendigen. Wir sind daher nicht berechtigt“ ‒ jetzt kommt seine eigentliche Pointe Stoff, Geist ‒ „wir sind daher nicht berechtigt, die jetzige Daseinsform des Stoffes weder in die Unendlichkeit der Vergangenheit und der Zukunft noch in die Unendlichkeit des Raumes zu projizieren.“ Also Materie, wie wir sie jetzt und hier wahrnehmen, war nicht immer so, wird nicht immer so sein, ist eine bestimmte Momentaufnahme eines großen kosmisch-rhythmischen Prozesses. „Wir haben vielmehr alle Ursache, anzunehmen, dass die Materie erst als Niederschlag des Lebens entstanden ist.“ Also das kehrt die normale Argumentation vollkommen [um] und stellt sie geradezu auf den Kopf.

Also das Leben ist älter als die Materie, im ersten Augenblick und im ersten Moment und aus den herkömmlichen Vorstellungen der Evolutionslehre heraus ist das absurd. „Kann nicht Leben gewesen sein, bevor noch Materie existierte, Leben als Ergebnis eines schon vorher vorhandenen geistigen Kosmos? Scheint es nicht notwendig, dem Dogma von der Präexistenz der Materie endlich die Idee von der Präexistenz des Geistes entgegenzustellen?“ ‒ Also, eine vollkommene Umkehr des sogenannten normalen materialistischen Ansatzes.

Er versucht mit vielen guten Argumenten plausibel zu machen, dass Stoff, wie ich es schon vorhin gesagt hab, eine Art festgefrorene, eine zum Stillstand, zur Erstarrung gekommene Form rhythmischer Prozesse ist, die gleichzeitig Geist-Prozesse sind. Also ein Impulsieren der Materie mit dem Ziele der Erschaffung von lebendiger Existenz. Noch ein zweites kurzes Zitat von Hauschka aus dem Mittelteil des Buches: „Nachdem was in den früheren Abschnitten darzustellen versucht wurde, ist der Stoff, also die Materie, die chemischen Stoffe, nichts anderes als eine fixierte Daseinsstufe makrokosmischer Prozesse. Was wir auf Erden Stoff nennen, ist Welten-Prozess in erstarrter fixierter Form. Irdische Stofflichkeit und Weltenwesen“ ‒ jetzt eher ein anthroposophisch klingender Begriff ‒ „sind zwei Pole, zwischen denen sich [in] unendlichen Stufen das Natur-Dasein ausbreitet. Die Pflanze ist selbst zwischen diese beiden Polaritäten eingegliedert in unzähligen Metamorphosen der Gestalt und des Stoffes, in Rhythmen von Zusammenziehung und Ausdehnung, von Involution und Evolution, von Wesen und Erscheinung, ist das Pflanzen-Dasein ein lebendiges Glied im Welt-Organismus. Es wurde anhand von Versuchen gezeigt, wie in kosmischen Rhythmen Substanz entsteht und vergeht. Aus den Kurven ergibt sich ein rhythmischer Wechsel fortwährenden Verdichtens aus unmateriellen Daseins-Stufen in die Stofflichkeit und Wieder-Ausdehnung dieser ins Imponderable. Ebenso wie es Goethe von der Pflanze schildert, können wir auch für jeden einzelnen Stoff, jeden einzelnen Stoff, ein Wesen, eine makroskopische Idee annehmen, die in Rhythmen und vielfachen Metamorphosen schließlich zu dem wird, was wir Stoff nennen. Und ebenso wie die Pflanze gegen den Herbst hin verdorrt und schließlich physisch fast ganz verschwindet, während ihr Wesen sich wieder in die Weltenweiten zurückzieht, so kann auch der fixierte Stoff sich wieder in Rhythmen in sein prozessuales Wesen auflösen.“ ‒

Also eine sehr weitgehende These, die hier auch differenziert begründet wird. Der Versuch nämlich, zu zeigen, dass diese kosmischen Rhythmen letztlich das Primäre sind, und dass die materielle Form, der Stoff, letztlich eine bestimmte Erstarrungsform ist, auch eines zutiefst geistigen Prozesses, letztlich auch gar nicht zu trennen ist davon. Es wird, wird ja bei einigen in dieser Geistesströmung dann so weit geführt, die sagen dann: Es gibt überhaupt keinen Stoff in diesem Sinne, keinen unveränderbaren Stoff im Sinne der herkömmlichen Naturwissenschaft.

Auch hier natürlich ist der Versuch gemacht, letztlich den Stoff als Geist zu erweisen, aber auf eine andere Art als im Sinne dieses Kontinuums von feinstofflich zu grobstofflich. Hier heißt es zum Beispiel: „Nach seiner Auffassung“, [hier] bezieht er sich auf einen Anhänger Goethes, „ist Stoff nichts anderes als Geist auf einer tieferen Seins-Ebene“. Das würde ja dann auch in der Konsequenz dieser Überlegung einfach liegen. Wenn man das so sieht, dann kann man wirklich begreifen, dann hat man einen ganz anderen Zugang, dann kann man auch neu, und das versucht Hauschka, finde ich hochspannend, obwohl ich in vielen Punkten nicht folgen kann, ich kann intellektuell folgen, aber ich kann nicht in allen seinen Argumenten mitgehen, dann kann man auch feststellen, wie man eine ganz andere Form von Stoff-Lehre, eben Substanz-Lehre, wie es heißt, entwickeln kann. Dann kann man den Stoffen ganz bestimmte kosmische Qualitäten zuordnen.

Ich habe Ihnen das ja am Beispiel des Stickstoffes schon gesagt. Der Stickstoff dann eben als eine Art Luft-Stoff oder Bewegungs-Stoff, als ein Vehikel. Das zeigt er auch etwa am Wasserstoff, den er als Feuer-Stoff bezeichnet. Der Wasserstoff ist ja eine eher willkürliche Bezeichnung glaube ich, auf Lavoisier zurückgehend. Er benennt ihn als Feuer-Stoff und so weiter. Ich werde, was diesen Punkt betrifft, auch noch bei den Elementen auf diese Fragen zu sprechen kommen. Man kriegt dann einen ganz anderen Blick, wenn man sich überhaupt mal dieser Betrachtungsweise widmet, auf Gestalten, auf Physiognomien der Natur. Man kann auch Gesteinsformationen dann etwa betrachten, was sind hier für Strukturelemente, ist es eher radial, zentral, sind es Spiralformationen, wie haben sich diese möglicherweise gebildet? Dann hat man einen Ansatzpunkt, wie man tatsächlich diese signatura rerum, wie das Paracelsus genannt hat, auf eine neue Weise anschauen kann. Das setzt allerdings dann immer einen bestimmten Forscher voraus, der überhaupt die Offenheit dazu aufbringt. Das verlangt von dem Naturforscher, Naturphilosophen, Naturdenker, wie immer, dass sich… [er] eine bestimmte Art der geistigen Sensibilität und Wachheit [aufbringt]. Er kann es nicht als ein Unveränderter und einfach so, wie er ist, machen. Insofern ist er nicht in diesem klassischen Sinne austauschbar, im Sinne der Lehrbücher, man mache dies, man mache jenes, dieses anonyme „man“, das jeder sein kann. Jeder, der richtig rechnet, jeder, der richtig experimentiert, kommt zu den gleichen Ergebnissen. Also hier wird der Mensch, die Fähigkeit des Menschen zum physiognomischen Blick, ein Teil dieser eher morphologischen, physiognomischen Naturwissenschaft. Das finde ich also wirklich hochinteressant.

Man müsste wahrscheinlich diese ganzen Elemente, die Hauschka in seinem faszinierenden Buch bringt, noch mal neu aufgreifen und durchdenken. Das ist bisher kaum geschehen. Das ist schade. Er selber hat auch in späteren Auflagen das so stehen lassen. Das ist immer noch der Text von 1942, und das war die Nazizeit, und er durfte viele Bezugnahmen nicht so deutlich ausdrücken, wie er es gerne gewollt hätte. Er musste das sozusagen verborgen halten, aber der Text blieb so, wie er war.

Also, man hat hier eine interessante Möglichkeit, tatsächlich einen Blick zu entwickeln, der von dem Forschersubjekt viel abverlangt. Es ist ja auch eine Frage, die ja, Heiko Lassek weiß das besser als ich, im Zusammenhang mit Wilhelm Reich immer wieder relevant ist. Da ist [es] eben nicht so, dass der Einzelne als ein beliebiges anonymes „man“ zu diesen Resultaten immer kommen kann. Er ist immer als die gesamte, lebendige, seelisch- geistig-leibliche Person anwesend. Und das macht natürlich die Nachprüfbarkeit, die Verifizierbarkeit, sehr schwierig. Natürlich kann man die Versuche von Hauschka genauso nachvollziehen. Ich weiß nicht, was man heraus bekäme, wenn man das genau macht. Man könnte sich ja tatsächlich der Mühe unterziehen und das dann über Monate und Jahre machen. Ich weiß nicht, ob das geschehen ist, ob das jemand getan hat. Auf jeden Fall, es bleibt eigenartig, dass da offenbar tatsächlich Materie in einem rhythmischen Wechsel entsteht und vergeht. Das ist letztlich im Sinne der modernen Physik oder Chemie nicht zu verstehen. Es scheint aber ganz gut objektivierbar zu sein, sofern diese Messergebnisse herangezogen werden. Also das bleibt auf jeden Fall offen. Es zeigt aber, welche Möglichkeiten da bestehen.

Ich will, weil wir noch ein bisschen ins Gespräch kommen wollen, jetzt mal versuchen, unter Weglassung der vielen anderen Punkte, die ich auch noch heute Abend bringen wollte, aber nun nicht mehr schaffe, versuchen, eine Art Resümee zu finden.

Ich halte den von mir dargestellten erkenntnistheoretischen Grundansatz für unabdingbar. Ich habe, ich sage es noch mal, ich habe bis heute noch nicht sehen können, wie er ernsthaft widerlegt werden kann. Wenn einer von Ihnen meint, das widerlegen zu können, könnte er es gerne versuchen. Ich meine, es ist nicht widerlegbar, dieser Grundansatz. Wenn man diesen Grundansatz nicht für richtig hält, dann muss man auf andere Weise verdeutlichen, wie Erkenntnis überhaupt möglich sein soll. Nicht, das ist dann schwierig, wie man dann überhaupt aus dem Irrgarten, aus dem „Projektions­kabinett“ herauskommen will, das wird dann sehr schwierig. Und ich meine, dass man immer, bei all diesen Beobachtungen und Deutungen vom lebendigen Einzelnen ausgehen muss. Und das ist die große Botschaft im ausgehenden Jahrhundert, das noch mal neu aufzugreifen. Deswegen ist ein Mann wie Goethe so wichtig, in anderer Form auch Reich und andere. Deswegen sind die so wichtig, weil sie genau das versuchen, dass der Einzelne wirklich als in seiner lebendigen Ganzheit und Subjektivität, als integraler Teil dieses Prozesses mit ins Spiel kommt und nicht als ein abgekoppeltes, abgespaltenes, neurotisches Individuum, was eben zum Broterwerb im Laboratorium arbeitet, zählt und misst und rechnet. Da ist ein fundamentaler Unterschied und eine in diesem Sinne naturgemäße Form wäre auch eine wirklich menschengemäße.

Da glaube ich, dass sich da Naturgemäßheit und Menschengemäßheit überschneiden und das dann auch letztlich nur eine wirklich vertiefte Anthropologie in der Lage ist, eine neue Kosmologie entstehen zu lassen, die mehr ist als nur eine Konstruktion der Messergebnisse, ein Zusammenschauen und Ins-abstrakte-Bild-Setzen, wie das ja gemeinhin geschieht. Also das ist eine große Chance, meine ich mal, das neu zu betrachten. Und ich will versuchen, das in der nächsten Vorlesung dann am Beispiel der Farbe zu zeigen, die ja ein Schlüsselphänomen ist, weil ja die Farbe gerade nicht objektivierbar ist. Die Farbe ist ja als solche nicht ablösbar von dem, der sie sieht. Eine Farbe gibt es halt in diesem Sinne nicht ohne einen Menschen, der sie als solche wahrnimmt. Da ist von vornherein die enge Verbindung gegeben. Das wusste Goethe, das hat er versucht auszuarbeiten, und das war einer der Gründe für seine rabiate, polemisch scharfe, manchmal überspitzte, ja fast manchmal hysterische Art der Argumentation gegen Newton. Über viele Seiten wird ja eine ganze Kanonade von schmähenden Etiketten gegen Newton vorgetragen. Und das muss man auch in diesem Kontext dann sehen. Es ist nicht einfach die Polemik eines Mannes, der Schaum vor dem Mund hatte, weil einer eine andere Grundüberzeugung von Natur hatte, sondern Goethe glaubte darin eine Grundspaltung zu sehen, eine fatale Weichenstellung. Und ich finde, dass wir heute gute Gründe haben, da anzuknüpfen, ohne dass wir in irgendeiner Form eines dieser Denkergebnisse einfach so übernehmen können. Das können wir übrigens auch beim Hauschka nicht. Also das müsste man wirklich noch mal sehr genau angucken und vielleicht sogar diese Versuche noch mal alle machen und die Schlussfolgerungen nachzuvollziehen versuchen. Sind sie haltbar? Sind sie nicht haltbar? Wie sähe das heute aus? Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass es geschehen ist. Mag sein, dass es Einzelne gibt, die das gemacht haben. Ich weiß es nicht. Gut, es ist gerade acht. Wir können den Schnitt hier erst mal machen.

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Polarität II – Rhythmus und Werdeprozesse

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 18

Transkript als PDF:


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Wer bestimmte Reizbegriffe hört, das wissen wir alle, der neigt dazu, sofort eine Einordnung vorzunehmen, wenn er den Begriff „Äther“ hört, beispielsweise, ist für viele sofort der Gedanke da, dass ist irgendwie okkult, esoterisch, theosophisch oder anthroposophisch, jetzt mal bezogen auf die eher spirituelle Ätherfrage, nicht die naturwissenschaftliche Ätherfrage. Also wir sind hier in einem sehr schwierigen Feld, und ich will versuchen trotz alledem und allen Missverständnissen entgegen, die hier notwendig drinliegen, das weiterführen. Also die Frage einer naturphilosophischen Anthropologie.

Ich habe das vor 14 Tagen ja an drei Komponenten gezeigt. Ich will das noch einmal ganz kurz sagen und das in Erinnerung rufen. Letztes Mal hatten wir ja einen Gast. Es war ja ein bisschen anderes Thema. Ich habe das gezeigt an dem Phänomen der Polarität überhaupt. Ich habe versucht, Polarität zu definieren, was schwierig ist, fast unmöglich. An einigen Zitaten ist das vielleicht doch deutlich geworden. Ich will noch mal sagen: Die Polarität ist ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Polen, wobei der eine Pol in gewisser Weise den anderen Pol bedingt, ergänzt, ja geradezu setzt. Also der eine Pol wird durch den jeweils anderen bedingt. Wenn man das Moment der Bewegung hier noch einbezieht, dann kommt man auf einen Begriff, der das letzte Mal ja auch von einem von Ihnen genannt worden ist, auf den Begriff der Dialektik, also das Spannungsverhältnis zweier Pole, die vielfältig miteinander wechselwirken.

Dann habe ich Ihnen das gezeigt oder zu zeigen versucht, an einem Buch, an einem zeitgenössischen Philosophen, Peter Sloterdijk, „Sphären I – Blasen“, der, ohne dass er diese Begriffe benutzt, die ich hier verwende, doch auf eine merkwürdige Weise in eine ähnliche Grundrichtung gerät oder von einer ähnlichen Grundrichtung ausgeht. Er versucht eine Art von hoch ausdifferenzierter, hoch intellektueller Neo-Gnosis. Nicht, sein Thema, ich darf das noch einmal kurz erwähnen, ist ja der Verlust der Plazenta, also des Mutterkuchens, der seit ungefähr 200 Jahren als Abfall entsorgt wird, während er in früheren Zeiten und Kulturen in vielfältigster Weise medizinisch, rituell und in anderen Kontexten verwendet wurde. Und er sieht darin einen entscheidenden Punkt in der Konstituierung des neuzeitlichen Individuums, das sich jetzt versteht als eine, wie ich das dann gerne nenne, kosmos- und seinsblinde Monade, also als eine isolierte Entität ohne den Anderen, das Andere, die Andere. Und so ist ja der neuzeitliche Subjektivitätsbegriff immer dadurch bestimmt worden bis in die Frage des Naturrechts hinein, der Einzelne ist eben der Einzelne, auch der Ein-Zell-ne, mit einem Bindestrich und Doppel-l, also der Einzelne in seiner Zelle. So kann Sloterdijk mit einigem Recht auch sprechen von der „lebenslangen Einzelhaft“, die im modernen Individualismus vorliegt.

Dann habe ich in einem dritten Schritt, und da will ich anknüpfen, versucht zu zeigen, dass man die menschliche Gestalt polar denken kann, dass es eine Form von, sagen wir mal, „polarer Anthropologie“ geben kann, die von der Leibesgestalt ausgeht. Also, der Versuch ist gemacht worden, und das will ich weiterführen, die Gestalt des menschlichen Leibes, um jetzt nicht des Körpers zu sagen, zu befragen, philosophisch zu befragen im Hinblick auf ihren, sagen wir mal, real symbolischen oder physiognomischen Gehalt. Das ist nicht, sagen wir mal, mainstream-mäßig, das ist …, wird gemeinhin nicht gemacht. Also die Frage, ob die menschliche Gestalt in ihrer spezifischen aufgerichteten Form, unten die Erde, oben der Kosmos, die Sphären, wie immer, ob wir aus dieser Architektur gewissermaßen der lebendig aufgerichteten Gestalt des Menschen Rückschlüsse ziehen können auf anthropologische Grundfragen. Und das hat auch zu tun dann mit bestimmten Wertungen, die hier explizit oder implizit auch ins Spiel kommen.

Sie werden sich erinnern, dass ich den fast vollkommen vergessenen Biologen und Naturphilosophen Herbert Fritsche herangezogen habe und sein exzellentes Buch „Der Erstgeborene“. Die Frage kam auf, gibt es das Buch noch? Ja, es gibt es noch, in einem eher kleinen, abgelegenen Verlag, aber ist beliebig bestellbar. Das Buch ist also noch erhältlich. „Der Erstgeborene ‒ ein Bild des Menschen“, eines der wirklich wichtigen, um nicht zu sagen grundlegenden, fundamentalen Bücher zur naturphilosophischen Anthropologie, in den 40er Jahren geschrieben. Ich habe hier eine Ausgabe von 1948, und ich darf noch einmal eine Stelle hier kurz vorlesen, die ins Zentrum der Frage führt. Man kann jetzt die eine oder andere Art der Formulierung auf sich beruhen lassen. Man könnte sie gleichsam übersetzen in einer andere, eine modernere Sprache. Das will ich jetzt im Moment nicht machen. Ich lese nur noch einmal diese eine Stelle hier vor.

