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Felder, Seelen, Formungskräfte

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur I,
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 16

Transkript als PDF:

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Nun das Thema heute heißt: Felder, Seelen, Formungskräfte – das Rätsel der organischen Gestalt und der Morphogenese, ein ungeheuer schwieriges und subtiles und komplexes Thema. Es geht ja um die Frage: Wie entsteht eigentlich die lebendige Gestalt, die Gestalt des Menschen, die Gestalt einer Pflanze, eines Baumes, die Gestalt eines Tieres, vielleicht sogar kristalline Formen? Wie entsteht Gestalt und Form überhaupt? Und was ist eigentlich Form und Gestalt? Und ich will das zunächst einmal mit einem kleinen Rückgriff auf die philosophische Grundfrage hier erläutern. Traditioneller Weise, bekannt spätestens seit Aristoteles, trennt man ja den Stoff von der Form. Man sagt, es gibt den Stoff, die Substanz, das Substrat, die Materie, wie immer sie nun verstanden wird, ob nun feinstofflich oder eher grobstofflich. Und es gibt die Form. Nun ist ja die Form nicht die Materie. Also ein Bildhauer, der beispielsweise aus dem Marmor ein Standbild heraus- meißelt, tut das ja mit einem bestimmten Formwillen. Er tut das mit einer bestimmten, in diesem Sinne teleologischen Tendenz. Er zielt auf eine bestimmte Form. Der Marmor selber formt sich nicht zu dieser Statue. Insofern hat man traditionell, bis zu einem gewissen Grade auch berechtigt, immer unterschieden – hier der Stoff auf der einen Seite und da ein formgebendes Prinzip. Und das ist ein wesentlicher Punkt, den Aristoteles immer wieder betont hat und der auch für unser Thema natürlich essenziell ist.

Wenn ich davon ausgehe, dass die Form etwas anderes ist als die Materie, als der Stoff, als das Substrat, dann erhebt sich sofort die Frage: Gibt es ein form- und gestaltgebendes Prinzip, das in der Lage ist, aus diesem Stoff diese spezifische Gestalt hervorzubringen? Wenn man das bejaht, und der naiv geprägte Mensch ist schnell geneigt, das zu bejahen, und es liegt auch ein Gran Wahrheit darin, dann müsste man sich zu der Annahme bequemen, dieses Formprinzip ist letztlich ein Willens- und Geistprinzip. Ein zielgerichteter Formwille, ein Gestaltwille etwa eines Künstlers. Ich hab hier das Beispiel des Bildhauers genannt. Also könnte man sagen, es gibt ein Substrat und einen Willen zu einer bestimmten Form. Wenn man das jetzt überträgt, wenn die Übertragung legitim ist, dann, mit aller Vorsicht, ich gehe erstmal davon aus, sie ist legitim, dann muss man die Frage stellen: Was bewirkt die lebendig organische Form? Gibt es da einen Formwillen, der diese Gestalt, wie sie spezifisch ist – und nicht anders – hervorbringt? Dann landet man, notwendig übrigens, denknotwendig, bei einem immateriellen geistigen Prinzip. Das ist auch in an sich weitgehend materialistischen Ansätzen, sich materialistisch gebenden Ansätzen heute nicht anders. Man muss hier sehr genau hinschauen, welche Begriffe benutzt werden, welche Form von Sprache benutzt wird. Das ist also ein ganz entscheidender Punkt. Was ist denn heute die gängige Überzeugung, beispielsweise über die Genesis der organischen Form? Das sind die Gene. Beliebte, häufig verwendete Begriffe sind etwa „genetischer Code“ oder das „genetische Programm“. Was ist ein Programm? Ein Programm ist erst einmal ein Phänomen aus der Computersprache, ist ein Etwas, was ja nicht die Materie selbst ist. Und man kann mit einigem Recht sagen, und das ist auch immer wieder gesagt worden, dass die moderne Biologie, wenn sie von dem genetischen Code spricht, von dem genetischen Programm, im Grunde genommen, auch wenn sie es direkt so nicht nennt oder nennen möchte, von einem Dualismus ausgeht. Sie geht letztlich von einem Dualismus aus – der trägen dunklen Materie und einem Geistprinzip, einem Programm, also einer letztlich auf ein Telos zielenden Steuerung.

Nun ist der Begriff der „Teleologie“ nicht zu verwechseln mit „Theologie“. Nicht, eines ist Theos, Gott, und das andere bezieht sich auf Telos, das Ziel, also „Teleologie“, ein verpönter Begriff. Ich habe das ja schon das letzte Mal angedeutet. Teleologie gilt als verpönt im Mainstream der Wissenschaft. Aus einer ganzen Reihe von Gründen, unter anderem deswegen, weil wer von einem Telos redet, führt einen letztlich metaphysischen Begriff in die Forschung ein. Und was die biologische Form betrifft, so war das ja gerade, und so wurde es ja auch generell rezipiert, die große Errungenschaft von Darwin, dass er glaubte, verzichten zu können auf die Vorstellung eines Telos. Das ist ja ein ganz wesentlicher Faktor.

Ich habe ihnen das letzte Mal versucht zu erläutern, welche ungeheure Rolle hier der Begriff Zufall spielt. Nicht, um dem Zufall ein ungeheuer breites Wirkungsfeld zu geben, muss man natürlich auf ungeheure Zeiträume verfallen, Zeiträume, die man auch dann ausgerechnet hat. Es gibt also mathematische Spekulation und Rechnungen darüber, wie wahrscheinlich denn ein einziges organisches Molekül sei. Ich habe das ja angedeutet, auch das Beispiel genannt mit den berühmten Huxley’schen Affen. Ich gebe den Affen eine Million Jahre Zeit auf den Schreibmaschinen, und sie werden irgendwann das ganze Werk Shakespeares hervorbringen, also dieser Un-Begriff eigentlich des Zufalls, der aber eine ungeheuere Faszination bis heute ausgestrahlt hat. Zufällig, dass etwas einfach zufällig geschieht. Denn wenn man den Zufall nicht akzeptiert, kommt man notwendig auf die Frage: Wenn man sich die vielfältigen organischen Gestalten anschaut, gibt es ein Telos? Gibt es eine Idee, platonisch gesprochen, die dahinter und da drinsteckt? Und dann wäre man ja auf einer, sagen wir mal, metaphysischen Ebene angelangt. Man müsste sich dann die Frage stellen: Was ist denn diese metaphysische Form? Was ist denn dieses Geistprinzip, was denn die Form hervorruft? Die Frage ist immer wieder diskutiert worden. Rupert Sheldrake in seinem Buch „Das Gedächtnis der Natur“ hat sich zu diesen Fragen sehr eingehend und, wie ich finde, intelligent und kaum gewürdigt von den meisten Lesern seiner Bücher geäußert. Gerade das gehört zu den stärksten Passagen seiner Bücher. Dass er eine philosophische Kritik versucht der bisherigen Ansätze überhaupt, Form zu verstehen. Er zeigt zum Beispiel einmal, was ich schon angedeutet habe, dass in dem Begriff des genetischen Programms im Grunde genommen versteckt ein Dualismus steckt, ein Dualismus von Stoff, Substrat, Materie – und Geist. Auch wenn es direkt nicht zugegeben wird, ja, er geht sogar so weit zu sagen., und auch da gibt es eine gewisse Berechtigung, dass dieser Dualismus, der uneingestanden ist, nicht viel besser und genauer und wirkungsvoller ist als der geschmähte und als unwissenschaftlich attackierte Vitalismus.

Was war im Vitalismus geschehen? Man darf das einen Moment noch einmal in Erinnerung rufen. Der Vitalismus gilt in der herkömmlichen Biologie heute als widerlegt, er gilt als obsolet. Es gibt kein immaterielles Vitalprinzip. Kann man in allen Mainstream-Biologiebüchern lesen. Man führt zwar dann diese Prinzipien doch wieder ein als unverstandene und noch nicht restlos erfasste raum-zeitliche Aktivitätsmuster. Ein beliebiges Beispiel dieser Sprachregelung „noch unverstandene raum-zeitliche Aktivitätsmuster“ ist eine Worthülse, die nichts sagt. Man führt das zwar dann wieder ein, aber sagt, diese Vitalprinzipien gibt es nicht. Was war der Grundgedanke? Der Embryologe und dann auch Philosoph Hans Driesch hatte auf einer aufgrund einer ganzen Reihe von Beobachtungen die Feststellung gewonnen, dass man ein Prinzip in der Materie postulieren muss, das die vielfältigen Formen zur Gestalt fügt, und er hat dafür ein Begriff gewählt, den er übernahm aus der philosophischen Tradition von Aristoteles. Er hat das „Enetelechie“ genannt, ein Begriff, der belastet ist, natürlich in der Geschichte. Entelechie ist ein immanentes Wirkprinzip, ein immaterielles, letztlich metaphysisches Wirkprinzip, obwohl Hans Driesch das ausdrücklich abgelehnt hat. Hans Driesch war in diesem engeren Sinne überhaupt kein Metaphysiker. Er spottete, ganz zeitgeist-gemäß, auch über die Einführung solcher Prinzipien, wenn sie nur aus der Metaphysik stammen. Das hat er verspottet. Er glaubte, gute Gründe dafür zu haben, von innen her anzunehmen, dass ein solches Prinzip tatsächlich existiert.

Nun hatte sein Ansatz einen Schwachpunkt. Er ging letztlich davon aus, dass dieses Wirkprinzip in der Materie, das er mit Aristoteles „Entelechie“ nannte, in der Lage ist, Materie zu lenken, zu steuern, zu beeinflussen, zu ordnen. Das widersprach dem Paradigma der herkömmlichen Naturwissenschaft damals, primär mechanistische Physik der Jahrhundertwende, dass in der Welt eine lückenlose Kausalität waltet. Ich habe den Punkt ja schon mehrfach angesprochen, der ist in dem Zusammenhang wichtig, dass in der Welt eine lückenlose Kausalität waltet. Dass also ein Geist-Prinzip überhaupt keine Möglichkeit hat, einzugreifen, gar noch, wenn Sie, wenn dieses Eingreifen nicht mit einem Energietransport verbunden ist. Nicht, also man nahm ja an in der Quantentheorie, dass die Welt einen lückenlosen Kausalzusammenhang darstellt. Wie dann der Geist, wie das Leben da hineinkommen konnte, das war ein großes Rätsel. Das hat schon Kant beschäftigt. Eine der ganz großen Rätselfragen. Er sagte, das ist nicht lösbar. Kant meinte, die Frage ist nicht entscheidbar, es ist unmöglich. Ein Newton der organischen Welt wird nicht kommen, es geht nicht. Und durch Darwin hatte sich die Situation verändert. Aber die Frage blieb natürlich. Denken Sie an meine Ausführungen über Determinismus und Kausalität. Die Physiker haben Hohn und Spott ergossen über den Ansatz von Hans Driesch, in dem Sinn, das kann nicht sein – er führt ja letztlich ein Wirkprinzip ein, ein übergeordnetes steuerndes Prinzip, das ja nur eingreifen könnte in irgendeiner Form in die organische Welt, wenn da überhaupt die Möglichkeit besteht. Deswegen, da muss es Freiheits­spielräume geben. Nicht, das ist einsehbar. Wenn das so lückenlos wie eine große Maschine sowieso abläuft, dann ist das unmöglich. Ich habe das ja mehrfach genannt und die Frage mehrfach herausgestellt, dass, wenn man ernsthaft der Überzeugung ist, ich sage es gerne noch einmal, weil es zentral wichtig für die ganze Frage ist, wenn man ernsthaft der Auffassung ist, dass ich mit meinem Willen wirklich und wahrhaftig meinen Leib in Bewegung setzen kann, in völliger Freiheit dieses Willens, ist es ein absolutes Wunder, das nur erklärt werden kann, wenn ich annehme, dass in der Materie, sprich in diesem Falle im neuronalen System der Großhirnrinde, Freiheitsspielräume existieren. Sonst geht es nicht. Da müssen in irgendeiner Form ja Einwirkungsmöglichkeiten bestehen. Es ist kein Zufall, dass der große Dualist, Neurophysiologe, der Nobelpreisträger der Medizin, John Eccles, ja genau dies dann auch annahm, nicht „The Self and its Brain“, „Das Selbst und sein Gehirn“. Er ging ja davon aus, auch noch kurz vor seinem Tode in seinem letzten großen Buch, dass man zu diesem Zwecke postulieren muss, es gibt Freiheitsspielräume, und da hat er die Quantentheorie herangezogen, was viele in dem Zusammenhang tun. Sie wissen, dass die Neurophysiologie ja diesem sogenannten freien Willen immer mehr auf den Leib rückt. Und immer… das wird immer zweifelhafter. Ich habe das ja auch schon erläutert. Aber das hat Driesch erst einmal zu Fall gebracht. Das galt als unmöglich. Driesch konnte nicht mehr zur Kenntnis nehmen, was dann geschah in den 20er Jahren, dass eine Unbestimmtheit, eine gar nicht klar kausal im Sinne von deterministisch verfasste Folge von Ereignissen in der Natur anzutreffen ist, das wusste er nicht. Hätte er es gewusst, hätte er es aufgegriffen. Hans Driesch ging von einer Entelechie aus, von einem immateriellen letztlich metaphysischen Wirkprinzip, obwohl er es nicht Wirkprinzip nannte.

Die Geschichte der Wissenschaft ist häufig ein Kriminalroman. Einer der spannendsten überhaupt ist nicht nur die Geschichte der Physik, auch die Geschichte der Biologie. Wenn man sich nämlich der Mühe unterzieht, genau nachzuforschen, wie es denn kommt, dass bestimmte Überzeugungen mal herrschen, eine gewisse Zeit lang das allgemeine Bild der Meinung bestimmen, dann wie, als ob es selbstverständlich wäre, verschwinden, ja als Hirngespinste bezeichnet werden. Also ich habe das ja im Wintersemester am Beispiel, in der Physik, am Beispiel des Äthers gezeigt. Der „Äther“ – lange Zeit herrschender Begriff in der Physik, und irgendwann im frühen 20. Jahrhundert galt der Äther als einfach obsolet, als überholt, als widerlegt. Eine bestimmte Äthervorstellung hatte sich als unhaltbar erwiesen. Der Äther überhaupt wurde über Bord geworfen. Und heute, im ausgehenden 20. Jahrhundert haben wir gute Gründe, haben viele profunde Leute, die sich damit beschäftigen, gute Gründe, den Ätherbegriff ganz neu wiederzubeleben. Aber jahrzehntelang kam es fast einem wissenschaftlichen Selbstmord gleich, wenn man ernsthaft von „Äther“ sprach. Genauso natürlich, wenn man sich etwa als Biologie- Professor in die Öffentlichkeit stellt und redet von immateriellen Faktoren, redet noch von der Entelechie des Hans Driesch.

Nun hat er einen Begriff verwendet, das muss ich mal kurz sagen, der natürlich, ich sagte es, vorbelastet ist. Aristoteles. das ist geschichtlich interessant, aber auch prinzipiell interessant, hatte den Begriff „Entelechie“ ganz bewusst gegen seinen Lehrer Platon geprägt. Und man kann die Geschichte der neuzeitlichen Naturwissenschaft sehen, interpretieren als ein Kampf zwischen Platonismus und Aristotelismus, jedenfalls eine Facette, und zwar in folgendem Sinne: Platon war ja davon ausgegangen, und das hat er ja weiter gewirkt und wurde ja neu aufgegriffen seit Galilei, Kepler und Newton, er war davon ausgegangen, dass es ein immaterielles Reich der sogenannten reinen Ideen gibt, vollkommen losgelöst vom Werden und Vergehen der Sinnenwelt. Und dass jegliche Form in der materiell-sinnlichen Welt nur ein Abbild des in der Ideenwelt ruhenden Urbild ist, bewusst ruhend, weil Zeit auch für Platon ein Abbild war. Die Ideenwelt ist letztlich eine überzeitliche, eine in diesem Sinne zeitlose Welt. Mit diesem Gedanken, der seine Wurzeln im Pythagorismus hat, hat er in gewisser Weise einen Dualismus eingeführt. Obwohl die ganze Platon-Forschung bis heute sich darüber nie im Klaren war, war Platon nun Dualist oder war er Monist. Das ist undeutlich. Schon sein großer Schüler Aristoteles hat seinen Lehrer Platon als Dualististen attackiert und hat deswegen den Begriff „Entelechie“ hier eingeführt, als ein immanentes Prinzip. Platon ging davon aus, die Welt hat quasi zwei vollkommen voneinander verschiedene Bereiche – die immaterielle Wirkwelt der ewigen und zeitlosen Ideen, die der späte Platon ganz pythagoräisch mit den Zahlen identifizierte. Auch das ist interessant. Leider sind uns viele Texte verloren gegangen des späten Platon, er war stark beeinflusst vom Pythagorismus, nicht nur im „Timaios“. Und, also auf der einen Seite das, und auf der anderen Seite die Vorstellung, dass das Telos in den Dingen selber liegt. Insofern immanent ist, ein immanentes Wirkprinzip, aber das trotzdem nicht aufgeht in der Form, das ist wichtig. Natürlich haben Kritiker auch die Entelechie letztlich als ein metaphysisches und in diesem Sinne dualistischen Prinzip attackiert, obwohl es das genau genommen natürlich nicht ist. Und das ist eine Undeutlichkeit, der auch Hans Driesch nicht ausweichen konnte. Wer heute den Begriff Entelechie wieder heranzieht, auch Goethe hat das ja zum Teil getan, der müsste sich verständlich machen, was er meint. Bei Goethe ist es auch, bleibt es in gewisser Weise in der Schwebe. Er verwendet ja auch den Begriff „Entelechie“ als ein letztlich göttlich bestimmtes Wirkprinzip der organischen Welt. Kann man dieses Prinzip ablösen von der organischen Form? Nein, man kann es nicht, weil die Form sich, wie sie sich organisch, sinnlich, physisch manifestiert, die Erfüllung der Entelechie darstellt. Also ein wesentlicher Unterschied in diesem Zusammenhang. Also Hans Driesch hatte den Begriff der Entelechie hereingenommen in den Vitalismus.

Der Vitalismus hat sich nicht halten können, weil er wurde überrollt, wenn man so will, von einem ganz andersartigen Ansatz. Auch die in den zwanziger Jahren aufkommenden Systemtheorien Berta-Lanffys, Meyer-Abichs und anderer, waren, das waren keine vitalistischen Ansätze. Da ging er davon aus, dass es einen organismischen Gesamtzusammenhang in der Welt gibt, und dass es keine extra zu postulierende Vitalfaktoren braucht. Deswegen lehnt auch die Moderne Systemtheorie, lehnen auch die Systemetheoretiker, auch des Schlages etwa von Varela und Maturana und anderen, den Vitalismus ab als letztlich unhaltbar. Nun halte ich das für voreilig. Mit aller Vorsicht gesagt. Ich finde, soweit mir das zugänglich ist, aus der Forschung, auch aus meinen eigenen Beobachtungen und aus meinen eigenen Denkprozessen. Ich halte es für voreilig, diesen Begriff ganz fallen zu lassen. Ob es glücklich ist „Entelechie“ zu sagen, ist eine andere Frage. Aber es ist offenbar doch so, dass wir nicht auskommen ohne bestimmte immaterielle Wirkprinzipien. Ich sagte es ja schon: Auch die moderne Genforschung kommt ja letztlich ohne diese Begriffe nicht aus. Der Mensch generell kommt ohne diese Begriffe nicht aus. Das würde ich erst mal als erste These hinstellen. Wir brauchen die Annahme eines wie immer gearteten immateriellen Wirkprinzip.

Wie immer wir das im Einzelnen fassen: Ist das jetzt nur ein eine Unzulänglichkeit unserer Erfassung, unserer Sprache? Das ist ja auch ein wesentlicher Punkt in dem ganzen Zusammenhang. Die moderne Genforschung beispielsweise verwendet nicht den Begriff „Teleologie“, sondern „Teleonomie“, also gleichsam augenzwinkernd benutzt man einen anderen Begriff, ein bisschen abgewandelten Begriff, etwa der berühmte Forscher Richard Dawkin benutzt diesen Begriff. Sie wissen vielleicht, dass Richard Dawkin ja gewissen Weltruhm erlangt hat durch ein Buch, das den Titel trägt „Das egoistische Gen“. Er hat ja die in gewisser Weise absurde oder heiter-absonderliche These aufgestellt, die eigentlichen Drahtzieher hinter allem sind die Gene. Das sind quasi, so Richard Dawkin wörtlich, quasi Chicago-Gangster, die nur ein Ziel kennen, sich hemmungslos zu vermehren. Letztlich wollen sie Unsterblichkeit. Sie manipulieren den Menschen. Alles, was wir für Geist, Freiheit, freien Willen halten, ist letztlich manipuliert von diesen kleinen Gangstern in der Welt. Nun hat er das sicherlich auch mit Augenzwinkern vorgetragen, hat natürlich breite Aufmerksamkeit erst einmal auf sich gezogen. Wenn das wirklich so wäre, ist ja die Menschenwürde dahin. Das ist klar. Wenn wir wirklich total manipuliert sind von sogenannten egoistischen Genen, dann müssen wir uns um die Menschenwürde nicht weiter kümmern. Kritiker haben natürlich gesagt, dass hier das Gesetz des kapitalistischen Dschungels in die Natur übertragen wird. Nicht, plötzlich soll dann im Mikrobereich, im mittleren Bereich, also nicht im subatomaren Bereich, also in der biologischen Welt, soll dann so eine Art gnadenloses Ego-Prinzip herrschen. Aber das ist natürlich interessant, da solche Gedanken auch nur spielerisch aufkommen. Der Mensch kann gar nicht anders als bis zu einem gewissen Grade anthropomorph an diese Fragen ran. Was soll er denn machen? Er hat die Sprache entwickelt im Laufe der Zeit. Er muss sich die Dinge in irgendeiner Form verständlich machen. Er benutzt Begriffe, und ich habe ja schon einmal angedeutet, dass es auffällig ist, dass immer Begriffe benutzt werden, die dem jeweiligen Bewusstseinszustand einer Epoche ziemlich genau entsprechen. Auch in der Technik kann man das schön sehen. Im 18. Jahrhundert war das der belebte Automat, der so beliebt war. Denken Sie an die Figur der Olimpia, in dem in der Erzählung von E.T.A Hoffmann „Der Sandmann“. Das war ja dieser perfekte Automat, in den sich der Held der Geschichte, siehe Hoffmans Erzählungen von Jacques Offenbach, verliebt. Später waren es andere Vorstellungen. Dann waren es Uhren. Im 18. Jahrhundert war dann auch, im frühen 1800 die Vorstellung der Uhr verbreitet, und so weiter. Heute sind es Computerbilder und Vorstellungen. Wir können bis zu einem gewissen Grade gar nicht anders, als uns dieser Metaphern zu bedienen. Interessant ist nur, welcher Metapher sich jeweils bedient wird. Also hier wird, ich sage es nochmal, das nun wahrlich monströse Dschungelgesetz des Kapitalismus auf Teufel komm raus, auf Ego komm raus in diesen Bereich hinein übertragen. Also. Noch einmal zu der These: Wir müssen bis zu einem gewissen Grade davon ausgehen, dass es immaterielle Wirkfaktoren gibt.

Nächster Punkt ist: Was heißt das? Sind wir nun gezwungen, das ist ja genau die Frage: Müssen wir letztlich zu einem Dualismus Zuflucht nehmen? Sind wir mehr oder weniger nolens volens Dualisten, wenn wir überhaupt über diese Dinge sprechen wollen? Das heißt, gehen wir letztlich davon aus, es gibt doch diese Zweiheit, eben den Stoff, die Materie und diese Form, die ja letztlich eine immaterielle Form ist. Denken Sie an das, was ich hier einleitend auch gesagt habe. Und da sind immer die beiden Positionen zu spüren, herauszufiltern, die man plakativ als die platonische und als die aristotelische bezeichnen kann. Auch in der Physik, da ist das besonders signifikant. In der Physik wird immer davon ausgegangen, dass die als mathematische Prothesen formulierten sogenannt Naturgesetze unwandelbar sind, dass sie Ewigkeitswert haben. Auch in der Fiktion des Big Bang wird ja nicht davon ausgegangen, dass da ein Werdeprozess dieser Naturgesetze vorliegt. Sie werden gesetzt, platonisch, ewig, quasi göttlich, auch da geradezu eine undurchschaute Theologie, wenn man so will. Die Naturgesetze sind immer auch ein Stück weit die ehemals religiösen oder spirituell verstandenen Weltgesetze. Oder gibt es da auch in diesen Gesetzen einen Wandel, einen Prozess, wie das verschiedene Denker versucht haben, plausibel zu machen – übrigens unter anderem ich selbst. Auch Sheldrake hat das in seinem Buch in seinen verschiedenen Büchern immer wieder versucht darzustellen, dass auch die Naturgesetze vielleicht nichts weiter sind als bestimmte, quasi Momentaufnahmen, Gewohnheiten, wie er das nennt, „habbits of Nature“, Gewohnheiten der Natur, und dass wir uns vielleicht verabschieden müssen von dem Gedanken der Unwandelbarkeit dieser Naturgesetze.

Nun hat die Thema-Formulierung noch eine weitere Tücke, sag ich mal, und die habe ich ganz bewusst in Kauf genommen, indem ich das Thema so formuliert habe: „Felder, Seelen, Formungskräfte“. Nun ist das sehr verbreitet. Ja, fast kann man sagen, schon modisch zu sagen in verschiedenen New-Age-Zirkeln, sag ich mal, ohne mich jetzt arrogant darüber erheben zu wollen: Die Seele ist letztlich nur ein Feld. Ich habe ja schon mal einen Buchtitel vorgestellt, der eigentlich auf fatale Weise, kann man sagen, das auch noch ins Zentrum rückt. Das letzte Buch von Sheldrake, ein Dialog mit dem Dominikanerpater Mathew Fox, das hat seinen wissenschaftlichen Ruf nun endgültig ruiniert in der öffentlichen Meinung. „Die Seele ist ein Feld“. Eine unglaubliche These, die da aufgestellt wird, die man ja ganz verschieden interpretieren kann. Warum soll denn die Seele ein Feld sein? Was hieße das denn, wenn die Seele ein Feld ist? Das könnte man ja sagen: Das ist ganz Reduktionismus. Das, was früher die lebendige Seele war, die Ichhaftigkeit, das Lebendige, das Beseelte im Kontrast zum Toten, zum Unbeseelten, das ist, ja soll jetzt plötzlich ein Feld sein. Das könnte man ja ganz reduktionistisch dann interpretieren, vielleicht auch sogar mathematisieren. Das geschieht ja auch. Es gibt ja genügend auch zunehmend verfeinerte Computermodelle organischer Form, wie man weiß. Nicht, das Herz wird computermäßig simuliert und so weiter bis in die Feinheiten hinein. Das lässt sich sogar medizinisch umsetzen. Also eine fatale Gleichsetzung erst einmal, die ich ganz bewusst hier aufgegriffen habe. Fatal insofern, als sie einen Reduktionismus suggeriert, der ja ganz nah liegt. Im Grunde genommen ist da die Seele eigentlich nur ein Feld. Ich erinnere mich daran, als 1993 im Insel-Verlag ein Sammelband rauskam, an dem ich mitgearbeitet habe, der hieß „Am Fluss des Heraklit – kosmologische Perspektiven“. Ein Band, der sich in der Öffentlichkeit dann als relativer Misserfolg erwies, recht schnell waren die Bände im Ramsch gelandet. Der zweite Band, der geplant war, kam nie zustande. Der Insel-Verlag, Suhrkamp Verlag hat damit eher einen Flop gelandet. Aber das will ich jetzt nicht erwähnen. Der Punkt ist nur, es gab eine Rezension, eine sehr ausführliche Zeitschriften-Rezension mit folgendem Titel, mit folgender Headline: „Ist Gott ein Kraftfeld?“ Da war das aufgegriffen worden. Die Frage: Ist Gott ein Kraftfeld? Also können wir nun in Zukunft religiöse, spirituelle Begriffe, metaphysische Begriffe, feldmäßig fassen? War auch einer der Co-Autoren dieses Bandes, nicht nur David Peat und andere, übrigens auch die eher traditionellen Kosmologen waren darin vertreten, etwa John Barrow und andere. Es war ein breites Spektrum von der Mainstream-Kosmologie der Big-Bang-Fetischisten bis zu den alternativen Kosmologen. Mein Beitrag war eher die alternative Kosmologie. Also hat eine große Breite aufgefächert, der Band, hat dem Band auch nicht geholfen in der Öffentlichkeit. Auf jeden Fall: Ist Gott ein Kraftfeld? Eine heitere und in gewisser Weise absurde Frage, aber eine, aber eine eine naheliegende Frage, wenn man überhaupt erst einmal dazu kommt. Und deswegen müsste man, muss man diese beiden Begriffe noch einmal. Es ist wichtig, Begriffsklärung zu betreiben, damit man nicht heillos redet ohne diese Begriffsklärung. Seele und Feld. Was ist das? Der Begriff „Seele“ ist ja traditionell das Belebte. Seele ist das, was den Menschen auszeichnet. In gewisser Weise das was er, also ganz vereinfacht gesagt: Die Seele ist traditionell seit Aristoteles, aber auch in spirituell-religiösen Traditionen das, was der Mensch ist, nicht das, was er hat. Der Mensch hat also nicht die Seele streng genommen, sondern er ist das, es ist seine innerste Essenz. Er hat den Geist, wie das Johannes Heinrichs so schön immer wieder sagt, dass der ich-bewusste Mensch in diesem Sinne, das Seelenwesen Mensch partizipiert an dem medialen Logos, an dem, mit Hegel gesprochen, objektiven Geist, der im Universum waltet. Natürlich kann man die Begriffe anders setzen, aber das ist erst einmal eine bestimmte traditionelle Begrifflichkeit, die auch legitim ist. Und dazukam immer in der Tradition, dass man nicht nur annahm, diese Seele ist der Mensch selber oder die Pflanze, wenn man sie für beseelt hielt oder der Baum weitergehend, dann auch in animistischen Vorstellungen die Meeresbucht, die sogenannte anorganische Materie. Dann kommt man zu einer Allbeseeltheit, abwertend als Animismus bezeichnet. Dass man diese Vorstellung hereinzieht, dass die Seele immer auch das formale Prinzip ist, was die Form entstehen lässt. Es ist die Essenz selber des Lebewesens, und es ist gleichzeitig das, was die organische Form entstehen lässt. Damit wird die Seele zum Formalprinzip. Das hat noch der große kosmologische, für meine Begriffe vielleicht der größte aller Kosmologen, Giordano Bruno, aufgegriffen, indem man davon sprach, dass die Weltseele das Universalprinzip im Kosmos, das universale Formprinzip sei, der universale Grund, der Urgrund sämtlicher Formen in der Natur, also Weltseele als universales Formalprinzip, wobei alle Einzelseelen in gewisser Weise aus dieser universalen Weltseele, die in gewisser Weise auch mit der Welt-Vernunft gleichgesetzt wurde, mit dem ersten Geist, Primus Intellectus, bei Bruno. Also diese Gedanken findet man auch dort. Also traditionell der Einzelne selber.

Da kommt natürlich die Frage sofort auf: Wie ist es dann mit der Präexistenz und der Postexistenz dieser Seele? Entstehen nicht die religiösen Fragen, weltanschauliche Fragen, die ja immer da hineinspielen bei solchen Fragen, die auch die Emotionen anfachen. Es war ja schon seit Darwin der Fall, auch schon vorher. Und bis heute ist es ja immer emotional aufgeladen, weil Weltanschauungen immer im Spiele sind dabei. Also was ist mit der Prä- und Postexistenz? Wenn man davon ausgeht, dass ein immaterielles Etwas ist bewusstseinsbegabt, hat das schon vorher existiert, oder entsteht es erst? Und dann, was passiert mit diesem selben Prinzip, ob ich es „Entelechie“ nenne – oder „Seele“ – nach dem Tode? Gibt es eine Postexistenz? Die Frage der Postexistenz der Seele ist genauso aufschlussreich und naheliegend wie die der Präexistenz. Gibt es eine Reinkarnation? Dass sich dieses selbe Prinzip immer wieder neu in neuen Körpern in die Sinnenwelt hinein begibt, diese Fragen ergeben sich sofort bei diesem Thema. Wenn man das Thema überhaupt erst mal in seiner ganzen Differenziertheit zulässt.

Also Feld ist traditionell etwas ganz anderes gewesen. Ist Gott ein Kraftfeld? „Die Seele ist ein Feld“, ein unglücklicher Titel. Der Lektor hätte dem Verlag abraten müssen von diesem Titel. Ein wirklich unglücklicher Titel. Ich sagte schon mal, Sheldrake ist ja in den 80er Jahren weltbekannt geworden durch seine Theorie der morphischen Felder. Die hat eine ungeheure Diskussion ausgelöst. Mittlerweile ist es stiller geworden. Er hat sich durch seine letzten beiden Dialogbücher, auch durch sein sich engagiert in der Öffentlichkeit einsetzen für Engelwesen und ähnliches, zwar in der New-Age-Szene einen großen Namen gemacht, also wird er noch mehr geschätzt als vorher, aber er hat sich in der wissenschaftlichen Welt nun endgültig verabschiedet. Das geht dann so weit, dass er mittlerweile auf manchen Kongressen nicht mehr eingeladen wird. Oder wenn es heißt, er kommt, dann sagen andere ab. Der großen Wertschätzung auch der Person Sheldrakes, es ist ein ungeschicktes Verfahren in der Öffentlichkeit sich so in dieser Form auch von einer oft sehr verflachten New-Age-Szene so vereinnahmen zu lassen. So ist natürlich das Ganze dann in ein bestimmtes Fahrwasser geraten, aus dem es sich nicht mehr befreien lässt. Ein kritischer Sammelband, den der Scherz Verlag vor zwei Jahren herausgebracht hat. Hans-Peter Dürr, der Münchner Physiker, Nachfolger von Heisenberg in München, und Franz-Theo Gottwald haben den Band herausgegeben, wird mittlerweile verramscht. Also ein erfolgloses Unternehmen, eine kritische Gesamtdarstellung zu liefern, auch Stimmen dagegen. Dafür gibt es Gründe. Das ist sehr differenziert, liegt auch in den Schwächen dieses Ansatzes, den ich ja vor zwei Jahren, im Sommersemester, hier differenziert und ausführlich dargestellt habe. Aber es liegt doch an anderen Faktoren.

Also was sind Felder? Ganz kurz, noch einmal in Erinnerung gerufen. Der Feldbegriff hat eine verblüffende, um nicht zu sagen atemberaubende Karriere gemacht? Man weiß eigentlich nicht genau, warum, denn eigentlich ist es zunächst einmal ja eher ein nichtssagender Begriff und viele, die den Begriff verwendet haben, auch in der Biologie, wir werden in 14 Tagen von Marco Bischoff dazu einiges hören, einem der besten Kenner der biologischen Felder. Auch die Biologen, die den Feldbegriff schon in 20er Jahren verwendet haben, Dragovic [??] oder Spemann oder Paul Weiss, Österreich , haben zum Teil gesagt, das ist eigentlich ein leerer Begriff. Den haben sie aus der Physik übernommen. Letztlich hat er keinen Erklärungswert, und das ist ein wichtiger Punkt. Hat der Begriff überhaupt einen Erklärungswert? Er hat natürlich eine Geschichte. Entstanden ist er im 19. Jahrhundert, Mitte des 19. Jahrhunderts durch Michael Faraday, der ihn verwendet hat als Begriff, der zunächst etwas ganz anderes meinte, nämlich einen Ackerfeld, ein bearbeitetes Stück Land, ein Ackerfeld war. Das Feld, the field, und es ist ein bis heute in der Wissenschafts­geschichte ungeklärtes Phänomen, ich habe selbst mich damit einmal sehr intensiv beschäftigt und habe immer wieder darüber gestaunt, wie es möglich war, dass der Begriff sich so durchgesetzt hat. Denn warum sollte ein Feld im Sinne von Ackerfeld oder Kornfeld plötzlich ein immaterielles Etwas im Raum sein im Sinne dessen, was dem Elektromagnetismus zugrunde liegt? Und darauf wurde es zunächst bezogen? Merkwürdig. Ich habe keine Erklärung dafür. Es ist staunenswert. Der Begriff hat Weltkarriere gemacht und ist auch heute einer der am meisten verwendeten Begriffe überhaupt in der gesamten Naturwissenschaft, das Feld. Und vielleicht ist er deswegen so universal verbreitet, weil er natürlich auch eine gewisse Unschärfe enthält. Denn es fängt ja schon an mit der Frage: Sind diese Felder, ob nun biologische Felder oder elektromagnetische Felder oder das Gravitationsfeld oder Quantenfelder, sind das nun Konstrukte des Geistes? Für vollkommen unbekannte, undurchschaubare Prozesse? Oder gibt es diese Felder wirklich? Dass sie wirken steht außer Frage. Die Eisenfeilspäne ornden sich tatsächlich nach bestimmten Feldlinien, lines of force, wie das Faraday nannte, Kraftlinien, so hat er das noch genannt. Aber was sind diese Kraftlinien? Sind das sozusagen ontologische Realitäten? Oder sind das nur Fiktionen in unserem Kopf für etwas vollkommen Rätselhaftes und Unverstandenes? Die Frage ist offen, und man muss sie aber in aller Ernsthaftigkeit und Differenziertheit immer wieder stellen.

Was leistet der Begriff? Besonders natürlich der Begriff in der Biologie. Denn die Biologen haben mit einer Verzögerung von sieben Jahrzehnten den Begriff ja dann erst aufgenommen in den 20er Jahren in Anlehnung an die Physik. Sofort erhob sich natürlich von Kritikern auch von den Reduktionisten der Biologie, die Frage: Was sind diese Felder? Gibt es die eigentlich? Oder sind sie letztlich ohne Erklärungwert? Sind sie, wie man sagen kann, rein heuristischer Natur? Was ja auch möglich ist. Es gibt ja genügend heuristische Begriffe, die man einfach verwendet, weil man keine besseren hat, die aber ganz sinnvoll sind. Und dann die Frage: Was macht man mit diesen Feldern? Da kann man etwas messen. Es sind bestimmte Strukturen, es sind bestimmte Wandlungen im Raum, offenbar. Denken Sie an meine Vorlesung über Raumenergie. Ich glaube, im Januar war das. Wer da war, wird sich vielleicht daran erinnern. Die Frage: Ist das, hängt das mit dem Raum zusammen? Oder sind das eigene Entitäten im Raum? Einer der ersten [in] der Sache, das ist der Raum selber, war ja Maxwell. Das ist eigentlich der Raum selber. Das ist eine bestimmte Struktur des Raums. Kommt sofort die Frage auf: Wie kann dann der Raum in diesem Sinne Strukturen haben? Eine abgründige Frage, über die ich ja im Wintersemester auch viel gesprochen habe, die aber auch für unser Thema wichtig ist. Denn wenn ich die Frage stelle, was verursacht denn die organische Form? Ich sage hypothetisch, heuristisch, da sind Felder immaterielle Wirkprinzipien, ich nenne das mal Felder, biologische Felder. Von mir aus auch mit Paul Spee und Gurwicz [??] und anderen morphogenetische Felder. Schönberg hat den Begriff ja nur übernommen. Ist ja nicht seine Erfindung. Er sagt es ja auch ausdrücklich, dass das eine Adaption ist aus den 20er-Jahren. Also wenn die Felder wirklich existieren, dann muss man die Frage stellen: Was ist das? Oder es sind Hilfsvorstellungen, die uns auch nicht weiterbringen. Mittlerweile wird das verbunden zunehmend auch mit Computer­modellen, mit bestimmten mathematischen Vorstellungen vom sogenannten Attraktor. Das habe ich auch schon angedeutet. Der große Attraktor, der letztlich ein Telos, ein Ziel beinhaltet, zieht quasi einen Zellhaufen auf das ausgewachsene Lebewesen hin, etwa in der Embryogenese, dieser ungeheuerliche Vorgang, ja der wirklich erschütternde Vorgang, wie es möglich ist, dass aus einer einfachen Zelle, aus einem Zellhaufen ein lebendiges, einmaliges Wesen überhaupt werden kann. Wer sich der Mühe unterzieht, darüber nachzudenken, der kommt aus dem Staunen nicht heraus, ist wirklich erschütternd und tief bewegend. Und der von mir schon angedeutete Peter Sloterdijk in seinem letzten Buch „Sphären 1“; „Blasen“, Untertitel, der zweite Band bewegt sich… handelt von den Globen, den Kugeln im Raum, stellt sich auch dieser Frage. Ein Buch, das zentral kreist um genau diese Frage der Geburt. Seine ganzen Überlegungen zur Polarität von Fötus und Plazenta, also großartig und ausdifferenziert, faszinierend zu lesen, hat, es hat so noch bisher keiner in Sprache gefasst, wie er das jedenfalls versucht. Ich will darüber noch einiges sagen im Zusammenhang mit der Polarität, weil es damit auch zu tun hat. Ich mache erst einmal, ich bin ein bisschen über die Zeit hinaus. Ich mag erst mal einen kleinen Schnitt, setzt dann genau an der Stelle ein. Nach der Pause schauen wir mal zehn Minuten, maximal, eher acht, sagen zehn Minuten, maximal.

Ich wurde gerade eben noch mal in der Pause gefragt, was denn nun genau der Begriff „Entelechie“ bedeutet. Ich sag das gerne noch mal, ist also dasjenige, was sein Ziel, Telos, in sich selbst hat. Das heißt, das ist schwer zu denken, weil wir denken ja immer, wenn wir von einem Wirkprinzip ausgehen in gewisser Weise dualistisch. Das meint Aristoteles nicht. Er meint ein Wirkprinzip, das immanent ist, ohne dass dieses Wirkprinzip vollständig aufgeht und es identisch wäre mit der organischen Form. Wenn es nämlich identisch ist mit der organischen Form, brauche ich es auch gar nicht extra hervorzuheben. Das wäre ja purer Biologismus oder biologischer Materialismus. Dann brauche ich das Wort gar nicht zu verwenden. Das ist die Schwierigkeit. Es ist nicht gemeint ein Dualismus, ist aber genauso wenig ein Monismus gemeint. Wir denken ja immer in diesen Entgegensetzung, seit Jahrhunderten eigentlich, eher dualistisch oder eher modernistisch. Nicht, die herkömmliche Naturwissenschaft ist im Wesentlichen, im Hauptstrom, eher reduktionistisch, modernistisch natürlich, faktisch häufig genug dualistisch, aber uneingestanden. Und bei Aristoteles ist etwas anderes gemeint, vielleicht noch zur Erklärung hier. Der Sheldrake paraphrasiert hier den Driesch. Ich darf das kurz mal vorlesen und das kurz noch in Erinnerung zu rufen, weil keiner kennt heute mehr die Schriften von Driesch, obwohl das hochintelligente Bücher sind. Kaum der Name ist noch bekannt. Ich selbst habe 1980 einmal im Engadin, nein Mitte der 70er Jahre im Engadin noch einen Schüler von Driesch kennengelernt. Ein Biologieprofessor aus Leipzig, der noch bei Driesch promoviert hatte, wir haben uns ausführlich unterhalten über diese Dinge. Daher weiß ich nur etwas mehr direkt von Driesch selber, von einem seiner Schüler. Also Mitte der 70er Jahre, war schon damals ein alter Mann der betreffende Herr aus Leipzig.

[Sheldrake] Im 19. Jahrhundert waren die Gedanken zu solchen Themen noch durchweg so vage wie diese, hatte was zitiert, und erst nach 1900 begann mit den Arbeiten Hans Driesch die Entwicklung einer detaillierten vitalistischen Theorie, also es gab vitalistische Theorien schon vorher. Aber sie waren nicht so ausdifferenziert wie die von Driesch. Er begann seine Laufbahn als Biologe am Institut für Entwicklungsmechanik, gelangte jedoch aufgrund seiner experimentell gewonnenen Erkenntnisse über embryonale Regulations-, Regenerations,- und Reproduktionsphänomene zu folgendem Schluss, para­phrasiert Sheldrake, ohne Driesch selber zu zitieren: Etwas, das von einer immanenten Ganzheit ist, wirkt auf lebendige Systeme ein, ist aber nicht materieller Teil von ihnen … einer immanenten Ganzheit ist, wirkt auf lebendige Systeme, ist aber nicht materieller Teil von ihnen. Diesen nicht-materiellen Kausalfaktor nannte er nach Aristoteles „Entelechie“. Entelechie ist nach seiner Anschauung zielgerichtet oder teleologisch. Sie lenkt die physikalischen Prozesse, die ihrem Einfluss unterliegen, auf ein Ziel hin, das in ihr selber liegt, „Entelechie“ wörtlich. Nach Driesch lenkt die Entelechie die Morphogenese des sich entwickelnden Organismus auf die charakteristische Form seiner Art hin. Die Gene stellen die materiellen Mittel der Morphegenese, die chemischen Substanzen, die in eine Ordnung gefügt werden. Doch das Ordnen selbst ist Aufgabe der Entelechie. Driesch war ein exzellenter Kenner auch der Chemie seiner Zeit, hat es gar nicht geleugnet, dass chemische Prozesse entscheidend wichtig sind. Er kannte auch diese Prozesse. Trotzdem glaubt er, dass zusätzlich ein Faktor gefunden werden müsse. Bekanntlich ist ja der Vitalismus erst einmal in der alten Form diskreditiert worden dadurch, dass die künstliche Synthese einer organischen Substanz des Harnstoff durch Friedrich Wöhler gelang 1828. Driesch meinte, das wird noch viel weitergehen, man wird noch viel mehr synthetisieren können, das hielte er nicht für ein Gegenargument gegen den Vitalismus. [Sheldrake] In ähnlicher Weise stellt etwa das Nervensystem die Mittel für das Verhalten eines Tieres, doch die Entelechie organisiert das Verhalten und benutzt den Organismus als ein Instrument, wie ein Pianist den Flügel als Instrument benutzt.

Jetzt noch ganz kurz hier, weil ich das vorhin erwähnt habe. Ich will erst mal eine kleine Passage vorlesen, weil ich die sehr signifikant finde, über die sogenannten genetischen Programme, die ja in allen populärwissenschaftlichen Darstellungen geistern. Die Gene haben ja gerade zu eine mythische Qualität, wie man weiß. Erstaunlich. Und selten wird ja nachgefragt, was es damit im Einzelnen auf sich hat. [Sheldrake] Attraktiv ist die Theorie der genetischen Programme aus mehreren Gründen. Das schreibt Sheldrake Ende der 90er Jahre. Ende der 80er Jahre. Das gilt aber auch heute noch, zehn Jahre danach. Zunächst scheint das Programm eine peinliche Kluft zu überbrücken, nämlich die, dass die meisten erblichen Merkmale, etwa die Form des Blumenkohls, keine direkt aufzeigbare Beziehung zu DNS und Eiweißmolekül besitzen. Das ist der Fall. Wenn aber die Gene die Entwicklung des Blumenkohl irgendwie programmieren, dann wirkt die breite Kluft zwischen dieser komplexen organischen Struktur und den DNS-Molekülen schon nicht mehr so beunruhigend, auch wenn man eigentlich nichts Handfestes über die Natur des Blumenkohlprogramms weiß. Zweiter Punkt, warum das so attraktiv ist, nach Sheldrake, der diese These ablehnt. Zweitens stellt das Programm eine subtilere Theorie dar als die Vorstellung von Genen für bestimmte Merkmale, was man ja auch zunächst gedacht hatte. Für jedes Merkmal gibt es ein einzelnes Gen. Das hat sich als falsch herausgestellt. Gene sind dann nicht mehr atomistische Determinanten einzelner Züge des Organismus, sondern wirken in mehr oder weniger großen Gruppen zusammen. Wenn man sie als Elemente eines Programms auffasst, ist ihr harmonisches Zusammenleben eher zu verstehen. Drittens beinhaltet der Programmbegriff die Vorstellung, dass die Entwicklung zielgerichtet abläuft. Programme enthalten Informationen über das Ziel, zu dem sie führen sollen. Der Programmbegriff scheint also zu erklären, weshalb lebendige Organismen sich auf eine bestimmte charakteristische Form hin entwickeln. Da das Programm ein holistisches, ganzheitliches, zielgerichtetes und erbliches Organisationsprinzip darstellt, erklärt zugleich, dass embryonale Regulations- und Regenerationsvermögen, das zum Teil ungeheuerlich ist, denken Sie daran das man Plattwürmer zerschneiden kann, und immer wieder neue ganze Exemplare entstehen und so weiter. Und viertens scheint dieses Programm … dieser Programmbegriff gut in den informationstheoretischen Jargon und zu den linguistischen Metaphern zu passen, die in der heutigen Biologie so beliebt sind. Die DNS kodiert Information, die dann in deren Moleküle transkribiert und schließlich für die Eiweissynthese in Sequenzen von Aminosäuren übersetzt werden kann. Die Metapher des genetischen Programms kann man kaum anders interpretieren, als dass die Entwicklung von präexistierenden, zielorientierten Prinzipien bestimmt wird, die entweder selbst geistähnlich sind oder doch zumindest von einem Geist konzipiert wurden. Vielleicht enthält die Morphogenese ihre Ordnung tatsächlich von solch einem zielgerichteten Lenkungsprinzip. Doch dann wäre genetisches Programm der falsche Name dafür. Es ist nicht genetisch, liegt also nicht in den Genen, und man kann die Morphogenese auch nicht als programmiert bezeichnen. Wäre das Entwicklungsprogramm eines Organismus in den Genen enthalten, dann wären alle Körperzellen identisch programmiert, denn sie enthalten alle dieselben Gene. Das vergisst man häufig in dieser Diskussion. Alle Zellen enthalten ja dieselben Gene. Warum differenzieren Sie sich zu bestimmten Organen überhaupt aus? Das kann man mit den Genen nicht selbst erklären. So sind beispielsweise die Zellen unserer Arme und Beine genetisch identisch. Diese Gliedmaßen enthalten überdies genau dieselben Arten von Eiweiß-Molekülen, chemisch identische Knochen oder Knorpel, Substanz und so weiter. Und sie sind von unterschiedlicher Gestalt. Mit den Genen allein sind diese Unterschiede zweifellos nicht zu erklären. Es müssen normative Einflüsse vorhanden sein, die sich bei der Entwicklung verschiedener Organe und Gewebe unterschiedlich auswirken. Da diese Einflüsse sich über ganze Organe erstrecken, können sie nicht in den Genen liegen. An dieser Stelle wird die Theorie der genetischen Programme denn auch fadenscheinig, und man behilft sich mit vagen Ausdrücken wie komplexe raumzeitliche Muster, physikalisch-chemische Aktivität, die noch nicht gänzlich erforscht sind, oder unaufgeklärte Mechanismen. Und so weiter. Das finde ich eine sehr … diese Passagen beim Sheldrake finde ich ausgezeichnet. Sie werden kaum gewürdigt. Aber er bringt eine ganze Reihe von intelligenten Argumenten. Ich habe nur ein ganz kleines Beispiel genannt.

Übrigens ich habe letztes Mal ein Buch erwähnt, das ich schon mal in früheren Jahren mit hatte, vor zwei, drei Jahren. Ich will es nochmal erwähnen von Ervin Laszlo, dem System- Theoretiker: „Kosmische Kreativität. Neue Grundlagen einer einheitlichen Wissenschaft von Materie, Geist und Leben.“, 1995 erschienen, in dem Lazlo auch den Versuch macht, in Abgrenzung zum Neodarwinismus vom Feldbegriff aus die Ganzheit des Organischen zu erklären. Ich habe das mal Ihnen erläutert, die da waren, können sich vielleicht daran erinnern, dass muss 96 im Sommer gewesen sein. Ich weiß es gar nicht mehr genau. Diese Theorie der Subquanten, des Subquantenfeldes, des PSI-Feldes, wie das László auch nennt. Mittlerweile hat er das auch ausgearbeitet und es erscheint, wie ich weiß, ich kenn es nur auf Englisch, das Buch, ein neues Buch in Kürze im Sommer, Herbst beim Lübbe Verlag mit dem Titel „Das fünfte Feld“. Der Originaltitel ist „The Whispering Pond“ also „Der flüsternde Teich“. Die deutsche Ausgabe trägt den Titel „Das fünfte Feld“. Soweit ich weiß, ich weiß das durch den Lübbe Verlag, weil „Was die Erde will“ auch im Lübbe Verlag erschienen ist. Da hat er das noch ausdifferenziert, diese Vorstellung. Auch er bringt eine Fülle von Belegen aus der Biologie dahingehend, dass man den Feldbegriff fruchtbar machen kann für das Verständnis der organischen Form. Darwinismus schreibt er zum Beispiel, beliebige Stelle, ja fast zufällig hier von mir jetzt aufgeschlagen, Darwinismus ist eng mit einem zufallsgesteuerten Prozess kontinuierlicher, kleinstufiger Anpassung verbunden ein Prozess, der kaum die beobachteten Ordnungsdimensionen innerhalb des bekannten Zeitrahmens der Evolution erzeugt haben kann. Zufälligkeit und schrittweise Entfaltung der Evolution erscheinen als ein höchst zweifelhaftes Prinzip und so weiter. Er stellt hier eine ganze Fülle von Argumenten zusammen, die den Darwinismus mehr oder weniger den Neodarwinismus ad absurdum führen. Ich habe das an einem kleinen Beispiel mit Ken Wilber ihnen bei uns letztes Mal erläutert. Mit dieser Synchronität von nicht-letalen Mutationen, die stattfinden müssen, damit überhaupt eine lebensfähige Mutationen überlebensfähige Mutation wirksam werden kann.

Ich war beim Begriff des Feldes stehengeblieben, will noch einmal den Punkt versuchen zu umreißen. Wenn ich davon ausgehe, diese organische Form, auch des Menschen andere organische Form, aber vielleicht auch der Kristalle beispielsweise, der sogenannten anorganischen Welt, geht letztlich auf Felder zurück. Dann muss ich die Frage stellen: Welcher Natur sind diese Felder? Sind Sie in irgendeiner Form vergleichbar mit elektromagnetischen Feldern? Man ist leicht geneigt zu sagen, das müsste so sein, obwohl das extrem schwierig ist. Schon der Elektromagnetismus wirft eine Fülle von Fragen auf, die vollkommen ungeklärt sind. Niemand weiß im Grunde genommen, was Elektrizität, niemand weiß, was Magnetismus wirklich ist. Man konstatiert bestimmte Auswirkungen, aber man weiß nicht, was das wirklich ist, und wie die Zusammenhänge im Feld-Bereich wirklich sind. Und die Frage, ob diese Lebensenergien, diese Bioenergien, diese Bioenergie, von denen ja in der ganzen Körpertherapie in den letzten 20, 25 Jahren so viel die Rede ist. Ob das nun eigene Energieformen, eigene Feldformen sind oder im Grunde genommen nur, in Anführungszeichen, „elektromagnetische Felder“, ist sehr schwer zu entscheiden. Es scheint so zu sein, dass es eigene Feldqualitäten sind, die nicht elektromagnetischer Art sind. Mit aller Vorsicht. Es gibt natürlich Kritiker, die sagen, das sind nur unverstandene elektromagnetische Prozesse. Das sagt auch der Physiker Hans-Peter Dürr, ich sagte es ja schon, Nachfahre … Nachfolger von Heisenberg in München. Am Max-Planck-Institut sagt er, vermutet bei aller Sympathie für die These von Sheldrake, er vermutet, dass sind letztlich noch unverstandene elektromagnetische Prozesse. Und dann kommt ja bei den Quantentheoretikern immer ein Begriff ins Spiel, der auch philosophisch schwierig ist, das ist der Begriff des Potentials. Ein Begriff, den übrigens auch unser Gastredner Markus Bischoff sehr schätzt, den Begriff des Potenzials. Das liegt also noch vor den Feldern, vor dem Kraftfeld, Potenzial, Kraftfeld, Materie. Das wäre dann also eine Dreistufung. Was ist ein Potenzial? Ein Möglichkeitsfeld. Ein Möglichkeitsfeld oder ein Informationsfeld, was gar nicht Energie transportiert? Ich habe das ja schon mehrfach auch angedeutet. Das sind offene Fragen. Und wie, ob sie sich überhaupt letztgültig […] lassen, ist nicht ausgemacht. Die Frage ist natürlich, ob es überhaupt sinnvoll ist, mit diesen Begriffen zu operieren, ob man da so hemmungslos, wie es geschieht, wie es geschieht, messen soll. Da möchte ich eine Skepsis anmerken, grundsätzlich gegen diese Forschungen, dass sie ein Verfahren letztlich in ein sehr lebendiges Gefüge hineintragen. Auch Messverfahren. Das gilt auch für die Parapsychologie, was diesen Phänomenen vielleicht gar nicht angemessen ist. Aber das geschieht überall, die feinstofflichen Bereiche werden zunehmend auch mathematisiert. Es gibt Computermodelle darüber mittlerweile, und da wird viel drüber geforscht, gerade auch in Russland heute. Verschiedene Physiker sind da, gehören da zur Avandgarde, was diese Forschung betrifft. Aber man muss da sehr vorsichtig sein. Also ich habe da eine große Skepsis grundsätzlicher Art, prinzipieller Art, ob es sinnvoll ist, mit derart letztlich reduktionistischen Messmethoden sich dem Lebendigen zu nähern. Das ist eine Grundsatzfrage. Wenn man Wissenschaft im traditionellen Stil betreiben will, warum soll man nicht auch weiter messen, bis es halt nicht mehr geht? Das ist ja, wer soll einen daran hindern? Es ist ja letztlich eine eine Art Verbot, das man da aussprechen müsste. Und da sieht natürlich keiner der maßgebenden Leute sich irgendwie bemüßigt, auf ein solches Verbot zu reagieren, was ja auch in sich wieder absurd ist. Aber man darf die Skepsis anmerken und auch formulieren, dass die, das ständige Verfügbarmachen über Mathematisieren, über Modelle und über Messungen dieser eher feinstofflichen Dimension bestimmt auch fragwürdig ist und auch eine ganze Reihe von Mißbrauchsmöglichkeiten in sich birgt, wie sich schon ganz eindeutig auch zeigt. Mittlerweile will man die Dinge ein bisschen genauer verfolgen, wenn man bestimmte Pflanzen das Pflanzenwachstum beschleunigen kann, was möglich ist in bestimmten Kontexten, dann ist es natürlich auch missbrauchbar, in großem Stil vielleicht sogar. Das wäre dann eine politische Frage. Aber diese Fragen muss man in dem Zusammenhang immer stellen.

Also ich halte den Feldbegriff trotz seiner, sagen wir mal, Unschärfe immer noch für sinnvoll. Ich kann ihn verwenden, ohne dass ich verleugne, dass er ein Hilfs-Begriff ist. Denn warum sage ich nicht zum Beispiel konsequent, wie das Sheldrake ja in letzter Zeit ja auch ganz offen Tat tut? Und seine Kritiker haben gesagt, das hat er im Grunde immer gemeint. Warum sag ich nicht gleich „Seele“. Dafür würde ich plädieren. Warum sagt man das nicht? Warum benutzt man nicht wieder den Begriff Seele? Kann man tun? Warum nicht vielleicht auch „Geistwesen“? Warum kann man nicht diese alten Begriffe wieder in neuer Form reaktivieren? Sie sind natürlich vorbelastet, sie klingen nach mittelalterlichem, längst überwundenen Vorstellungen. Aber ich halte sie trotzdem für sinnvoll, und zwar im Sinne des, eines von mir hochgeschätzten Mannes, einem der klügsten Köpfe der Aufklärung, nämlich Lichtenberg. Lichtenberg hat mal gesagt, in seinen vielen Aufzeichnungen, seinen Sudelbüchern, ich habe das jetzt nicht wörtlich im Kopf, aber sinngemäß: Es ist ein großer Unterschied, ob man Dinge noch für richtig hält, noch glaubt, oder ob man sie wieder glaubt. Auf einer neuen Ebene. Und dann erwähnt er das Beispiel der Gestirne als Organismen. Es ist obsolet, wenn man noch daran glaubt, dass die Gestirne Götter sind wie in der antiken Welt. Aber wenn man wieder daran glaubt, durchgegangen durch die ganze Denkbewegung auch der Neuzeit und der Aufklärung, dann kann man vielleicht Erkenntnisgewinn haben. Es ist in diesem Sinne des, wie gesagt, von mir hochgeschätzten Lichtenberg, wirklich einer der klügsten Köpfe des 18. Jahrhunderts. Also kann man noch einmal versuchen oder den Versuch wagen, diese Begriffe auf eine neue Weise zu aktivieren. Man wird nicht umhinkönnen, auch noch einmal ganz neu in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ort dieser Felder zu stellen.