Aus dem Buch „Der Erstgeborene“ in dem Kapitel „Polare Anthropologie“, Herbert Fritsche: „Ist das Zentralnervensystem, ist das Gehirn auch bei den Tieren etwas Individualisierendes, so wird es beim Menschen zum Organ des Logos.“ Logos ganz allgemein bei ihm Geist, Bewusstsein, nicht scharf geschieden von Seele und Bewusstsein. „Das Ich-Bewusstsein des Menschen ist das Resultat der Hinwanderung von Nervenzentren zum Kopfende. Nur beim Menschen hat die Natur dieses Resultat erreicht, während in der Tierheit das Ich niemals zu individueller Bewusstheit gelangt. Die Wanderung der nervösen Substanz und ihrer höchsten Funktionen zum Hirnpol brachte das Instrument zustande, auf dem der Geist zu spielen vermag.“ Zitat jetzt Goethe: „ ,Freu Dich, höchstes Geschöpf der Natur, Du fühlest Dich fähig, ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich aufschwang, nachzudenken.‘ Auch innerhalb der Hirnentwicklung selbst setzt die Wanderung der wesentlichen und wertvollsten Elemente zum vordersten, äußersten Körper-Ende hin fort, setzt sich fort. Alte Hirnabschnitte werden von jüngeren überlagert und herabgedrängt im anatomischen sowohl als auch im funktionellen Sinne.“

Er bezieht sich an dieser Stelle hier auf etwas, was erst in späterer Zeit in der Neurophysiologie-Gehirnforschung erforscht worden ist, auf die Polarität von Neocortex, Großhirnrinde und dem sogenannten limbischen System bzw. noch darunter dem sogenannten Reptilienhirn. Wir haben ja, wie uns die Neurophysiologen versichern, das können wir bis zu einem gewissen Grade auch so hinnehmen, quasi drei Gehirne, die ständig im Kampf miteinander liegen. Wir haben eben auch das Reptiliengehirn, ein Stück weit ist jeder von uns auch eben einfach ein Krokodil, quasi. Und das limbische System soll also die emotionalen, die sexuellen, die aggressiven Instinkte steuern. Insofern also auch ein Gegenpol zum Ich und Individualitätspol des Neokortex. „Alte Hirnabschnitte werden von jüngeren überlagert und herabgedrängt, herabgedrängt im anatomischen sowohl als auch im funktionellen Sinne. Die einst außen, oben gelegene Ursinnes-Sphäre“, das muss ich gleich erklären, „die das Tor zur Welt darstellte, sank zu nur noch hormonaler Bedeutsamkeit ab, während die Hirnrinde die Führung übernahm.“

Ursinnes-Sphäre war ein in der Anthropologie und damaligen Evolutionsforschung der 20er und 30er Jahre von dem Anthropologen, Paläontologen Edgar Dacqué eingeführter Begriff: Ursinnes-Sphäre. Damit war gemeint, dass das, was man heute eher dem limbischen System und dem Reptilienhirn zuspricht, ursprünglich vor der Herauskristallisierung und Herausdifferenzierung des Neokortex, eine Art Sinnessphäre war, eine ganz andere Form von Sinneswahrnehmung, als wir sie heute kennen. Das war damals sehr populär, hatte eine ungeheure Verbreitung, Edgar Dacqué, auch ein Name, den heute kaum einer mehr kennt, damals jedenfalls ein sehr bedeutender Anthropologe. Die Bücher sind fast alle vergriffen und wie gesagt, werden kaum gelesen auch.

„Also die einst außen-oben gelegene Ursinnes-Sphäre, die das Tor zur Welt darstellte, sank zur noch hormonalen Bedeutsamkeit ab, während die Hirnrinde die Führung übernahm. Von hier her ist der Mensch mehr als Bios. Mit ihr dringt er ins Geistgebiet vor. Ihre Prozesse können selbst spiritualisiert werden und lassen dann den Menschen wahrhaft im Ich beheimatet sein. Auf dieser Grundlage erst entfaltet sich freier Geist, wahre Individualität.“ Und jetzt das, was ich das letzte Mal auch schon zitiert habe. Ich will es als Anknüpfung benutzen. „Der Mensch ist leiblich ein Kind. Organ-Primitivismen kennzeichnen ihn. Er ist ein ursprungnahes Geschöpf unter den Säugern. Hirnlich aber ist er ein Spitzenprodukt, im wortwörtlichen, auch im leiblichen Sinne. Der Mensch hat sich unter den Geschöpfen, am wenigsten im Bios breitgemacht. Er ist seinem Wesen nach ein starker Geist in einem schwachen Leibe. Leiblich vermag er mit der Tierheit nicht zu konkurrieren. Aber er hat sich der Signatur des Tierheitlichen, der Horizontale entrissen, und damit ist die Wanderung der Nervenzentren zum Schädel hin nicht nur eine Wanderung nach vorn, sondern auch eine nach oben.“

Also, die Aufrichtung, der aufrechte Gang, der ja ein ganz wesentliches Moment des Menschseins bedeutet, wird hier auch als eine anthropologische Größe gesehen, die zu tun hat damit, dass der Mensch nun einen Individualitätspol, einen Ich-Pol, in gewisser Weise einen Geist- und Freiheits-Pol sammeln, konzentrieren, fokussieren kann, der ihn über jeden nur denkbaren Bios hinaushebt. Der Mensch ist immer in diesem Sinne das meta-biologische Wesen. Das macht seine Tragik und seine Größe auch aus. Das kann man ja auch zeigen, etwa an dem Umstand, dass die Tiere Spezialisten sind in allem, was sie tun, während der Mensch Generalist oder Universalist ist. Nur als Spezialist wäre er eher eine Kümmerform des im Tier versammelten Bios. Also das zuvor, daran möchte ich anknüpfen.

Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist ja die polare Struktur von Kopf, Ichheit und Körper schon in der Alltagssprache, das sollte eigentlich aufmerken lassen, wird häufig, nicht immer, geschieden von Kopf und geschieden Körper und Kopf: Dein Kopf, leg doch mal deinen Kopf dahin und deinen Körper so. ‒ In einem gewissen Sinne wird der Körper vom Kopf getrennt. Der Kopf gilt als nicht vollständig zugehörig zum Körper, was eigenartig ist, aber in der Normalsprachlichkeit auch sehr signifikant. Die Absenkung der Keimdrüsen, auf die sich auch Herbert Fritzsche bezieht im Laufe der Stammesentwicklung, die Absenkung der Sexualpols, in polarer Spannung zum Ich und Individualitätspol, hat auch zu tun etwa mit dem Schamgefühl.

Es ist ja eine schwierige, anthropologisch schwer zu entscheidende Frage: Wie kommt die menschliche Genitalscham überhaupt zustande? Es ist immer wieder gesagt worden, diese Genitalscham ist letztlich ein kulturelles Erzeugnis, es ist ein Produkt einer bestimmten kulturellen Entwicklung, aber nicht eine anthropologische Konstante. Nun hat der vielleicht bedeutendste lebende Anthropologe, nämlich Hans-Peter Dürr, Professor seit einigen Jahren in Bremen, versucht, das Gegenteil zu zeigen. Nicht, in seiner berühmten Kontroverse mit Norbert Elias „Prozess der Zivilisation“. Er hat nämlich gezeigt, dass das Schamgefühl, die Genitalscham eine anthropologische Konstante ist, die sich in allen bekannten Kulturen zeigt, und, das habe ich vor Jahren schon mal in einem ganz anderen Kontext angeführt, dass die viel gepriesene Unbekümmertheit, Freizügigkeit, ja Naivität im Nacktsein, in vielen sogenannten naturnahen Völkern, dem außenstehenden Betrachter ein vollkommen falsches Bild vermittelt. Denn Nacktsein ist nicht wirklich nackt sein. Sondern es gibt eine bestimmte Tabuierung des Anblickens dieser Nacktheit. Insofern muss man da sehr genau hingucken, dass man da nicht einer vollkommen schiefen und voreiligen Interpretation aufsitzt.

Ich darf noch einmal erinnern, ich war mit Hans-Peter Dürr vor vielen Jahren auf einem Kongress in Bombay. Da sprach eine Inderin enthusiasmiert über ihre Erfahrungen mit dem Tanz auf der Bühne. Und dann sagte sie: Ja, ich, ich weiß gar nicht, warum nicht der Mensch, frei und nackt, wie er doch eigentlich da ist und geschaffen ist, auf der Erde entlang läuft. ‒ Worauf Hans-Peter Dürr sich meldete und sehr scharf und polemisch das als New-Age-Quatsch zurückwies. Das Schamgefühl sei eine anthropologische Konstante, und es sei eben gerade nicht so, wie [es] häufig gesehen wird, dass im Zuge eines Zivilisationsprozesses dieses Schamgefühl entstand sei, im Gegenteil: Da ist [es] eher aufgelöst worden. Das heißt, die, sage ich mal, Schamlosigkeit in diesem Sinne ist eher ein sehr spätes Produkt. Und es ist ja interessant und sehr heikel, weil, man ist bei dem Punkt sofort in einem extrem schwierigen, heiklen Gebiet. Im Englischen heißen die Geschlechtsteile ‚private parts‘, die privaten Teile, während sie doch eigentlich genau der Pol im Menschen sind, die das am wenigsten Private ausmachen, das ist doch eher das Allgemeine. Das heißt, die ‚private parts‘ sind im Grunde allgemein, während das ganz Spezifische, das Physiognomische, das Individuelle, worin sich jeder von allen anderen unterscheidet erst einmal im Antlitz, in dem, was als Gesicht auch erkennbar ist, wiedererkennbar auch über Jahre und Jahrzehnte. Also in diesem ganz Speziellen ist er allgemein, das ist das sozial verbindlich allgemein auch Zugelassene, eine merkwürdige, auch hier innere Polarität, also das Gesicht gerade das Intimste des Menschen, das ist eigentlich sein ‚private part‘. Das Gesicht wird sozial verbindlich zu einer universell gültigen Größe. Auch hier übrigens sehr schöne Sachen in dem Buch von Sloterdijk. Ich habe das auch schon mal angedeutet über die „Interfacialsphäre“, wie er das nennt, mit einem etwas unglücklichen Begriff, also die Begegnung der Gesichter, die ja das Gesicht erst zum Gesicht machen.

Nun, kennzeichnet nicht allein die Physiognomie den Einzelnen, natürlich auch seine Körpergestalt, seine Bewegung, seine Hände, seine Arme, die Gesamtheit seiner Person. Das ist klar. Aber in primärer Form doch erst einmal die Physiognomie und nicht umsonst werden in Büchern Bilder von Köpfen abgedruckt. Hier, auch wenn ich sage zum Beispiel, gesagt habe, Lichtenberg ‒ ein heller Kopf, vielleicht der hellste Kopf der Aufklärung, natürlich war der Mann nicht und nur Kopf, sondern er war Leib und Ganzheit, Gestalt-Ganzheit. Aber wir verbinden ihn zunächst einmal nur mit dem Kopf.

Fragen dieser Art, die ich jetzt weiterführen möchte, haben auch zu tun mit einem Verständnis der tiefsten Gründe der ökologischen Krise, denn das frag ich ja immer wieder, wie das auch Bahro viele Jahre getan hat, wir haben ja da unzählige Gespräche geführt: Warum zerstört der Mensch die Erde? Das ist ungebremst noch immer gültig, und man muss immer tiefer fragen, warum das geschieht. Wo liegen die Abspaltungen? Wo liegen die Beraubungen? Wo liegen die entscheidenden Verluste? An welcher Stelle ist das Ganze, wie es scheint, entgleist? Und das scheint mir, dass es auch dort entgleist ist, wo der Mensch A, wie ich das letzte Mal genannt habe, die gute Polarität aufgegeben hat. Auch die Polarität zwischen Himmel und Erde und sich selber nicht mehr begriffen hat und begreifen konnte als Meso-Kosmos, als mittleres Wesen zwischen Erde und Kosmos bzw. Meta-Kosmos und Geist oder Logos, auch im Verlust des Rhythmus, auf den ich ja heute zu sprechen kommen möchte. Zentral liegt ein Moment der Weichenstellung in diese desaströse Lage, in der wir uns befinden, in dem fast generell zu beobachtenden Verlust dieser Art von Polarität.

Was ist Rhythmus? Rhythmus, kann man formelhaft sagen, ist Polarität als Zeit, während wir in der „polaren Anthropologie“, jetzt mal bezogen auf die beiden Pole erst einmal in gewisser Weise statisch argumentieren, ja von der Architektur des Menschen sprechen, hier der Individualitätspol, dort der Bios-Pol, obwohl sich das daran nicht erschöpft, muss man sagen, Rhythmus ist also Polarität als Zeit. Und das führt auf eine Frage, die ich jetzt weiterführen möchte. Ich habe das letzte Mal an der Tafel gehabt, ich möchte das noch mal aufgreifen, in anderem Kontext, also ganz vereinfacht gesagt und verzeihen Sie das Mechanistische dieser Art von Entgegensetzung, das ist einfach mechanistisch, sehr simplifiziert. [JK arbeitet dazu an der Tafel] Der Pol A und der Pol B, miteinander verbunden im Spannungsverhältnis, jetzt symbolisiert durch die beiden Vektoren, in einer höheren Einheit verschmolzen. Also A und B in einem polaren Spannungsverhältnis, in einer höheren Einheit miteinander verschmolzen. Das ist natürlich, wenn man das so deuten möchte als die liegende Acht, auch die berühmte Lemniskate. Man könnte dann, wenn man das so möchte, auch die Lemniskate als ein polares Symbol bezeichnen. Wenn man jetzt diese Figur, die hier an der Tafel ist, aufrichtet, also einfach das Gleiche macht, nur jetzt in der vertikalen Form, wieder ein Verbindendes drumherum, dann hat man das, was in einer sehr vorläufigen Form hier von Fritsche als Polare Anthropologie bezeichnet wird, und dann bietet sich sofort an, hier auch Zwischenzonen einzutragen, also einen dritten Bereich, einen C-Pol, den man als den rhythmischen Bereich, wenn man das so möchte, bezeichnen kann, also als den mittleren Bereich.

Der Mensch als Ganzes kann ja mit einigem Recht als Meso-Kosmos gedeutet werden, als mittlerer Kosmos. Das kann man ja sogar so weit führen, wie das verschiedentlich geschieht, dass er in seiner puren Größe in der Mitte steht zwischen einem Atom und der Erde, wird behauptet, kann man immer wieder lesen in verschiedenen Darstellungen. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es eine Möglichkeit. In diesem Sinne wird auch gesagt, der Mensch hat eine absolute Größe. Das kann man überraschenderweise in verschiedenen Darstellungen lesen. Diese Größe ist keine zufällige Größe, sie ist in gewisser Weise eine absolute Größe: Der Mensch also als Meso-Kosmos zwischen Atom und dem Planeten Erde.

Dann kann man diese Dreiteilung, die sich jetzt hier ergibt, natürlich noch vielfältig ausdifferenzieren und auch in anderer Form zeigen, zum Beispiel folgendermaßen: Den A-Pol, jetzt mal ganz vereinfacht gesagt, als den elementaren Bios-Pol oder Erdpol und das hier als eine ständig hereinwirkende Sphäre, im Sinne auch von Sloterdijk, und dann den mittleren Bereich, hier mal als C dargestellt.

Und dann kann man, wenn man das möchte, und das geschieht verschiedentlich, und ich mach das auch, hier eine weitere Polarität heranführen, nämlich die Polarität von Licht und Schwere, das heißt der Erdpol ist die Schwere, in diesem Sinne die Gravitation, die Anziehung, das Zusammenballende, das Zentrierende, während der Geist- und Individualitätspol, Ich-Pol eher eine Strahlbewegung, eine Art Gebärde in den Kosmos hinein vollzieht bzw. von dort her Impulse empfängt. Also auch noch mal im Sinne Sloterdijks, hier also als Sphäre verstanden. Sloterdijk meint ja, dass, mit einigem Recht glaube ich, die existenzielle Verortung des Menschen geschieht über Sphären, immer, soziale Sphären, der Mensch hat diese Fähigkeit, er hat das Bedürfnis, und er tut es fortwährend, dass er Sphären schafft, Sphären entdeckt bzw. Sphären konstituiert. Er ist ein sphärenbildendes Wesen, wie Sloterdijk sagt.

Wir haben in dieser Form jetzt ein polares Spannungsverhältnis, symbolisiert durch zwei Pfeiler einer Aufwärtsbewegung und einer Abwärtsbewegung und sind natürlich sofort, wie jeder weiß, der sich ein bisschen auskennt in, sagen wir mal, spirituellen Anthropologien, bei Modellen des Menschen, wie wir sie in vielen asiatischen, spirituellen, esoterischen Traditionen finden, zum Beispiel bei den sogenannten Chakras.

Nun ist es ja so, dass diese Chakras, diese Zentren, die Bewusstseinszentren in einer bestimmten hierarchischen Ordnung aufeinander bezogen, nicht einfach Konstrukte, modellhafte Erfindungen sind, sondern bis zu einem gewissen Grade jedem vollkommen vertraut und bekannt. Das ist zwar in der eher philosophischen und wissenschaftlichen Anthropologie kein zentrales Thema, aber für das sogenannte Normalbewusstsein, im normalen Ich-Bezug und sozialen Kontakt kennt jeder diese Bezüge. Zum Beispiel, wenn gesagt wird, wenn von einem Konflikt gesprochen wird von Kopf und Bauch, dann wird wie selbstverständlich unterstellt, dass der Bauch eine eigene Zone, sozusagen eigene Willenszone mit einem eigenen Willens-Impuls [ist]: Ich entscheide das mal jetzt ganz aus dem Bauch heraus. Heißt ja, das ist ja eigentlich merkwürdig, dass der Bauch die Möglichkeit haben soll, hier überhaupt zu entscheiden. In der esoterischen Anthropologie Asiens oder vieler asiatischer Traditionen wird ja soweit gegangen, dass man wirklich sagt, im Bauchbereich gibt es eine Art von Bewusstsein. Nicht, das gehört ja zu diesem Schema hinzu, dass diese Schichten auch ein eigenes Bewusstsein haben, also nicht nur der Neokortex Bewusstseinsträger ist, sondern der gesamte Leib. Und es ist immer wieder verblüffend, und ich staune immer wieder darüber, auch gerade bei Politikerreden, wenn man sie so reden hört und sieht, wenn sie von sich sprechen, und fast jeder Mensch, wenn er von sich spricht, zeigt fast immer diese Stelle [Brustbereich]. Ich, für meinen Teil ‒ diese Geste [klopft sich auf die Brust] immer übrigens, in allen Kulturen. Warum? Also der Mensch hat das Gefühl, wenn er die Hände wie in einer Art Mudra in die Brustbeingegend führt, Ich, dann meint er sich, warum? Als ob hier quasi das Zentrum der Ichheit wäre.

Nun weiß man, dass in asiatischen, auch esoterischen Traditionen häufig das Herz als Denkzentrum galt. Das Herz, nicht der Kopf, der dachte, nicht der komplexe Neocortex, sondern es wurde ja angenommen, dass das Herz denkt, das Herz galt als Sitz der Intelligenz, des Geistes. Nun ist es interessant, das will ich nur in Parenthese sagen, das kann ich im Einzelnen nicht beurteilen, ich habe das verschiedentlich in Zeitungen gelesen, dass es jetzt auch Untersuchungen gibt, die zeigen, dass bei Herztransplantationen gelegentlich, nicht immer, bestimmte seelisch-geistige, auch charaktermäßige und in Form von Erinnerungen gespeicherte Eigenheiten des Toten, dessen Herz da transplantiert wurde, auf den Empfänger übergehen. Das wird bestritten. Darüber gibt es mittlerweile in verschiedenen Fachzeitschriften eine Diskussion. Auf jeden Fall ist die Frage aufgekommen: Wie ist es möglich, dass das Herz in dieser Form auch Geist und Erinnerungsträger ist? Was ist da gespeichert, eingespeist gleichsam, sodass man also durch ein anderes Organ, in dem Falle das Herz, auch etwas von der Biographie des anderen übernimmt, was natürlich ein vollkommen überraschendes Licht wirft überhaupt auf diese ganze Frage.

Also, man kann jetzt in diese oben-unten-Polarität vielfältige Zwischenstufen einziehen. Meistens geschieht das in Form einer Dreiheit, einer Vierheit, einer Fünfheit oder einer Siebenheit. Die Dreiheit ist die verbreitetste. Auch in der abendländischen Psychologie, also in der Psychoanalyse von Freud ist das ja bekannt als Schema von Es ‒ Libido-Schicht ‒ Ich und Über-Ich, wobei dann hier das Über-Ich bei Freud keine wirklich metaphysische Instanz ist, sondern eher ein soziales, geschichtlich bedingtes Konstrukt. Nicht, also Es als Triebschicht und Ich als dem polar entgegenstehenden Pol.

Die Frage nach dem Bewusstsein ist zentral und ungeklärt, aber hoch spannend. Wo sitzt das Bewusstsein des Menschen? Dass es primär in der Großhirnrinde sitzt, ist wohl nicht zu bestreiten. Aber es hat ja auch seinen Sitz, ist ja auch verortet im limbischen System und im Reptilienhirn und wahrscheinlich auch in sämtlichen Zellen. Es scheint so zu sein, dass es auch eine Art von Zellbewusstsein, ein nicht-zerebrales Bewusstsein gibt oder ein präzerebrales Bewusstsein. Es wird auch immer wieder berichtet, dass einzelne Menschen in Grenzzuständen in der Lage sind in dieses nicht-zerebrale Bewusstsein einzudringen und dann auch Wahrnehmungen zu haben, die rausfallen aus der taghellen Überblendung durch das Ich, wie man ja am Tage bekanntlich unter besonderen Bedingungen auch die Sternbilder sehen kann, auf dem Brunnengrunde, es kommt auf den Winkel an, aber man kann das, unter bestimmten Bedingungen kann man tatsächlich am hellichten Tage die Sternbilder sehen, die sich dann [am] Brunnengrund spiegeln. So kann man also auf diese Weise tatsächlich das Ich-Licht ein Stück weit ausschalten und das hervorholen, hervorbringen, was Edgar Dacqué mit einem kaum noch verwendeten Begriff bezeichnet hat, die Ursinnes-Sphäre.

Ich selber habe in dem Buch „Was die Erde will“ vom Tier-Selbst und vom Pflanzen-Selbst des Menschen gesprochen. Also, der Mensch hat die Möglichkeit, offenbar müssen wir davon ausgehen, sein eigenes Tier-Selbst oder Pflanzen-Selbst zu kontaktieren. Und es ist eine hoch faszinierende Geschichte, wenn man sich die Möglichkeiten vergegenwärtigt, dass der Mensch das vielleicht in der Ichheit, in der Dominanz des Individualitäts-, des Ich-Pols tun kann, also nicht einfach abtaucht aus dem Ich-Pol in vormentale, vorzerebrale Bereiche, sondern das mit rübernimmt, dass er also, wie ich das mal genannt habe, das unter-ichhafte kosmische Bewusstsein etwa der Pflanzen in die Ichhaftigkeit überführt, was ein besonderer Bewusstseinsakt natürlich ist, was einen besonderen Bewusstseinsakt darstellt. Denn wir haben normalerweise nur diese Polarität von Ichhaftigkeit und eben dem, was ich das Pflanzen-Selbst und das Tier-Selbst nenne oder genannt habe. Diese beiden Pfeile, diese Aufwärtsbewegung und Abwärtsbewegung kann man jetzt sehr vereinfacht in zweierlei Hinsicht leben, wahrnehmen, registrieren, im Schema deutlich machen, einmal yogisch und zum Zweiten tantrisch, ganz vereinfacht gesagt, im Sinne des Yoga in sehr großer Simplifizierung geht es primär um die eine Aufstiegsbewegung zum Ich-Pol und dann zum Trans-Ich-Pol, also aufwärts. So beginnt für Patanjali, den großen Theoretiker und Praktiker des Yoga, in seinen Yoga-Sutras, Menschsein erst hier [bezieht sich auf die Zeichung an der Tafel. Gemeint ist wahrscheinlich: ab der Ichheit]. Bis dahin ist der Mensch quasi noch Tier, hier beginnt sein Menschsein. Und das hat immer tendenziell dazu geführt, dass eine gewisse asketische, eine in diesem Bereich eher, wenn nicht ganz negierende, so doch geringachtende Form entsteht.

Also, der Hauptimpuls Richtung Kosmos mit der Kosmos-Spiritualität unter asketischer Verneinung auch der Bereiche A und der darüber liegenden Bereiche, während die tantrische Form eher darin bestand, diese Bereiche einzubeziehen, also die vollständige Acht hier, die Lemniskate, einzubeziehen. Das heißt, die Energien von unten als Motor zu benutzen, als Motor für den Aufstieg des Geistes. Und das ist ein Grundkonflikt, den man immer beobachten kann, etwa in der Anthroposophie, die sich nun nicht als yogisch bezeichnen wird, aber da wird immer wieder betont, Steiner hat das immer wieder gesagt und seine Anhänger sagen es bis heute, dass es wichtig sei, diesen Pol A kleinzuhalten, sozusagen. Man kann diesen Pol ja auch als Bios-, Eros-Pol kleinhalten und eher das Einströmen der kosmischen Kräfte favorisieren und nicht etwa eine wirkliche Zuwendung zu dem Pol A überhaupt zulassen. Daher die bekanntermaßen ambivalente Haltung, die in der Anthroposophie bis heute, etwa zum ganzen Eros-Bereich, zu verzeichnen ist, nicht, weil dieser Eros-Bereich zwar nicht vollkommen negiert wird, aber er wird weitgehend als, sagen wir mal, als brisant, als ambivalent bezeichnet, eher als hinderlich, fast als hinderlich. Im Tantrischen, im Tantrismus, gibt es die Vorstellung des Purusha Kara, des kosmischen Menschen, der letztlich davon ausgeht, dass diese Art von Grundstruktur des Menschen spiegelbildlich den Kosmos verdeutlicht, dass also der Mensch /der Kosmos, hierarchisch-holarchisch, ähnlich aufgebaut ist. Purusha Kara, der tantrische, der kosmische Mensch. ‒ Das erinnert ja sehr an Novalis, unter anderem an Novalis, der ja mal gesagt hat, viele andere ähnliche Äußerungen gibt es: Der Mensch ist eine Analogienquelle für das Weltall, und das Universum sei eine Art Makro-Anthropos. Es gibt sehr viele Aussagen von Novalis in diese Richtung.

Wenn man das jetzt hier, ein Schritt weiter auch kosmologisch versucht zu verstehen, dann ist es vielleicht nicht ganz unwichtig, dass das englische Wort Licht, light, auch „leicht“ bedeutet. Nun muss man das nicht überinterpretieren. Das würde abwegig sein, genauso wenig wie man überinterpretieren sollte, dass das englische Wort I, also die Lautform, auch das Auge [eye] bedeutet. Aber es scheint doch einen Zusammenhang zu geben. Dass also Licht auch „leicht“ bedeutet, und dass wir gute Gründe haben, sagen wir mal vorsichtig, anzunehmen, dass das Organisch-Lebendige, das sich zum Geistigen hin entwickelt, tatsächlich auch sich gegen die Schwere entwickelt und dass organisches Leben tatsächlich in diesem Sinne weniger schwer ist als anorganisches Leben.

Das ist ein Punkt, den beispielsweise auch der Marco Bischof, der das letzte Mal gesprochen hat, am Schluss seines Buches „Bio-Photonen“ kurz anschneidet, ein Punkt, der aber hoch faszinierend ist, wenn man das versucht wirklich weiter zu denken. Ich habe das in meinem neuen Buch, das im August herauskommen soll, versucht zu tun, zu zeigen, tatsächlich auch Experimente vorgeschlagen, wie man das nachprüfen kann, dass tatsächlich ein gewisser antigravitativer Effekt im Licht liegt, was immer verschiedentlich auch so gewusst wurde, in der Naturphilosophie Schellings taucht das immer wieder auf. Das Licht also als ein quasi antigravitatives Element, das Licht auch in Verbindung mit dem Kosmos. In diesem Sinne jetzt, um den Begriff zu verwenden, mit Äther und auch, nächster Punkt, mit einer anderen Raum-Vorstellung. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Das habe ich verschiedentlich auch angedeutet. Es gibt verschiedene Theorien über Räume, unter anderem die Theorie, die sich herleiten lässt auch aus der synthetischen oder projektiven Geometrie des 19. Jahrhunderts, da ist es zumindest in Grundzügen vorgedacht worden, dass es quasi zwei ganz verschiedene Formen von Räumen gibt. Dass es den quasi sogenannten physischen Raum gibt ‒ wir würden heute vielleicht eher sagen: den dreidimensionalen Anschauungsraum ‒ und dass es dann einen weiteren, einen anderen, oder wie Novalis sagt, einen „höheren Raum“ gibt, einen anderen Raum gibt, der zu tun hat mit Bewusstsein und der auch nicht diese übliche Dimensionalität aufweist und dass aus dieser Raumsphäre, aus diesem anderen Raum, quasi Impulse, Bewusstseinsimpulse, auch Licht-Bewusstseinsimpulse hereinströmen, die auch einen antigravitativen Effekt haben. Dass der Mensch also auch in diesem Sinne eingespannt ist zwischen zwei Räume, zwischen den physisch-sinnlichen Raum und dem anderen oder höheren Raum.

Nun ist das eine erkenntnistheoretisch hoch interessante, aber zugleich sehr schwierige Frage, die nach dem anderen Raum. Es kommt auch sofort die Frage auf der mathematisch-theoretischen Modelle, sogenannter Hyper-Räume. Burkhard Heim hat das hier versucht, dann auch zu mathematisieren, was ich für nicht überzeugend halte. Also, die Frage, ob es hier einen anderen Raum gibt, den man „Hyperraum“ nennen kann, aus dem überhaupt dann Bewusstsein und Leben verständlich werden kann. Also auch hier eine Polarität: physischer Raum, von mir aus auch Äther-Raum und Schwere und Licht. Damit ist man natürlich in sehr schwierigen Zonen, es ist sehr heikel, weil man sofort, ich sagte es ja vorhin schon einleitend, in bestimmte weltanschaulich vorgeprägte Bahnen rückt. Nicht, viele Gruppen, Strömungen, religiöse Bewegung, die diese Themen ja besetzt halten, um nicht zu sagen, kolonisiert haben, haben ja ihre Antworten auf alle diese Fragen und sind ja selten gewillt, überhaupt diese Fragen in die Offenheit zu stellen. Und ich will das einfach mal in die Offenheit stellen. Ich finde den Gedanken hoch faszinierend, dass man die polare Struktur auf der Vertikalen auch in Verbindung bringen kann mit zwei vollkommen verschiedenen Räumen, wo denn auch die üblicherweise vorliegende Richtung nicht mehr so gilt. Das ist was anderes als das, was ich ihnen im Winter mal verdeutlicht habe in Anknüpfung an Hermann Schmitz’s Anthropologie, diese Dreifachheit des Raumes, Weite-Raum, vielleicht erinnern sich einige, die da waren, Richtungs-Raum und Orts-Raum. Das ist nicht das Gleiche, obwohl Hermann Schmitz in seiner Anthropologie auch den Versuch macht, sich diesem Thema zu nähern. Man muss wahrscheinlich da die ganze Raumfrage nochmal in ganz neuer Weise denken.

Und dann kommt man natürlich sofort auf den Punkt, den ich ja schon mal vor drei oder vier Wochen angesprochen habe. Wenn das in der Tendenz so sein könnte, mit aller Vorsicht, dann ist das nicht reduktionistisch. Damit wird der Mensch eben nicht hergeleitet in einem absoluten Sinne hiervon. Es ist etwas anderes. Es ist letztlich die Wurzel in der Prämisse, dass die gesamte kosmische Evolution auf den Menschen zielt, über ihn hinaus zielt, und dass der Mensch, das Geistwesen, das aufgerichtete Geistwesen, jetzt noch eine Stufe weiter, das Sternenwesen Mensch, sozusagen auch eine andere Herkunft hat, also eine quasi metaphysische, göttliche oder spirituelle Herkunft und sich nur verbindet mit einem ganz anderen Pol. – (PAUSE)

Ganz kurz bezogen auf zwei Fragen, die jetzt in der Pause kamen. Ganz kurz nochmal zu dieser Geschichte mit der Plazenta bei Sloterdijk. Ich sage es nochmal ganz kurz.

Vor ungefähr 200 Jahren passierte Folgendes: Man hat den Mutterkuchen, die Nachgeburt, die Plazenta, mit der ja der Fötus mit der Nabelschnur verbunden ist, quasi entsorgt, als Müll, als Abfall deklariert, während in allen uns bekannten kulturellen Phasen vorher diese Plazenta rituell verwendet, bewertet und integriert wurde. Und Sloterdijk stellt die kühne These auf, dass das ein Schnitt gewesen sei in der Entstehung des modernen Individuums, dass dadurch das Andere, der Andere, die Andere, der polare Teil, der zum Menschen gehört, abgekappt worden sei. Orpheus hat quasi, soweit geht er dann, Eurydike verloren, Eurydike quasi als die Plazenta.

Nun kann man das für aberwitzig halten, diese These. Und ich weiß nicht, wie das so von vielen aufgenommen wird. Sie hat etwas auch Halsbrecherisches, auch Kühnes. Es ist ja letztlich auch der Versuch einer gnostischen Denkfigur, sein Buch, wimmelt ja auch von gnostischen Bildern des Abstiegs des Geistes, der Seele, in den Körper. Nur dazu, aber an dem Faktum kulturgeschichtlich ist nicht zu rütteln, dass ist wirklich so gelaufen. Ob man das so interpretieren muss, ist eine andere Frage. Dann kann man sich noch viel weitergehende Fragen daran stellen oder kulturgeschichtliche Betrachtungen überhaupt, wer dann das Geburtswesen überhaupt im weiten Sinne übernommen hat. Wie das gelaufen ist in der westlich abendländischen Gesellschaft. Das ist natürlich auch ein weites Gebiet und auch ein trauriges und sehr schwieriges Thema.

Der zweite Punkt bezieht sich auf eine Frage, die in der Pause kam, nach dem Bewusstsein. Nochmals: Bei Fritsche ist das eine ziemlich eindeutige polare Gegenüberstellung des ichlosen Bios-Pols und des Ich-Pols, Gehirn, Ich-Geist, Individualität. Aber auch Fritzsche leugnet nicht, dass es überall Bewusstsein gibt. Und eine Dame hat eben in der Pause mich darauf hingewiesen, dass nach neueren Untersuchungen angenommen wird, dass auch im limbischen System, also was ja für Sexualität, Aggression, Emotion usw. zugänglich [zuständig ?] ist, dass da auch Ansätze von Ich-Bewusstsein vorhanden sind. Ja, das ist richtig. Die Frage ist natürlich schwierig und letztlich ungeklärt, vielleicht ist sie gar nicht zu klären. Gibt es ein Bewusstsein, was sich vollständig loslöst von der Ich-Fokussierung? Es kam ja auch letztes Mal auf die Frage, oder vor 14 Tagen, nach dem Gefühl ohne Ich. Gibt es ein Gefühl ohne Ich? Können wir uns vorstellen, dass ein Etwas quasi fühlt, ohne dass damit ein Ich verbunden ist? Die Frage ist sehr schwer. Genauso die Frage, die ich ja mehrfach gestellt habe nach dem Ich-Bewusstsein der Tiere, nicht, also Hundebesitzer, Katzenbesitzer, überhaupt Tierkenner behaupten häufig genug, dass höher organisierte Tiere tatsächlich eine Art von Ich-Bewusstsein haben. Das ist natürlich kein rational ich-bestimmtes Bewusstsein, aber es ist eine Art von, ein quasi prä-ichhaftes Bewusstsein, was ich auch für durchaus richtig halte.

Die Frage ist ja dann sehr schwer nach dem Zusammenhalt, etwa dem Bewusstseins­zusammenhalt im Tierreich, Stichwort Gruppenseele oder auch die Frage der Instinkte. Das ist ja vollkommen ein Wort, was fast überhaupt nichts aussagt. Was sind Instinkte? Nicht, also auch Sheldrake in seiner Lehre von den morphischen Feldern hat sich ja dazu geäußert: Was sind Instinkte? Sind das vielleicht Momente einer Gruppenseele oder eines morphischen Feldes? Das sind ja alles vollkommen rätselhafte Fragen, etwa der märchenhafte Zusammenhalt einer Termitenkolonie, wobei ein Teil genauestens informiert ist über das, was die jeweils Anderen oder der jeweils Andere tut. Müssen wir da eine Art von Gruppenseele voraussetzen oder eine Art von morphischer Resonanz in diesem Tierkollektiv? Alles offene Fragen, die aber wichtig sind.

Also, was ich das Tier-Selbst im Menschen nenne, meint ja nur Folgendes: dass der Mensch im Prinzip in der Lage ist, auch noch immer die Tierhaftigkeit seinerselbst zu kontaktieren und durchaus über das hinaus, was man umgangssprachlich so als Vertierung oder im abwertenden Sinne als das Tierische bezeichnet, sondern auch in einem höheren Sinne. Und das immer dann, wenn der Mensch das schafft, auch in bestimmten Trance-Techniken er Anschluss gewinnt an Kräfte, die weit über seine rationale Ichhaftigkeit hinausgehen. Es gibt ja die erstaunlichsten Phänomene auch im Grenzbereich zur Geisteskrankheit, dass Menschen in Erregungszuständen, Trancezuständen etwas ganz Anderes kontaktieren, Eisenstangen zu biegen vermögen und ähnliche Dinge vollführen, die im normal biologischen oder auch ich-gestörten Sinne vollkommen unmöglich sind. Also dass da eine ganz andere Schicht kontaktiert werden kann.

Denken Sie etwa, an eines der berühmtesten Beispiele, an die über viele Jahrzehnte in Tibet beobachteten Lung-Gom-Pa, die sogenannten Tranceläufer. Das muss man nicht bezweifeln, es ist gut dokumentiert. Tranceläufer meint nicht den Jogger, der mit Walkman in Trance läuft, der ist auch in einem anderen Zustand, häufig genug. Aber Tranceläufer in Tibet, das war eine besondere Form von Hatha-Yoga bei den Lung-Gom-Pa. Die waren in der Lage, über große Zeiten, Zeiträume und Distanzen hinweg wie in Trance, in rasender Schnelligkeit zu laufen, wie man es ja auch beobachtet hat bei Kindern, die unter Wölfen aufgewachsen sind oder, einmal auch ein Beispiel unter Antilopen, die dann mit der Herde, mit einer Geschwindigkeit mithalten konnten, was an sich ihre physiologische Konstitution als Menschen gar nicht hergibt. Also, die sich sozusagen sich einklinken, trancehaft einklinken in ein ganz anderes Feld, wo dann auch die Begrenztheiten, die ja immer auch mit der Ichhaftigkeit verbunden sind, überschritten werden oder unterschritten werden. Und da ist ja wirklich ein wichtiger Punkt mit dem Unterschreiten und auch dem Überschreiten. Aber es gibt diese Möglichkeit in der Trance, tatsächlich auch zu einer Art, sagen wir mal Zellbewusstsein, auch vorzustoßen.