Ich habe das ja schon angedeutet. Und das führt direkt in bestimmte, auch sehr avancierte Überlegungen. Wo sind diese Felder, wenn es denn Felder sind? Und wenn der Begriff sinnvoll ist: Sind sie im sogenannten normalen Raum, in dem Raum, den man herkömmlicher Weise als einen dreidimensionalen bezeichnet. Im euklidischen Sinne? Das kann man anzweifeln. Das ist aber jetzt nicht das Thema. Sind Sie dort angesiedelt? Haben Sie insofern einen Ort, werden Sie schwächer mit der Entfernung? Gibt es da bestimmte Gesetzmäßigkeiten, etwa das reziproke Quadratgesetz – 1 durch a-Quadrat – etwa der gravitativen oder der elektromechanischen Wirkung, die ja mit dem Quadrat der Entfernung schwächer werden. Sheldrake zum Beispiel behauptet, schwierig und kühn, in gewisser Weise kann man sagen auch ohne Boden, behauptet, diese seine Felder, die er reaktivierte aus den zwanziger Jahren, sind Felder nicht im normalen Raum. Sie werden nicht schwächer mit der Entfernung. Das führt natürlich sofort auf die Frage der berühmten Nichtlokalität im Zusammenhang mit der Quantentheorie. Gibt es nicht-lokale Wirkungen? Da wird ja die alte Fernwirkung reaktiviert, die keine Zeit braucht. Was Punkt A, Punkt B sind ohne Zeitverlust miteinander verbunden. Jedes normale Wirken, wie wir es kennen, braucht eine gewisse Zeit. Aber es wird ja auch schon in der klassischen, mechanistischen Physik gesagt, dass Gravitationswellen keine Zeit beanspruchen. Jedenfalls wurde das im 18. Jahrhundert als selbstverständlich vorausgesetzt. Gravitation ist quasi unendlich schnell, wenn man eine Zeitbegriff, wenn man die Geschwindigkeit darauf anwendet. Im Gegensatz zu Elektromagnetismus oder Licht, das eine bestimmte messbare Geschwin­digkeit hat, so wurde nicht angenommen, dass Gravitation eine gewisse Geschwindigkeit braucht. Darüber ist viel nachgedacht worden. Immer wieder ist der Verdacht geäußert worden, es sei doch der Fall. Das bräuchte doch eine Geschwindigkeit, vielleicht sogar die Lichtgeschwindigkeit. Das ist nie zweifelsfrei bewiesen worden. Aber der Gedanke kam immer wieder auf die Frage: Sind Sie, sind die Felder im herkömmlichen Raum? Oder muss man, wie das ja in einigen avancierten Theorien auch geschieht, eine Art Hyperraum annehmen? Das macht etwa Burkhard Heim. Man muss es nicht Hyperraum nennen, man kann es auch inneren Raum nennen oder transzendenten Raum oder anderen Raum. Man kann es auch Gegenraum nennen, wie es in einigen Überlegungen heißt, auch in Teilen der sogenannten projektivem oder synthetischen Geometrie, der Gegenraum. Was heißt das? Müssen … muss man sich dann zu einer anderen Form von Raum bequemen? Muss man versuchen, eine ganz andere Form von Raum zu denken? Ich selber beschäftige mich auch seit Jahren mit dieser Frage, dieser Philosophie des Raums. Sie ist eine brennende, eine hochinteressante und faszinierende Frage. Sie ist eine sehr schwer eindeutig lösbare Frage. Ich würde vermuten, mit aller Vorsicht einmal gesagt, dass diese organisierenden Prinzipien zwar sich auswirken in dem sogenannten normalen, dem dreidimensionalen Raum, dass sie aber ontologisch gesehen in einem anderen Raum angesiedelt sind. Dass sie in einem inneren Raum, im transzendenten Raum, um den Begriff Hyperraum mal hier zu vermeiden, angesiedelt sein mögen. Und wie das ist mit der Abschwächung der Wirksamkeit über eine Entfernung hinweg, das ist schwer zu sagen. Das ist ein letztlich auch ungeklärter Punkt, und es gibt verschiedene Überlegungen, diese Raumfrage zu verbinden mit der Frage nach den Formungkräften. Das ist sehr früh gemacht worden, übrigens schon vor hundert Jahren, zum Teil von den Theosophen, dann in ihrer Nachfolge dann von den Anthroposophen. Ich habe das mal erwähnt, will das nächste Mal noch eingehender darstellen. Es gibt einen Physiker, Mathematiker, George Adams, 1894 bis 1963, der in verschiedenen seiner Bücher genau diesen Versuch gemacht hat. Ich habe auch eines seiner Bücher, die auf dem Literaturverzeichnis, das den Versuch gemacht hat, die Formkräfte, anthroposophisch gesehen sind das Bildekräfte, also die formativen Potenzen, wie immer, in Verbindung zu bringen mit einem anderen Raum, mit dem, was in der Tradition der Theosophie und Anthroposophie und anderer spiritueller Strömungen als Ätherraum bezeichnet wird. Der Ätherraum, der einen ganz anderen Charakter hat, der manchmal auch als ein peripherer Raum bezeichnet wird, im Gegensatz zu einem zentrierten Raum der normalen gravitativen und elektromagnetischen Kräfte. Eine schwierige Denkvorstellung. Aber interessant, dass die Formkräfte zwar in den physischen Raum einwirken, aber letztlich aus einem anderen Raum stammen. Wobei der Begriff „Physischer Raum“, den die Anthroposophem gerne verwendet, eigentlich ein Unbegriff ist. Denn der Raum kann in dem Sinne nicht physisch sein kann, auch der sogenannte normale Raum ist nicht sichtbar, er ist nicht tastbar, er ist nicht fühlbar. Er ist nicht physisch. Was immer der Raum ist, physisch ist er nicht. Insofern ist der Begriff eher unglücklich, der hier häufig verwendet wird. Man unterscheidet dann den physischen Raum, den normalen Raum, würde eher sagen den Anschauungsraum, von einem in diesem Sinne metaphysischen Raum, den man dann als Gegenraum bezeichnet. In gewisser Weise werden dort die Formenkräfte dann angesiedelt, die auch aus dem Kosmos das Gestirn bestimmen und übrigens auch dafür verantwortlich sind, sehr interessant der Gedanke, der mich seit Jahren beschäftigt, dass diese Formkräfte aus einem möglichen anderen Raum auch als Lichtkräfte verstanden werden können, letztlich antigravitativ wirken, antigravitativ gegen die sogenannte normale Schwerkraft. Ich habe in meinem neuen Buch „Räume, Dimensionen, Weltmodelle“ dazu mich eingehend auch geäußert, was im August erscheinen wird. Zu dieser faszinierenden Frage, die man schon bei Schelling findet, der auch annimmt, dass diese im höheren Sinne Lichtkräfte, diese Form-Potenzen in irgendeiner Form antigravitativ wirken, ohne dass man nun der Auffassung sein muss, dass die Anthroposophen, sag ich mal etwas grob sinnlich, sich vorstellen, dass sie quasi diese Kräfte, quasi die Pflanzen aus dem Boden rausziehen. Das ist mir zu, sagen wir mal, zu sinnlich-direkt gedacht. Aber es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, dass es tatsächlich auch im Licht, auch im sogenannt normalem Licht antigravitative Möglichkeiten gibt. Vielleicht ist darin begründet, dass die Tiefe des Schlafes immer auch mit dem Licht zusammenhängt, dass der Tiefschlaf immer am größten ist in der Nacht und nicht am Tage. Dass man das nie am Tage realisieren kann. Eine schwierige Frage, die ich vielleicht im Wintersemester auch noch eingehender darstellen möchte. Eine faszinierende Frage, ein weites Forschungsfeld übrigens, wo man auch Hypothesen aufstellen kann, die durchaus auch verifizierbar sind oder eben nicht, aber doch einige Vorschläge gemacht, was man, wie man das verifizieren könnte, und sicherlich auch falsifizieren, sodass man dann sagen kann: Das ist nicht der Fall, das stimmt nicht. Auf jeden Fall ist es ein Versuch, den George Adams, diese Formkräfte mit einem anderen Raum, mit einem ätherischen Raum in Verbindung zu bringen. Wie gesagt, Burghard Heim nennt das Hyperraum. Hyperraum ist ein Begriff aus der Mathematik, aus einer bestimmten Art von höherer Mathematik. Ein Begriff, der natürlich dann sehr schnell ganz abstrakte Vorstellungen weckt und mathematisch, leblos wirkt. Und das ja immer die Frage: Ist das möglich? Das kann man ja auch gegen die Modelle von Burkhard Heim einwenden, dass das letztlich Versuche sind, mathematisch spekulativ mit Hyperräumen das Lebendige zu verstehen. Was für meine Überzeugung so nicht gehen kann. Ich sage ja unermüdlich, vielleicht mit einer gewissen Redundanz, wenn man das kritisch anmerken könnte, dass man sich immer im Klaren darüber sein muss, wovon man redet. Redet man von Modellen, redet man von Konstrukten, von heuristischen Vorstellungen, oder meint man das Lebendige selbst? Das ist eine Fatalität in der ganzen modernen Denkentwicklung, dass es dermaßen auseinandergeht. Ich plädiere immer dafür, dass man das möglichst versucht im Bewusstsein zu behalten, dass die existenzielle Ebene als eine unmittelbare Erfahrungseebene auch des Lebendigen etwas ganz anderes ist. Wir alle haben unmittelbar das Lebendige in und durch uns selbst, in der eigenen Leiblichkeit, in der Ichhaftigkeit. Das ist erstmal das, was wir unmittelbar haben als Erfahrung. Und davon müssen wir ausgehen. Wir können nicht von abstrakten Konstrukten und heuristischen Modellen rückschließen, reduktionistisch verkürzt dann, und meinen, wir hätten irgendwas erklärt. Wir haben es allenfalls, bestenfalls dann beschrieben. Aber das ist ein Grundproblem wo, worüber ich mich mit vielen Leuten auseinandersetze heute. Ich staune immer darüber, welche Gläubigkeit, sag ich mal, herrscht hinsichtlich bestimmter Modelle, und dass man selten versteht oder verstehen will, dass das Konstrukte sind. Auch wenn sie relativ gut funktionieren, müssen sie noch lange nicht im ontologischen Sinne wahr sein. Das ist wichtig, dass man das immer auseinanderhält. In aller Bescheidenheit kann man dadurch auf einen Tag leben und kann das erst einmal so hinstellen.

Ich möchte an der Stelle auch dann das nächste Mal den Vierteiler über Polarität einleiten. Ich habe ja drei Vorlesungen über Polarität. In gewisser Weise gibt es eine vierte, die sich mit dem Licht beschäftigt. Licht. Finsternis. Goethe. Newton ist eigentlich die vierte Vorlesung über Polarität. Dazwischen ist der Gastvortrag dann von Marco Bischoff. Ich will genau an der Stelle dann das nächste Mal anknüpfen über die Polarität, Bauprinzip der Natur, die räumliche Komponente, oben, unten, innen, außen. Das meine ich nicht nur auf einer Skala bezogen, sondern das meine ich wirklich qualitativ. Oben und unten ist etwas fundamental anderes im lebendigen Organismus, nach innen und außen. In mehrfacher Hinsicht. Und da kann man tatsächlich sehr viel ableiten, auch aus dem Oben und Unten, der menschlichen Gestalt. Ganz banal gesagt: Der Kopf ist aus guten Gründen oben, die Füße sind unten, das hört sich furchtbar banal, ja lächerlich an. Aber es ist wirklich ergiebig, sich die organische Gestalt mal auch philosophisch ganzheitlich anzuschauen. Die Organe haben in gewisser Weise ihren absoluten Ort im Leib. Sie sind nicht beliebig verschiebbar. Da kommt wieder die Raumfrage rein. Ich habe ja schon mal den Philosophen Hermann Schmitz erwähnt, mit seiner Vorstellung vom Weiteraum, dem Richtungsraum und dem Ortsraum. Da komme ich an vollkommen neue, interessante Perspektiven auch über die Frage des Raums hinein. Und dann kann man noch mal wieder diese Frage sich klarmachen der formativen Energien, die im Raum und aus dem Raum heraus wirken, und wie sie wirken, von oben oder von innen, von außen, wie immer. Auf jeden Fall kann man dann noch mal einen neuen Ansatzpunkt gewinnen für die Frage der … des Verständnis des Lebendigen. Darum geht es letztlich. Die Vorlesung heißt aus gutem Grund: „Das lebendige Buch der Natur“. Es geht um den Versuch, einfach das Lebendige zu verstehen, um nichts Geringeres und um nicht mehr. Und das sind nur Annäherungen, das Lebendige lässt sich wahrscheinlich, sag ich mal prinzipiell, lässt sich wahrscheinlich geistig philosophisch letztlich gar nicht verstehen. Es werden nur Annäherungen sein, aber die sind möglich und die kann man bis zu einem gewissen Grade auch tatsächlich vorantreiben. Es ist genau acht. Ich möchte gleich die Diskussion anschließen. Sie können gern noch ein paar Fragen, oder wir können noch ein paar Fragen klären. Wenn es nicht so lange dauert, wäre es mir lieb. Aber auch nicht abwürgen.

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Der Mensch – Seitenzweig oder Sinnmitte der Evolution

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur, Teil I
Tiefenökologie und Neue Naturphilosophie

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Sommersemester 1999 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 15

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Ich habe das heute genannt, wieder als Frage, wie so häufig: „Der Mensch – Seitenzweig oder Sinnmitte der Evolution, zum Problem des Anthropozentrismus“. Ich will das zunächst erläutern. Das sind ja genau genommen zwei verschiedene Themen, die hier drinstecken, obwohl sie sich in der ersten Lesart als eng miteinander verbunden zeigen. Zum einen ist es das Problem des Anthropozentrismus, das man wie folgt beschreiben könnte, meistens ja in einer eher kritischen Form, so und nicht anders genannt: Anthropos ist der Mensch, und Anthropozentrismus ist einfach eine Grundhaltung, eine Haltung zur Welt, zur Erde, zum Kosmos, zum Universum, die davon ausgeht, dass der Mensch, jetzt kollektiv verstanden, nicht der einzelne Mensch, sondern die Gattung Mensch, die Menschheit, sich als zentral betrachtet.

Das muss nicht bedeuten, im Sinne des antiken oder mittelalterlichen Geozentrismus, dass nun der Mensch sich buchstäblich, gleichsam kosmisch-topographisch, im Mittelpunkt des Kosmos wähnt. Das heißt nur, dass der Mensch in seinem Lebensvollzug mehr oder weniger sich zentral setzt, und der Vorwurf des Anthropozentrismus gegen die gesamte moderne Kultur, seit 15, 20 Jahren immer wieder aus Ökologenkreisen erhoben, meint eben dies ‒ also eine im Grunde illegitime, letztlich gegen das Leben und gegen die Erde gerichtete Absolutsetzung der menschlichen Position, der menschlichen Gemeinschaft, der menschlichen Ichhaftigkeit. Darum geht es, also eine Kritik daran. Das haben ja die Feministinnen, Öko-Feministinnen dann in den letzten Jahrzehnten noch zugespitzt, in gewisser Weise diesem Gedanken dadurch auch eine andere Stoßrichtung gegeben, indem sie vom Androzentrismus gesprochen haben. Also diese angebliche Zentrierung auf den Menschen sei im Grunde genommen die Zentrierung auf den Mann, also Androzentrismus, der Mann, der weiße westliche Mann, der im Mittelpunkt der Geschichte stünde und der in gewisser Weise auch als Grund und Urbild von Geist betrachtet wird. Das hat sich etwas beruhigt in den letzten Jahren. Es gab mal eine heftige Diskussion darüber, 70er, 80er Jahre, in den 90er Jahren ist das eigentlich in gewisser Weise moderat verlaufen. Die schrillen, die heftigen Töne in der Richtung haben sich weitgehend erst einmal aufgelöst aus einer ganzen Reihe von Gründen. Das ist das eine Thema, also eher eine kritische Untersuchung. Was ist dieser Anthropozentrismus? Wie kann man den neu denken? [Wie] muss [man] ihn vielleicht auch neu denken?

Und die zweite Frage, die ja nicht damit identisch ist, wiewohl miteinander verzahnt, ist die Frage: Ist der Mensch, das menschliche Wesen, wie wir das kennen, also primär der Erdenmensch, an dem wir empirisch Kunde haben, von anderen Gestirnen können wir im Moment nichts sagen, also der empirische Erdenmensch, ist der in irgendeiner Form die Sinnmitte, wie ich das genannt habe, vielleicht sogar das Telos, das Ziel einer wie immer gearteten kosmischen Evolution, vielleicht gar gesamtkosmisch, aber auf jeden Fall in dieser kosmischen Zone oder Region. Also, zielt die Evolution auf den Menschen hin? Ist er in gewisser Weise angelegt in der Evolution, oder hat er sich durch den ominösen Zufall, wie immer, herausgebildet, herauskristallisiert: Er ist einfach da, staunt über sich selber und sinnt nun darüber nach, wie er in diese merkwürdige Welt hineingeraten ist.

Das sind ja die beiden Extrempositionen, die man vertreten kann. Man kann sagen, der Mensch ist einfach ein Zufallsprodukt, keiner weiß, wie es geschah, es ist oder muss offenbar geschehen sein. Er ist extrem unwahrscheinlich. Mathematiker haben sich das ja nicht nehmen lassen, das auch auszurechnen, wie extrem unwahrscheinlich der Mensch ist, wie extrem unwahrscheinlich überhaupt organisches Leben ist. Nicht, man hat ja Berechnungen angestellt, schon im 19. Jahrhundert, zum Teil ja kuriose und eher heitere Überlegungen, etwa dergestalt ‒ ich habe das in früheren Semestern auch schon mal erwähnt, ‒ dass man im 19. Jahrhundert gesagt hat, Huxley, der berühmte Biologe, war da führend: Wenn man einer Horde Affen für ein paar Millionen Jahre Schreibmaschinen zur Verfügung stellt, dann würden die irgendwann die Sonette Shakespeares, überhaupt das gesamte Werk Shakespeares in ihrer Maschine haben. Also, das hat immer viel Heiterkeit ausgelöst. Es gibt ähnliche Überlegungen, mit anderen Worten: Gib dem Zufall ein möglichst großes Wirkungsfeld, und irgendwann landest du bei einem intelligenten Menschen. Natürlich muss man unterstellen, diese Schreibmaschinen oder heute ihre Äquivalente, halten dementsprechend lange und die Affen auch. Also, auf jeden Fall eine letztlich ja monströse Fantasie, die man aber heranziehen kann, um einmal deutlich zu machen, was es bedeutet, wenn man mal ganz stringent vom Zufall ausgeht. Ich will dazu nachher noch einiges sagen, was [es] überhaupt mit dem merkwürdigen Begriff Zufall und seiner rätselhaften Karriere auf sich hat. Also, um diese Fragen soll es heute Abend gehen. Ich will das versuchen darzustellen.

Punkt eins ‒ Anthropozentrismus. Geschichtlich gesehen ist es ja so gewesen, dass der Mensch, die Menschheit, jetzt mal der kollektive Mensch, sich über ganz lange Zeiten hinweg empfunden hat als im Mittelpunkt eines kugelförmig gedachten Kosmos stehend ‒ Stichwort Geo-Zentrismus. Also eine Fixierung auf die kosmische Mitte, wobei man noch präzisierend sagen muss, dass der Mensch im geozentrischen Weltbild, in der Antike, aber auch bis in die frühe Neuzeit, nicht buchstäblich topographisch im Mittelpunkt stand, sondern buchstäblich topographisch im Mittelpunkt steht der Teufel, jedenfalls in der mittelalterlichen Kosmologie, siehe Dantes „Divina Commedia“: Der Mittelpunkt der Welt ist der Teufel. Der Mensch ist in einer mittleren Position zwischen dem Teufel im Mittelpunkt des gesamten Kosmos und der Fixstern-Sphäre ganz weit da draußen, aber letztlich berechenbar weit, und was dahinter kam, war ein nicht-Sagbares, ein anderer, ein göttlicher Raum, der ‚unbewegte Beweger‘, wie das Aristoteles sagte. Also, das hat dem Menschen erst einmal eine Mittelpunktposition per se verschafft. Also Geo-Zentrismus war in gewisser Weise bezogen auf den Menschen, Kosmozentrismus des Menschen. Der Mensch ist das Mittelpunktwesen in gewisser Weise des Kosmos, wie gesagt, nicht kosmisch-topographisch. Das ist das eine.

In der Nachfolge der kopernikanischen Revolution hat sich ja die Position des Menschen radikal verschoben, und die Frage wurde neu und anders gestellt: Wie ist denn der Mensch zu verstehen in diesem ungeheuer entgrenzten Kosmos? Wie sieht es denn da mit seiner möglichen Mittelpunktstellung, mit seiner zentralen Stellung überhaupt aus?

Anthropozentrismus meint eigentlich, so jedenfalls ist es in der Ökologiekritik immer wieder gesagt worden, also in der von der Ökologie vorgetragenen Kritik, Gattungsegoismus des Menschen, also Anthropozentrismus als Gattungsegoismus. Der Mensch setzt sich einzigartig, im Grunde in seiner innersten Essenz als vollkommen außerhalb der kosmischen natürlichen Zusammenhänge stehend. Er bestimmt seine eigentliche Würde, seine geistige Potenz nicht durch seinen Naturbezug, sondern er definiert ihn gerade gegen die Natur, häufig genug auch gegen den Kosmos, in diesem Sinne also a-kosmisch, manchmal sogar anti-kosmisch. Das kann man in der Geistesgeschichte ganz gut nachvollziehen. Das kann man in ersten Ansätzen, wenn man das so will, bei Sokrates feststellen, im Platonismus in Teilen, dann im Mittelalter, und in der Neuzeit ist das ein Element, das sich durch die Geschichte zieht: der Mensch als ein zentrales Wesen in dieser Schöpfung, letztlich als die Krone der Schöpfung, als das krönende letzte Stück, zugleich aber als etwas zutiefst Erlösungsfähiges und der Erlösungsbedürftiges.

Nun haben die Kritiker der Entwicklung, die dann zur ökologischen Krise geführt hat, mit einigem Recht immer wieder darauf verwiesen, dass ein wesentlicher Faktor des heraufziehenden ökologischen Desasters genau darin erst einmal besteht, dass sich der Mensch auf diese Weise abgekoppelt hat, dass er sich abgespalten hat von Natur, Erde und Kosmos. Das ist der erste Schritt. Man hat dagegen dann eine andere Position gesetzt, die verschieden genannt wurde. Manchmal hat man sie dann mit einem Begriff, der fragwürdig ist, aber den man nehmen kann, als Kosmozentrismus bezeichnet. Sie erinnern sich vielleicht, ich habe ihnen, glaube ich in der letzten Woche ja, aus dem neuesten Buch von Capra eine Stelle vorgelesen, wo er von der Ökologie, der herkömmlichen Ökologie und von der herrschenden Bewusstseinsverfassung überhaupt sagt, sie sei anthropozentrisch. Die Tiefen-Ökologie dagegen sagt er, in seiner Sichtweise, Tiefen-Ökologie, die ich ja eher kritisiere, wie sie wissen, die Tiefen-Ökologie dagegen, sie sieht weder den Menschen noch irgendetwas anderes von der natürlichen Umwelt getrennt. Das heißt dann in der modernen, von der Systemtheorie beeinflussten Sprache: Der Mensch ist ein Strang im großen Öko-Netzwerk. Das ist ja die These, die immer wieder aufs Neue vertreten wird.

Das hat zu einer ganzen Reihe von Gegenbewegungen geführt, zu harscher Kritik, unter anderem von Johannes Heinrichs in der „Öko-Logik“, das habe ich erwähnt und auch bei Ken Wilbers „Kurze Geschichte des Kosmos“. Ich selber habe in meinem Buch „Was die Erde will“ auch eine ganze Reihe von Argumenten dagegen vorgetragen; unter anderem das Argument, dass die Geistnatur des Menschen und seine, die Einheit und Ganzheit von Leib, Seele, Geist niemals aufgehen kann, restlos aufgehen kann, in ein wie immer geartetes Öko-Netzwerk, dass der Mensch als Mensch, als diese Leib-Geist-Seele-Einheit, immer jedes nur denkbare Ökosystem transzendiert oder übersteigt. Ich habe in „Was die Erde will“ eine Passage zitiert von Johannes Heinrichs, wo er sich ausspricht gegen die Frage des …, gegen die Gleichsetzung einer ökologischen Wende mit einer Kritik am Anthropozentrismus. Heinrichs vertritt folgende These, das will ich mal kurz vorlesen, ich habe das hier zitiert aus der „Öko-Logik“. Zitat Johannes Heinrichs:

„Wenn unter Kosmos und Natur der physikalisch-biologische Wirkzusammenhang im modernen, naturwissenschaftlich geprägten Verständnis, das heißt im Sinne eines zunehmend methodischen Materialismus, verstanden wird, dann lässt sich nur sagen:“ ‒ und das hebt er kursiv hervor in seinem Buch ‒ „Der Mensch ist nicht Teil eines derartigen rein materiellen Kosmos oder Universums,“ ‒ der Mensch ist nicht Teil eines derartigen rein materiellen Kosmos oder Universums ‒ „mag er als Körperwesen in einem solchen verwurzelt sein, sofern es ein rein materielles Universum geben sollte, diesem teilweise als Körper angehören. Als selbstbewusstes Zentrum ist der Mensch nicht dessen Teil noch Teil von irgendetwas sonst. Mit der simplen Teilvorstellung lässt sich ein tiefenökologisches im Sinne eines neuen kosmischen Bewusstseins nicht grundlegen. Diese Vorstellung taugt heute für populäre ökologische Predigten, wie man weiß.“ Der Mensch als Teil der Natur muss sich in die Natur einfügen, in das große Öko-Netzwerk, das ist ja Standard in fast allen ökologischen Predigten, wie hier Heinrich schreibt. „Doch sie ist zu einseitig für einen ernsthaften Paradigmawechsel. Wer den Menschen schlechthin zum Teil eines materiellen Universums macht, hat das Spezifische von ihm nicht begriffen als Ich- oder Selbstbewusstsein. Ein wunderliches Faktum, worüber man nicht genug nachdenken kann: Ist der Mensch wohl Glied und Mitglied eines geistig-seelischen Universums, aber, oder modo omnia, wie es in der aristotelischen Tradition heißt, in gewisser Weise Alles, das Ganze. Das ist aber etwas ganz anderes als ein quantitatives Teil sein.“

Das heißt, natürlich ist der Mensch als physisches Wesen, das er auch ist, Teil der physisch-sinnlichen Natur. Natürlich ist der Mensch als Bios-Wesen, das er ja auch ist, Teil der biologischen Natur. Das ist gar keine Frage. Aber der Mensch in seiner Ganzheit und Einheit, als die rätselhafte Einheit von Leib, Seele, Geist ist immer mehr. Ich habe Geist verschiedentlich hier definiert als für die gesamte Natur, für den Kosmos konstituierend. Ich will das nicht noch mal hier ausführen. Ich habe das ja auch verschiedentlich gesagt, dass ich glaube, dass eine wie immer geartete Naturerkenntnis nur dann möglich ist, wenn man davon ausgeht, dass so etwas wie objektiver Geist, um diesen Begriff von Hegel mal zu nehmen, in der Natur tatsächlich vorhanden ist. Ganz zu schweigen davon, dass der Mensch natürlich die Möglichkeit hat, in einem ja auch erschreckenden Maße, sich innere Räume zu erschließen, innere Räume, die nie und nimmer mit dem physisch-sinnlichen Raum, mit den Anschauungsraum zur Deckung zu bringen sind, also in gewisser Weise vor allen Cyberspace-Welten der Gegenwart hat er immer schon, soweit wir das zurückverfolgen können, die Möglichkeit und die Fähigkeit besessen, innere Räume auszumessen, in inneren Räumen überhaupt zu sein, in gewisser Weise in Innensphären zu sein. Ich lese gerade, deswegen ist das vielleicht ganz aktuell, das neue Buch von Sloterdijk „Sphären I – Blasen“, ein bravouröser Ritt durch die Geistesgeschichte, drei Bände, erster Band hat schon 600 Seiten. Der erste Band ist erst erschienen: „Blasen“, wo er auf eine faszinierende Weise zeigt noch mal, dass der Mensch …, dass es zum Konstituenz des Menschen gehört, in Sphären zu sein, sphairos ist ja die Kugel, also dass der Mensch immer in unsichtbaren oder sichtbaren Sphären denkt und fühlt, dass er innere Sphärenräume sich erschließt, auch in sozialen Gemeinschaften, also angefangen von der Intrauterin-Gemeinschaft von Fötus und Mutter bis hin zu sozialen Gemeinschaften und dann auch kosmologische Vorstellungen, die sich daran anschließen können. Also die Frage: Der Mensch ist ein sphärenbildendes Wesen, nicht, das ist ja fast eine Definition des Menschen und diese Sphären, die inneren Sphären, die Innenräume, gehen eben nicht auf in den äußeren Räumen. Das ist ein ganz wesentlicher, entscheidender Punkt.

In seinem Buch „A Brief History of Everything“, (Eine kurze Geschichte des Kosmos), hat sich auch Ken Wilber sehr scharf zu dieser Frage des Teilseins des Menschen geäußert. Auch er vertritt, wenn auch mit anderer Akzentsetzung, eine These, die ich dann in gewisser Weise pointiert habe, indem ich gesagt habe oder sage – das ruft immer gleich Widerspruch oder Kopfschütteln hervor, wenn man das zunächst hört: Der Mensch ist gar nicht Teil der Natur, sondern die Natur ist Teil des Menschen.

In diesem zaghaft angedeuteten Sinne kann man das erst einmal so stehen lassen. Hier hängt natürlich alles von der Frage ab, denken Sie an die Diskussionen in der letzten Vorlesung …, nach der letzten Vorlesung, … alles von der Frage ab, was wir unter der Natur verstehen. Wenn wir unter Natur von vornherein Kosmos im umfassenden Sinne des Wortes verstehen, als ein Kosmos, der eben materiell, energetisch und seelisch und auch geistig ist, dann ist es richtig. Auf der anderen Seite muss man dann genau sagen, wenn man das nicht meint, was meint man dann? Und meistens wird ja heute das Wort Kosmos, genauso wie das [Wort] Universum, mehr oder weniger unscharf verwendet. Man meint eigentlich mehr oder weniger den physisch-sinnlichen oder auch energetisch verfeinerten Kosmos. Ken Wilber schreibt in diesem Buch – liegt hier vorne aus – „Eine kurze Geschichte des Kosmos“, „A Brief History of Everything“, das ist ein Buch, was in Dialogform zentrale Gedanken seines Hauptwerkes „Sex, Ecology, Spirituality“ darstellt, „Eros, Kosmos, Logos“ auf deutsch.

Frage: Die Tiefenökologen machen viel Aufhebens von diesem tieferen Selbst, diesem öko-noetischen Selbst. Das habe ich schon angedeutet, das will ich noch kurz sagen, damit es verständlich wird. Es gibt in der Tiefen-Ökologie die Vorstellung eines tieferen Selbst, also das separate Ich im Sinne der christlich-rationalen Tradition ist das Eine. Das wird als Fehlentwicklung bezeichnet. Daneben steht ein eco-noetic self, ein öko-noetisches Selbst oder einfach ein ökologisches Selbst, das sich als verbunden fühlt, in gewisser Weise als eins fühlt mit allem Lebendigen. Das kann man dann natürlich auch spirituell interpretieren, etwa im Sinne buddhistischer Überzeugung von der Einheit aller fühlenden Lebewesen, also im Sinne des Bodhisattva-Gelübdes des Mahayana-Buddhismus, was auch geschieht. Manche dieser Tiefen-Ökologen verstehen sich auch als Buddhisten, etwa Joanna Macy, berühmtes Beispiel dafür in Amerika. Also, die Tiefen-Ökologen machen viel Aufhebens von diesem tieferen Selbst, diesem öko-noetischen Selbst. Wilber: „Ja, und was dies betrifft, bin ich sogar ein großer Fan ihrer Arbeit. Sie haben eine wichtige Botschaft für die moderne Welt. Man muss dieses tiefe Selbst auffinden, das die ganze Natur umschließt und aus diesem Verständnis heraus die ganze Natur mit derselben Achtung behandeln, die man auch sich selbst zugutekommen lässt.“ Da stimmt er zu. „Allerdings machen sie nach meiner Meinung einen Fehler, der sie in größte Schwierigkeiten bringt. „Diese Theoretiker reduzieren den Kosmos“, in einem ganz umfassenden Sinne, „auf eine monologische Landkarte des Gesellschaftssystems, das sie meist Gaia nennen, eine Flachland-Landkarte, die die sechs oder sieben tiefgreifenden inneren Transformationen außer Acht lässt, durch die sie überhaupt erst zur Idee eines globalen Systems kommen konnten.“ Das kann ich hier mal so stehen lassen. Das würde eine nähere Darstellung erfordern, die ich hier nicht bringen möchte. „Dies hat zur Folge, dass diese ansonsten wahre und noble Intuition des öko-noetischen Selbst zu einem ,Wir-sind-alle-Stränge-im-großen-Gewebe‘ verflacht. Aber das ist ja gerade nicht die Erfahrung des öko-noetischen Selbst. In der naturmystischen Erfahrung ist man nicht ein Strang im Gewebe, man ist das ganze Gewebe. Man tut etwas, was ein Strang niemals tun kann, man entrinnt seinem Strangsein, transzendiert es und wird eins mit der ganzen Darbietung.“ Ich habe den polemischen Satz mal aufgeschrieben: Die Frösche verstehen die Systemtheorie nicht. Also, ein Lebewesen von der Bewusstseinsstufe eines Frosches, zu schweigen von einer Ameise oder einer Schildkröte, versteht die sehr komplexe Systemtheorie nicht.

Nun sagen die Systemtheoretiker, es versteht sie nicht intellektuell, weil einfach kein rational-ichhaftes Bewusstsein vorliegt, aber es lebt das, es lebt es, es ist also die Inkarnation dieser Zusammenhänge. Das ist richtig und falsch zugleich, weil man bei all diesen Vorstellungen immer sehr genau hinschauen muss.: Was meint man wirklich? Meint man einen ökologischen Zusammenhang? Meint man ein Öko-Netzwerk, was letztlich noch immer jenseits von Ich und Geist und Selbstheit sich befindet? Oder was meint man? Das geht häufig in den Darstellungen heillos durcheinander, und es ist nicht nur eine, sagen wir mal, intellektuelle Frage, eine Frage der Begriffsgeschichte oder der mehr oder weniger intelligenten Auseinandersetzung der Begriffe, dann wäre das relativ uninteressant. Nein, es ist eine existenzielle Frage, im Tiefsten auch eine soziale, ja sogar eine politische Frage. Was meine ich überhaupt, wenn ich davon rede, dass der Mensch in diesem Sinne Teil oder Strang dieses großen Öko-Netzwerks ist? Also ein ganz entscheidender Punkt.

Ich meine, dass ein gewisser Anthropozentrismus, jetzt einmal auf eine andere Stufe gehoben, für ein menschliches Bewusstsein vollkommen unvermeidbar ist. Bis zu einem gewissen Grade kann der Mensch gar nicht anders als anthropozentrisch denken, weil er als ein fokussiertes Ich-Bewusstsein, jeder Einzelne erst einmal, von diesem fokussierten Ich-Bewusstsein überhaupt Welt, Kosmos und Universum versteht. Das ist erst einmal unsere Erfahrung von Bewusstsein. Man mag das kritisieren oder man mag das für einseitig halten, man mag das auch für eine Fehlentwicklung halten, aber es ist einfach die Tatsache. Es ist so. Das was den Menschen ja entscheidend auszeichnet, nicht nur, aber doch ganz wesentlich, ist ja die Ich-Haftigkeit, und diese Herausbildung einer wirklich fokussierten Ich-Haftigkeit ist so in der Form im Tierreich nicht zu beobachten. Natürlich gibt es Vorformen, das ist ja ein Feld weiter Forschungen. Wo setzen Vorformen des Ich ein? Wann empfindet ein Tier es als sich selber: Wenn es sich im Spiegel erkennt? Das tun nur ganz wenige Tiere, wie man weiß und so weiter. Eine schwierige Frage. Letztlich ist sie ungeklärt. Aber was den Menschen zunächst einmal auszeichnet, ist ein fokussiertes Ich-Bewusstsein und bis zu einem gewissen Grade muss er anthropozentrisch denken. Und ich habe ja Ihnen das letzte Mal schon die Frage gestellt: Wenn man vom Wert der Natur redet, was meint man? Meint man einen Wert an und für sich oder meint man einen vom Menschen zugesprochenen Wert? Also auch Fragen, die politisch wichtig sind. Also eine ungeheuer zentrale und schwierige Frage, die man aber nicht blauäugig und naiv und schon gar nicht monologisch angehen kann.

Also ganz klar: Der Mensch als diese Ganzheit – von Leib, Seele, Geist – kann und wird niemals in dieser Art Öko-Netzwerk aufgehen. Dieses Öko-Paradies in der Form kann nicht funktionieren, weil es vorbeigeht an dem Wesen des Menschen überhaupt. Das heißt nicht, dass damit das Wort geredet wäre einer hemmungslosen Expansion der mentalen Ich-Haftigkeit. Oder wie das letzte Mal in der Diskussion auch herauskam, dass jemand glaubte, der ja heute nicht da ist, meinte, dass das Transmentale, von dem ich gesprochen habe, eine weitere Drehung der Katastrophe bedeuten würde. Nicht, das Transmentale als die Übersteigerung des Mentalen, womit ja die Katastrophe noch potenziert würde, das ist ja nicht gemeint. Das Transmentale im Sinne der seit 25, 30 Jahren existierenden Transpersonalen Psychologie meint ja eine neue und andere Stufe, die auf eine neue Weise das Ganze umfasst, die auf eine neue Weise holistisch ist und die damit die Einseitigkeiten und Paradoxien und auch die Fehler, Irrtümer der mentalen Stufe überschreiten kann. Nicht, also das ist letztlich gemeint, das muss man noch einmal verdeutlichen, dass man nicht dem Irrtum erliegt, hier ginge es um eine sozusagen äußerste, noch weiter getriebene Herausdestillierung des Mentalen, was ohnehin schon heißläuft. Nicht, der mentale Geist läuft ja heiß und ist ja kaum noch auf der Erde verankert. Nicht, Kritiker, ich habe das auch seit Jahren gesagt, sagen ja häufig: Der Mensch ist eigentlich schon gar nicht mehr Bewohner dieser Erde. Er sitzt im Orbit. Also der Geist sitzt in irgendeiner Form bereits längst im Orbit, und die Aussiedlungsphantasien in diese Richtung zeigen das auch ganz deutlich.

Also, die Frage des Anthropozentrismus muss auch tiefenökologisch und bewusstseinsgeschichtlich noch mal ganz neu angegangen werden. Man muss wirklich in der Tiefe ein Verständnis entwickeln, was der Mensch ist und was ihn von den anderen Lebewesen unterscheidet. Wenn man das nicht tut, dann wird das ewig und unvermeidlich in die Irre führen. So ist es auch. Das ist einer der Gründe, soweit würde ich gehen, einer der Gründe, nicht der ganze Grund, nicht alles, einer der Gründe, warum sich so wenig tut, trotz der endlosen Diskussion über ökologische Fragen, weil man entscheidende Punkte nicht verstanden hat. Ist ja wirklich eine Frage, 30 Jahre Ökologiebewegung, 30 Jahre Ökologiediskussion mit so erbärmlichen Resultaten. Wie kommt das? Sind das nur politisch-soziale, militärische Machtfaktoren, die dagegen sprechen? Oder sind das vielleicht tiefergehende Einsichten, die ganz einfach fehlen, die jedenfalls überhaupt keine Mehrheiten haben? Nicht, ganz zu schweigen von der nun flachsten und oberflächlichsten Schicht, die ja gleichwohl unverzichtbar ist, eben des Umweltschutzes. Nicht, die oberflächlichste aller Schichten ist ja der sogenannte Umweltschutz, also ein eher aktionistisches, auf der mentalen Ebene Weiterfunktionieren, die Sandsäcke an den Stellen, wo der Damm bricht, wie das Bahro immer wieder gesagt hat. Sonst ändert sich nichts. Was ja auch richtig ist. Es müssen immer wieder Sandsäcke geworfen werden, wie man weiß. Aber man muss einfach begreifen, dass in der Tiefe ganz andere Prozesse am Wirken sind. Und diese Prozesse muss man verstehen, zu verstehen versuchen, und das hat auch mit Denken zu tun. Insofern glaube ich allen Ernstes, auch wenn es viele einfach für blauäugig oder naiv halten, dass Denken wichtig ist, dass Denken eine Chance hat, dass es wichtig ist, in solchen Fragen wirklich genau zu sein, konkret zu denken und nicht in einem schlechten Sinne sich abzukoppeln.

Nun hängt das ganz eng natürlich mit der Frage zusammen: Was ist denn der Mensch überhaupt in dieser kosmischen Evolution? Nun kann man natürlich sagen: Die Frage ist nicht entscheidbar. Sie ist es sicherlich nicht von einer rein naturwissenschaftlich-reduktionistischen Sicht, da ist die Frage allein eine Frage, die delegiert wird, wie sie ja wissen, an, sagen wir mal die philosophische Fraktion, um nicht zu sagen eine religiöse Fraktion, also wir als Wissenschaftler beschränken uns auf die Phänomene und ihre Ordnung. Die Frage, was der Mensch nun wirklich sein könnte im Gesamtzusammenhang der Natur, der Erde, des Kosmos, ist eine Frage, die ist wissenschaftlich nicht entscheidbar. Bis zu einem gewissen Grad ist es richtig: Die Frage ist wissenschaftlich letztlich jedenfalls mit den herkömmlichen Instrumentarien nicht zu klären. Man kann nur feststellen, und das lässt sich feststellen: Es gibt eine Tendenz in der organisch-biologischen Evolution, die in irgendeiner Form auf Bewusstsein auch zielt, auf ein Wesen hin, was sich dann verstehen kann als Seele-Geist-Natur-Einheit. Das ist nicht wissenschaftlich letztgültig belegbar, das muss man einfach wissen bei einer solchen Frage. Man begibt sich da auf ein schwieriges Feld und macht sich natürlich sofort viele zu Feinden, die da auch eine Art Denkverbot aussprechen. Wenn man von der Evolution redet, dann muss man einen Moment auch in Erinnerung rufen: Was meint man überhaupt? Auch das ist im allgemeinen Bewusstsein ziemlich verwaschen. Meistens wird unter Evolution ganz allgemein Entwicklung in einem nicht näher definierten Sinne verstanden. Darwin hat den Begriff, nebenbei gesagt, überhaupt nicht verwendet. Er stammt von seinem Zeitgenossen Herbert Spencer. Der hat den Begriff „evolution“ verwendet, Darwin sprach gar nicht von Evolution. Also Evolution ist eine Entwicklung im ganz allgemeinen Sinne, wie revolutio, auch das ist ein interessantes Wort, was Kreisbewegung, Umwälzung heißt. „De Revolutionibus, orbium, coelestium“, so heißt das kopernikanische Hauptwerk, heißt ja: Die Umdrehungen, die Umwälzungen der Himmelskreise. Also, Revolution ist die Umdrehung und Evolution ist die Entwicklung. Dann gibt es die Involution, die auch eine Entwicklung ist, bloß entgegengesetzt der Evolution. Das eine ist eher der Aufstieg, und das andere ist eher der Abstieg.

Nun hat das die naturwissenschaftliche Entwicklung immer stark beschäftigt, warum denn die Evolution offensichtlich einen Zeitpfeil aufweist, der ganz eindeutig erst einmal nach oben geht. Aber man kann ja sagen, dass die organisch-biologische Evolution, die auf den Menschen zielt, eine Aufwärtsentwicklung ist, inwiefern zunehmend komplexere Organisationen des organischen Stoffes bis hin zum Menschen, mit dem eigenartigerweise die Evolution, wie es scheint, erstmal zum Stillstand gekommen ist; jedenfalls biologisch gesehen, kann man sagen: da tut sich nichts mehr. Es gibt natürlich genügend Überlegungen, die darauf abzielen, dass es oberhalb des Menschen noch andere Stufen geben könnte. Denken sie nur an die ja auch politisch fatale Diskussion um die Frage eines möglichen „Übermenschen“. Das hat ja nicht Nietzsche erfunden. Der Begriff ist alt und taucht schon bei Goethe auf, im „Faust“, also einer neuen und anderen Stufe.

Das ist also, der eine Zeitpfeil geht nach oben, der Zeitpfeil der organisch-biologischen Evolution, die irgendwann auch den Menschen hervorgebracht hat. Merkwürdiger Widerspruch, dass die andere …, der andere Zeitpfeil, Stichwort Entropie, nach unten geht. Nicht, das ist ja etwas, was endlose Diskussionen ausgelöst hat im frühen 20. Jahrhundert bis in die 60er, 70er Jahre hinein. Ja, in gewisser Weise noch heute. Wie kommt es denn, dass auf der einen Seite Systeme, um den Begriff mal zu verwenden, eindeutig in Richtung Entropie laufen. Nicht, wenn sie eine Kaffeekanne mit heißer Flüssigkeit füllen und machen nichts, wird irgendwann ein Ausgleich passieren, nicht, irgendwann. Die Flüssigkeit kühlt sich ab, die Kaffeekanne wird wärmer und so weiter, ein Teil der Wärme wird an die Luft abgegeben und so weiter. Es entsteht eine Art equilibrium, also ein gleichmäßiger Zustand, der in gewisser Weise auch der Zustand allergrößter Unordnung ist.

Also, der eine Pfeil hat das Telos, sagen wir mal plakativ, Ordnung – der andere Unordnung, Entropie. Hier hat man, wie man weiß, siehe Ilya Prigogine, der dafür den Nobelpreis bekommen hat, verschiedene Modelle sich ausgedacht, wie das dann doch miteinander zu verbinden ist, dass man eben gesagt hat: Es gibt zwar die Gesamttendenz Richtung Entropie, das Ganze geht Richtung Unordnung, aber es gibt in bestimmten kritischen Punkten, wo ein extremes Ungleichgewicht herrscht, einen Sprung, ein qualitatives Umschlagen in eine höhere Stufe. Nicht, das hat ja Ilya Prigogine, ich glaube Ende der 70er Jahre dann auch mathematisch, physikalisch, chemisch dargestellt, hat ihm auch viel Kritik eingetragen von verschiedener Seite, und er hat dann den Versuch gemacht zu zeigen, hier gibt es …, Ordnung entsteht aus Unordnung. Stichwort, das entsteht aus dem, ein qualitativer Sprung, was eben noch chaotisch zu sein scheint, zeigt plötzlich eine Ordnung.

Sie wissen, dass die lange Jahre ja sehr modische Chaostheorie genau diesen Gedanken aufgegriffen hat, nicht. Was wir für Chaos halten, ist im Grunde genommen in Ordnung. Das hat sich beruhigt. In den letzten Jahren war es aber eine richtige Modeentwicklung bis in unzählige populäre Fernsehsendung hinein: Chaostheorie. Die meisten wussten gar nicht, was gemeint war. Genau, im Grunde ging es um eine neue Form von Ordnungsvorstellungen, also [dass] aus der Unordnung, aus dem Chaos, in gewisser Weise eine höhere Ordnung [entsteht]. Also, da ist ein Spannungsverhältnis, das auch durch Ilya Prigogine in keiner Weise gelöst worden ist, wie Kritiker immer wieder gesagt haben. Das bleibt ein Rätsel, wieso bestimmte, unter anderem chemische Prozesse, Richtung Unordnung laufen, auch was biologische Organismen betrifft, die[se] Richtung organischen Tod, andere aber eine zunehmende Komplexität und Organisation zeigen, eine höhere Ordnung.

Und jetzt, um das noch zu verkomplizieren, das ist quasi die Pointe des Ganzen – die Physik von Galilei bis zur Quantentheorie und Relativitätstheorie kennt noch einen dritten Zeitachsenpfeil, könnte man so sagen. Das ist die Zeit als eine im Prinzip reversible Größe, nicht. Es kann Ihnen jeder Physiker bestätigen, sämtliche Gleichungen der klassischen Physik, aber auch der Quantentheorie und der Relativitätstheorie sind zeitumkehr-invariant. Das heißt, sie können alle Gleichungen auch in umgekehrter Richtung formulieren. Das heißt, „t“ und „minus t“ sind austauschbar. Die Zeit hat überhaupt keine Richtung. Wer zum ersten Mal davon hört, ist verblüfft, aber es ist ein in den Gleichungen vollkommendes zweifelsfrei nachweisbares Moment. Der dritte Punkt, der Faktor t in der physikalischen Gleichung hat überhaupt keine Richtung. Oder er ist frei verschiebbar, plus t und minus t können ausgetauscht werden, auch in den Maxwellschen Gleichungen ist es der Fall. Es ist im Grunde genommen austauschbar. So hat man eine im Grunde verwirrende Situation erst einmal, rein naturwissenschaftlich-reduktionistisch.

Man hat eine dreifache Form von Zeitvorstellung, die man nicht miteinander zusammenbringen kann. Das ist ein totaler Widerspruch. Wenn nämlich der ganze Kosmos, es gibt ja drei Möglichkeiten, man kann sagen, der Kosmos funktioniert eigentlich auf dieser Ebene, könnte man sagen. Dann müsste man sagen, Zeit existiert überhaupt nicht. Was wir als Evolution wahrnehmen, ist nur eine letztlich vollkommen unwichtige Kräuselung entlang eines ganz anders gearteten Geschehens. Auch dieser Zeitpfeil ist hier nicht integrierbar. Man hat also drei vollkommen verschiedene Vorstellungen von Zeit. Wie ist das mit der organisch-lebendigen Existenz, die ja doch ganz eindeutig mit diesem obersten Zeitpfeil zusammenhängt, ohne dass deswegen das organisch-sinnliche Leben vollkommen abgekoppelt worden wäre von den anderen Faktoren. Bis zum heutigen Tage, soweit ich weiß, ist das erst einmal ungelöst, und es ist wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, und nicht zu schnell hineinspringt, in eine Lösung, die dann sich auch weitergehender Kritik unterziehen muss. Also, es ist ein schwieriges Feld, wo man sich hier bewegt.

Wir fragen ja nach der Evolution, die ja hierhin gehört, diese Art von Evolution. Man kann, wenn man die organisch-biologische Evolution verallgemeinert und zum Grundprinzip erklärt, was ja möglich ist, es ist ja eine mögliche Verallgemeinerung, ja sagen: Letztlich ist dieser Faktor der Hauptfaktor, kann man sagen, das ist der Hauptfaktor. Unbezweifelbar gibt es auch die beiden anderen Faktoren, etwa hier in der anorganischen Materie und hier in bestimmten Überlegungen der Chemie. Aber das ist letztlich das, worauf es ankommt. Das ist eine mögliche These oder Hypothese, der ich auch zuneige, mal vorsichtig gesagt. Und wenn man das weiterdenkt, dann kommt man zu der Überlegung, dass die menschliche Existenz auf keinen Fall einfach ein Würfelspiel, eine Laune dieser Entwicklung gewesen sein kann. Wenn man sich einmal diese Hypothese zu eigen macht, dieser Zeitpfeil ist letztlich, der uns hervorgebracht hat, ist ja zweifellos richtig, ist ja nicht zu leugnen. Er ist auch der primär wichtige und gültige. [Gemeint ist offenbar der Zeitpfeil der organisch-biologischen Evolution, also einer Aufwärtsentwicklung.] Dann hat das weitreichende Konsequenzen für unser eigenes Verständnis dieser unserer Position in der Evolution.

Das ist lange übrigens vor Darwin, Jahrzehnte vor Darwins Hauptwerk 1859, auch in ähnlicher Form immer wieder gedacht worden. Auch das muss man einfach mal [als] geistes- und kulturgeschichtlichen Moment in Erinnerung rufen, weil das im allgemeinen Bewusstsein ganz anders aussieht. Das allgemeine Bewusstsein sieht so aus: Darwin hat die Evolutionstheorie begründet, entwickelt, es gab religiöse Widerstände dagegen, wie man weiß, aber letztlich plausibel gemacht. Bis heute gibt es immer noch scharfe Kritik am Neo-Darwinismus und auch eine ganze Reihe Gegenargumente. Das stimmt nicht. – Die Auffassung einer organischen Evolution im kosmischen Maßstab ist Jahrzehnte vor Darwin verbreitet gewesen, war intellektuelles Allgemeingut. Spätestens seit der Naturphilosophie Schellings und dann in seiner Nachfolge auch bei Hegel und anderen taucht der Gedanke auf, dass es tatsächlich eine kosmische Evolution im Sinne dieses oberen Zeitpfeils geben müsste, auch wenn das nicht so genannt worden ist. Nur mal ein Beispiel. Ich zitiere es mal aus meiner Schelling-Monografie, von Schelling, der schon vor 200 Jahren vollkommen eindeutig die Vorstellung einer Evolution im Sinne dieses obersten Zeitpfeils aufgestellt hat, übrigens vor Hegel, obwohl er fünf Jahre jünger war als Hegel, war er doch lange Zeit dessen Ideengeber. Merkwürdig genug. Hegel hat sich erst eine ganze Zeit später dann von diesen Schellingschen Ideen emanzipiert.

Dafür mal einige Beispiele. Schelling schreibt in den „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ 1797: „Philosophie ist also nichts anderes als eine Naturgeschichte unseres Geistes.“ Damit wird der Geist zum ersten Mal übrigens in der abendländischen Geistesgeschichte evolutionär gedacht oder evolutiv. „Philosophie ist also nichts anderes als eine Naturgeschichte unseres Geistes. Von nun an ist aller Dogmatismus von Grund auf umgekehrt. Wir betrachten das System unserer Vorstellungen nicht in seinem Sein, sondern in seinem Werden. Die Philosophie wird genetisch.“ Berühmter Satz: „Die Philosophie wird genetisch.“ Das heißt, sie lässt die ganze notwendige Reihe unserer Vorstellungen vor unseren Augen gleichsam entstehen und ablaufen. Von nun an ist zwischen Erfahrung und Spekulation keine Trennung mehr. Das System der Natur ist zugleich das System unseres Geistes. Und jetzt erst, nachdem die große Synthesis vollendet ist, kehrt unser Wissen zur Analysis, zum Forschen und Versuchen zurück. Solange ich selbst mit der Natur identisch bin, verstehe ich, was eine lebendige Natur ist, so gut, als ich mein eigenes Leben verstehe, begreife, wie dieses allgemeine Leben der Natur in mannigfaltigsten Formen, in stufenmäßigen Entwicklungen, in allmählichen Annäherungen zur Freiheit sich offenbart. Sobald ich aber mich und mit mir alles Ideale von der Natur trenne, also allen Geist, bleibt mir nichts übrig als ein totes Objekt, und ich höre auf zu begreifen, wie ein Leben außer mir möglich ist.

Also, viele andere Aussagen von Schelling gehen in die gleiche Richtung. Man kann mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass Schelling als erster den Evolutionsgedanken in klarster philosophischer Form formuliert hat, also diesen hier oben [auf der Tafel] gesetzten Zeitpfeil, dann in seiner Nachfolge auch Hegel. Das ist ein wichtiger Punkt. Der Evolutionsgedanke war im geistigen Klima des frühen 19. Jahrhunderts verbreitet, Darwin hat ihn nicht erfunden. Was Darwin gemacht hat und was ihn berühmt gemacht hat, ist etwas ganz anderes.(…) Ein Gedanke, der sich aber nicht durchgesetzt hat. Durchgesetzt hat sich erst einmal die darwinistische Überzeugung das Ganze ist mehr oder weniger ein Geschehen, was quasi immanent selbstlaufend mechanistisch entsteht, Anpassung der Organismen an ihre Umwelt und so weiter.

Nun hat es gerade in den letzten Jahren, und das ist interessant, harsche Kritik gegeben am Neo-Darwinismus. Wenn Sie ein bisschen die geistige Situation verfolgen, dann müsste Ihnen das aufgefallen sein, dass der Neo-Darwinismus an allen Ecken und Enden ganz scharf kritisiert wird. Übrigens auch von der Systemtheorie, nicht. Auch in den systemtheoretischen Schriften werden ganz andere Modelle vorgestellt, wie man Evolution auch denken kann, und der Darwinismus gerät also wirklich in eine sehr schwierige Position hinein, und man kann voraussagen, dass das sich in den nächsten Jahren noch steigern wird. Man begreift zunehmend mehr, dass der Darwinismus in vielerlei Hinsicht ganz dem Denken auch des 19. Jahrhunderts verhaftet war. Man hat das dann im 20. Jahrhundert im sogenannten Neo-Darwinismus ja mit der Gen-Lehre in Verbindung gebracht. Darwin wusste nichts davon, das ist vor seiner Zeit …, also, nach seiner Zeit entstanden. Also im sogenannten Neo-Darwinismus bringt man ja die Vorstellung der Mutation, der zufälligen Gen-Mutation ins Spiel. Auch hier der zentrale Begriff des Zufalls, der Mutation. Ich werde dazu noch einiges sagen.

Also, zunächst einmal vor der Pause noch einmal auf den Punkt gebracht. Der Ansatz der Evolution, der Grundgedanke der Evolution ist lange vor Darwin formuliert worden, war Allgemeingut unter geistigen Menschen in Europa. Darwin hat einen Mechanismus gefunden, er glaubte ihn gefunden zu haben, der letztlich das Telos, der das Ziel verneint und damit auch in gewisser Weise den Geist aus dem Prozess herausnimmt. Nicht, höhere Intelligenzen, allein nur der Hinweis, dass möglicherweise höhere Intelligenz diese Entwicklung gesteuert haben könnten, ist extrem unwissenschaftlich, gilt als eine metaphysische Spekulation, die ein ernstzunehmender Wissenschaftler gar nicht zu ventilieren braucht.

Gut, machen wir erst mal eine kleine Pause wie immer 10 [Minuten].

Ich nenne mal nur drei Beispiele. Es gibt ein sehr interessantes Buch, was ich nicht auf der Literaturliste jetzt habe, aber in früheren Jahren manchmal herangezogen habe von dem Systemtheoretiker und Evolutionsforscher Ervin László, Mitbegründer des Club of Rome, seinerzeit Vorsitzender des Club of Budapest, der die sogenannte Evolutionäre Systemtheorie begründet hat, der in seinem Buch „Kosmische Kreativität“, im Insel-Verlag 1993 erschienen, „Kosmische Kreativität“, Ervin László, eine sehr fundierte und intelligente Kritik auch der neodarwinistischen Position geliefert hat. Jetzt vom Blickwinkel der Systemtheorie aus, Ervin László. Wen das interessiert, könnte dann sich auch die Literatur selber besorgen.

Ervin László, Mitbegründer des Club of Rome, ursprünglich Konzertpianist als junger Mensch und dann später Systemtheoretiker, [hat] über 50 Bücher geschrieben und eins seiner interessantesten hat eben den Titel „Kosmische Kreativität“. Und im Herbst erscheint ein neues Buch von ihm, das heißt „Das fünfte Feld“, hat sich auch in der Feldtheorie mit solchen Fragen sehr beschäftigt, wie ich das auch getan habe.

Eine zweite Kritik findet sich in den Schriften von Varela, Francesco Varela und Umberto Maturana, zwei chilenischen Neurophysiologen und Erkenntnistheoretikern, unter anderem in dem Buch „Der Baum der Erkenntnis“.

Auch der von mir erwähnte Ken Wilber äußert sich in mehreren Stellen zu neodarwinistischen Überlegungen. Ich gebe mal ein Beispiel aus diesem Buch hier, „Eine kurze Geschichte des Kosmos“, wo er eines der am meisten gebrachten Argumente gegen die neodarwinistische Mutationsthese vorbringt. Ich lese diese Stelle mal vor, sie können die ausführliche Argumentation ja dann selber nachlesen. Er geht aus, das muss ich vorab sagen, von einer Grundvorstellung der kosmischen Evolution, die sich verbindet mit dem Begriff „Holon“. Holon ist ein Wort, eine Wortprägung des Schriftstellers Arthur Koestler. Arthur Koestler, der hat den Begriff „Holon“ geprägt und meint ungefähr Folgendes, meint ein Grundelement der Wirklichkeit, was immer gleichzeitig Teil und ein Ganzes ist, ist also das Teil und das Ganze. Alle Phänomene, alle Dinge, alle Lebewesen sind immer zugleich Teil eines größeren Holons und ihrerseits wiederum ganzheitliche Elemente kleinerer Holons und so weiter. Und das Ganze folgt einem evolutionären inneren Drang. Jedes Holon besitzt Agens und Kommunion, so ist das hier im Deutschen übersetzt: agents and communion. Damit meint er: Es gibt also einen doppelten … , es gibt also das Moment der Verbindung, das ist unglücklich hier übersetzt im Deutschen, das englische „communion“ als Kommunion, wobei man ja tatsächlich immer an etwas anderes denkt, was nun wirklich nicht gemeint ist. Ken Wilber: „Also, wenn ein Holon seine Agens und seine Kommunion nicht mehr aufrecht erhält, dann kann es vollständig zusammenbrechen und wenn es zusammenbricht, zerfällt es in seine Sub-Holons. Beispiel: Zellen zerfallen zu Molekülen, die zu Atomen auseinanderfallen, die wiederum unter der Einwirkung starker Kräfte unendlich weiter zerkleinert werden können. Das Faszinierende am Holon-Zerfall ist, dass sie dazu neigen, sich in umgekehrter Richtung aufzulösen, wie sie entstanden. Dieser Auflösungsprozess ist Selbstauflösung oder einfach Zerfall in Sub-Holons, die selbst wiederum in Sub-Holons zerfallen können und so weiter.

Aber betrachten wir denn jetzt den faszinierenden umgekehrten Prozess. Den Aufbau-Prozess, durch den neue Holons entstehen oder emergieren. Wie könnten sich jemals träge Moleküle zu lebenden Zellen zusammenfinden? Die glatte neodarwinistische Standarderklärung glaubt ja nun wirklich niemand mehr. Zweifellos operiert die Evolution teilweise auf dem Wege der darwinistischen natürlichen Auslese, aber dieser Prozess selektiert nur Transformationen, die bislang mittels noch völlig ungeklärter Mechanismen schon zuvor eingetreten sind. Frage: Können sie ein Beispiel geben? Ken Wilber: Nehmen wir die Standardauffassung, dass sich Flügel einfach aus Vorderbeinen entwickelt haben“. Nicht, bekannte These. Es steht in vielen Biologiebüchern, „dass sich Flügel einfach aus Vorderbeinen entwickelt haben. Es dürften etwa 100 Mutationsschritte notwendig sein, bis aus einem Bein ein funktionstüchtiger Flügel wird, wobei ein halber Flügel keinen Sinn hat. Ein halber Flügel taugt nicht als Bein und nicht als Flügel. Man kann damit nicht mehr laufen und noch nicht fliegen. Er hat keinerlei Anpassungswert. Mit anderen Worten, mit einem halben Flügel ist man Futter. Die Entwicklung eines Flügels kann nur dann erfolgreich sein, wenn diese 100 Mutationsschritte schlagartig in einem einzelnen Tier auftreten. Außerdem müssen dieselben Mutationen gleichzeitig in einem anderen Tier des anderen Geschlechts auftreten, und dann müssen diese beiden einander auch noch irgendwie finden, miteinander essen, etwas trinken gehen, sich paaren und Nachkommen mit richtigen funktionstüchtigen Flügeln bekommen. Dies ist absoluter und unendlicher Irrsinn. Zufällige Mutationen taugen hierfür nicht einmal ansatzweise als Erklärung. Wie soll es denn zugehen, dass ausgerechnet 100 nicht-tödliche Mutationen gleichzeitig auftreten? Oder auch nur vier oder fünf? Wenn diese unglaubliche Transformation einmal geschehen ist, dann wird die natürliche Auslese in der Tat die besseren Flügel gegenüber den weniger tauglichen Flügel bevorzugen, aber die Flügel selbst, niemand weiß bis heute wie diese entstanden sein könnten.“ Ich will dazu in der nächsten Vorlesung auch Einiges sagen zur Grundfrage nach der organischen Gestalt überhaupt, die ein vollkommenes Mysterium ist, die kein Mensch eigentlich wirklich versteht, also die Morphogenese. „Derzeit hat man sich einfach darauf geeinigt, hier von einer Quanten-Evolution oder punktuellen Evolution oder emergenten Evolution zu sprechen, bei der absolut neue, emergente und unglaublich komplexe Holons in der Art eines Quantensprungs plötzlich ins Dasein treten, wobei jeglicher Hinweis auf Zwischenformen fehlt. Es müssen also dutzende oder hunderte nicht-tödlicher Mutationen gleichzeitig auftreten, damit ein Überleben möglich ist, zum Beispiel im Falle des Flügels oder des Augapfels. Welche Erklärung wir auch immer für diese außergewöhnlichen Transformationen heranziehen wollen, es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass sie statt dessen auftreten. Viele Theoretiker, wie z.B. Erich Jansch, bezeichnen Evolution daher als Selbstverwirklichung durch Selbsttranszendenz.

Evolution ist in der Tat ein unglaublicher Prozess der Selbsttranszendenz. Sie besitzt die höchst erstaunliche Fähigkeit, über Dasjenige ständig hinaus zu gelangen, was vorher war. Evolution ist also zum Teil ein Transzendenzprozess, der das Vorangegangene einschließt und unfasslich neue Komponenten hinzufügt. Der Drang zur Selbsttranszendenz ist damit im Gewebe des Kosmos eingebaut.“

In anderen Kontexten bezieht sich Wilber hier auch unter anderem auf Hegel, der ja, wenn man ihn richtig versteht, auch im Grunde genommen ähnliche Dinge in anderer Sprache zum Ausdruck gebracht hat.