Und da bin ich bereits bei einem weiteren Punkt, den ich ohnehin ansprechen wollte, bei der Frage von Schlafen und Wachen. Es mag überraschend sein, aber ich möchte es noch einmal in Erinnerung rufen, ein rätselhaftes, bis heute nicht wirklich durchleuchtetes Feld: Warum schläft der Mensch überhaupt? Darauf gibt es keine wirklich befriedigende, differenzierte Antwort. Warum schlafen höhere Tiere, Fische dagegen nicht? Bei Fischen, soweit wir wissen, gibt es keine Art von Schlaf. Warum schlafen höhere Tiere? Was ist dieses überhaupt für ein eigenartiger Zustand? Ich habe mich mal vor Jahren mit der Frage sehr intensiv beschäftigt und auch beschäftigen müssen, weil ich als freier Mitarbeiter des SFB mehrfach auch Sendungen gemacht habe, unter anderem auch eine Sendung genau über diesen Punkt, über Schlaf-Forschung. Da habe ich dann auch Schlafforscher interviewt. Das ist ja dann so, dass man ja quasi dann auch so genötigt feststellt, dass da eine Terra incognita [besteht], dass da nichts wirklich gewusst wird. Und da hat mich dann einer, der hier in Deutschland, ein Professor an der FU, glaube ich, dann aufmerksam gemacht auf den Franzosen Michel Jouvet, der als die große Kapazität in Europa gilt für Schlaf- und Traumforschung. Da habe ich mir das Buch besorgt, von dem Michel Jouvet „Die Nachtseite des Bewusstseins“, bei Rowohlt erschienen. Wunderbares Buch, das vor vier Jahren, fünf Jahren erschien, das diese Forschung zusammenfasst. Und da wurde deutlich, dass man nichts darüber weiß, fast nichts, was eigentlich Schlaf ist und was Träume sind. Man weiß es nicht, aber es gibt eine, sagen wir mal, Hypothese, die ich aufstelle. Die sieht folgendermaßen aus, eine Hypothese mit aller Vorsicht, dass vielleicht das, was ich hier angedeutet habe, damit zusammenhängt, dass nämlich nachts, in der lichtlosen Phase dieser Polarität von Licht und Finsternis, tatsächlich der Körper schwerer wird. Und bekanntermaßen lässt sich die Tiefe des nächtlichen Schlafes niemals gleichsetzen mit einer noch so tiefen Tiefschlafphase am Tage. Auch bei Menschen, die in der Nacht arbeiten, aus beruflichen Gründen, von denen ist es bekannt, dass die Tiefe des Schlafes nie vergleichbar ist mit der in der Nacht. Was genau geschieht beim Schlaf, ist nicht bekannt. Man weiß auch nicht genau, was im Traum-Bewusstsein passiert. Nicht, Michel Jouvet bezeichnet dann Träume als endogene Halluzinationen, ist ja auch nur ein Begriff, einfach ein Begriff, ein Wort: endogene Halluzinationen. Was für eine Wahrnehmung da tatsächlich der Fall ist. Und in allen, auch spirituellen Traditionen wird immer gesagt, übrigens auch in der genannten tibetischen, dass das Traum-Bewusstsein tatsächlich eine eigene Bewusstseinsstufe ist, auch in den Upanishaden wird es schon gesagt. Da gibt es das Tages- und Wachbewusstsein, das sogenannte Normal-Bewusstsein. Dann gibt es das Traum-Bewusstsein, tibetisch dann Sambhoga Kaya und das Bewusstsein das traumlosen Tiefschlafs. Wer kann sich erinnern an sein Bewusstsein im traumlosen Tiefschlaf? Das gilt ja als ein ich-loser Zustand.

Die große Rätselfrage: Wo ist das Ich? Wo ist das Selbst? Wo ist der Mensch überhaupt in seiner Totalität im traumlosen Tiefschlaf? Das ist ja auch ein Mysterium, das gehört in diese Frage hinein. Also meine These, eine Hypothese wäre, dass das auch damit zusammenhängt, mit Licht, Bewusstsein und diesem antigravitativen Effekt, das da tatsächlich, in gewisser Weise buchstäblich, eine Erleichterung passiert. Vielleicht sogar, da habe ich mich drüber mit Marco Bischof unterhalten vor einigen Wochen, vielleicht auch in diesen umgangssprachlichen Wendungen „erleichtert“ sein von etwas, eine Nachricht mit Erleichterung aufnehmen oder „beschwert“ sein, bedrückt sein, vielleicht buchstäblich, quasi physisch, eine größere Schwere zum Tragen kommt. Also ein extrem schwieriges Gebiet, was ich nur mal so aperçuhaft hier andeuten möchte. Aber die Frage ist tatsächlich ungeklärt: Warum schläft der Mensch überhaupt? Warum schlafen höhere Organismen? Und das ist ja auch ein elementarer Rhythmus, der von Schlafen und Wachen, ist ja einer der elementarsten Rhythmen überhaupt. Wie dann wieder innerhalb des Schlafrhythmus die Traumphasen eine wichtige Rolle spielen, die ja angeblich erst immer nach einer bestimmten Zeit auftreten, eben nicht gleich nach dem Einschlafen. Meine Erfahrung spricht dagegen. In den meisten Darstellungen wird gesagt, nicht vor ein bis anderthalb Stunden nach dem Einschlafen treten die ersten Träume auf, wird immer wieder gesagt, kann man in fast allen Büchern darüber lesen. Man hat das Gefühl, das ist sofort der Fall oder kann sofort der Fall sein.

Und da hat man also noch einen weiteren Rhythmus, und der geht ja ganz tief in die Psyche rein. Nicht, wenn man sich etwa überlegt, dass ja zu der Eliminierung dieser natürlichen Rhythmen auch das technische Faktum des ständigen künstlichen Lichtes gehört. Man klinkt ja diese Grundrhythmen, die kosmischen Grundrhythmen ständig aus. Es ist taghell, auch nachts, nicht. Satellitenaufnahmen der Erde zeigen etwa Europa, es ist hell. Und wenn man die Möglichkeit gewonnen hat, zum Beispiel in Subtropen oder Tropen mal wirklich zu erleben, noch mal neu, unverbraucht, quasi zu erleben, was es bedeutet, wenn Nacht hereinbricht, was wirklich Nacht sein kann, was Tag ist, ist ja eine erschütternde Qualität, auch Nacht, Licht, Dunkelheit. Dann kann man…, dann begreift man erst, was es bedeutet, wenn man diesen Grundrhythmus technisch, technologisch, fundamental aus den Angeln hebt. Das heißt nicht, dass der Mensch in seiner Ichhaftigkeit in diesen Pol nun vollständig in diese Rhythmen eingetaucht sei. Das gehört ja zu seiner Freiheit, dass er die Möglichkeit hat, tatsächlich auch diese natürlichen Rhythmen zu transzendieren. Das ist auch wichtig. Der Mensch ist eben kein reines Bioswesen. Aber Tag und Nacht sind auch nicht rein biologische Vorgänge. Und da sind wir bei einem weiteren sehr wichtigen Punkt. Ich hatte ja von Werde-Prozessen auch im Thema gesprochen.

Wir sind nämlich bei dem Punkt, der schon angeklungen ist, von dem Verhältnis von Bios und Bewusstsein. Es ist ja nicht so, dass der Höhepunkt des Bios gleichzeitig der Höhepunkt des Bewusstseins ist. Es ist ja eher das Gegenteil der Fall: Erst wenn der Bios zurückgedrängt wird, entfaltet sich das Bewusstsein in ganzer Ausdifferenziertheit. Der Mensch hat immer die Möglichkeit, in eine Sphäre des Trans-Bios hineinzugeraten. Es ist nicht so, dass, sagen wir mal, der Höhepunkt der organischen Entwicklung eines Lebewesens auch tatsächlich die höchste Stufe seines Bewusstseins ist. Das Bewusstsein steigt, während die Bios-Kurve sinkt. Es ist also ein gegenläufiger Prozess. Also vereinfacht gesagt, Logos und Bios treten wie in einer Schere auseinander. Nicht, der eine sozusagen, das Bewusstsein reichert sich immer mehr an, während der physisch-organische Körper also einem Alterungsprozess unterliegt. Und man kann sagen, und das haben zum Beispiel die Anthroposophen, aber auch andere immer wieder mit einigem Recht gesagt, das Bewusstsein überhaupt sich konstituiert durch Todes- und Abbau-Prozesse, dass gerade nicht durch das organische Werden, Sprießen und Blühen, was uns alle so tief bewegt und auch beeindruckt, sondern gerade durch das Gegenteil, durch das Sich-Absenken, die Verdunkelung, die in gewisser Weise das Sich-Absenken des Bios, der Bios-Ebene, der Geist erst wirklich zu sich selber kommen kann. Bios und Logos in dem Falle sind nicht synchron, die gehen wirklich auseinander, und da ist wirklich eine Schere. Und dass das im Prinzip möglich ist, diese Schere auch noch zu vertiefen, zeigt ja die Entwicklung auch in ihrer desaströsen Auswirkung. Aber da ist eine Schere, und es ist eine Fatalität, sage ich mal, sie kennen ja auch meine Kritik an Teilen der Ökologiebewegung, dass sie das viel zu wenig unterscheiden.

In der Ökologiebewegung wird der Mensch viel zu häufig einfach als Bios-Wesen, mehr oder weniger bezeichnet. Diese Schere wird nicht richtig gesehen, dass da tatsächlich eine Polarität zu beobachten ist. Wo der Bios seinen Höhepunkt erreicht, schläft der Logos in gewisser Weise, und wo der Logos seinen Höhepunkt erreicht hat, schläft der Bios. Natürlich gibt es wunderbare, beglückende Zusammenführungen, das ist klar. Aber diese Prozesse sind nicht synchron. Und das macht einen wichtigen Punkt in der naturphilosophischen Anthropologie ja überhaupt aus, das zu begreifen, dass der Mensch eben immer auch Meta-Natur ist oder Über-Natur und nicht nur Natur. Wenn er einfach Natur wäre, wäre das Thema als solches ein verfehltes Thema.

Also der Mensch ist auch in diesem Todes- und Abbau-Prozess oder gerade durch die Todes- und Abbbau-Prozesse dann tendenziell in der Lage, den Geist wirklich zu entfalten. Auch das ein fundamentaler Rhythmus, der den Menschen in der Tiefe tatsächlich bestimmt. Auch hier übrigens gibt es in dem Buch von Herbert Fritzsche wunderbare Überlegungen zur Frage von Logos und Bios, und Fritsche zeigt mit einigem Recht auch an vielen Beispielen, dass eine gewisse Schärfe im Logos immer ein Zurückdrängen des Bios bedeutet. Oder auch wenn das, was ich das Tier-Selbst im Menschen nenne, nach oben kommt, dann eine Absenkung des Bewusstseinsniveaus passiert, wie Jung das nennt, abaissement du niveau mental, das Bewusstsein dann runtergeht. Wenn man also in eine Art von Körperbewusstsein reinkommt, dann hat man große Schwierigkeiten, die klare Ichhaftigkeit noch beizubehalten. Und darin liegt ja eine Herausforderung des Bewusstseins, die immens ist. Nicht, was ich ja vorhin angedeutet habe: das Unterichhafte, quasi kosmische Bewusstsein, das wissende Bewusstsein etwa der Pflanzen, wenn wir es mal so nennen wollen, in der Ichhaftigkeit, in die Ichhaftigkeit aufzunehmen, und damit in gewisser Weise die Pflanzen zu erlösen, in Anführungszeichen. Also, das sind extrem schwierige Punkte. Ich sage das mal mit aller…, mit allem Vorbehalt und auch ungestützt und auch wohl wissend, dass hier Tür und Tor natürlich geöffnet sind für Missverständnisse jeder Art.

Man kann diese rhythmische Polarität natürlich am leichtesten und direktesten am Atem zeigen. Nicht umsonst gibt es in allen Traditionen, die sich mit Leib-Arbeit, mit Bewusstseinsarbeit über den Leib beschäftigen, immer Anleitungen zum Umgang mit dem Atem, weil der Atem die Stelle ist, an der das Bewusste und das Unbewusste, das Willkürliche und das Unwillkürliche zusammenkommen. Also die Arbeit mit dem Atem hat immer auch mit Bewusstsein zu tun. Das weiß jeder, auch dass ist im Grunde genommen jedermann bekannt, dass die Form, Tiefe, Intensität des Atems Auswirkung hat auf das Bewusstsein und umgekehrt, dass bestimmte seelische Zustände häufig zu einem flachen, hektischen Atem führen, dass die Stimme sich verkrampft, wie geknebelt wirkt, dass es aber Techniken gibt, mittels deren man tatsächlich den Atem und die Stimme befreien kann. Das weiß ich von meinem Gesangsunterricht, den ich mal genossen habe, dass man wirklich über bestimmte Atemtechniken auch Blockaden lösen kann in der Stimme.

Oder: Es gibt Menschen, deren Stimme zum Beispiel vollkommen von dem Leib wie abgeschnitten ist. Die könnten gar nicht in einem Saal überhaupt in die hinteren Reihen vordringen. Das ist nicht eine Frage der Lautstärke, sondern eine Frage der Fundierung, der Stützung durch den Leib. Im Sängerjargon ist das die sogenannte „Stütze“. Wer das mal gehört hat, die sogenannte Stütze für Sänger, in der Gesangsausbildung, die Stütze ist eine gewisse…, ein Ensemble von Anspannung des Zwerchfells, von Bodenhaftung, einer bestimmten Art, von bis in [den] Rücken hinein bestimmten Weise, also wirklich geerdet sein, dann trägt die Stimme. Wenn das nicht der Fall ist, trägt die Stimme nicht.

Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, mit dem Atem zu arbeiten, auch im Pranayama etwa, aber auch einfach in dem ruhigen Beobachten, in der Tiefenmeditation, im Atem, in den Buddha zugeschriebenen Äußerungen, schon im Pali-Kanon, wird immer wieder dieses Wort von ihm zitiert, dass die Beobachtung des Atems, die Beobachtung des unwillkürlich pulsenden Atems ein Weg ist, um in eine meditative Bewusstseinsform hineinzukommen. Nicht, also tatsächlich ganz tief atmen und den Atem beobachten, ihn aber nicht manipulieren. Man kann natürlich auch Atemarbeit betreiben, das ist ja auch im Sinne des Pranayama der Fall, dass man den Atem extrem lange anhält oder extrem intensiv ausatmet. Im Sinne dieses Pali-Kanon ist gemeint: den Atem beobachten, auch im Sinne der Atemarbeit, wie sie hier in Berlin ja Ilse Middendorf an ihrem Institut lehrt, seit Jahrzehnten. Nicht, also, den Atem kommen lassen, den Atem beobachten, weil der Atem eine merkwürdige Verbindung, ja eigentlich die faszinierendste Verbindung neben der Ernährung schafft mit der Außenwelt, denn das fand ich…, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, einen wunderschönen Satz habe ich hier gefunden in dem Buch des Chemikers Rudolf Hauschka „Substanzlehre“, der sich auch intensiv mit dem Atem beschäftigt, dass er heraushebt, dass Atmen die sozialste Handlung überhaupt ist. Denn wir alle in diesem Raum atmen dieselbe Luft.

Ich zitiere mal aus dem wunderbaren Buch „Substanzlehre“ von Rudolf Hauschka. Er bezieht sich hier auf den, das muss [ich] noch vorab sagen, auf den Stickstoff. Interessant ist, dass der Stickstoff bekanntermaßen ungefähr 79 Prozent der Erdatmosphäre ausmacht, meistens in diesen Atem-Lehren und Schulen überhaupt nicht erwähnt wird. Der kommt nämlich genauso raus, wie er reingeht, der Stickstoff. Vom Sauerstoff, Kohlendioxid ist klar, dass da ein Austausch stattfindet. Aber beim Stickstoff ist es nicht so. Und keiner weiß eigentlich warum. Es ist einfach so. Was tut überhaupt der Stickstoff? Mit einigem Recht nennt ihn hier Hauschka den Bewegungsstoff oder Luftstoff, also immerhin 79 bis 80 Prozent der Atmosphäre. Er lenkt überhaupt das Augenmerk auf den Punkt. Meistens wird das gar nicht überhaupt ins Bewusstsein gezogen. Da heißt es hier an einer sehr schönen Stelle: „Es liegt im Wesen dieses Luftstoffes, also Stickstoff, dass er zugleich Träger eines seelischen Elementes werden kann. Jedermann weiß, dass die Atmung in innigem Zusammenhang mit seelischen Zuständen steht. Durchzieht Freude unsere Seele, dann wird der Atem rascher, bedrückt uns Trauer, dann wird der Atem langsam und schleppend. Der Sanguiniker hat einen rascheren Atem und Pulsrhythmus als der Melancholiker. Durch den Atem sind wir in ständiger rhythmischer Wechselbeziehung mit der Außenwelt, wie ja auch über die Ernährung natürlich.

Wir nehmen mit unserer Atemluft mit jedem Atemzug ein Stück Außenwelt in uns auf. Und ebenso wie wir mit unseren Fingern und Gliedmaßen die Außenwelt betasten im Tun und wie wir sie begreifen in unserem Denken, so betasten wir sozusagen durch den Atem die Außenwelt im Fühlen. Eines der wesentlichsten Ergebnisse der neueren Menschenkunde ist die Erkenntnis, dass die Atmung die physiologische Grundlage des Fühlens ist, ebenso wie das Nervensystem die physiologische Grundlage des Denkens“, und jetzt der Satz, auf den ich eigentlich hinaus wollte, der aber ohne diesen Vorspann in der Luft hinge: „Es liegt ein eigenartiges soziales Element in der Tatsache, dass alle Menschen dieselbe Luft atmen. Nichts tun die Menschen so gemeinsam wie eben atmen. Alles andere hat jeder für sich mehr oder minder allein. Und man ist doch bestrebt, die Gegenstände des täglichen Gebrauchs möglichst mit niemandem zu teilen. Heute widerstrebt es den Menschen schon, mit anderen aus einer Schüssel zu essen. Aber die Luft genießen alle gemeinsam. Gewiss gibt es Frischluft-Fanatiker, die auch ihre eigene Luft atmen möchten und die es nicht ertragen können, mit mehreren Menschen in einem Raum beisammen zu sein. Das ist “, und dann schreibt er hier witzig hier, na ja, „das ist besonders für den Engländer charakteristisch“, na gut. „Aber was spricht sich darin aus? Ein gewisser Grad von Egoismus. Ist nicht die Tatsache, dass ich durch die Atemluft einen Teil des anderen Menschen in mich hineinnehme, die physische Grundlage dafür, dass ich den anderen Menschen erfühle.“

Also, dass ein enger Zusammenhang besteht zwischen Atem und Bewusstsein, ist überhaupt nicht zu leugnen, das ist, liegt auf der Hand, das liegt offen zutage. Das kann man unter anderem dadurch testen, das kann jeder für sich testen, wenn er einmal seine eigenen Atemzüge jetzt willentlich steuert, zum Beispiel extrem verlangsamt, was dann mit seinem Denken geschieht, oder extrem beschleunigt, etwa in der sogenannten Hyperventilation, was ja in Teilen des Rebirthing geschieht oder in dem holotropen Atmen nach Stanislav Grof und Christina Grof. Da wird ja in einer schnellen Form über einen langen Zeitraum hinweg, oft ein, anderthalb, zwei Stunden heftig geatmet, hyperventiliert, gleichzeitig bei in gezielter Weise ausgesuchter Musik. Dann kommt irgendwann ein Zustand, wo tatsächlich dieser Pol hier, der Ich-Pol zurücktritt und ein ganz anderes Material nach oben schießt, archtypisches Material, kollektives Material auch natürlich aus der eigenen Biographie ganz viel nach oben kommt.

Auch das gibt es in den vielfältigsten Zusammenhängen aller Weltkulturen, etwa im asiatischen vorderorientalischen Zikr-Atmen der Sufis, wo auch über Stunden hinweg in einer heftigen Weise hyperventiliert wird, um bestimmte Bewusstseinszustände tatsächlich zu erzeugen. Und Ihnen allen bekannt, es ist fast banal, das zu sagen, trotzdem sage ich es noch mal, dass natürlich die Begrifflichkeit von Atem im Sinne auch des Sanskrit Wortes Atma immer zu tun hat auch mit Bewusstsein und Seele. Also „Atma“, das Sanskrit-Wort Atma, bezieht sich auf „Atem“. Gelegentlich, allerdings mit einer anderen Schwerpunktsetzung, wird auch das Wort Prana verwendet. Prana ist nicht unbedingt identisch. Atman ist das Geistwesen, das höhere Geistwesen, das unsterbliche Geistwesen. Prana ist eher die Lebenskraft, Lebensenergie, wenn man das so nennen will, wenn man da einen Begriff dieser Form für richtig hält. Schwierig bei all diesen Begriffen, das hat ja auch Marko Bischof angedeutet. Kann man das gleichsetzen? Ist Prana gleich Chi oder gleich der Od-Energie oder gleich Orgon-Energie ‒ wie immer? Das sind letztlich Fragen, die sehr schwer zu klären sind. Auf jeden Fall ist hier eher die Lebensenergie gemeint, Prana, und hier eher das Geist-Selbst gemeint. Aber der Zusammenhang ist offenkundig, auch im griechischen „pneuma“: Das ist die Luft, der Hauch, „Odem“, wie das Luther übersetzt und zurückbezogen auch auf Atma, auf das Lebendige. Also damit ist auch ein Grundrhythmus im Geistwesen des Menschen mit angelegt. Insofern ist die Frage der rhythmischen Polarität ja ohnehin eine zentrale Frage überhaupt des Menschseins, aber eben auch noch darüber hinausgehend. Und man kann beobachten in den letzten Jahren, dass ein gewisses Bewusstsein dafür entstanden ist, dass es so ist, dass die Abkoppelung von diesen rhythmischen Prozessen, von diesen gegenläufigen Prozessen auch in diesem Sinne, Aufstieg, Abstieg und den pulsenden Prozessen, dass diese Abkoppelung davon tatsächlich desaströse Auswirkungen hat. Indem man das alles eliminiert, schafft man eine Cyberspace-Welt, die sich natürlich immer noch dieser lebendigen Rhythmen bedient. Das ist ja so in gewisser Weise pervers, dass auch der Cyberspace-Fan ja in jeder Millisekunde hängt an diesen Grundrhythmen der Existenz. Nicht, dass man ihm nur mit einem Zug den Stecker aus der Wand ziehen kann, dann ist seine ganze Cyberspace-Welt dahin, das ist das eine. Aber auch in der physisch-sinnlichen Existenz ist er in jedem Bruchteil einer Sekunde abhängig von diesem kosmischen rhythmischen Wellenschlag.

Und die Frage, wie diese Rhythmen zustande kommen, ist natürlich eine hoch interessante. Ich meine, der Hauschka, ich nehme mal ein beliebiges Beispiel, erwähnt mit einigem Recht, das wissen sie alle: Ein Mensch, ein erwachsener, gesunder Mensch vollzieht ungefähr 26000 Atemzüge pro Tag, in etwa. Er setzt das in Verbindung, kann man sagen spekulativ, wenn man das so nennen will, mit dem platonischen Weltenjahr, was 26000 Jahre umfasst. Sie wissen, diese ständige Rückwanderung der Sonne etwa alle 26000 (!) Jahre, irgendwann soll sie wieder am Ausgangspunkt angekommen sein (Sonnenpräzession). Das geht auf die Pythagoreer und Platoniker zurück, also das pythagoreische Weltenjahr, [das] ja eigentlich 25920 Jahre [umfasst]. Genauso viele Atemzüge wie ein Mensch pro Tag vollführt, ein gesunder Mensch. Auch hier wieder interessant, das kann ich heute nicht erörtern, die Zahlenbezüge, etwa Atemschlag – Pulsschlag, ungefähr 1 zu 4. Der Vier-Viertel-Takt in der Musik geht darauf zurück, auf bestimmte Tanzbewegungen, eins zu vier, Atemschlag – Pulsschlag.

Also es ist durchaus wahrscheinlich, dass diese Rhythmen eine kosmische Ursache haben, eine kosmische Quelle haben, das vielleicht die Rhythmen im Organischen sich letztlich auf höhere kosmische oder metakosmische Rhythmen zurückführen lassen, die vielleicht auch hier angesiedelt sind, in diesem Bereich [deutet auf an der Tafel Stehendes, wahrscheinlich den „höheren Raum“], also nicht nur im Sinne des physischen Kosmos zu verstehen sind. Das wirft natürlich dann ein ganz neues Licht auf die Rhythmik überhaupt und auch auf die Frage der kosmischen Verankerung von Musik und der Zahlen. Denken Sie an meine Vorlesung im Winter über Zahlen ‒ dass ganz bestimmte harmonikale Strukturen auch bestehen, dass rhythmische Impulse ausgesendet werden und spürbar sind und ablesbar sind, etwa die Terz und die Quinte spielen eine große Rolle im Pflanzenreich, wie Rudolf Haase und Kayser und andere nachgewiesen haben, nur als Beispiel. Ich habe hier die Sache mit der Quinte auch erwähnt im Hinblick auf Celibidache [der Dirigent hatte auf die unbedingte Notwendigkeit der Quinte für die Harmonik hingewiesen] für die Polarität.

Um erstmal für heute das zu resümieren, will ich Folgendes sagen: Ich habe versucht, Ihnen in umrisshafter Form einen Eindruck zu vermitteln, wie man eventuell, versuchsweise, Polarität, auch rhythmische Polarität denken kann und wie man das auch praktisch umsetzen kann, denn das ist alles eminent konkret. Man könnte ja sagen, das sind eher abstrakte Allgemeinheiten. Das ist nicht so. Das sind ja ganz konkrete Dinge, die ja auch Auswirkungen haben für das Verständnis des Menschen überhaupt. Ich meine, wenn man den Menschen einfach reduktionistisch zum schlauen oder dummen Tier erklärt, wie das ja mit Halali an allen Fronten geschieht, dann braucht man diese Frage überhaupt gar nicht erst zu stellen. Dann sind sie Scheinfragen, alles Scheinfragen. Irgendwann kommt der Mensch eben doch dahinter, dass das alles gar nicht wahr ist, dass er letztlich total reduktionistisch zum Tier gemacht werden kann. Dann bleibt immer noch die Frage, wie der Geist beschaffen ist, der das erkennt, nicht, dass der Gegensatz von quasi-Nichts und quasi-Gott, auch darüber habe ich ja gesprochen, natürlich dann ungelöst bleibt. Die Frage nach dem Bewusstsein selber bleibt natürlich ein Rätselfrage nach wie vor. Aber man kann doch, man hat die Möglichkeit, über ein Verstehen der Polarität im Rhythmus den Menschen ganz neu noch mal (zu) verstehen, über eine stoffliche, feinstoffliche, feinststoffliche, auch psychische, geistige Pulsation, kann man den Menschen verstehen und auf vielfältigste Weise auch tatsächlich neu und auch gleichzeitig wieder ganz alt, auf alte Weise angucken. In diesem Sinne also naturphilosophische Anthropologie.

So, das wollte ich Ihnen als Überblick geben. Dass das Ganze natürlich in einem hohen Maße ausdifferenziert werden kann, ist selbstverständlich. Dass das aber in dieser umrisshaften Form hier nur möglich ist, kann man leicht einsehen.

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Polarität I – Bauprinzip der Natur

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 17

Transkript als PDF:

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So, ich begrüße sie sehr herzlich zu dieser fünften Vorlesung im Sommersemester. Ich starte heute einen Vierteiler, in gewisser Weise, über Polarität. Drei Teile stehen im Verzeichnis, der vierte ist nur nicht als vierter Teil ausgewiesen. Nicht, das heißt ja „Polarität, Gedanken zu einem Bauprinzip der Natur“, Teil eins heute. Räumliche Komponente oben, unten, innen, außen, dann kommt, dann wird dieser Vierteiler unterbrochen durch einen Gastvortrag von Marko Bischof, den ich herzlich begrüße, er ist heute da. Dazu will ich nachher noch einiges sagen, und dann kommt die zeitliche Komponente, in 14 Tagen. Und dann die Geiststoffkomponente und dann die Polarität im Sinne von Goethe am Beispiel von Licht und Finsternis. Ist also in gewisser Weise der vierte Teil dieser Polaritätsthematik. Ich will einleitend sagen, dass die Frage der Polarität mich gerade in den letzten Jahren existenziell als Philosoph und Denker intensiv beschäftigt hat. Mag sein, dass es mit einer gewissen Lebenserfahrung zusammenhängt, bestimmten Erfahrungen, die man einfach macht. Mir wird immer deutlicher, dass es ein ganz großes, ein wichtiges, ein zentrales Thema ist, was denkerisch, nicht nur naturphilosophisch, auch denkerisch existenziell, noch kaum wirklich aufgearbeitet ist. Ich werde ihnen versuchen heute Abend einen ersten Eindruck zu geben in die Grundfrage der Polarität. Und dann am Beispiel von oben und unten.

Was ist Polarität? Das in eine einfache bündige, jedermann überzeugende und alle Phänomene abdeckende Formel zu bringen, ist unmöglich. Man kann sich annähern, ich habe mal vier Zitate rausgesucht, aus ganz verschiedenen Zeitepochen, die andeuten worum es bei Polarität geht. Ich lese mal diese vier Zitate vor und erläutere das ein wenig. Natürlich kann man sagen, um das gleich doch vorab zu sagen, was ist die Polarität? Das Zweieinige, die Zwei in der Eins und die Eins in der Zwei, in der inneren Spannung. Also der Gründervater der Polaritätsphilosophie, natürlich der griechische Philosoph Heraklit, Herakleitos, bekanntermaßen hat sich in verschiedenen seiner ohnehin spärlichen Fragmente zu dieser Frage geäußert. Ich lese mal ein Zitat vor, gibt viele Übersetzungen, die sich ein bisschen widersprechen und auch abweichen voneinander. Heraklit sagt, vor zweieinhalb tausend Jahren: „Die Gegensätze sind das Gleiche.“ [Kommentar zum Verhalten einer Person im Hintergrund: Er hat sich offenbar geirrt, im Hörsaal oder sonst wo.] „Die Gegensätze sind das Gleiche, denn das Eine, in dem es sich von sich trennt, eint sich mit sich selbst. Denn das Eine, in dem es sich von sich trennt, eint sich mit sich selbst, wie die Harmonie des Bogens mit der Leier.“ [Offenbar zu einer Person im Hintergrund als Antwort: Gerne]. [Es] ist schwierig. „Die Gegensätze sind das Gleiche, denn das Eine, in dem es sich von sich trennt.“ Also … das Eine, dass sich von sich selbst trennt, dass sich selbst quasi gegenübersetzt, eint sich mit sich selbst, wie die Harmonie des Bogens mit der Leier. Ja ermöglicht eigentlich die Leier, also dieser Gegensatz ermöglicht in gewisser Weise, die Leier ermöglicht auch den Bogen. Und das ist ein wesentlicher Grundgedanke der Polarität, dass diese Gegensätze in ihren polarem Spannungsfeld einander konstituieren. Das heißt, das Eine bestimmt sich durch das Zweite, und das Zweite wird durch das Eine bestimmt. Also, wie ganz naheliegend, fast banal, Licht ja nur begreifbar ist und sich als Licht, als es selber konstituiert, durch seinen Gegensatz. Durch seinen polaren Gegensatz, nämlich durch die Finsternis. Man könnte überhaupt gar keine Vorstellung vom Licht gewinnen, wenn man nicht wüsste, erfahren hätte, innen und außen, existenziell, was Finsternis ist. Also, das ist gemeint, der große Renaissance Philosoph Giordano Bruno, von mir hoch verehrt und eingehend studiert, hat sich auch mit der Frage der Polaritäten im Kosmos und in der Seele beschäftigt. Vor allen Dingen mit der Frage der Extreme. Da gibt es ein sehr schönes Wort von ihm, ich darf das mal kurz vorlesen: „… ja wer also die tiefsten Geheimnisse der Natur ergründen will, beobachte und betrachte die Minima und die Maxima des Entgegengesetzten und Widerstreitenden. Es ist eine tiefe Magie, das Entgegengesetzte hervorrufen zu können, wenn man einmal den Punkt der Vereinigung gefunden hat.“Gerne noch mal: „ …. wer also die tiefsten Geheimnisse der Natur ergründen will,“ unterstellt, dass man das will, viele wollen das ja gar nicht, aber, wenn man das will, „ … , beobachte und betrachte die Minima und Maxima des Entgegengesetzten und Widerstreitenden. Es ist eine tiefe Magie, das Entgegengesetzte hervorrufen zu können, wenn man einmal die Punkte der Vereinigung gefunden hat.“ Also da haben sie ein ähnliches Moment der Einheit der Zwei, der Zwei in der Eins und der Eins in der Zwei.

Drittes Zitat, Goethe, der als Dichter und auch … Bitte? Ich habe es schon zweimal vorgelesen, ich kann es aber, im Laufe der Vorlesung wird es hoffentlich deutlich werden. Ich weiß, das es nicht einfach ist, Polarität ist ohnehin ein schwieriges Thema. Und wenn man es ganz oberflächlich behandeln will, ist es ganz einfach, dann kann man es schneller abhaken, wenn man es in der Tiefe behandeln will, ist es sehr schwer, aber ich mache es trotzdem. Also ein letztes Mal, zum dritten Mal: „Wer also die tiefsten Geheimnisse der Natur ergründen will, beobachte und betrachte die Minima“, also das ganz Kleine, „…und die Maxima,“ das ganz Große, „… des Entgegengesetzten und Widerstreitenden. Es ist eine tiefe Magie, das Entgegengesetzte hervorrufen zu können, wenn man einmal den Punkt der Vereinigung gefunden hat.“ Da liegt die Magie gerade, in dem Einheitspunkt, den Gegensatz zu begreifen. Drittes Zitat von Goethe, der als Dichter und Naturphilosoph, der er auch war, er war ein sehr bedeutender Naturphilosoph, der sich mit der Frage der Polarität mehrfach beschäftigt hat. Von ihm stammt die Formel: Polarität und Steigerung, also die Steigerung in der Natur durch Polarität. Er sagt einmal: „Der Gegensatz der Extreme, in dem er an einer Einheit entsteht, bewirkt eben dadurch die Möglichkeit einer Verbindung.“ Noch mal: „Der Gegensatz der Extreme, in dem er an einer Einheit entsteht, bewirkt eben dadurch die Möglichkeit einer Verbindung.“ Bei ihm ist das (exemplifiziert), etwa am Phänomen der Farben, darüber werde ich sprechen. Er meint ja, dass Farben das Produkt sind der Einander-Entgegensetzung von Licht und Finsternis.

Das vierte Zitat stammt von einem der großen Dirigenten des 20ten Jahrhunderts, dem vor drei Jahren verstorbenen Sergiu Celibidache, Chef der Münchener Philarmoniker, der sich mehrfach geäußert hat in seinen Mainzer Vorlesungen zu der Frage der Polarität in der Musik. Und da gibt es ein schönes Zitat, ich habe es übrigens gebracht, in meinem Buch „Was die Erde will“, im Anhang. Ich lese das mal vor, über die Quinte, das Intervall der Quinte, fünfte Stufe in der diatonischen Skala. „Das Wesen der Quinte ist die Opposition, Polarität, Zwei und Drei. Ich teile diese Seite in drei, also in drei Teile, wie auf einem Monochord, und nehme nur zwei Teile, da habe ich die Quinte. Opposition heißt zunächst das zwei Direktionen gegeneinander kämpfen. Wenn die Quinte auseinanderbrechen würde, gebe es eine Explosion, aber indem sie zusammenhält, schaffst sie die größte Einheit die am Werk ist, die am Handeln ist. Die Quinte ist die maximale Opposition in der Einheit“, ja die Quinte ist die maximale Opposition in der Einheit. „Also das musikalische Intervall der Quinte, ja das schlechthin konstituierende Intervall für das Dur-, Moll-tonale System des Abendlandes.“ Also diese Quinte ist für ihn ein Klangsymbol, in gewisser Weise für die Polarität selber. Die Quinte ist die maximale Opposition in der Einheit, wie in der Geometrie der Winkel von 90 Grad, wie die Schwerkraft. Ohne Quinte gibt es keine Struktur, was keine Struktur hat, ist nicht kommunizierbar. Ich gehe da also noch einen Schritt weiter, das heißt ja, ohne Polarität gibt es überhaupt keine Struktur. Das kann man leicht vorwegnehmend am Licht zeigen. Das Licht alleine hat keine Struktur, so vordergründig betrachtet, es bedarf des Dunklen, der dunklen Form. Und jede Form und Gestalt kann in einem Wechselspiel von Licht und Finsternis überhaupt begriffen werden. Und eine sehr plakative Weise noch mal, in ein Bild gebracht, mit allen Unzulänglichkeiten, kann man sagen, der Pol A und der Pol B sind vielfältig miteinander verwoben. Man will als Gesamtes wieder eine Einheit, wobei wichtig ist, dass diese beiden Pole qualitativ different sind. Es geht nicht darum, dass etwa der Pol A und der Pol B einfach nur eine bestimmte Marke auf einer Skala darstellt. Ich nehme mal an eine, nehmen wir mal eine Skala von zehn Einheiten, den Punkt drei und den Punkt sieben. Das ist auf dieser Skala, das ist keine Polarität, oder der Punkt vier oder der Punkt acht. Das ist ein verschiedener Ort, aber keine Polarität, es sei denn ich verbinde mit den Zahlen, denken sie an das, was ich im Wintersemester in einer Vorlesung gesagt habe, qualitativ Symbole für magische oder mystische oder numerologische Vorstellungen. Dann ist es etwas anderes, dann kann ich sagen, die Drei ist etwas qualitativ anderes als die Sieben. Dann mag eine Polarität hineinspielen, auf der normalen Skala ist das keine Polarität.