Ein zweites, ganz anderes Argument habe ich selbst gebracht in dem Buch „Was die Erde will“. Ich darf diesen kleinen Passus mal vorlesen, um das zu verdeutlichen, was da an Argumenten gebracht wird. Ich erlaube mir mal diese Passage von mir selber zu zitieren, im Abschnitt „Der Selbstwiderspruch des Neo-Darwinismus“: „Seit Darwin wird die Sonderstellung des Menschen in der Entwicklung der Natur bestritten. Der Mensch, so wird gesagt, sei ein höherer Primat, ein bloßer Seitenzweig der Evolution und keineswegs so etwas wie deren Krönung oder deren strahlender Gipfel. Als technisch gebildeter Halbaffe – Ernst Haeckel – hat der Mensch zwar alle anderen Lebewesen dieser Erde bezwungen, der aufrechte Gang, die Höherentwicklung des Gehirns, Sprache, Schrift und Intellekt sowie Vernunft haben es ihm ermöglicht, aber konsequent entwicklungspsychologisch gedacht bleibt nicht mehr viel übrig von dem, was im aufgeklärten Rationalismus oder in religiöser Sicht die Einzigartigkeit des Humanen ausmacht. Der Mensch wird rigoros zum höheren Tier, und zwar ohne Abstriche oder Einschränkungen (,das verlogene Tier‘ nennt ihn Nietzsche). Und so erscheint es fast konsequent, wenn nun einige die avanciertesten Kosmologen (Frank Hippler, John Barrow etwa) das ,Anthropische Prinzip‘ aus der Retorte heben (These vereinfacht gesagt: Das Universum ist so wie es ist, damit wir so sein können, wie wir sind). Das war ein Ausweg, ein intellektueller Winkelzug (auch wenn die meisten gar nicht akzeptieren), doch noch so etwas wie Würde in die menschliche Existenz hineinzubringen. Erst Selbstverkleinerung zum Quasi-Nichts im grenzenlosen All und nun der intellektuelle Quantensprung in den neuen Anthropozentrismus nach dem Motto: Wir sind doch Mittelpunkt des Universums! Das Universum braucht uns, damit wir es beobachten können; ohne uns als Beobachter wäre es nicht das, was es ist. Damit kommt der einst so geschmähte idealistische Ansatz (über die Kosmologen) quasi durch die Hintertür wieder ins Haus. (allerdings als ein umstrittener Gast). Dazu gleich mehr. Zunächst zurück zur Evolutionsbiologie. Die berühmten phylogenetischen Stammbäume, die sich in jeder besseren oder schlechteren populärwissenschaftlichen Abhandlung zum Mensch-Natur-Verhältnis finden, so als könne es gar nicht anders sein und als seien dies keine Karten, die wir selbst hergestellt haben, sollen uns immer wieder vor Augen führen, wie unbedeutend wir sind. Ein bloßer Nebenzweig der Entwicklung (vielleicht gar, wie Arthur Koestler meint, ein „Irrläufer der Evolution“). Dieses Stammbaumbild, das Modellcharakter längs der allgemeinen Überzeugung Platz gemacht hat, dass es sich hierbei um die wirkliche Wirklichkeit handelt, ist fraglos ein geistiges Konstrukt, eine Heraussetzung, eine Begriffsdichtung.“ Jetzt kommt der entscheidende Punkt: „die ja selbst, wenn die These vom Seitenarm der Evolution stimmt, sich eben diesem Seitenarm auch verdankt. Und dieser Seitenzweig enthält (notwendig) Blickverengungen und Begrenztheiten, die in sich und als solche gar nicht aufzuheben sind. Warum sollte dieses winkelhafte Geschöpf mit dem Namen Mensch, als höheres Tier auf einem Seitengleis entstanden, nun überhaupt in der Lage sein, völlig herauszutreten aus der eigenen Begrenztheit und der eigenen Winkelperspektive und so das Ganze des evolutionären Systems der Lebewesen, in souveräner leibfreier Geistesschau, vor sich hinzustellen? Wenn das schlaue Tier Mensch das wirklich könnte, aus einer Nische herauszutreten, hinein in eine quasi göttliche, oder kosmische Vogelperspektive, dann wäre eben dadurch die geistige Vorrangstellung, ja überragender Eigenwürde des Menschen unter Beweis gestellt. Das wäre paradoxerweise ein Beweis für die Noosphäre, für den Geist als eine eigene und eben überlegene Ebene! Wenn es möglich ist (oder sein sollte), dass wir uns als Seitenzweig der Evolution wirklich erkennen, dass sich also in unserem Geist „das Ganze“ derselben widerspiegeln kann, wären wir eben kein unbedeutender Seitenzweig! Sieht man den Zirkelschluss? Sieht man, dass die ganze Argumentation in sich zusammenbricht? Dass der Geist den ganzen Biologismus aus den Angeln hebt? Wenn die herrschende Evolutionstheorie stimmt, gerade dann hebt sie sich selbst auf.“

Wir können gerne noch darüber diskutieren, ob das deutlich ist: Wenn sie stimmt, kann sie nicht stimmen. „Wenn die herrschende Evolutionstheorie stimmt, gerade dann hebt sie sich selbst auf, weil der Geist dann letztlich völlig singuläre Position hätte, von der aus er überhaupt in der Lage wäre, und das könnte er in seiner ephemeren Winzigkeit und Teilhaftigkeit nicht. „Wie soll ein Seitenzweig den ganzen Baum erkennen können? Nur als der ganze Baum könnte er es und dann wäre er eben nicht mehr Baum…“ Und so weiter. Also das ist ein Argument ganz anderer Art, eher ein erkenntnistheoretisches Argument, dass alle solche Heraussetzungen, im Übrigen auch Universalbilder der kosmischen Evolution ja immer aus dem menschlichen Geist entspringen. Das gibt dem menschlichen Geist eine enorme Fähigkeit und hebt ihn ja dann doch heraus aus der Vorstellung, dass er nur ein unbedeutender Seitenarm sei. Man kann diese ganze Frage bis in die moderne Gehirnforschung und Neurophysiologie hinein verfolgen. Immer wieder geht es da um einen Grundwiderspruch, der nie aufgelöst worden ist und der auch das ganze Thema so äußerst schwierig macht. Was ist der Geist? Kann er wirklich diese großen Bögen erkennen? Und wenn er es wirklich kann, dann muss er eine besondere Funktion im gesamten Zusammenhang haben, dass er es kann.

Und so ist ja auch das berühmte, viel diskutierte und noch kritisierte Anthropische Prinzip entstanden, dass also der menschliche Geist in irgendeiner Form in der kosmischen Evolution tatsächlich eine zentrale Rolle einnimmt. Dass sozusagen die Evolution nur auf den Menschen gewartet hat und er eben kein zufälliges Produkt ist. Ein wichtiger Punkt, den man auch mal erkenntnistheoretisch durchdenken kann.

Nun habe ich von dem Punkt, dem Faktor Zufall gesprochen. Nun ist es eine Eigenart ja, eine der erstaunlichsten Phänomene in der Geistesgeschichte, auch in der Geschichte der Evolutionsforschung, dass man dem Begriff „Zufall“ eine so ungeheure Rolle zuspricht. Was ist Zufall? Wenn man sagt: Das ist Zufall, das sind zufällige Entwicklungen. Was meint man? Im normalen Sprachgebrauch, im Alltags-Sprachgebrauch ist ja zunächst einmal der Zufall Dasjenige, was ich nicht kausal herleiten kann. Wir haben uns zufällig im Café getroffen, heißt, wir hatten es nicht vor, intentional war es nicht beabsichtigt, aber es geschah. Jede dieser beiden Personen hat ganz andere psychologische und sonstige Kausalketten, die auf dieses zufällige Zusammentreffen abzielen, abgezielt haben, ohne dass sie es wussten. Also ist das Zusammentreffen zufällig.

Es gibt ja in anderen Bereichen auch der Naturwissenschaften, den Begriff des Zufalls, etwa schon im 19. Jahrhundert entwickelt, in der kinetischen Gas-Theorie. Da nimmt man an, alle einzelnen Teilchen eines Gases sind in sich und für sich absolut kausal bestimmt, absolut kausal bestimmt, aber das Ganze, das Ensemble ist auf eine undurchschaubare Weise so extrem kompliziert, dass man die kausalen Abläufe im Einzelnen nicht durchschauen kann. Man nimmt aber an, dass es im Prinzip kausal bestimmt ist. Also wenn man es könnte, könnte man praktisch die Entwicklung eines Gases ganz genau voraussagen. Nicht, das ist ja die berühmte Fiktion des Welt-Dämons, die Laplace aufgestellt hat, der ja sagte: Alles ist kausal bestimmt. Wenn es einen Übergeist gäbe, der in der Lage wäre, ein Schnitt durch die Welt zu machen und alle kausalen Momente zu verstehen, wäre der in der Lage, bis in fernsten Zukünfte hinein die Entwicklung vorauszusagen, weil es nicht …, weil es keinen Zufall gibt. Der Zufall ist nur eine Größe, die unserer unzulänglichen Erkenntnis geschuldet ist.

Dann hat man neu in der Naturwissenschaft und ganz andersartig ja in der Quantentheorie die These vertreten, aus Gründen, die man hier im Einzelnen nicht darstellen muss, dass der Zufall nicht etwa nur eine Größe ist, die unserer Unzulänglichkeit der Wahrnehmung geschuldet ist, sondern dass der Zufall eine prinzipielle Größe ist, der Zufall grundsätzlich in der Welt verankert ist, dass im Mikrobereich die Dinge zufällig ablaufen. Man weiß eben nicht durch welchen Spalt etwa ein Teilchen gehen wird oder nicht. Auch da gibt es mathematische Formalismen, die das genau beschreiben.

Kritiker haben immer wieder gesagt, an dem traditionellen Kausalitätsverständnis orientiert: Das ist eine Täuschung, da muss es denn doch verborgene Kausalfaktoren geben, doch wir kennen sie nicht. Aber das ist erst einmal der Unterschied. Man sagt, es gibt im Prinzip Kausalfaktoren, aber wir kennen sie nicht. Deswegen beschreiben wir sie mittels Statistik. Oder das Ganze ist grundsätzlich zufällig, es ist statistisch gebaut. Das hat ja eine endlose Diskussion etwa in der Philosophie ausgelöst, was die Frage der Willensfreiheit betrifft, was ja genau das gleiche Thema ist. Willensfreiheit, ein Willensakt aus dem Nichts heraus, ein akausaler Akt oder eine kausale Herleitung des Willens. Dann ist der Wille nicht frei, wenn der Wille in irgendeiner Form kausal bestimmt [ist], ist er ja nicht frei, dann ist es dahin mit dem freien Willen. Aber unsere gesamte Gesellschaft seit vielen Jahrhunderten geht irgendwie davon aus, dass es etwas gibt wie den freien Willen, obwohl er nicht beweisbar ist.

Natürlich hat man verschiedene Versuche gemacht, nun auch den freien Willen etwa mit der Quantentheorie plausibel zu machen, so schon in den 50er Jahren. Das gehört zum Thema Zufall. Was ist das? Gibt es Kausalfaktoren in diesen Prozessen, die wir nicht kennen? Dafür spricht sehr viel. Oder sind sie grundsätzlich, prinzipiell zufälliger Natur, oder sind wir einfach außerstande, das zu verstehen?

Nun ist es ein weiterer Punkt, den ich erwähnen möchte, weil er in den meisten Darstellungen zu diesem Thema unberücksichtigt bleibt, in fast allen. Fast durchgängig wird in den Darstellungen über diese Thematik eine Gleichsetzung vollzogen von Kausalität und Determinismus. Das ist falsch. Sie können die Literatur sich anschauen. Sie werden immer feststellen, dass mehr oder weniger Determinismus und Kausalität gleichgesetzt werden, also Determinismus, eine Kausalität, die absolut notwendig abläuft. Nicht, wenn ich die Bedingung A kenne, kann ich genau voraussagen, was B und C sein wird. Das muss nicht der Fall sein. Es gibt ganz andere Vorstellungen einer causa, die nicht unbedingt deterministisch sein müssen. Und die ganze Diskussion heute etwa in der Quantentheorie um Akausalität, ist letztlich eine Frage, die mit dem nicht vorhandenen Determinismus zu tun hat. Damit ist doch längst keine Akausalität gemeint. Das ist keine Begriffsklauberei, wenn ich das unterscheide, und es wird zentral wichtig: Kausalität geht davon aus, die Dinge haben eine Ursache. Determinismus geht davon aus, die Dinge haben eine Ursache, die sie absolut notwendig bestimmt. Dann gibt es keine Freiheit. Während in der Kausalitätsvorstellung in einem weiteren Sinne Freiheit sehr wohl möglich ist. Das ist ja die Grundfrage überhaupt der Evolution in Richtung auf höhere Ordnung. Wie kommt das? Wie entsteht denn das Neue und andere? Wie kommen denn organische Formen überhaupt zustande?

Wenn man sie kausal ableiten kann aus ihren Vorgängern, was gar nicht geht nach unserem derzeitigen Wissensstand, dann muss man ganz neue Fragen stellen. Oder man nimmt an, es gibt Sprünge in dieser Entwicklung. Stichwort ist dazu das viel verwendete Wort Emergenz. Es ist also überhaupt kein Kontinuum, sondern es sind Sprünge. Also auf eine unvorhersehbare Weise springt plötzlich eine Entwicklung auf eine neue Ebene, eine neue Form entsteht, die zwar etwas zu tun hat mit ihren Vorgängern, die aber nicht kausal, lückenlos kausal ableitbar ist. Das ist der Punkt. Eine auch extrem schwierige Frage, die im Wesentlichen ungeklärt ist, die man aber heranziehen muss. Was ist denn diese Art von Entwicklung? Ist es eine kausale? Das würde ich bejahen, es ist eine kausale, aber keine deterministische. Wenn ich die Kausalität in Gänze negiere, lande ich, wenn ich sie mit dem Determinismus gleichsetzte, beim absoluten Zufall. Nicht, dann bin ich letztlich auf der Argumentationsebene der Huxleyschen Affen angelangt. Kann ich das machen? Ich kann natürlich sagen, gut, es gibt die Huxleyschen Affen mit ihren Schreibmaschinen und irgendwann kommt eben Shakespeare raus. Mathematiker haben ausgerechnet, wie wahrscheinlich, ich habe es vorhin schon gesagt, etwa ein organisches Molekül ist, wenn man das einfach vom Zufallsprinzip aus berechnet – extrem unwahrscheinlich. So unwahrscheinlich, dass es schwindelerregend ist.

Also alle kosmologischen Modelle können diese extreme Form der Unwahrscheinlichkeit nicht erfassen. Also alles spricht dafür, dass es in dieser ganzen Entwicklung Faktoren gibt, die den Zufall transzendieren, die in irgendeiner Form, und das muss man einfach dann hier so nennen, Geistfaktoren beinhalten. In Ermangelung eines anderen Wortes kann man es Geistfaktoren nennen. Man kann auch mit Wallace sagen, es sind höhere Intelligenzen. Das ist eine Hypothese, die einiges für sich hat, obwohl [sie] sich letztgültig nicht beweisen lässt. Aber das führt auf die Grundfrage nach dem Wesen organischer Form überhaupt. Und da will ich das nächste Mal dann auch anknüpfen: Wie entstehen überhaupt organische Formen? Wie entsteht überhaupt eine organische Gestalt aus einem Zellgefüge, aus einem Zellhaufen? Eine völlig ungeklärte Frage, nicht, ein absolutes Mysterium, wie das möglich sein kann, die auch durch die Gentechnik in keinster Weise beantwortet wird.

Also diese Fragen sind aufwühlend. Sie sind aktuell wie eh und je, und sie sind in der Tiefe ungeklärt und man muss sich überlegen, welche Faktoren man zulassen kann und darf, und welche nicht. Und da kommt man, meine ich, notwendig auf ein erweitertes Wissenschaftsverständnis. Ich glaube, dass wir nicht umhin können, ein ganz neues, und in diesem Sinne erweitertes Wissenschaftsverständnis zu erarbeiten, das auch diese Faktoren einschließt. Davon sind wir wirklich weit entfernt. Aber anders wird es nicht gehen, glaube ich. Reduktionistisch in dieser Form kann es nicht funktionieren.

Insofern meine ich, dass man sich wahrscheinlich zu dem Gedanken bequemen muss, dass die Entwicklung im Hinblick auf höhere Organisation, auf Geist in der kosmischen Evolution angelegt ist. Das heißt, der Geist ist wahrscheinlich schon in den Fundamenten jeder kosmischen Evolution im Universum und entfaltet sich auf eine uns nicht vorstellbare Weise, und das führt auf eine vollkommen neue und andere Weise, Evolution zu denken.

Das wird auch versucht, es gibt Ansätze dazu. Ken Wilber ist ein Beispiel, es gibt Ansätze bei Varela, Maturana, es gibt Ansätze bei Lázló und anderen. Ich habe auch einige Ansätze da vorgestellt. Also es gibt Ansätze in diese Richtung, aber sie haben keine, sie haben keine Mehrheit in den normalen Wissenschaftsapparaten, weil das bedeutet, dass man letztlich Faktoren einführen muss, die dem herkömmlichen Wissenschaftsverständnis vollkommen fremd sind. Man kommt nicht umhin, das zu tun, meine ich. Faktisch geschieht es sowieso. Es wird nicht nur nicht eingestanden, das sage ich ja auch oft genug, dass auch allein die so populäre Rede vom genetischen Code implizit ein metaphysischen Dualismus bedeutet. Man nimmt irgendwie davon an, es gibt eine geheime Programmierung, was kann die sein? Das muss Geist sein, die Hardware ist es nicht, es muss die Software sein, und das kann in diesem Modell sein, sie muss Geist sein. Im Grunde ist das, was Kritiker, unter anderem Sheldrake, immer wieder gesagt haben, ein uneingestandener Dualismus. Man nimmt letztlich dann doch ein Geistprinzip an, man nennt es nur anders. Man ist mit einem technischen Begriff, wie ja die Wissenschaft sich immer orientiert hat an dem jeweiligen Stand der Technik. Denken sie an die Modelle vom Menschen im 18. Jahrhundert, an die vom 19. Jahrhundert. Und dann heute sind es natürlich Computervergleiche, die herangezogen werden. Das Ganze wird deswegen nicht subtiler und nicht tiefer und nicht lebensnäher.

Ich will dann in der nächsten Stunde, in der nächsten Vorlesung den Versuch machen, die Frage nach der organischen Form zu stellen und Ihnen Möglichkeiten vorstellen, wie man das denken kann, wie man das verstehen kann, auch über mögliche biologische Felder. Ich habe hier gesehen, jemand hat in der Pause Sachen ausgelegt, die betreffen die Vorlesungsreihe von Bernd Senf hier, die er seit 20 Jahren, fast 20 Jahren, in Berlin macht, über die Reichsche Orgonomie und Orgon-Energie, und auch sonst ist Bernd Senf sehr rührig, und ich kann das sehr empfehlen. Das ist eine verdienstvolle Leistung. Seit 20 Jahren bemüht er sich da, diese Orgonomie vorzustellen. Das ist ja ein Versuch neben anderen Versuchen mit vielen, vielen Schwachstellen. Aber ein Versuch, das Ganze wirklich lebendig, ganzheitlich neu zu denken. Und ein hochinteressanter Versuch, bei dem man nicht stehenbleiben kann. Bei all diesen Versuchen kann man nicht stehenbleiben. Da ist noch sehr viel Denk- und Forschungsbedarf zu leisten in den nächsten Jahren.

Ja, ich denke, wir haben die Möglichkeit noch ein paar Fragen zu klären. Gleich jetzt anschließend. Wer gehen möchte oder muss, kann es ja gleich tun. Die anderen können noch dann Fragen stellen.

Antworten auf Fragen aus dem Publikum:

Kausalität geht zurück auf das lateinische Wort „causa“, was Ursache heißt, Ursache. Man kann sagen, nichts in der Welt ist ohne eine Ursache. Nihil [est] sine causa, wie Leibniz das formuliert hat. Nichts ist ohne Ursache. Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass eine Ursache ein Geschehen vollständig bestimmt, so zum Beispiel die Anziehungskraft der Erde, einen fallenden Körper, der Richtung Erdmittelpunkt stürzt, der hat ja nicht die Möglichkeit, sich zu entscheiden, das nicht zu tun. Da gibt es keine Freiheit, Spielräume in der Materie, die darauf schließen lassen? Er muss das nicht tun. Er entscheidet sich, das zu tun oder nicht zu tun. Da gibt es doch in gewisser Weise einen Determinismus. In gewisser Weise. Die Kausalität, die Causa, das Gravitationsfeld ist lückenlos, durchgängig wirksam. Der Körper fällt. In diesem Sinne kann man sagen: Diese Kausalität ist eine lückenlose. Sie ist in diesem Sinne determiniert.

Wenn man das überträgt jetzt auf chemische oder biologische oder Bewusstseins- vorgänge, wird es schwierig. Dann würde die Freiheit vollkommen zerstört sein. Das meine ich. Also man kann davon ausgehen, dass es Kausalität gibt. Wenn sie lückenlos ist, ist sie …, mündet sie in Determinismus, in absolute Notwendigkeit. Wenn jede Tat des Menschen zum Beispiel absolut determiniert ist, auch wenn er es nicht weiß, dann ist ja die Freiheit eine Täuschung, eine pure Illusion. Nicht, man geht ja in der Rechtsprechung davon aus, bekanntermaßen, dass der Einzelne, der ein Verbrechen begeht, beispielsweise, die Möglichkeit gehabt hätte, es nicht zu tun. Ihm wird ja ein Freiheitsspielraum zugestanden, dann reduziert man das immer mehr und führt soziale Faktoren an oder vielleicht Alkohol- Einwirkung oder sonst was. Man reduziert die Freiheitsspielräume, aber man geht doch davon aus, dass es einen minimalen Freiheitsspielraum gibt. Und wenn es den gibt, gibt es keine lückenlose Kausalität mehr, dann gibt es keinen Determinismus mehr.

Oder ich sage von vornherein Ich nehme den Menschen völlig heraus. Dann wird es schwierig. Also was ist nun wirklich so? Das ist ja der Punkt. Da ist das Problem, ja. Und in den meisten Darstellungen wird es einfach gleichgesetzt. Man schreibt nicht klar genug, dass eine lückenlose absolute Kausalität Determinismus ist, man setzt Kausalität überhaupt mit Determinismus gleich. Das war ja ein großer Streitpunkt zwischen Leibniz und Newton, genau diese Frage. Ich habe das im Wintersemester gesagt, genau diese Frage. Newton meinte, es gibt Freiheitsspielräume in der Welt, auch im Kosmos. Leibniz bestritt das, sagte, es gibt überhaupt keine Freiheitsspielräume. Alles ist absolut determiniert. Es gibt nur eine Welt-Maschine, die lückenlos abläuft. Und was wir für Freiheit halten, ist eine Täuschung, weil vor aller Weltentwicklung hat es da eine Entscheidung gegeben des psychophysischen Parallelismus. Beides läuft genau parallel. Nicht, das ist ein Punkt. Das ist gemeint. Ich habe es versucht zu sagen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in einer Welt leben, in der Kausalfaktoren wirksam sind, aber diese Kausalfaktoren determinieren nicht, sondern sie lassen einen gewissen Freiheitsspielraum. Und dieser Freiheitsspielraum ist das letztlich, was organische Formen entstehen lässt und was auch Freiheit ermöglicht. Aber ich bin mir darüber im Klaren, dass eine lückenlose Beweisbarkeit des sogenannten freien Willens nicht möglich ist. Es hat noch keiner geleistet bis zum heutigen Tag.

Das ist ein Postulat. In gewisser Weise hat der alte Kant da recht, dass man das nicht, was er in der „Kritik der reinen Vernunft“ gesagt hat, vor über 200 Jahren, nicht [beweisen kann]. Das ist nicht letztgültigig beweisbar. Das ist in gewisser Weise ein Postulat. Eine Gesellschaft würde zusammenbrechen, wenn man das leugnen würde. Aber letztgültig beweisbar ist es nicht. Man kann immer noch die These vertreten, dass ist letztlich ein verdeckter, versteckter Determinismus, der uns alle foppt. Unsere Freiheit ist ein Wahn und eine Illusion. Wir sind alle irgendwie Marionetten eines unbekannten Marionetten-Spielers.

Ein extremer Reduktionismus müsste das auch konsequent ja annehmen. Es ist ja auch für einen Neurophysiologen das große Problem. Ein Neurophysiologe, wenn er wirklich annimmt, es gibt diesen freien Willen, dann postuliert er eine metaphysische Instanz, die letztlich den Körper steuert. Und wenn er das nicht will, dann muss er sich an die Kausalfaktoren halten. Und wenn auch das nicht will, dann hilft ihm dann nur noch die Quantentheorie. Was auch geschieht dann. Einige Gehirn-Physiologen nehmen dann die Quantentheorie, weil es eben da ein Zufallsprinzip gibt, in den Dingen selber, in der Materie selber. Ja, das dazu.

[Frage zum Begriff des Holons]

Der Begriff ist in der Wissenschaft zum Teil aufgenommen worden. Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern haben den Begriff aufgenommen. Geprägt hat ihn Arthur Koestler, Arthur Koestler, ein sehr bedeutender Schriftsteller und auch Denker, in gewisser Weise auch Philosoph. Sein berühmtestes Buch trägt den Titel „Der Mensch, ein Irrläufer der Evolu-tion“. Irgendwann war er zu dem Schluss gekommen, der Mensch ist eine Fehlentwicklung. Und viele fanden das dann konsequent, dass Arthur Koestler sein Leben durch Selbstmord beendet hat. Er hat sich umgebracht, verzweifelt, absolut pessimistisch. Er sah keine Hoffnung mehr, hat also Selbstmord begangen. Der Begriff „Holon“ ist verschiedentlich aufgenommen worden, unter anderem von Rupert Sheldrake, aber auch anderen Evolutionsforschern und Biologen. Und am umfassendsten in den letzten Büchern von Ken Wilber, der dem Begriff noch eine andere Facette gibt. Man kann das ja ganz vereinfacht so sagen, [an der Tafel Geschriebenes verwendend] als sehr mechanistisch jetzt gedacht und so weiter, dass man das jeweils immer noch erweitern kann, diese Sphäre, der Mensch als Sphären bildendes Wesen, Sloterdijk wiederum, wieder drei Sphären, die wiederum sind von einer anderen Blase umschlossen und so weiter. Also Atome, Moleküle, Moleküle, Organelle und so weiter. Das liegt dem zugrunde. Und dann ist die Frage was ist das für Entwicklungsimpuls, der da drin steckt, und das versuchte Ken Wilber in einer umfassen-den Evolutionslehre zu entfalten, was ich hochinteressant finde. Ich stimme keineswegs in allen Punkten zu, aber ich finde es hochinteressant. Für meine Wahrnehmung die intelligenteste Form, das zu denken, die es im Moment gibt in der Philosophie. Aber Ken Wilber geht natürlich davon aus, dass diese Holons einen Entwicklungsimpuls haben. Die wollen wohin. Im Sinne Hegels: Der Geist will sich aus einer Selbstentfremdung befreien, will zu sich selber kommen.

[Antwort auf ergänzende Zwischenfrage]

Meines Wissens ist der Begriff Holon in diesem Sinne von den eher traditionellen Wissen-schaftsbemühungen nicht aufgenommen worden. Wäre mir unbekannt, er ist eher, sagen wir mal, in den Grenzbereichen der Wissenschaft aufgenommen worden, allerdings in Bereichen, die die Wissenschaft nicht verlassen. Man kann ja, wenn man das so will, drei große Fraktionen ausmachen, eher die Mainstream-Wissenschaft, die alle Lehrstühle in aller Welt besetzt. Die Mainstream-Wissenschaft. Dann eine Grauzone des Grenzbereiches Derjenigen, die sich relativ weit vorwagen und ihren Ruf riskieren, wenn sie zu weit gehen oder sich lächerlich machen, wenn sie voranpreschen mit irgendeiner These, werden sie zurückgepfiffen. Also dieser Grenzbereich. Und die dritte Fraktion ist die, [die] sich unabhängig etabliert als eine eigene Form von Zugang auf Natur, zum Beispiel eben Wilhelm Reich, der vollkommen Abschied genommen hat von der Mainstream-Wissenschaft mit allen auch psychologischen Dingen, die dann notwendig passieren. Die Betreffenden, die das machen, bleiben natürlich auch nicht ungeschoren in ihrer Psyche. Das hält ja keiner durch auf Jahrzehnte hinaus. Also das wäre die dritte Fraktion, aber ich würde eher sagen, nur in der dritten und in der zweiten Fraktion ist es aufgenommen worden, in der ersten meistens nicht, soweit ich weiß.

[Antwort auf ergänzende Zwischenfrage]

Ken Wilber ist ja eher ein scharfer Kritiker der Tiefen-Ökologie, und ob man Ken Wilber als Buddhisten bezeichnen kann, weiß ich nicht. Er wird oft so bezeichnet. Im Grunde ist er kein Buddhist oder nur mit Abstrichen. Es gibt, das ist in Deutschland weniger verbreitet, es gibt in Amerika eine Strömung, die eine Verbindung herzustellen versucht zwischen einem ökologischen Umgang mit der Natur und dem Buddhismus im Sinne des Bodhisattva-Gelöbnisses. Alle lebenden Wesen müssen erlöst werden – und die prominen-teste Vertreterin ist Joanna Macy. Heute glaube ich, Mitte oder Ende 60, Professorin für Psychologie, wenn ich es richtig weiß. Aber es gibt auch andere, auch buddhistische Lehrer, zum Teil, Thich Nhat Hanh und andere, beziehen sich dann zum Teil wiederum auf die Systemtheorie, also die buddhistischen Lehrer übernehmen das dann. Es gibt viele Verbin-dungen. In meiner Wahrnehmung geschieht da eine gewisse Verkürzung. Da wird ja der Buddhismus zu flach genommen und zu schnell verbunden. Ich glaube, das stimmt nicht, aber das ist meine Kritik daran. Das ist subtil. Ich glaube, dass die Systemtheoretiker, auch Joanna Macy, den Buddhismus zu flach verstehen. Der ist tiefer, als sie es denken. Aber das mit allem Respekt gesagt für Johanna Macy. Also, ich finde es großartig, was sie macht. Das ist nicht irgendwie gegen sie gerichtet. Aber ich habe das ja schon gesagt. Der Begriff Tiefen-Ökologie überhaupt ist ja in Deutschland kaum verbreitet, ich habe da in der ersten Vorlesung ein Gespräch erwähnt mit einem alten Bekannten Philosophie-Dozent in Düssel-dorf, der in einem Telefonat mich ernsthaft fragte, ernsthaft, hoch gebildet und intelligent, ob ich das erfunden hätte, den Begriff, ernsthaft. Es ist immerhin erstaunlich, dass im Jahre 1999 ein Philosophie-Dozent mit einem breiten Wissen diese Frage stellt. Also daraus kann man doch schließen, dass der Begriff in keinster Weise irgendwie Verbreitung gefunden hat. Geschweige denn eine Kritik an diesem Begriff, die man ja erst dann nur sinnvoll aufnehmen kann, wenn man überhaupt weiß, wovon die Rede ist.

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Conclusio – Was braucht es für eine neue Naturtheorie und Kosmologie?

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 14

Transkript als PDF:


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Ich hatte das ja heute Abend genannt: Conclusio, eine Art Zusammenfassung, Konklusion, wenn man das so nennen möchte. Und dann die Frage gestellt: Wie kommen wir weiter? Die Frage stelle ich mehrfach, und sie muss auch immer wieder neu gestellt werden, weil es ja zentral wichtig ist, wenn man den ganzen Fragehorizont sich klarmacht, den ich hier versuche aufzufächern, was für Konsequenzen sich daraus möglicherweise ergeben.

Es ist übrigens interessant, und da will ich ein Zitat bringen, dass 1930, wie ich von einem Hörer der Vorlesung hier erfahren habe, schon mal ein Buch erschienen ist mit dem gleichen Titel wie mein Buch, das im Herbst 98 erschien, nämlich „Was die Erde will“. Das wusste ich nicht, 1930, ein gewisser Ernst Fuhrmann, ein Autor und Privatgelehrter, hat 1930 in einer kleinen Auflage, halb als Privatdruck dieses Buch veröffentlicht. Er ist dann [19]32 in die Emigration gegangen, später hat er in New York gelebt, ist da 1956 verstorben, 1886 geboren, und ich habe mittlerweile mich sachkundig gemacht. Das ist Mitte der 80er Jahre neu verlegt worden, mittlerweile vergriffen. Insofern gibt es da keine Schwierigkeiten, was den Titel anbelangt, aber ich wusste das nicht. Und hier wird gesagt im Klappentext oder in den Bemerkungen hierzu, dass Ernst Jünger den Ernst Fuhrmann sehr geschätzt habe, könnte sein, aus verschiedenen seiner Bemerkungen ist es abzulesen, dass das der Fall ist. Ich habe das zum Teil auch gelesen, das ist nicht mein Exemplar hier. Ich war erstaunt darüber, wie ein Mensch 1930, also ja in einer schwierigen Situation, seine Vorstellung damals entwickelt, vor nun fast sieben Jahrzehnten, was die Erde will, wie er das sich vorstellt, und was ich verstanden habe, von den vielleicht 40, 50 Seiten oder 60 Seiten, die ich gelesen habe, war Folgendes: dass also Ernst Fuhrmann der Auffassung war, es kommt ein neuer Typus Mensch. Als er dann die Nazis einmarschieren sah, hat er Deutschland verlassen. Also er glaubt, es kommt ein neuer Typus Mensch, der in irgendeiner Form sich verbindet mit der Erde, mit dem Willen der Erde. Er nennt das im Untertitel eine „Biosophie“, also eine Weisheit vom Bios. Das Ganze ist kein platter Biologismus, da würde man Ernst Fuhrmann Unrecht tun. Das ist eine sehr intelligente Form, den Bios geistig zu denken. Ernst Fuhrmann ist so ein Privatgelehrter, ein Grenzgänger, nicht klar festzulegen, nicht eigentlich Philosoph und auch kein Naturwissenschaftler im strengen Sinne, eher ein Denker ganz eigener Prägung und auf seine Weise ist das durchaus auch faszinierend, was er schreibt. Das nur zu dem Titel, das finde ich eigenartig, und da gibt es im Klappentext ein Zitat, was ich als Motto für den heutigen Abend gerne nehmen möchte. Das ist nicht von Ernst Fuhrmann, sondern von Jünger, der sich auf Fuhrmann mehrfach bezogen haben soll. Das weiß ich nicht. Ich habe es in seinen Werken nicht gefunden, es wird jedenfalls hier behauptet.

Ernst Jünger schreibt hier: „Wir sind beim Thema, den Menschen in die rechte Position zum Universum zu bringen. Das ist wichtiger, als dass sich sein Wissen vermehrt. Die Bildungsprogramme eröffnen Ausblicke auf eine Scheinwelt, in der die Automaten, die Langeweile und die Selbstmörder zunehmen. Um das vorauszusagen, braucht man nicht Prophet zu sein. Das ist der Stil von intelligenten und selbstzufriedenen Güterbahnhof-Direktoren, die wissen, wie Stückgut hin und her schieben. Immerhin gibt es noch solche, die mit dem vorgekauten Futter und mit der Welt der Gleise und Stellwerke nicht auskommen. Die Geister scheiden sich.“

Ich weiß nicht genau, aus welchem seiner Bücher das stammt. Ich vermute da späte 50er Jahre. Auf jeden Fall, die Frage des Verhältnisses des Menschen zum Universum ist eine zentrale Frage, die mich seit vielen Jahren beschäftigt, die ich auch immer wieder versuche hier anzusprechen. Und es ist letztlich auch die Achse der Reflexion in diesem Semester, im Grunde auch in den vergangenen Semestern, die Frage: Wie steht der Mensch zum Universum oder im Universum? Wie steht der Mensch zum Kosmos oder im Kosmos? Was ist der Mensch in seiner Tiefe, in seiner Substanz? Ein kosmisches Wesen, ein Bioswesen, ein Geistwesen, als das ihn Hegel sah? Wie auch immer. Das ist letztlich die zentrale Frage, die ja immer wieder gestellt wird. Dass die Frage nach dem Menschen heute aktueller denn je ist, kann man unschwer erkennen. Und das ist auch nicht verkleinert oder gleichsam pulverisiert worden durch die enormen Fortschritte, ja beängstigenden, erstaunlichen, phänomenalen Durchbrüche in der sogenannten Gentechnologie. Eher im Gegenteil.

Dafür will ich ein kurzes Beispiel mal geben aus einem der letzten „Spiegel“. Da war ein langer Artikel über die gentechnische Revolution, wo auch ein Bezug hergestellt wurde zwischen der gentechnischen Revolution und der Frage nach dem Menschen. Zunächst könnte man ja denken, durch die gentechnische Revolution ist der Mensch radikal demontiert worden. Er ist sicher nur [ein] höheres Tier, letztlich ist er Sklave seiner Gene, mehr oder weniger, Richard Dawkins „Die egoistischen Gene“, ist ja ein berühmter Buchtitel eines bekannten Neurophysiologen und Genforschers. Man könnte annehmen, der Mensch sei in irgendeiner Form auf diese Weise demontiert, gleichsam reduktionistisch planiert. Und doch ist es interessant, gerade aufgrund dieser gentechnischen Erfolge noch mal neu nach dem Menschen zu fragen. Das geschieht auch überraschend am Ende dieses Artikels, ich war wirklich verblüfft darüber, von einem Biochemiker namens Neffe, der diesen Artikel abgefasst hat. Da heißt es ganz am Ende des Artikels, ich les mal kurz das vor, weil das hier schlaglichtartig den Punkt beleuchtet, Zitat Neffe: „Wie wenig die Genetiker vom Ausmaß genetischer Einflüsse tatsächlich wissen, haben in den letzten Jahren überraschende, ihre Ideengebäude zutiefst erschütternde Einsichten vor Augen geführt. Zunächst einmal stellte sich heraus, dass unser Erbgut mit dem unserer allernächsten genetischen Verwandten im Tierreich, der Schimpansen, zu über 98 Prozent identisch ist. Das rückte die Krone der Schöpfung durch die verengende Optik der Gene betrachtet, nicht nur viel näher an seine biologische Vergangenheit, als es ein Darwin je gewagt hätte. Es warf auch die Frage auf, wie solch ein kleiner Unterschied ‒ also was die Gene betrifft ‒ derart große Folgen haben kann. Mittlerweile haben Genanalysen sogar ergeben, dass der Mensch in sehr viel mehr Erbanlagen als bisher angenommen, selbst Lebewesen auf noch tieferen Stufen der Evolution verblüffend gleicht. Von der Maus über die Fruchtfliege bis hinunter sogar zur Bierhefe. Daraus aber folgt, ja, Mensch und Bierhefe ist wahrlich interessantes Kapitel. Mensch und Bierhefe. „Daraus aber folgt, dass so augenfällige Unterschiede“ ‒ jetzt der entscheidende Punkt ‒ „daraus, aus dieser erstaunlichen Nähe folgt, dass so augenfällige Unterschiede, wie etwa der zwischen Mensch und Schimpanse, auch auf anderen Prinzipien beruhen müssen als allein auf der im Erbgut gespeicherten Information. So hat ausgerechnet die Einfachheit der DNS den Keim für ein riesiges neues Problem gelegt, auf das die Biologie nun mit jeder neu entzifferten Erbanlage zusteuert. Die nicht zuletzt durch die Physiker in die Molekularbiologie eingebrachte Idee des Reduktionismus, nach der sich alle Lebensvorgänge letztlich zunächst auf chemische und dann wieder physikalische Ursachen zurückführen lassen, droht an ihrem unbändigen Erfolg zu scheitern.“ Verstehen Sie den Punkt, gerade der Erfolg ist das Scheitern. „In der Biologie braut sich ein grundlegender Paradigmenwechsel zusammen“, glaubt Richard Strowman von der Universität in Berkeley. „Das Maß an Komplexität, das wir im Lebenssystem finden, lässt sich nicht auf ihre Bestandteile und deren Dynamik reduzieren. So wie sich etwa der Ablauf eines Fußballspiels nicht aus noch so vielen Daten über die 22 Akteure auf dem Rasen ableiten lässt, weil erst ihr Zusammenspiel zur Qualität des Matches führt, so liegt in der Interaktion zwischen den Molekülen im Körper eine weitaus wichtigere Ebene der Information als DNS-Daten sie enthalten.“ Und so weiter.

Also eine interessante Aussage, dass gerade die extremen, die erstaunlichen, ja erschreckenden Erfolge, wie viele sagen, der Gentechnologie ganz neu jäh die Frage nach dem Menschen wieder aufwerfen. Denn wenn gentechnisch gesprochen, oder genmäßig gesprochen, da so wenig Unterschied ist, wo kommt denn oder wie kommt denn der doch enorme Unterschied zustande? Das kann also dann nicht in den Genen liegen. Es müssen andere Prinzipien, wie es hier in dem Artikel heißt, ins Spiel kommen. Nicht, auf anderen Prinzipien müsse diese ganze komplexe Angelegenheit beruhen. Also eine interessante, zunächst verblüffende Schlussfolgerung, auf die man nicht kommen würde, weil man ja gemeinhin der Auffassung ist, und ja auch mit einigem Recht, dass dieser Radikalreduktionismus mittels der Gentechnologie den Menschen eigentlich nun vollends und endgültig und ohne Abstriche zum höheren Tier degradiert hat.

Also die Frage nach dem Menschen wird immer wieder neu gestellt und stellt sich gerade heute im ausgehenden Jahrhundert und Jahrtausend wieder auf eine neue Weise. Also das ist ja ohnehin die zentrale Frage überhaupt, die Frage nach uns selber, nach dem Menschen, und wie ich immer wieder gesagt habe, letztlich auch die Frage einer möglichen anderen oder neuen Naturwissenschaft, einer neuen Naturphilosophie, ist nur zu haben, wenn überhaupt auf dem Wege einer neuen Anthropologie, also eines ganz neuen, fundamental anderen Zugangs auf dieses Wesen Mensch, was sich ja erst einmal als Ich-Wesen begreift, wo[rin] ja ein riesiges Problem liegt.

Die Frage überhaupt der Entstehung des menschlichen Ich ist ja nicht geklärt und kann auch nicht geklärt werden, wahrscheinlich, [nicht] mit den üblichen Instrumentarien.

Nun habe ich wiederholt auch die Frage gestellt, was denn eine philosophische Betrachtungsweise hier überhaupt leisten kann. Fast möchte man sagen, gehört fast zum guten Ton unter Naturwissenschaftlern, wenn man sie auf die Philosophie anspricht, häufig mit einem gewissen spöttischen Unterton zu bemerken, sie seien keine Philosophen. Als ob das irgendwie eine abwegige Geschichte sei, der man sich besser verschließt. Also ich bin kein Philosoph in dem Sinne: Das verstehe ich nicht. Das will ich auch nicht verstehen. Ich messe, ich rechne, ich beobachte, ich ziehe Schlussfolgerungen. Aber in dem Sinne, was die Philosophen als Denken bezeichnen, das möchte ich nicht. Und insofern ist es ganz wichtig, sich noch einmal klar zu werden, was denn Philosophie, wenn sie überhaupt noch irgendeinen Sinn haben soll, wenn sie nicht reine Philologie ihrer eigenen Geschichte ist, und 98 Prozent ungefähr aller Philosophie ist genau dies, also eine Geschichte ihrer eigenen Disziplin. Also wenn sie noch eine wirkliche Kraft haben soll, was sie überhaupt leisten kann und wie das Verhältnis zu einer möglichen anderen Naturwissenschaft aussieht. Ich meine, was heißt Philosophie?

Wenn Philosophie im Wortsinn Liebe zur Weisheit bedeutet, dann geht man ja in gewisser Weise davon aus, dass die Weisheit auch existiert. Das wird häufig nicht genug bedacht, ist aber kaum abzuweisen. Liebe zur Weisheit, zu welcher Weisheit denn? Gibt es diese Weisheit? Ist die Weisheit eine Projektion? Gibt es da draußen in der Welt so etwas wie Weisheit, die die Philosophie liebt? Und was bedeutet das? Schelling, ein von mir hochgeschätzter Denker, hat das mal wie folgt formuliert. Eigentlich den Kern ausgesprochen, in seinen Spätschriften 1840/45: „Verlangt der Mensch eine Erkenntnis, die Weisheit ist,“ ‒ was immer jetzt Weisheit bedeutet, also nicht einfach Wissen, sondern Weisheit, also mehr als das ‒ „so muss er voraussetzen, dass auch im Gegenstand dieser Erkenntnis Weisheit sei. Es ist ein Axiom, das sich schon aus den ältesten Zeiten der griechischen Philosophie herschreibt: wie das Erkannte, so das Erkennende und umgekehrt.“ ‒ also Subjekt und Objekt ‒ „Das schlechthin Erkenntnislose könnte auch durchaus nicht erkannt werden. Also das schlechthin Geistlose kann nicht durch ein Geistwesen erkannt werden. Das schlechthin Erkenntnislose könnte auch durchaus nicht erkannt werden, das heißt Gegenstand der Erkenntnis sein. Alles, was Gegenstand der Erkenntnis ist, ist dies nur so weit, als es selbst die Form und das Gepräge des Erkennenden schon an sich trägt, also die Form und das Gepräge des Erkennenden, in dem Fall des erkennenden Menschen als eines Geistwesens. Wie jedem einleuchten muss, der auch nur die Kantsche Lehre der Erkenntnis etwas geistreicher als gewöhnlich aufzufassen versteht. So auch die Weisheit. Es gibt keine Weisheit für den Menschen, wenn im objektiven Gang der Dinge keine ist.“

Vielleicht der entscheidende Satz nochmal. „Es gibt keine Weisheit für den Menschen, wenn im objektiven Gang der Dinge keine ist. Die erste Voraussetzung der Philosophie als Streben nach Weisheit ist also, dass in dem Gegenstand, das heißt in dem Sein, in der Welt selbst, Weisheit sei. Ich verlange Weisheit, heißt, ich verlange ein mit Weisheit, Voraussicht, Freiheit gesetztes Sein.“

Also das ist eine zentrale Voraussetzung, die im Grunde in der Philosophie gemacht wird. Da kann man sagen, die Entwicklung der Philosophie, etwa seit Nietzsche, in gewisser Weise schon seit Schopenhauer, habe ja diese Grundüberzeugung aus den Angeln gehoben. Die berühmte neuplatonische Gleichsetzung, auch das Schöne und das Gute und das Wahre. Und dann hat man immer wieder, Schopenhauer hat es am wortmächtigsten getan, auf die Elemente von Chaos, Verwirrung, Unbewusstheit, Leiden, Schmerz, Trauer, Verzweiflung in der Welt hingewiesen als Gegenargument gegen einen möglichen Weisheitsgang der Dinge, ganz zu schweigen von monströsen Gewalttaten, von denen wir ja alle wissen. Gleichwohl, wie immer man jetzt die Frage nach dem Leid, nach dem Unbewussten, nach der Unbewusstheit oder nach dem sogenannten Bösen stellt, es bleibt die Grundannahme, die Philosophie geht davon aus, ich als Philosoph gehe auch davon aus, dass so etwas wie Weisheit in der Welt existiert. Was heißt das?

Es gibt einen bestimmten Zusammenhang, der nicht vordergründig von den Erscheinungen ablesbar ist, der aber sich einer vertiefteren Betrachtung erschließt oder erschließen müsste, vielleicht sogar erschließen sollte. Das wäre Philosophie.

Nun ist, mit einer nur kleinen Drehung ja das auch, im Ursprung wenigstens, der Ansatz der Naturwissenschaft gewesen, nur mit anderen Begriffen und mit einer anderen Akzentsetzung. Die Naturwissenschaft war davon ausgegangen, spätestens seit Galilei, in gewisser Weise schon seit Kopernikus, Kepler, Newton und anderen, dass es im objektiven Gang der Dinge so etwas gibt wie eine Ordnung, ein Ordnungsprinzip, einen harmonischen Gesamtzusammenhang, den diese naturwissenschaftliche Reflexion erkennt. Das war immer die Grundvoraussetzung jeder Naturwissenschaft, übrigens auch bis heute. Auch viele Naturwissenschaftler sind sich darüber gar nicht mehr im Klaren, dass der Ursprungsimpuls immer war, dass man ja nicht sich spiegelt, projektiv in einer monströsen Welt, sondern dass man gewiss ist, dass in dieser Welt ein Ordnungsprinzip waltet, ein harmonisches Ordnungsprinzip. Das können Sie bei ganz vielen Physikern auch im 20. Jahrhundert nachlesen. Einstein hat sich dazu geäußert, von Weizsäcker, Heisenberg, viele andere haben das auch platonisch begründet, platonisch-pythagoräisch. Es gibt ein Ordnungsprinzip, Heisenberg hat das „die große Ordnung“ genannt, auf dem Grunde der Dinge, in den Dingen.

Und wenn der Naturforscher die Phänomene immer weiter hinterfragt und reduziert, dann macht er das vom Ursprung dieser Denkbewegung aus mit dem Ziel, die tiefste Ordnung des Universums zu erkennen, auch wenn es hier aus dem Blickfeld geraten ist, insofern ist es eine Parallele. Plakativ gesagt: Der eine begibt sich auf seinen Weg unter der Prämisse, es gibt eine Weisheit in der Welt, der andere begibt sich auf seine Erkenntnisreise unter der Prämisse, es gibt eine Ordnungszusammenhang in der Welt. Nun könnte man natürlich auch sagen, dieser Ordnungszusammenhang ist diese Weisheit, das ist gar kein Unterschied, es ist eigentlich das gleiche. Das ist schwer. Zunächst mal könnte man annehmen, das sind zwei verschiedene Ebenen. Es könnte ja einen Ordnungszusammenhang geben, der wiederum nur Ausfluss dieser höher geordneten Weisheit ist. Das könnten zwei verschiedene Stufen im kosmischen Gesamtzusammenhang sein. Das muss nicht identisch sein.

Das führt ja auch auf die Grundfrage, die ich ja auch mehrfach gestellt habe, der sogenannten Naturgesetze, was sind diese Naturgesetze eigentlich? Sind sie abgeleitet von einer höheren Gesetzesebene, so wie wir sie mathematisch gemeinhin fassen? Oder sind sie schon als sie selber gewissermaßen die erstarrte Form dieses Ordnungszusammenhangs? Eine heiß diskutierte Frage. Der berühmte Mathematiker und Physiker Roger Penrose beispielsweise, in seinen Büchern der letzten Jahre, vertritt ja vehement die These, wir kennen die eigentlichen Naturgesetze noch gar nicht. Das sind alles nur sozusagen bestenfalls Annäherungen, Beschreibungsversuche einer uns im Letzten unbekannten Form von Zusammenhang, und die eigentlichen Naturgesetze, diese Gesetze, die wirklich die Welt bestimmen, kennen wir noch gar nicht. Das ist eine wichtige Einschränkung. Darüber muss man sich im Klaren sein.

Es könnte verschiedene Ebenen von Gesetzen geben. Es könnte sozusagen eine Grund­ebene geben, die uns undurchschaut bleibt, undurchschaubar bleibt, und eine abgeleitete Ebene, die wir bis zu einem gewissen Grade erkennen können. Auch das muss man sich vergegenwärtigen, dass man da nicht heillos oberflächlich, wie das häufig genug geschieht, über diese Dinge redet. Was meint man überhaupt, wenn man diese Begriffe benutzt?

Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Philosophie war immer schwierig. Aus guten Gründen, und es hat immer wechselseitige Ressentiments gegeben, spöttische Haltung von der einen zur anderen Seite. Die Naturwissenschaftler haben es den Philosophen übel genommen etwa, wenn sie von Heidegger hören mussten, dass die Wissenschaft gar nicht denkt und auch gar nicht denken kann, gar nicht weiß, was Denken ist. Konnten andere Kritiker sagen, was Heidegger Denken nennt, ist gar kein Denken, sondern ist eine Mystifikation, die mit eigentlichem Denken gar nichts zu tun hat.

Was ist denn überhaupt Denken, da ist man schon bei dem nächsten Punkt, was ist Denken? Auf der untersten Ebene erstmal: einen Zusammenhang herstellen, ein Ordnungszusammenhang, wie immer er beschaffen ist, wahrnehmen, über die reine Empirie hinaus. Ein Mann, der darüber viel nachgedacht hat, hat vor knapp hundert Jahren ein Buch geschrieben „Erkenntnis und Irrtum“, ich meine den berühmten und bedeutenden Erkenntnistheoretiker Ernst Mach, der ja maßgeblich beteiligt war an den Grundvoraus-setzungen der Relativitätstheorie und Quantentheorie, obwohl er sie selber kaum mehr erlebt hat. Er hat sich verschiedentlich eingehend zu dieser Frage geäußert und ich zitiere mal eine kleine Passage, die ich sehr erhellend finde von 1905. Da heißt es über dieses Verhältnis Philosoph ‒ Naturwissenschaftler: „Was der Philosoph für einen möglichen Anfang hält, winkt dem Naturforscher erst als das sehr ferne Ende seiner Arbeit. Allein diese Meinungsverschiedenheit soll die Forscher nicht hindern und hindert sie tatsächlich auch nicht, voneinander zu lernen. Durch die zahlreichen Versuche, die allgemeinsten Züge großer Gebiete zusammenzufassen, hat sich die Philosophie in dieser Richtung reichliche Erfahrung erworben. Sie hat nach und nach sogar teilweise die Fehler erkannt und vermeiden gelernt, in die sie selbst verfallen ist, ohne die der philosophisch nicht geschulte Naturforscher seinerseits noch heute fast gewiss verfällt.“ Das trifft nicht 1905 zu, sondern auch 1999. „Aber auch positive, wertvolle Gedanken, wie zum Beispiel die verschiedenen Erhaltungsideen, hat das philosophische Denken der Naturforschung geliefert. Der Philosoph entnimmt wieder der Spezialforschung solidere Grundlagen, als sie das vulgäre Denken ihm zu bieten vermag. Die Naturwissenschaft ist ihm einerseits ein Beispiel eines vorsichtigen, festen und erfolgreichen wissenschaftlichen Baus, während er andererseits aus der allzu großen Einseitigkeit des Naturforschers nützliche Lehren zieht. In der Tat hat auch jeder Philosoph seine Privat-Naturwissenschaft und jeder Naturforscher seine Privat-Philosophie. Nur sind diese Privat-Wissenschaften meist etwas rückständiger Art.“

Ist ja auch heute noch so. Viele Naturwissenschaftler haben ihre Privat-Philosophie, die sie meist undurchschaut-implizit, auch weltbildbehaftet, ideologisch behaftet, in ihre Forschungsergebnisse hineinbringen, wie auch viele Philosophen auch weltbildverhaftet undurchschaut, eine Art von privater Naturwissenschaft pflegen. „Nur sind diese Privat-Wissenschaften meist etwas rückständiger Art. In den seltensten Fällen kann der Naturforscher die Naturwissenschaft des Philosophen, wo sich dieselbe gelegentlich äußert, für voll nehmen. Die meisten Naturforscher hingegen pflegen heute (1905) als Philosophen einen 150 Jahre alten Materialismus, dessen Unzulänglichkeit allerdings nicht nur die Fach-Philosophen, sondern alle dem philosophischen Denken nicht zu Fernstehenden längst durchschaut haben.“ Und dann Schluss jetzt, nach dieser Wendung. „Überblicken wir die Jahrtausende alten Wege, welche viele Philosophen und Naturforscher gewandelt sind, so finden wir dieselben teilweise schon gebahnt. An manchen Stellen scheinen sie sich aber durch sehr natürliche, instinktive, philosophische und naturwissenschaftliche Vorurteile verlegt, welche als Schutt älterer Versuche misslungener Arbeit zurückgeblieben sind. Es möchte sich empfehlen, das von Zeit zu Zeit diese Schutthalden weggeräumt oder umgangen werden.“

Also, das kann ich mir durchaus zu eigen machen. Es ist unbedingt wichtig, dass diese Schutthalden zur Seite geräumt werden. Sie müssen nicht umgangen werden. Man muss das einfach wissen, und man muss versuchen, der Philosophie, ich sag mal, wenn sie überhaupt noch einen Sinn haben soll, eine neue Würde gleichsam zu verschaffen und dem Denken nochmal eine Chance zu geben. Ich habe ja immer wieder auch gesagt, dass Denken, das ist ja auch keine tiefe Einsicht, einen sehr geringen Stellenwert heute hat. Es gibt Forschen, Rechnen, Messen. Es gibt Erzählen, alles Mögliche, aber es wird wenig gedacht. Denken hat keinen… , man glaubt nicht mehr an das Denken.

Das Denken scheint abgewirtschaftet zu haben, zumal es schon schwierig ist, sich darüber zu verständigen, was denn überhaupt Denken sein soll. Ich meine, wenn Denken, philosophisches Denken, etwas anderes sein soll als naturwissenschaftliches Forschen, dann muss es mit Vernunft zu tun haben. Was heißt Vernunft? Auch das ist schwierig. Wie lässt es sich abgrenzen zum Verstand?

Darüber hat ja gestern Johannes Heinrichs in seiner Vorlesung einiges gesagt. Er hat mir gestern ein Buch geliehen, was ich sehr interessant finde. Ich habe gleich gestern Abend darin intensiv gelesen. Das Buch eines Naturforschers, genauer gesagt eines Veterinär-Mediziners, Fritz Preuß, Direktor des Instituts für Veterinär-Anatomie, Histologie und Embryologie der Freien Universität. Er war es jedenfalls, von 1987, mit dem Titel „Der Aufbau des Menschlichen“, Untertitel „Die Mitschöpfung der Lebewesen an ihrer Gestaltung“, zweiter Untertitel, jetzt wird es interessant, „Eine biologische Evolutionstheorie des konkreten Vitalismus“. Erstaunlich, dass 1987 ein Naturforscher mit Professorentitel der Freien Universität, den Mut hat, an die Öffentlichkeit zu treten mit einer Evolutionstheorie des konkreten Vitalismus. Ich habe ja im Sommersemester 1997 verschiedentlich auch diese ganze Frage behandelt, was heißt Vitalismus, Hans Triesch und so weiter. Inwiefern kann man da eventuell das Ganze von einer neuen Ebene aus denken? Ich habe mit Interesse angefangen das zu lesen, finde es hochspannend, auch was er…, bin noch nicht zu den eigentlichen Pointen vorgestoßen, was er nun vorstellt als eigene Evolutionstheorie. Aber es ist hoch spannend, und er äußert sich auch zu der Frage Vernunft und Verstand. Das will ich eben vorlesen, was er dazu sagt, am Ende des ersten Kapitels, und dem kann ich mich in der Grundrichtung anschließen, wie er also Verstand und Vernunft versucht zu trennen.

Jeder hat das eher instinktive Verständnis von Vernunft als einer höheren Ebene von Verstand. Das ist auch im Alltagssprachgebrauch leicht abrufbar. Vernunft ist mehr. Verstand ist so eine Art Ordnungs- oder Zusammenhangssinn für die sinnlich-physischen Phänomene, und Vernunft betrifft eine andere Ebene, eine Sinn-Ebene, eine Ganzheitsebene.

Ich lese mal diese Passage hier vor von Fritz Preuß aus dem Buch „Der Aufbau des Menschlichen“, ganz bewusst übrigens gegen Lorenz gerichtet mit dem Buch „Der Abbau des Menschlichen“: „Das unbeirrbare Vertrauen in die chemo-physikalischen Naturgesetze, das kritische Vertrauen auf das moralische Bewusstsein des unverbildeten Menschen und die Liebe zu allem Schönen sind verlässliche Führer überhaupt für Naturforschung.“, sagt er, ich glaube, das lässt sich schlecht bezweifeln. „Dabei ist streng zu unterscheiden zwischen Ding-Wissen, des für die Dingwelt zuständigen Verstandes und Sinn-Wissen der für die Wesenswelt zuständigen Vernunft.“ Also er unterscheidet zwischen Ding-Welt, auf die sich der Verstand bezieht, und Sinn-Wissen der für die Wesenswelt zuständigen Vernunft. „Das höchste Diesseits-Bewusstsein erreicht der voll bewusste Verstand als messlogisches Bewusstsein der Dingwelt.“ Eine sehr schöne Definition, messlogisches Bewusstsein der Dingwelt. Da ist die Logik drin, da ist das Messen drin, da ist die Dinglichkeit drin, also messlogisches Bewusstsein der Dingwelt. Die voll bewusste Vernunft wird darüber hinaus das sinnlogische Bewusstseins des Daseins. Also, er unterscheidet hier interessant zwischen Messlogik und Sinnlogik. „Die voll bewusste Vernunft wird darüber hinaus das sinnlogische Bewusstsein des Daseins. Dadurch prägt sie das Menschliche und ist für die irdische Schöpfung verantwortlich.“

Also, ich werde mir das in den nächsten Wochen sehr gründlich durchlesen und werde Ihnen dann im Sommersemester davon erzählen. Ich bin sehr gespannt auf diese Theorie, die hier dargestellt wird. Die ersten 30, 40 Seiten sind da schon sehr aufschlussreich, was immer da noch kommen mag, immer ein konkreter Vitalismus hier, in gewisser Weise auch eine neue Evolutionstheorie. Aber deswegen bringe ich es nicht. Ich sage das nur wegen der sehr schönen Unterscheidung von Messlogik und Sinnlogik.

Der von mir, wie sie wissen, geschätzte Philosoph Ken Wilber hat den Begriff der vision logic geprägt. In deutschen Ausgaben steht meistens dafür so Schau-Logik. Schau-Logik ist das, was eigentlich Vernunft bedeutet. Also Schau-Logik ist eine bestimmte Stufe, die über das eigentlich Mentale hinausgeht, im Grunde ein Stück weit schon eine transmentale, eine transrationale Ebene, also mehr als nur Ratio, ganz zu schweigen davon, dass [das] natürlich mehr ist als nur Intellekt. Und ich teile die Auffassung von Ken Wilber, übrigens auch die Auffassung von Johannes Heinrichs in dem Punkt, dass eine richtig verstandene Vernunft, Wilbers vision logic, wenn man sie konsequent betreibt und weiterdenkt, gewissermaßen eigengesetzlich in die Spiritualität führt.

Es ist also kein Widerspruch zur Spiritualität. Es ist kein Sprung in eine vollkommene geistige Anderswelt, sondern es ist ein gewisses Kontinuum, eine in bestimmter Weise konsequent, ganzheitlich oder auch integral vorangetriebene Vernunft, führt zum Spirituellen. Das kann man bei den deutschen Idealisten ganz deutlich auch feststellen. Das ist tatsächlich so. Das ist eine Denkbewegung, die letztlich noch einer weiteren Stufe bedurft hätte, die aber nicht erfolgt ist. Das ist ja immer wieder das Lamento vieler Historiker, auch des deutschen Idealismus gewesen, dass man festgestellt hatte, es ist ungeheuer viel angelegt gewesen, aber dann ist das Ganze durch den zunehmend gröber werdenden Materialismus plattgewalzt worden, und man hat heute Mühe, diese Denkansätze wieder zu verlebendigen, das ist mal wichtig.

Die Vernunft rührt an diese Grenze. Sie vermag sogar bis zu einem gewissen Grade diese Grenze zu überschreiten oder durchlässig zu machen. Das sagt übrigens auch Fritz Preuß schon im ersten Kapitel seines Buches hier. Er vertritt die These, dass die Vernunft, diese Sinnlogik, einen ersten Zugang eröffnet auch zu dem, was er Allbewusstsein nennt, was er nicht mystisch meint, sondern anders als das Grundbewusstsein des Universums überhaupt. Alaya vijana, wie das die Buddhisten nennen. Das taucht also bei Fritz Preuß auch auf. Ich finde das hoch interessant und werde mich da noch eingehender mit beschäftigen und werde Ihnen das auch dann mitteilen, was ich da herausgefunden habe.

Nun, eine neue Naturbetrachtung, die ja ein großes Thema ist, muss sich einer ganzen Reihe von aufwühlenden Fragen stellen und tut das auch, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll. Und zu den zentralen Fragen gehört natürlich immer wieder die Frage nach dem Zusammenhang des Stoffes und des Geistes bzw. der Seele, jetzt einmal nicht unterschieden. Und das muss man unterscheiden, das tue ich ja auch, Geist und Seele und Stoff bzw. Materie. Kurz gesagt, jetzt mal gnostisch, denken sie an das, was ich Ihnen von der Gnosis erzählt habe vor zwei oder drei Wochen. Gnostisch gesprochen: Wie kommt der Geist, wie kommt die Geistseele in den Stoff rein? Und wie ist dieser rätselhafte Zusammenhang von Geist und Stoff überhaupt zu fassen? Denn dass er rätselhaft ist, da besteht kein Zweifel dran. Und ich habe im Laufe der Jahre viele intensive Gespräche auch geführt, etwa mit dem homöopathischen Arzt Volker Rohleder, über diese Frage: Wie ist das eigentlich mit dem Verhältnis von Stoff und Geist? Denn ihn selber als Homöopathen hat immer wieder bis heute verwundert, manchmal erschreckt, wie es kommt, dass eine bestimmte Arznei, etwa Blei oder Phosphor oder was immer, in einer bestimmten Situation eine so weitreichende Wirkung auslösen kann, bis hinein in die psychische, mentale Befindlichkeit, ja bis an die Grenze der Persönlichkeit, also bis an die Grenze der Charakterstruktur, von der es ja immer heißt, die kann dadurch nicht angetastet werden, aber auch das ist mittlerweile nicht mehr so sicher.

In dem letzten Gespräch, was wir hatten über diese Frage, hat Volker Rohleder auch die Frage ventiliert, ob nicht doch bei bestimmten Hochpotenzen die Charakterstruktur mit ins Spiel kommt, dass also die tiefste Wesensstruktur des Menschen damit sozusagen tangiert wird, ja beeinflusst wird, was natürlich ein Riesenthema ist. Wenn Sie das interessiert, vielleicht haben sie es gelesen, am 25. Februar gibt es wieder eine Diskussion über diese Frage, über Homöopathie an der Urania, auch über die Frage, das ist ein Physiker, der da mitdiskutiert, und andere, im Podium über diese hoch spannende Frage, 25. Februar in der Urania. Gerade die Homöopathie macht das sehr deutlich. Und wenn sie daran denken, was ich im Winter 97/98 auch über Homöopathie gesagt habe, denken sie an das Zitat von Sloterdijk, der sagt, dass sozusagen kleine Subjekte in den Stoffen [sind], in der Arznei, das wirft da ungeheure Fragen auf.