Die Polaritäten, die dem Menschen am meisten bewegen, sind eigentlich drei Polaritäten, die jeden im Innersten aufwühlen. Das ist die Polarität natürlich von Leben und Tod, beziehungsweise von Werden und Vergehen. Leben gibt es nur um den Preis des Todes, den Tod gibt es nur, weil es Leben gibt. Jedes Neugeborene ist schon zum Tode verurteilt, also Leben und Tod sind innig miteinander verschwistert. Sie konstituieren einander. Dann natürlich die Polarität von Licht und Finsternis, der Tag und die Nacht. Im umfassenden Sinne, auch in einem spirituellem, in einem mystischen Sinne, das Dunkle, das Lichte. Also Metaphysik des Lichtes, Metaphysik der Dunkelheit und männlich, weiblich. Das Weibliche und das Männliche, das sind wohl die drei Polaritäten, die jeden in der Tiefe berühren, mit denen er ständig konfrontiert ist und die ihn unaufhörlich bewegen. Es wäre müßig, jetzt hier eine Skala der vielen Polaritäten, die es hier gibt, hier aufzuführen. Das wird im Zusammenhang mit dem Vortrag auch dann deutlich werden. Ich will anknüpfen an ein Buch, was ich jetzt mittlerweile fast zu Ende gelesen habe. Nämlich von Peter Sloterdijk „Spären 1. Blasen“. Ich war erstaunt festzustellen, dass Sloterdijk, und das konnte man zunächst gar nicht ahnen, auf den ersten 150, 200 Seiten, bei diesem immerhin über 600 Seiten umfassenden Buch, sich auch ganz intensiv in diesem Buch mit dem Thema Polarität beschäftigt. Und zwar mit einer bestimmten Polarität, einer, so fasst er das ursprungsmäßig zunächst einmal, interuterinen Polarität, nämlich der Polarität des Fötus mit der Plazenta. Das ist eine, ein Versuch, ein großartiger philosophischer Versuch, den rätselhaften Dialog im Uterus nachzuzeichnen, den das Noch-nicht-Subjekt, genannt Fötus, er nennt es auch das „Auch“, führt mit der Plazenta, nicht unmittelbar mit dem mütterlichen Organismus, mit der Mutter, sondern mit der Plazenta. Und er zeigt in diesem Buch hochinteressant, aufregend und spannend, dass der moderne Individualitätsgedanke, der zum Erblühen gekommen ist, sagen wir mal vor ungefähr 200 Jahren, parallel läuft, mit einer geringen Achtung, Geringschätzung, ja einer totalen Gleichgültigkeit gegenüber der Plazenta, die als Müll entsorgt wird. Wie das ja bekannt ist, mehr oder weniger die Plazenta, der Mutterkuchen, die Nachgeburt ist Müll, wird zerrieben, zum Teil wird es in der Müllverarbeitung benutzt. Es gibt in ganzen, [in] vielen Kulturkreisen ist das ganz anders gewesen, da werden, gibt es Heilrituale, zum Teil wird die Plazenta gegessen und so weiter. Er wendet sich dem Thema in einer Intensität zu, wie es noch nie ein Denker gemacht hat. Und es geht ihm letztlich, ich will das mal versuchen formelhaft zu verkürzen, was schwer ist bei dieser ungeheuer komprimierten, subtilen und ausdifferenzierten Sprache von Sloterdijk, es geht ihm letztlich darum zu zeigen, dass dieser Verlust der Plazenta quasi als ein Symbol auch steht für die Atomisierung und Vereinzelung des modernen Individuums. Und damit auch kausal verantwortlich ist für die ökologische Krise. Und da spannt sich ein interessanter Bogen, auch zu meiner These von der kollektiven Neurose. Und zu meiner These in „Was die Erde will“, dass die gelungene, die gute, die richtige Geburt, eigentlich und zwar kollektiv und individuell die Grundlage überhaupt einer synergetischen Verbindung von Mensch und Schöpfung darstellt. Auch das ist ein Thema bei ihm: die misslungene Geburt als ein Desaster. Und da führt er also die Plazenta hier ein und zwar sagt er: „Dass der Mensch immer zugeordnet ist, auf das jeweils Andere, den jeweils Anderen, die jeweils andere. Der Mensch ist nie der Eine, ohne den Anderen oder das Andere.“ Und in Anlehnung an Heidegger und auch an Weiterführung einiger Passagen aus seiner Zeit, die Heidegger nicht weiter verfolgt, spricht er von der existentialen Raumblindheit des modernen Denkens. Und überhaupt der Raumblindheit des Subjekts überhaupt. Und macht das verant-, mitverantwortlich für die desaströse Situation der Gegenwart. Er meint das nicht moralisch und stellt diese Thematik nicht so heraus, wie das möglich wäre. Wie ich das zum Beispiel getan habe, er meint das eher phänomenologisch. Ich will das mal versuchen, an einigen wenigen Beispiel ihnen zu verdeutlichen, weil das wirklich extrem ist, wie das hier Sloterdijk zu denken versucht. Und worum es hier geht, das moderne Individuum, das im 18ten Jahrhundert zu seiner Blüte kam, begreift sich als den Einzelnen oder die Einzelne, ohne ein Zweites. Und Sloterdijk behauptet, sehr weitreichende These, dass gerade darin die Neurose und die Abspaltung besteht. Dass man nicht mehr verstanden hat, dass im Raum sein, in einer Sphäre sein bedeutet, immer mit dem polaren Gegenstück sein. Das heißt, Sein ist immer Mitsein, immer mit dem Anderen, der Anderen, Sein ist immer ein Mit, ein Zwischen, im Grunde genommen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, das ist eine Philosophie des Mit und des Zwischen. Also der Einzelne ist nie der Einzelne und kann nie der Einzelne sein, sonst könnte er gar nicht existieren. Der Nihilismus ist ja im Grunde genommen die Behauptung der totalen Ortlosigkeit des Einzelnen. Also ist die existenzielle Frage, wo ist der Mensch existenziell, ontologisch, ja kaum zu beantworten. Er ist in gewisser Weise, was die moderne Bewusstseinsverfassung betrifft, ersteinmal im Nirgendwo. Er ist geradezu eine Definition des Nihilismus, der Mensch ist im Nirgendwo, er hat überhaupt keinen Ort. Er müsste sich erstmal einwohnen, und zwar, wie ich meine, und das deutet auch Sloterdijk an, doppelt einwohnen. In die Erde einwohnen – und in den Kosmos einwohnen. Ich will mal einige kurze Zitate bringen, die das vielleicht ein bisschen verdeutlichen. Das muss man mit aller Vorsicht sagen, denn der Rüdiger Safranski in seiner Besprechung dieses Buches sagt mit Recht: „Sloterdijk auf einfachere Formen zu bringen heißt ihn verkürzen.“ In gewisser Weise ist das Buch auch ein Stück Literatur, das heißt also, das, was gesagt wird, hat nicht umsonst eine bestimmte sprachliche Form. Wenn man es übersetzt, in eine Vereinfachung, nimmt man ihm ein Stück weit seine Essenz. Wie man große Literatur, wirklich wichtige Texte, nicht einfach mal so in Thesen auf dem Paper rüberreichen kann. Dann verlieren sie einfach an Kraft, das kann man zwar tun bei Sloterdijk, dann wirkt das aber eigenartig und eher befremdlich, ja man kann es auch als monströs bezeichnen, als vollkommen abwegig. Denn es ist ja, was er hier macht, ist ein faszinierendes Beispiel für einen modernen Intellektuellen, sich einen Schleichweg zu bahnen in eine neue Form von Spiritualität und Mystik, ja Gnosis. Nicht zufällig ist ja Sloterdijk ein großer Gnosis-Kenner und -Forscher und hat ja eine der wichtigsten, vielleicht sogar die wichtigste Sammlung zur Gnosis herausgegeben: „Weltrevolution der Seele“, zusammen mit Thomas Macho, der hier an der Humboldt Universität auch lehrt, Weltrevolution der Seele, und er versucht sich von der modernen Bewusstseinsverfassung aus einen Schleichweg in die Gnosis zu bahnen. Es ist eigentlich eine Art von Mystik und Neo-Gnosis, die er hier vollzieht. Ich gebe ihnen mal kurz das Beispiel, auch wenn man das im Grunde genommen Satz für Satz interpretieren müsste. Ich will das auch nicht zu weit ausführen, nur ich will auf den Punkt kommen der Polarität. Das ist auch ein Buch über Polarität – und über den Verlust der Polarität. Über das Verhängnis des Verlustes einer guten Polarität, gut nicht im moralischen Sinne, sondern im Sinn der philosophischen Tradition des guten Lebens, eine gute Polarität. „Manches spricht dafür, dass der moderne Individualismus erst in seine heiße Phase eintreten konnte, als in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts die allgemeine klinische und kulturelle Exkommunikation der Plazenta begann.“ – Kurz um die Plazenta, die Nachgeburt, der Mutterkuchen gehört auf den Müll, was soll man damit noch? Fürderhin – „die verfasste Ärzteschaft nahm es auf sich, wie eine gynäkologische Inquisition sicherzustellen, dass der rechte Glaube an das Alleingeborenwerden in allen Diskursen und Gemütsverfassungen fest verankert wurde. Der bürgerlich individualistische Positivismus setzte gegen schwache Widerstände der Seelenpartnerschaftsromantik“ – jetzt schöne Formulierung – „die radikale imaginäre Einzelhaft der Individuen in den Mutterschößen, in den Wiegen und in der eigenen Haut durch.“ Sehr schön gesagt, sehr pointiert gesagt, der moderne Individualismus, das atomisierte Individuum, jeder für sich, vollkommen vereinsamt, elendig gekrümmt in sein eigenes Ego ist eigentlich eine radikal imaginäre Einzelhaft, jeder, das sagt er mehrfach in dem Buch: „Jeder ist eigentlich in Einzelhaft, jeder hat lebenslänglich.“ Und zwar muss er es mit selbst sich aushalten, weil der andere verloren­gegangen ist, der ist einfach weg. „Des Zweiten beraubt werden nun alle Einzelnen unmittelbar zu den Müttern“, – er meint das unmittelbar zur rein biologischen Natur – „und gleich danach unmittelbar zu der totalitären Nation, die durch ihre Schulen und Armeen nach den einzelnen Kindern greift.“ Seine These ist hier, wenn das Zweite, auch das spirituell, das metaphysisch Zweite, die Ergänzung, weg ist, dann wird der Einzelne zum Futter der totalitären Ideologien, oder er stürzt ab. Auf die Ebene der puren Bios-Natur, er wird pure Natur, purer Körper, oder er wird als Einzelner jetzt totalitär vereinnahmt. Das muss nicht unbedingt Faschismus bedeuten oder Nationalsozialismus, Kommunismus, sondern generell von den modernen Gesellschaften, die letztlich diesen vereinzelten Menschen auch brauchen, ja durch ihn konstituiert werden. Nicht umsonst findet man den Meisterdenker der Regression in die absorbierende Natur wie in den pathetischen Nationalstaat, Jean Jacques Rousseau. als charmant groteske Portalfigur am Eingang zu der strukturellen modernen Welt. … Rousseau war der Erfinder des Menschen ohne Freund, der das ergänzende Andere immer nur entweder als unmittelbare Mutter Natur, berühmt ja „Zurück zur Natur“ oder als unmittelbarer Nationaltotalität denken konnte. Mit ihm beginnt das Zeitalter der letzten Menschen, Nietzsche, „Zarathustra“, die sich nicht schämen als Produkte ihres Milieus und als Einzelfälle sozialpsychologischer Gesetze aufzutreten. Darum ist seit Rousseau die Sozialpsychologie die wissenschaftliche Form der Menschenverachtung. Und zwar deswegen, weil damit eigentlich, in dem die Ergänzung wegfällt, das Zweite, das metaphysisch Zweite, das spirituell Zweite, die eigentliche, auch kosmische Ergänzung, der Mensch eigentlich abstürzt und seine Menschenwürde ist dann erst einmal dahin und kann natürlich beliebig abgeräumt werden, vereinnahmt werden in jedwedes totalitäre System. Wohingegen wie in der Antike und in den populären Traditionen im kulturellen Imaginären ein Platz für das Double der Seele offengelassen war.“ Er bringt da eine Fülle von Beispielen aus der gesamten Weltmystik, der immer, der Zweite, die Römer nannten das den Genius. In Griechenland der Daimonion, immer das, der Zweite, der Andere. Der in gewisser Weise immer man selbst ist, aber doch ein Anderer ist. Also „wohingegen im kulturell Imaginären ein Platz für das Double der Seele offengelassen war, konnten die Menschen bis an die Schwelle der Moderne sich dessen vergewissern. Dass sie weder unmittelbar zu den Müttern,“ Absturz auf die Naturebene, Bios-Ebene, „sind, noch unmittelbar zu der Gesellschaft oder zum eigenen Volk. Sondern Zeit Lebens vorrangig verbunden bleiben“, jetzt pointiert, „mit einem innersten Zweiten“. Also diesem quasi metaphysischem Zweiten, also das ist, in gewisser Weise ist eine Metaphysik der Plazenta, jetzt mal vereinfacht gesagt. Mit einem innersten Zweiten, dem eigentlichen Alliierten und Genius ihrer besonderen Existenz. Also er fächert nun die gesamte Weltmystik und Weltspiritualität auf. Immer auf der Suche nach dem oder der Zweiten, dem Anderen. Ohne das oder den oder die der Mensch gar nicht existieren kann, wenn man Erfahrungsberichte hört von Menschen die transpersonale, holotrope, grenzüber­schreitende Erfahrungen gemacht haben, dann wird man immer wieder auf eine zentrale Aussage stoßen, in fast allen dieser Berichte, dass der Einzelne oder die Einzelne schockartig sich des Anderen bewusst wird, ja plötzlich begreift, dass es eigentlich immer der Andere war. Also der Genius, das Daimonion, der geheimnisvolle Zweite, der Engel und ähnliches. Es gibt eine berühmte Aussage des amerikanischen Dichters Walt Whitman, der eine solche Grenzerfahrung, grenzüberschreitende Erfahrung hatte. Der dann erschüttert, aufgewühlt gesagt hat: Ich bin der Andere. Also der Einzelne ist der Andere, er begreift, dass nur er selbst sein eigentlich, das Gefängnis ist. Wer immer er selbst sein muss, ist in der Falle, er ist im Gefängnis. Das ist an sich schon die Neurose, nur er selbst sein zu dürfen. Und das also hier einleitend, das verarbeitet der Sloterdijk zu einer Etüde über das Thema: Verlust des Anderen, der Anderen. Und damit auch Verlust der Polarität, und das ist ja unser Thema.

Es geht ja um die Frage, was Polarität ist und wie man ein Verständnis von Polarität ja auch fruchtbar machen kann für ein Verständnis der ökologischen Krise. Das ist ja wichtig, das ist ja unser Ausgangspunkt, warum zerstört der Mensch die Erde? Das ist ja die Frage, warum geschieht das? Und auch mir ist erst in den letzten Jahren zunehmend deutlich geworden, dass die Frage der Polarität hier tatsächlich zentral ist. Der Mensch hat auch die Polarität verloren, und zwar die gute Polarität. Natürlich bewegt er sich in polaren Gegensätzen, jeder ist ja der Feind des anderen, in gewisser Weise. „Homini hominus lupus est“, Thomas Hobbes, also das ist klar, dass natürlich auf der Ego-Ebene sowieso immer das andere Ego erstmal der Gegner ist oder die Gegnerin. Es ist also geht um eine innere, um eine gute Polarität, um den-, um die Einsicht, dass in der Welt sein immer bedeutet, in Verbindung sein. Eben am Beispiel der intrauterinen Zweiheit mit der Plazenta. Wenn man das mal in meine Thesen übersetzt quasi, diese Sprache, und das kann man, mit einem gewissen Recht und auch mit gewissen Abstrichen, aber das geht, dann könnte man das vielleicht so sagen, ich darf das mal vorlesen. Ich habe das heute Morgen mir mal klarzumachen versucht, wenn ich die These von Sloterdijk ernstnehme. Und das tue ich, bei allen Manierismen die natürlich in seinem Buch mitlaufen, dann könnte ich sagen: Sloterdijks „Sphären 1. – Blasen“ ist ein Buch über den polaren Innenraum des Menschen. Beziehungsweise dessen Verlust, Raumblindheit im modernen Individualismus. Nicht umsonst ist bei Descartes die res cogitans, die denkende Seele, ohne Raum. Sie ist-, hat gar keinen Ort, sie ist raumlos. Sie hat auch-, ja, hier geht es nicht um Ausdehnung, in diesen vordergründigem Sinne, es geht natürlich um Innenraum. Wie Rilke sagt: „Weltinnenraum, Seelenraum.“ Nicht, das ist ja auch eine wesentliche These, auch hier in dem Buch, dass der Mensch ohne diese kollektiven Seelenräume als Sphären gar nicht existieren kann. Er schafft sich ständig neue kollektive und soziale Blasen. Bei mir meint kollektive Neurose den kollektiven Verlust des Himmels und der Erde. Nicht, die Erdbindung und die Bindung zum Kosmos, Metakosmos, zu der transpersonalen Sphäre. Also den kollektiven Verlust des Himmels und der Erde und damit den Wegfall der polaren Spannung von mittlerer Sphäre, mit ihrem Oben und ihrem Unten. Es fließen von dort keine nährenden Kräfte mehr, ich habe ja verschiedentlich gesagt, wenn man den Menschen als einen Mesokosmos betrachtet, als ein mittleres Wesen, auch im Sinne der neuplatonischen Überlieferung eingehängt zwischen Himmel und Erde, nicht mehr Tier und noch nicht Gott, irgendwie unterwegs zwischen Tier und Gott, dann kann man ja aus dieser polaren Spannung auch etwas ableiten über dieses Wesen Mensch. Dann ist der Mensch ja ein Wesen im Zwischen, tibetisch, buddhistisch gesagt im Bardo, im Zwischenzustand. Und wenn man das wegschneidet, die lebendig nährende Erde da drunten, die zwar faktisch weiterexistiert, und selbst der größte Neurotiker kann ohne die ständigen nährenden Kräfte unter seinen Füßen nicht existieren, und wenn man gleichzeitig die transpersonale Sphäre, sozusagen nach oben den Blick auch, wegschneidet oder das zumauert, dann kann der Mensch und muss der Mensch mittel- oder langfristig sich und das Gestirn zerstören. Bei mir meint kollektive Neurose den kollektiven Verlust des Himmels und der Erde und damit den Wegfall der polaren Spannung von mittlerer Sphäre mit ihrem Oben und ihrem Unten, es fließen von daher keine nährenden Kräfte mehr. Das Außen ist einfach dröhnende Leere, mal abgesehen von spirituellen oder ufologischen oder astrologischen Bezügen, die es ja gibt, aber erst einmal im Mainstream-Denken ist das Außen dröhnende Leere, Panik machende Unendlichkeit, ein Nichts eigentlich, das den Menschen zermalmt.

Nimmt man dem mesokosmischen Wesen, dem Menschen das wirkliche Oben, Kosmos im tiefsten Ortssinn und das wirkliche Unten, den irdischen Boden, die atmende nährende Erde, zerstrahlt es in die nihilistische Ortlosigkeit, die ihn zu Surrogaten zwingt, zu selbstgemachten Sphären. Derart soll der Verlust kaschiert werden, sehr schön sagt das Sloterdijk einmal über die Globalisierung, nachdem die Sphären der alten weggesprengt worden sind in der Mainstreamkosmologie und der Mensch nun sozusagen nackt vor dem Nichts steht, schafft er sich in der Globalisierung und mittels der technischen Welt eine Scheinsphäre. Eine Scheinhülle, die ihn nun schützt vor dem gnadenlos eisigen Anhauch des Nichts. Ja, da soll der Verlust kaschiert werden, der moderne Mensch hat den Raum als existenziellen Mitraum verloren. Sloterdijk geht zurück in die intrauterine Phase, in die polare Verbundenheit von Fötus, dem Präsubjekt, dem Auch und Plazenta, dem Mit, dem ersten „Nobjekt“, wie Thomas Macho sagt. Thomas Macho hat auch den Begriff des Nobjekts geprägt, no Object und doch nicht Subjekt, also was jenseits von Subjekt und Objekt ist, existenzialer Raum ist immer polar gebauter Mitraum. Die Ortlosigkeit, Verlust des Innenmitraums und die Abspaltung vom inneren Anderen stoßen das moderne Individuum in die Sphären der puren biologischen Natur oder der kollektiven totalitären sozialen Gebilde. Auf andere Weise als ich, aber doch in gewisser Weise analog, sieht Sloterdijk die misslungene Geburt als Schlüsselelement zum Verständnis der Krise. Ist ja ein Leitmotiv in meinem Buch „Was die Erde will“, die misslungene Geburt. Viele verstehen das gar nicht oder lesen das Buch und wissen gar nicht, dass ich darüber spreche, als ein wesentliches Thema. Die misslungene Geburt, als ein desaströses Moment, und zwar kollektiv und individuell. Auf andere Weise als ich, aber doch in gewisser Weise analog sieht Sloterdijk die misslungene Geburt als Schlüsselelement zum Verständnis der Krise. Es geht umfassend um die gute und vollständige Inkarnation, Geburt. Dass, wie ich das nenne, das richtige, das wirkliche Sich-Inkarnieren. Nicht das Halbinkarniertsein und dann technisch imperial, machtförmig die Geburt in Szene setzen. Auf Teufel-komm-raus oder Erde-geht-zu-Grunde. Nur derart kann der Raum zum Mitraum, das Selbst ohne Raum, Sloterdijk, überwunden werden. Zugleich ist der Verlust des inneren Gegenpols im Sinne dessen was viele voreilig, die Esoteriker, aber doch im Kern zutreffend, als das höhere Selbst bezeichnen, angesprochen. Sloterdijk benutzt solche Begriffe nicht, niemals benutzt er den Begriff des höheren Selbst, weil es ja ein schon weitläufig abgenutzter Begriff, auch in der Esoterik- und der New-Age-Szene ist. Das höhere Selbst, davon spricht fast jeder zweite und dritte, hat fast Talkshowqualität schon, das höhere Selbst, „mein höheres Selbst“, er benutzt diese Begriffe nicht, obwohl man sie natürlich so deuten kann, dass er im Grunde das meint. „Ich bin der andere.“, sagt Walt Whitman nach einer grenzüberschreitenden Erfahrung. Ich habe das schon gesagt. In der transpersonalen Erfahrung kann sich der Einzelne als der eigene kosmische Genius erfahren. Das zu einer möglichen Verbindung zwischen den Thesen dieses Buches von Sloterdijk und meinen eigenen Thesen. Ist sehr schwierig, und es wäre ein eigener Dialog jetzt, der hier geführt werden müsste mit Sloterdijk über diese Fragen, und der steht an und wird auch demnächst passieren. Ich will jetzt noch mal die ganze Frage der Polarität von einem ganz anderen Blickwinkel aus zeigen.