Was heißt das denn überhaupt, wenn eine sogenannte anorganische Substanz in der Lage ist, so weitreichende psychische, mentale Veränderungen heraufzubeschwören und in Hochpotenzen, also in der vollständig entmaterialisierten Form, ja bis in die Charakterstruktur hineingreifen kann, ist ja kolossal weitgehend. Was ist dann dieser Stoff? Ich meine, Hahnemann hatte ja die Formel geprägt von der Geistartigkeit der Stoffe, er hat nicht gesagt, der Stoff ist der Geist selbst. Er hat nur gesagt, der Stoff ist geistartig. Und diese eher aperçuhafte Formulierung von Sloterdijk, dass er sagt, es gibt sozusagen kleine Subjekte in den Arzneien, also in der anorganischen Materie, gibt es eine Subjekthaftigkeit hat natürlich auch einen wichtigen Aspekt. Es könnte ja tatsächlich so sein, dass potentialita, die Subjekthaftigkeit, bereits in der anorganischen Materie angelegt ist. Es würde ja auch weitreichende Schlussfolgerungen nach sich ziehen. Die Fragen sind offen. Sie werden diskutiert, und sie sind wichtig, weil man gerade hier auf eine sehr praktische, direkte und auch nachprüfbare Weise diese Berührung sieht zwischen Materie, Stoff und Geist bzw. Seele.


Ich sehe, dass wir gerade Halbzeit haben. Ich mache mal eine kleine Pause, sagen wir mal mal zehn Minuten. Und dann… Ja, wir können immer weitermachen. Ich will auch kurz darauf hinweisen, dass die letzte Vorlesung von Johannes Heinrichs in 14 Tagen bzw. 13 Tagen am 16. Februar nicht um 18:00 Uhr, sondern um 16.00 Uhr in der Luisenstraße 56. Wer da kommen möchte, ein Kolloquium, ein Vortrag und Kolloquium, also am 16. Das ist der Montag, 15. Danke. Also der Montag gestern in 14 Tagen, heute in 13 Tagen, morgen um 12 Tagen, übermorgen 11 Tagen. 16 Uhr 15 Punkt 1. Punkt 2.

Ein mir bekannter Herr, Chemiker, hat mich in der Pause darauf hingewiesen, ich hätte hier den ontologischen Gottesbeweis von Anselm von Canterbury erneuert. Ich will da kurz mich dazu äußern, was diese Aussage betrifft, dass Philosophie nur denkbar sei, wenn es, so Schelling, das war ja das Zitat, im objektiven Gang der Dinge Weisheit gäbe, und andere Frage, ob man Weisheit und Gott gleichsetzen kann. Aber eben mal egal, sie wissen das vielleicht, ich darf sagen, also Anselm von Canterbury hatte, Scholastiker im Mittelalter, die These aufgestellt: Weil ich Gott denken kann, muss er auch existieren. Also, was ich denken kann, muss auch existieren, ist ja eine weitreichende These. Man kann das ja auch von verschiedenen Perspektiven aus sehen, etwa von der Mathematik aus, weil ich bestimmte Formeln denken kann, müssen sie existieren. Weitreichende These. Dieser Gottesbeweis, so wurde das hier nochmal in Erinnerung gerufen, sei doch nun hinlänglich widerlegt und ich würde sozusagen einen alten Hut herausholen, noch mal wieder Scholastik-Mittelalter Anselm von Canterbury.

Punkt eins ist, das wäre eine eigene Vorlesung, was genau dieser Gottesbeweis meint. Ist er unhaltbar? Ist er widerlegt worden? Ist er so überhaupt widerlegbar? Das ist eine ganz andere Frage. Die kann ich vollkommen offen lassen. Ich meine nicht, dass das ein wirklicher Gottesbeweis ist, den Anselm von Canterbury geführt hat. Und es liegt mir wahrlich fern, nun einen solchen hier in diesem Kontext zu führen, weil ich meine, dass diese Art von Betrachtung der Dinge uns hier nicht weiterführt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass im Ursprung der Philosophie der Gedanke immer präsent war, dass die Weisheit da draußen in den Dingen ist und dass sonst Philosophie zur Selbstbespiegelung wird, wenn das nicht der Fall ist. Das wurde es ja von einem bestimmten Punkt an, und das habe ich in Parallele gesetzt zu der naturwissenschaftlichen Grundüberzeugung, dass es so eine Art Ordnungszusammenhang in der Natur gibt, den man auch erkennen kann. Nur so macht Naturwissenschaft Sinn, sonst würde es ja eine reine Projektion sein. Ich befinde mich in einem vollkommen unbekannten, unwegsamen Terrain und projiziere etwas aus mir heraus. Das führt natürlich auf die Grundfrage bei diesen Fragen überhaupt nach Sein und Bewusstsein und Sein und Projektion. Was ist meine Projektion. und was kommt mir wirklich aus der Welt entgegen? Das ist wirklich sehr schwierig diese Frage. Wo projiziere ich, wo projiziert der Mensch, und wo kommt ihm etwas aus den Dingen selber entgegen? Das ist oft sehr schwer auseinanderzuhalten.

Man kann ja sagen: Was sind denn bestimmte Regelhaftigkeiten in der Natur, die ich mathematisch beschreiben kann? Sind das Projektionen? Oder kommt mir das aus den Dingen selber entgegen? Und ich fixiere das nur. Also die Frage, auch in der Psychologie ist es ja ungeheuer schwierig. Und das ist letztlich die Frage nach Sein und Bewusstsein, nicht, in der Tiefe. Was bestimmt eigentlich die Dinge, das Sein oder das Bewusstsein? Und dann, wenn man sagt, das Sein bestimmt das Bewusstsein, wie das Marx dachte, dann muss man fragen: Was ist dieses Sein? Und wenn man es umgekehrt denkt, wie das Hegel dachte, muss man fragen: Was ist dann dieses Bewusstsein? Das ist letztlich die Frage, um die es dabei geht. Die Frage ist schwer zu entscheiden.

Ich denke, dass immer beides vorliegt. Wir projizieren in die Welt hinein, und uns kommt etwas entgegen. Nicht nur, dass das Subjekt projiziert, dass ganze Epochen, ganze Zeitalter ja projektiv arbeiten. Es gibt ja Projektionen und kollektive Projektionen, die eine ganze Gesellschaft bestimmen über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende. Also ich wollte den Gottesbeweis von Anselm von Canterbury nicht erneuern.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass ein wichtiger Ausgangspunkt meines Ansatzes einer möglichen neuen Naturphilosophie der Grundimpuls ist, der Grundgedanke, der auch als eine Projektion abgewertet werden könnte, dass wir ohne eine neue Anthropologie, ohne ein neues Verständnis dessen, was der Mensch ist, nicht weiterkommen. Und zwar aus einem sehr einfachen Grunde, weil der Mensch erst einmal als ein Ich-Wesen sich selber als einziges Wesen unmittelbar wahrnehmen kann und dass [er] aus dieser Selbstbeobachtung heraus einen weiteren Schritt vollziehen kann. Das ist ja das Mysterium der Ichhaftigkeit des Menschen, dass sich jeder Einzelne sich selber nur unmittelbar begreift. Und das geht bis in die Leiblichkeit hinein. Man hat nur unmittelbar den eigenen Leib, während der andere Leib eben der andere ist.

Und die ganze Frage, ich und der Andere oder das Andere oder die Andere ist eine sehr tiefe Frage. Fast möchte ich sagen, in den Mittelpunkt rücken möchte [ich] die Frage nach dem menschlichen Leib, etwa festgemacht an dem Phänomen der Polarität. Ich werde dazu noch einiges sagen. Das ist mir eine ganz zentral wichtige Frage: Was ist eigentlich der Leib, der nicht einfach Körper ist, von außen. Also jeder von uns in diesem Raum, jeder ist natürlich auch Körper, der ein Gewicht hat, der ganz bestimmten physikalischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Aber gleichzeitig ist hier jeder Einzelne von seiner Innenperspektive aus als Körper auch Leib, das heißt gefühlter, durchseelter, belebter Leib. Und das ist mit keinem anderen zunächst einmal teilbar auf eine unmittelbare Weise. Da liegt der Punkt. Also, und da ist ein Ansatzpunkt. Ich meine, dass man über eine vertiefte Betrachtung des menschlichen Leibes in der Tat in der Lage ist, Weltzusammenhänge zu erkennen. Das setzt natürlich auch eine Prämisse voraus, die ich nicht verschweigen will. Die Prämisse ist folgende, sie ist in gewisser Weise eine holographische Prämisse.: Ich setze voraus, dass im Prinzip in jedem Teil, wie das in der Holografie auch der Fall ist, um mich jetzt dieses technischen Bildes zu bedienen, dass in jedem Teil in gewisser Weise das Ganze verschlüsselt ist, ja als Ganzes präsent ist, so dass also letztlich, wenn ich die Einzelheit in der Tiefe betrachte, ich auch auf die allgemeinen Gesetze kommen müsste. Das ist eine Grundannahme, also letztlich, letztlich ja auch die Annahme einer tiefen Einheit des Universums, so dass in jedem Einzelteil sich das Ganze spiegelt. Im Grunde bräuchte ich da nur ein Segment und könnte theoretisch und idealiter von diesem kleinen Segment aus die Weltzusammenhänge erschließen. Denn in jedem Teil der Welt bündelt sich alles, was diese Welt an Gesetzen, an Bewusstseinsimpulsen und möglicherweise auch an Wesenhaftigkeiten, auch am Göttlichen, wie man es nennen will, enthält. Das ist die Annahme. Warum nicht dann auch in der unmittelbaren Leibhaftigkeit, die man da auch als Ausgangspunkt nehmen könnte? Das ist ja der Ausgangspunkt des Tantrismus. Das habe ich ja auch versucht darzustellen. Und dann könnte man die Formel, die ja in der Chaostheorie verwendet wird, von der Selbstähnlichkeit heranziehen. Was bedeutet das? Das will ich Ihnen auch versuchen vorzustellen im Sommersemester. Dazu gleich mehr.

Nur noch zu einigen Grundmomenten, die eine mögliche neue Naturphilosophie enthalten könnte oder müsste. Ich habe schon einen Punkt genannt. Ich habe gesagt, dass man neu fragen müsste nach den sogenannten Naturgesetzen. Nicht, dass es möglicherweise eine Ebene gibt, von der aus die Naturgesetze emanieren. Und dass wir, wie das Roger Penrose vermutet, noch gar nicht die wahren und eigentlichen Naturgesetze kennen. Das ist eine wichtige Reflexion.

Was sind eigentlich diese sogenannten Naturgesetze, und wie kann man sie auf irgendeine Weise neu denken? Und das führt natürlich in Grundfragen auch hinein der Sprache. Das ist mir auch ein wichtiges Thema seit vielen Jahren. Die Dinge werden in einer bestimmten Weise benannt, und ich finde es nicht unwichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie nennen wir die Dinge? Man kann das ja sehr schön zeigen an dem Begriff der Energie, der mittlerweile eine solche Breitenwirkung gewonnen hat, dass er fast schon inflationär geworden ist und sich entwertet und entwertet wurde. Was ist schon Energie? Alles ist irgendwie Energie oder auch nichts. Also der Begriff Energie ist immer noch nicht ersetzt worden durch einen anderen Begriff, der genau die gleiche Spannweite hätte. Aber er neigt dazu, mittlerweile auszudünnen und inflationär zu werden, weil mehr oder weniger alles Energie ist. Das hat sich ja längst abgelöst von dem ursprünglich physikalischen Sinn. Aber gleichwohl ist es ein Ringen um diese Begriffe. Ich finde es kolossal wichtig, dass man sich wirklich ganz genau im Klaren ist, welche Begriffe verwende ich. Denn, wenn ich Energie sage, meine ich erst einmal eine Es-Haftigkeit, meine in gewisser Weise eine Anonymität. Ich meine ja nicht ein Wesen. Ich meine ja nicht ein subjektbezogenes, selbstreflexives Wesen. Ich meine ja jetzt nicht, ein, jetzt mal im Sinne der letzten Ergüsse von Rupert Sheldrake, ein Engelwesen oder eine höhere kosmische ichhafte Intelligenz, meine ich ja nicht. Dann müsste ich es ja nicht Energie nennen. Ich meine ja doch im Normalfall ein es-haftes Wesen. Und da liegt schon der Punkt, wie benenne ich die Dinge, und das finde ich wichtig, und dass die Philosophie darauf ein Augenmerk legt, wie die Dinge benannt werden; oder auch die Frage der Kräfte. Das habe ich ja im Zusammenhang mit Newton und auch der Quantentheorie angesprochen. Was sind wirklich Kräfte?

Wenn sie das genau verfolgen in der Geschichte der Naturwissenschaft, werden Sie feststellen, dass eine große Unklarheit herrscht darüber, was unter Kräfte verstanden wird. Was sind Kräfte? Sind das eigene immaterielle Wesenheiten, wie das Newton sah, immaterielle Wirkprinzipien. Er setzt manchmal anstelle von forces spirits. Interessant, Newton setzt manchmal spirit und force gleich. Also force ist auch spirit, ist also eine Geistwesenheit, eine immaterielle Entität. So hat das ja Newton tatsächlich gesehen. Ich habe das ja in meiner Newton-Vorlesung auch gezeigt. Er war da Dualist. Also was sind Kräfte?

Kräfte sind nicht die Materie. Sie bestimmen Materie, sie lenken Materie, sie durchdringen möglicherweise Materie. Aber was sind sie? Ich meine das nicht in einem nur ontologischen Sinne philosophisch, sondern auch naturwissenschaftlich. Die Frage ist offen. Eine schwierige, aber hoch interessante Frage, was sind sogenannte Kräfte? Da ist man genau bei dem nächsten Thema, das mir auch sehr am Herzen liegt, wie sie wissen, die Frage nach den Feldern. Nicht, was sind Felder? Eine Frage, die seit 150 Jahren immer wieder diskutiert wird, in den letzten Jahrzehnten auch in Zusammenhang mit der Frage nach den sogenannten biologischen Feldern. Was sind Felder? Sind das mathematische Abstraktionen von unverstandenen Zusammenhängen? Oder sind das eigene Entitäten, die tatsächlich aus dem Raum heraus wirken, also Wirkgrößen im Raum selber, im Raum oder sind es Wirkgrößen des Raums? Nicht, die Frage haben wir ja gestellt, sind sie im Raum, oder sind sie der Raum?

Ich habe ja den Begriff der Raum-Energie hier auch angeführt. Man kann ja auch sagen, es sind Potenziale, dass sie also als Potenziale noch hinter der eigentlichen Energie-Ebene liegen. Das sind schwierige Fragen, die aber wichtig sind. Und die Frage nach der möglichen Energie des Vakuums, die ich ja in der ersten Vorlesung im Januar hier dargestellt habe, hängt damit zusammen. Es ist ja auch die Äther-Frage, nämlich die Frage nach dem Raum-Äther, die ja wirklich zentral wichtig ist. Was ist der sogenannte Raum-Äther, wenn es ihn gibt. Oder ist der Begriff falsch? Bei der Frage des Feldes: Ist das Feld etwas anderes als Äther? Ist Äther nur eine Zustandsform des Feldes oder umgekehrt? Alles mehr oder weniger ungeklärte Fragen.

Dass da ein Zusammenhang besteht mit dem Lichtäther habe ich auch dargestellt, der ja als obsolet und überwunden und widerlegt gilt, der aber in vielerlei Hinsicht keineswegs tot ist, sondern eine merkwürdige Lebendigkeit zeigt. Man kann sogar sagen, die Äther-Frage scheint eine der Zentralfragen einer neuen Naturwissenschaft zu sein. Ich bin in der Tat der Auffassung, dass die Äther-Frage eine Schlüsselfrage ist. Und wenn man ein bisschen die Grenzbereiche der modernen Naturwissenschaft beleuchtet, dann stellt man auch fest, dass es tatsächlich so ist, dass die Frage nach dem Äther, verstanden auch als Raum-Äther oder als Potenzial des Raumes selbst, noch hinter dem Feld, eine zentrale ist, auch in verschiedener Weise gedacht wird, übrigens auch ganz stark in Russland. Einige Physiker in Russland, die haben das schon zu Zeiten der Sowjetunion gemacht, sind an diesen Themen dran. Asimov zum Beispiel aus der Russischen Akademie der Wissenschaften und andere beschäftigen sich mit diesen Fragen, versuchen da sehr weit vorzustoßen und lassen damit vieles in der herkömmlichen Physik weit hinter sich, ohne sich vollkommen von der herkömmlichen Physik zu lösen. Das sind so Grenzphänomene, Grenzgeschichten, also an der Grenze zwischen herkömmlicher Physik und einer, sagen wir mal, Außenseiter-Naturwissenschaft, um mal dieses Schlagwort jetzt hier zu verwenden, was der Arnim Bechmann verschiedentlich verwendet, also Außenseiter-Naturwissen-schaft. Es ist also eine Grenze zwischen Außenseiter-Naturwissenschaft und traditioneller Naturwissen­schaft. Auch diese Fragen sind wichtig, und ich habe mich verschiedentlich dazu geäußert.

Und wir müssen um diese Fragen ringen, weil wir sonst nicht weiterkommen. Die Frage der Felder, die Frage des Äthers sind zentral wichtig und auch die Frage, auch das war ja eine eigene Folge, nach den Zahlen. Also, es ist ja ein offenes Geheimnis fast, dass es jenseits der mathematischen Abstraktion, und viele Mathematiker selber dachten ja so, noch eine andere, eine tiefere Mathematik gleichsam gibt, von der diese herkömmliche Mathematik nur abgeleitet ist. Nicht, viele Mathematiker, auch berühmte Mathematiker, Henri Poincaré und andere, waren der Auffassung, Zahlen sind eigene seelisch-geistige Wesenheiten. Also eine Zahlenmystik auf relativ hohem Niveau wurde da vorgestellt. Wir kennen Numerologien aus allen Kulturen der Menschheit. Also es tut sich der Verdacht auf, sage ich mal, das möglicherweise, mit aller Vorsicht gesagt, vielleicht alle Numerologien der Menschheitsgeschichte, nicht, die bestimmten Zahlen bestimmte Bedeutung zuweisen, auch in den magisch-mythischen Kulturen und der Abstraktionismus der neuzeitlichen Mathematik, auf einem gemeinsamen Grund aufliegen, dass dahinter noch eine andere Zahlenordnung steht, was immer wieder auch vermutet worden ist, auch etwa in den harmonikalen Vorstellungen etwa von Kaiser, Rudolf Haase und anderen. Also die Frage nach der harmonikalen Ordnung, der Gestalt auch, dass man, Haase will da erforscht haben, Kaiser will erforscht haben, dass etwa Terzen und Quinten im Pflanzenreich Wirkprin-zipien sind.

Auch die Anthroposophen haben eine Menge interessanter Dinge erforscht. Also, gibt es da harmonikale Wirkprinzipien, die als eigene immaterielle Entitäten in die Materie reinwirken und Gestalt bestimmen? Warum spielt die Zahl 5 etwa im Pflanzenreich so eine große Rolle? Warum haben wir fünf Finger? Darüber denken ja auch Mathematiker und Chemiker nach, wie etwa Peter Plichta, der sich ja mit den Fragen intensiv beschäftigt hat. Also auch das ist eine aufwühlende Frage, der sich eine neue Naturphilosophie stellen muss: Die Frage nach der Zahl.

Ich halte es also für entscheidend wichtig, neben der Frage nach der Energie, nach der Kraft, auch die Frage nach der Zahl. Im Moment ist es ja so, dass es vollkommen auseinanderklafft. Da gibt es die Mathematik. Und dann gibt es auf der anderen Seite die Numerologie, Zahlen-Aberglauben, Zahlenmystik, mythisch-magisches Bewusstsein, mythisch-magisches Verständnis der Zahl. Und im Mittelfeld, kann man sagen, gibt es diese harmonikalen Vorstellungen, die ja häufig mit der Musik in Zusammenhang gebracht werden, nicht, worüber ich ja auch verschiedentlich mich geäußert habe und ja auch dazu einiges geschrieben habe, obwohl ich da in keiner Weise meine, irgendwelche sehr weitreichenden Dinge gesagt zu haben. Das ist auch noch ein offenes, schwieriges Feld, was aber hoch spannend ist, was, denke ich, auch nicht ausgeklammert werden darf in dem Zusammenhang.

Eine weitere, ganz wichtige Frage, über die ich mich auch mit dem Marco Bischof, der hier im Sommersemester als ein Gast auch sprechen wird, unterhalten habe, ist die Frage nach diesem merkwürdigen Zusammenhang in lebenden Organismen von Schwere, Gravitation und Licht im Sinne einer Schwereverminderung über das Licht, Stichwort Bio-Gravitation. Das ist ein noch weitgehend unerforschtes oder nur partiell erforschtes Gebiet, die Frage, ob tatsächlich eine, sozusagen eine Schwere-Verminderung über das Licht sich vollzieht, etwa in lebenden Organismen, ob vielleicht die Metaphorik, die wir anwenden, wenn wir sagen, ich bin erleichtert, ich fühle mich belastet, ob das nicht viel realer zu verstehen ist und keineswegs nur metaphorisch. Es gibt da viele interessante Überlegungen, auch im Zusammenhang mit Interpretationen der Homöopathie. Ich habe das aus dem Buch „Bio-Photonen“ von Marco Bischoff entnommen. Also auch das ist eine hoch spannende Frage, die Frage überhaupt des Lichtes in lebendigen Zusammenhängen, im Organismus, und dann auch die Frage, wie weit das tatsächlich antigravitativ wirkt.

Sie denken vielleicht daran, oder sie können daran denken, was ich Ihnen versucht habe zu zeigen im Zusammenhang mit der projektiven Geometrie von Georg Adams, ein Physiker und Mathematiker, der sich unter anderem auf Steiner bezieht, auf diese Gegenüberstellung von ätherischem Raum und physischem Raum, nicht, also Äther-Raum nach außen und der physische Raum, der zentriert nach innen, gravitativ zum Zentrum zieht oder saugt. Also diese Fragen sind auch wichtig und werden behandelt, und ich versuche mich den Fragen zu stellen, obwohl ich weiß, dass sie ungeheuer schwierig sind, also dieser Zusammenhang.

Und dann ist ein weiterer wichtiger Punkt, den ich auch immer wieder anspreche, ist die Frage der Seins-Ebenen. Ich benutze es mal jetzt bewusst unscharf, ich meine jetzt nicht Ebenen des Seienden, sondern Seins-Ebenen. Die Frage der Seins-Ebenen, von welchen Ebenen reden wir, wenn wir sprechen. Hat die Wirklichkeit, ist die Wirklichkeit in sich eine gestufte, eine in diesem Sinne hierarchische oder holarchische Wirklichkeit? Gibt es Ebenen in der Wirklichkeit? Und verwechseln wir nicht manchmal die eine Ebene mit der anderen? Also die Frage der Ebenen, es mag bestimmte Gesetzlichkeit auf einer Ebene geben, also zum Beispiel auf der physikalischen Ebene. Gelten die gleichen Gesetz-mäßigkeiten noch auf der chemischen Ebene? Gelten die gleichen Gesetzmäßigkeiten noch auf der biologischen Ebene, oder sind da ganz andere, weitergehende Wirkprinzipien, die in gewisser Weise die Wirkprinzipien der unteren Ebene überschreiten, transzendieren, in gewisser Weise auch enthalten oder gar aus den Angeln heben? Nicht, ich erwähne ja oft dieses Beispiel der willensbestimmten Bewegung des Leibes, was man sich nicht oft genug klarmachen kann.

Die meisten denken darüber nicht nach, dass es ein Mysterium ist, wieso es überhaupt möglich ist, dass der Mensch kraft seines Willensimpulses seinen eigenen Körper bewegen kann. Wenn er das wirklich könnte, wenn er es wirklich kann, wirklich kraft seines Willens, wird in jedem Augenblick, alles, die gesamte Naturgesetzlichkeit aus den Angeln gehoben, denn ein Energietransport ist nicht nachweisbar. Also was passiert da? Wo gibt es Stellen im Körper, im Gehirn, wo gewissermaßen Freiheitsspielräume sind? Da hat man natürlich dann die Quantentheorie ins Spiel gebracht, wie das John Eccles in seinem letzten Buch gemacht hat. Also auch eine sehr interessante Frage, wie ist das möglich? Wenn man es nämlich vollkommen verneint, macht man den Menschen zum Automaten, was man ja radikal auch dann tun kann. Dann wäre die Willensfreiheit eine pure Illusion und damit auch die moralische Zurechnungsfähigkeit des Menschen. Denn einer kann nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, wenn er gar nicht hat anders handeln können. Also die Frage ist dann auch eine moralisch-politische Frage. Gibt es so was wie Willensfreiheit? Die kann man dann auch naturwissenschaftlich weiterverfolgen. Und da ist das Buch von John Eccles, das ich ja mehrfach angeführt habe, hochinteressant, weil er den Versuch macht, da Ansatzstellen zu finden für das Geistselbst, also Ansatzstellen in den Synapsen. Das sind Fragen, die alle wahrscheinlich, und das ist meine Vermutung, in der Tiefe zusammenhängen. Das sind alles Fragen, die offen sind, aber die wahrscheinlich einen tiefen inneren Zusammenhang haben.

Auch die Frage, als letzte, der Dimensionen, die ja nicht nur eine mathematische ist. Ich habe das ja auch mehrfach angesprochen. Was ist mit möglichen anderen Dimensionen? Mathematisch kann man das postulieren. Man kann mit n Dimensionen rechnen und dem sog. Hilbert-Raum in der Quantenmechanik. Das kann man machen. Es gibt verschiedene Modelle, etwa [von] Burkhard Heim, mit 12 Dimensionen zu rechnen. Das ist möglich, mathematisch. Die Frage ist nur: Wie sieht es ontologisch aus? Sind diese Dinge.., haben diese Dimensionen einen realen Grund? Jetzt im Sinne des Anselm von Canterbury: weil ich sie denken [kann], sind sie wirklich? Oder sind sie nur Konstrukte des Geistes und haben gar keinen Wirklichkeitsgrund? Eine auch offene Frage: Wieviel Dimensionen gibt es wirklich? Was ist überhaupt eine Dimension? Und wie wirkt sie. Auch das sind Fragen, die damit eng zusammenhängen.

Das führt natürlich auch in die ganzen Grenzphänomene hinein, in die Parapsychologie, die Frage von UFOs und so weiter. Das ist alles diese zentrale Frage nach den Dimensionen, und das ist offen. Auch da plädiere ich ja immer, seit Jahren, für eine unverkrampfte Phänomenologie, wenn man sich einfach mal die Phänomene anguckt. Ich möchte es auch jetzt wieder tun. Da bin ich geradezu ein leidenschaftlicher Verfechter einer Phänomenologie. Lasst uns die Phänomene angucken, die da sind und nicht vorschnell in eine verengende, häufig genug ja auch nivellierende Interpretation hineingeraten. Auch, dass man das aushalten kann, dass man das Phänomen nicht erklären kann, aber es ist ein Phänomen. Und auch da ist ja ein gewisser Trend, dass bestimmte Phänomene besetzt sind durch bestimmte Interpretationen und von vornherein mit diesen Interpretationen zusammen an die Öffentlichkeit geraten, so dass das Phänomen gar nicht mehr getrennt werden kann von seiner Interpretation, was ich bedauerlich finde. Nicht, also das UFO-Phänomen, da wird gleich eine bestimmte Interpretation mitgeliefert von manchen, die aber nicht stimmen muss.

Aber das Phänomen bleibt, wenn es denn ein Phänomen ist, oder man sagt, es sind gar keine Phänomene. Da sind wir dann wieder bei dem Punkt, was sind wirkliche Phänomene, wieder letztlich: Sein ‒ Bewusstsein, Sein ‒ Projektion. Wo projizieren wir, wie können wir dann projizieren? Wie ist das überhaupt möglich?

Also das sind alles Fragen, die mich seit vielen Jahren beschäftigen und die ich auch hier in den Vorlesungen immer wieder vorstelle. Und es sind die schwierigsten Fragen, die man sich überhaupt denken kann bei der Frage der Naturbetrachtung.

Ich will jetzt mal einen kurzen Überblick geben über das Sommersemester, wie ich mir das vorstelle, wenn sie vielleicht mal bitte den Zettel, das Blatt zur Hand nehmen. Das sind zwölf Vorlesungen. Das Rahmenthema heißt „Das lebende Buch der Natur“. Das habe ich vor sieben Jahren schon mal genommen, diese Formel, in einem anderen Kontext, es ist eine Metapher aus dem Mittelalter, das Buch der Natur, die ich hier aufgreife, Teil 1 „Tiefen-Ökologie und neue Naturphilosophie“. Ich gehe mal gleich in den Zentralbereich hier der Themen, nämlich die fünfte Vorlesung 18.5., 25.5., 1.6., 8.6.. Im Zentrum des Semesters soll stehen die Frage der Polarität.

Ich habe ja immer in einem Semester einen bestimmten Fokus. Das war einmal Innerer Raum. Das war auch mal die Frage der Geomantie, im Sommer 97, und das soll jetzt sein die Frage der Polarität. Ich will versuchen, dieses Grundprinzip, Bauprinzip der Natur an drei Beispielen, an drei Facetten, an drei Perspektiven zu zeigen, und zwar einmal an der räumlichen Komponente festmachen von oben und unten und außen und innen. Es ist ja, wenn man das vom Leib aus denkt ja signifikant, der menschliche Leib hat nicht nur ein rechts und links, ein oben und unten, vorne und hinten. Er ist in bestimmter Weise gebaut, was ja auch traditionelle spirituelle Systeme immer gewusst haben. Die haben damit ganz bestimmte Werte verbunden, etwa das Chakren-System. Das oberste Chakra ist das zum Kosmos geöffnete, was aber nur geöffnet werden kann, wenn alle anderen Chakras ebenfalls integriert sind. Aber dieses Thema von oben und unten und von Öffnung zum Kosmos und Erdung und mit dem Menschen als einem mittleren Bereich, als ein Mesokosmos, der Mensch als mittlerer Kosmos, als Mesokosmos. Da kann man also aus dieser Betrachtung eine Menge ableiten und auch ableiten, wenn man jetzt die außen-innen-Polarität überträgt auf Bewusstsein und Sein. Denn Außen und Innen ist ja nicht nur räumlich buchstäblich außen und innen, sondern ist ja auch geistig außen und innen. Im Mittelalter ist es ja nicht geschieden worden, da war ja das Innen im Sinne von jenseits auch das, was außen war, nämlich oberhalb der Fixsternsphäre, nicht, das Jenseits war ja da drüben, woanders. Und diesen Zusammenhang auch von innen und außen im Leib, dass ja der Mensch seine eigenen inneren Organe, die innen sind, eigentlich sind sie außen, sie sind innen, physisch. Aber das ist das, was ihm am allerfremdesten ist, was mit seiner Identität am wenigsten zu tun hat. Insofern sind die inneren Organe, die eigentlich innen sind, im Grunde außen, das Äußerste, das Äußerlichste, und das Äußere ist eher das Innere, weil es die Menschen als Menschen überhaupt kennzeichnet.

Also da sind interessante Einsichten zu gewinnen. Das will ich versuchen, auch im Zusammenhang mit der Frage der zeitlichen Komponente, die natürlich sofort die Frage nach dem Rhythmus aufwirft, also die Elementarerfahrung von Rhythmen, die auf vielfältige Weise das organische Leben bestimmen, auch das geistige, das mentale Leben, das erotische Leben bestimmen, die Frage der Rhythmen. Was heißt das, was für Schlussfolgerungen kann man daraus ableiten von dieser Pulsation im Kosmos, also Rhythmus oder Werde-Prinzip, Werde-Prozess? Und dann in einem weiteren Schritt auch die Frage: Stoff, Geist, Seele immer wieder neu nochmal am Organismus gestellt. Primär, ich sage es nochmal, ausgehend vom Menschen, weil wir haben nur in uns selber und durch uns selber diese unmittelbare Erfahrung. Wir sind ja ein Stück weit dieser Leib. Wir haben ja die unmittelbare Erfahrung unsererselbst und können da ansetzen. Das ist wichtig. Da haben wir uns selber und wenn das Analogie-Prinzip richtig ist, was ja immer wieder angewandt wird in der Naturphilosophie, auch in der Naturwissenschaft, dann ist es auch legitim, analog zu schließen. Es ist nicht nur ein poetisches Schließen, sondern es ist ein Schließen, was mit Wirklichkeit zu tun hat, Analogie, Ähnlichkeit. Ohne das Analogie-Prinzip kann man gar nicht erkennen, es ist fundamental wichtig.

Und ich habe dann am 25.5. hier den Marco Bischoff eingeladen, der hier auch ein paar Mal war, in den Vorlesungen, ein Schweizer Privatgelehrter und Wissenschaftsautor, hat eine Menge geschrieben, hoch interessante Sachen, unter anderem zu biologischen Feldern. Wichtig sein Buch, ich habe es erwähnt “Bio-Photonen ‒ das Licht in unseren Zellen”. Nach diesem Untertitel ist auch dann der Vortrag benannt “Das Licht in unseren Zellen”. Das kriegen sie nicht im normalen Buchhandel, ist bei ZweitausendEins nur zu bekommen, in der Kantstraße. Also “Licht in unseren Zellen ‒ Zur Frage biologischer Felder”, eine Frage, zu der ich mich ja verschiedentlich geäußert habe, schon vor anderthalb Jahren in unterschiedlichen Kontexten, was sind überhaupt biologische Felder? Wie kann man das denken? Und da ist der Marco Bischoff einer der besten Kenner zu diesem Thema. Und da haben wir uns darauf geeinigt, dass er über dieses Thema sprechen wird.

Ich will dann am 15. 6., ich lasse mal jetzt die Präliminarien hier weg, es sind nicht nur Präliminarien, sind auch zentral wichtig, aber ich mache das jetzt mal nicht chronologisch. Am 15. 6. will ich mich der Frage der Farben stellen. Ich habe hier mal, vor drei Jahren glaube ich, hier den Bodo Hamprecht gehabt, oder vor vier Jahren, über die Farben, Goethe-Newton-Kontroverse aus der anthroposophischen Sicht. Da muss ich auch sagen, es ist ein Thema, was die Anthroposophen besetzt halten. Das ist schade, weil man kann es auch außerhalb der Anthroposophie behandeln, und das will ich tun. Also das Thema der Farben noch auf eine neue Weise aufgreifen, weil in den Farben sich auf eine einmalige Weise Sein und Bewusstsein, Subjekt und Objekt verschwistern. Denn die Farbe ist kein Ding da draußen, sie ist nicht festmachbar, sie ist nur über und durch ein lebendiges Subjekt das, was sie ist, nämlich Farbe. Farbe, ist nicht objektiv vorhanden, in diesem Sinne wie ein Stuhl oder ein Tisch vorhanden ist oder ein Gegenstand. Das ist dann nur [eine] messbare Energiewelle, aber das ist nicht die Farbe. Die messbare Energiewelle ist das eine, die Farbe ist das andere. Da gibt es Korrelate. Aber was heißt das für die Wahrnehmung? Und da ist die Farbe, finde ich, ein wunderbares Beispiel für diesen Zusammenhang, für diese Verschwisterung von Subjekt und Objekt.

Und das ist auch bei dem nächsten Thema dann der Fall, bei dem Versuch, das hab ich noch niemals in der Öffentlichkeit gemacht, die klassische Elementelehre auf eine neue Weise zu betrachten, also die aus der Antike herrührende Vierteilung der Elemente, man kann das fünfte dazunehmen, die quinta essentia, den Äther. Das kann man auf eine naturphilosophische Weise neu betrachten und neu denken. Und das finde ich ein hoch spannendes Thema. Da gibt es ein sehr schönes Buch der Gebrüder Böhme, des Naturphilosophen Gernot Böhme und seines Bruders Hartmut Böhme über die vier Elemente. Also, Darmstädter Professor für Naturphilosophie, Gernot Böhme.

Dann am 29.6. die Frage nach den Pflanzen, habe mich ja in meinem Buch „Was die Erde will” dazu auch geäußert und will das noch mal hier darstellen, auch unter Einbeziehung der psychoaktiven Pflanzen, weil über die extreme Wirkung, die psychoaktive Pflanzen auslösen, wird etwas Grundsätzliches deutlich. Auch natürlich durch die Arzneien, durch die Nahrung, durch die Ernährung auch. Da sind wir bei einem ganz wichtigen, entscheidenden Thema. Also es geht nicht nur um psychoaktive Substanzen, Pflanzen, es geht auch um die Pflanze überhaupt im Wechselverhältnis, auch über die Frage der Ernährung und der Arzneien. Und in den ersten Vorlesungen geht es nochmal um Grundfragen, die das Ganze philosophisch-erkenntnistheoretisch formulieren. Wenn ich die Metapher verwende vom Buch der Natur: Was heißt das? Das will ich darstellen, warum das sinnvoll ist, so eine Metapher zu verwenden, warum das wirklich was bringt, Erkenntnis erhellend wirkt, nicht nur einfach eine blumige oder poetische Metapher darstellt, sondern dass das wirklich was leistet. In welcher Sprache ist das Buch geschrieben, wie sieht es aus, wie dick ist das Buch? Können wir das lesen? Müssen wir die Sprache lernen? Und so weiter.

Und dann die Grundfrage überhaupt nach dem Naturbegriff und nach der Tiefen-Ökologie will ich dann stellen und auch noch mal erläutern, was ich unter Integraler Tiefen-Ökologie verstehe. Ich denke, dass da ein breiter Fächer aufgemacht ist zu dieser Thematik und hoffe, dass ich das auf eine angemessene Weise darstellen kann.

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Wie wird der Kosmos zum Oikos (Heim)?

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 13

Transkript als PDF:


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Ich habe das heute genannt: „Wie wird der Kosmos zum Oikos“. „Oikos“ ist ein Wort aus dem Griechischen, Haus oder Heim [bedeutend]. Daher kommt ja auch Ökologie, Oikologie eigentlich, der Logos vom Heim oder Haus, das ist ja gemeint. Nun, ich will das versuchen zu erläutern.

Zunächst aber die Anknüpfung an die letzte Vorlesung. Wir hatten ja ein Thema, das sehr komplex, sehr schwierig und auch sehr subtil ist, ein Grenzthema, ein Thema, das sich wirklich an den Randzonen der normalen Diskussionen bewegt. Trotzdem meine ich, dass das Thema fundamental wichtig ist und in eine zentrale Schicht der Frage Mensch-Natur, Mensch-Erde, Mensch-Kosmos hineinreicht. Es ist ja im Letzten eine Frage der Anthropologie, der Lehre vom Menschen, des Logos vom Menschen: Was ist der Mensch? Das ist ja die Leitfrage, der man sich immer stellen muss. Ja, auch in der ganzen Ökologie-Diskussion ist ja die Frage: Was ist der Mensch? Ist der Mensch ein Bios-Wesen, ein höheres Tier?

Es gibt ja eine ganze Reihe von Argumenten erst einmal, die man anführen kann, dass es sich so verhält. Dann hat man eine ganz andere Form der Betrachtung auf Natur, Mensch und Kosmos. Aber ich kann sagen, der Mensch ist in der Tiefe ein Geistwesen, [so wie] Hegel [das] gesehen hat. Der Mensch ist ein Geistwesen. Dann ist die Frage, wenn er dann ein Geistwesen ist, wie sieht es dann aus mit seiner Leiblichkeit, mit seiner Körperlichkeit? Ist das ein Außerhalb? Ist das ein fremdes Etwas an diesem Geistwesen? Oder wie steht das zueinander? Oder der Mensch ist primär in der Tiefe, substanziell Seele: Was hieße das dann für das Verhältnis zum Geist und zum Körper? Schwierige Frage, um die ja seit Jahrhunderten gerungen wird. Und ich meine, es ist wichtig, sich klarzumachen, dass der Mensch auch ein kosmisches Wesen ist.

Ich habe hier über den Begriff des „Kosmos“ mehrfach gesprochen, was das heißen könnte, und was das auch traditionell heißt, also: Schönheit, Ordnung, Schmuck. Und in der griechischen Antike war ja Kosmos nicht einfach das materielle Weltall, das Universum, wie das später der Fall war, sondern war eine Ganzheit, eine Gesamtheit, die den Menschen in seiner seelisch-geistigen Struktur einbezieht und auch die Götter, also von vornherein wesentlich weiter gefasst. Kosmos mit dem Akzent auf dem „o“.

Ken Wilber in seinen Büchern, seinen letzten Büchern, unterscheidet dann Kosmos, mit „k“, Griechisch, und dann cosmos, mit „c“, klein geschrieben, Englisch. In den deutschen Übersetzungen ist es dann Kosmos mit Akzent und ohne Akzent, ‒ Kosmos ohne Akzent, einfach das materielle Universum, und Kosmos mit Akzent ist die Gesamtheit der physisch- sinnlichen und metaphysischen, übersinnlichen, geistig-seelischen Existenz, also das Ganze. Und wenn man fragt, wie der Kosmos zum Oikos wird, dann kann man ja zunächst grundlegend die Frage stellen: Warum soll er das dann überhaupt [sein]? Warum soll denn der Kosmos, wie immer er nun vorgestellt wird, überhaupt so etwas wie der Oikos oder das Heim, das Haus des Menschen sein? Er muss es ja nicht, könnte man meinen. Und es gibt ja ganze Anthropologien, die darauf aufbauen, dass das Eigentliche und Wesentliche des Menschen eben gerade nicht kosmisch ist.

Ich habe ja schon ein Beispiel angeführt aus der Gnosis, dass andere Denkfiguren, die das Wesen des Menschen gerade in seinem Nicht-Kosmisch-Sein ansetzen, nicht, also der Erlösungsgedanke etwa wurzelt ja darin. Da wird ja der Mensch als ein metaphysisches Wesen betrachtet, das in irgendeiner Form sich irgendwann aus dem Physisch-Sinnlichen herauslöst und dann in eine Existenzform übergeht, die eben nicht mehr materiell, energetisch, auch nicht mehr in irgendeiner Form gestalthaft, sinnlich ist und sich so definiert in gewisser Weise als etwas Akosmisches. Besonders radikal ist das ja im zweiten, dritten, vierten Jahrhundert nach Christus gedacht worden in der großen Konkurrenzströmung zum Christentum, eben in der Gnosis.

Es ist ja hochinteressant, wenn man diese Zeit sich klarmacht, zweites, drittes, viertes Jahrhundert, im untergehenden oder Weltreich des Imperium Romanum, was da an Gegensätzen existiert hat; das ist ganz modern, wenn man das so nennen will, ein brodelnder Kessel von Strömungen. Die drei mächtigsten waren der Neuplatonismus, das aufkommende Christentum und eben diese Gnosis. Und die Gnostiker haben auf eine sehr radikale Weise den Menschen gerade als akosmisch gedacht. Das habe ich ja auch schon angedeutet, das ist wichtig. Also man muss zunächst einmal den Menschen ja nicht kosmisch denken, man kann ihn ja auch akosmisch denken. Dann muss man natürlich genau sagen: Was meint man mit Kosmos? Die meisten, die in der Antike, in der Spätantike dann ein akosmisches Menschenbild aufgestellt haben, meinten mit Kosmos primär die Natur, die physisch-sinnliche Natur, das Werden und Vergehen, das Blühen, Wachsen, Sterben, das Ganze, was unsere physisch-leibliche Existenz ausmacht, das meinten sie mit Kosmos. Und aus diesem Kosmos galt ein Herauszukommen als höchstes Bestreben der Seele. Ich will das gleich noch mal erläutern, weil das zentral wichtig ist für unsere ganze Frage.

Es gibt ja nicht nur eine kosmische Spiritualität, es gibt auch eine akosmische Spiritualität. In gewisser Weise, kann man sagen, mit Einschränkungen, müsste man das festhalten, ist die christliche Spiritualität eine akosmische Spiritualität. Es gibt Unterströmungen im Christentum, selbstverständlich. Die hat es immer gegeben, die den Versuch gemacht haben, das Kosmische, die kosmischen Rhythmen, die kosmischen Zusammenhänge in die christliche Ideologie einzubeziehen. Aber im Grundimpuls lässt sich kaum leugnen, dass die christliche Erlösungsidee eine akosmische Erlösungsidee war. Dazu muss man nicht nur die berühmte Johannes-Apokalypse lesen, wo letztlich der ganze Kosmos in ein Flammenmeer aufgeht und dann eine überirdische, übersinnliche Existenz am Ende steht, das „neue Jerusalem“ usw., auf jeden Fall etwas, was mit dem Kosmos nichts zu tun hat. Genau das hat ja den Christen den Vorwurf eingetragen, etwa von Plotin und den Neuplatonikern, sie seien Feinde des Kosmos. Das war ja einer der Hauptvorwürfe der Neuplatoniker [wie] Plotin, Iamblichos, Porphyríos, Proklos und andere, Celsus, der eine richtige Kampfschrift gegen die Christen abgefasst hat.

Es ging immer wieder um den einen zentralen Vorwurf, die Christen wollen letztlich den Kosmos zerstören, weil, sie haben eine Vorstellung von Erlösung, von Spiritualität, die sich überhaupt nicht vereinbaren lässt mit einer kosmischen Ordnung, also einer schön gefügten, göttlich-harmonischen Ordnung. Die wurde ja gerade abgelehnt, bis hin zu der Vorstellung, das habe ich ja schon mal angedeutet, dass einige der radikalen Gnostiker davon ausgingen, dass es zwei Götter gibt. Es gibt sozusagen den einen Gott, der ein überweltlicher, transzendenter Gott ist, ein reines Geistwesen. Der hat aber gar nicht die Welt geschaffen, also interessante Denkfigur, sondern der Demiurgos, der Weltenschöpfer, ist ein eher untergeordneter Geist, ein eher untergeordneter Gott, der hat die Welt geschaffen, und zwar sehr unvollkommen, leidvoll geschaffen. Und es kann nur das oder könnte nur das Bestreben des Menschen sein, sich aus diesem Leidvollen in irgendeiner Form herauszubegeben. Also radikal, die berühmte Zwei-Götter-Lehre in der Gnosis.

Auch das zieht sich bis ins 20. Jahrhundert. Ich habe ja letztes Mal das schon kurz angedeutet, ich habe mal zwei Beispiele hier aus einem Sammelband über die Gnosis mitgebracht, wo die Linie gezogen wird, diese Linie, die akosmische Geistigkeit bis zum Existenzialismus. Zwei kurze Beispiele mal. Der berühmte Philosoph Hans Jonas, auch einer der großen Denker der ökologischen Krise, also ein Mann, der wirklich versucht hat, die ökologische Krise zu verstehen und neu zu denken, also Hans Jonas hat sich auch intensiv mit der Gnosis beschäftigt. Er schreibt zum Beispiel dazu ‒ es gehört zu der Frage: Ist der Kosmos ein Oikos? Ist das so etwas wie Heimat? Könnte er das sein? „Bevor wir weitergehen, lass uns fragen, was hier passiert ist“, sagt Hans Jonas, „mit der alten Idee des Kosmos als eines göttlich geordneten Ganzen“. Er meint jetzt in der Gnosis, zweites, drittes, viertes Jahrhundert. „Nichts der modernen Wissenschaft Ähnliches war beteiligt an dieser katastrophalen Entwertung und geistigen Entleerung des Universums. Wir brauchen nur zu beobachten, dass in der gnostischen Epoche dieses Universum gründlich dämonisiert wurde. Dennoch führt eben dies zusammen mit der Idee vom transzendenten akosmischen Selbst“ ‒ hier taucht auch der Begriff auf ‒ „zu eigentlich eigentümlichen Analogien und Phänomenen des Existenzialismus in unserer Zeit. Was, wenn es nicht Wissenschaft und Technologie waren, veranlasste für die fraglichen Gruppen damals den Zusammenbruch der klassischen Kosmosfrömmigkeit, auf der so viel von der antiken Ethik beruhte?“

Also ganz wichtig hier der Gedanke, dass ein Großteil der antiken Ethik, partiell noch bei den Römern, primär aber bei den Griechen, auf einer Art von Kosmosfrömmigkeit beruhte. Der Kosmos war eben ein Bild, ja das Urbild, der Archetyp des geordneten Zusammenspiels, Zusammenklingens der Harmonie der Sphären. „Nietzsche bezeichnete die Wurzel der nihilistischen Situation mit den Worten ,Gott ist tot’“, nicht, berühmter Satz von Nietzsche, und meinte primär den christlichen Gott. „Die Gnostiker, hätten sie die metaphysische Basis ihres Nihilismus“, behauptet Hans Jonas, kann man jetzt kritisieren, auch interpretieren, kann man erstmal so stehen lassen, stimmt das? ‒ also „hätten sie die metaphysische Basis ihres Nihilismus ähnlich formulieren wollen, hätten nur sagen können: Der Gott des Kosmos ist tot. Das heißt als Gott. Er hat für uns aufgehört, göttlich zu sein und unserem Leben Richtung zu geben.

In einem paradoxen Sinne passt dies auch auf die gnostische Position. An sich ist natürlich ihr extremer Dualismus das gerade Gegenteil einer Aufgabe der Transzendenz. „Der außerweltliche Gott“, nicht, davon habe ich gesprochen, „der reine Geist-Gott, der eben nicht die Welt geschaffen hat, stellt sie ja in der radikalsten Form dar. In ihm ruft das absolute Jenseits durch die kosmischen Sphärenhöhen hindurch. Aber diese Transzendenz, anders als die Ideenwelt Platons oder der Weltherr des Judentums, steht in keiner positiven Beziehung zur sinnlichen Welt. Sie ist nicht deren Essenz oder Ursache, sondern ihre Verneinung und Aufhebung. Der vom Demiurgen verschiedene gnostische Gott ist der total Andere, Fremde, Unbekannte. Wie sein innermenschliches Gegenstück, das Pneuma, also die Geistsubstanz des Menschen, dessen verborgene Natur [sich] nur in der negativen Erfahrung der Andersheit und der undefinierbaren Freiheit offenbart, hat dieser Gott mehr vom Nihil als von Ens an sich. Eine Transzendenz ohne normative Beziehung zur Welt gleicht einer Transzendenz, die ihre wirkende Kraft verloren hat“ … und so weiter.

Also, eine ganz klare Aussage. Die gnostische Spiritualität war eine in der Tiefe akosmische Spiritualität.

Ich behaupte, dass es beim Christentum auch der Fall war, was auch keine originelle Einsicht ist, das ist immer wieder gesagt worden, dass auch das Christentum letztlich eine akosmische Spiritualität favorisiert hat, in gewisser Weise, in diesem Sinne auch den Grund gelegt hat für eine Haltung zur Welt, die dann auch unter anderem zur ökologischen Krise geführt hat. Schon Eugen Drewermann, prominenter Christ, hat das Anfang der 80er Jahre in einem Buch ausdrücklich so festgehalten. Noch einmal Jacob Taubes, ein Religionsphilosoph: „Auszugehen ist von der gnostischen Welterfahrung. Kosmos heißt auch in gnostischer Sprache Ordnung und Gesetz. Aber das Vorzeichen, diese Vokabel im Griechischen, wird verkehrt. Ordnung, also einst die lebendige, klingende Ordnung, die auch schön ist, Ordnung führt zur starren und feindseligen Ordnung, Gesetz zum tyrannischen und bösen Gesetz. Aber in dieser Veränderung des Vorzeichens wird nicht nur ein Plus in ein Minus verwandelt und dem antiken Kosmos alle positive Qualität entzogen, sondern das kosmologische Schema der Antike grundlegend verändert, denn die Vorstellung von der Grenze, die dem antiken Kosmos eigen [ist], wird in der gnostischen Erfahrung überschritten. Die Grenze, die in dem antiken kosmologischen Schema Garant der harmonischen Ordnung war, wird in der gnostischen Ordnung zur äußerlichen Schranke, die es zu überschreiten gilt.“ Ich habe Ihnen das ja erläutert. Diese Denkfigur, das Mythologem, wie das Johannes Heinrichs genannt hat, vom Aufstieg der Geistseele durch diese Sphären hindurch in eine supramontane, außerweltliche, in diesem Sinne überkosmische Geistigkeit. Also das war eine Unterströmung, die es immer gegeben hat. Wenn man das mal geistesgeschichtlich zurückverfolgt, dann kann man feststellen, in der sehr großen Vereinfachung jetzt mal, dass es drei Ansätze gegeben hat, die darauf abzielten, den Menschen als ein akosmisches Wesen zu definieren.

Das eine ist in der Antike, in der griechischen Antike festzumachen, oft verbunden mit der sokratischen Philosophie, nicht, berühmt ja ein Wort eines englischen Schriftstellers, D.H. Lawrence, in einem seiner letzten Bücher:„With the Coming of Sokrates and the Spirit the Cosmos died.“, also „Mit dem Erscheinen des Spirit, des Geistes und des Sokrates, starb der Kosmos“. Nicht, das ist ja ein großer Essay, den Lawrence 1930 verfasst hat, eine Klage darüber, dass der Kosmos unwiederbringlich in unser aller Bewusstsein dahin sei und dass es darum ginge, ihn wiederzubeleben. Für D.H. Lawrence dann bedeutet das eine ekstatische Eroserfahrung, das ist für ihn letztlich die Wiedergewinnung des Kosmos, wie ja in vielen seiner Bücher und auch Romane, dafür ist er ja bekannt geworden, gegen die viktorianische Gesellschaft, [nachzulesen ist].

Also, das zweite ist dann das Christentum, also die eine Strömung wäre der Sokratismus. Die andere wäre dann das Christentum, in gewisser Weise die Gnosis und dann der nächste Punkt auf eine ganz andere Weise: die nachkopernikanische Entwicklung, die sich bündelt, bündeln kann, in dem Satz von Nietzsche. „Seit Kopernikus rollt der Mensch aus dem Zentrum ins X“, also dass zwar der Kosmos, das materiell-physisch- sinnliche Weltall zunehmend erforscht wird, aber die eigentliche, ursprünglich gemeinte antike kosmische Dimension einfach dahingeht. Der Nachkopernikanismus mit der radikal entgrenzten Welt, dem Abgrund des „Immer-weiter“ lässt zunächst mal überhaupt keine Möglichkeit zu, dass der Mensch sich in dieses Universum in irgendeiner Form eingliedern könnte, dass er da irgendwie zu Hause sein könnte. Das ist ja der Punkt, um den es geht im Nachkopernikanismus, denn wir stellen ja die Frage nach einem möglichen Ort des Menschen im Kosmos, nicht in einem geozentrischen Kosmos, mit der Mittelpunktstellung der Erde und den harmonisch klingenden Sphärenschichten um diese Erde, sondern wir stellen die Frage ja in einer ganz anderen historischen, geistesgeschichtlichen Situation. Wir stellen die Frage in einer nachkopernikanischen Situation, die Frage innerhalb eines ungeheuer entgrenzten Universums.

Und da ist die Frage natürlich eine aufwühlende und auch zutiefst erregende, brisante Frage: Wie kann dieser Kosmos, auch verstanden als das ungeheure Weltall, aber möglicherweise auch in seinen spirituellen geistigen Dimensionen, zum Oikos werden? Also gibt es so etwas wie eine Oiko- oder Kosmo-Ökologie? Das ist ja eine offene Frage. Ich kann sie auch nicht lösen. Die Frage ist extrem schwierig. Ich habe auch Ansätze, die ich auch vorstellen kann, aber in der Tiefe ist die Frage eine offene Wunde im modernen Bewusstsein. Das muss man einfach sagen. Es wäre verlogen, das in irgendeiner Form zuzudecken. Das ist ein Trauma, eine tiefe Wunde im modernen Bewusstsein. Und es ist wichtig, meine ich, dass man sich dieser Wunde erst einmal stellt und nicht zu schnell in Vorstellungen flüchtet, die diese Wunde als Wunde gar nicht zulassen. Ich will da die Frage Ökologie, Kosmologie noch mal von einem anderen Gesichtswinkel aus ansteuern.

Vor sechs Jahren, ich habe das schon mal in anderem Kontext genannt, [da] gab es hier im Auditorium Maximum eine Diskussion zwischen Rudolf Bahro, dem Biologen Michael Succow, dem letzten Umweltminister der DDR, später Träger des Alternativen Nobelpreises, und mir, genau über diese Frage Mensch und Natur, Mensch-Kosmos, Kopernikanismus, Stellung des Menschen im Nachkopernikanismus. Und da war es hochinteressant, dass Michael Succow, der schon damals eine sehr pessimistische Haltung vertrat: Wir zerstören ja hier die Erde, alles was noch bewahrt werden kann, wird irgendwann dahin sein. Allenfalls noch, meinte er, auch im privaten Gespräch, könne man noch in der Dritten Welt [Natur] finden, da könnte man noch letzte Reservate finden, aber diese technische Maschine wird weiter rollen, sie wird weiter die letzten Gräser, die letzten Wiesen, das letzte Stück Natur niederwalzen. Also eine relativ pessimistische Sicht. Und dann kam seine Argumentation auf einen interessanten Punkt. Er sagte nämlich, dass wir in gewisser Weise den Kopernikanismus zurücknehmen müssen. Nicht, dass wir nun plötzlich nicht mehr der Überzeugung sind, dass die Erde ein Planet ist, der sich um ein anderes Gestirn dreht, sondern existenziell, in der Tiefe, müssten wir quasi diese Öffnung, diese Aufmerksamkeit für das Universum zurücknehmen und fokussieren auf die Erde. Mit anderen Worten, wenn die Erde bewahrt werden soll, muss sie in gewisser Weise für unsere Wahrnehmung wieder ins Zentrum des Universums rücken.

Und damit, nächster Punkt dann: Er vertrat dann die These, es sei im Grunde für die heutige ökologische Krise auch vollkommen belanglos, unwichtig, eher hinderlich, sich mit kosmischen Fragen zu beschäftigen, eine Ablenkung. Er ging ja dann so weit zu sagen, dass es mehr oder weniger eine Art Ablenkungsideologie [sei], diese ganze kosmologische Frage. Viel wichtiger sei es hier auf dieser Erde im Physisch-Sinnlichen zu schützen, was zu schützen ist, das sei wirkliche Ökologie. Rudolf Bahro hat dann so eine Mittelposition eingenommen, und ich fühlte mich danach herausgefordert, ja verständlicherweise, unter anderem als Autor einer Kopernikus-Schrift, die nun auch sozusagen die Würde des Kopernikanismus dagegen ins Feld führt, nur mit partiellem Erfolg, weil dann immer wieder doch das Argument kam, das ist sozusagen: Diese Rakete, die da abgeschossen wurde durch den Kopernikanismus, die hat uns letztlich ruiniert. Uns ist der Boden weggerissen worden. Wir stehen im leeren Raum, und wir täten gut daran, uns zu konzentrieren auf diese Erde hier.

Dann erschien, zweiter Punkt, ich habe es in meinem Buch „Was die Erde will“ auch angedeutet, dann erschien Anfang der 90er Jahre ein interessantes Buch von einem Schweizer Psychiater, den der Rudolf [Bahro] auch mal eingeladen hatte, hier an der Universität: Hanspeter Padrutt, ein in Zürich lebender Psychiater, vielleicht hat der eine oder andere damals auch den Gastvortrag von Padrutt gehört (1992), und Padrutt hat ein dickes Buch geschrieben, das hat den Titel „Und sie bewegt sich doch nicht“, Untertitel: „Parmenides im epochalen Winter“, also berühmt „Eppur si muove!“, Galilei, „sie bewegt sich“, ob er es gesagt hat oder nicht gesagt hat, es könnte auch erfunden sein. Auf jeden Fall, das bekannte Wort „Sie bewegt sich doch“, als er verurteilt wurde von der Inquisition und eine Auflage bekam, er dürfe fortan nur noch im Privaten forschen. Gut, „sie bewegt sich doch nicht“, das heißt natürlich nicht, dass nun Padrutt aufgetreten wäre und gesagt hätte, Kopernikus hat sich geirrt, also Ptolemäus hat recht, wir müssen das Ganze umdrehen. Nein, er meinte das anders. Er meinte das existenziell. Er meinte, dass wir uns existenziell auf die Erde konzentrieren müssten und nicht in einen wie immer gearteten Kosmos starren, Weltmodelle entwickeln, kosmologischer Art, uns vollkommen entwurzeln lassen, in diesem Sinne ruinieren lassen. Also eine sehr weitreichende These „Und sie bewegt sich doch nicht“. Und das ist existenziell gemeint, er bezieht sich dann noch auf Heidegger, auf bestimmte Elemente in der Heideggerschen Philosophie, fächert aber dann in seinem hochinteressanten Buch mit einer ungeheuren Kenntnis die ganze Palette der kosmologischen Weltmodelle auf, um aber immer wieder auf den Punkt zu kommen für die Ökologie und für unser Selbstverständnis auf der Erde: Es ist gut, wenn wir sozusagen den Vorhang zuziehen nach drüben. Drüben, in diesem Sinne, in die unbegrenzte Weite. Mag es sein, wie es sich verhält, wie [auch] immer ‒ wir machen den Vorhang zu. Und das ist ja eine Haltung, die durchaus ehrenwert ist, die sogar eine gewisse Plausibilität hat.

Es gibt ja viele Menschen, die das mehr oder weniger ohnehin tun. Sie hören von Vorstellungen, die Menschen entwickeln, Philosophen oder Naturforscher, Kosmologen, über den Kosmos, hören sich das an und finden das interessant oder nicht interessant, aber letztlich für weitgehend irrelevant für ihre reale Existenz. Also ein Abschotten gegenüber dieser ganzen Dimension. Diese beiden Persönlichkeiten, Hanspeter Padrutt und Michael Succow, zeigen sehr deutlich das Thema. Geht das? Das würde ja in einer radikalen Weiterführung bedeuten, wir koppeln die Ökologie vollkommen ab von der Kosmologie. Wir sagen, es gibt eine Ökologie, die beschäftigt sich mit dem Oikos hier auf der Erde, mit der biologischen, sinnlich fassbaren Natur, ihren systemisch begreifbaren Zusammen­hängen, wie immer, da ist unser Fokus. Und etwas ganz anderes sei eine Betrachtung des Universums in einem kosmologischen Sinn. Das ist möglich. Und das erschwert natürlich die Grundfrage, die hier im Mittelpunkt steht, die Frage, ob der Kosmos ein Oikos sein kann. Was hieße das dann? Dann müsste man doch wahrscheinlich, wenn das überhaupt einen Sinn machen soll, die menschliche Existenz ganz neu und ganz anders denken.

Natürlich kann man da sehr viele Überlegungen anstellen, die werden ja auch angestellt: ob es extraterrestrisches Leben gibt, ob es andere bewohnte Himmelskörper gibt, ob da auch Menschheiten existieren und wie sie sich entwickelt haben, ob das eine trostlose Leere ist, oder ob da in irgendeiner Form Dimensionen, auch andere Ebenen von Wahrnehmung, von Bewusstsein, andere Wesenheiten und so weiter. All die Fragen werden ja lebhaft diskutiert, sie sind offen, die Fragen sind offen, beunruhigen viele, verständlicherweise, und ich sage nochmal, das ist wirklich eine offene Wunde. Es ist also nicht etwas, was in irgendeiner Form leicht wäre. Also wenn man das Thema wirklich in seiner ganzen Tiefe betrachtet, dann muss man einräumen, es ist ein zutiefst aufwühlendes und sehr schweres Thema, wo man sehr vorsichtig sein muss, dass man nicht mit sehr schnellen Formeln sich über die Frage hinwegbewegt. Auch das geschieht natürlich sehr häufig, und das versuche ich ja, ob mir das gelingt oder nicht sei dahingestellt, aber ich versuche es ja immer wieder, die Fragen voranzutreiben an bestimmte Punkte, immer wieder neu danach zu fragen. Und Sie wissen das ja, ich habe das ja immer wieder auch gesagt, dass mir zentral wichtig ist, dass man unterscheidet und überhaupt eine Wahrnehmung dafür gewinnt zwischen der existenziellen, erfahrungsmäßigen Dimension jedes Einzelnen von uns allen und einer theoretisch-konstruktiven Weltbetrachtung, die in irgendeiner Form Modelle baut, die, wie ich das gerne nenne, ontologisiert, die aber doch erst einmal getrennt ist. Und da ist eine große Kluft zwischen dem, was ich unmittelbar erfahre und was ich unmittelbar bin, und dem, was ich höre, wo ich Modelle entwickle. Und unermüdlich versuche ich da eine Aufmerksamkeit zu wecken dafür, dass man das überhaupt erst einmal sieht. Das muss immer wieder neu angesprochen werden, weil es eine Tendenz ist, darüber sich sehr schnell hinwegzubegeben, indem man Modelle hat und die eigene Existenz in diese Modelle in irgendeiner Form einbaut, ohne überhaupt die Brücke beschreiten zu können oder überhaupt plausibel zu machen, dass da eine Brücke existiert.

Ich will noch eine kurze Ergänzung bringen, die zu dem Thema auch gehört. Ich hatte am Anfang der letzten Vorlesung Ihnen an die Tafel geschrieben drei Begriffe. Ich hatte gesagt „Weltäther“, dann „Weltseele“ und „Weltgeist“ und das hingestellt als eine in gewisser Weise kosmische Triade, die mir plausibel erscheint aus einer Fülle von Gründen heraus und möchte kurz noch sagen, dass man diese Art von Triade in den verschiedensten Zusammenhängen auch wiederfindet mit ganz anderen Begriffen.

Also es gibt auch in bestimmten Strömungen der neueren Physik Überlegungen, so eine Triade festzumachen, die dann allerdings mit anderen Begriffen versehen wird. Da heißt es häufig in diesen Texten: Es gibt Materie oder auch Energie. Das wird häufig zusammen genommen Materie, Energie, dann gibt es Struktur und Information. Nun sind das sehr abstrakte Begriffe und schwierige Begriffe, also „Materie“, „Energie“ auf der einen Seite dann „Struktur“ und dann „Information“. Und „Information“ ist ein Begriff aus der Computersprache, man kann ja auch sagen Geist, wenn man sagt, Information, was ist Information? Information ist ja nicht Materie, sondern ist ja das, was transportiert wird über Materie, Energie, ist ja in gewisser Weise Geist, also Information und Struktur, kann man auch sagen, ist Form. Kann man sagen, man muss es nicht so denken, man kann es auch anders denken, man kann sagen: Form. Also ich schreib das noch mal an die Tafel. Das wäre der eine Pol: Materie, Energie, dann Struktur und schließlich Information.

Nun ist das nicht identisch mit der von mir angeführten Triade von Weltäther, Weltseele und Weltgeist, in keiner Weise. Aber es zeigt, dass, viele andere Beispiele gibt es, dass man auf eine Dreiheit nicht aufgrund eines Willküraktes stößt, aufgrund einer philosophisch weitreichenden Überlegung, sondern dass es gute Gründe gibt erst einmal, eine solche Dreiheit anzunehmen. Ich darf das vielleicht noch mal hier sagen: Weltäther, ohne dass ich das jetzt gleichsetzte, ich will das nur noch mal in Erinnerung rufen, Weltseele und Weltgeist. Wir wissen alle, dass diese Begriffe vielfältig belastet sind. „Weltgeist“ ist einfach ein Begriff, der in der Hegelschen Philosophie eine zentrale Rolle spielt, jeder der vom Weltgeist hört, denkt zunächst an Hegel. Man muss aber auch gar nicht Hegel heranziehen, man kann den Geist auch vollkommen anders denken. Und, die Frage „ Wie weit reicht der Geist?“, wird ja in diesem Sinne immer beantwortet: Der Geist ist universell. Es gibt überhaupt keinen Winkel im Universum, wo kein Geist wäre, also Geist, Weltgeist in diesem Sinne als universell, genauso Weltseele als universell, Weltäther auch als universell, von mir ja auch als Urmaterie bezeichnet. Natürlich kann man sagen, reduktionistisch, das und das ist letztlich hierauf zurückzuführen, nicht, also kollabiert gleichsam hierauf. Das wäre dann der radikale Reduktionismus. Alles ist nur Materie, Energie. Letztlich ist Struktur und Information nur daraus ableitbar. Man kann es ganz anders sehen.

Es gibt ja durchaus auch einige Ansätze, selbst in physikalischen Zusammenhängen, wo man sagt, es ist primär die Struktur, primär die Form, auch als Symmetrie, und alles andere ist daraus abgeleitet. Oder es gibt primär Information im Sinne auch von Geist. Und dann erhebt sich sofort die Frage, die für für das Thema zentral wichtig ist. Man muss ja philosophisch fragen, wenn von Geist die Rede ist: Was ist gemeint? Also die Systemtheoretiker, Gregory Bateson und andere, haben ja immer gesagt, der Geist ist kein Wesen, hat keine Ich- oder Selbsthaftigkeit. Der Geist ist nur ein Muster, pattern ist ja das Wort. „The pattern that connects“, heißt es bei Gregory Bateson, ein wichtiger Mann für die ganze Ökologie-Diskussion, auch Systemtheorie. Er sagt, der Geist, und das sieht er als eine Errungenschaft seines Denkens an, ist ein Muster in den Dingen. Er ist also kein Wesen, hat keine eigene, ist keine eigene Entität. Das wäre also eine… Ist das dann noch Geist in dem Sinne? Das ist die Frage.

Und dann die nächste Frage natürlich, die für das Thema ja auch zentral wichtig ist. Wie steht es mit dem Bewusstsein im Sinne von Selbstbewusstsein? Auch da muss man sehr genau differenzieren. Was meint man, wenn man von Bewusstsein redet? Auch auf die Gefahr, dass es jetzt ein bisschen zu erkenntnistheoretisch und weitschweifig wird, will ich es trotzdem sagen. Ist Geist gleich Bewusstsein? Nicht unbedingt. Kann man sich auch einen Geist vorstellen, der in diesem Sinne nicht bewusst ist? Und dann, was heißt Bewusstsein? Bewusstsein als ein reflexives Bewusstsein, wie wir das haben? Rückbezogen auf uns selber? Oder gibt es auch ein wie immer geartetes Bewusstsein, was gar keine Selbstreflexivität hat? Ist dann Geist nicht nur ein Wort, wo man auch gleich sagen könnte, man meint Energie? Es ist also extrem schwierig. Man muss aufpassen bei der ganzen Thematik, dass man nicht in ein Jonglieren mit Begriffen hineingerät. Man muss sich schon darüber im Klaren sein, was man eigentlich meint, wie man die Begriffe dann definiert. Also ich würde sagen, dass Geist auch überichhaft gedacht werden kann bis zu einer gewissen Grenze und habe verschiedentlich auch die These vertreten, und will es hier noch mal nennen, dass allein die Tatsache, dass die sogenannte anorganische Materie bestimmten Gesetzen folgt, dass da überhaupt bestimmte Regelhaftigkeiten festzustellen sind, schon ein Beweis dafür ist, dass Geist existiert. Denn diese Regelhaftigkeit ist ja nicht die Materie selbst. Das habe ich oft genug gesagt und will es auch jetzt noch mal sagen.

Eine ganz andere Frage ist, wenn ich die Frage stelle, wie ist es dann mit der Selbstreflexivität, mit dem Bewusstsein meinerselbst? So weit wird man wohl nicht gehen dürfen an der Stelle. Es gibt ja einige weitreichende Überlegungen, etwa in der Anthroposophie, die davon ausgehen, dass letztlich dieser Geist, der Logos in der Welt, das sind Geist-Wesenheiten, die auch bis zu einem gewissen Grade Bewusstsein schaffen. Dann sieht es vollkommen anders aus. Auch da würde man nicht zu schnell sagen, das ist unmöglich, das kann nicht sein, ‒ erst einmal die Sache mit einer gewissen Offenheit versuchen zu denken. Auch das ist möglich. Nicht, erst einmal als Betrachtungsweise. Das alles gehört zu dieser Frage, wie der Kosmos zum Oikos werden kann, also eine zentral wichtige Frage.

Ich will es noch einmal, bevor ich weitergehe, nochmals thesenhaft auf den Punkt bringen. Wir registrieren, dass der Mensch diesen Planeten zunehmend ruiniert. Das muss man nicht ernsthaft bezweifeln, das ist ein Phänomen, das einfach jeden Tag sich neu darstellt. Die Frage ist: Warum geschieht das? Wo liegt der Fehler, wenn es denn ein Fehler ist, wenn es nicht eine notwendig desaströse Entwicklung ist, die keiner durchschaut, die einfach abrollt? Die Frage ist: Warum passiert das? Und es gibt viele Antworten darauf. Ich habe ja auch versucht, Antworten zu geben, unter anderem die, dass hier eine Abspaltung vollzogen worden ist, dass der menschliche Geist in seiner Bewusstseinsentwicklung in irgendeiner Form, an irgendeiner Stelle, die ich auch nicht genau benennen kann ‒ ich kenne niemanden, der diese Stelle genau benennen könnte ‒ an irgendeiner Stelle ist etwas passiert, was offenbar im Moment irreversibel zu sein scheint. Die Selbstbewusstwerdung des Geistes ist in Kollision geraten mit der physisch-sinnlichen Wirklichkeit, mit dem Planeten. Also das mentale Selbst hat sich in irgendeiner Form abgesprengt, wie eine Rakete. Die Frage ist, war das…, hätte das vermieden werden können oder hätte es eine, in irgendeiner Form eine andere Weichenstellung geben können?

Ich halte die Frage für müßig. Sie wird oft gestellt. Es gibt ganze Bücher darüber, mittlerweile ganze Bibliotheken, die sich mit der Frage beschäftigen wo, an welcher Stelle ist die Weiche in diese Richtung gestellt worden? Und ob wir vielleicht an diese Stelle zurückkommen können. Das halte ich in der Form für müßig. Natürlich ist es interessant, sich das klar zu machen, aber die Situation ist wie sie ist, und mit der muss man sich erst mal auseinandersetzen. Also da ist eine Abspaltung erfolgt, die nicht nur einen Einzelnen betraf, sondern eine epochale Abspaltung, eine kollektive Neurose, wenn man das so nennen will.

Und meine These ist, dass das auch zu tun hat ‒ auch wenn das nicht das einzige und vielleicht auch noch nicht mal die Achse ist, aber es ist eine Komponente ‒ dass der Mensch nicht den Kosmos als Oikos, als sein Zuhause, als seine existentielle Heimat, ansehen konnte, dass ihm in gewisser Weise die Erde unter den Füßen weggerissen worden ist und der nun treibt im Wesenlosen, siehe den von mir schon zitierten Jean Paul, „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“, siehe 1798, berühmte Abhandlung von Jean Paul, von dem Dichter Jean Paul Friedrich Richter, dass er das…, dass der Mensch es nicht verkraftet hat. Das meint ja auch seitdem, das „seit Kopernikus rollt der Mensch aus dem Zentrum ins X“, da hat er irgendetwas nicht verkraftet.

Der alte Kosmos, der geozentrische Kosmos, war ja auch keine Idylle, wie das gerne hingestellt wird, im Nachhinein sozusagen, dass dieser schützende, hegende, antike, mittelalterliche Kosmos, den Menschen nun die Heimstatt geboten hätte, aus der er dann herauskatapultiert sei. So verhält es sich nicht. Aber immerhin hatte der Mensch seinen Ort in der Welt. Und die Frage, etwa aus dem antiken System heraus, ist der Kosmos ein Oikos des Menschen, die wäre in der Form eine vollkommen unsinnige Frage gewesen. Selbstverständlich ist der Kosmos der Oikos des Menschen. Die Frage brauchte gar nicht gestellt zu werden. Sie war beantwortet durch die existenzielle Erfahrung von Millionen von Menschen. Die haben das gelebt. Die Frage musste gar nicht gestellt werden. Die Frage stellt sich ja erst in einer bestimmten geschichtlichen Situation, wo eben die Selbstverständlichkeiten weggefallen sind. Das ist ja gerade das Problem, dass der Geist in irgendeiner Form eine Entwicklung eingeschlagen hat, wo er seine eigene Grundlage in gewisser Weise abgesprengt hat. Und nun, wie eine Raketenstufe ins All schießt, aber den Boden verloren hat? Wo ist der Boden?

Und dann die Frage: Ist die Erde überhaupt noch in diesem Sinne Heimat des Menschen? Ich meine, ich will jetzt nicht die vielen Aussiedlungsphantasien hier ansprechen, die es ja mittlerweile in den letzten Jahren zuhauf gibt, Umsiedlungs­phantasien, Aussiedlungsphantasien, Kolonisierung anderer Himmelskörper und so weiter. Also der Drang des Menschen weg von der Erde, raus hier. Hier ist nichts mehr zu machen, sozusagen, irgendwann erlischt das Leben hier, wir müssen weg. Wir müssen die kostbare Software Geist auf eine bessere Hardware bringen, um das in der Computersprache zu sagen. Es gibt ja seit 15, 20 Jahren eine Fülle von Überlegungen in diese Richtung. Auch da könnte man drüber nachdenken, warum das so ist.

Also, die Frage ist eine existenzielle Frage und berührt letztlich die Frage, warum der Mensch die Erde zerstört. Der Mensch hat in irgendeiner Form, an irgendeiner Stelle etwas ausgegrenzt aus sich. Und es gelingt ihm im Moment nicht, dieses Ausgegrenzte, das Abgespaltene zurückzubringen. Er müsste, [das ist] schon meine These, ja, seit langem, eine neue Ebene erreichen. Es wird nichts bringen und kann auch nicht in irgendeiner Form sinnvoll sein, diesen Nachkopernikanismus aus unserem Bewusstsein zu streichen, jetzt mal im Sinne von Michael Succow oder Hanspeter Padrutt, auch anderen. Das kann es nicht sein. Wir können, glaube ich, die Ökologie auf diese Weise nicht abkoppeln, auch wenn das verständlich ist, dieser Impuls, vollkommen verständlich.

Genauso ist es vollkommen verständlich, wenn viele Menschen das starke Bedürfnis haben, wieder in einen mehr oder weniger geozentrischen Kosmos zurückzukehren. Es gibt ja viele spirituelle Vorstellungen in unserer Zeit, die mehr oder weniger denn doch einen geozentrischen Kosmos dann ansetzen. Dann ist die Erde nicht buchstäblich der Mittelpunkt des Universums, aber sie ist es praktisch. Natürlich ist sie für uns alle der Hauptbezugspunkt, das ist ja selbstverständlich. Ich meine, es geht ja nicht darum, das Bezugssystem einfach aus den Angeln zu heben. Aber es geht darum, dieses Bezugssystem Erde, den Planeten Erde, den Großorganismus Erde in einen neuen Zusammenhang hineinzunehmen. Und das kann nur geschehen, indem man auch den Menschen als geistig- seelisches Wesen in eine neue Kosmologie hineinnimmt, vereinfacht gesagt: Diese Kosmologie muss oder sollte den geistig-seelischen Menschen mit enthalten. Da liegt die zentrale Schwierigkeit. Da liegt der zentrale Punkt, um den es bei dieser ganzen Frage geht. Ist das möglich? Ist das eine Utopie? Ist es ein Wahn? Geht das überhaupt? Wie sieht es dann aus mit vielen Überlegungen in der Richtung?

Astrologie ist ja ein Beispiel dafür, dass das Bedürfnis in Menschen sich in irgendeiner Form rückzubinden an die Gestirne, Positionen auszurechnen, die mit dem eigenen Leben was zu tun haben in irgendeiner Form, ein Ur-Bedürfnis der Menschen [ist]. Um das in einen Kontext zu bringen: Man kann menschliche Kulturen, Epochen, ganze Geistesströmungen, wenn man möchte, unter fünf Gesichtspunkte bringen. Ich nenne das die fünf Grundverhältnisse des Menschen. Und man kann geradezu eine Untersuchung vornehmen für fast jede Epoche oder Kultur, wie es aussieht mit dem Verhältnis des Menschen zu diesen Grundverhältnissen. Ich nenne das mal die fünf Grundverhältnisse: das Verhältnis zum eigenen Körper, zum Leib, damit auch zum Eros, zentral wichtig, auch zum Eros, also Leib, Körper. Natürlich auch zu den anderen, das ist ja auch die Bezogenheit auf andere. Das alles gehört da mit rein. Also im weiten Sinne Eros, also Leib, Körper, auch in gewisser Weise zu den anderen Menschen. Zweitens, die Frage zur physisch-sinnlichen Natur, zu den ihn umgebenden Natur, im weiteren Sinne, Pflanzen, Tieren, dem Boden, auf dem er steht oder wandelt, dann zentral wichtig für jede Kultur: Wie steht die Kultur zum Tod? Jede Kultur der Menschheitsgeschichte, soweit wir das sagen können, hat ein ganz spezifisches Verhältnis gewonnen, erarbeitet, über die Sterblichkeit des Menschen. Keine Epoche, keine Kultur kann sich da rausnehmen, gleichsam davonstehlen, dies als ein zentrales Moment ist ein Thema jeder Kultur. Jede Kultur hat ein eigenes Verhältnis zum Universum, wie immer das vorgestellt wird, zum Kosmos, zu dem, was drumherum ist, also zum Boden, zu den Mitgeschöpfen, zum eigenen Leib, zum Eros und dann zu dem Kosmos da draußen, in Anführungszeichen, zum Universum, zu den Gestirnen, wie immer diese verstanden werden, ob nun als große Strahlquellen oder als Götter oder als nah oder als fern, wie immer ‒ und ein Verhältnis zur Transzendenz, zur Gottheit, zu einem wie immer vorgestellten transmundanen, einem überweltlichen Wesen. Das kann man überall zeigen. Und nun ist es interessant, wenn man die Kulturen gleichsam abscannt daraufhin, wie dieses Verhältnis konstelliert ist und von wo eigentlich, wenn es dann Fehlentwicklungen und desaströse Prozesse gibt, das Unheil gleichsam seinen Anfang nimmt. Und da wird es ja hochinteressant. Was ist der Punkt? Viele würden ja sagen, also zum Beispiel, ja in der ganzen Grundannahme von Reich, hier liegt der Punkt, hier im Leib und im Eros. Wenn da eine fundamentale Störung erfolgt, schlägt das sozusagen auf andere, alle anderen Schichten durch. Man kann so sagen, wenn der Mensch hier neurotisch wird, wird er automatisch auch ein neurotisches Gesamtverhältnis gewinnen zu allen anderen Komponenten. Dann kann seine Spiritualität auch nur neurotisch sein, oder auch seine Haltung zum Kosmos, zu seiner eigenen Sterblichkeit, zur ihn umgebenden Natur ‒ ist eine durchaus legitime Sichtweise. Ob sie stimmt oder nicht stimmt, kann man da auf sich beruhen lassen. Ich würde sagen, es ist eine partielle Wahrheit, steckt da drin, unbestritten. Also eine neurotisierte Leiblichkeit, also so ein Geist innerhalb einer neurotisierten Leiblichkeit, glaube ich, wird kaum in der Lage sein, ein nicht-neurotisches Verhältnis zu gewinnen etwa zum Kosmos oder zur Natur, zur Erde. Also wenn da eine Neurotisierung vorliegt, wird das durchschlagen.

Genauso kann man natürlich das ganz anders sehen. Man kann sagen, die zentrale Achse ist immer das Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Sterblichkeit. Alles Mühen des Menschen dreht sich immer nur darum, in irgendeiner Form Modelle zu finden, Fantasien zu erdichten, religiöse Systeme sich auszudenken oder sich damit zu beschäftigen: Warum gibt es das Werden und vor allem das Vergehen? Warum ist alles Leben gleichzeitig ein langsames Sterben? Es ist ja so, leben ist gleichzeitig sterben, wir leben, indem wir gleichzeitig unaufhörlich sterben. Und insofern kann man das als zentrale Achse sehen, natürlich.

Aber [man] kann [auch] sagen, das wichtigste Grundverhältnis sei das Verhältnis zur Transzendenz, zu einem überweltlichen Wesen, alles andere sei daraus ableitbar.

Man sieht sofort, dass das ganz verschiedene Blickwinkel sind. Ich würde sagen, dass diese fünf Komponenten nicht nur in der Geschichte, also epochal, sondern auch in jedem Einzelnen auf vielfältige Weise ineinandergreifen. Ich glaube, das ist ein Wechselverhältnis, ein sehr subtiles Wechselverhältnis, das man nicht unbedingt eine prima causa angeben kann, an welcher Stelle nun das Ganze seinen Anfang nimmt. Ich glaube, das es eine subtile Wechselwirkung ist, die in jedem einzelnen Fall wieder anders konstelliert sein mag. Es mag Epochen geben, die mehr bestimmt sind von einer bestimmten Haltung zum Tod. Das war vielleicht die ägyptische Epoche, scheint so gewesen zu sein, obwohl es ja schwierig ist, das zu sagen, weil wir so wenig Konkretes wissen. Diese Fokussierung auf den Tod und die Pyramiden unter anderem als gigantische Grabmonumente. Alles war konzentriert darauf, auf diese Art von Ewigkeit, die im Tod angenommen wurde, die ganze Kultur, hat man das Gefühl, hat diesen Fokus; oder in der griechischen Kultur, ja, fokussiert auf einen sehr sinnlich, physisch schönen, auch irdisch verstandenen Kosmos. Denken Sie an den Raumbegriff, wie ihn Oswald Spengler für die Antike annimmt. Auch das kann man natürlich sagen.

Also, wir sind im Moment bei diesem Punkt, bei diesem Verhältnis, bei dem Verhältnis zum Kosmos, Mensch-Kosmos. Natürlich ist das nicht abtrennbar. Das hat man dann immer gewusst. Ich habe ja vorhin den englischen Schriftsteller D.H. Lawrence genannt und sein wunderbares Buch „Apocalypse“, ein großer Essay, kurz vor seinem Tode entstanden, über die Johannes-Apokalypse, und da heißt es zum Beispiel in diesem Essay „Apocalypse“, 1930: „Wir haben den Kosmos verloren, die Sonne stärkt uns nicht mehr und auch nicht der Mond in mystischer Sprache. Der Mond ist für uns schwarz und die Sonne wie ein härenes Tuch. Jetzt müssen wir den Kosmos wiedergewinnen, und das geschieht nicht durch irgendwelchen Trick. Die vielen Beziehungen zu ihm, die in uns erstorben sind, müssen wieder lebendig werden. 2000 Jahre hat es gedauert, sie zu töten. Wie lange mag es dauern, bis sie wieder lebendig sind? Höre ich heute Menschen über ihre Einsamkeit klagen, dann weiß ich, was los ist.“ Immer noch D.H. Lawrence. „Sie haben den Kosmos verloren, uns fehlt nichts Menschliches oder Persönliches, uns fehlt das kosmische Leben, die Sonne in uns und der Mond in uns.“ ‒ und so weiter.

Wenn man dann die Lösung sich geistig vergegenwärtigt, die D.H. Lawrence vorbringt, dann ist eindeutig die Eros-Komponente die zentrale, er meint alles, anders als Wilhelm Reich, aber doch mit einer gewissen Ähnlichkeit, die Eros-Komponente, ein total neurotisiertes Verhältnis des Menschen zu seinem eigenen Leib, seinem eigenen Körper, besonders über den Sokratismus und über das Christentum, habe letztlich zu einer Art kosmischer Grundhaltung geführt, und die Lösung wäre eine ekstatisch gesteigerte Eros-Erfahrung, wie sie ja auch von Lawrence in vielen seiner Bücher dargestellt wird. Der Mensch muss lernen, auf eine ekstatische Weise sich wieder zu verbinden mit dem Kosmos. Das ist nicht intellektuell, das ist nicht wissenschaftlich, das ist nicht in irgendeiner Form kosmologisch und auch nicht in irgendeinem Sinne astrologisch, das ist einfach existenziell. Also aus der Seinserfahrung des Eros, meint er, könnte man ein neues Kosmosverständnis gewinnen. Und das ist interessant, der Gedanke, wenn sie sich vielleicht erinnern an das, was ich im Sommer in zwei Vorlesungen ja versucht habe darzustellen, nämlich den asiatischen Tantrismus, nicht, mit der Vorstellung des sogenannten Purushakara, des kosmischen Menschen, wo ja auch die Vorstellung zentral ist, dass über eine vertiefte und spiritualisierte Erotik letztlich ein Wiederanschluss an den Kosmos möglich ist. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt in diesen Erfahrungen, eine Spiritualisierung des Eros mit dem Ziele, auch den Tod zu transzendieren und in den Kosmos gleichsam hineinzuwachsen, dadurch. Anders allerdings als bei Lawrence geht es ja im Tantrismus, vielleicht erinnern sie sich, die da waren, ja um ein ausdifferenziertes System von Arbeit mit den sogenannten feinstofflichen Energien im Körper. Nicht, der Purushakara ist ja der kosmische Mensch, dessen Grundstruktur dem Kosmos entspricht. Und das ist nicht im engeren Sinne der geozentrische, der kleine, der überschaubare Kosmos. Auch schon im asiatischen Denken dieser Provenienz ist der Kosmos ja ungeheuer ausgedehnt. Nicht, die Asiaten, zum Teil im Hinduismus und im Buddhismus und andere, waren ja überhaupt die ersten, die die Unbegrenztheit des Kosmos dargestellt haben. In gewisser Weise ja, anders als Giordano Bruno, aber davor. Also sie sprechen ja unermüdlich von der Entgrenzung der kosmischen Gesamtheit. Also es ist nicht der enge, überschaubare geozentrische Kosmos unseres Mittelalters oder der antiken Welt primär gemeint, sehr subtil gedacht. Also auch da gibt es den Zusammenhang.

Also, wie immer der Zusammenhang im Einzelnen aussieht, wenn man diese fünf Verhältnisse sich klarmacht, hat man, glaube ich, einen Ansatzpunkt, mal ganz vorsichtig gesagt, sich auch dieser Frage zu nähern. Denn es geht schlecht, diesen Punkt vier rauszuschneiden und vollkommen für sich zu betrachten. Ganz zu schweigen von natürlich einer Fülle von sozialen, politischen und ökonomischen Konditionierungen, die immer mit hineinspielen, das ist klar. Das ist so selbstverständlich, dass man es eigentlich kaum zu erwähnen braucht. Natürlich sind alle diese Komponenten auf vielfältige Weise auch geprägt und konditioniert durch ein oft sehr komplexes System von gesellschaftlichen Zwängen, Konditionierungen und Bedingtheiten. Das ist klar. Es geht mir nur erst einmal um die archetypische Grundkonstellation.

Also, vielleicht ist es nicht möglich, sozusagen den Punkt 4 auf direkte Weise anzusteuern und nun zu versuchen, das neurotische Kosmosverhältnis umzuwandeln. Und so ist es kein Zufall, dass Überlegungen, auch philosophische Überlegungen, erst einmal in die Richtung gehen, dass es darum gehen müsste, hier anzusetzen, vielleicht bei Punkt 1 und bei Punkt 2. Beispiel: Der von mir, wie sie wissen, hochgeschätzte Johannes Heinrichs, er ist heute nicht da, insofern kann ich das etwas befreiter auch sagen, aber auch wenn er da wäre, würde ich sagen, er hat in seiner hervorragenden „Öko-Logik“, ein Buch, was ich Ihnen immer wieder ans Herz legen kann, also als ein exzellentes Buch, sich auch zu der Frage geäußert. Und er hat auch eine Art von, mal ganz vorsichtig gesagt, eine Art von Lösung vorgestellt, die für meine Wahrnehmung nicht weit genug geht, aber die einen Ansatz darstellt. Sein Ansatz ist der, in der „Öko-Logik“ sehr genau begründet, dass es darum ginge, zunächst primär einen kosmischen Naturbegriff zu finden, also diese beiden, die Komponente 2 und die Komponente 4 zusammenzuschließen, die Natur in gewisser Weise zu kosmisieren. Was heißt das, die Natur zu kosmisieren?

Er gibt eine ganze Reihe von Beispielen in seinem Buch, wie ein solcher kosmischer Naturbegriff aussehen könnte oder aussehen sollte, und er gibt dann eine ganze Skala von Grundvoraussetzungen dafür an. Ich erlaube mir mal, das zu zitieren. Das ist besser, wenn ich es zitiere, als wenn ich es einfach paraphrasiere, was ich auch tun könnte. Aber ich lese mal diese anderthalb Seiten vor, weil sie einen Ansatzpunkt darstellen. Also nach Johannes Heinrichs, wie ist ein kosmischer Naturbegriff möglich? Wie ist er praktikabel? Und zwar wichtig für Heinrichs, und das finde ich zentral bedeutend für seine Position und für uns alle wichtig, die soziale Komponente; mehr als ich das tue, betont er ja die soziale Komponente dabei. Geht ja nicht nur, dass der Einzelne das kann, wenn er es denn kann, sondern es geht darum, dass, wenn es überhaupt greifen soll, es ein sozialer Prozess sein soll und muss. Und diese fünf Grundverhältnisse mögen ja für jeden Einzelnen anders konstelliert sein. Keiner kann sich vollkommen trennen von einem epochalen Strom, von einem sozialen Zusammenhang. Und wenn es überhaupt so etwas geben kann wie eine ökologische Wende, dann kann sie auch nur eine sozial-ökologische Wende [sein]. Dann muss sie ins Soziale einmünden. Davon bin ich absolut überzeugt. Wenn sie das nicht kann, wird sie letztlich nur Inseln schaffen, die auch wichtig sind. Und sie müssen sich aber irgendwie verbinden. Es muss ein sozialer Impuls in das ganze Geschehen rein. Insofern halte ich den Ansatz hier für zentral wichtig. Ich nenne mal diese Punkte, die sich Johannes Heinrichs in seinem Buch Öko-Logik darstellt. Es sind sieben Punkte, er liebt das mit der Zahl sieben, taucht immer wieder auf in seinem Buch. Wir haben das ja schon angedeutet, er nennt sieben Punkte. Ich lese mal die sieben Punkte vor, die ich mir im Wesentlichen zu eigen machen könnte.

Erstens: Es geht, wie gesagt, um den kosmischen Naturbegriff. „Erst Exaktheit, Sorgfalt für die physische Ebene und ihre Naturgesetze, jedes Naturgesetz ist zugleich ein Einblick in den unwandelbaren Logos.“ Das ist wichtig für Johannes Heinrichs, und da stimme ich mit ihm vollkommen überein, dass das immer auch den Logos hier spiegelt. „Sorgfalt, kein Schwärmerisches Über-die-Dinge-hinweg-springen. Genauigkeit, auch Konkretheit“, das ist mir auch wichtig, Konkretheit. Zweitens: „Achtsamkeit und Respekt für das biologische Leben. Das Pflanzenreich liefert nicht nur natürliche Werkstoffe, sondern repräsentiert zugleich die Einheit der“, jetzt setzt er das in Anführungszeichen, „Weltseele“. Drittens: „Emotionale Sympathie für die fühlenden Mitgeschöpfe, nicht allein für die Haustiere im engeren Sinne im Oikos, im Haus der Natur sind alle Tiere Haustiere, alle auf die verschiedene Weise unserer Freundschaft wert und ihrer bedürftig.“ Viertens: „Informationelle Aufgeschlossenheit und endlich reiche Lernfähigkeit. Über die Notwendigkeit der Integration dieser Tugenden und der Herzkräfte bzw. der Herzenskräfte zum höheren Mentalkörper, wurde oben gesprochen“, das muss hier nicht noch einmal zitiert werden, „die mentalen Möglichkeiten stellen den Wendepunkt zur Entwicklung des höheren Menschen dar.“

„In dieser ,Wendezeit’“, [in] Anführungszeichen, er bezieht sich auf den Amerikaner Arthur Young, nicht auf Capra und nicht auf Wilber, „befinden wir uns gesamtmenschheitlich durch das ungeheure Anwachsen der Information und ihrer technischen Verarbeitungsmöglichkeiten“, jetzt von ihm kursiv gedruckt, „die spirituelle Aufgabe ihrer Integration unter die Herzenskräfte darf weder antiintellektualistisch noch moralistisch verkürzt werden.“ Ist wichtig, auch die Würde im Mentalen, im Denken. Das ist mir auch sehr wichtig. Ist ja ein Trend heute, dass man, sehr verbreitet, man sagt, das Denken hat sowieso abgewirtschaftet, die Philosophie, der eine sagt das, der andere sagt das, Systeme folgen aufeinander, was soll das Denken? Denken hat ja keinen Stellenwert heute. Das muss man einfach ganz phänomenologisch feststellen. Es hat keinen hohen Stellenwert. Naturwissenschaften werden hoch geschätzt. Ihre Art von technisch-rechnendem Zugang; aber das Denken, der Stellenwert des Denkens geht gegen Null im öffentlichen Bewusstsein. Fünftens: „Selbstreflexive Konzentration, Innerlichkeitskultur. Hier liegt von der intellektuellen wie von der willensmäßigen Seite das Gegengift zu einem bloß nach außen gewandten Intellektualismus des Informationssammelns und Rechnens.“ Dann wichtig, zentral, „Meditation“. Schwieriger Begriff, nicht, das wissen wir alle schon. Bei Descartes, eine der Schriften von Descartes heißt meditationes. Was meint Descartes mit Meditation? Er meint Denken, er meint bestimmte Art von Denken. Keineswegs das, was heute, sagen wir mal vereinfacht, in manchen Kreisen als Meditation bezeichnet wird, also, Meditation der kosmischen Einheit aller natürlichen Dinge. „Es gab früher leichtere, natürliche Formen der Meditation, wie Bewegung, Wandern, Reiten, Ruhen und Arbeiten in der Natur, die sich unter anderem in der Naturdichtung niederschlugen heute. Nach der stattgefundenen Naturentfremdung eines immer größeren Teils der Menschheit muss die meditative Geisteshaltung in Beziehung auf den Kosmos umso bewusster durch ausdrückliche Meditation gefördert werden.“ Unbedingt wichtig, ich glaube, dass ohne eine meditative Grundhaltung, ohne die meditative Erschließung dieser Schicht überhaupt keinen Millimeter weiterzukommen ist. Dann müsste man darüber sprechen, das ist schwierig in so seinem Hörsaal, was Meditation ist und was sie leisten kann.

Und der siebte Punkt: „Logosbewusstsein“, ich habe darüber das letzte Mal gesprochen, „als ganzheitlicher, nicht einseitig theoretischer Vollzug ist Gottesliebe, ja, wobei der Ausdruck Gott bis zur Unbrauchbarkeit wie ein transzendentes Wesen verwendet wurde, das sich nicht mehr in Mensch und Natur als es selbst spiegelt, also nicht bezogen auf eine spezielle religiöse Grundfigur. Wo diese vorhanden ist, wird man sich nicht in spitzfindige, dem Göttlichen unangemessene Theorie ohne genügende Erfahrungsbasis hineinsteigern. Leider sind theologische Spekulationen zu oft Ersatz für oder Missbrauch … und tatsächliche Erfahrung des Göttlichen und ihrer behutsamen Versprachlichung, sei es in Dichtungen, sei es in einer echt spekulativen Einheit von geistiger Schau und Denken.“

Ich sage es noch mal, die sieben Punkte: eine Sorgfalt für die physische Ebene, auch eine Genauigkeit, genau hingucken. Wir leben in einer konkreten Welt. Die Dinge sind konkret, sie sind gestalthaft, und als Gestalten können sie sehr konkret, ganzheitlich- phänomenologisch auch wahrgenommen werden, bevor man sie, wie das häufig genug geschieht, abstrakt, analytisch, aus den Angeln hebt und dann wieder zusammensetzt auf einer intellektuellen Ebene. Wichtig also, die Ganzheit der Gestaltphänomene. Mir ist der Begriff kolossal wichtig: die Gestalt. Ich will auch im Sommersemester auf diese Fragen dann ganz konkret auch eingehen. Ich will das in der nächsten Vorlesung ihnen vorstellen, wie ich mir das denke. Auch ganz konkret auf die Punkte, auf die organische Gestalt.

Dann war der zweite Punkt: Achtsamkeit und Respekt für das biologische Leben. Stichwort hier in seinem Verständnis von Weltseele, das ist nicht das meine, Heinrichs Verständnis ist enger, er versteht Weltseele enger, für mich ist das ein weiterer Begriff. Dann: emotionale Sympathie für die Mitgeschöpfe, dann: informationelle Aufgeschlossenheit, Lernfähigkeit. Eher wirkt das ja utopisch. Lernfähigkeit, unbegrenzte Lernfähigkeit, Integration der Herzenskräfte, dann: selbstreflexive Konzentration. Dazu gehört auch Denken. Dann: Meditation der kosmischen Einheit aller natürlichen Dinge auf vielfältige Weise. Und dann: Logosbewusstsein im Sinne dieses Bezugs, nicht im Sinne eines einseitig religiös oder gar theologisch verstandenen Bildes, sondern im Sinne eines existenziellen Tiefen-Bezuges zu dieser 5. Ebene.

Also ich finde die sieben zentral wichtige Komponenten, die er auch dann im Einzelnen beleuchtet, also ein Teil dieses Buches, das muss ich jetzt hier nicht paraphrasieren und vorstellen, das könnte ich auch jetzt zeitmäßig gar nicht, besteht auch darin, das zu konkretisieren, was das bedeutet, etwa für den Landschaftsschutz, was das bedeutet für unseren Umgang mit Flüssen, mit Seen, mit Wäldern, mit den Meeren, also wie das konkret dann aussehen kann, wie das dann auch ins Soziale hineingeht, wie das dann auch in die sozialen Strukturen reingeht, das ist auch wichtig. Das Ganze sind ja immer auch soziale Strukturen, die dafür mitverantwortlich sind. Es kann nicht darum gehen, dass man nur das Ganze, die ganze Last immer auf den Einzelnen legt, was ja geschieht, also die totale Individualisierung. Nicht, du kannst deinen Beitrag leisten, sicherlich, aber ohne eine Strukturveränderung wird der Einzelne immer hoffnungslos überfordert sein. Insofern also die Betonung der sozialen Dimension. Das wird dann sehr konkret. Geht dann auch bei Heinrichs ins Politisch-Strukturelle. Also, das finde ich hochinteressant.

Und das ist dann auch verifizierbar, die Frage: Wie ist das politisch umsetzbar und so weiter. Also auf eine hochinteressante, sehr konkrete Weise werden dann auch diese sieben Aspekte, auch handlungstheoretisch, umgesetzt. Aber wie gesagt, ich muss das jetzt hier nicht paraphrasieren. Das Ganze ist hochinteressant und kolossal wichtig. In der Form kenne ich überhaupt kein Buch, was so dieses ganze Thema von der sozialökologischen Seite in den Blick nimmt. Und ich finde es eine wunderbare Ergänzung auch zu meiner eigenen, eher ja naturphilosophisch oder bewusstseinsgeschichtlich orientierten Arbeit. Sie wissen ja, dass bei mir diese sozialen Komponenten eher am Rande behandelt werden. Es ist ja nicht mein Hauptfokus. Also ich finde es wichtig, auch wenn ich allen Schluss­folgerungen hier nicht folgen kann und will, dass man einen kosmischen Naturbegriff entwickelt, dass man Natur versucht, auf eine neue Weise als Gestalt zu denken. Als Gestalt, das ist konkret und spirituell gleichzeitig.

Und das ist ein wichtiger Punkt in dem ganzen nächsten Semester. Das will ich mal versuchen, das habe ich in der Form bisher noch nicht getan, dass ich [mich] wirklich dann zentral orientiere an dem Aspekt der Polarität. Das soll im Mittelpunkt dann des Semesters stehen, drei Vorlesungen über die Polarität. An der organischen Form [werde ich] zeigen, wie man das denken kann, wie man das betrachten kann, wie man die Gestalt sich neu, wirklich ganzheitlich, verdeutlichen kann. Also, da gibt es eine ganze Reihe von Punkten, die ich da versuche. Ob mir das dann so gelingt, weiß ich nicht, aber ich halte das für eine Herausforderung. Ich kann das ihnen ja dann noch am nächsten Dienstag vorstellen, wie ich mir das im Grundlegenden denke.

Meditation wurde schon erwähnt, das ist zentral wichtig, das wissen auch alle Gesellschaften, das ist ja nie vollkommen vergessen worden, das ist aber immer wieder neu zu beleben, [das] sind Rituale. Das ist ja ein Punkt, mit dem wir alle zu tun haben. Wir alle kennen die Verlogenheit und Ausgedünntheit und das ganze Thema der Rituale. Aber auch das gehört für eine Gesellschaft zentral zu einem neuen, möglicherweise neuen, Verständnis der kosmischen Wesenheit, die Rituale neu zu beleben. Es ist ja eigenartig, dass die Menschen auf so eine erstaunliche Weise an letztlich vollkommen ausgehöhlten Ritualen festhalten. [Das ist mir] an diesem Weihnachten und Silvester stärker als je zuvor aufgefallen. Ich habe mich oft gefragt, wie kommt es überhaupt, dass Menschen so geradezu rührend daran festhalten. Man kann sagen, gut, das sind die gesellschaftlichen Zwänge, da sind die Manipulationen derjenigen, die daran verdienen, alles geschenkt, das spielt alles mit hinein. Aber es ist eine tiefere Bewusstseinsform, die dahinter steht.

Ich meine, ganz trivial gesagt, was ist dieser Baum, den man sich hinstellt? Das ist natürlich germanisch, die Esche, die Lichter sind die Gestirne, also die letzte, sozusagen kleinbürgerliche Kümmerform der Gestirne und des Weltenbaums. Und genauso [ist das], was dann in fragwürdigen Ritualen auch sonst abläuft. Auf jeden Fall ist es wichtig, das neu zu beleben. Und das wäre im echten Sinne auch Geomantie. Ich habe ja im Sommer 97 in den Mittelpunkt meiner damaligen Vorlesung das Thema Geomantie gestellt, ja, drei Vorlesungen über Geomantie gehalten. Ich will das nicht jetzt noch einmal im Einzelnen alles wiederholen. Aber es war ja doch der Grundimpuls, dass es möglich sein müsste, eine neue soziale Form zu finden, eines vertieften Umgangs auch mit Erd-Energien, Erd-Strömungen, feinstofflichen Strukturen von Landschaft. Alles Begriffe, die vielfältig belastet sind in den einschlägigen Szenen, aber letztlich Begriffe, für die man zunächst einmal keinen Ersatz finden kann, also die Seele einer Landschaft, auch Heinrichs äußert sich dazu. Was ist denn die Seele einer Landschaft? Das ist es ja nicht, nur eine ästhetisch unverbindliche Befindlichkeit, sondern das ist ja kulturell, sozial geprägt. Was bestimmt denn die Seele einer Landschaft? Das hat ja eine lange Vorgeschichte. Warum suchen Menschen ganz bestimmte Orte auf und andere eben nicht? Warum haben Sie das Gefühl, dass da sozusagen das Leben intensiver ist als anderswo? Weil da irgendetwas auch in der Erde angelegt ist, womit man kommunizieren kann.

Also Rituale halte ich für zentral wichtig. Wie gesagt, ich habe drei Vorlesungen im Sommer 97 zu der Frage der Geomantie gemacht und würde sagen, dass ohne eine geomantische…, eine Wiederbelebung der Geomantie auch wirklich Umwelt- und Landschaftsschutz gar nicht möglich ist. Wenn man den Landschaftsschutz auch im Sinne von Michael Succow so weiterhin betreibt, wie er vielleicht von der momentanen Bewusstseinsverfassung aus auch gar nicht anders betrieben werden kann, nur als ein Rückzugsgefecht gleichsam, ohne diese andere Dimension in irgendeiner Form anzustoßen und vielleicht sogar sozial zu verankern, wird es immer weitere Rückzugsgefechte geben, die in sich schon immer wieder verloren sind. Also auch da muss bewusstseinsmäßig etwas angestoßen werden. Das deutet sich ja ganz zaghaft auch an.

Ich meine, das ist natürlich modisch verflacht, wie häufig genug diese Themen, das wissen wir alle, in dem ungeheuren Boom seit drei, vier Jahren, den wir ja verzeichnen, was die chinesische Geomantie betrifft. Nicht, Feng Shui, bzw. „fang shua“, wie es einer mir mal hier im Sommer 97 gesagt hat, der lange in China war, wie es ausgesprochen wird. Also, die Popularität, zunehmende Breitenwirkung mittlerweile geht es auch in die Zeitschriften rein, die behandeln auch das Thema. Also, dieses alte asiatisch-chinesische System einer neuen Betrachtung von Erd-Strömen, Ausrichtungen des Hauses, des Gartens, der Möbel, nicht, wie liegt die Tür, wie liegt der Tisch und so weiter. Also, da ist ein Riesenthema, was natürlich aufgegriffen wird und kommerzialisiert wird. Das ist mit all diesen Themen passiert, aber gleichwohl liegt darunter ein Gefühl, dass das wichtig ist und man kann es ja auch [auf] eine grausige Weise dann verfehlen.

Das berühmte Beispiel ist natürlich dieses Monströse am Potsdamer Platz nun wirklich. Also, was man alles falsch machen kann in so geballter Form, anti-geomantisch nun wirklich, geradezu als Karikatur, zeigt ja dieser Potsdamer Platz, ist ja wirklich eine Karikatur das Ganze. Also, das als ein Negativbeispiel extremster Form. Aber es gibt doch Ansätze, da bewegt sich was ganz zaghaft, zunächst auf eine eher modische Weise, aber da scheint sich was zu rühren, ein Gefühl scheint dafür vorhanden zu sein, dass sich da in irgendeiner Form was ändert. Also Geomantie, ich sage es noch mal, nicht des Einzelnen, das kann der Einzelne gar nicht, das ist unmöglich, sondern in einer sozialen Form. Geomantie ist immer eine soziale Angelegenheit. Der Einzelne kann Erlebnisse haben, Erfahrungen haben, auch überwältigende Erfahrungen, aber letztlich geomantisch wird es nur in dieser sozialen Dimension, auch in der sozial-ökologischen Dimension. Und dann wird es wirklich auch verbindlich, wie das ja in magisch-mythischen Kulturen immer der Fall war. Das kann man heute noch etwa in Kulturen sehen, wie etwa auf Bali, wenn auch [nur] letzte Reste davon erhalten sind, letzte Reste ja nun eindeutig, haben sich ja gehalten, nicht nur dort, aber doch ganz besonders und intensiv.

Da kann man das doch sehen, was es bedeuten kann, einen anderen Umgang mit Landschaft, mit Erdkräften, mit geomantischen Ritualen, die eine ungeheure Kraft haben, was ja Westler seit den 20er Jahren fasziniert, dahin zu reisen und das wahrzunehmen, das ist ja nicht vollkommen zerstört worden durch den Tourismus, erstaunlicherweise, es ist doch vieles zerstört, aber nicht restlos. Und andere Geisteshaltungen haben ähnliche Ansätze, etwa im tibetisch-tantrischen Buddhismus gibt es das auch, geomantische Systeme, die immer davon ausgehen, dass man der Erde was schuldet, dass die Erde tatsächlich lebt, dass da ein atmender Organismus ist, mit dem man kommuniziert, und dass man nicht beliebig, wie mit einer Walze, vollkommen blind und taub darüber gehen kann, sondern dass da was entgegenkommt, häufig genug auf einer magisch-mythischen Bewusstseinsebene. Schwierig, das auf einer mentalen Ebene weiterzuführen, das wäre wichtig. Nicht, da ist auch noch eine Bewusstseinsaufgabe, die wir nicht gelöst haben. Ich kenne keinen, der es gelöst hat, dieses Magisch-Mythische sozusagen auf einer höheren Ebene mitzunehmen gleichsam, hinaufzunehmen, wenn es denn ein Hinauf ist in die mentale und dann eine mögliche transmentale Ebene. Also eine riesige Bewusstseins­aufgabe, die da zu verzeichnen ist. Das als Beispiele.

Nun ich will ich doch ein paar Worte zur Meditation sagen, es ist schwierig, über Meditation hier in so einem Hörsaal zu reden, ohne dass man da in unverbindliche Allgemeinplätze verfällt. Das ist schwierig. Aber es ist doch die Meditation, die auch nicht sich vollkommen abkoppeln kann vom Denken. Es ist ein Wahn, glaube ich, wenn man meint, in eine meditative Stimmung hineinzugehen und den denkerischen Zusammenhang, den Geist-Zusammenhang, vollkommen zu eliminieren. Was ja auch eine Tendenz ist, bloß nicht zu viel Kopf, möglichst dann…, also Kopf gegen Bauch wird dann ausgespielt, als ob Meditation in diesem Sinne Bauch wäre. Meditation ist auch Kopf, aber das ist eine andere Frage, die dann rührt an die Grundgestalt des Menschen überhaupt. Nicht, darauf will ich im Sommersemester auch dann was sagen. Was ist diese menschliche Gestalt? Wo ist denn der Geist? Nicht nur im Neocortex, sondern im gesamten Körper. Und wie sieht es dann genau aus? Etwa über die Musik kann man ja auch vielfältig Meditationen machen. Man kann über den eigenen Leib meditieren. Man kann ganz vielfältige Möglichkeiten, sich in einen Zustand hineinzubegeben, wo man tatsächlich Gestaltganzheiten auch wahrnimmt. Das kann man bei Goethe lernen, der das hier auf eine wunderbare Weise in seinen Pflanzenbetrachtungen und Farbenbetrachtungen gemacht hat. Und aus gutem Grund greife ich das noch mal auf im Sommer dann, was ich immer mal angedeutet habe, aber noch mal mit einem eigenen Vortrag auch die Farben-Philosophie, wie sie sich von Goethe aus ableiten lässt, also auch eine neue Wahrnehmung der Farbgestalt. Ich finde das sehr wichtig, dass man da eine neue Ganzheit gewinnt. Also eine Meditation, die sich nicht abkoppelt vom Denken, die immer den konkreten Ganzheits-Zusammenhang im Blick behält. Das ist wichtig, um einem Trend sozusagen entgegenzuarbeiten, der darauf abzielt, eine vage, nebelhafte Form, sozusagen wabernd über das Ganze zu legen. Ich finde, das ist der ökologischen Krise, in der wir uns befinden, nicht angemessen.

Es ist schon wichtig, genau hinzugucken. Also, die Lebewesen um uns herum sind konkrete Lebewesen, und sie sollen und müssen als konkrete Gestalt-Ganzheiten wahrgenommen werden. Und das ist dann auch eine existenzielle Dimension. Reduktionistisch kann man das natürlich alles bis zum Äußersten treiben, dann verschwindet die Gestalt. Nicht, in der, was weiß ich, modernen Mikrobiologie ist die Gestaltganzheit vollkommen unwichtig. Das ist das, was sozusagen gar nicht interessiert primär, das ist eine Privatangelegenheit, aber nicht eine Sache der geförderten und allseits bewunderten Forschung, die eine analytisch-reduktionistische ist und wo Gestaltganz­heiten überhaupt keine Rolle spielen. Das wissen wir alle, das ist ja bekannt und auch vielfältig kritisiert, aber der Haupttrend geht ja ganz eindeutig in diese Richtung. Zunehmend ja auch eine Reduktion der Gestalt-Ganzheiten dann auf die letzten in ihnen wirksamen abstrakten Prinzipien. Das muss nicht unbedingt, müssen nicht unbedingt physikalische Prinzipien sein, es können auch systemtheoretische Prinzipien sein, aber es sind sehr abstrakte Prinzipien, die letztlich dem Ganzen zugrunde liegen. Die Gestalt-Ganzheit interessiert viele gar nicht mehr, wie den Astronomen gar nicht interessiert, wie die Sternbilder heißen, wie sie aussehen. Es ist nicht Aufgabe der Astronomie, es ist ein ganz anderes Thema. Auch da wäre etwas zusammenzubringen.

Ich möchte das erst einmal dabei bewenden lassen und hoffe, dass ich dann im Sommer in der Lage sein kann, diese Dinge noch konkreter zu zeigen, denn in gewisser Weise ist das ganze Sommersemester, wenn man es so nennen will, eine Exemplifizierung dieses Themas, wie der Kosmos zum Oikos werden kann und die Frage einer Kosmisierung der Natur, eines kosmischen Naturbegriffs.

Ich denke, dass wir gleich, es ist kurz nach acht, ins Gespräch kommen können. Ich will nur sagen, dass ich in der nächsten, letzten Folge im Wintersemester den Versuch machen möchte, gleichsam wie in einem musikalischen Prozess nochmal diese zwölf Komponenten dieses Semesters zusammenzuführen. Und die verschiedenen Motive und eine Art von Resümee zu ziehen, was möglicherweise am Ende dieses Semesters festzustellen ist, was vielleicht erreicht worden ist, in Anführungszeichen, mit aller Vorsicht, wo vielleicht thesenhaft formulierbare Elemente festzustellen sind. Also das will ich nächste Mal machen, sozusagen, alle Motive zusammenbringen und eine Art, musikalisch gesprochen, also eine Art Finale [zu bringen], in diesem Sinne, dass alle Themen aufgreift noch mal, allerdings ihnen dann auch wieder eine andere Wendung noch gibt. Soll also nicht um eine pure Wiederholung gehen, das wäre nicht in meinem Sinne, sondern Sie kommen noch mal in einen neuen Zusammenhang hinein.

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Kosmisches Bewusstsein – mystische Formel oder Wirklichkeit?

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 12

Transkript als PDF:

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Diese heutige Vorlesung und die Vorlesung vor einer Woche plus der Vorlesung in einer Woche stellen in gewisser Weise eine Triade dar – eine Triade innerhalb einer Einheit. Sie sind eigentlich drei verschiedene Facetten des selben Themas. Ich will nochmal das Thema genau angeben. Da hieß es ja in meiner Übersicht „Noch einmal zum Bewusstsein. Kosmisches Bewusstsein – eine (bloß) mystische Formel oder erlebbare, verifizierbare Bewusstseinswirklichkeit?“ Und dann „Wie weit reich das Bewusstsein?“ „Weit“ meint hier nicht primär „Ausdehnung in den Raum hinaus“, also im vordergründig verstandenen Sinne „außen“, „weit, immer weiter“, sondern eher im Sinne von „tief“ oder auch „hoch“ – je nachdem. Ich will anknüpfen an die letzte Vorlesung, in der es ja um die Frage der Weltseele ging. Wir hatten ja dann in der Diskussion auch Fragen, wie man dann den Begriff „Weltseele“ noch näher und genauer bestimmen könnte, wie er denn abgrenzbar sei von der Einzelseele, der Individualseele oder gegebenenfalls von der Gestirnseele. Ich will das nochmal versuchen anzusprechen und einige Akzente setzen, die mir dann die Möglichkeit geben, von dort aus zu dem Thema zu kommen, der Weltseele im eigentlichen Sinne. Ich hab bei dem Altphilologen … wie heißt er … Schadewald, Wolfgang Schadewald, eine interessante Entdeckung gemacht, die mir hier hilfreich scheint. Schadewald stellt dar, dass der altgriechische Begriff der Natur, der Physis, vier Grundelemente enthält, abgeleitet von dem Wort „phyein“ gleich „Blühen“. Schadewald meint, Physis enthielte die Komponenten Ursprung – im Sinne von „Arche“ –, genauso aber Ziel – „Telos“ – und Wesen und den Werdeprozess selber, das Blühen im engeren Sinne. Also Ursprung – die Arche –, das Ziel – Telos, in gewisser Weise ja causa finalis –, dann das Wesen – so taucht der Begriff zum ersten Mal in der „Odyssee“ bei Homer auf – und das Blühen im Sinne von Werden. Und das möchte ich auf den Seelenbegriff übertragen. In meiner Wahrnehmung ist Seele genau dies für die lebendige Gestalt. Seele, in meinem Verständnis, ist der Ursprung der lebendigen Gestalt, das Ziel – das Telos – der lebendigen Gestalt, das Wesen – in gewisser Weise auch die Essenz – der lebendigen Gestalt und der Prozess des sich entfaltenden Werdens. Also diese vier Komponenten spielen in meinen Seelenbegriff hinein. Und das ist nicht zu trennen von einer wie immer gefassten Ichheit – mal mit aller Vorsicht gesagt … einer wie immer gefassten Ichheit. Das ist ein sehr weitgehender Begriff von Seele, der, wenn man ihn weiterdenkt, zu überraschenden Überlegungen führt, ja unter anderem zu der Überlegung, was es denn auf sich hat oder haben könnte mit einer möglichen Präexistenz oder Postexistenz dieser so verstandenen Seele. Man kann auch für „Seele“ – und ich liebe diesen Ausdruck sehr – „Monade“ sagen.
Nun ist der Begriff „Monade“ philosophiegeschichtlich in bestimmter Weise geprägt, primär durch Leibniz, ungerechtfertigterweise im Übrigen – die wesentlichen Elemente der Monadenlehre von Leibniz kann man bereits bei Giordano Bruno nachlesen. Giordano Bruno war eigentlich der Erste, der den Begriff der „Monade“ in die Naturphilosophie-Kosmologie eingeführt hat. Und für Bruno ist in gewisser Weise die Weltseele, von der ja die Rede war, auch eine Art Urmonade. Und das finde ich an sich einen wichtigen und erhellenden und auch schönen Begriff. Man kann also sagen:

Die Weltseele ist auch eine Art Urmonade.