Man kann ja die Frage der Polarität sich verdeutlichen auf vielfältige Weise. Eine Weise ist, indem man sich vorstellt, wenn sie das mal einen Moment machen, wäre das vielleicht hilfreich, worin besteht der Unterschied zwischen dem Raum innerhalb einer Kugel und außerhalb einer Kugel? Zunächst könnte man sagen, das ist überhaupt kein Unterschied, das ist der gleiche Raum. Innen ist der Innenraum und außen ist der Außenraum, worin soll der Unterschied bestehen? Man kann aber, wenn man das weiterverfolgt, zeigen, dass der Innenraum einer Kugel und der Außenraum einer Kugel nicht identisch sind. Das ist kosmologisch immer wichtig gewesen in diesen Zusammenhängen. Ich will das hier noch ein bisschen später bringen, das ist jetzt verwirrend, ich wollte noch mal eine andere Skizze bringen. Einfach nur die Kugel, wenn sie sich das vielleicht mal vorstellen, in einer gewissen Dreidimensionalität, als Kugel. Der Mensch hat sich ja immer beschäftigt mit dieser Kugelform, auch in ihrer polaren Funktion. Nicht umsonst haben die Platoniker die Kugel als, die sphairos, die Kugel, die Sphäre, als den idealen Körper bezeichnet. Und kosmologische Modelle, das habe ich ja auch immer wieder auch angedeutet, gehen immer wieder von der Kugel aus. Und auch die Seele ist in vielen mystischen spirituellen Traditionen als Kugel verstanden worden. Die Seelenkugel, als eine Lichtkugel, zum Beispiel, in der Mystik des großen Mystikers und Philosophen Jakob Böhme taucht das immer wieder auf. Die Seele als eine Kugel, und das hat zu interessanten Schlussfolgerungen geführt. Also kosmologisch gesehen, sie kennen das ja, ich habe es ihnen ja mehrfach angedeutet. Ich sage es noch mal kurz, weil es für das-, für den Kontext wirklich wichtig ist. Im traditionären mittelalterlichen Weltbild ist ja der Kosmos eine gewaltige Innenkugel, ohne Außenkugel. Da sind wir schon bei einer grundstürzenden Polarität. Wie kann das sein, eine Innenkugel, ohne Außenkugel, rein stereometrisch ist das unmöglich. Eine Innenkugel muss, die Innenfläche einer Kugel, die Kugelinnenfläche, muss eine Außenfläche haben. Das Konvexe und das Konkave müssen zusammengehören. Das ist nicht so gedacht worden, im aristotelischen-ptolemäischen, auch im mittelalterlichen Weltbild. Nicht, das ist eben das, was erst einmal schwierig ist zu begreifen, aber was für die ganze Diskussion, auch für die Polarität wichtig ist. Man nahm ja an, dass die Innensphäre, hier die Fixsterne, in der Mitte des Kosmos die Erde, umgeben von verschiedenen planetaren Körpern, das eine ist. Während außen eigentlich gar kein Außen ist, weil, außen ist kein Raum, auch kein Nichtraum, sondern etwas, was nicht vorstellbar ist. Das war ja eine Polemik der Naturphilosophen gegen Aristoteles, auch der pythagoreischen Naturphilosophen gegen Aristoteles, zu sagen: Das kann nicht sein, wenn es einen Innenraum gibt, an dem die Fixsterne befestigt sind, nicht, Erde, sondern meistens als Siebensphären gedachten Bahnen, Kreise, Schalen der Himmelskörper, dann muss dem auch ein Außenraum entsprechen, dann fiele die Polarität weg. Das ist wichtig, also etwa Giordano Bruno viele andere Argumente aufgreifend, und auch aus der römischen Antike Lukretius, vertrat die These, es gibt eben keine substanzielle Polarität von Innenraum und Außenraum. Sondern der Innenraum ist der Außenraum und umgekehrt, dann muss der Raum unendlich sein, das ist klar. Wenn man sich dieser, wenn man meint, dass der Raum, wie wir ihn kennen, so beschaffen ist, dann kann er nur und muss er unendlich sein. Dann kann man der Frage der Unendlichkeit nicht mehr ausweichen. Nun kann man natürlich sagen, der Innenraum und der Außenraum sind eine wirkliche Polarität, weil der Innenraum auch im Sinne von Bruno, ist ja immer der endliche Raum. Und der Außenraum in diesem Sinne ist immer der unendliche Raum, dann wäre man bei der Polarität von Endlichkeit und Unendlichkeit. Man könnte so weit gehen zu sagen, dass man einen derartigen-, eine derartige Kugel sowohl von innen aus denken kann, von der Radialität, vom Mittelpunkt aus, in alle Richtungen, als auch von außen. Dann hätte man eine ganz andersartige Vorstellung, nicht, das ist möglich. Man kann die Dinge sozusagen von innen und von außen betrachten, und man kann jetzt auch, und das führt uns ja in die Frage dieser Vorlesung noch hinein, nach der oben-unten-Polarität, auch des Organismus, man hat das natürlich immer verbunden mit den jeweilig konkreten Gestalten. Aristoteles, und mit ihm viele andere, war ja der Auffassung, das Unten unter unseren Füßen ist ein absolutes Unten. Die Gravitation ist eine Raumbeschaffenheit, also die Gravitation wirkt zentrierend zum Weltmittelpunkt hin. Sie ist in diesem Sinne eine absolute Größe. Wenn ich das aufhebe, dann komme ich natürlich erst einmal zu einem kosmischen Relativismus. Dann ist das Unten was wir spüren, wie wir hier im Raum miteinander sind, haben wir ja ein klares Gefühl von unten, aufgrund der Gravitation, dann wird das zu einer durch und durch relativen Größe, und doch hat jeder von uns, und das ist eigenartig, elementar, existenziell das Gefühl, dass es doch einen Unterschied macht. Nun könnte man sagen, das ist nur einfach ein Relikt einer nicht überwundenen Bewusstseinsstufe. Wir reden ja davon die Sonne geht auf oder unter, und wir sind alle unserer Alltagssprache mehr oder weniger Ptolemäer, also Antikopernikaner. Nicht, die Sinne, der Leib glaubt nicht an Kopernikus, er kann da auch nicht daran glauben, weil er in seiner unmittelbaren Verfassung erst einmal das Unten als unten und das Oben als oben begreift. Und das hat immer auch, denken sie an das, was Sloterdijk gesagt hat, eine spirituelle Komponente. Die Jenseitsvorstellung der, etwa der mittelalterlichen Kosmologie, ging ja darauf aus, dass das Jenseits, das räumliche Anderswo, tatsächlich auch ein spirituelles Anderswo ist. Also jenseits im räumlichen Sinne, das Jenseits war tatsächlich woanders. Also nicht im Sinne einer anderen Dimensionalität, die auch hier ist, man könnte ja auch sagen, das Jenseits ist auch hier, in diesem Moment, in diesem Raum. Nur eben in einer anderen Dimension, nein, das Jenseits war buchstäblich woanders. Und der Blick nach oben zum Firmament war letztlich der Blick in eine göttliche Sphäre. Nicht, die Fixsternsphäre war die letzte Grenze des von allen Seiten hereinflutenden Göttlichen. Insofern war der Blick zu den Gestirnen der Blick zum Göttlichen und damit auch die aufgerichtete Gestalt des Menschen, das erhobene Haupt war immer gegen den Himmel gerichtet, und so ist es in vielen spirituellen Traditionen ja vollkommen ungeachtet der kosmologischen Entwurzelung und des Relativismus geblieben, die aufgerichtete Wirbelsäule etwa in vielen Meditationsformen, Kopf gen Himmel, zeugt davon. Also, kosmologisch gesehen ist diese oben-unten-Polarität aus den Angeln gehoben worden. Existenziell nicht vollständig. Oben hat immer noch einen letzten Rest von Andersartigkeit, ja geradezu von anders Anderswelt. Der Blick nach oben ist immer ein Stück weit noch etwas anderes als das Irdisch-Sinnliche hier unten. Und das, da liegt der Punkt, und auch dort wird wieder, nur eben anders, nachmittelalterlich die Vorstellung vertreten, dass das Kosmische da drüben, da oben tatsächlich auch etwas Göttliches ist. Also etwas anderes und damit auch ein anderer Raum, nicht, wenn da oben etwas anderes hereinflutet, ein anderer Raum, dann ist das nicht einfach Materie, die da einfach nur sinnlos unendlich weitergeht. Das würde ja den totalen Relativismus bedeuten, und da liegt genau der Punkt, wenn man versuchen will zu verstehen, was es mit der Polarität der menschlichen Gestalt auf sich hat. Traditionell ist es immer so verstanden worden, dass der Mensch in seiner aufgerichteten Gestalt, mit seinem Haupt tatsächlich diese Sphären abbildet. Das kann man an ganz vielen spirituellen Überlieferungen sehen, dass das Haupt der-, die Quasi-Kugel des Kopfes, auch ein Abbild ist der Himmelskugel. Nicht, das findet man noch wortwörtlich dann in einigen Vorträgen von Steiner bei den Anthroposophen, der Kopf, die Kugel, als Kopf ein Abbild dieser Sphärenharmonie, trotz Kopernikanismus. Nicht, das ist ja an sich erstmal geistesgeschichtlich kosmologisch ein Unterschied. Wieso soll denn eigentlich der menschliche Kopf ein Abbild einer Sphäre sein, die gar nicht existiert? Nicht, denn erst einmal sind ja nach Kopernikanismus diese Sphären radikal abgeräumt worden. Es wird ja-, es ist ja nur ein Scheinbild, man kann natürlich auf eine tiefere Weise, auf einer tieferen Ebene diese Sphären wiederherstellen, aber dann anders. Dann muss man sozusagen eine andere Ebene berühren, also in der traditionellen Spiritualität der letzten zweieinhalbtausend Jahre ist der Kopf, die Kugelform des Kopfes, ein Abbild der Sphären. Und damit ist in gewisser Weise eine absolute oben-unten- Polarität hergestellt. Die auch eine qualitative Differenz bedeutet, denn oben, auch im Sinne der asiatischen Chakralehre, ist höherwertig. Das heißt nicht, dass das Untere deswegen geringgeachtet wird, aber der Kopf, der Brustraum, die Kopfform ist mehr, höher, qualitativ anders, als die unteren Regionen, Partien des Körpers. Im-, in den Yoga-Sutras von Patanjali zum Beispiel wird mehrfach gesagt: Menschsein beginnt erst vom Herzzentrum an, darunter ist dieser Organismus noch nicht Mensch. Es ist in gewisser Weise vormenschlich oder tierisch, damit wird also eine klare Wertung in der oben-unten-Relation vorgenommen, entlang der Vertikalachse. Und die Schwierigkeit, das will ich kurz sagen, vor der Pause, für uns heute überhaupt in diese Gedankengänge uns wieder hineinzufinden, besteht ja darin, dass wir kosmologisch das Ganze abgeräumt haben. Und nun große Mühe haben einen derartigen Gedanken überhaupt zuzulassen. Dass es so etwas geben könnte, wie eine holarchische Stufenordnung in dieser organischen Gestalt. Sehr schwierig, weil ja schnell auch der Begriff des Holarchischen oder Hierarchischen politisch besetzt rüberkommt. Und Misstrauen auslöst, als ob es hier um eine hierarchische Wirklichkeits­überzeugung ginge. Um die es in der Tat auch geht, bloß in einer anderen Form, als es im traditionellem Sinne der Fall ist. Also das erstmal zu diesem im ersten Durchgang, auch, wenn das jetzt vielleicht etwas schwierig und nicht in allen Facetten nachvollziehbar gewesen sein mag. Zu diesem Problem der kosmologischen Entwurzelung den-, des Verlustes der Polarität und dem Versuch diese Hierarchie von oben und unten auf eine andere Weise wiederzugewinnen. Auch im Nachkopernikanismus, können wir das, geht das? Auch, wenn wir meinen, fühlen, denken, glauben, dass diese Sphären so nicht existieren. Und das ist genau das Thema, und da will ich dann auch versuchen ihnen eigene Denkansätze vorzustellen, die es dazu gibt. Und ich will versuchen zu zeigen, wie man das auf eine neue Weise denken kann. Das ist extrem schwierig und subtil. Und die wenigsten Denker machen sich überhaupt die Mühe, sich an diese Thema ranzuwagen. Insofern mag auch in meinen Ausführungen vieles unzulänglich und vorläufig sein, das liegt aber an der ungeheuren Schwierigkeit der Thematik. Und da ist wirklich noch Neuland zu erschließen, ich mache mal eine kleine Pause.

Ein ganz anderer Gesichtspunkt, dann gibt es ja auch ganz bestimmte Vorstellungen von dem feinstofflichem System des menschlichen Körpers. Auch mit einer bestimmten oben- unten-Zuordnung, die gibt es ja überall. Ich habe ihnen ja das Beispiel der Yoga-Sutras von Pantanjali erwähnt, dass Menschsein erst oberhalb des Herzzentrums überhaupt beginnt. Ich war im letzten Wochenende, das gehört hier hinein, auf einem Kongress für Ärzte, Therapeuten und Heilpraktiker, ich habe da teilgenommen als Vortragender und habe da auch über diese Dinge gesprochen, im Plenum. Nur 250, 260 Leute, und da sind auch diese Fragen zu Sprache gekommen. Auch, wie man das ganz praktisch umsetzen kann, wie man damit praktisch arbeiten kann? Diese Fragen sind nicht ausschließlich oder vielleicht nicht einmal primär intellektuell-philosophische Fragen, sondern ganz praktische Fragen. Nicht, wie man mit diesem oben-unten-System des Körper, auch mit der Erde-Kosmos-Schwebestellung des Menschen auf diese Weise umgeht. Auf der Tagung habe ich jemanden kennengelernt, den ich seit vielen Jahren schon kennenlernen wollte. Wir haben vor zehn Jahren mal miteinander korrespondiert über Musik, nämlich Peter Michael Hamel. Und wir haben zusammen ein Seminar gemacht, mit Atem und elementarem Yoga. Und Übungen dieser Art, wo auch diese Fragen eine Rolle spielten, wenn man ja auch in bestimmten Atemtherapien die Möglichkeit hat, die einzelnen Körperräume oder Körperregionen durch bestimmte Vokale auch zu öffnen. Marko Bischof weiß das besser als ich, in der Tradition etwa von Else Mittendorf und anderen Traditionen gibt es die Vorstellung ja auch über Vokale. Also etwa über das O im Bauchraum, über das A im Brustraum, über das I im Kopfraum und so weiter. Ich kann nachher dazu noch einiges sagen, wenn wir die Zeit noch dazu haben.

Ich will versuchen ihnen das, diese schwierige Frage noch mal an einem Denker vorzustellen, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, aber hochinteressant ist. Marko Bischof und ich haben schon über ihn gesprochen, er kennt ihn, die wenigsten kennen ihn, einen Naturphilosophen und Biologen, Herbert Fritsche. Der hat in, ich weiß nicht mal die Lebensdaten, ich glaube 1911 geboren, irgendwann in den 60er Jahren gestorben. Und er hat sich mit dieser Frage sehr intensiv auseinandergesetzt, am intensivsten in einem Buch, was den Titel trägt „Der Erstgeborene – ein Bild des Menschen“, der Erstgeborene meint den Atem. Das ist im Grunde ein Buch über den Atem. Die in der Wintervorlesung 97, 98 dabei waren, werden sich erinnern, vielleicht dass ich den Herbert Fritsche erwähnt habe im Zusammenhang mit Hahnemann. Der hat eines der wichtigsten Bücher geschrieben, [über] Hahnemann, die Idee der Homöopathie, über Homöopathie, Anfang der 40er Jahre. Was ich hier habe ist eine alte Ausgabe, 1948 dieses Buches, von mir vor 30 Jahren erworben. Das Datum steht noch drinnen, 22.07.68, immerhin 31 Jahre, ja erschreckend, wie man das nennen will, gespenstisch. Ein auseinanderfallendes Exemplar, in der Nachkriegszeit gedruckt , Suhrkamp-Verlag. Und Fritsche beschäftigt sich auch mit dieser Frage der oben-unten-Polarität in der menschlichen Gestalt. Er hat ein faszinie­rendes Kapitel, was ich jetzt in den letzten Tagen mir noch zweimal sehr gründlich durchgelesen habe. Mit dem Titel: Polare Anthropologie, und da zitiert er einleitend ein Wort von Goethe. Was das Thema gleich im Zentrum anpackt. Vielleicht auch im Zusammenhang mit dem Goethejahr ganz interessant. Nächste-. In ein paar Tagen werde ich in Weimar sprechen, über Goethe und Bruno und neue Naturphilosophie, Pfingsten. Also Goethe sagt einmal, wo weiß ich nicht, er zitiert das ohne Quellenangabe. Ich kann nicht feststellen, woher das Zitat stammt: „Wie die ganze Gestalt des Menschen als Grundpfeiler des Gewölbes dasteht, indem sich der Himmel bespiegeln soll! Wie..“ Ausrufungszeichen, „wie unser Schädel sich wölbt gleicht dem Himmel über uns, damit das reine Bild der ewigen Sphären drinnen kreisen könne.“ Noch mal der zweite Satz: „Wie unser Schädel sich wölbt gleicht dem Himmel über uns, damit das reine Bild der ewigen Sphären drinnen kreisen könne.“