Also die Einzelseele als Arche, auch als Archetypus, der der lebendigen Gestalt zu Grunde liegt, und auch das, woraufhin die lebendige Gestalt zielt, also teleologisch verstanden. Das ist ja weitgehend! Wenn die lebendige Gestalt erwächst aus einem Ursprung, der in gewisser Weise bereits das Ziel enthält, ja ist, sodass ein Werdeprozess auch verstanden werden kann als ein Prozess der Erinnerung. Das ist ja ein altes Thema in der Philosophie, auch in spirituellen Überlieferungen, dass Erkenntnis, ein zunehmendes Erschließen von Wirklichkeit, immer auch ein Sich-Erinnern ist, extrem bei Platon in der Vorstellung der Anamnesis, also die Seele ist hineingekommen – hineingestürzt, wie das dann die Neuplatoniker sagen – in die stoffliche Welt und muss nun in einem langen Prozess sich wieder hocharbeiten zur erinnernden Erkenntnis der Ideenwelt – also in diesem Sinne Anamnesis. Dann wäre jede Erkenntnis in diesem Sinne auch Ursprungserkenntnis, die Anwesenheit, die ständige Präsenz von Ursprung. Dann fielen in gewisser Weise Arche und Telos zusammen, dann gäbe es eine Art von Arche-Telos. Das wäre eine mögliche Definition der Seele, die immer gebunden ist – oder gebunden ist – an die Vorstellung einer Ichheit. Das ist wichtig. Das hängt auch mit der Bewusstseinsfrage zusammen. Also Weltseele in diesem Sinne als Urmonade.
Ich habe in den letzten Jahren – ich will das hier mal etwas ungeschützt und auch ohne die eigentlich erforderliche Differenzierung sagen – viel nachgedacht über die Frage, wie man Kosmologie bis zu einem gewissen Grade triadisch denken kann und bin da zu folgendem Ergebnis gekommen – ich sag das mal plakativ, ich denke, dass ich das in anderen Kontexten auch noch differenzierter darstellen kann, habe das zum Teil auch schon getan –. Man kann vereinfacht eine Triade feststellen von Weltäther, Weltseele [zeichnet etwas an die Tafel]… jetzt hier nicht, lieber Johannes, als drei Kreise, die ineinander greifen – das wäre ein interessanter Versuch, das auch hier zu machen … mach ich mal absichtlich nicht, weil Johannes Heinrichs hier unter uns sitzt … und Weltgeist … oder Weltengeist oder Weltenäther oder Weltenseele. Das muss ich noch ergänzend sagen, dass ja „Welt“ ursprünglich einfach die Erde meint und ganz geozentrisch auch gedacht ist. Also „Weltseele“ bei Platon ist natürlich bezogen auf die im Mittelpunkt des Kosmos gedachte Seele und „Weltseele“, jetzt mal nachkopernikanisch verstanden, ist natürlich eine Universal- und Allseele, nicht die Gestirnseele. Was immer die Gestirnseele ist oder sein mag, das ist nicht primär das, was unter „Weltseele“ verstanden wird. Also wir haben drei Wirklichkeitsbereiche [zeichnet], die auf vielfältige Weise miteinander wechselwirken, um diesen eher physikalisch bestimmten Begriff mal zu verwenden, und dann würde ich sagen, dass Weltäther eher das ist, was im … in der menschlichen Gestalt den Leib ausmacht. Hier würde ich auch setzen [schreibt] … in Anführungszeichen … „Raumenergie“ – ich habe ja vor 14 Tagen über die Frage der Vakuum- oder Raumenergie gesprochen, auch über die Frage der Urmaterie [schreibt]. Wir haben also Raumenergie oder Urmaterie. Dann Weltseele wäre hier, um das nochmal zu sagen, [schreibt] Urmonade, im Sinne von Ursprung auch aller lebendigen Formen, Ziel aller lebendigen Formen, Weltgeist [schreibt] im Sinne von „Logos“ – erstmalig bei Heraklit – aber auch von „Gesetz“, vielleicht auch „Tao“. Der Mensch, das scheint mir zunehmend plausibel, ist in seiner Eigentlichkeit Seele. Der Mensch ist Seele. Insofern ist die Identität des Menschen primär hier [malt] verankert. Der Mensch ist Seele. Er partizipiert am Weltgeist und er taucht gewissermaßen in eine stofflich-physische Welt ein, auch in eine feinstofflich-physische Welt im Sinne eines Weltenäthers, was offenbar notwendig ist zur Bewusstseinsevolution. Also: der Mensch ist Seele. Er ist nicht ein Teil der Seele, der Weltseele, ein Splitter oder ein Atom der Weltseele, sondern er ist die ganze Weltseele. Das ist wichtig. Das meint ja auch der Begriff der Urmonade, dass der Mensch diese Weltseele ist und damit auch das Ganze ist. Nur weil er das Ganze ist, kann er das Ganze auch denken. Der Mensch ist nicht wirklich auch die feinste Materie und der Mensch ist nicht wirklich in der Tiefe Logos, aber er hat Anteil am Logos. Also ich lege die Identität des Menschen in den Bereich der Seele, in diesem Falle Weltseele. Also jeder Mensch, jede lebendige Gestalt überhaupt ist die Weltseele als Ganzes. Und man kann natürlich nun diese Triade vielfältig anwenden. Man kann sie z. B. eben auch auf den Menschen anwenden und das ist der Ausgangspunkt, vielleicht auch die Legitimation, überhaupt solche weitreichenden kosmologischen Überlegungen anzustellen, dass man ja aus der Selbstbeobachtung ohne konstruktiven Impuls ja auf diese Dreiheit kommt. Das ist ja nicht eine Erfindung, ein konstruktiver Prozess, sondern das bietet sich in gewisser Weise schon durch eine phänomenale Selbstbeobachtung … phänomenologische Selbstbeobachtung … an. Also Leib, Seele und hier im Sinne von Geist. Das meine ich mit der Weltseele: also Urmonade, Universalseele, Allseele, nicht im eigentlichen Sinne die Gestirnseele. Und dann kann man natürlich sagen: Wenn der Mensch im Tiefsten diese Weltseele ist, was bedeutet das, um das nochmal zu sagen, für die Frage seiner möglichen Prä- oder Postexistenz? Ist er sozusagen eine immaterielle metaphysische Entität, die nur für eine gewisse Zeit eintaucht in diese materielle Welt, die aber im Grunde genommen nicht ihre Heimat ist? Das ist ja ist ja die Grundfigur der Gnosis, dass also ein im Grunde genommen überkosmisches oder akosmische Selbst in die Materie eintaucht, sich mit der Materie verbindet aufgrund einer wie immer beschaffenen Zersplitterung, einer Abspaltung, die irgendwo passiert sein muss, aber einer … dass diese metaphysische Entität sich in dieser physisch sinnlichen Welt immer im Exil fühlt. Das ist eine große Strömung auch in der abendländischen Spiritualität – ich will das noch nächste Woche aufgreifen und erläutern –, dass die Einzelseele sich als kosmosfremd, als akosmisch empfindet. Also wie gesagt, an der Gnosis kann man das ganz schön zeigen, das haben Interpreten der Gnosis, wie etwa Hans Jonas oder Taubes und dann auch jüngst Sloterdijk sehr schön gezeigt, also dass das Selbst als ein akosmisches gesehen wird. Dann gäbe es also zu dem kosmischen Bewusstsein – darüber sprechen wir ja noch – ein akosmisches Bewusstsein. Das kann man, wie das Jonas und andere tun, bis in den Existentialismus hineinverfolgen. In gewisser Weise auch ist das Seyn Heideggers, wenn man es so nennen soll – mit E Y – ein akosmisches Selbst. Also die Grundfrage bleibt ja: Ist der Mensch in der physisch-sinnlichen Wirklichkeit zu Hause, ist das seine Heimat, findet er hier sein Wesen oder ist er hier eher im Exil? Also zwei Grundbefindlichkeiten des In-der-Welt-Seins, die man erst einmal auseinanderhalten muss. Und das führt natürlich auch, wenn es auf eine spirituelle Ebene gerät, zu einer eher kosmisch orientierten Spiritualität. Ich fühle mich auf dieser Erde zu Hause, in diesem Kosmos zu Hause, oder ich fühle mich auf dieser Erde, in diesem Kosmos eben nicht zu Hause. Ich komme eigentlich von woanders. Das Ganze ist nur eine gewaltige Veranstaltung zu einem Lernprozess im höheren Sinne, eine gewaltige Phantasmagorie, die aber notwendig ist, damit diese Monade wieder zurückkommen kann zu dem Punkt, von dem sie ausgegangen war. Die alte Frage, die in dem Zusammenhang natürlich immer gestellt wird und die immer verschieden gestellt wird und beantwortet wird, ist: Wie kommt es, dass eine Geistseele – ich benutze jetzt mal diesen Begriff – sich in die materielle Welt hineinbegibt? Ist das ein Versehen? Hätte das nicht sein sollen? Oder ist das ein notwendiger Durchgang? – extrem, ja bei den Gnostikern, bei einigen der Gnostiker, die meinen, das hätte nicht passieren dürfen. Also die geschaffene Welt ist von einem Unterdemiurgen, von einem Demiurgen als einem zweiten Gott, einem Untergott geschaffen wurden. Sie ist beherrscht von Gerechtigkeit, von Grausamkeit, aber der Mensch ist eigentlich als Lichtwesen von ganz woanders. Bei Marcion kann man das etwa nachlesen, die Zweigötterlehre. Wie gesagt, das ist ‘n wichtiger Punkt, auch für das Verständnis überhaupt einer wie immer gearteten Evolution. Was ist diese Evolution, nich‘, und wie sehr können wir uns mit der physisch- sinnlichen Welt verbinden? Das ist ja auch ‘ne Frage die wirklich wichtig ist für eine tiefenökologische Reflexion: Was ist der Mensch in der Tiefe? Kann er aufgehen in der physisch-sinnlichen Welt, oder gibt es da immer einen niemals aufgehenden Rest, einen Geist- oder Seelenrest, der wesenhaft von woanders kommt, sich an etwas ganz anderes immer wieder neu erinnert und deswegen auch dahin strebt, wo er möglicherweise hergekommen ist, wo er abgestiegen ist? Wie gesagt, ich gehe nächste Woche nochmal im Zusammenhang mit der Frage darauf ein, ob oder wie der Kosmos zum Oikos, zum Haus oder Heim werden kann.
Nun zur Frage der … des sogenannten „Kosmischen Bewusstseins“. Ein Begriff, der schwierig ist, vielfältig belastet, belegt, besetzt, kann man sagen, im 20. Jahrhundert durch eine Vielzahl von Strömungen und Denkrichtungen. Ich hab das versucht, mal zu verfolgen: Woher stammt der Begriff? Ich bin da nur bedingt fündig geworden. Wenn ich das richtig sehe, stammt der Begriff „Kosmisches Bewusstsein“ von Helena Petrovna Blavatsky und wird in der „Secret Doctrine“ von 1888 zum ersten Mal verwendet: „cosmic consciousness“, soweit ich das beobachten oder sehen kann. Der Begriff taucht dann um die Jahrhundertwende in einem wichtigen Buch auf, das heute so eine Art Klassiker der Bewusstseinsforschung geworden ist, 1901 erschienen, von einem … ein Buch eines kanadischen Psychiaters und Mediziners, Richard Bucke, dem Titel „Cosmic Consciousness“, „Kosmisches Bewusstsein“. Richard Bucke – b,u,c,k,e – 1837-1895, hatte, wie er das beschreibt, im Alter von 35 Jahren eine Art Entgrenzungserlebnis, einer Art Erleuchtungs­erlebnis, wie immer, das ihn dazu gebracht hat, sich mit der Frage zu beschäftigen: Haben das auch andere Menschen in der Geschichte gehabt, gibt es da eine Phänomenologie? Er führt dann Fälle an, wie Laotse, Buddha, Paulus, Mohammed, Dante, Böhme, Spinoza, Swedenborg usw. Also er sucht dann in der Geschichte nach Beispielen. Mir ist jetzt nicht bekannt, ob Richard Bucke einen philosophischen Hintergrund hat. Soweit ich weiß, ist das nicht der Fall. Mag aber sein, dass ich da nicht genügend informiert bin. Das Buch erschien zunächst in einer kleinen Auflage 1899 und kam dann 1901 in einer großen Auflage raus und is‘ heute noch einer der Klassiker zu dieser Frage nach dem kosmischen Bewusstsein.
Ich will die Grundfrage mal, um die es hier geht, an einem Zitat verdeutlichen, was ich auch in Auszügen in meinem Buch „Was die Erde will“ gebracht habe, an einem Zitat aus „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ von Goethe, 1823 ungefähr. Da gibt es folgende Szene: Wilhelm Meister schaut zum ersten Mal in seinem Leben durch ein Fernrohr. Ein Astronom führt ihn auf eine Sternwarte. Er schaut zum ersten Mal durch ein Fernrohr und ist zutiefst, in seiner existenziellen Tiefe, erschüttert. Da heißt es hier bei Goethe: „Der Astronom aber versprach, Wilhelmen in dieser herrlichen, klaren Nacht an den Wundern des gestirnten Himmels vollkommen teilnehmen zu lassen. Nach einigen Stunden ließ der Astronom seinen Gast die Treppen zur Sternwarte sich hinaufwinden und zuletzt allein auf die völlig freie Fläche eines runden, hohen Turmes heraustreten. Die heiterste Nacht, von allen Sternen leuchtend und funkelnd, umgab den Schauenden, welcher zum ersten Male das hohe Himmelsgewölbe in seiner Herrlichkeit zu erblicken glaubte. Ergriffen und erstaunt hielt er sich beide Augen zu. Das Ungeheure hört auf, erhaben zu sein, es überreicht“ – im Sinne von „übersteigt“ – „es überreicht unsre Fassungskraft, es droht, uns zu vernichten.“ – Sehr interessante, signifikante Passage hier: „Das Ungeheure hört auf, erhaben zu sein, es überreicht unsre Fassungskraft, es droht, uns zu vernichten.“ – Durch seine pure, ja monströse Größe, jetzt auf der Ebene der Raumesweite, dann heißt es weiter – „’Was bin ich denn gegen das All?‘ sprach er zu seinem Geiste; ‚wie kann ich ihm gegenüber, wie kann ich in seiner Mitte stehen?’“ – Also die Erschütterung: Wenn das kosmische Ganze so ungeheuerlich ist, so entgrenzt, so weit, so tief, ja monströs, was bin ich dann als Mensch? Bin ich ein Nichts? Bin ich ein Punkt? Ein unwichtiger, unbedeutender Punkt in dem Ganzen? – „Wie kann sich der Mensch gegen das Unendliche stellen,“ – heißt dann weiter – „als wenn er alle geistigen Kräfte, die nach vielen Seiten hingezogen werden, in seinem Innersten, Tiefsten versammelt, wenn er sich fragt: ‚Darfst du dich in der Mitte dieser ewig lebendigen Ordnung auch nur denken, sobald sich nicht gleichfalls in dir ein beharrlich Bewegtes, um einen reinen Mittelpunkt kreisend, hervortut?’” – noch mal die Schlussfrage – „’Darfst du dich’“ – fragt sich also Wilhelm Meister selber – „’in der Mitte dieser ewig lebendigen Ordnung auch nur denken, sobald sich nicht gleichfalls in dir ein beharrlich Bewegtes, um einen reinen Mittelpunkt kreisend, hervortut?’“ – also die Erschütterung des Menschen angesichts der puren Unermesslichkeit, die ihn zu zerschmettern droht, die ihn quasi ruiniert. Das ist ja ein Motiv, dass man in der abendländischen Geistesgeschichte immer wieder findet, berühmt, ich hab das ja schon manchmal angeführt, vor 200 Jahren Jean Paul, „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei“. Nich‘, also die Heraufkunft in gewisser Weise des Nihilismus, aufgrund eines unbegrenzt monströs, sinnleer, aberwitzig erscheinenden Raumes, der einfach kein Ende hat, niemals zum Ende kommt, also dieses Gefühl hier des Schocks vor dieser Unermesslichkeit. Nun ist das interessant, wie das Goethe … die Wendung hier bei Goethe: „Das Ungeheure hört auf, erhaben zu sein, es droht uns zu vernichten.” Und dann die Wendung zurück auf den Einzelnen, der in gewisser Weise doch, trotz dieser ungeheuren Dimensionen der Raumesweiten, einer kosmischen Wirklichkeit, sich als ichhaft erlebt inmitten dieser ewig lebendigen Denk – … Ordnung als reinen Mittelpunkt, natürlich hier bei Goethe seiner ganzen existenziellen Grundhaltung nach als ewig lebendige Ordnung, also Kosmos als ewig lebendige Ordnung verstanden, obwohl man zeigen kann bei Goethe, dass er immer eine gewisse Scheu hatte vor diesen existenziellen und auch kosmischen oder auch kosmologischen Abgründen, auch der Astronomie gegenüber immer ein gewisses Misstrauen. Das war ihm unheimlich zu einem gewissen Grade.
Ich habe vorhin den Altphilologen Wolfgang Schadewald erwähnt und will noch mal etwas anführen von Schadewald. Schadewald stellt einmal eine Szene dar, die er erlebt hat, dass er hinaus trat vor oder unter das nächtliche Firmament, erschüttert in der Tiefe. Irgendetwas hat ihn angerührt, angeweht von einer rätselhaften kosmischen Ordnung und dann der Bruch gleichsam in seinem Bewusstsein, die Information, das Angelesene, das Gehörte, dass Vermutete über diese Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist ja doch nur Materie, Energie in irgendeiner Form, ein in sich sinnlos und bewusstseinsfremd verstricktes Etwas. Also der Bruch des Bewusstseins, dass da eine Verbundenheit aufbricht in diesem Sinne, also eine Art kosmisches Bewusstsein und dass dann im Kopf ein Gegenfilm abrollt: Diese Verbundenheit kann nicht sein, weil die Naturwissenschaft hat doch bewiesen, dass wir nur ephemere Wesen in dem Ganzen sind, dass das monströse Gaskugeln in einer unheimlichen Leere sind, dass das Ganze letztendlich sinnleer ist. Und das ist schwierig, über diese Dinge in diesem Kontext zu reden, weil das sofort auftaucht. Es scheint erst einmal, dass der Mensch, auch heute noch, ein elementares Gefühl dafür gewinnen kann, was ihm aber immer wieder gleichsam zerstückelt wird, da schiebt sich immer etwas anderes davor, vor diese elementare Wahrnehmung. Nun kann man natürlich sagen, na gut, das ist ja ganz verständlich, der Mensch hat es einfach nicht verkraftet existenziell, dass er nicht mehr wie im geozentrischen Kosmos sich als Weltenmitte begreifen kann. Er hat das sozusagen nicht verarbeitet, er hängt noch innerlich einem längst obsolet gewordenen kosmischen System nach. So ist das ja auch häufig interpretiert worden, etwa auch von Jung, der Mensch kann also diese Anima-Verbundenheit einer kosmischen Beziehung seiner Existenz nicht aufgeben, er müsste erkennen, dass da draußen nichts als monströse sinnleere Leere ist und könnte erst dann die nächste Stufe erreichen. Also eine existenzielle Erfahrung, die wahrscheinlich jeder kennt. Man kann das ja auch mit Kindern beobachten, die da bestimmte Wahrnehmungen haben und dann Fragen stellen, dann kommen die „klugen“, oft sehr dummen Antworten derjenigen, die irgendwas sich angelesen haben, es irgendwie wissen: „Das ist aber doch in Wirklichkeit so und nicht anders.“ Und dann werden Kinder irritiert und suchen sich natürlich andere Möglichkeiten, dieses Grundgefühl zum Ausdruck zu bringen und es ist auch irgendwo, das kann man immer wieder nachweisen, unzerstörbar, kommt aber zunehmend in andere Kanäle heute.
Mir ist vor einigen Tagen, das will ich hier eher als Aperçu am Rande erwähnen, das gehört aber zum Thema, ein Plakat in die Hände gefallen: die Ankündigung eines Kongresses, der im Februar stattfindet. Es geht um „Dialog mit dem Universum“, wie es hier heißt – großer Kongress. Wenn man voreilig sich darüber mokiert und lächelt und denkt, man kenne das ja: Um Ufos, darum geht’s natürlich, um Raumenergie und neue Technologien und die Größen, Bestseller-Autoren auf diesem Felde, sind natürlich alle versammelt, Johannes von Buttlar und Konsorten, dann sollte man aber ‘n Moment innehalten, denn, was hier zum Ausdruck kommt, artikuliert erst einmal ein elementares Bedürfnis des Menschen, dass es überhaupt so etwas geben kann, wie einen Dialog mit dem Universum. Denn wenn das Universum monströse Leere oder ein Abgrund des Immer-Weiter ist, mit dem ich absolut nichts zu tun habe, wo ich gleichsam herausgewirbelt bin aus der Nacht des Nicht(s)seins, ich weiß nicht wie, ich weiß nicht woher, ich weiß nicht wohin, ich fühle mich als isolierte Monade, dann zerschmettert das ja natürlich meine Grundwahrnehmung, ruiniert mich eigentlich, und es ist schon mal ein wichtiger Impuls, der auf den verschiedensten Ebenen sich wie ein roter Faden durch das ganze 20. Jahrhundert zieht, diesen neuen Versuch eines Dialogs mit dem Universum. Es wird ja jetzt, wie ich meine, verfrüht, das 20. Jahrhundert zu Grabe getragen, es ist ja nun noch nicht zu Ende, aber es gibt allenthalben Rückblicke, und es gibt zentrale Momente dieses 20. Jahrhunderts, die hervorgehoben werden und soweit ich sehen kann, taucht unter diesen Momenten nicht auf, was eigentlich auftauchen müsste: der Versuch nämlich des Menschen seit 100 Jahren, tatsächlich auf den verschiedensten Ebenen eine Art Dialog mit dem Universum neu, auf einer neuen Ebene zu finden, sich auf ‘ner neuen, anderen Bewusstseinsebene mit dem Universum zu verbinden. Und das kommt auch noch in Strömungen, auch selbst politischen Richtungen, zum Ausdruck, wo man es gar nicht vermutet. Ich hab ja vor Jahren auch schon mal hier angeführt ein Buch des Schriftstellers Stefan Heym aus den fünfziger Jahren, ganz materialistisch-marxistisch noch geprägt, „Das kosmische Zeitalter“. Wenn man dann das Buch – ich hab mir das zum Teil mal damals angeguckt – anschaut, dann stellt man fest, dass auch hier auf ‘ne sehr technisch-imperiale Weise so etwas durchbricht wie der Versuch, dann doch einen Dialog mit dem Universum zu finden, das kosmische Zeitalter. Selbst also die Matadore der Raketentechnik, zum Beispiel Werner von Braun, benutzten sehr häufig den Begriff „Kosmisches Bewusstsein“. Also Werner von Braun zum Beispiel schon in den fünfziger, sechziger Jahren hat diesen Begriff immer wieder benutzt und dann auch, je älter er wurde, zunehmend auch mit spirituellen Vorstellungen verbunden. Und es ist ja … liegt ja offen zutage, dass natürlich diese Vorstellung auch heute auf ‘ne andere Weise Konjunktur hat im Zusammenhang etwa mit der Ufologie und auch mit der Frage, die ich ja letzte Mal auch gestellt habe: Gibt es andere bewohnte Gestirne? Gibt es extraterrestrisches Leben? – das interessiert ja doch die meisten Menschen in irgendeiner Form – Gibt es da mögliche Kommunikationen? Gibt es andere Planetensysteme? … das Ganze … Gibt es da vielleicht die Möglichkeit eines Dialogs? Sind wir nicht so isoliert, sind wir nicht so einsam und atomisiert, wie das zunächst scheinen könnte? Also auch in der Ufologie, natürlich auch in der Astrologie – da ist ja ein ungeheurer Boom in der Astrologie, wobei die Astrologie ja im Wesentlichen ein System ist, was sich mit dem Sonnensystem beschäftigt, primär mit dem Sonnensystem beschäftigt, und natürlich in der sogenannten Science-Fiction und was ja schon die Kids in ihrer … in ihr Bewusstsein aufnehmen. Es gibt ja ein kollektives Interesse schon bei 4-, 5-, 6-Jährigen an dem kosmischen Thema. Also das ist ja eigentlich erstaunlich, dass das kosmische Bewusstsein auf einer eher technischen Bewusstseinsebene heute schon von Kids in irgendeiner Form aufgenommen wird. Also man hat doch den Anschein, man hat doch den Eindruck, dass da irgendetwas tatsächlich sich geöffnet hat und dass nur der Mensch unsicher ist, wie er mit dieser Öffnung umgehen soll. Wenn Sie die Filme der letzten Jahre und Jahrzehnte beobachten, dann können Sie das immer wieder feststellen, dass es ein ständiges Thema ist: entweder die Bedrohung aus dem Kosmos oder Beglückung aus dem Kosmos, irgendwelche Außer- oder Extraterrestrische landen hier und verändern das gesamte Geschehen oder sind schon gelandet, sind schon unter uns usw. Ich sage das nicht, um mich da auf ‘ne sehr platte Weise drüber zu mokieren oder zu erheben. Das sind erst einmal archetypische Vorstellungen, die in einer Vielzahl von Menschen lebendig sind. Da gibt es so etwas wie eine Art von kosmischem Bewusstsein auf der technischen Bewusstseinsebene. Das ist wichtig: eine Art von kosmischem Bewusstsein auf der technischen Bewusstseinsebene auf vielfältigste Weise. Und man … ich guck mir das immer sehr genau, interessiert an, weil ich begreifen möchte, wie das kollektive Bewusstsein arbeitet. Und da ist es zum Beispiel interessant, dass einer der bekanntesten Astronauten, ein Apollo-14-Astronaut – 1971 war er auf dem Mond – ja in einem Buch, was vor einigen Jahren erschienen ist, noch mal seine Gefühle, seine Wahrnehmung geschildert hat, was ihm widerfahren ist auf dem Rückflug vom Mond zur Erde. Ich habe das vor, glaube ich, anderthalb, zwei Jahren schon mal in ganz anderem Kontext zitiert, will nur mal eine kleine Passage noch mal hieraus vorlesen, weil es interessant ist und bezeichnend. Edgar Mitchell hat aufgrund dieser Erfahrung, von der gleich die Rede sein wird, dann ein Institut begründet, das kürzlich sein 25-jähriges Bestehen gehabt hat, Institute of Noetic Sciences in Berkeley, Los Angeles. Und das Buch heißt „Wege ins Unerforschte“, Edgar Mitchell, Apollo 14-Astronaut. Da heißt es zum Beispiel: „Während ich während der drei… Was ich während der dreitägigen Rückkehr zur heimatlichen Erde erlebte, war so etwas wie ein überwältigendes Gefühl universalen Verbundenseins. Ich fühlte tatsächlich, was gern als Ekstase der Einheit beschrieben wird. Mir kam in den Sinn, die Moleküle meines Körpers und die des Raumschiffs waren vor langer Zeit im Schmelzofen eines der uralten Sterne, die um mich herum am Himmel glühten, erzeugt wurden. Ich hatte das Empfinden, unsere Präsenz als Raumfahrer, sowie die Existenz des Universums selbst war nichts Zufälliges, sondern ein intelligenter Prozess. Ich nahm das All als ein in gewisser Weise bewusstes Universum wahr.“ Und dann gibt er in dem Text selber eine sehr aufschlussreiche, erhellende und in gewisser Weise auch eindrucksvolle Schilderung, was ihm da widerfahren ist auf dieser dreitägigen Rückreise vom Mond zur Erde. „Im Weltraum kann man mit bloßem Auge etwa zehnmal mehr Sterne sehen als auf der Erde, weil keine Atmosphäre da ist. Auch sind vertraute Objekte ungefähr zehnmal heller. Vor dem kalten, schwarzen Hintergrund scheinen Sterne und Planeten zu glühen. Man bekommt den Eindruck, im Kosmos eingehüllt zu sein, wenn man um sich herum das prächtige stille Glitzern der Milchstraße und der Galaxien jenseits davon liegt. Die Empfindung war ganz und gar fremd. Irgendwie fühlte ich mich in etwas viel Größeres eingebunden, das über mich hinausging, etwas viel Größeres noch als der im Fenster sichtbare Planet“ – also der Rückblick oder Vorausblick auf die Erde – „etwas unfassbar Großes. Noch heute staune ich darüber. Zahlreiche Gedanken und Gefühle, die ich damals hatte, haben einen alchemistischen Prozess hinter sich. Das Nachdenken darüber und das Verarbeiten von auflebenden Erinnerungen hat vielleicht geholfen, die verborgenen Seiten eines so sonderbaren Ereignisses zu beleuchten, aber die ganze Szenerie ist nach wie vor lebendig, als habe sie seither nichts von ihrer Klarheit eingebüßt. Sie taucht in meinen Erinnerungen außerordentlich deutlich auf. Als ich dann über die Erde hinaussah und das größere Bild in seiner ganzen Pracht vor Augen hatte, erkannte ich mit einem Mal, dass das Universum nicht so beschaffen ist, wie man mich gelehrt hatte. Ich war bestürzt. Ich hatte es so verstanden, dass jene Himmelskörper in ihrer Verschiedenheit von uns getrennt sind und sich relativ unabhängig bewegen. Dieses Verständnis war plötzlich zerstört. Anstelle dessen stieg eine neue Einsicht in mir auf, mit der sich ein Gefühl allgegenwärtiger Harmonie verband, ein Verbundenheitsgefühl mit all den Himmelskörpern, die unser Raumschiff umgaben. Einige der wissenschaftlichen Fakten über die Evolution der Sterne bekamen eine neue Bedeutung. Das war keine religiöse oder jenseitige Erfahrung, obwohl vielfach versucht wurde, ähnliche Ereignisse in solch eine Form zu gießen. Es war auch keine völlig neue wissenschaftliche Einsicht, die mir plötzlich bewusst geworden war, es war nur ein Zeiger, ein Wegweiser, der die Richtung zu neuen Perspektiven und zu einem umfassenderen Verständnis angab. Der Mensch ist Teil eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses und dieser ist grandioser und intelligenter als die klassische Wissenschaft und die traditionellen … die religiösen Traditionen es bislang richtig beschreiben konnten. Ich war Teil eines natürlichen Prozesses, der größer war, als ich es früher begriffen habe, ein Prozess, der mich von allen Seiten umgab, während die Raumkapsel mit mir 400.000 Kilometer weit durch das leere, schwarze All flog.“ Und dann heißt es hier, letztes Zitat: „Ich erlebte das, was man als Ekstase der Einheit beschrieben hat. Ich sah nicht nur die Verbundenheit, ich fühlte sie und ich erlebte sie durch Empfindungen. Ich war überwältigt von dem Gefühl meiner körperlichen und geistigen Ausdehnung in den Kosmos hinein. Die Beschränkungen und Begrenzungen von Fleisch und Knochen fielen weg. Mir wurde klar, dass dies eine biologische Reaktion meines Gehirns war.“ – nun interpretiert er das – usw. Also was erlebt? Er erlebt eine, wie er selber sagt, ekstatische Erfahrung, eine Entgrenzungserfahrung. Und das ist schon mal eine erste mögliche, vorsichtige Definition des sogenannten kosmischen Bewusstseins: Es ist eine entgrenzende Erfahrung, eine Erfahrung, die aber gleichwohl die Ichheit, den Ich-Fokus nicht vollständig zerstört oder aufhebt, aber ihr einen anderen Platz zuweist, einen anderen Stellenwert. Also das Ich erfährt sich bewusstseinsmäßig gleichsam ausgegossen in die Weite des Raums und das Ich erfährt gleichzeitig eine Art Verbundenheit, eine Art Emphase, eine Empathie mit dem Kosmos. Nun sind das Erfahrungen in verschiedenster Form, die ja bekannter sind aus der mystischen Tradition, also einer unio-mystica-Erfahrung der Einheit der Ganzheit. Was ist das? Ist das eine letztlich primär, ja fast ausschließlich, subjektive Erfahrung, die man berichten kann oder über die man berichten kann, die keinerlei Verbindlichkeit beanspruchen darf? Wie immer, erst einmal ein Schritt in die Richtung eines möglichen kosmischen Bewusstseins ist die Frage der Ich-Überschreitung – Punkt1.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, grundsätzlich, dass Ich zu überschreiten: Man kann das Ich nach unten hin überschreiten und man kann das Ich nach oben hin überschreiten – Stichwort im Sinne von Ken Wilber „präpersonal / transpersonal“. Man kann in eine Art Trancezustand geraten, wo man … wo das Ich sich quasi auflöst oder verdünnt oder seinen Fokuscharakter verliert. Man taucht gleichsam hinunter in vormentale, vorichhafte Bewusstseinszustände, das kann ja so weit gehen, dass man sich dann hineinversetzt sogar in Pflanzen und Tiere, von einigen Mystikern wird das ja berichtet, Jakob Böhme soll die Fähigkeit gehabt haben, sich in einzelne Pflanzen hineinzuversetzen. Also, die Möglichkeit, dass Ich zurückzunehmen, hinab zu tauchen in eine Art von vorichhafter Verbundenheit – ich nenn das ja auch mal das „vorichhafte“ oder „unterichhafte Bewusstsein“, etwa der Pflanzen. Genauso gut kann man das Ich überschreiten in einem transpersonalen Sinne. Dann verliert das Ich nicht seine Bedeutung als zentraler Fokus, aber es kommt etwas anderes hinzu, das Ich gewinnt etwas. Also „transpersonal“ heißt nicht in diesem schlechten oder platten Sinne „verschwommen“, das Ich verschwindet, löst sich auf, der Tropfen fällt ins Meer und ist nur noch das Meer, sondern der Tropfen behält eine Art ichhafter Wahrnehmung, hat aber gleichzeitig eine Verbundenheitserfahrung, eine Art von kosmischem Bewusstsein. Insofern unterscheide ich, mit aller Vorsicht, zwei Arten von kosmischem Bewusstsein: ein eher unterichhaftes kosmisches Bewusstsein und ein eher überichhaftes kosmisches Bewusstsein. Vielleicht sollte ich noch kurz ergänzen, um das deutlich zu machen, dass natürlich der Begriff „Kosmos“ traditionell, in der griechischen Antike, erst einmal etwas vollkommen anderes gemeint hat, als das, was später daraus wurde. „Kosmos“ war ja ursprünglich fast synonym mit „Schönheit“, „Ordnung“. Kosmos war die sinnvoll und schön gefügte Welt als Ganzes, letztlich eine Erde im Mittelpunkt des Kosmos, umgeben von sieben Sphären, von sieben Kugelschalen, das finden Sie in der späteren, auch nach-kopernikanischen, Esoterik, dann auf einer spirituellen Ebene, dass es also Bewusstseinsstufen sind, die den Erdball umgeben, also, und durch die das Bewusstsein hinauf … sich ent … hinaufentwickeln muss zum kosmischen Bewusstsein. Also Kosmos meint ursprünglich eine schöne, sinnvolle, sinnhafte Ordnung, die das Bewusstsein immer einschließt. Also der antike Kosmos ist nicht der rein materiell oder energetisch verstandene Kosmos, wie das später dann gesehen wurde. Eine Art Planierung oder Flachland-Kosmos, wie das Ken Wilber nennt, ist dann ein rein materiell-energetisch verstandener Kosmos. Es wird unterstellt, dass das diesen rein materiell-energetisch verstandenen Kosmos überhaupt geben kann. Das ist ja erkenntnistheoretisch nicht sicher, und man kann da viele Argumente dagegen anführen: Ist das überhaupt möglich? Ich will mich jetzt auf diese erkenntnistheoretische Grundfrage im Detail nicht … mich darauf jetzt nicht einlassen, aber es ist ‘ne wichtige Frage, denn das lebendige Subjekt als das wahrnehmende Subjekt ist ja nie grundsätzlich auszuhebeln. Es ist einfach vollkommen unsinnig, sinnlos, sich eine Welt zu imaginieren außerhalb des Bewusstseins, weil, wer da imaginiert, ist ja immer ein subjekthaftes Bewusstsein. Insofern ist die Frage, was für eine Welt wäre außerhalb des Subjekts, im Grunde eine müßige Frage. Es gibt immer dies‘ lebendige Subjekt, was darüber Aussagen macht. Auch wenn es behauptet: In dieser Welt ist kein Bewusstsein und kein Subjekt, bleibt doch das Subjekt, das diese Aussage, macht. Insofern hat der Idealismus in diesem Sinne immer irgendwo recht.
Also, es … wenn von kosmischem Bewusstsein die Rede ist, dann meine ich primär „kosmisch“ im Sinne von … „kosmisch“ oder auch „metakosmisch“ im Sinne von einer Verbundenheit, die den Geist, die die Seele, die die Ichheit immer miteinschließt, in diesem Sinne also eine … auch eine Weltseelenerfahrung. Ich darf das mal kurz zitieren, Johannes, du hast das so schön gesagt in deiner „Öko-Logik“. Da gibt‘s eine sehr schöne Stelle, zu dem kosmischen Naturbegriff. Da heißt es, ich darf das mal anführen, „Öko-Logik“, Seite 73: „Dem Bereich der Mystik als einer Stufe der Geistrezeptivität des menschlichen Bewusstseins gehört auch das volle Thematisch-Werden des kosmischen Bewusstseins, symbolisiert durch die Schnittfläche G4 als 4” – das haben wir jetzt nicht an der Tafel, das sind diese drei Kreise, wo man dann weitere Schnittflächen gewinnt, um dann auf eine Siebenheit oder Siebenfachheit zu kommen. – Gemeint ist, was das 3-Kreise-Modell deutlich zeigt, ein rein geistig erfüllter Seelenzustand, der für den normalen Menschen bereits einen Extrem-Ausnahmezustand darstellt. Kosmisches Bewusstsein transzendiert ebenfalls schon auf weniger radikal ekstatische Weise [Aufnahme unterbrochen]…

„Ganzheitlicher wäre insofern, diesen Bewusstseinszustand als Begleitmusik einer vollen körperlich-seelischen Aktivität zu erreichen. Die Bezeichnung „Kosmisches Bewusstsein“ rechtfertigt sich einerseits durch die Universalität des Geistes, an dem es wesentlich teilnimmt, jedoch begrenzt durch die Individualität der Seele, ihrer Reichweite entsprechend.“ – das ist wichtig, das ist eine Einschränkung – „Kosmos“ – das ist jetzt kursiv gedruckt – „ist sinnvollerweise das Universum zu nennen, sofern es beseelt erlebt werden kann.“ – und das führt natürlich auf die Frage, die ja auch der Johannes Heinrichs ventiliert in seiner „Öko-Logik“: Ist der Kosmos sozusagen für sich beseelt oder an sich beseelt oder nur durch den menschlichen Betrachter quasi beseelt? – „Kosmos ist sinnvollerweise das Universum zu nennen, sofern es beseelt erlebt werden kann. Beseeltes Universum als Kosmos kann zweierlei heißen: an und für sich schon beseelt oder beseelt für und durch den erlebenden Menschen. Der griechische Kosmos-Begriff meint vornehmlich das Erstere: die an und für sich schon beseelte Ganzheit der Welt. Platon sprach in diesem Sinne, ältere Vorstellungen aufnehmend, von der Weltseele.“ – usw. Dann heißt es hier sehr schön: Kosmisches Bewusstsein ─ sagst du einmal hier ─ sei ein liebevolles Weltseele-Bewusstsein ─ finde ich wunderschön, als liebevolles Weltseele-Bewusstsein. Also das muss hier einbezogen werden.

Ich seh‘ aber, dass es Zeit ist, wir eine kleine Pause mal machen. Ich knüpf an der [Aufnahme unterbrochen]…

Interessant für das ganze Thema ist ein Herr, der eben in der Pause sagte, er … „Ich geh jetzt“, der aber seit Jahren kommt, aber nun jetzt wollt‘ er mal gehen heute, hat folgendes gebracht – ich sag‘s das nächste Mal auch gern noch, wenn er dabei ist, also ich sag‘s nicht hinter seinem Rücken, das kann ich auch sagen, wenn er dabei ist. Er meint, diese sogenannte Öffnung zum Kosmos, sei absolut manipuliert, sei überhaupt keine echte Öffnung. Da sagt er, wie man früher im Nationalsozialismus eben im Hinblick auf die dort herrschende Ideologie manipuliert wurde, später im real existierenden Sozialismus, so würde man jetzt … so würden jetzt die Kids über die Medien auf vielfältige Weise manipuliert – was ja ohne Frage richtig ist, das ist überhaupt nicht zu leugnen. Es geht ja nicht um die Frage, dass es keine Manipulation gäbe. Bloß, meine These besteht darin, dass eine Öffnung im kollektiven Bewusstsein vorhanden ist, und dass diese Öffnung im Hinblick auf ein kosmisches Bewusstsein jetzt vielfältig beeinflusst wird von der herrschenden kollektiven Bewusstseinsform, und das ist die technisch-rationale Bewusstseinsform. Deswegen kommt das alles in Form von technischen Vorstellungen einher, deswegen sind dann die Engel, die kosmischen Boten, dann auch Sternengesandte in Raumschiffen, buchstäblich konkret, materiell oder feinstofflich gedacht, auf jeden Fall kommt das erst einmal auf dieser technischen Ebene in die allgemeine Wahrnehmung. Damit ist überhaupt nichts ausgesagt darüber, wie das wirklich ist. Was das ganze Ufo-Thema betrifft: Das ist ein Riesenthema, was hier heute Abend gar nicht abgehandelt werden kann und soll, was aber schwierig ist, wenn man sich der Mühe unterzieht, sich dem Thema mit einer gewissen Offenheit und phänomenologisch zu öffnen, dann ist das nicht einfach. Man kann sich dem Thema gegenüber verschließen und sagen, das interessiert mich gar nicht, damit will ich mich gar nicht beschäftigen, das ist ganz legitim. Aber wenn man das tut, dann kommt man immerhin zu überraschenden, verblüffenden Feststellungen. Die … das pure Material an Phänomenen ist überwältigend und wenn auch nur ein Tausendstel davon irgendetwas entfernt mit Wirklichkeit zu tun haben sollte, mit Bewusstseinswirklichkeit zu tun haben sollte, wäre das schon sehr aufschlussreich. Also da ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema und deswegen glaube ich, wird das auch … erreicht das auch Kinder, erreicht das auch die Kids, das ist nicht nur Manipulation. Ich will das nur einfach sagen, obwohl mir natürlich deutlich ist, dass Manipulation hier eine große Rolle spielt.
Ich hab nur mal hier an der von Ihnen aus gesehen linken Seite den alten geozentrischen Kosmos mit den sieben Schalen, Kugelschalen aufgezeichnet, der auch in der Esoterik des 20. Jahrhunderts ‘ne große Rolle spielt, nun allerdings anders gebaut, aber immer auch noch im Grundprinzip bei der Theosophie und Anthroposophie ähnlich gesehen wird, nicht, also nicht im Prinzip anders. Was außerhalb des Sonnensystems sein mag – es wird gelegentlich dann vermutet, es sei womöglich eine völlig andersartige Stofflichkeit, die in gar keiner Form zu vergleichen sei mit der Stofflichkeit, wie wir sie hier kennen. Nich‘, das wird auch von Anthroposophen, übrigens bis zum heutigen Tage, immer wieder gesagt. Das gibt natürlich Schwierigkeiten für anthroposophische Physiklehrer an der Waldorfschule, wenn sie den Schülern das vermitteln wollen. Ich hab da mit Physiklehrern der Waldorfschule gesprochen, die haben da große Schwierigkeiten, weil eben Anfragen der Schüler kommen: Was ist denn das? Kann das denn stimmen? Widerspricht das denn nicht der herrschenden Kosmologie? usw. Auf jeden Fall wird das so gedacht, dass hier also ein … eine Doppelbewegung stattfindet, auch schon in der Gnosis, dass die Seele also gleichsam herabstürzt in einem involutiven Prozess Richtung Erde und dann irgendwann hier landet. Also dieses Bewusstseinswesen, diese Geistessenz, die Seelenessenz, die Monade, stürzt also hinab, nimmt ein zunehmend gröberes Kleid an und ist dann irgendwann hier im physischen Körper gelandet. Und dann gibt es umgekehrt diese Aufstiegsbewegung wieder durch sieben Schichten – das sind sieben Schichten – hinauf zur … zu einer Bewusstheit, die dann als „kosmisches Bewusstsein“ bezeichnet wird. Das findet man auch in esoterischen, spirituellen Strömungen durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch. Auch das hat seinen Ursprung in der Gnosis, dass es sieben Bewusstseinsstufen gibt, auch menschheitsgeschichtlich sieben Stufen, wobei dann die siebente Stufe als die höchste Stufe bezeichnet wird, oder auch für einzelne Persönlich­keiten, weiter … weit gekommene Persönlichkeiten sei die siebente Stufe die höchste Stufe. Und was da rechts außen eingezeichnet ist, bezieht sich auf den gleichen Grundvorgang, Involution / Evolution, Aufstiegs- und Abstiegsbewegung, nur auf eine etwas andere Art. Auf jeden Fall ist es wichtig in dem ganzen Kontext, das beides zusammenzudenken, also die Involution und die Evolution.
Ich habe vorhin gesagt, muss das kurz noch nachtragen, dass der Begriff des kosmischen Bewusstseins bei der Theosophie erstmalig in der Form auftaucht. Ich will das belegen durch ein Zitat, das ich heute Vormittag noch mal mir klargemacht habe, aus dem Buch „Secret Doctrine“, 1888, englische Version, da taucht hier im Mittelteil dieser Kurzfassung dann der Begriff „kosmisches Bewusstsein“ wie jetzt folgt auf, ich will das mal kurz paraphrasieren, weil das für unseren Kontext wichtig ist. Da wird gesagt, es gäbe höhere Intelligenzen, Wesenheiten, manchmal auch als „Monaden“ bezeichnet, Dhyan-Chohans und andere Kräfte – und jetzt zu den letzteren: they „are dual in their character, being composed of the irrational brute energy, inherent in matter,“ – also die setzen sich zusammen aus der irrationalen, unvernünftigen, bloßen Energie, die der Materie innewohnt und b) – „the intelligent soul, or Cosmic Conciousness,“ – also die intelligente Seele oder das kosmische Bewusstsein „which directs and guides that energy“ – also das kosmische Bewusstsein lenkt und führt diese Energie – „and which is Dhyāni Chohanic Thought, reflecting the ideation of the Universal Mind.“ – also die … eine Vorstellung, die man auch in der Gnosis findet, dass es also Vermittler gibt, vermittelnde Kräfte, die die kosmische Energie heruntertransformieren auf die Erde. Das ist also insofern ein Herabtransformationsprozess und ein Prozess der Herauftransformierung, also eine Aufstiegsbewegung und eine Abstiegsbewegung. In der Grundrichtung kann man das auch vielfältig in der Esoterik und in allen spirituellen Strömungen des 20. Jahrhunderts beobachten. Ich hab das ja vorhin schon angedeutet, das würde ja auch in gewisser Weise meiner Definition von Seele entsprechen, denn ich sagte ja, dass die Seele den Ursprung andeutet, die Arche, auch das Telos. Dann würde also dieses hohe Bewusstseinswesen, wie immer ich das jetzt nenne, als Monade absteigen in die materiell-physische Welt, um dann irgendwann wieder aufzusteigen. Die Frage ist, warum geschieht das? Die Frage, die auch vielfältig beantwortet wird. Was ist da vorgefallen? Was … Warum passiert dieser Prozess? Warum begibt sich denn dieses hohe Bewusstsein überhaupt in die Materie hinein? Da gibt es ja ganz verschiedene Antworten auf diese Frage. Ist es eine Art Dialektik im Göttlichen selber? Ist das ein notwendiges … ein notwendiger Prozess? Müssen quasi die Monaden zu ihrer eigenen Weiterentwicklung, Höherentwicklung diesen Abstieg vollziehen – nach theosophischer Sicht zum Beispiel ja auch in die mineralisch-anorganische Welt hinein? Und es gibt ja auch andere Vorstellungen, die sind sehr interessant auch was die Geist-Frage betrifft. Es gibt zum Beispiel in der Gnosis den Gedanken, dass die Seele … dass nur ein Teil der Monade absteigt, während ein anderer Teil hierbleibt und zwar … häufig wird gesagt, dass der Geist in der obersten, reinen Geistebene verbleibt, während eine Emanationen seiner selbst absteigt, sodass in jeder Stufe des Abstiegs der Kontakt nach oben niemals völlig abreißt, was auch verständlich ist, wenn es so etwas geben soll wie Erinnerung. Dann wäre eigentlich die Voraussetzung, dass der Kontakt niemals vollkommen abreißt. Das wäre also ein Abstiegs- und eins Aufstiegsgeschehen. Es gibt also eine Unzahl von Überlegungen, auch Spekulationen, zu dem Thema, warum das passiert. Ich habe mich da auch mit auseinandergesetzt. Ich habe ja in dem Buch „Was die Erde will“ auch eine halb mythologische Figur entworfen des sogenannten Göttersturzes, „Sternenstaub und Göttersturz“. Also ein Abstiegsprozess in die Materie hinein und ein Aufstiegsprozess. Das ist also etwas, was Sie überall finden.
Nun ist die Vorstellung eines kosmischen Bewusstseins in den letzten, sagen wir mal, 20 , 25, maximal 30 Jahren, noch von einer ganz anderen Ecke aus, von einer ganz anderen Perspektive aus aktualisiert worden, nämlich von Erfahrungen – zunächst einmal mit psychoaktiven Substanzen aber dann auch durch andere Bewusstseinstechniken, etwa die holotrope Atemtherapie von Stanislav Grof und anderen – da ist also ein gewaltiges Erfahrungspotenzial entstanden, was auch in die Richtung einer Entgrenzung geht, ich hab das ja schon mal einleitend gesagt, dass also ein kosmisches Bewusstsein ein ich-überschreitendes oder ein unterschreitendes Bewusstsein ist, mit Schwergewicht auf der Überschreitung, also ein überichhaftes Bewusstsein im Gegensatz zu einem unterichhaften Bewusstsein. Einer derjenigen Autoren, der sich seit 30 Jahren mit dieser Frage wie kein anderer intensiv auseinandergesetzt hat, ist ja Grof, Stanislav Grof, Psychiater, Mediziner und Bewusstseinsforscher, in vielen seiner Bücher seit den späten sechziger Jahren. Und ich hab hier ein Buch mal mit: „Abenteuer der Selbstentdeckung“, wo er eine Phänomenologie, in gewisser Weise auch Typologie, der ich-überschreitenden, sogenannten transpersonalen Erfahrung versucht. Und in dem Kontext taucht dann auch die Vorstellung eines kosmischen Bewusstseins auf. Und er gibt auch Beispiele dafür, was dieses kosmische Bewusstsein ausmacht. Es ist interessant, ich darf das mal ganz kurz anführen, dass er die transpersonalen Erfahrungen typologisiert. Er unterscheidet drei große Abteilungen. Die erste Abteilung heißt „Erweiterung des Erlebens innerhalb der objektiven Realität und der Raumzeit“, also „innerhalb der objektiven Realität und der Raumzeit“ – die erste Kategorie. Da gibt er zum Beispiel an: Überschreiten der räumlichen Grenzen, Erfahrung der Zwei-Einigkeit – also alles schon in Richtung transpersonalen kosmischen Bewusstseins –, Identifikation mit anderen Menschen, Gruppenidentifikation und Gruppenbewusstsein, Identifikation mit Tieren, Identifikation mit Pflanzen und botanischen Prozessen, Erfahrung der Einheit mit der Gesamtheit des Lebens und der Schöpfung, planetarisches Bewusstsein usw. – Auch das ist möglich, man muss das nicht Überskeptizismus … skeptizistisch hier anzweifeln. Diese Erfahrungen sind vielfältig belegt. Es gibt diese Erfahrungen, daran kann kein Zweifel bestehen.
Überschreiten der Grenzen der linearen Zeit: embryonale und fötale Erfahrungen; Ahnenerfahrungen; Erfahrungen, die sich auf die Existenz der Rasse und des Kollektivs beziehen; phylogenetische Erfahrungen; Psi-Phänomene, in denen die Grenzen der Zeit überschritten werden; physische Introversion und verengtes Bewusstseinsorgan-, Gewebe- und Zell-Bewusstsein – auch das in vielen Erfahrungen belegt, dass das Bewusstsein in Grenzzuständen die Möglichkeit hat, unterichhaft hineinzuschlüpfen bis in die Zellstruktur hinein.
Die zweite große Kategorie ist dann „Erweiterung des Erlebens über die Grenzen der objektiven Realität und der Raumzeit hinaus“: energetische Erlebnisse des feinstofflichen Körpers; Begegnungen mit tierischen Geistern; Begegnungen mit geistigen Führern, übermenschlichen Wesen; Begegnungen mit einzelnen „Gottheiten“; Begegnungen mit universellen Archetypen; intuitives Verstehen universeller Symbole; – und dann – die Erfahrung kosmischen Bewusstseins; – und dann – die supra- und metakosmische Leere; – was als eine weitere Stufe angesehen wird. Und das ist ‘n wichtiger Punkt. Kosmisches Bewusstsein wird häufig verstanden als eine Allverbundenheit innerhalb des in irgendeiner Form noch physisch-sinnlich begreifbaren Universums, häufig auch einfach identifiziert, so etwa bei Ken Wilber mit Rückgriff auf Ralph Waldo Emerson, als Naturmystik. Und da wird immer gesagt – von Wilber und anderen –, dass es noch über dem kosmischen Bewusstsein eine nächste Stufe gäbe, Johannes Heinrichs nennt das „Logos-Bewusstsein“, andere haben andere Begriffe dafür, ich nenn das „Atman-Bewusstsein“ mit Ken Wilber. Es gibt also die Vorstellung, dass es oberhalb des … der kosmischen Allverbundenheit noch eine weitere Stufe gibt, die dann im engeren Sinne nicht mehr „kosmisch“ genannt werden kann, oder doch. – Da ist jetzt die Frage, wie man dann überhaupt das Kosmische definiert. Und da kommt die Frage der Ebenen ins Spiel: Auf welcher Ebene bewegen sich diese Erfahrungen? Das ist extrem schwierig. Das hängt dann im Letzten von der Tiefe dieser Erfahrungen selber ab, soweit sie sich überhaupt denkerisch oder gedanklich einordnen lassen. Es gibt Erfahrungen hier von einer solchen überwältigenden, ekstatischen Intensität, dass auch nur der Ansatz einer denkerischen Erfassung völlig absurd erscheint. Also das ist eine extrem schwierige Frage. Man findet ja immer wieder die Vorstellung, dass es eine Erfahrung der Leere, der Leerheit, der – buddhistisch gesprochen – Shunyata gibt, die dann die höchste und letzte Stufe bedeutet, jenseits des kosmischen Bewusstseins, in diesem Sinne jenseits der Naturmystik. Übrigens stellt Grof noch eine dritte Kategorie hier heraus. Wir hatten also die Erweiterung des Erlebens innerhalb der objektiven Realität und der Raumzeit, dann Erweiterung des Erlebens über die Grenzen der objektiven Realität und der Raumzeit hinaus – wobei das sehr schwierig ist: Was ist hier Raumzeit? Was ist gemeint? Ist es vielleicht ein anderer Raum, ein Hyperraum oder eine Art Äther-Raum? Da werden die Begriffe sehr schwierig. Das ist immer dann … kommt man in eine Region, wo man letztlich, wenn man nicht eigene Erfahrungen machen kann, ins Spekulieren kommt oder sich beschäftigt mit den Erfahrungen anderer, die man sich angelesen hat, die man dann kategorisiert und typologisiert – eine Gefahr, der etwa Wilber nicht entgangen ist, aber auch andere Autoren dieser Art, die dann über Erfahrungen sprechen und diese ausführlich darstellen, die sie gar nicht gemacht haben und dann einen Schematismus entwerfen, der dann wieder fragwürdig wird. Also hier kommt alles, glaube ich, bei dem ganzen Thema auf die Frage der Erfahrungen an, und es ist schon viel gewonnen, wenn überhaupt das Bewusstsein dafür geweckt wird, dass es so etwas geben kann wie kosmische Verbundenheit, dass diese Verbundenheit auch erlebt werden kann, dass man tatsächlich existenziell so etwas erleben kann wie kosmisches Bewusstsein, auch hier auf der Erde als physisch-sinnliches Wesen, auch ohne diese letzten und höchsten Stufen zu erreichen. Grof schreibt hier in dem Kapitel „Die Erfahrung des kosmischen Bewusstseins“ – darf mal kurz ‘n paar Sätze zitieren, die da sehr aufschlussreich sind – : „Das Abenteuer der Selbstentdeckung“, 18 äh… 1987 erschienen. „Personen, die das kosmische Bewusstsein erlangen, haben das Empfinden, die Gesamtheit der Existenz zu erfassen und bis zur Wirklichkeit hinter allen Wirklichkeiten vorgedrungen zu sein. Sie sind fest davon überzeugt, den Zugang zum höchsten und letzten Prinzip des Seins gefunden zu haben. Dieses Prinzip ist das eigentlich wirkliche Rätsel. Wenn man die Existenz dieses Prinzips einmal akzeptiert hat, lässt sich alles andere von ihm ableiten und verstehen. Die Trugbilder von Materie, Raum und Zeit, sowie eine unendliche Anzahl anderer Wirklichkeitsformen und -ebenen sind durchschaut und auf dieses eine rätselhafte Prinzip reduziert wurden, aus dem sie alle hervorgehen und das ihr einer gemeinsamer Nenner ist.“ – also eine Art Leerheitserfahrung wird hier angesprochen – „Diese Erfahrung ist grenzenlos, unfassbar und unbeschreibbar.“ – die typische … das typische Verdikt in dem Zusammenhang immer: Das, was der Einzelne erlebt hat, ist nicht beschreibbar, ist nicht vermittelbar, ist in diesem Sinne also subjektiv, unverbindlich, mystisch. – „Diese Erfahrung ist grenzenlos, unfassbar und unbeschreibbar. Worte und gerade die symbolische Struktur unserer Sprache erweisen sich als geradezu lächerlich unzureichende Mittel, sie zu erfassen und ihre Eigenschaften anderen mitzuteilen. Unsere phänomenale Welt und alle Dinge, die wir bei gewöhnlichem Bewusstsein erleben, erscheinen im Licht dieses höchsten Bewusstseins als äußerst begrenzte, illusorische und subjektive Aspekte dieser einen Wirklichkeit. Dieses Prinzip entzieht sich allen Versuchen, es mit rationalen Mitteln zu begreifen und doch reicht schon ein kurzes Erleben … Erleben dieses Prinzips aus, um intellektuelle und philosophische Bedürfnisse voll zu befriedigen. Alle Fragen, die man jemals gestellt hat, scheinen beantwortet. Es besteht keine Notwendigkeit mehr, noch irgendwelche Fragen zu stellen.“ – Natürlich kann man das hier anzweifeln und sagen: Das kann nicht sein! Es gibt immer noch diese Fragen. Es ist die Rede von einer Art von Erfahrung, von einer ekstatischen Tiefendimension, die tatsäch… [Aufnahmeende].

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Weltseele als Schlüsselhypothese

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 11

Transkript als PDF:


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Ich habe Ihnen ja das letzte Mal einen Überblick zu geben versucht über die Frage des Weltäthers und über verschiedene Aspekte, die man dabei denken kann, naturwissenschaftlich, kosmologisch, aber auch spirituell – ich will ‘ne kurze Ergänzung bringen, übrigens nicht zur letzten Vorlesung, sondern zu der Vorlesung vor Weihnachten – das wird dich auch interessieren, Johannes [Heinrichs] – ich habe vor ein paar Tagen ein eigenartiges Buch entdeckt, dass von der Zahl 9 handelt. Vielleicht erinnern sich einige, die da waren am 15. Dezember, dass ich ja über Zahlen gesprochen habe, über eine mögliche neue Zahlensystematik, Zahlentheorie, vielleicht sogar Mathematik und dass da in dem Zusammenhang die 3 eine wichtige Rolle spielte, 34 = 81, sie werden sich erinnern, ich hab das erläutert unter anderem im Zusammenhang mit einem Buch des Mathematikers und Chemikers Peter Plichta und nun haben wir das Jahr 1999, für Herrn Plichta wird das wichtig sein, 9 x 9, 81. Und nun ist mir vor einigen Tagen ein englischsprachiges Buch in die Hände gefallen, dass ich, weil ich nicht so die Zeit dafür hatte, nur überflogen habe, ich hab nur einige Kapitel ausführlicher gelesen, „Number 9: The Search fort the Sigma Code“, ein ähnlicher Untertitel. Also das Buch handelt von der Zahl 9. Es gibt viele Parallelen zu Plichta, das wird er nicht kennen. Umgekehrt ist nicht zu ersehen, dass er das Buch von Peter Plichta gelesen hätte. Also er glaubt nachzuweisen, zahlentheoretisch, dass man mithilfe der 9 auch die Primzahlen ableiten kann, dass man mithilfe der 9 das Mandala ableiten kann. Er hat ein 9-Kreuz hier, das ganz verblüffend auch ähnelt einigen Aspekten bei Plichta, also das ist vergnüglich zu lesen, auch humorvoll. Das ist offenbar ein Architekt, der das geschrieben hat, Cecil Balmond, „Number 9: The Search for the Sigma Code“. Und das ist also hochinteressant, was er alles zusammenträgt über die 9. Sie werden sich vielleicht erinnern, dass am Ende dann die Frage auftauchte, einer hatte sie ja gestellt, ob auch die Gestalt der Zahlensymbole etwas zu tun haben könnte mit dem, was die Zahlen bedeuten. Das glaubt hier der Autor Balmond auch nachzuweisen. 9 ist für ihn eine Art Schöpfungsspirale, er stellt das auch ausführlich dar und auch wie die Gestalt dieser 9 auch immer wiederkehrt in ganz bestimmten Spiralformationen in der Natur und auch zahlentheoretisch wird das auf eine, find ich, interessante Weise dargestellt. Ich sag‘s noch mal, ich hab‘s nicht gründlich von Anfang bis Ende gelesen, dazu hatte ich im Moment nicht die Zeit, aber ich hab es in einigen Passagen gelesen und finde es also wirklich hochinteressant. Also auch ein in sich stimmiges und konsistentes Modell, wenn man das so nennen will. Die gesamte Zahlenwelt, Zahlentheorie von der 9 aufzu… aus der 9 zu entwickeln. Kommt natürlich auch vor, die 81, 34 usw. Also nur als ein Beispiel für dieses riesige, weitgehend ja noch unausgeschöpfte, aber wie ich finde hochfaszinierende Feld der Zahlen.

Frage aus dem Auditorium: Wie heißt noch mal der Autor?

Der Autor heißt Cecil Balmond, das ist „Balmond“. Sie können auch gerne in der Pause noch mal reingucken, Cecil Balmond und der Titel heißt einfach „Number 9“. Noch so ganz hab ich nicht verstanden, wie der Untertitel zustandekommt „The Search for the Sigma Code“, also das griechische Sigma „Die Suche nach dem Sigmacode“, auch eine Art Weltstruktur, eine Art Weltkonstituente und … also das wäre was auch für … also wahrscheinlich … vielleicht würde das … Peter Plichta darüber schmunzeln und sagen, das ist ja alles nur halb gedacht, weiß ich nicht. Jedenfalls, es gibt Parallelen und schon das wäre ja ein Indiz dafür, dass es irgendwas auf sich haben muss mit dieser 9 und das sei ihnen also ans Herz gelegt, gerade deswegen vielleicht, weil wir das Jahr 1999 haben, denn 9 x 9 sind 81, kann man weiter in diesem Denken fortfahren, man kann sagen 81, 9 x 9, 1981 ist von 1999 18 Jahre entfernt und das ist die Verkehrung der 81 usw., so kann man da weiter voranschreiten. Sie erinnern sich, ich hatte ja das Bild, die Zeichnung eines Schmetterlings an der Tafel bzw. die Zahlen, die auf den Flügeln des Admirals zu sehen sind, die 18 und die 81 und mag sein, dass die 9, auch 32 oder 34, 81 tatsächlich eine Art konstitutive Potenz darstellt in bestimmten Zusammenhängen, möglicherweise auch kosmischer Natur, wäre immerhin möglich. Ich will das nur als Anregung mal hier nennen. Wen das interessiert, der kann auch gerne in der Pause dann mal hier reingucken. Also Cecil Balmond, „Number 9“.
Ich habe eine Goethe-Zeile hier verwendet für das Thema der Weltseele. Ich bin Ihnen das schuldig, das Gedicht, aus dem diese Zeile stammt, ganz vorzulesen. Ich mach das mal, es ist nicht lang. Das Gedicht heißt „Eins und Alles“ – auch hier der Grundgedanke, das führt schon ins Thema rein, dass eine Art … dass über die Weltseele das Eine und das All, Alles vermittelt werden kann. Hier heißt es in dem Goethe-Gedicht, wo diese Zeile auftaucht am Beginn der zweiten Strophe:

„Eins und Alles

Im Grenzenlosen sich zu finden,

Wird gern der Einzelne verschwinden,

Da löst sich aller Überdruß;

Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,

Statt läst‘gem Fordern, strengem Sollen

Sich aufzugeben ist Genuß.“

– Jetzt kommt die Zeile –

„Weltseele, komm‘ uns zu durchdringen!

Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen

Wird unsrer Kräfte Hochberuf.

Teilnehmend führen gute Geister,

Gelinde leitend, höchste Meister,

Zu dem, der alles schafft und schuf.

Und umzuschaffen das Geschaffne,

Damit sich‘s nicht zum Starren waffne,

Wirkt ewiges lebend‘ges Tun.

Und was nicht war, nun will es werden

Zu reinen Sonnen, farbigen Erden,

In keinem Falle darf es ruhn.

Es soll sich regen, schaffend handeln,

Erst sich gestalten, dann verwandeln;

Nur scheinbar steht‘s Momente still.

Das Ewige regt sich fort in allen:

Denn alles muß in Nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.“

Also dies das Gedicht „Eins und Alles“. Es gibt ‘ne ganze Reihe von Gedichten Goethes zu dieser Thematik. In wenigen Gedichten nur kommt der Begriff der Weltseele vor. Wahrscheinlich hat Goethe den Begriff übernommen aus der Naturphilosophie Schellings, den er sehr schätzte und dem er auch eine Professur in Jena verschafft hat, 1798, Schelling war damals 23 Jahre alt und hatte eine Schrift veröffentlicht mit dem Titel „Von der Weltseele“ als Haupttitel und dann als Untertitel – interessanter Untertitel – „Eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus“ – ein wunderbarer Buchtitel, sehr präziser Buchtitel, also „Von der Weltseele“, Untertitel „Eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus“. „Allgemeiner Organismus“ ist hier fast synonym mit „Weltorganismus“, der hier in gewisser Weise vorausgesetzt wird, dass also die Welt als Ganzes, dass das Universum, der Kosmos als Ganzes eine organische Struktur hat und in diesem Sinne ein Weltorganismus existiert, das setzt Schelling eigentlich voraus. Insofern kann er sagen „zur Erklärung des allgemeinen Organismus“.
Nun will ich hier keine Vorlesung halten über die Geschichte des Begriffs der Weltseele in der abendländischen Philosophie, das würde eine eigene Sache sein, ich will nur einige kurze Andeutungen machen über diesen Begriff und warum ich ihn hier heranziehe. Der Begriff hat eine interessante, aufschlussreiche Geschichte, auch in jenen Phasen, wo er verpönt war. Es gab immer wieder Phasen in der Geschichte des Denkens über Natur, der Kosmologie, der Naturphilosophie, wo der Begriff der Weltseele als ein schlechter, ein falscher, ja als ein gefährlicher Begriff galt. Ich hab das schon erwähnt vor einigen Wochen im Zusammenhang mit dem Briefwechsel von Leibniz und dem Newton-Schüler Samuel Clarke. Der Begriff der Weltseele wird ausdrücklich abgelehnt, und zwar mit einem Argument, was interessant ist, nämlich, es heißt, übrigens bei beiden, bei Leibniz und bei Samuel Clarke: Wer die Weltseele denkt, der vergötzt die Natur, der macht die Natur zu einem Superorganismus und setzt in gewisser Weise diesen Superorganismus, diesen kosmischen Allorganismus, mit Gott gleich, also in diesem Sinne also der Vorwurf des Pantheismus, der ja dann auch im 18. Jahrhundert ‘ne große Rolle gespielt hat im Zusammenhang mit der Wirkung auch von Giordano Bruno, siehe Jacobi, also Spinozismus gleich Brunianismus gleich dann Atheismus. Also diese scharfe Ablehnung bei beiden ist symptomatisch. Und der Begriff der Weltseele war lange Zeit ein … auch in der herkömmlichen Naturwissenschaft eher ein mystischer Begriff, ein unscharfer Begriff, ein Begriff der letztlich ohne wirklichen Erklärungswert war. Und das ist ja der Punkt, den es zu betrachten gilt: Hat der Begriff, hat die Vorstellung einer möglichen Weltseele einen echten Erklärungswert, oder ist es nur ein Wort neben andern, das das Problem bezeichnet, um das es geht, ohne in irgendeiner Form erklärend das Problem aufschlüsseln. Das ist ja ein Thema überhaupt, ich hab das ja mehrfach auch angedeutet, halte es für kolossal wichtig, dass man immer wieder an bestimmten Schlüsselstellen einen neuen Begriff wählt, der das Problem, um das es geht, häufig nur beschreibt, gleichsam festlegt, aber nicht wirklich erklärt. Es gibt viele Begriffe dieser Art, etwa der Begriff „Emergenz“. Das ist ja ein ganz moderner Begriff, der gehandelt wird als ein Begriff von hohem Erklärungswert. Ich finde es einfach ein Wort, was überhaupt nichts erklärt. Wenn doch ein Aufscheinen, ein Auftauchen, ein Sich-Manifestieren aus dem unmanifestierten Grund heraus, quasi spontan, akausal, ohne dass man da des Näheren drüber verhandeln könnte.

Also Weltseele, lange Zeit ein Begriff, der dubios war. Platon hat den Begriff eingeführt in die abendländische Philosophie. Bei Platon ist das einfach die Vorstellung, dass die Welt – in Timaios – die Welt, der Kosmos, bei ihm identisch mit dem Kosmos, der Natur, geschaffen von einem Demiurgen, ein großes Lebewesen ist. Dass die Welt als Lebewesen und die folglich als dieses Lebewesen auch eine allverbindende Seele hat, aber nicht identisch ist mit dem Demiurgen, mit dem Weltschöpfer. Also da stammt der Begriff her, hat dann eine lange Geschichte gehabt über die Stoa, da ist er fast synonym mit dem Begriff des Pneuma, der übrigens für Newton wichtig war, der Begriff des Pneuma, und taucht dann im Neuplatonismus bei Plotin auf und anderen und verschwindet dann wieder und taucht dann nach vielen Jahrhunderten in der Renaissance, im frühen 16. Jahrhundert wieder auf, Vasilo Pecchino(?), Teresio [beide unklar 0:13:58] und anderen, ganz dezidiert dann bei Giordano Bruno, um dann wieder zu verschwinden, einer eigenartigen rätselhaften Fluktuation folgend, um dann 1798 von Schelling wieder aufgegriffen zu werden als ein Schlüsselbegriff, als ein wirklich aufschließender Begriff, um dann wieder für Jahrzehnte mehr oder weniger aus der naturphilosophischen Diskussion zu verschwinden. Das ist sehr eigenartig, wie das kommt, dass es eine Art rhythmische Bewegung gibt mit dieser Vorstellung einer Weltseele. Der Begriff ist da, er wird Jahre, Jahrzehnte diskutiert, dann verschwindet der Begriff, taucht wieder auf. Das ist mit anderen Begriffen genauso. Das ist übrigens ja auch, ich hab das hier angedeutet in dem Buch des Weltäthers, das ist ein eigenartiges Phänomen in der Geistesgeschichte, dass immer wieder manche Konzeptionen verschwinden oder verschwunden zu sein scheinen und dann irgendwann nach Jahrzehnten wieder auftauchen.
Ich will an einigen Sätzen immerhin mal verdeutlichen, wie in der Renaissance Weltseele, speziell hier bei Giordano Bruno gedacht worden ist, was Bruno sagt zur Weltseele. Ich hab mir noch mal die entsprechenden Passagen in dem Buch „Von der Ursache, dem Princip und dem Einen“ angeguckt und versucht, da eine Auswahl zu treffen, um Ihnen zu verdeutlichen, wie das in der brunischen Kosmologie aussieht Sie wissen ja, ich hab das ja dargestellt in meiner Vorlesung über das Eine, dass Brunos Zentralgedanke die Unendlichkeit in der Einheit und die Einheit in der Unendlichkeit ist, und zwar eine Unendlichkeit des Universums, die dem unendlichen, schöpferischen Vermögen der Gottheit entspricht, nach Bruno auch entsprechen muss, weil sonst die schöpferische Potenz des Göttlichen reduziert würde. Also wenn Gott nur eine endliche Welt hätte schaffen können, würde seine unendliche schöpferische Potenz nicht zum Zuge kommen gleichsam, insofern muss es eine unendliche Welt geben. Das ist ein philosophisches Argument, das Bruno neben anderen Argumenten für die Unendlichkeit der Welt anführt. Und ich will das mal an einigen Stellen zeigen, wie Bruno das hier nennt. Zitat aus dem zweiten Teil von „Über die Ursache, das Princip und das Eine“, 1584, und Bruno greift den Begriff aus der Tradition auf und setzt ihn hier in einer ganz bestimmten Weise ein. „Wenn also“, schreibt Bruno, „der Geist, die Seele und das Leben“ – fast synonym in dem Moment – „in allen Dingen vorkommen“ – es gibt überall Geist, es gibt überall Seele, überall Lebendiges, also Bios, Logos und Psyche – „und in gewissen Abstufungen die gesamte Materie erfüllen, so sind sie zweifellos die wahre Wirklichkeit und die wahre Form aller Dinge.“ – wichtig also „Wirklichkeit und die wahre Form aller Dinge“ – „Die Weltseele ist mithin“, heißt es dann, „das formale und konstitutive Prinzip des Universums und aller Dinge, die es enthält;“ – also die Weltseele als formales und konstitutives, man würde vielleicht heute sagen als „organisierendes“ Prinzip des Universums, die Weltseele als das organisierende Prinzip des Weltorganismus, das also … das Form und Gestalt hervorruft, aus dem es … Form und Gestalt hervorquillt – „wenn das Leben sich in allen Dingen findet,“ – davon geht Bruno aus, Stichwort also Allbeseeltheit, das ist kein Animismus in diesem vordergründigen Sinne, wo das auch hineinspielt, also „dann ist die Seele“, also „wenn das Leben sich in allen Dingen findet, dann ist die Seele die Form aller Dinge; sie ist überall die Herrin der Materie und herrscht in den zusammengesetzten Dingen; sie bewirkt die Zusammensetzungen und den Zusammenhalt der Teile.“ – Also eigentlich ‘ne sehr klare und auch einfache Grundaussage: die Welt, der Kosmos, das Universum als gewaltiger Organismus und die Weltseele als das konstituierende, ja konstitutive Prinzip, also das organisierende Grundprinzip der Welt, das damit in gewisser Weise auch einheitsstiftend ist. Denn ich hab ja Ihnen das gezeigt, dargestellt, dass für Bruno beinah die Weltseele mit dem Raum identisch ist und dieser wiederum in gewisser Weise auch mit dem Weltäther. Wenn man dann das genauer liest, stellt man auch fest, Bruno macht Unterschiede, aber es gibt gewisse Aussagen bei ihm, die darauf schließen lassen, dass er das fast als eine Einheit denkt, also Weltäther gleich Weltraum gleich Weltseele gleich Manifestation des Ureinen gleich des Unendlichen. Das klingt so, als ob hier nur verschiedene Begriffe für das Gleiche verwendet würden, da muss man genau differenzieren, das ist schwierig. Das will ich hier im Einzelnen nicht, ich will Ihnen nur erst einmal erläutern, dass die Weltseele ein Universalprinzip ist, das die Welt als Ganzes zur Ganzheit macht, das ihre Gestalt bedingt – vielen Dank, ja.
„Ich sage also, dass der Tisch als Tisch nicht beseelt ist, so wenig wie das Gewand als Gewand und zusammengesetzte Dinge haben in sich Materie und Form“ – diese Dialogform auch oft sehr witzig, heiter geschrieben, im Dialog – „Es mag etwas so klein und winzig sein, wie es will, so hat es doch einen Teil von geistiger Substanz in sich, die, sobald sie ein geeignetes Substrat findet, zu einer Pflanze oder zu einem Tier sich entwickelt, indem sie Glieder eines wie auch immer gearteten Körpers ausbildet, der gemeinhin beseelt genannt wird, denn Geist ist in allem und es gibt kein noch so winziges Körperchen, das nicht genug davon enthielte, um lebendig zu sein.“ – Im Kontext wird dann auch dargestellt: um in der kosmischen Evolution im Hinblick mit dem Telos der Intelligenz, des intelligenten Lebens auch aufzutreten. Also hier ist ganz eindeutig auch schon der Gedanke einer kosmischen Evolution vorgedacht, dass also im Materiellen, in der Physis selber bereits potenziell vorhanden ist, was einst werden kann, also der Keim des organisch Lebendigen und damit auch der höheren Intelligenz und damit auch des Menschen. Das wäre also in diesem Sinne dann eine Art anthropisches Prinzip, wenn man dann diesen Begriff überhaupt für sinnvoll findet.
„TEOFILO. […] Was nun die bewirkende Ursache betrifft, so behaupte ich,“ – Teofilo ist der … das Sprachrohr von Giordano Bruno – „Was nun die bewirkende Ursache betrifft, so behaupte ich, dass die universale physische Wirkursache der universale Intellekt ist,“ – das ist so etwas wie Weltgeist, ganz vorsichtig sagt, also der universale Intellekt ist nicht Intellekt in unserem Sinne, das ist eine Art Weltvernunft, in gewisser Weise auch Logos, das changiert. Also eine Art Weltenlogos wird hier vorgestellt – „dass die universale physische Wirkursache der universale Intellekt ist, der als erstes und hauptsächliches Vermögen der Weltseele zugleich die universale Form des Weltalls bildet.“ – Hier wird also der Geist, der universale Geist als ein Vermögen der Weltseele bezeichnet. Das ist geschuldet der neuplatonischen Tradition, wo der … wo eine Abstufung vorliegt. Und die Weltseele wird hier als Quell des Weltgeists, als Quell des Weltenlogos bezeichnet. In anderen Passagen wiederum hat man das Gefühl, mit „Geist“ und mit „Seele“ sind zwei Prinzipien, zwei Emanationen aus dem Göttlichen.
„Der universale Intellekt“ – also Weltenlogos – „ist das innerste, wirklichste, ureigene Vermögen und der potentielle Teil der Weltseele. In sich gleichbleibend,“ – also der … dieser Weltenlogos verändert sich nicht, er bleibt immer er selber – „erfüllt er das All, erleuchtet das Universum und leitet die Natur an, ihre Arten hervorzubringen, so wie es ihr zukommt. Er verhält sich zur Hervorbringung der natürlichen Dinge wie unser Intellekt zur entsprechenden Hervorbringung der Erzeugnisse des Denkens. Die Pythagoreer nennen ihn ‚Beweger und Antreiber des Universums‘. Von den Platonikern wird er ‚Baumeister der Welt‘ genannt. Dieser Baumeister, sagen sie, tritt aus der höheren Welt, die ganz und gar eine ist,“ – im Wesentlichen ist das hier Plotin, was Bruno hier paraphrasiert – „die ganz und gar eine ist, in die sinnliche Welt ein, die vielfach unterteilt ist und in der nicht nur Freundschaft, sondern – wegen der Trennung der Teile – auch Zwietracht herrscht. Indem dieser Intellekt, ruhig und unbeweglich bleibend, etwas von sich in die Materie ergießt, bringt er das All hervor. Er wird von den Magiern ‚der fruchtbarste der Samen‘ – oder auch ‚Sämann‘ – genannt; befruchtet er doch die Materie mit allen Formen, die er ihrer Art und Beschaffenheit gemäß gestaltet, ausbildet und mit so vielen wunderbaren Ordnungen verwebt, wie sie weder dem Zufall zugeschrieben werden können noch einem anderen Prinzip, das nicht zu unterscheiden und zu ordnen vermöchte. Orpheus nennt ihn das ‚Auge der Welt‘, weil er alles Natürliche von innen und von außen sieht, auf dass sich alles nicht nur innerlich, sondern auch gemäß der eigenen Symmetrie entwickele und erhalte.“ – hoch interessant übrigens an der Stelle ist hier der Symmetriegedanke der hineinspielt – „Von Empedokles wird er ‚Unterscheider‘ genannt – in dem Sinne, dass er niemals müde wird, die im Schoß der Materie ungeschiedenen Formen zu sondern und die Entstehung des einen aus dem Zerfall des anderen zu befördern, Plotin nennt ihn ‚Vater und Erzeuger‘, weil er die Samen auf die Gefilde der Natur ausstreut und der ursprüngliche Verteiler der Formen ist. „Bei uns“ – er meint sich selbst – „heißt er ‚der innere Künstler‘, weil er die Materie von innen heraus formt und gestaltet, so wie er aus dem Innern des Samens oder der Wurzel heraus den Stamm hervor- und emportreibt, aus dem Innern des Stammes die Äste entwickelt.“ Und so weiter. Also der … die Weltseele als das formale und konstitutive Prinzip des Universums, der innere Künstler, der von innen heraus die Materie gestaltet, der von innen heraus der Materie Form verleiht. Auch hier, das sei nur am Rande erwähnt, kann man, wenn man das oberflächlich liest, zunächst meinen, dass Bruno gar keinen Unterschied macht zwischen der Materie und der schöpferischen Potenz der Materie – das hat Bruno ja zunächst einmal zum … für viele zu einem qualitativen Materialisten gemacht. Nich‘, deswegen war er ja auch im Marxismus, Sozialismus relativ beliebt, vor allen Dingen das Werk „Von der Ursache, dem Princip und dem Einen“. Bruno galt als Materialist, wie auch der frühe Schelling. Dabei gibt es verschiedene Aussagen, wo er sich ganz eindeutig von dem Materialismus dieser Spielart abgrenzt und das als Missverständnis hinstellt. Das hat aber nicht verhindert, dass Bruno als Materialist gesehen wurde, übrigens auch noch bis in die Gegenwart hinein, etwa von dem Herausgeber hier dieser Ausgabe, ich glaube 1986 ist das hier. Auch hier im Nachwort wird noch Bruno als eine Art Materialist hingestellt.
Es ist interessant, dass Bruno die Weltseele als Formprinzip bezeichnet. Da folgte er natürlich erst einmal einer alten Tradition, bei aller schroffen Polemik gegen Aristoteles. Aristoteles ist für ihn der Lügner und Sophist und Verdreher schlechten, also sozusagen der, jetzt mal platt gesagt, der Punching Ball für Bruno, an dem er sich unermüdlich reibt, den er also für den großen Verdreher und Verhuntzer und Pervertierer des Denkens hält. Aber gleichwohl ist er denn doch in einigen Elementen von Bruno … von Aristoteles beeinflusst, in dem Sinne nämlich, dass er die Seele als Form und Formprinzip und Formalpotenz bezeichnet. Und das ist ja eine mögliche Interpretation. Ich meine, wir wissen alle, das habe ich ja im Sommer 97 dargestellt, auch im Sommer 98 zum Teil, dass zu den ungeklärten Fragen gehört, wie überhaupt organische Form zustandekommt – Stichwort „Morphogenese“. Das wird besonders dramatisch deutlich an der Embryogenese, aber natürlich überhaupt an der Morphogenese: Wie entsteht organische Form? Nich‘, damit hat ja Sheldrake Anfang der achtziger Jahre Weltruhm erlangt, dass er hier ein Formalprinzip wieder aufgegriffen hat, was in den zwanziger Jahren schon mal kursierte, die morphogenetischen Felder. Und natürlich kann man sagen – das ist gegen Sheldrake immer wieder gesagt worden in den letzten 18 Jahren –, dass auch Sheldrake nur einen Begriff nimmt, ein Wort eigentlich hinsetzt. Er sagt hier „Feld“, er sagt „morphisches Feld“ oder „morphogenetisches Feld“, ein Wort, wo letztlich kein aus der Tiefe gespeiste Wissen vorliegt. Am schärfsten hat das der Biochemiker, im letzten Jahr verstorben, Friedrich Cramer kritisiert, also er ist ein vollkommen … Sheldrake hätte den Begriff des Feldes zur Worthülse verkommen lassen, also ganz radikale Kritik an Sheldrake. Andere haben auch modifiziertere Formen dieser Kritik geäußert. Man kann fragen, ob nicht ein Gran Wahrheit da dran ist, dass hier tatsächlich ein … eine unbekannte Größe mit einem in der Naturwissenschaft eingeführten Begriff versehen wird, sagt man „Feld“, man kann auch sagen „transmaterialer Katalysator“, wenn man den nimmt, dann Begriffe, ohne in der Tiefe zu wissen, worum es sich wirklich handelt. Und es ist naheliegend und schon früh vermutet worden – übrigens auch von mir vermutet worden –, dass man eigentlich den ganzen Sheldrake noch mal neu schreiben könnte, wenn man das Wort „Feld“ ersetzt durch das Wort „Seele“. Also wenn man konsequent jetzt sagen würde, die Sheldrakeschen Felder sind eigentlich nichts weiter als eine Neufassung der alten Vorstellung der Weltseele. Und ich war dann erstaunt in den letzten Jahren, dass Sheldrake selber das durchaus einräumt und verschiedentlich sogar sagt, dass das, was früher Seele war, von ihm nun „Feld“ genannt wird, dass im Grunde das Gleiche gemeint ist, dass also Seele sind Felder, Felder sind Seele. Nich‘, das war in den achtziger Jahren noch in keiner Weise so deutlich, wie das in den letzten Büchern dann der Fall war. Plakativ dann in dem letzten Buch, was von Sheldrake erschienen ist, dieser Gesprächsband, einer der beiden: Matthew Fox, dem Dominikaner … orden angehöre…, dem …den Dominikanern angehörigen Matthew Fox, „Die Seele ist ein Feld“. Also wird schon im Titel die These aufgestellt: „Die Seele ist ein Feld“. Nun ist der Feldbegriff schwierig und hat auch ‘ne lange Geschichte und ich habe ja dazu auch schon verschiedentlich mich geäußert, aber es ist interessant, dass hier, das, was man … was Kritiker eigentlich vermutet haben bei Sheldrake, dass er nun ganz offen und direkt sagt: Das ist im Grunde das Gleiche. Man kann auch gleich von Seele reden, wie er in einem der letzten Gesprächsbücher ja noch weiter geht und sagt: Naja, das sind eigentlich Engel. Das sind kosmische Intelligenzen, das sind eigentlich dann Engelwesenheiten. Da ist er ganz nah plötzlich an der Anthroposophie. Nich‘, also das ist ‘ne eigenartige Entwicklung, die da sich vollzogen hat, worüber man sich ja Gedanken machen kann, wie kommt das und das ist aber aufschlussreich, weil es in dem Begriff der Weltseele und des Feldes drin liegt. Man kann natürlich sagen, jetzt auf Giordano Bruno bezogen, wenn Sie sich an das Zitat erinnern, das ich da genannt habe, die Weltseele ist nur ein anderer Begriff für eine Art universales Bewusstseinsfeld mit einer gewissen Formpotenz, nich‘, ein Bewusstseinsfeld mit einer gewissen Formpotenz. Und wenn man dann das … die Vorstellung des Vakuums heranzieht, wie ich das ja vor einer Woche gemacht habe, kann man natürlich sagen, warum soll ich nicht sagen, dass quasi aus dem Vakuum heraus neue Formen und Gestalten – jetzt mal diesen Modebegriff verwendet: – emergieren, warum soll ich das nicht einfach postulieren?

Nun ist das schwierig, man muss dann aufpassen, dass man nicht in einen Verschiebebahnhof der Begriffe gerät, sodass das es alles irgendwo unscharf wird, aber der Zusammenhang der Hypothese der morphischen … morphogenetischen Felder mit dem Weltseele-Gedanken liegt vollkommen klar zutage, darüber kann überhaupt kein Zweifel bestehen, dass der Gedanke, dass die Weltseele ein universal organisierendes Prinzip ist, kann auch mit dem Begriff des Feldes bezeichnet werden. Er macht das hier ganz – ich sag‘s noch mal, in dem Buch hier „Die Seele ist ein Feld“ – ganz direkt. Kurzes Zitat mal aus diesem Buch, da wird es mehr oder weniger gleichgesetzt: „Die Seele ist das belebende Prinzip,“ – das ist ja auch die aristotelische Tradition – „das Prinzip, das Lebendiges lebendig macht. Im Griechischen heißt es Psyche.“ – Und das ist das letzte Buch hier, 98 erschienen. – „Heute ist für uns die Psyche der menschliche Geist, aber für die Griechen hatte die Psyche eine viel umfassendere Bedeutung. Sie war das Lebensprinzip alles Lebendigen, auch der Pflanzen. Der lateinische Begriff für Seele ist anima, und darauf geht zum Beispiel das englische Wort für Tier – animal – zurück. Wir sprechen von beseelten Dingen im Gegensatz zu unbeseelten: von Dingen mit Seele im Gegensatz zu Dingen ohne Seele. Die traditionelle Bedeutung des Wortes Seele meint vielmehr als die menschliche Seele. Die Seele ist das, was Dinge lebendig macht.“ – Also immer auch gedacht als eine vielfältig holarchisch abgestufte und geschichtete Weltseele oder Weltenseele, was ja immer den Organismusgedanken voraussetzt, von dem ja auch Sheldrake und andere neuere Naturphilosophen, mit gewissen Abstrichen auch ich selber, obwohl das bei mir ein bisschen anders aussieht, ausgehen … ausgehen. – „Ein Ausgangspunkt für jedes Nachdenken über das Wesen des Lebens ist der Tod, indem man den toten Körper eines Menschen, eines Tieres oder einer Pflanze mit dem vorausgehenden lebendigen Zustand vergleicht. Die Menge der Materie im toten Körper ist die gleiche wie im lebenden Körper, die Form der Materie … des Körpers ist die gleiche, und die Chemikalien darin sind die gleichen, zumindest unmittelbar nach dem Tod. Aber etwas hat sich verändert. Der naheliegende Schluss ist der, dass irgendetwas den Körper verlassen hat, und da es kaum eine oder gar keine Gewichtsveränderungen gibt, ist das, was den Körper verlassen hat, im Prinzip immateriell. Für die animistischen Traditionen – das heißt, für alle Traditionen außer denen im Westen seit den letzten dreihundertfünfzig Jahren – ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die außermenschliche Natur voller Leben ist.“ –, dass also eine Allbeseeltheit existiert, in diesem Sinne auch Animismus, auch das ist interessant, dass sich Schelling, äh, Sheldrake vollkommen offen zum Animismus bekennt, er sagt ja sehr wohl, die Theorie der formgebenden Felder ist eine animistische Theorie und ganz bewusst diesen Begriff nicht scheut. Also: „Für die animistischen Traditionen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die menschliche Natur voller Leben ist. Alle Pflanzen und alle Tiere, das gesamte Universum, der Planet Erde, die anderen Planeten, die Sonne, die Sterne – sie alle galten als lebende Dinge, die alle ihre eigene Art von Seele hatten.“ – nich‘, die Gestirne in der Antike, der antiken Tradition nach Uskata(?? [unverständlich 0:34:12] und anderen Traditionen – „Diese Tradition hatten die Griechen übernommen und philosophisch formuliert. Die Platoniker sprachen von der anima mundi,“ – jetzt taucht der Begriff hier auf – „ der Seele der Welt, dafür sie der ganze Kosmos ein Lebewesen mit einem Körper, einer Seele und einem Geist war.“ – also vor allem Platon, „Timaios“ – „Aristoteles formulierte dies in biologischen Begriffen.“ – Das ist ungenau, weil Aristoteles in vielerlei Hinsicht seinen Lehrer Platon kritisiert und abgelehnt hat und die Sachen in einer ganz anderen Richtung weiterdenkt. – „Nach Aristoteles wächst eine Eichel zu einer Eiche heran, weil sie zu ihrer endgültigen Form, das heißt zur reifen Form des Baumes, durch ihre Seele hineingezogen wird.“ – Also eine Art Formattraktor liegt hier vor. – „Die Seele enthält das Ziel oder das, was man jetzt den Attraktor des Entwicklungprozesses nennen könnte. Die Seele hat das Ziel (griechisch: telos) in sich, und daher spricht Aristoteles auch von der Entelechie. Bei den Tieren spielt die Seele genauso eine formbildende Rolle wie bei den Pflanzen. Im Englischen hat man diesen Aspekt die vegetative Seele genannt. Während der tierische Embryo heranwächst, verleiht sie dem Körper seine Form und auf ihr beruht auch die Bewahrung der Körperform.“ – Also nicht nur das, was den Körper formt, sondern auch das, was die Gestalt, die Form, die da ist, aufrechterhält bis zum physischen Tode. – „Während der tierische Embryo heranwächst, verleiht sie dem Körper seine Form und auf ihr beruht auch die Bewahrung der Körperform, die Heilung von Wunden, das Regenerieren von Organen nach einer Beschädigung usw. In Tieren gibt es auch die animalische Seele, die mit dem Korrelieren der Sinne und der Bewegungen zu erfassen ist. Sie fungiert als das Koordinierungsprinzip der Instinkte und des Allgemeinverhaltens. Beim Menschen gibt es drei Aspekte von der Ebene der Seele:“ – es ist gleich zu Ende, das Zitat – „die vegetative Seele, die für die Form des Körpers zuständig ist, die animalische Seele,“ – also das, was ich „das Tier-Selbst“ genannt habe – „die animalische Seele, die uns unsere animalische Natur verleiht, und den Intellekt oder die rationale Seele,“– die auch die Ichheit mit einschließt – „die der bewusste Teil unseres Geistes ist, unser Verstand. Der bewusste Verstand war einst Teil eines viel größeren psychischen Systems, das uns mit den Tieren und Pflanzen verband.“ – Also, hier wird eine holarchische Stufung vorgenommen, also: vegetative Seele, animalische Seele und rationale Seele, und das … dem entspricht auch eine Stufung des Bewusstseins der … des Bewusstseins. – „Zu jedem dieser Aspekte gehört auch eine bestimmte Bewusstseinsebene, eine bestimmte Bewusstseinsform.“ – Die Frage ist, wo bleibt das Ich hierbei? Das Ich ist ja nur, wenn es denn Teil der Seele ist, ein winziges Segment, so erscheint es zunächst, des viel umfassenderen … umfassenderen Feldes der Seele, denn der größte Teil der Prozesse, etwa im eigenen Körper, im eigenen Leib ist ja bekanntermaßen unbekannt, äh, unbewusst, d. h., wir nehmen … haben ja keine direkte Wahrnehmung für die Gesamtheit der organischen Lebensfunktionen unserer selbst. Das alles ist unbewusst, und das Ich ist nur ein kleiner Ausschnitt, kann man sagen, aber ein ungeheuer wichtiger. Weil über das Ich, über die Ichheit der Mensch Zugang hat zu dem Weltzusammenhang, wenn man will, auch zum Weltenlogos. Also dass das Ich in sich selbst schon die Möglichkeit enthält, dann auch das Ganze zu erkennen oder was Johannes Heinrichs hier mal … wie er das genannt hat, das Ganze-denken, das Alles-denken. Diese Fragen kommen bei Sheldrake hier nicht vor, aber es ist wichtig sich den Kontext klarzumachen.
Also, Weltseele setzt voraus, ich sag es noch mal, dass die Welt sinnvollerweise, das Ganze, als Organismus gedacht werden kann. Was heißt das? Ich meine, Sie wissen, dass es verschiedene Theorien gibt in den letzten Jahrzehnten etwa, die Erde, das Gestirn Erde als Organismus zu denken. Man könnte dann weiter gehen und sagen, wenn man die Erde als Organismus denkt, warum soll man nicht auch andere Himmelskörper als Organismus denken? Auch vielleicht Himmelskörper, die in unserem Verständnis erst einmal unbelebte Himmelskörper sind, wo sich also kein organisches Leben entwickelt hat. Das, was den Menschen ungeheuer interessiert, ist bekannt, die Frage, hat es auf dem Mars Leben gegeben oder nicht, ist eine offene Frage, eine viel diskutierte Frage. Es gibt Indizien, die dafürsprechen. Auf jeden Fall interessiert es den Menschen, weil, wenn es so wäre, und es spricht viel dafür, dass das Prinzip Leben und damit auch die Intelligenz universal vorhanden sind, dann hätte das weitreichende Folgen für unser Selbstverständnis in diesem Universum. Das ist natürlich klar. Wenn es nicht so ist, sieht es vollkommen anders aus. Übrigens auch interessant für die Frage – das nebenbei gesagt – des Neodarwinismus. Ich möchte das hier an der Stelle nicht vertiefen, es sei nur kurz angedeutet, dass der Neodarwinismus gemeinhin die Vorstellung ablehnt, dass Leben ein universell gültiges Prinzip ist. Das muss er auch, weil er letztlich auf einem bestimmten Zufallsprinzip aufbaut. Wenn sich aber nachweisen ließe, dass Leben und Kosmos überall entsteht, wo die betreffenden Bedingungen vorhanden sind, dann bricht natürlich das Zufallsprinzip in sich zusammen. Dann müsste man sich zu der Überzeugung bequemen, dass es eine Art von Telos, einer Art von Ziel darin gibt. Deswegen können Sie das … können Sie beobachten bei vielen Neodarwinisten, dass sie scharfe Gegner sind der Vorstellung der All-Lebendigkeit des Kosmos und dass manche der Kosmologen, die die All-Lebendigkeit befürworten, etwa der bekannte Paul Davies, immer wieder betonen: Sollte sich das als richtig herausstellen, ist der Neodarwinismus erledigt. Dann müsste man das Ganze noch mal vollkommen neu denken. Da gibt es einen merkwürdigen Kampf zwischen auch den neodarwinistischen Evolutionsbiologen und denjenigen, die versuchen, das Welt-Ganze auch so zu denken, dass im Prinzip überall intelligentes Leben entstehen kann, vielleicht nicht so, wie wir es kennen, aber in einer analogen Form. Das ist ‘n ganz heißes Thema, wenn man sich da mal mit beschäftigt. Das hängt natürlich auch mit dem Gedanken der Weltseele zusammen, denn, wenn es so etwas gibt wie eine Weltseele, wenn es wirklich ein organisierendes Prinzip im Weltganzen gibt, dann müsste es auch überall, wo die entsprechenden Grund- und Rahmenbedingungen vorhanden sind, so etwas wie bewusste, ich-hafte Intelligenz hervorrufen, sollte man meinen. Denn es ist ja nicht einzusehen, warum das nur in einer bestimmten Stelle im Universum, oder – kleiner, schmaler jetzt gesagt: – in der Galaxis möglich sein soll. Also diese Fragen sind hoch brisant, insofern ist die Frage der Weltseele nicht etwa eine Frage einer philosophischen Tradition eines Begriffes, den man heranziehen kann oder auch nicht heranziehen kann, sondern es ist eine existenzielle Frage. Wenn es wirklich sowas geben sollte wie die Weltseele – und ich meine, dafür spricht viel –, dann hätte oder hat das tatsächlich weitreichende Konsequenzen. Das möchte ich vorab sagen.

Es ist Zeit für eine kleine Pause. Sagen wir mal knapp 10 Minuten. Wen das interessiert, als ich angeführt habe [….]

Das als Aperçu, wenn man das so nennen will, angeschrieben: 1999, dreimal die 9, die Umkehrung der Symbole ergibt dreimal die 6, das ist ja das berühmte, berüchtigte ascende de mare [das aus dem Meer Auftseigende?], das Tier der Apokalypse, also vielerlei Bezüge kann man da herstellen und kurz von mir in der Pause mit dem T … [Aufnahme unterbrochen]

[…] übrigens äußert er sich zu diesen Fragen überhaupt nicht. Das kommt bei ihm praktisch nicht vor. Und das hat verschiedene Gründe, das mag damit zusammenhängen, dass er ein langjähriger Freund ist von einem der führenden Mathematiker der sogenannten Chaosmathematik, Ralph Abraham, der ‘ne ganz eigene Mathematik auch wieder aufgestellt hat, die er „Visuelle Mathematik“ nennt, letztlich ‘ne Computer-Mathematik und auch mit dem Anspruch in die Welt tritt, wie auch manche andere, er habe sozusagen den geheimen Code, das geheime Muster, das geheime Pattern sozusagen der Welt, wenn nicht in Gänze erkannt, so doch habe sich dem angenähert. Also es mag sein, dass seine Freundschaft mit dem Mathematiker Abraham ihn daran hindert, nun in einer eigenen Form da in diese Zahlen weiter reinzugehen. Auf jeden Fall, wenn man‘s tut, ist es ein Abgrund auch in der Meditation, es ist wirklich ein Abgrund, und man kommt da wirklich nicht auf einen … an einen Boden. Ich habe um Silvester herum ein Buch entdeckt, was sich schon länger hatte, aber nie so gründlich mir angeguckt hatte, aber jetzt habe ich‘s getan, das in die Thematik reinpasst, obwohl man‘s zunächst nicht vermuten sollte, ein Buch über die Gnosis, und zwar eine Anthologie gnostischer Texte und Interpretationen der Gnosis von Peter Sloterdijk und Macho rausgegeben. Und in dieser faszinierenden Textsammlung über die Gnosis, 1000 Seiten umfassend, gibt es neben den eigentlichen gnostischen Texten auch verschiedene Interpretationsansätze und auch Texte, die quasi gnostisch sind oder neognostisch, und da taucht auch Schelling auf – ich kannte den Text, hab auch Teile davon in meiner Schelling-Monographie schon zitiert, habe aber noch mal jetzt zu meiner Verblüffung festgestellt, wie aufregend, wie eigentlich atemberaubend dieser Text ist. Das sind acht Seiten, fast acht, ich les nur den Text vor und interpretiere diesen Text, der ist einfach so wunderbar, so tief, dass man eine ganze Vorlesung mühelos mit diesen paar Seiten bestreiten könnte. Für unseren Zusammenhang, für die, die ‘s letztes Mal da waren, ist aber Folgendes interessant. Sie erinnern sich vielleicht, dass ich im Zusammenhang mit bestimmten Überlegungen, die auf die Anthroposophie zurückgehen, Überlegungen von Mathematikern, Physikern, den Gedanken geäußert habe, dass es eine Art Polarität des Raums selber gibt, dass es zentrische Kräfte gibt und periphere Kräfte. Und ich habe das, glaub‘ ich, auch angedeutet oder im Gespräch nachher dann gesagt, dass dieser Gedanke einer … dass dieser Gedanke im Kern schon in der Naturphilosophie Schellings auftaucht, also der … die Polarität von zentrischen, gravitativen Kräften und antigravitativen Kräften, also Schwerefeld und Levitationsfeld, und dass im lebendigen Organismus, der sich dem Licht gegenüber äu… öffnet, also in der öffnenden Grundhaltung, Grundgeste dem Licht gegenüber auch buchstäblich quasi physikalisch auch, eine Art antigravitative Wirkung beobachten lässt. Das steht auch hier in diesem Auszug von Schelling, der in dem Gnosis-Band steht. Und interessanterweise stammt dieser Auszug aus der Schrift „Von der Weltseele“. Und Schelling setzt sich da auseinander mit der Frage des Lichtes und der Schwere im Zusammenhang mit der Weltseele. Und es ist faszinierend, wenn man diese Gedanken mal etwas verfolgt, sich da richtig hineinbohrt, denn das ist auch von einer hochaktuellen Bedeutung, das sind hochbrisante Gedanken, die hier aufscheinen. Sie werden sich erinnern, dass wir über die Frage einer möglichen Antigravitation ja das letzte Mal gehandelt haben, ich hab ja da auch einige Beispiele erwähnt. Ich gebe nur einige Auszüge aus diesem Passus, um Ihnen das mal vorzuführen, weil das finden Sie sonst nirgendwo. In dieser Form und Ausführlichkeit ist es auch nicht in der Monographie zitiert und die Schriften Schellings sind sehr schwer zugänglich und in der Gesamtausgabe auch gerade die Weltseelen-Schrift, das findet man sonst kaum. Deswegen les‘ ich mal einige Passagen vor, weil das auch eine interessante Anknüpfung ist an das letzte Mal. Also es geht jetzt um den Zusammenhang der organischen Struktur der gesamten Weltseele in Ver… also in Verbindung mit der Polarität von Schwere und Licht, von Lichtwesen und Schwerewesen. Da heißt es hier in dieser Schrift „Von der Weltseele“, 1798 erschienen, Schelling war, das kann man kaum glauben, 23 Jahre alt, als er das geschrieben hat. Und die Schrift kannte Goethe und hat sie sehr geschätzt:
„Wie also die Schwere“, schreibt Schelling, „das Eine ist, das in Alles sich ausbreitet, in diesem All eine Einheit ist, so sagen wir im Gegenteil von dem Lichtwesen, es sei die Substanz, sofern sie auch im Einzelnen, also überhaupt in der Identität, das All oder das Ganze ist.“ – Also Schwere, Licht, polar, kann man auch als unendliche reale Substanz oder unendliche ideale Substanz bezeichnen, passt auch in Gleichsetzung bei Schelling von Lichtwesen und Geist – „Das Dunkel der Schwere und der Glanz des Lichtwesens bringen erst zusammen den schönen Schein des Lebens hervor und vollenden das Ding zu dem eigentlich Realen, das wir so nennen.“ – Das findet man fast wörtlich übrigens in einem Steiner-Vortrag, diese Aussagen – „Das Lichtwesen ist der Lebensblick im allgegenwärtigen Zentrum der Natur.“ – nochmal: – „Das Lichtwesen ist der Lebensblick im allgegenwärtigen Zentrum der Natur. Wie durch die Schwere die Dinge äußerlich eins sind, ebenso sind sie in dem Lichtwesen als in einem inneren Mittelpunkt vereinigt“ – Also beides sind Einheitsprinzipien, das … die Schwere und das Lichtwesen – „und sich selbst untereinander in dem Maß innerlich gegenwärtig, als jener Brennpunkt vollkommener oder unvollkommener in ihnen selber liegt.“ – Ich lass mal den Zwischenteil aus. Dann heißt es hier weiter – „Über die Verbindung von Schwere … Schwerewesen und Lichtwesen als dem eigentlichen Einheitsprinzip des Weltzusammenhangs“ – dem Weltseele-Zusammenhang, hochinteressant, faszinierend. Also ich bedaure fast, dass ich‘s nicht ganz lesen kann, aber es führt wirklich zu weit. Ich hoffe, dass es einigermaßen verständlich ist. Ich kann mir‘s einfach nicht verkneifen, es vorzulesen, weil ich‘s so wunderbar finde. – „Der Lebensquell der allgemeinen oder großen Natur ist daher die Copula“ – also das Band, die Verbindung – „zwischen der Schwere und dem Lichtwesen. Nur dass dieser Quell, von dem alles ausfließt in der allgemeinen Natur verborgen, nicht selbst wieder sichtbar ist, wie auch die Weltseele verborgen ist. Wo auch diese höhere Copula,“ – also diese höhere Verbindung – „sich selbst bejaht im Einzelnen“ – also im Einzelwesen – „da ist Mikrokosmos, Organismus, vollendete Darstellung des allgemeinen Lebens der Substanz, in einem besonderen Leben.“ – also hier … Schelling geht auch aus von der … vom allgemeinen Leben, also im universalen Leben, auch dem Vorhandensein von organisch-intelligentem Leben auf anderen Himmelskörpern – „die selbe, alles enthaltende und vorsehende Einheit, welche die Bewegungen der allgemeinen Natur, die stillen und stetigen, wie die gewaltsamen und plötzlichen Veränderungen nach der Idee des Ganzen mäßigt und als stets in den ewigen Kreis zurückführt, dieselbe göttliche Einheit ist es, welche unendlich bejahungslustig sich in Tier und Pflanze gestaltet und mit unwiderstehlicher Macht ist der Moment ihres Hervortreten entschieden, Erde, Luft und Wasser in lebendige Wesen, Bilder ihres All-Lebens zu verwandeln sucht.“ Also auch hier ein Telos in der kosmischen Evolution, eine Art, wenn man will, auch anthropisches Prinzip, also Erde, Luft und Wasser metamorphosieren in Richtung auf lebendige Wesenheiten, Bilder des All-Leben. Also in jedem einzelnen Organismus konfiguriert sich die Weltseele, das ist wichtig in diesem Sinne, als Ganzes, sie ist also ganz präsent. Wie das Schelling, übrigens in Anknüpfung an Bruno, auch immer wieder sagt: Die göttliche Einheit ist … oder der göttliche Geist ist in jedem Teil eins, er ist nicht als Teil präsent, sondern in toto, und zwar nicht im Raum in diesem üblichen Sinne, er ist nicht räumlich und doch allgegenwärtig. – „Diese höhere Einheit ist es, welche die Totalität der Schwere und die Identität des Lichtwesens gleicherweise im Verbundenen entfaltet. Das Leben des Organischen hängt zuvörderst an dieser Entfaltung des Bandes. Daher der Pflanze unendliche Liebe zum Licht“ – jetzt ‘n wunderbarer … Aussage – „in dem in ihr vorerst nur das Band der Schwere sich lichtet,“ – d. h. für Schelling auch, dass tatsächlich eine antigravitative Kraft vorliegt, dass also das Licht eine Art – jetzt, um diesen Begriff zu verwenden – Levitationsfeld darstellt. – „Das dunkle Band der Schwere ist in den Verzweigungen des Pflanzenreiches gelöst und dem Licht aufgeschlossen. Die Knospe des Lichtwesens bricht in dem Tierreich auf.“ – nächste Stufe─ „Die absolute Copula“ ─ also diese ab… die Verbindung ─ „jener beider Einheit und Mittelpunkt“ ─ also zwischen Schwerewesen und Lichtwesen – „kann sich selbst nur in Einem finden und sich nur von diesem Punkt aus in wiederholter Entfaltung aufs Neue in einer unendlichen Welt ausbreiten. Jenes Eine ist der Mensch.“ „Jenes Eine ist der Mensch, in welchem das Band das Verbundene vollends durchbricht und in seine ewige Freiheit heimkehrt.“ – Also auch das eine Art von anthropischem Prinzip, dass der Mensch in gewisser Weise im tiefsten Sinne des Wortes anthropomorph oder anthropozentrisch das Ganze zur Freiheit hin öffnet. Also – „Jenes Eine ist der Mensch, in welchem das Band das Verbundene vollends durchbricht und in seine ewige Freiheit heimkehrt.“ – „… , die der Geist selber ist“, müsste man da ergänzen. – „Beruht indess der Organismus im Allgemeinen auf der Wirklichkeit und selbst Bejahung der absoluten Copula,“ – also der Verbindung – „so muss auch in jeder einzelnen Sphäre derselben der Gegensatz und die Einheit der beiden Prinzipien dargestellt sein.“ –Das könnte man nun am Organischen durchbuchstabieren. Das tun zum Teil die Anthroposophen, das tut auch zum Teil etwa der Georg Adams, den ich erwähnt habe, der Mathematiker, der sich da ganz bewusst auch auf Steiner beruft, auf die Polarität von zentrischen und antizentrischen, peripheren Kräften oder auch Ätherkräften. Letztes Zitat, ich will das nicht zu weit hier ausdehnen, ich find‘s einfach so … möchte mich hier … könnte mich da fast darein verlieren in diesen Text, das möchte ich Ihnen nicht zumuten, letztes Zitat: – „Der Zweck der erhabensten Wissenschaft kann nur dieser sein: Die Wirklichkeit im strengsten Sinne der Wirklichkeit, die Gegenwart, das lebendige Dasein eines Gottes im Ganzen der Dinge und im Einzelnen darzutun.“ – Also auch im Hier, in der konkreten organischen Gestalt, was Schelling unermüdlich hier betont. – „Wie hat das nur je nach Beweisen dieses Daseins fragen können. Kann man denn über das Dasein des Daseins fragen. Es ist eine Totalität der Dinge, so wie das Ewige ist, aber Gott ist als das Eine in dieser Totalität. Dieses Eine in Allem ist erkennbar in jedem Teil der Materie.“ – das findet man wortwörtlich bei Bruno – „Alles lebt nur in Ihm.“ – und Schluss: – „Aber ebenso unmittelbar gegenwärtig und in jedem Teil erkennbar ist das All-in-Einem, wie es überall das Leben aufschließt und im Vergänglichen selbst die Blume der Ewigkeit entfaltet. Das heilige Band, durch welches die beiden ersten eins sind, empfinden wir in unserem eigenen Leben und dessen Wechsel, zum Beispiel von Schlaf und Wachen, wie es uns bald der Schwere eingibt, bald dem Lichtwesen zurückstellt.“ – Also auch der Grund- und Urrhythmus des Schlafens und des Wachens wird hiermit im Zusammenhang … in Zusammenhang gebracht. Ich will ja … habe mir im So… für den Sommer vorgenommen, dass ich auch über diese ganze Frage des Rhythmus in der Natur unter anderem sprechen möchte, was ich bisher kaum getan habe, also Rhythmus in der Natur, Schlafen, Wachen, Tag und Nacht, ganz tiefe Rhythmen. – „Die All-Copula“ – also die Verbindung von Lichtwesen und Schwerewesen – „ist in uns selbst als die Vernunft und gibt Zeugnis unserem Geist. Hier handelt es sich nicht mehr von einer außer- oder überweltlichen Sache, sondern von dem Unmittelbar-Nahen, dem Allein-Wirklichen, zu dem wir selbst mitgehören und in dem wir sind.“ – Das ist wichtig, dass diese Gedanken, wenn man sich mal der Mühe unterzieht, die wirklich zu denken, mitzudenken, nachzudenken, sehr konkret sind, und das ist hochspannend, das zu verfolgen, was das bedeuten würde für eine mögliche neue oder andere Naturphilosophie. Das hat Schelling nicht geleistet, das konnte er auch nicht leisten, das wäre zu viel ihm abverlangt gewesen, aber er hat in dem Jahrzehnt der Naturphilosophie, 1797 bis 1805/1806, tatsächlich auf eine geniale Weise das ganze Panorama aufgezeigt, das Ganze aufgefächert und Fragen auch, die heute von einer ungeheuren Aktualität sind. Wie das möglich war, ist kaum zu begreifen, wie ein 23-Jähriger in der Lage sein konnte, diese Dinge so tief zu durchdenken. Und das sind Gedanken, denen man im 20. Jahrhundert da und dort immer wieder begegnet, mit denen ich mich auch viel beschäftigt habe, auch diese Frage von Licht und Schwere. Auch dazu werd‘ ich im Sommer dann noch einiges sagen in einem ganz anderen Kontext.
Nun zu der Frage: Bringt es etwas, den Begriff der Weltseele für eine Naturphilosophie, eine Kosmologie heranzuziehen, oder – ich sag‘s noch mal – ist es einfach ein Wort, wofür man auch andere Begriffe nehmen könnte? Die Frage lässt sich nicht letztlich entscheiden. Ich meine aber, dass dieser Begriff ein sinnvoller, ein guter und auch ein zweckmäßiger Begriff ist. Der Begriff ist gut, er transportiert wirklich Bedeutung. Er transportiert zunächst einmal die Grundüberzeugung, dass das Universum als Ganzes eine organische Struktur hat. Man kann es auch bescheidener, kleiner sagen erst einmal, dass die Erde als Ganzes ein organisches Ganzes ist und eine Art Weltseele hat, ein … eine Facette, eine Emanationen der Weltseele ihr eigen nennt, eine Gestirnseele, dann möglicherweise auch das Sonnensystem als Ganzes, das kann man von vielen Momenten aus verdeutlichen. Sheldrake, der praktisch nie etwa die Astrologie heranzieht, ist auch der Auffassung, dass das Sonnensystem als Ganzes eine eigene organische Struktur und auch einen eigenen Geist-Organismus darstellt – auch das ist wichtig, hier kommt immer auch das Moment des Bewusstseins rein. Man kann ja die … den Organismus auch ganz, sage ich mal, biologistisch denken. So wunderbar und großartig ja die Gaia-Theorie des Mediziners James Lovelock ist und aus guten Gründen ja auch weltweit diskutiert worden ist und immer noch diskutiert wird, muss man doch sagen, wenn man sich das genauer betrachtet, dass sie im Kern biologistisch ist. D. h. sie geht letztlich davon aus, Leben ist eigentlich nur Bios und der Geist und ich-hafte Wesenheiten sind nur aus diesem Bios heraus abzuleiten, haben aber keine eigene Wirklichkeit. Nich‘, das unterscheidet ihn vollkommen etwa von diesem idealistischen Ansatz, das unterscheidet ja auch James Lovelock vollkommen von Ansätzen etwa, wie ich ihn vertreten habe oder auch wie ihn Johannes Heinrichs vertreten hat, dass das Ich tatsächlich eine Weltkonstituente ist, dass das Ich im kosmischen Gesamtzusammenhang tatsächlich nicht einfach eine ephemere, eine fast zu vernachlässigende Größe darstellt, sondern tatsächlich eine … einen Weltzusammenhang aufscheinen lässt, eine Lichtung der Welt darstellen kann.
Also: Die Frage des Welt-Organismus für sich transportiert noch wenig, wenn sie nur biologisch bleibt oder biologistisch bleibt. Nich‘, das ist ja auch möglich, so kann ich ja auch den Weltorganismus denken, das geschieht ja auch, übrigens auch zum Teil in der Ökologie. Aber man kann den Organismus-Gedanken auch weiter fassen, indem man von vornherein das Seelisch-Geistige mitdenkt, indem man Bewusstseinsevolution mitdenkt, indem man die Erscheinung auch der Intelligenz, auch der Ichheit im Menschen als einen integralen Teil dieses Organismus mitdenkt. Dann ist man auf einem vollkommen anderen Bewusstseinsniveau angelangt, wenn man das immer mitdenkt, wenn man das immer mitheranzieht. Mag sein, dass auch dann ein so gewaltiges, im Grunde ja auch alle unsere Erfahrungsdimensionen sprengendes Etwas wie die Galaxis auch eine Art Superorganismus ist, das ist möglich, das kann man denken, oder noch größere Einheiten von Galaxien, das ist denkbar, wir wissen nichts … es ist auch müßig, über das Universum als Ganzes zu reden, das find‘ ich nicht möglich. Ich glaube nicht, dass es in dieser Form, wie es häufig geschieht, möglich ist, aber es gibt die Möglichkeit, den Organismus-Gedanken auszuweiten. Und dann nur ist auch der Begriff der Weltseele wichtig, sonst wird er verkleinert, reduziert auf letztlich verfeinerten Bios. Und das, glaub ich, kann man auch von den Neuplatonikern, das kann man von den idealistischen Philosophen, das kann man von vielen Denkern lernen, dass das zu kurz gegriffen ist. Und von dort aus könnte man noch mal auch die ganze Frage des ökologischen Zusammenhangs neu denken, was ich zum Teil in dem Buch „Was die Erde will“ auch versucht habe, tatsächlich noch mal im Sinne einer ganz anderen Form von Ökologie, einer anderen Form von Tiefenökologie, einer integralen Tiefenökologie, die menschliche Bewusstseinsentwicklung, ich sag‘s noch mal, als integralen Teil mitdenken. Also ich meine, dass der Gedanke der Weltseele sinnvoll ist. Man kann ihn auch heranziehen zum Beispiel für Phänomene der sogenannten Nichtlokalität. Sie wissen das vielleicht aus der Quantentheorie, die Vorstellung, dass auch weit voneinander entfernte physikalische Vorgänge oder Phänomene dann doch auf eine sogenannte nicht-lokale Weise miteinander verbunden sind. Dann kann man natürlich sagen: Hier muss es einen Verbindungszusammenhang geben, der könnte auch in der Weltseele beheimatet sein. Und dann wird es natürlich sehr schwierig, wenn man dann die Frage stellt: Wie ist der mögliche Zusammenhang zwischen dieser Weltseele, diesem Einheitsprinzip der Welt, die die Welt zum Organismus stiftet, und dem Vakuum? Ist das das Gleiche oder gibt es hier verschiedene Ebenen? Und das ist eine sehr subtile Geschichte. Ich will eine … meine Hypothese dazu nicht verschweigen: Ich vermute, dass das nicht das Gleiche ist. Also ich kann das nicht im Letzten begründen, vielleicht ist das auch nicht möglich. Jedenfalls habe ich bisher noch keinen gelesen oder gehört, der das konnte in diesem letzten Sinne, zu zeigen, dass die Weltseele tatsächlich nicht einfach identisch ist mit dem leeren Raum, mit dem Vakuum, dass es offenbar auch innerhalb des Raums verschiedene Ebenen gibt und dass etwa Gedanken – um jetzt mal diesen … dies Beispiel zu nehmen – dass Gedanken, wenn sie durch den Raum transportiert werden, nicht unbedingt auf … oder im Vak… auf dem Vakuum oder im Vakuum reisen, sondern über das Medium der Weltseele. Das sind aber extrem schwierige Gedanken, die Frage auch der Telepathie etwa: Was stiftet dann den Zusammenhang? Welche Art von Bewusstseinsfeld liegt denn vor? Ist es wirklich ein Feld, was auch jenseits des Räumlichen sich befindet, das wäre ja Nonlokalität. Dann wäre ja der Raum quasi unterlaufen. Oder sind das Zusammenhänge, die im Raum sich vollziehen. Dann ist sofort die Frage, die ich auch mehrfach gestellt habe: Gibt es da eine Geschwindigkeit, die man feststellen kann? Also: Im Falle einer Telepathie, zwei Menschen haben telepathischen Kontakt miteinander, gibt es da eine gewisse Zeitverlust? Oder kann man das durch bestimmte Vorrichtungen abschirmen? Das wäre ja auch ‘ne Frage oder geschieht das instantan, augenblicklich? Diese Fragen sind ungeklärt. Es gibt einige empirische Erhebungen in diese Richtung, aber auch da ist die Frage: Was ist das Verbindungsprinzip? Für meine Warnehmung ist der Zeitfaktor da ein entscheidender. Wenn man nämlich zeigen könnte, dass da kein Zeitverlust vorliegt, dass das wirklich synchron passiert, dann wäre ja erst einmal der Beleg gebracht, dass tatsächlich Geschwindigkeit in unserem Sinne keine Rolle spielt oder die Geschwindigkeit ist so hoch, die ist so gewaltig, dass sie quasi unendlich ist. Also das ist vielleicht ein logisches Monstrum, von einer quasi unendlichen Geschwindigkeit zu reden, aber mit dieser Einschränkung und Relativierung, kann man das machen. Also: Geist, auch Gedankenimpulse werden transportiert mit einer quasi unendlichen Geschwindigkeit. Und dann ist die Frage: Was ist das Transportmedium? – Wenn das nicht überhaupt schon zu mechanistisch gedacht ist. Nich‘, also die Frage: Ist das im Raum, unterläuft das den Raum, ist das in einer tieferen Schicht, aus der vielleicht sogar der Raum erwächst? Erstmal in die tiefsten Fragen, auch ontologischen Fragen des Kosmos überhaupt. Aber das kann man, glaub ich, vorerst nur in dieser eher hypothetischen Form beantworten.
Ich finde, dass es sinnvoll ist, den Begriff „Weltseele“ heranzuziehen. Und das geschieht auch an verschiedensten Fronten, sage ich mal, das hab‘ ich beobachtet und mit Erstaunen festgestellt, dass von den verschiedensten Fronten aus auch der Begriff wieder neu reingenommen wird. Etwa Carl Friedrich von Weizsäcker hat das getan seit den neunziger Jahren. Er geht sogar so weit, dass er sagt: Die Quantentheorie beweist die Weltseele, was ich mit gewissen Abstrichen nur bejahen würde, aber es findet sich in seinem Buch „Die Zeit und das Wissen“, 1992 erschienen. Also die Quantentheorie ist nicht nur vereinbar mit dem Gedanken einer Weltseele, sondern sie fordert geradezu die Weltseele – erstaunlich! Dann aber heißt es bei Weizsäcker – ich hab die Stelle jetzt nicht wörtlich im Kopf – „oder den Weltgeist“. Plötzlich wird das alternativ gesetzt. Dann weiß man nicht genau, ob da ‘ne begriffliche Schärfe vorliegt, oder ob das mehr oder weniger nur sagen soll, dass hier eine Art Einheitsprinzip vorliegt. Was ist nun: Weltseele oder der Weltgeist? Hierfür gibt’s mehrere Stellen bei Weizsäcker. Der Begriff der Weltseele wird auch in der Evolutionsphilosophie verschiedentlich verwendet, etwa Ken Wilber verwendet den Begriff „world soul“, „Weltseele“, allerdings anders, als ich ihn hier verwende, in Anknüpfung an Bruno, Schelling und den Neuplatonismus. Für Wilber ist „world soul“ einfach ein ich-überschreitendes Bewusstseinsprinzip, was sich irgendwann in der kosmischen Evolution manifestiert. Es ist also nicht eigentlich das, was ich unter „Weltseele“ verstehe. Also er bezieht sich da auf die amerikanische Philosophie der Over-Soul bei Ralph Waldo Emerson, der wiederum seinerseits auch von der deutschen Romantik stark beeinflusst war. Gut, also Wilber in unserer Zeit verwendet den Begriff der Weltseele, Sheldrake, hab ich schon gesagt, verwendet ihn auch, Terence McKenna, bekannter Anthropologe und Erforscher psychoaktiver Substanzen, verwendet den Begriff der world soul oder auch der genannte Mathematiker Ralph Abraham, einer der Gründerväter der sogenannten Chaos-Mathematik, der Mathematik der nichtlinearen Systeme, verwendet den Begriff der world soul – wieder in einem etwas anderen Zusammenhang, immer in dem Sinne eines universalen Prinzips, eines Einheitsprinzips, dass mir die Möglichkeit gibt, jedem von uns, jedem ich-bewussten Wesen, aber auch unter-ichhaften Wesen, ständig mit allen anderen in Kommunikation zu stehen, dass wir also ständig, unaufhörlich, in jedem Moment, auch in diesem Moment hier in diesem Hörsaal, ständig in Kommunikation stehen mit einem wie immer zu bestimmenden kosmischen Ganzen. Dass das immer, in jedem Augenblick präsent ist und auch – eine bestimmte Veränderung des Bewusstseins vorausgesetzt – auch in jedem Moment aufscheinen könnte. Das wäre jetzt mal Stichwort „kosmisches Bewusstsein“, von dem ich ja dann das nächste Mal sprechen möchte. Das hat auch damit zu tun, also mit der Bewusstseinsdimension, auch mit der Bewusstseinsdimension der sogenannten Weltseele.
Also, ich denke, bevor wir ins Gespräch kommen, möcht ich noch mal da so ‘n paar Thesen zusammenfassen: Ich glaube, dass wir nicht umhinkönnen, ein universales Einheitsprinzip zu unterstellen, sage ich mal, von diesem universalen Einheitsprinzip auszugehen. Anders können wir auch Bewusstseinszusammenhänge größerer … in größerer Form gar nicht denken. Wenn es so etwas nicht gibt, wenn es so ein universales Weltseelen-Prinzip als Einheitsprinzip der Welt nicht gibt, dann werden wir aus einem Partikularismus oder einem Atomismus im Seelisch-Geistigen nicht rauskommen. Man muss es in gewisser Weise postulieren und versuchen zu denken. Das heißt nicht, dass die Weltseele sich naturphilosophisch beweisen ließe. Das wäre ein Fehlschluss. Auch, sagen wir mal Experimente, die man ja machen kann, es gibt ja solche Experimente, dass man etwa telepathische Experimente macht, dass man Feldexperimente macht, dass man Abschirm-Experimente macht, dass man die Zeit versucht zu kontrollieren, die verstreicht oder nicht verstreicht, sind alle natürlich nie – und könne nicht sein – ein Beweis für die Existenz der Weltseele. Es kann immer noch ein ganz andersgearteter Feldzusammenhang sein und insofern ist das … kommt man da in eine Grenzzone hinein, wie ja auch Kritiker von Sheldrake gesagt haben: Das ist überhaupt … sind überhaupt keine eigenen Felder, das sind einfach elektromagnetische Felder. Das hat ja Hans-Peter Dürr, der Quantenphysiker, dagegen auch vorgebracht: Das sind eigentlich nur noch nicht ganz verstandene elektromagnetische Zusammenhänge. Sheldrake schreibt, ich hab das hier in einem Essay von mir mal über die Schwere vor Jahren zitiert: „Wenn es eine Weltseele gibt,“ – jetzt Zitat Sheldrake, 1992 … 93, glaub‘ ich – „die den gesamten Kosmos durchdringt, dann wird ihre körperliche Ebene vielleicht größtenteils durch das Schwerkraftfeld ausgedrückt,“ – eigenartiger Zusammenhang, denken Sie an das, was ich von Schelling gesagt haben – „während ihre eigentlich seelische Ebene durch eine Schnittstelle mit dem elektromagnetischen Feld zum Ausdruck kommt.“ – Eigenartige Zusammenhänge, die sich hier auftun. Also Weltseele im Zusammenhang mit dem Gravitationsfeld, die Weltseele hat die seelische Ebene in der Schnittstelle mit dem elektromagnetischen Feld. Da könnte man dann wieder den Gegensatz von Gravitation und Levitation ins Spiel bringen, also den zentrierenden Gravitationskräften und den antigravitativen Lichtkräften. Schelling, zum Teil auch bei den Anthroposophen, bei Steiner, aber dann auch bei Adams und anderen. Auch da, denk ich, gibt‘s noch sehr viel zu erforschen.

Ich möchte hier erstmal einen Schnitt machen und gleich in das Gespräch einsteigen.

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Weltraum – Weltäther – „Freie Energie“

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale Wintersemester 1998/99
Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 10

Transkript als PDF:

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Gut. Das Thema heute soll sein – sehr weit, wie der Raum – „Weltraum, Weltäther“, dann „Freie Energie“ in Anführungszeichen. Und die Frage „Gibt es den (totgesagten) Äther doch? Von der schöpferischen Potenz des Vakuums.“ Das Thema kann man auf ‘ne heitere Weise einführen durch einen Dialog, den Faust und Mephistopheles führen kurz bevor Faust den Gang zu den Müttern antritt im zweiten Teil – eine furiose Szene, wie sich vielleicht manche erinnern. Und da gibt es eine interessante Passage, die was zu tun hat mit dem Vakuum und der Energie des Vakuums, was man vielleicht zunächst nicht vermuten würde. Also Faust möchte den Weg zu den Müttern antreten – es bleibt undeutlich: Was sind denn nun eigentlich diese Mütter?

„Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit;
Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
Die Mütter sind‘s!

FAUST aufgeschreckt.