Also Goethe greift hier die von mir genannte traditionelle spirituelle Figur auf. Das ja die Schädelform eine Art Abbild ist, der kosmischen Sphäre. Das heißt nicht, dass Goethe hier Geozentriker oder Ptolemäer oder Antikopernikaner sei, im Gegenteil. Goethe hat sich verschiedentlich zu den grundstürzenden Elementen des Kopernikanismus positiv geäußert. Und das ist nicht der Punkt, es kann also nicht gemeint sein ein Rückschritt zu einem kosmologisch früheren Modell. Die ewigen Sphären, von denen hier die Rede ist, müssen etwas anderes bedeuten. Muss gleichsam eine andere Ebene angesprochen sein, damit das reine Bild der ewigen Sphären drinnen kreisen könne. Nun mal zu Fritsche, ich habe mir das in den letzten Tagen noch mal eingehend angesehen. Jetzt, er gehört zu den ganz wenigen, die sich eingehend mit der Frage überhaupt beschäftigen. Ich will mal einige Teile hier ihnen verdeutlichen, worum es geht. Fritsche geht der Frage nach, ob es eine polare Grundstruktur in der menschlichen Gestalt gibt. Also eine Grundpolarität in dem eingangs erwähnten Sinne. Dafür mal einige Zitate, ein sehr schöner Abschnitt, der das Thema zentral berührt lautet wie folgt. Ich bin übrigens nicht sicher, ob das Buch noch erhältlich ist, „Der Erstgeborene“ von Herbert Fritsche. Das ist in den 80er Jahren mal wieder nachgedruckt worden, da gab es eine gewisse Fritzsche-Renaissance, aber im Moment bin ich mir nicht sicher, ob es das Buch noch gibt. Sonst ist es jedem an das Herz zu legen, ein wirklich wunderbares Buch. Das immer noch lesenswert ist, abgesehen von dem einen oder anderen Aspekt da drinnen, den man heute vielleicht anders formulieren würde oder formulieren müsste. Das ist hier Suhhrkamp Verlag. Glaube, ich bin mir nicht sicher, ob es das noch gibt. „Der Mensch ist leiblich ein Kind, Organprimitivismen kennzeichnen ihn, er ist ein Ursprung nahes Geschöpf unter den Säugern. Hirnlich aber ist er ein Spitzenprodukt, im wortwörtlichem, auch im leiblichem Sinne. Der Mensch hat sich unter den Geschöpfen am wenigsten im Bios breitgemacht. Er ist seinem Wesen nach ein starker Geist in einem schwachen Leibe.“ Nicht, als Tier ist das höhere Tier Mensch sehr unzulänglich, sehr verwundbar. Ein kaum überlebensfähiges Tier, außerhalb des Logos, jetzt nur als Bios-Wesen. „Er ist seinem Wesen nach ein starker Geist in einem schwachen Leibe, leiblich vermag er mit der Tierheit nicht zu konkurrieren, aber er hat sich der Signatur des Tierheitlichen, der Horizontale, entrissen. Und damit ist die Wanderung der Nervenzentren zum Schädel hin nicht nur eine Wanderung nach vorne, sondern auch eine nach oben. Damit hat er, was auch leiblich gilt, sein Haupt aus dem Banner der irdischen Schwerkraftgesetze emporgehoben.“ Denken sie an das, was sich kurz angedeutet habe in der letzten Stunde, über die antigravitative Wirkung von Licht. Das kann ich in gegebener-, zu gegebener Stunde noch mal eingehender erläutern. Ich habe das in meinem Buch, in meinem Buch was im Herbst rauskommt, eingehender dargestellt. Ein faszinierender Punkt, den ich aber jetzt in diesem Moment nicht darstellen möchte. Also: „Leiblich vermag er mit der Tierheit nicht zu konkurrieren, aber er hat sich der Signatur des Tierheitlichen, der Horizontale, entrissen. Und damit ist die Wanderung der Nervenzentren, also der Stammesgeschichte zum Schädel hin, nicht Abwanderung der Kerndrüsen nach unten, nicht nur eine Wanderung nach vorne, sondern auch eine nach oben, damit hat er, was auch leiblich gilt, sein Haupt aus dem Banner der irdischen Schwerkraftgesetze emporgehoben.“ Quasi gegen die Schwerkraft, er ist zu einem Wesen geworden, dessen Besonderheit oben liegt. Das von oben nach unten, nicht von unten nach oben verstanden werden will. Was natürlich auf die Grundfrage nach dem Wesen des Menschen überhaupt abzielt. Was-, wie kommt denn der Geist, wie kommt denn der Logos überhaupt in den Bios. Überhaupt in die Materie, überhaupt in den Stoff, das ist ja die Grundfrage der Gnosis gewesen, nicht, dieser großen Strömung, zweites, drittes, viertes, fünftes nachchristliches Jahrhundert, die ja eine kryptische, eine Geheimströmung immer war, bis heute. Ich habe vor ein paar Tagen erst formuliert oder gestern, eigentlich erkannt erst, dass Sloterdijk eigentlich Gnostiker ist. Ist mir gestern überdeutlich geworden, dass er so ein moderner Repräsentant der Gnosis ist, ein Neo-Gnostiker, und auch begriffen, wie aktuell das ist. Also die Frage, wie kommt denn die Geistseele, wie kommt denn Individualität, Ichheit in diesen Stoff? Und das Licht des Geistes in den dunklen Stoff hinein, und wo zeigt sich dann der Logos, wo zeigt sich die Geistseele am deutlichsten? Anderes Zitat: „Der Individualität eines Lebewesens“, schreibt Fritsche, „steht ein anderer Pol entgegen, der der Fortpflanzung.“ Heute würden wir sagen Sexualität. „Je weniger die Individualität innerhalb der Tierreihe ausgeprägt ist, desto verschwenderischer pflanzen sich die Geschöpfe fort. Also überbordender Bios versus polar entgegengesetzt Individualität. Es knospt, teilt sich, zerfällt zu neuen Lebewesen in reicher Fülle überall dort, wo der Individualitätspol, das zentrale Nervensystem mit seinen Zentren, noch nicht oder nur gering ausgebildet ist. Ein wildes Zeugen und Keimen kennzeichnet den Bios in seinen niederen Formen. Allmählich opfert sich der Bios in Organe der Empfindung und der Bewusstwerdung hinein.“ Eine eigenartige Formulierung: „… allmählich opfert sich der Bios in Organe der Empfindung und der Bewusstwerdung hinein.“ Das findet man auch in anderer Form, in anderen Traditionen, etwa bei den Anthroposophen, dass die Sterbe- und Zerfallprozesse im Grunde Bewusstsein bewirken. Also nicht dort, wo der Höhepunkt des Bios ist, ist auch der Höhepunkt des Logos, im Gegenteil. Im Abbau, in den Abbauprozessen des Bios entfaltet sich überhaupt erst der Geist, die Individualität. Das geht also nicht zusammen. „Allmählich opfert sich der Bios in Organe der Empfindung und der Bewusstwerdung hinein, in gewisser Weise nimmt der Logos dem Bios etwas. Womit nach und nach Individuelles die Vorherrschaftüber die schrankenlose Massenproduktion im puren Bios gewinnt. Ganz offenkundig zielt die Schöpfung auf Herausarbeitung der Individualitäten.“ Da war die Frage auf diesem Kongress, als ich ähnliche Dinge vorgetragen habe, nicht in Bezug auf Fritsche, sondern in ganz anderer Sprache, in ganz anderer Akzentsetzung, woher man denn die Gewissheit nehme, fragte einer der Ärzte dort, dass das so sei, wieso denn die Evolution dieses Telos überhaupt habe? Nicht, ich habe das da auch vorgetragen, meine Kritik am Neodarwinismus, ich habe das hier auch schon mal gemacht. Vor ein paar Stunden, ich glaube vor zwei, drei Wochen habe ich das hier vorgetragen, den Selbstwiderspruch des Neodarwinismus, das habe ich da auch getan. Im anderen-, in anderer Form. „Regenwurm, Eidechse, Storch, Fuchs, einige Tiere in systematischer Stufenfolge, die zugleich eine Stufenfolge des Individualisierungsprozesses ist. Im Menschen ist schließlich ein Wesen entstanden, das im Stande ist, die eigene Individualität bewusst zu erfassen. Ein Ichbewusstsein zu haben und von diesem Ichbewusstsein her zu sich selbst Stellung nehmen zu können.“ Also was man in der etwas abstrakten Sprache der Tradition als die Selbstreflexivität des Menschen bezeichnet. Also die-, das Ich hat die Fähigkeit zu Selbstreflexivität, also Ichbewusstsein, gehört es doch geradezu zur Definition des Menschen, dass er dasjenige lebendige Wesen ist, das zu sich selbst Stellung nehmen kann und muss. Und wenn man den Versuch macht, zu definieren worin denn nun das Wesen des Menschen bestünde, was würde man sagen, was ist der Mensch? Man könnte sagen, er ist, mit Nietzsche, ein Werte Setzender, ein Werte Schaffender. Man kann jetzt mit Sloterdijk sagen, er ist ein sphärenbildendes Wesen. Menschsein heißt immer in Sphären sein, in einer Sphäre sein. Was ist der Mensch? Ist er ein Ichwesen, ist das Ich das wesentliche am Menschen, die Ichheit? Dieses rätselhafte Phänomen, dass der Mensch sich auf sich selbst zurückbeziehen kann. Dass er einen Fokus, einen Ichfokus, es ist ja ein Abgrund, auch erkenntnistheoretisch, dass das überhaupt so ist. Wir wissen ja nichts über eine potenzielle Ichhaftigkeit höherer Tiere. Das kann ja nur erschlossen, vermutet werden, man kann das allerdings vermuten, dass Ansätze zu Ichhaftigkeit auch in höheren Tieren gibt, aber erst im Mensch kommt ja die Ichhaftigkeit zu einer gewissen Blüte. Insofern gehört die Ichhaftigkeit dazu und die Möglichkeit am universalen Logos zu partizipieren, am universalen Geist und Individualität zu entfalten. Da gibt es eine wunderbare Passage, auch beim Sloterdijk über die Gesichter. Das gehört auch in dem Zusammenhang, er stellt raus, auf eine sehr intelligente Weise, das habe ich so in der Form noch nirgendwo so gut gelesen, wie die Herausbildung des menschlichen Gesichtes bewusstseinsgeschichtlich geschah. Dass das Gesicht ja immer auch das Gesehenwerden bedeutet. Das Gesicht, was der Einzelne nur für sich hat, ist überhaupt kein Gesicht. Gesicht ist immer das Gesehenwerden, er nennt das „interfaciale Sphäre“, also ein etwas abstrakter, vielleicht unglücklicher Begriff. Also die interfaciale Sphäre, also Gesicht zu Gesicht. Das Gesicht ist immer nur Gesicht in der polaren Spannung mit einem anderen Gesicht. Und hoch interessant, also das sich nur selbstbespiegelnde Gesicht ist in dem Sinne kein Gesicht. Sondern zum Gesicht gehört immer der Andere, denn die pure Selbstbespiegelung ist eher deprimierend. Ich will das nur kurz sagen, ich war auch auf diesem-, ich war in diesem-, auf diesem Kongress. Hatte ich ein Hotelzimmer in einem super modernen Hotel, da war das Bad vollkommen verspiegelt, wenn man sich runterbeugte und die Zahnbürste in die Hand nahm, man hat die totale Bespiegelung, aus jeder Perspektive. Das war furchtbar, deprimierend und auch unmenschlich, das hat eine Unmenschlichkeit, wenn der Einzelne sich selber total bespiegelt sieht. Das ist eigentlich ein Albtraum, man hat das Gefühl, man ist monströs. Man ist sich selber eigentlich ein monströses Ding plötzlich. Ja, es gibt ja diese schöne Stelle bei Rainer Maria Rilke, im „[Die Aufzeichnungen des]Malte Laurids Brigge“, wo das genauso ist. Da guckt sich nämlich der Ichheld Malte Laurids Brigge in den Spiegel, plötzlich wird er zum Ding. Ein Schock für ihn, er wird zum Ding, zum Gegenstand, zum Etwas, er verliert seine Ichheit, gerade im Spiegel. Also die Herausbildung des Gesichtes als ein wesentliches Moment der Polarität. Noch mal Herbert Fritsche, „So besitzt der Mensch zwei Wesenspole, die weit voneinander abrücken. Also in der Chakralehre das Stirnchakra und das Kronenchakra und das Sakralchakra oder Muladhara-Chakra. „So besitzt der Mensch zwei Wesenspole, die weit voneinander abrücken. Der Hirnpol fasst das Individuelle stark zusammen. Der Sexualpol will es zerstreuen, vervielfältigen. Mit ihren entgegengesetzten Bestrebungen haben sich die Polle auch entgegengesetzt verleiblicht, aber dennoch gehören sie zusammen. Der Mensch ist nicht reiner Geist, er ist Geist in Seelen- und Leibeshüllen. Ohne die Mitarbeit von Seele und Leib wäre der Mensch im Geist im Erdenleben kraftlos, würde sich verjenseitigen. Na gut, und damit seiner eigentlichen Aufgabe in der „Pflanzschule für Geister“ [Goethe] nicht gerecht werden können.“ Auch das ist ein Goethebezug, -Wort, glaube ich, zu Eckermann sagt Goethe irgendwann mal: „Die Erde ist eine Pflanzstätte für eine Welt von Geistern.“ Also „…ohne die Mitarbeitung von Seele und Leib wäre der Menschengeist im Erdenleben kraftlos, würde sich verjenseitigen.“ Könnte fast von Rudolf Steiner sein, „und damit seiner eigentlichen Aufgabe in der Pflanzschule für Geister nicht gerecht werden können.“ Vielleicht noch eine letzte Passage hierzu. „Der Mensch kann zuweilen genötigt sein, seine aufgerichtete Haltung zu verleugnen und auf allen vieren umherzulaufen, wenn er ein frisch eingefangenes oder ein scheues Tier an sich gewöhnen will.“ Dass das Krabbeln als nicht menschlich gilt, ist in vielen Kulturen sehr verbreitet. Zum Beispiel in der balinesischen Kultur, kleine Kinder dürfen nicht krabbeln. Nicht auf der Erde rumkrabbeln, es wird immer verhindert. Also so jedenfalls ist es in der Tradition das Krabbeln ist was Tierisches, das Kind soll nicht krabbeln, ja. Es wird getragen, es darf auch den Boden als krabbelndes Wesen nicht berühren. „Vor dem aufgerichteten Menschen flieht ein solches Tier, was aber horizontal umherläuft ist ungefährlich, ist nicht so beängstigend, wesensverschieden, wie jener empor gereckte, schutzlose, nackt und blasshäutige Schwächling, dessen Macht über die Tierheit keine physische ist, dessen Macht über die Tierheit, wir dürfen es aussprechen eine metaphysische ist. Auch die Tierheit in sich selbst bändigt der Mensch durch sein Aufgerichtet-Sein. Der Hirnpol und der Himmel suchen einander, ganz auch im goethischen Sinne. Das Wesen, das den Logos zu ergreifen im Stande ist, hebt sich der Welt der Ideen aktiv entgegen.“ Dann gibt er hier Beispiele von Dompteuren, dass häufig genug Todesfälle passiert sind in dem Moment, in dem ein Dompteur gestürzt ist und nicht mehr das aufgerichtete Wesen war, was auf diese Weise auch Macht ausüben konnte über die Tierheit. Dass dann eben oft schwere Verletzungen passieren oder auch Todesfälle passiert sind. Also der Dompteur muss die aufgerichtete Position beibehalten, die von den Tieren in irgendeiner Form registriert wird. Das gehört ja zu den großen Mysterien überhaupt in dem Kontext, wie das Tier den Menschen wahrnimmt, nicht. Wie nimmt das Tier den Menschen wahr, überhaupt? Als ein anderes Tier ?- Nicht, auch da muss man verschiedene Bewusstseinsebenen unterscheiden. Ich glaube, ich habe an einer Stelle in „Was die Erde will“ auch geschrieben, dass das Tier, das höhere Tier, den Menschen wahrscheinlich quasi erspürt oder erahnt als eine höhere Stufe seiner selbst. Und dass daraus auch die Macht des Menschen resultiert, dass das Tier, das irgendwie begreift, dass der Mensch eine eigene höhere Entwicklungsstufe und eine Evolutionsmöglichkeit seiner selbst [des Tieres] darstellt. Also das Ganze läuft auf Grundfragen der Anthropologie hinaus, die letztlich, ich scheue das nicht zu sagen immer in eine metaphysische Anthropologie einmünden muss, weil der Mensch als pures Bios-Wesen oder als pures Naturwesen so nie begriffen werden kann. Deswegen vertrete ich ja auch die für viele verwirrende und auch irritierende These, dass der Mensch gar nicht Teil der Natur ist. Im Gegensatz zu dem, was alle Ökologen ständig sagen, sondern dass eher umgekehrt die Natur Teil des Menschen ist. Natürlich ist klar, der Bios, der Mensch als Bios-Wesen ist Teil der Bios-Natur. Und das Physische des Menschen ist Teil der physischen Natur. Das ist klar, aber der Mensch in einem höheren Sinne, als Geistseele, Leibgestalt, ist mehr als jede nur denkbare Natur. Und jedes nur denkbare Ökosystem, das nicht verstanden zu haben, scheint mir einer der Hauptgründe für die Ökokatastrophe zu sein. Denn, wenn man das nicht versteht und den Menschen dann quasi auf eine neue Weise, jetzt ökologisch, moralisch noch sozusagen angereichert, reduziert auf Natur, dann macht man die Natur genauso zum puren Objekt. Ganz genauso, wie das im mechanistischen Denken geschieht. Das ist eine Tragik in der Entwicklung, dass viele ökologische Ansätze im Grunde die Natur genauso verdinglichen, wie das in den viel kritisierten mechanistischen Denken geschieht. Und wenn man das nicht begreift, glaube ich, wird man keinen Millimeter weiterkommen. Und deswegen, glaube ich, stagniert auch seit 30 Jahren diese Frage, weil man das einfach nicht verstehen kann. Also ich glaube, dass der Mensch in seiner eigentlichen Würde im letzten nur von der Ichheit begriffen werden kann. Und ich betone das immer wieder und habe das hier auch auf dem Kongress vorgestern, vor ein paar Tagen getan, dass ich an die metaphysische Würde dieser Ichheit auch tatsächlich glaube und daran festhalte. Und immer wieder betone, dass diese, nur aus dieser metaphysischen Ich-Würde überhaupt ein Verständnis des Menschen möglich ist. Auch in der, dieser Aufteilung längs der Vertikalachse. Dass der Kopf tatsächlich durch, auch durch die Physiognomik, durch das Gesicht in dem genannten Sinne, eine ganz andere ontologische Position hat, als das Tier. Das muss man erstmal verstehen, das ist nicht mainstreammäßig, weil das entweder religiös traditionell besetzt ist, oder es ist irgendwie in dem postmodernen Relativismus und dem fröhlichen Nihilismus und Zynismus, der allenthalben herrscht, vollkommen plattgemacht worden. Man muss das erstmal neu wieder überhaupt in das Bewusstsein rücken und setzt sich da natürlich sofort einer ganzen Lawine von Missverständnissen aus. Als ob man da alte Menschenbilder wiederbeleben wolle und so weiter, aber die Frage bleibt ja in dem Zusammenhang. Es muss in irgendeiner Form gelingen, oder wie es gelingen kann, dass der Mensch sich neu einwohnt in den Oikos. Und das kann er nur, wenn er ein Verständnis hat über seinen metaphysischen Ort, im Sinne dessen was Sloterdijk als den Mitraum bezeichnet. Wenn der Einzelne den metaphysisch Anderen oder das metaphysisch Andere vollkommen kappt, eliminiert, leugnet, ausstreicht, zerstört, dann stürzt er notwendig auf sich selber zurück. Und dann bleibt es tatsächlich bei dem, wie Gottfried Benn sagt: „Es gibt nur zwei Dinge, die Leere und das gezeichnete Ich“. Dann ist der Einzelne das atomisierte Individuum ohne Raum. Nicht, das Selbst ohne Raum, wie der Sloterdijk das eigentlich sehr schön nennt. Also das muss-, geht wirklich um im tiefen Sinne um eine Wiederfindung des Raumes. Um eine Wiederfindung des kosmologischen, des ontologischen und auch des spirituellen Raumes des Menschen. Das Wesen des Menschen, worin besteht es? In seiner zum Kosmos geöffneten und der Erde entspringenden schöpferischen Ichheit, beides. Eine Ichheit, die im irdischen und kosmischen Mitraum wohnt, als ihrem eigentlichen Oikos. Also das als eine Grund-, als ein Grundansatz, es ist gleich Acht, wir können … . Ich will das erst einmal so weit führen, ich wollte ursprünglich noch einiges sagen zu den traditionellen Bewusstseinszentren, Chakras. Und auch zu dem was ich am-, in den letzten Tagen wieder neu mir bewusstgemacht habe über die Arbeit mit den Vokalen und den Atemräumen des Körpers, durch Peter Michael Hamel. Lass das mal jetzt draußen, und man kann da tatsächlich mitarbeiten und praktisch arbeiten. Also einige Therapeuten haben das immer wieder betont, dass gerade die Vorstellung einer integrierten Ichheit in einer wirklichen Geburt, in einer wirklichen Holarchie der Ebene tatsächlich auch praktisch umsetzbar ist. Das ist keine blanke Theorie, viele von diesen Therapeuten arbeiten mit, wirklich mit Kranken, auch künstlerische Therapeuten. Da geht es ja wirklich erst einmal darum, die Ichheit zu stärken, ein integriertes Ich überhaupt erstmal wieder entstehen zu lassen. Bevor man es auf eine andere Weise dann überschreitet, gut wir wollen- , können gleich in das Gespräch einsteigen.

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