Mütter! – Schaudert‘s dich? –
Die Mütter! Mütter! – ‚s klingt so wunderlich!“

Und dann sagt Mephistopheles, um ihn abzuschrecken von diesem Gang zu den Müttern:

„Und hättest du den Ozean durchschwommen,
Das Grenzenlose dort geschaut,
Du sähst doch Well‘ auf Welle kommen,
Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
Du sähst doch etwas.
Sähst wohl in der Grüne

Gestillter Meere streichende Delphine;
Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne –
Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
Den Schritt nicht hören, den du tust,
Nichts Festes finden, wo du ruhst.“

Darauf Faust, trotzig in gewisser Weise – wagemutig-trotzig:

„Du sprichst als erster aller Mystagogen,
Die treue Neophyten je betrogen.“

– also die Neu-Hinzukommenden einem Mysterienkult –

„Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre;
Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze,
Dir die Kastanien aus den Gluten kratze.
Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
In deinem Nichts hoff‘ ich das All zu finden.“

Also, Mephistopheles warnt Faust davor, was er jetzt anstrebt: Der Gang zu den Müttern sei quasi ein Weg in das Nichts. Er hat überhaupt keine Bezugspunkte, kein Koordinatensystem mehr. Und Faust, trotzig „In deinem Nichts werd‘ ich das All finden“… „… denk ich, das All zu finden“ … „In deinem Nichts hoff‘ ich das All zu finden“ – gut, auf jeden Fall, darum geht’s, es geht um das Nichts und um das All oder auch um das Vakuum und das Plenum. Nun ist es interessant, dass im … kurz vor Weihnachten der Spiegel, der sich ja manchmal dieser Thematik annimmt, eine Titelgeschichte rausgebracht hatte mit dem plakativen Titel „Gottes Urknall“ – einige wissen das ja, dass ich häufig darüber spotte, kann man sagen, dass die moderne Kosmologie immer mehr zur Theokosmologie wird – und ich fühlte mich da in gewisser Weise fulminant bestätigt – „Gottes Urknall. Kosmologie an den Grenzen zur Religion.“ Es geht mir nicht um den Artikel und auch nicht jetzt um die Frage „Urknall – ja oder nein?“, sondern es geht um die Frage des Vakuums, und da taucht eine interessante Gedankenfigur auf, nämlich die Vorstellung, dass das Nichts selber, das Vakuum, der Raum, der sogenannte leere Raum, durch bestimmte Fluktuationen das Sein, die seiende Welt hervorbringt. Wieder einmal fühlt sich Andrei Linde, der Magier aus Moskau, bestätigt – jetzt die Nummer 1 der Kosmologen, hat mittlerweile Stephen Hawking an Berühmtheit und schauriger Popularität abgelöst, kann man sagen. Er verficht schon seit geraumer Zeit eine fantastische Theorie, in der das Nichts die Hauptrolle spielt. Das ganze Weltall sei daraus entstanden – das ist also eine alte Theorie, ist nicht von Linde, aber er hat sie neu aufgegriffen, popularisiert und auch auf die Urknallfiktion angewendet. Eine Energiezuckung des Vakuums hat nach seiner Ansicht den Urknall in Gang gesetzt, und wenn die Entstehung eines Universums mit so wenig Aufwand zu bewerkstelligen ist, sei auch nicht einzusehen, weshalb es nur ein Universum geben soll. Und dann wird das hier dargestellt als eine Vorstellung, dass durch bestimmte Fluktuationen des leeren Raums, des sogenannten Nichts oder Vakuums, durch diese Urgebärde gleichsam das All in die Wirklichkeit getreten sei bzw. die materielle energetische Welt in die Wirklichkeit getreten sei. Und daran interessant in dem Zusammenhang sind zwei Dinge. Das ist erstaunlich, wenn man die Diskussion der letzten Jahre bisschen verfolgt hat – hier wird plötzlich so getan, als ob die Vorstellung einer Antigravitation ganz selbstverständlich und plausibel, ja logisch sei, dass also eine antigravitative Kraft die zusammenziehenden Energien gleichsam auseinandergestoßen hat und dass diese Bewegung auch mit Überlichtgeschwindigkeit erfolgt sei – was natürlich eine heilige Kuh der Relativitätstheorie berührt: Warum denn plötzlich Überlichtgeschwindigkeit? Und nun der Trick, der symptomatisch ist für diese Art von Denken überhaupt: Man sagt, naja, diese Bewegung … Warum machst du’s dunkler? … diese Bewegung sei ja nicht im Raum erfolgt, sondern – Pointe – der Raum selber würde sich … habe sich … wie immer … mit Überlichtgeschwindigkeit ausgedehnt. Nun ist das schwierig, das führt in einen Abgrund von erkenntnistheoretischen Fragen: Wie kann das sein, dass ein Raum sich ausdehnt? Da müsste ja dann ein anderer Raum da sein! Ich hab‘ das ja mehrfach angedeutet. Dann kann man die Zuflucht nehmen zur Vorstellung eines Hyperraums, in den sich hinein dann dieser Raum ausgedehnt hat. Extrem schwierig – ist das dann kein Raum mehr? Ist das was anderes? Also diese Fragen sind aufwühlende, und Antworten darauf zu geben, ist schwierig. Ich will das nur einfach mal erwähnen, als auf ‘ne überraschende Weise also die Frage einer möglichen schöpferischen Potenz des sogenannten leeren Raums, des Vakuums hier selbst auf so einem populären Niveau wie in so einem Nachrichtenmagazin plötzlich auftaucht. Und mit weitreichenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Das Ganze ist heiß umstritten und … das soll aber nicht jetzt primär das Thema sein.
Also „in deinem Nichts hoff‘ ich das All zu finden!“ Nun, wenn man vom Traum redet, dann sollte man sich einen kurzen Moment mal vergegenwärtigen, wie Raumerfahrung für den physisch-sinnlichen, für den leiblichen Menschen zustande kommt. Das wird meist übersprungen oder als irrelevant abgetan. Man springt zu schnell zu mathematisch-geometrischen Modellen und ähnlichen und fragt sich zu wenig, denke ich, wie die Raumwahrnehmung eigentlich zustande kommt. Sie ist ja zunächst mal auch eine Wahrnehmung des Leibs hier und des Umfeldes um diesen Leib, also die Leiberfahrung, die unmittelbar physisch-sinnliche Leiberfahrung, aber auch die geistige Ich-Erfahrung ist in gewisser Weise die Quelle auch der Raumerfahrung.
Und ich hab’ zwischen Weihnachten und Neujahr mir ein Buch gekauft, weil mich der Titel interessierte, hab’ es auch schon zum Teil gelesen, da wird genau auf diese Frage Bezug genommen. Das ist ein Physiker, Mathematiker, Anthroposoph: Martin Basfeld. Ich hab’ das Buch in einer Buchhandlung entdeckt, fand das interessant – „Wärme: Ur-Materie und Ich-Leib“ – hatte das angeblättert und dann stieß ich gleich auf Passagen, die genau diesen Punkt berühren, nämlich die Frage des Raums: Wie wird eigentlich der Raum wahrgenommen? Also Basfeld vertritt da auch die These, die ich im Prinzip für richtig halte, dass erst einmal die Ich-Erfahrung und die unmittelbare Leiberfahrung der Ursprung der Raumerfahrung überhaupt ist. Er bezieht sich auf einen interessanten Philosophen, der wenig bekannt ist, zu Unrecht, Hermann Schmitz, Phänomenologe, der sich eingehend damit beschäftigt hat, wie der Mensch den Raum wahrnimmt. Und Schmitz unterscheidet drei Arten von Raum. Ob diese Begriffe, die jetzt kommen, so günstig gewählt sind, können wir mal auf sich beruhen lassen. Ich nehm‘ sie mal, wie sie dastehen. Basfeld paraphrasiert das und zitiert auch und setzt sich damit kritisch und auch zum Teil wohlwollend auseinander: Schmitz, Kieler Philosoph, in einem Buch von 1990 unterscheidet drei Räume oder drei Arten von Raum: den Weite-Raum – den Raum als unbegrenzte, unbegrenzbare Weite, eine Art Fluidum ohne präzise Koordinaten – also den Weite-Raum, dann den Richtungs-Raum – also die … mit Punkten, auf die man deuten kann, die auch eine Orientierung geben – und den sogenannten Orts-Raum.
Das will ich versuchen mal, jetzt kurz zu erklären und auch zu zeigen, was es mit unserem Thema zu tun hat. Also Basfeld schreibt zunächst mal, Schmitz paraphrasierend: „Durch die elementare Wahrnehmung von leiblicher Umgebung haben wir uns zunächst nur als lebenerfüllten Punkt in einer ihn berührenden undifferenzierten Raumes-Welt.“ Hier würd‘ ich anmerken, ob das Wort von „Punkt“ hier, also der Begriff „Punkt“ hier günstig ist, aber man kann’s stehen lassen. „Unseren Leib erfahren wir als den absoluten Ort unseres Hier, der sich, mehr oder weniger eng erspürt, von der Weite abhebt, ohne dass wir dabei Richtungen, Abstände oder dergleichen unterscheiden.“ Er zitiert da Schmitz: „z. B. ist reiner Weite-Raum beständig präsent im Spüren des Klimas. Am eigenen Leib spürt man ein vage ergossenes Klima, in dem man sich befindet“ – das kennen wir ja alle – „und den eigenen Leib, der sich an seinem absoluten Ort als betroffener davon abhebt.“ Das ist wichtig und für Kenner jetzt mal der erkenntnistheoretischen Diskussion der Physik etwas befremdlich vielleicht, dass Schmitz die eigene Leiblichkeit, auch die Organe im Körper, im eigenen Leib als absoluten Ort bezeichnet. Das ist nicht das, was Newton als absoluten Ort bezeichnet im Sinne eines absoluten Bezugssystems, sondern jetzt entstanden aus der unmittelbaren Leibeserfahrung – darum geht’s, nich‘, das ist ja der Ausgangspunkt erstmal – wie erfahren wir den Raum eigentlich? „Den Weite-Raum“, so jetzt Basfeld weiter, „erleben wir z. B., wenn wir in den wolkenlosen, blauen Himmel blicken, auf dem Rücken liegend, ohne Bezug zu Gegenständen auf der Erde oder am Horizont. Wir erleben eine unbestimmte, richtungslose Weite, eine weder begrenzte, noch endlose Räumlichkeit, die aber doch nicht nur unserem Leib angehört, sondern über ihn hinausweist.“ Nich, das ist ‘ne Elementarerfahrung, die jeder unmittelbar sofort nachvollziehen kann – Weite-Raum. „Diese Weite kann erfüllt sein vom mehr oder weniger intensiven Blau des Himmels, vom Summen der Insekten, vom Duft frischen Heus usw. Man kann sie auch in ihrer Wandlung verfolgen, am Übergang von einer sternenklaren Nacht zum sonnigen Morgen. Die Sterne stehen in unbestimmter Ferne am Himmelsgewölbe.“ Und dann: „Die Sicht weitet sich über die irdische Landschaft hinweg, Weite ist auch im freien Rückfeld des Leibes gegeben“ – interessant, jetzt mal psychologisch und auch übrigens meditativ, den Raum wahrzunehmen, der hinter einem ist, also jetzt von der unmittelbaren Leibeswahrnehmung – wie fühlen wir den Raum im Rücken? Das ist interessant – nicht jetzt primär unser Thema, aber es ist faszinierend, dem mal nachzuspüren, wie andersartig sich der Raum vorne und hinten „anfühlt“. „Der Weite-Raum ist ein Luft-und-Licht-Raum. In ihn eingebettet ist der Richtungs-Raum“ – jetzt die nächste Raumerfahrung nach Schmitz. „Ihn erleben wir, wenn wir nicht nur unseren lebenerfüllten Leib in seiner Umgebung erfahren, sondern wenn von ihm aus Richtungen zu etwas hingehen, z. B. der Blick zu den einzelnen Sternen oder Bäumen oder zu einem von der Sonne angestrahlten hochfliegenden Vogel am blauen Himmel, ebenso die Bewegung des Armes, der nach einem nahen Gegenstand greift. Wir finden uns in diesem Richtungs-Raum instinktiv zurecht, ohne Abstände und Abstandsverhältnisse zu messen.“ Er zitiert jetzt Schmitz: „Der leibliche Richtungsraum ist die Domäne der Motorik.“ Nich‘, auch das kennt jeder aus der elementaren Leibeserfahrung. „Die Flüssigkeit freier Gliederbewegungen ist dadurch bedingt, dass die Richtungen, in die wir unsere Glieder führen, schon in ihm festgelegt werden, ohne Beteiligung der Lage- und Abstandsbeziehungen, die erst im Orts-Raum vorkommen.“ Zitatende Schmitz, jetzt wieder Basfeld weiter: „Der Richtungs-Raum tritt deutlich in Erscheinung, wenn die Sonne am Morgen über den Horizont steigt und alle plötzlich entstehenden Schattenlinien in ihrer rückwärtigen Verlängerung in der Sonne zusammenlaufen, wie Blickrichtungen in unser leibliches Auge, und sich ihre Verhältnisse zueinander mit der Bewegung der Sonne am Himmel ständig ändern, wie die perspektivischen Verhältnisse der Dinge, wenn wir unseren Standpunkt wechseln.“ Man kann also, wenn man das will, das als den Sinn für das Perspektivische sehen, wie es ja möglicherweise überhaupt einen Raum-Sinn geben mag, wie’s auch einen Zeit-Sinn gibt, also einen Raum-Sinn, in diesem Falle hier fokussiert auf die Perspektive, also Schmitz‘ Richtungs-Raum. „Weite-Raum und Richtungs-Raum sind noch an unseren Leib gebunden. Erst der Orts-Raum scheint von ihm unabhängig zu sein. Wir erleben in ihm die Dinge sich durch Flächen voneinander abgrenzend, unverbunden nebeneinander in mehr oder weniger großen Abständen zueinander.“ Also der messbare Raum, jetzt im klassischen Sinne der euklidisch-geometrische, dreidimensionale Raum, wie das gemeinhin immer so genannt wird. „Mit der Erscheinung von Flächen beginnt die Entfremdung des Raumes vom Leib,“ – das ist quasi ein abstrakter Raum – „ein Raum, der mit unserer unmittelbaren Leiberfahrung nichts zu tun hat, also eine Abstraktion. Erst den Orts-Raum können wir geometrisch-physikalisch durch Koordinaten beschreiben. In ihm haben die festen Gegenstände ihren Platz. Der Orts-Raum ist relativ, d. h. es gibt keinen Punkt in ihm, der durch sich als Koordinatenursprung ausgezeichnet wäre. Im Weite-Raum erscheint uns dagegen alles im Umkreis unseres Leibes als des absoluten Ursprungsortes dieses Raumes. Im Orts-Raum ist unser Leib ein Ding unter anderen.“
Das ist für Schmitz eine der großen Katastrophen der Geistesgeschichte, dass nämlich die unmittelbare Leiberfahrung zugunsten einer abstrakten Trennung von Leiberfahrung und Raum aufgehoben worden sei. Also das entnehme ich hier der Paraphrasierung von Basfeld. Ich hab‘ die Sachen von Schmitz selber nicht gelesen, bin aber jetzt interessiert daran, mir mal das zu besorgen. Also, das sieht er als eine Weichenstellung an, die er auch als verantwortlich bezeichnet für die ökologische Kriese. Also eine Abtrennung unseres lebendigen Raumerlebens, unseres Weite- und Richtungs-Raums im … mit Blick auf den sogenannten Orts-Raum, der letztlich auch unsern Körper, unsern Leib – Körper von innen – zu einem beliebigen Ding oder Gegenstand in der Außenwelt macht. Also in meiner Sprache, wie ich das ja mehrfach sage, wäre das der Sturz auf die Ebene der Außenwelt, also die schroffe Trennung von Innenwelt und Außenwelt. Wir sind also quasi hier abgestürzt auf die Außenweltebene. Letztes Zitat hier von Basfeld und dann können wir das verlassen, den Punkt: „Im Organismus ist der Ort eines Organs absolut gegeben.“ Jedermann bekannt, aber man denkt selten darüber nach. „Die Leber oder irgendeine Zelle können nur an ihrem natürlichen Ort existieren und funktionieren, also innerhalb der Grenzfläche desjenigen Milieus, das sie am Leben erhält. Außerhalb der Leibeshülle ist die Leber keine Leber mehr. Es gibt sie nur an ihrem natürlichen Ort. Je toter ein Körper ist, desto unabhängiger von der Umgebung kann er seinen Ort einnehmen. Die in dieser Richtung am weitesten getriebene Vorstellung ist die des festen, starren Körpers“. Nich‘, das ist ja unmittelbar einsichtig, dass das so ist. Also erst ein toter Körper oder nur ein toter Körper kann beliebig den Raum durchqueren, kann beliebig im Raum irgendwo sein. Also eine … letztlich eine Abstraktion von der Leiberfahrung. Ich kann das erstmal nur so wiedergeben, ohne dass ich dieser Argumentation im Einzelnen nachfolgen könnte, weil ich die Schrift, aus der das zitiert ist, selber nicht kenne. Ich kenn‘ also nur die Zitate und die Paraphrasen. Ich find‘ das auf jeden Fall faszinierend – der Weite-Raum, Richtungs-Raum und Orts-Raum –, dass man mal einfach versucht, vom Raumerleben auszugehen.
Kollektiv-kulturell ist das ja hochinteressant, und das hat der Kulturphilosoph Oswald Spengler ja in den Mittelpunkt, könnte man fast sagen, seiner Kulturphilosophie gestellt: Wie empfinden Kulturen den Raum? Also welche … er nennt das das Ursymbol … welche archetypische Vorstellung haben bestimmte Kulturen über den Raum? Er gibt verschiedene Beispiele, ich gebe mal nur drei der Beispiele, die er gibt in seinem „Untergang des Abendlandes“. Er sagt, die arabische Kultur empfindet den Raum als Höhle, und das weist er mit einem großen … mit einer großen Materialfülle nach. Das ist faszinierend, plausibel erst einmal, auch wenn es vielleicht nur ein intellektuelles Aperçu sein mag. Also die arabische Kultur empfindet den Raum als Höhle. Die griechische Kultur, die für ihn eine eigene ist, das ist für ihn nicht die abendländische Kultur, sieht den Raum einfach als Behälter von konkreten, sinnlich fassbaren Dingen. Er meint, dass im griechischen Geist die Vorstellung dominierend ist, dass es Körper gibt, sinnlich-physische Körper, die im Raum sich befinden und der Raum ist der Behälter. Also die Dinge sind im Raum. Der Raum hat selber keine Wirklichkeit. Nun könnte man sofort da einwenden: Es gibt ja doch auch Vorstellungen in der griechischen Mystik und Philosophie, etwa die Vorstellung vom Apeiron des Anaximandros, die ja doch ahnen lassen, dass mit dem Raum mehr gemeint sein könnte. Er sieht das eher als ein Produkt asiatischen Einflusses, nicht primär als etwas Griechisches. Also der Raum als Gefäß, wie etwa dieser Raum mit den Gegenständen hier, mit den Stühlen, und den Menschen und sonstigen „Dingen“ in diesem Raum. Ja, das ist ja erstmal die Vorstellung, die jeder spontan damit verbindet, wenn er … also mit dem Raum verbindet: der Raum als ein Behälter. Und Spengler meint, das Abendland, die abendländische Kultur – wie gesagt nicht identisch mit der griechisch-römischen Kultur, also das beginnt für ihn ja erst im Mittelalter – die abendländische Kultur versteht den Raum als unendliche Erstreckung und – nicht nur das – nicht als eine tote Leere und Erstreckung, sondern, wie er mit vielen Beispielen aus der Geistesgeschichte nachweist, u. a. mit Newton, Giordano Bruno, der idealistischen Philosophie usw., der Raum wird empfunden als quasi göttlich. Also der Raum ist in gewisser Weise Gott selber. Sie werden sich vielleicht erinnern, dass ich Ihnen vor einigen Wochen ja – Anfang Dezember glaub‘ ich war’s – versucht habe zu zeigen, wie in der großen Kontroverse von Leibniz und Newton, stellvertretend über den Newton-Schüler Samuel Clarke, die Frage immer wieder im Zentrum stand: Was ist der Raum? Ist der Raum wirklich, oder ist der Raum … „wirklich“ im Sinne von „absolut“ ─ Gibt es den Raum an sich, auch wenn nichts drin ist? – oder ist der Raum nur eine relative Größe, die immer gebunden ist an eine konkrete Welt? Nich‘, das war ja die Vorstellung auch in der Scholastik, dass es den Raum eigentlich nur gibt als Innenraum innerhalb dieser kosmisch gedachten Hohlkugel. Nich‘, im Innern ist Raum. Die alte Frage – ich hab’ das ja genannt „Was ist denn außerhalb der Kugel?“ – wurde als eine Scheinfrage hingestellt von Aristoteles und vielen ähnlichen Autoren in dem Sinne, dass gesagt wurde: Man kann diese Frage nicht dahingehend beantworten, dass man sagt: „Da ist auch Raum“. Was da sein mag, wissen wir nicht, jedenfalls kein Raum in unserem Verständnis. Man findet solche Figuren übrigens bis in die Gegenwart hinein, etwa bei den Anthroposophen, von denen ja die Rede war. In Steiners Vorstellung vom Gegenraum, vom ätherischen Raum ist das wieder drin, dass also, dass der Raum nur bis zu einer bestimmten Grenze eigentlich ein physischer Raum ist – ein Begriff von Steiner, der eigentlich unzulänglich ist, weil was soll ein physischer Raum sein, aber das dann ein ätherischer Raum, ein peripherischer Raum „dahinter“ ‘n ganz anderen Charakter hat, also ‘ne fundamental andere Raumqualität hat. Und das haben sie ja in der Big-Bang-Fiktion auch, das habe ich ja vorhin gesagt, also wenn man sagt: Gut, Überlichtgeschwindigkeit kann es geben, wenn der Raum sich selber bewegt, dann muss man fragen: „Wohin?“. Dann kommt man zu einer anderen Seinsgröße – von mir aus einem Hyperraum, oder wie immer man das nennt – oder man sagt: „Unsere Begriffe sind unzulänglich“, wie immer sich das dann wirklich ontologisch verhalten mag. Also schwierige Fragen.
Also nochmal Spengler zu den Ursymbolen: Die arabische Kultur, meint er, begriffe den Raum als eine Höhle, die griechische Kultur als einen Behälter, einen Behälter im Tageslicht, wo man ganz deutlich die verschiedenen Gegenstände, Dinge und Lebewesen auch sehen kann, und die abendländische Kultur als eine unendliche Erstreckung. Die Frage, ob der Raum relativ oder absolut sei, ist im Letzten eine philosophische Frage, auch eine erkenntnistheoretische Frage, die, wenn man die ganze Geistesgeschichte sich anguckt, mal so mal so beantwortet worden ist. In dem berühmten Briefwechsel Clarke-Leibniz meine ich, dass beide … dass keiner siegt, dass beide gute Argumente bringen und dass man wahrscheinlich eine andere Ebene überhaupt erst einmal erreichen müsste, um sich dieser Frage sinnvoll zu nähern.
Man findet die Vorstellung, dass der Raum selber eine eigene Wirklichkeit hat in vielen Kulturen. Man findet diese Vorstellung auch in der abendländischen Philosophie, etwa bei Giordano Bruno, der zwar nicht im Sinne einer direkten Gleichsetzung, aber doch im Sinne einer Zusammenführung wenigstens implizit sagt: Weltäther ist Weltraum. Also die Vorstellung des Äthers, also einer Ursubstanz, feinstofflichen Ursubstanz, die im Raum sich befindet oder der Raum selber ist, beantwortet Bruno dahingehend, dass er sagt: Diese feinstoffliche Ursubstanz, der Äther, ist im Grunde genommen der Raum selber. Nun kann man dagegen einwenden: Ja heißt das nicht, den Raum materialisieren? Auch bei Platon gibt es diese Gedanken. Bruno geht ja dann noch weiter, und für ihn [ist] das dann auch letztlich – darüber will ich dann nächste Woche noch sprechen – auch die Weltseele nicht wirklich getrennt vom Weltäther. Also er hat fast eine Gleichsetzung: „Unendlicher Raum = Weltäther = Weltseele“, im Sinne eines konstitutiven Geistprinzips auf dem Grunde der Dinge – also sehr weitgehend. Also, es gibt die Vorstellung, dass der Raum selber ‘ne eigene Wirklichkeit hat. Das würde auch bedeuten, dass er auf eine ganz eigene Weise die Dinge beeinflusst, auch das, was zwischen den Dingen ist. Und dann auch natürlich – das wäre ja dann der nächste Punkt – dieser Raum müsste dann eine eigene Substruktur haben, eine eigene Struktur oder Substruktur, die auch in irgendeiner Form das, was in ihm passiert, steuert, beeinflusst. Diese Struktur, Substruktur mag auch variabel sein. Dann ist die Frage: „Wovon ist sie abhängig?“. Und … Fragen, die immer wieder so und so beantwortet worden sind, aber die Vorstellung ist nicht gänzlich tot gewesen, sag‘ ich mal, dass der Raum selber eine eigene Wirklichkeit hat. Bei Newton ist das nicht so – ich will das nur noch mal kurz sagen, nur mal geistesgeschichtlich, damit da kein Missverständnis auftaucht: Für Newton ist der Raum deswegen absolut, weil er ein absolutes Bezugssystem der Bewegung darstellt. Nich‘, er sagt: Man kann Bewegung nicht denken, ohne einen absoluten Bezugspunkt. Das ist kritisiert worden von Leibniz bis hin dann ja bekanntlich zu Einstein und anderen: Das sei unhaltbar. Andere haben dagegengehalten, dass die Argumente Newtons immer noch Gültigkeit haben. Und es ist interessant, wenn man sich die neueren Vorstellungen anschaut der Gleichsetzung von Äther und Raum im Sinne einer Raum-Energie – ich glaub‘, du hast das auch erwähnt, Marco, in deinem Buch –, dann kann man feststellen, dass hier die Vorstellung wieder auftaucht, dass der Raum auf ‘ne andere Weise doch wieder zum absoluten Bezugssystem wird, nich‘. Also überraschend eigentlich taucht plötzlich … wird das quasi rehabilitiert, was Newton gesagt hat, dass es also doch ein absolutes Bezugssystem geben müsste oder könnte. Das ist dann nicht einfach der leere Raum im Sinne des Newtonschen Vakuums, sondern es wäre dann ein Raum, der selber eine innere Qualität hat, mit einer inneren Struktur und in diesem Sinne dann auch absolut wäre. Wobei diese Begriffe natürlich kolossal schwierig sind: Was ist das Absolute und was ist das Relative? Darüber kann man ja endlos reden. Aber im Sinne der Physik erst einmal ist es relativ einfach definierbar, was die Bewegung betrifft. Absolutes Bezugssystem oder pure Relativität der Bewegung, nur feststellbar im Hinblick auf andere Körper, nich’, was ja Leibniz dagegengehalten hat und was ja ein wesentlicher Ansatzpunkt auch der neueren Physik dann war: Es gäbe nur relative Bewegung, eine absolute Bewegung sei gar nicht feststellbar. Also diese Fragen sind sehr aktuell.
Dann, wenn man mal einen Blick jetzt schaut … wirft, etwa auf die asiatische Kultur, da gibt es ja auch, auch in spirituellen Kulturen, religiösen Kulturen, äh, Strömungen ja auch Vorstellung, dass der Raum eine eigene Qualität hat, sehr häufig. Also die Vorstellung des Akasha, die ja etymologisch auch mit Strahlung zu tun hat, liegt dem zugrunde. Also der Raum ist in sich schon so etwas wie Strahlung, nich’, etymologisch soll – das kann ich nicht nachprüfen, ich kann kein Sanskrit, ich hab’ es auch nur gelesen –, dass also Akasha mit Strahlung und Strahlen zu tun haben soll. Also Akasha als eine Vorstellung, als ein Begriff für das, was in der abendländischen Philosophie als „Äther“ bezeichnet wurde, nich’, also Äther. Es gibt ja auch in asiatischer Spiritualität die Vorstellung des Äthers, teilweise ähnlich wie im Abendland, teilweise wieder anders, ganz vereinfacht gesagt einfach die Vorstellung einer letzten Stofflichkeit, also einer letzten feinsten Stofflichkeit, quasi einer Art Urmaterie.
Nicht, so ist das ja auch im 19. Jahrhundert in der abendländischen Physik gesehen worden, etwa bei … wenn Sie die Autoren sich anschauen, die darüber geschrieben haben, ob Maxwell oder Michelson und viele andere … Da ist das ja immer so gesehen wurden, auch verkürzt und mechanistisch so gesehen worden, aber doch in der Grundrichtung ziemlich eindeutig: Der Äther ist eine Art feinste Materie und alle Materialität grobstoffliche Art, also physisch-sinnlicher Art oder auch messbarer Art, wird zurückgeführt auf diesen Äther. Und das hat das ganze 19. Jahrhundert in der Physik beschäftigt: Was ist dieser Äther? Wie kann man den denn sich vorstellen? Und auch da gab es schon Überlegungen, diesen Äther mit dem Raum gleichzusetzen, zum Beispiel von Faraday in seiner Kontroverse auch in diesem Punkt. Er war einer der ersten, soweit ich das weiß, im 19. Jahrhundert, der gesagt hat: Das, was wir als Felder bezeichnen – er hatte ja diesen Feld-Begriff geschaffen, im Grunde ist es eine Art Äther, ich lass das jetzt mal hier so in dieser Unschärfe stehen – ist in gewisser Weise der Raum selber. Also dass diese … was dem elektrischen und magnetischen Wirken zugrunde liegt, was man also als Feldlinien plausibel machen kann, sei der Raum selbst. Nich’, also Maxwell hatte das ganz anders gesehen. Der hat ja dann hydrodynamische und auch im Grunde mechanistische Vorstellungen dann wieder eingeführt, Modellvorstellungen für diesen Äther.
Und man muss natürlich sagen, das erschwert heute die unbefangene Diskussion oder hat sie zumindest lange Jahre erschwert, dass viele, wenn sie „Äther“ hören, von vornherein denken an ein bestimmtes mechanistisches Konzept aus dem 19. Jahrhundert, diese Art Urmaterie, und dass man dieses Konzept für widerlegt glaubt. Man glaubt, dass sei widerlegt. Nich’, dann … wird dann verwiesen auf die berühmten Michelson-Morley-Versuche, auch auf die spezielle Relativitätstheorie und andere Denkfiguren, diesen Äther, das sei nun klar, das stand ja auch in den Physikbüchern, das haben die meisten wahrscheinlich noch auf der Schule gelernt, den Äther gibt‘s nicht, der ist also tot. Nun kann man auch rein physikalisch belegen – das geschieht auch in den letzten 15-20 Jahren mit recht plausiblen Argumenten –, dass das voreilig war. Ich will auf diese Frage im Einzelnen nicht so sehr eingehen, das wäre ‘n Thema für sich, jetzt nur die rein physikalische Vorstellung von Äther, es geht mir hier ja noch um mehr. Also, dass das vielleicht voreilig war. Man kann sagen, dass eine bestimmte Art, eine bestimmte Vorstellung des Äthers fraglos ins Schwanken geraten ist, vielleicht gar widerlegt worden ist, aber nicht der Äther als solcher oder selbst – ganz zu schweigen davon, dass der Begriff auch natürlich im Laufe dieser Jahrzehnte immer wieder mehr oder weniger deutlich auch verwendet wurde, nich‘, du hast es ja auch gemacht, Marco, nich‘. Also Einstein z. B. hat selber den Begriff „Äther“ ja keineswegs fallen gelassen. Es gibt einen Einstein aus dem Jahre 1920, wo er ausdrücklich erwähnt: Wir kommen gar nicht aus ohne den Äther. Nur grenzt er das dann ab von der mechanistischen Äther-Vorstellung des 19. Jahrhunderts und sagt: Dieser Äther ist quasi widerlegt worden. Auch da kann man fragen: Stimmt das überhaupt? Mittlerweile gibt‘s ‘ne Menge von Fragen, die man da stellen müsste und auch gestellt hat. Also stimmt das überhaupt? Aber er sagt: Ohne den Äther kommen wir nicht aus, wir brauchen den Äther.
Und eine Unterströmung hat diesen Äther-Begriff niemals vollständig aufgegeben, auch wenn es natürlich schwierig war, weil es um belastete Begriffe geht. Nich’, wenn man „Äther“ sagt, dann denken ja die meisten an Licht-Äther. Nich’, also das muss man ja vielleicht auch noch dazu sagen: Diese Äther-Vorstellung im 19. Jahrhundert war im Wesentlichen von der Frage geprägt: Gibt es ein Medium für die Fortpflanzung zunächst einmal des Lichtes? Nich’, als im frühen 19. Jahrhundert durch Thomas Young, Augustin Fresnel und andere zweifelsfrei bewiesen war, gegen eine lange Tradition, die auf Newton zurückführt, die das angezweifelt hat, dass Licht Wellenqualität hat, jedenfalls in einem wesentlichen Teil Wellenqualität hat, dann kam sofort die Frage auf – und das hat zunächst auch diese Vorstellung blockiert – Was, wenn das so ist? Wenn also eine Lichtquelle sich mit so rasender Geschwindigkeit pro Sekunde in winzigsten Bereichen bewegt, was ist das für eine Substanz, was ist das quasi für ein feinstoffliches Material, was das überhaupt aushält? Nich’, da gab’s ja dann Modellüberlegungen im 19. Jahrhundert: Was ist denn der Äther? Er hat die Feste eines ganz dichten Stoffes und zugleich hat er eine ungeheure Elastizität. Er ist ein Gas und ein fester Körper gleichzeitig. Das Ganze war verwirrend und wenn man die Diskussion im 19. Jahrhundert verfolgt, dann kann man das auch noch mal nachvollziehen, es war ein großes Rätsel. Was ist dieser mysteriöse Äther? Die einen sagten: Gut, das ist das Medium der Lichtwellen, dann später auch als Medium des Elektromagnetismus vorgestellt, aber es blieb ja die Frage: Was ist denn das eigentlich? Die Frage wurde nich’ zufriedenstellend beantwortet, sie war ein quälendes Rätsel.
Max von Laue, der ja auch hier lange Jahre an der Universität … hier an der Berlin-Universität gelehrt hat, meinte, diese Äther-Theorie sei etwas Quälendes gewesen. Und es gibt einen berühmten Vortrag von Max von Laue, wo er sagt: Er fühlte sich befreit durch die Relativitätstheorie, weil sie uns alle von der Last dieser quälenden Theorie, von diesen ganzen Fragen mit einem Schlage befreite. Nun kann man natürlich sagen: War das wirklich ‘ne Befreiung? Denn wo ist man dann gelandet, wenn man jetzt mal ‘n Moment das weiterdenkt. Man sagt: Gut, es gibt also ein feinstoffliches Medium, darin schwingt das Licht. Diese Qualitäten dieses Mediums sprengen alles, was wir uns vorstellen können. Wie ist das möglich: rasende Geschwindigkeit – nicht nur die transversalen Wellen, die sich schnell bewegen, auch die mit ungeheurer Geschwindigkeit auf kleinstem Raum hin und her schwingen. Was ist das für eine Substanz? Die kann nicht materiell sein, und doch soll sie irgendwie materiell sein. Wenn man sagt „Das gibt’s gar nicht“, wo landet man dann? Dann müsste man sagen: Was da schwingt, ist quasi das Nichts. Das ist der nächste Schritt. Also man sagt: Das ist kein Etwas, was schwingt, sondern das ist das Nichts, was schwingt.
Nun kann man natürlich von unserem naiv-realistischen Grundverständnis dieser Dinge fragen: „Was soll das sein?“ Nun wird danach häufig nicht mehr gefragt, weil das funktioniert, das ist mathematisierbar, experimentell ist das belegbar. Man muss die Frage nicht mehr stellen, viele stellen sie auch nicht mehr, aber sie bleibt ja trotzdem, finde ich, nicht nur für einen ontologisch interessierten Philosophen aufregend: Was schwingt da eigentlich? Ist es eine andere Form von Feinstofflichkeit, eine Feinst-Stofflichkeit, die sich jeder denkbaren Physik entzieht? Jedenfalls was ihre Eigentlichkeit betrifft, in ihren Wirkungen ja nicht. Oder ist es der Raum selbst? Dann wäre also das Licht eine Schwingung des Raums selber, im Sinne einer Schwingung des Vakuums, einer Schwingung des leeren Raums. Also auch schwindelerregende Perspektiven, die sich da auftürmen. Dann ist man ja sofort bei der Frage: „Hat dieser leere Raum auch bestimmte eigene Qualitäten? Die müsste er ja haben, sonst könnte er gar nicht der Träger von Licht sein. Nicht, das ist ja klar, es kann ja nicht … schlechterdings nicht etwas schwingen und dieses, was da schwingt, kann … könnte keine Beziehungen haben zu dem Medium, auch wenn dieses Medium purer leerer Raum ist. Also da müsste man sagen: Dieser leere Raum selber ist befähigt, auf irgendeine rätselhafte Weise gleichsam zu fluktuieren – dann wär‘ er ja doch eine Art von Stoff –, um dann Licht hervorzubringen. Also wo landet man dann? Dann landet man erst einmal bei einem ungeheuer schwierigen Feld, das, wenn man sich darauf einlässt, einem erst einmal die Nächte rauben kann. Weil, das ist denkerisch kaum zu fassen, das ist auch sagen wir mal physikalisch- experimentell zunächst einmal nicht zu fassen. Es gibt auch eine ganze Reihe von Experimenten, aufgrund deren man schließen kann, dass der Raum tatsächlich auch über das hinaus eine eigene Qualität hat. Aber es bleibt trotzdem ein Rätsel. Das ist die Frage, um die es geht: Hat dieses Nichts, der leere Raum eine eigene Qualität, und wenn ja, wie sieht diese Qualität aus? Das ist die Frage. Ist sie vielleicht – jetzt zurück zu Faust, Mephistopheles – ist diese Qualität vielleicht im Sinne des Plenums, das Mephistophelische Nichts, der eigentliche Wirklichkeitsgrund? Ist das sozusagen die Matrix, aus der alle materiellen Phänomene, auch physikalisch messbare Schwingungen, hervorgehen? Nicht, wäre ja möglich. Sozusagen die Grundmatrix, aus der alles dann hervorgeht. Und dann ist die nächste Frage: Wie geschieht das? Wie tritt denn das … die physisch-sinnliche Welt, auch die physikalisch messbare Welt aus diesem Urgrund in die Sichtbarkeit? Was passiert da? Und dann ist man wieder bei der Frage, die vielleicht noch zusätzlich Verwirrung stiften kann, nach der Frage der Kausalität. Gibt es da eine Kausalität oder müssen wir in gewisser Weise resignierend sagen, diese Vorgänge sind akausal, sie entstehen einfach so, das sind Fluktuationen, die nicht kausal zurückzuverfolgen sind. Auch das ist ja seit 70 Jahren eine heiße Diskussion: die Frage der Kausalität, ich hab‘ mich dazu auch schon geäußert. Häufig wird da Kausalität und Determinismus einfach gleichgesetzt, was etwas anderes ist, aber die Frage bleibt. Wenn … Wie geschieht es? Wie entsteht die physisch-sinnliche Welt … wie entsteht die physikalisch messbare Welt aus diesem Urgrund? Und das ist die Frage nach der Raumenergie.
Ich mal ‘ne kleine Pause. Ich hab’ erst mal so den Horizont ‘n bisschen eröffnet, denke ich mal. Und … sagen wir mal 10 Minuten, ja.

Was übrigens die Literatur zu dieser Frage betrifft – ich habe mich gerade hier in der Pause mit Marco Bischof darüber unterhalten – so ist … es gibt da als Gesamtüberblick relativ wenig als Buch. Im Sinne eines sprachlich-gedanklichen Elaborats wenig befriedigend, aber doch interessant in der Materialfülle – das ist auch aufm Literaturverzeichnis drauf – das ist ein englischer Biologe übrigens, kein Physiker, Biologe, John Davidson „Das Geheimnis des Vakuums“, das heißt im Original „The Secret oft the Creative Vacuum. Man and the Energy Dance“, Deutsch „Das Geheimnis des Vakuums. Schöpfungstanz, Bewusstsein und freie Energie“ und dann ein Untertitel, der mit dem Buch nur bedingt etwas zu tun hat „Die neue Physik in mystischer Sicht … aus mystischer Sicht“ – das trifft das Buch gar nicht, das ist auch wahrscheinlich nur aus verlagspolitischen Gründen so genannt worden. Also da haben Sie einen Gesamtüberblick dieser Fragen, soweit sie sich im Bewusstsein von John Davidson darstellen, auch zur Frage „Was ist Äther?“, „Was ist Vakuum?“ und auch zur Frage der sogenannten freien Energie – das will ich nur am Rande behandeln, denn das wäre ein Thema für sich und übrigens ein sehr schwieriges Thema, man müsste da sehr in die Details hineingehen. Ich will nur das zunächst mal als Stichwort nennen, dass es nicht einfach so im Raum stehen bleibt. Vielleicht dann noch erwähnt das Buch von Marco Bischoff über Biophotonen im Verlag Zweitausendeins, was ich gerade lese, was ich hochinteressant finden, und da hat er in dem Schlussteil, nich’, im Schlussteil is‘ eine ausführliche Darstellung auch dieser Äther- und Vakuumvorstellungen von Planck, nich’, Planck. Also sehr zu empfehlen: „Biophotonen. Das Licht in unseren Zellen“. Ich hab’ gerade mit Marco Bischof ausgehandelt, dass er im Frühjahr einen Gastvortrag darüber hier halten wird, also über die Frage der Biophotonen. Also auch da findet man einen guten Überblick, das ist ja nicht das Hauptthema des Buches, aber er ist da, dieser Überblick ist da. Und dann ein nächstes Buch, das kommt erst im Herbst von mir raus dann, beschäftigt sich auch mit dieser Frage, aber noch weiter, auch philosophisch-erkenntnistheoretisch. Untertitel des Buches steht schon fest, der Haupttitel noch nicht „Weltseele, Weltäther, Raumenergie“ ist der Untertitel, soll September – Oktober 99 erscheinen. Und das nur vorab, ich werde das dann noch rechtzeitig bekanntgeben.
Was die Frage betrifft der Struktur oder Substruktur des Vakuums, so muss man in dem Zusammenhang noch einen wichtigen Punkt hier anführen. Nämlich die eigentlich quälende Frage der sogenannten ursachelosen Perpetualbewegung, ich erklär das gleich, was gemeint ist. Wir haben doch in dem naiv-realistischen Verständnis die Vorstellung, dass etwas, was bewegt wird, durch eine bestimmte Kraft oder Energie – ich sag das mal jetzt ganz unscharf – bewegt wird, dass es nicht einfach so, quasi aus dem Nichts heraus, bewegt wird. Und die Frage ist immer wieder gestellt worden: Wie kommen zum Beispiel die Mikrobewegungen der Elementart… also die Bewegungen der Elementarteilchen zustande? Das weiß keiner. Man weiß nur, dass hier eine rasende Bewegung vorliegt, man weiß aber im Grunde nicht, wie ist diese rasende Bewegung entstanden? Und vor allen Dingen, wie wird sie denn ständig aufrechterhalten? Und das finde ich ganz interessant, auch bei dem Davidson, der das mehrfach anführt als eine große Frage: Was verhindert denn quasi unaufhörlich, dass die Elektronen in den Atomkern hineinstürzen? Es muss doch eine ständig diese Bewegung aufrechterhaltende Energie vorliegen. Das wird in der Quantentheorie im strengen Sinne nicht behandelt, das gilt als ein letztlich nicht näher zu bestimmendes Geschehen, als ein akausales Geschehen, das man zwar mathematisch beschreiben kann, das man aber von der Ursache her, von der Kausalität her nicht fassen kann, das man nicht versteht. Also kurz: Was ist die Ursache der unaufhörlichen, ja doch rasenden Bewegung im Mikrobereich? Was passiert da eigentlich? Und da versuchen einige … Zeitgenossen auch, diese Vorstellung ins Spiel zu bringen: Das könnte die Wirkung sein einer ständigen Energiezufuhr aus dem Raum selber, also sozusagen, dass die ständige Manifestierung auch der subatomaren Teilchen quasi aus dem Raum gleichsam „abgesaugt wird“ – ich sag das mal in Anführungszeichen – oder heruntertransformiert wird. Natürlich sind das alles schwierige … auch Metaphern, was heißt hier „heruntertransformieren“? Was heißt da „hereinsaugen“? Und dann immer die Frage „Wie geschieht das denn überhaupt?“
Nicht, das ist ja die … Man sagt zwar, energetisch-chemische…, also ein Perpetuum Mobile ist unmöglich, aber faktisch ist es so, dass im Mikrobereich mehr oder weniger ein Perpetuum Mobile unterstellt wird. Ja nicht nur dort, eigentlich auch in den Bewegungen der Gestirne wird mehr oder weniger eine Art Perpetuum Mobile unterstellt, denn es gehört ja zum Zentralen der Bewegungslehre ja auch seit Newton, dass die Gestirne ja keiner sie fortwährenden antreibenden Kraft mehr bedürfen, sondern einmal in Gang gesetzt, läuft das Uhrwerk immer weiter. Da ist die Frage, warum ist das so, was ist denn diese Trägheit, ob sie nicht eine eigene Energie ist. Das sind also Fragen, die in dem Zusammenhang gestellt werden müssen. Also die Frage, was ist die Ursache der Bewegung überhaupt und die Ursache… im Speziellen, die Ursache im Mikrobereich? Denn wir selber haben ja in unserer eigenen Leiberfahrung die Vorstellung, dass wir die Bewegung kraft eines Willensimpulses vollziehen. Nicht, wir fühlen uns ja nicht als Automaten. Auch das ist ja eine interessante Frage, einige Neurophysiologen sagen ja, wir sind doch Automaten, wir glauben bloß, wir hätten einen freien Willen, mit dem wir in irgendeiner Form eingreifen können. Und dann muss man ja fragen, warum können wir dann das? Wieso können wir – unterstellt, es ist so – mit dem freien Willen – wenn er denn frei ist – auf unseren eigenen Leib einwirken, da haben wir also eine Bewegungsursache, einen Willensimpulses, nich‘, dem der Körper gehorcht in irgendeiner Form. Und wenn man das überträgt auf den Mikrobereich, dann könnte man ja so weit gehen, einige machen das auch, eher die Minderheit, aber es geschieht, dass man sagt, da ist auch eine Art von Willen. Also auch im Elementarteilchenbereich gibt es einen rudimentären Willen, der letztlich auch mit Bewusstsein zu tun haben müsste, wenn man nicht, im Sinne jetzt der Schopenhauerschen Willensphilosophie, den Willen einfach als blinden Drang bezeichnet. Das wäre dann wieder was anderes. Also dann kommt die Frage nach dem Bewusstsein automatisch ins Spiel: Was hat dann das zu tun mit Bewusstsein, auch mit einer möglichen Steuerung von Bewusstsein und Materie? Also das sind extrem schwierige Fragen, die … vielleicht das Allerschwierigste überhaupt ist ja in dem Zusammenhang die Frage nach dem Bewusstsein.
Ich hab‘ etwas angedeutet, was ich noch kurz ergänzen möchte, weil ich‘s interessant finde, wenn auch nicht in Gänze überzeugend, so doch sehr interessant, diese Vorstellung vom … von den Anthroposophen, die sie zum Teil übernommen haben aus der sogenannten projektiven Geometrie des 19. Jahrhunderts, die Vorstellung nämlich vom Äther-Raum oder vom Gegenraum. Ich will das ganz kurz andeuten, weil es ‘ne Denkfigur ist, der man mal nachgehen kann, auch wenn man sagt, das ist nicht haltbar. Steiner hat das angedeutet, andere haben das weiter ausgeführt. Ich hab’ hier ein eines Engländers, eines Mathematikers und Physikers, mit dem schlichten Titel „Grundfragen der Naturwissenschaft“, Georg Adams (19 … 1894-1963), der in mehreren seiner Schriften sich mit diesem Gedanken beschäftigt hat, ob es noch einen quasi zweiten Raum gibt? Es gibt also den physischen Raum, den sinnlichen Anschauungsraum und es gäbe einen zweiten Raum, quasi einen Äther-Raum. Also nicht jetzt Raum-Äther, sondern Äther-Raum, nicht.
Wir haben, ich darf noch einmal daran erinnern, wir hatten den Ätherbegriff ja versucht ein bisschen zu fassen im Hinblick auf die Naturwissenschaft primär als Licht-Äther im 19. Jahrhundert. Im 20. Jahrhundert dann eher gedacht als Raum-Äther, also als eine Art Identität von Äther und Raum. Und hier nun der Äther-Raum, also die Umkehrung. Was ist gemeint? Die Anthroposophen beziehen sich da auf bestimmte Entwicklungen der Mathematik und Geometrie des 19. Jahrhundert, denken die aber in einer sehr eigenwilligen Weise weiter. Ich geb‘ das einfach nur mal zu Gehör und lass das mal so stehen. Ich finde das interessant, ich sag‘s noch mal, wenn auch nicht in Gänze wirklich überzeugend.
Adams glaubt, dass man auch dem Raum selber – und das ist zunächst verblüffend – eine polare Struktur zuordnen muss. Es gibt also eine innere Polarität des Raums selbst, es gibt eine zentrische Tendenz, also eine zentripetale Tendenz, die sich primär festmacht in der Gravitation, also im Zusammenziehenden, in der Kontraktion, die auf einen Punkt zielt. Und es gibt eine eher expansive Tendenz, eine Nach-Außen-Bewegung. Es gibt also eine Doppelbewegung, eine Nach-Innen-Bewegung, kontraktiv, und eine expansive Bewegung, nach außen. Das eine strahlt nach innen, das andere nach außen. Nach innen strahlen die Dinge, auch im gravitativen Sinne und ballen gleichsam zu festen Körpern zusammen. Die Schwere, die Trägheit, die Festigkeit der Materie ist auf diese zentrischen Energien, nach Steiner, zurückzuführen, während die Lebensprozesse und alles, was jenseits der puren Stofflichkeit sich bewegt, auf Prozesse zurückzuführen sind, die er mit dem sogenannten Äther-Raum verbindet. Das ist ein Gegen-Raum, wie er sagt, der nicht mehr dreidimensional, physisch begreifbar ist, wo auch die Kategorien im üblichen Sinne nicht mehr greifen. Er ist unendlich – und das erinnert ja ein bisschen an die moderne Kosmologie –, aber gleichzeitig ist diese Unendlichkeit nicht einfach ein Immer-Weiter. Nich’, also im Sinne der naiven Vorstellung von Unendlichkeit: Es geht immer weiter. Sondern die Unendlichkeit ist hier eine qualitative Unendlichkeit, bezogen … verstanden als eine unendliche Ebene, nich’, das kann man geometrisch-logisch zeigen, dass also eine Kugeloberfläche, die unendlich ist, mathematisch-geometrisch quasi eine Fläche ist, eine Ebene. Nich’, sozusagen in ihrer extremsten möglichen Ausdehnung in die Unendlichkeit hinein wird diese Kugeloberfläche zu einer Ebene. Und das greift der Steiner auf und interpretiert das spirituell, auch philosophisch, und das nennt er die Äther-Kräfte, die sozusagen von außen auf die Materie einwirken. Und so meint er, dass die ganze physisch-sinnliche Welt, auch die lebendige Welt, sich als eine Zwischenwelt bewegt, eine rhythmisch durchpulste Zwischenwelt zwischen den zentrierenden Kräften und den eher aus dem Äther kommenden Kräften. Und das sei ein eigener Raum, das ist jetzt für uns wichtig, für den Zusammenhang. Also es gibt einen Raum, einen Äther-Raum, im Gegensatz zum physischen Raum. Ich lese mal eine kurze Passage hier vor diesem Mathematiker und Physiker Georg Adams aus einer Abhandlung, glaube ich aus den fünfziger Jahren. Nur dass Sie das mal gehört haben. „Wir wollen nun annehmen, dass der Erdenplanet als Ganzes“ – also anthroposophisch – „sowohl physischer als auch ätherischer Natur ist.“ – Also es gibt eine unsichtbare Erde. – „Er besitzt nicht nur ein Gravitations- sondern auch ein Levitationsfeld.“ – Also auch eine antigravitative Kraft, beim Aufstieg des Wassers in den Pflanzen wirkt eine Art von Antigravitation. – „Er besitzt nicht nur ein Gravitations- sondern auch ein Levitationsfeld. Er besteht nicht nur aus anorganischer Materie. Die Erde als Ganzes ist ein Lebewesen.“ – Hier lange vor der Gaia-Theorie gesagt. – „Die einzelnen Pflanzen, die auf ihr wachsen, sind wie Organe eines größeren, differenzierten Organismus‘.“ – Oder in der anthroposophischen Terminologie: Die Erde hat nicht nur einen physischen Leib, sie hat auch ihren Ätherleib. – „Wir erhalten ein vollkommen klares Bild vom Charakter des ‚Levitationsfeldes des Planeten‘, wenn wir uns vorstellen, dass der unendliche Punkt des ätherischen Raumes“ – jetzt sehr schwer nachzuvollziehen auch die Logik, die hier drin steckt, die ist in sich konsequent, ob man sie für richtig hält, ist ‘ne andere Frage, aber das ist an sich stimmig, in sich stimmig. „… dass der unendliche Punkt des ätherischen Raums im oder nahe dem Erdmittelpunkt liegt, und dass die archetypische und krafterfüllteste Levitationsebene in der unendlichen Himmelskugel liegt.“ – Es gibt also … Der Erdmittelpunkt hat zweierlei Qualität in dieser Vorstellung: Er ist auf der einen Seite das Zentrum der gravitativen, der zentrierenden Kräfte und auf der anderen Seite ist er ein Punkt, in dem sich die Ätherkräfte von außen, die hereinströmen, bündeln. „Wir machen eine doppelte Zuordnung. Genau da, wo der allgemeine Gravitationsmittelpunkt der physischen Kräfte liegt, befindet sich die Unendlichkeit, gleichsam die ideale Leere der ätherischen Kräfte, während andererseits in den fernen Himmelswelten, in demjenigen, was vom physischen Raum aus betrachtet wie die unendliche Leere aussieht“ – nich’, der Horror Vacui, die Angst vor der Leere, die ja auch die moderne Kosmologie ausgezeichnet hat seit dem 17./18. Jahrhundert immer weiter, dieser Abgrund des Raumes, der nie endet. Also „… was wie die unendliche Leere aussieht, sei die Urquelle der ätherischen und ebenenhaften Kräfte, die alle übrigen ebenenhaften Gebilde vom Erdmittelpunkt weg nach oben und nach außen ziehen.“ – Das ist übrigens eine … nebenbei gesagt eine Denkfigur, die man in der Naturphilosophie Schellings findet, nich’, das Licht, das Lichtwesen als eine quasi antigravitative Kraft. Hier wird zwar Schelling nicht erwähnt, aber wenn ich richtig das weiß, geistesgeschichtlich, stammt das in der Form eigentlich von Schelling. „Wir wollen die zwei sich gegenseitig durchdringenden Gedanken nebeneinanderstellen.“ – Jetzt also das allgemeine Gravitationszentrum der physischen Kräfte und die allgemeine Levitationsebene der ätherischen Kräfte usw. Also man muss das hier nicht im Einzelnen vertiefen, das würde viel zu weit führen, ich will das nur Ihnen mal vorgeführt haben. Es gibt also hier den Gedanken, dass es nicht nur eine Art Raum-Äther gibt, der mit dem Raum … also eine Feinst-Stofflichkeit, die mit dem Raum identisch ist, sondern auch eine Art Äther-Raum, und zwar im Grunde unendlich viele Äther-Räume, weil jedes Lebewesen, soweit wird dann gegangen, eine Art eigenen Äther-Raum hat. Gut, also das sind Vorstellungen, die sehr weit reichen, die auch ins Spirituelle gehen. Man kann ja auch sagen, es geht ins Spekulative hinein. Aber man ist natürlich bei der Frage nach dem Raum immer in einem Grenzbereich – das darf man niemals vergessen. Also, man ist in einem sehr subtilen Grenzbereich, wo der Zusammenhang von sagen wir mal Naturwissenschaft, im traditionellen Verständnis, Metaphysik und Spiritualität ganz eng ist. Nich’, das ist also … das fluktuiert von einer zur anderen Seite, das ist ganz dicht beieinander. Schon die Frage überhaupt, was der Äther sein könnte, wenn er denn existiert, lässt sich gar nicht unmittelbar nur und gleichsam pur physikalisch klären und plausibel machen.
Bevor ich da weiter gehe, noch zu diesem Stichwort, was im Titel ja der Vorlesung auftaucht, damit das nicht einfach jetzt so stehen bleibt: „Freie Energie“. Das ist ein schwieriger Begriff von mir absichtlich in Anführungszeichen gesetzt. Kurz gesagt: Es geht um den Gedanken, dass es möglich sein müsste, was auch verschiedentlich von Physikern als möglich hingestellt wird, dass es möglich sein müsste, diese Energie des Raums physikalisch-technisch anzuzapfen. Nich’, dass man sozusagen diese Raumenergie, wenn es sie gibt in dieser Form, technisch nutzen könnte. Warum soll man die nicht technisch nutzen können? Und ich hab‘ mich ‘n bisschen damit beschäftigt mit diesen … auch diesen technischen Fragen, bin da bis zum heutigen Tage unsicher und habe bisher – das mag an meiner mangelnden Kenntnis liegen – bisher noch nichts wirklich Überzeugendes gefunden, was dahin führen könnte, dass das wirklich möglich ist. Das wird verschiedentlich behauptet, es gibt mittlerweile ‘ne ganze Reihe von Persönlichkeiten heute, die meinen, diese freie Energie sei schon gefunden, es gebe schon technische Verfahren, wie man diese Energie einsetzen und kontaktieren kann – quasi unbegrenzte Energie, also keine in irgendeiner Form verfeuerte Energie, keine traditionelle Energieumwandlung, sondern etwas, was man sozusagen direkt anzapft, gleichsam Steckdose in den Raum, ins Vakuum und du hast ein … du bist immer am Strom, ne. Also das, ich sag‘s noch mal, das mag meiner unzureichenden Beschäftigung geschuldet sein, will ich gerne zugestehen, mag auch sein, dass man dann noch viel praktischer, direkter da reingehen müsste, man müsste im Grunde genommen, wenn man darüber, ich sag mal, seriös reden will, müsste man selber diese Experimente machen. Man müsste dahin gehen zu den Leuten, man müsste sich das vorführen lassen, man müsste das durchdenken, man müsste alle möglichen Fehlerquellen ausschließen – ein Riesenaufwand! Ich kann das … hab’ das nun hier aus der Literatur entnommen und bin da sehr skeptisch – wohlwollend skeptisch – nicht in dem Sinne, dass ich sage, das ist unmöglich, aber bisher ist es mir noch nicht so plausibel gemacht worden.
Nun könnte natürlich sein, dass das ohnehin ständig geschieht, wenn es denn so geschieht, dass etwa diese rasende Bewegung im Mikrobereich ja ständig gespeist wird aus dieser Energie, insofern ja diese freie Energie sowieso ständig am Wirken ist. Dann wäre es ja nur noch ein Schritt weiter, sie auch tatsächlich anzuzapfen. Und verschiedentlich kann man dann in der Literatur lesen, dass das nicht schon viel bekannter sei, sei aufgrund der massiven Gegnerschaft der Energiewirtschaft zu erklären, weil die natürlich kein Interesse daran haben kann, naheliegenderweise, an solchen Techniken, an solchen technologischen Verfahren, dass man diese sogenannte Raumenergie tatsächlich kontaktiert. Also ich sage es mit aller Vorsicht und wollte es aber auf jeden Fall als ein Stichwort auch gebracht haben. Aber da … um da nicht nur sagen wir mal dilettantisch obenhin zu reden, müsste man dann, ich sag‘s noch mal, ins technische Detail gehen. Und was ich da nachvollziehen konnte aus der mir zur Verfügung stehenden Literatur, lässt einfach kein klares Urteil zu. Also ich weiß einfach nicht.
Das ist genauso die Frage der Levitation oder der Antigravitation, nich’, es hat ja verschiedentlich auch in privaten Fernsehsendern Dokumentationen gegeben, unter anderem ein rasend beschleunigter Supraleiter abgekühlt bis zum absoluten Nullpunkt, wo dann gemessen wurde, dass effektiv eine Schwereminderung vorhanden gewesen sei. Das kann man, wenn man das nur von außen sieht, schwer beurteilen, könnte möglich sein. Und da ist man also an einen Punkt geraten, wo man dann einfach Schwierigkeiten hat, also wenn man da überhaupt was zu sagen will. Ich bin da wirklich sehr zurückhaltend, will nicht sagen, das ist unmöglich, das glaube ich eigentlich nicht. Aus vielen Gründen glaube ich, dass das möglich sein müsste, aber ob es so gelungen ist, wie es behauptet wird, weiß ich nicht. Ganz zu schweigen davon, dass natürlich auch immer wieder Behauptungen auftauchen, die auch dann durch Videos belegt werden oder worden sein sollen – ich hab’ so ein Video noch nie gesehen, dass einzelne Menschen durch … mittels bestimmter Meditationstechniken sich vom Boden erhoben haben, also Levitation. Gerade ein guter Bekannter von mir, der hat meine Skepsis zwar in allen Ehren gehalten, aber sagte, du kennst nich‘ diese Videos, es ist dokumentiert. Also ich hab’ die Videos nie gesehen, will das auch nicht jetzt einfach ins Lächerliche ziehen, auf der anderen Seite auch mich da nicht so rein begeben. Ich will nur sagen, da kommt man an eine Grenzzone bei diesem ganzen Thema, und da muss man sehr zurückhaltend sein, nun auch nicht zu zurückhaltend, denn das bringt auch nichts, aber es ist schwierig. Ich will das auf jeden Fall erwähnt haben, also die Frage einer möglichen Antigravitation in diesem Sinne wirklich zu belegen, ist schwierig. Es müsste möglich sein, ich sag‘s noch mal, wenn Schwere das ist, was ich vermute und was man auch plausibel machen kann. Also ich äußere mich dann auch in dem Buch, was dann kommt im Herbst, auch verschiedentlich zu dieser Frage, aber lass diesen Punkt dann im Letzten dann in der Schwebe, also was es wirklich mit der Antigravitation auf sich haben könnte.
Also noch mal auf den Punkt gebracht das … die Thematik: Wir sind jetzt bei der Frage „Hat der Raum selber als solcher eine eigene Qualität, eine eigene Struktur, dass wir sagen können, es gibt eine Art Raum-Äther vielleicht sogar eine Art Raumenergie. Und wie kann man das physikalisch denken? Wie kann man das überhaupt denken? Wie kann man das auch plausibel machen? Wie kann man das verifizieren?
Nun gibt es ja in der Physik auch des 20. Jahrhunderts verschiedentlich Überlegungen in diese Richtung. Das deutet ja auch diese kurze Paraphrase und das Zitat aus dem Spiegel-Text an, dass auch in der Vorstellung der Quantentheorie ja der Gedanke immer wieder ventiliert wird, in einigen Strömung der Quantentheorie, dass eigentlich der Raum selber ein vibrierendes Etwas sein müsste, von ungeheurer Energie. Stichwort ist hier dann häufig die sogenannte Nullpunkt-Energie. Ich glaub, das ist ein Begriff aus den dreißiger Jahren, bei Marco Bischof habe ich‘s gelesen, dass es also schon bei Planck auftaucht, der Begriff Nullpunkt-Energie des Vakuums, nich’, 1912, und dann bei Nernst, also gemeint ist, dass auch, wenn ich aus einem Raumteil quasi alles entferne, was man entfernen kann – ich nehme nicht nur alle Materie raus, ich versuche auch, soweit es geht, das Ganze abzukühlen in Richtung auf den absoluten Nullpunkt, ich nehme auch alle Strahlung weg, also dann wäre die thermische Strahlung auch weg, wenn das möglich ist, dann, was bleibt dann? Ist dann sozusagen das absolut Nichts hergestellt, dass Vakuum? Nun könnte man sagen, das geht ja gar nicht. Ich erinnere mich an eine Diskussion, die ich hatte mit einem theoretischen Physiker aus Karlsruhe, der darüber ein Buch geschrieben hat, „Die Entdeckung des Nichts“, Henning Genz, „Die Entdeckung des Nichts“, 1994 erschienen, der das auch vorstellte, und dann sagte ich – das war ein typischer Physiker-Philosophen-Konflikt – „Das sei ganz einfach, durch pures Nachdenken könnte man darauf kommen.“ – „Das ist typisch für euch Philosophen, das ist nicht durch Nachdenken zu ergründen.“ Er sagte, es sei nicht möglich, dieses absolute … ein Raumteil absolut strahlungsfrei herzustellen. Und da habe ich gesagt „Das ist überhaupt kein … das ist doch ganz selbst verständlich. Wie soll es möglich sein?“, hab’ gleich Argumente gebracht. Das ist unmöglich. Da muss ich gar keine Experimente machen. Ich weiß einfach, dass es nicht geht, und zwar nicht apriorisch, im Sinne von Kant, sondern wie soll das möglich sein? Weil, was immer ich entferne aus dem Raum, das letzte, was bliebe, wäre ja zum Beispiel die nicht abschirmbare gravitative Wirkung. Ich müsste ja dann einen … sozusagen einen Hohlraum schaffen, in dem keinerlei Strahlung mehr existiert und auch keine gravitative Wirkung, das wissen wir relativ gut, auch da gibt’s Gegenargumente – ich sag das mit aller Vorsicht, aber wollen mal sagen, es spricht einiges dafür, dass erst mal die gravitative Wirkung nicht abschaltbar ist. Egal was man macht, ob man kilometerdicke Bleiplatten davor lagert, die Gravitation, die Schwerkraft ist immer da. Sie ist also die Kraft, die alles durchdringt, die gesamte Materie. Woraus man schließen kann, dass sie möglicherweise eine masselose Energiestrahlung sein könnte, was auch manche vermutet haben. Also, ich meine, das geht nicht, aber wenn wir das mal gedanklich mal durchspielen, was bliebe dann? Wenn ich also in der Lage wäre, den Raum vollkommen zu entleeren, ich hätte wirklich puren leeren Raum, Vakuum, was bliebe? Nach Newton wäre das – nich’, das war ja auch ein Punkt, Newton-Leibniz, Leibniz bestritt das, sagte, es kann überhaupt kein Vakuum geben, nich’, hat ja auch diese Experimente dann, Torricelli unter anderem, die haben da ja auch ‘ne Rolle dann gespielt. Und Newton sagte, es gibt dieses Vakuum, die Newtonsche Physik ist letztlich ‘ne Vakuum-Physik. Also wenn das möglich wäre, was bleibt dann? Gibt es eine Art von Restenergie? Und das wäre dann die sogenannte Nullpunkt-Energie, also eine Restschwingung, die nicht eliminierbar ist. Und wenn das so ist, was bedeutet das? Und da fängt es nun an, abenteuerlich und aufregend zu werden, wirklich aufregend – Was bleibt dann? Ist das eine … das pure Nichts ist es nicht, das pure Vakuum. Was ist dieses Etwas, was dann bliebe? Und also jetzt mal, wir wissen, ich hab‘s gesagt, es ist nicht experimentell herstellbar, aber mal gedanklich, was bliebe dann? Da wird dann gesagt oder wird verschiedentlich gesagt, was da bleibt, ist eine primordiale, eine Urenergie, eine Urschwingung, die in gewisser Weise den Raum erfüllt, ja der Raum ist. Und dann hat man ausgerechnet – übrigens kam man zu ganz unterschiedlichen Resultaten –, wie groß die Dichte sei. Nich’, das ist ja verwirrend, wer sich damit beschäftigt, dass dann einzelne Quantenphysiker auch ausgerechnet haben, wie dicht das sein soll, nich’, ganz verschiedene Werte kommen dann da raus. Einige sagen, das ist also … in einem Kubikzentimeter ist es so dicht, dass das ganze bekannte Universum da sozusagen, nich‘ erfasst wäre, andere geben ganz andere Zahlen an. Das ist für… erstmal für den … wer das liest, er ist vollkommen verwirrt, was … vor allem: Was ist die Grundlage dieser Berechnungen? Das kann man dann zum Teil nachvollziehen, zum Teil nicht. Es gibt kolossale Widersprüche. Auf jeden Fall wird gesagt: Der Raum selber ist sehr dicht, also hat ‘ne ganz hohe Dichte, und zwar ist diese Dichte viel größer als alles, was wir an Dichte uns vorstellen können, ganz egal, wie sie nun präzise ist. Also der berühmte, vor einigen Jahren verstorbene Physiker David Bohm etwa hat sich mit diesen Fragen auch beschäftigt, hatte, glaube ich, auch ausgerechnet, nicht, gibt auch Zahlen an. Andere geben … Also ganz unterschiedliche Zahlen. Ich wundere mich dann immer wieder in so ‘nem Fall, woher haben sie diese Zahlen? Ich meine, sie haben da bestimmt Überlegungen, aber es sind irgendwie schwindelerregende Zahlen. Auf jeden Fall ist es sehr hoch, mal ganz vorsichtig gesagt, is ‘ne Menge, was da im leeren Raum drin sein soll. Und dann ist sozusagen, um mich jetzt dieses platten Kosmologenjargons mal einen Moment zu bedienen, ist die Materie wie so ein Sahnehäubchen, also ein Begriff, der gerne verwendet wird, wie ein Sahnehäubchen auf diesem Urmeer der Raumenergie, sozusagen das ist nur die Oberfläche der Oberfläche, ja, ‘ne zarte Kräuselung, ‘ne zarte Fluktuation. Und immer wieder wird natürlich, das ist ja naheliegend, das Bild des Meeres verwenden. Nicht, also die einschlägigen Autoren erwähnen immer wieder – und das ist ja auch plausibel –, dass quasi dieser … dieser Oze.. dieses … dieses ungeheure Vakuum voller vibrierender, dichtester Energie eine Art Meer ist, und die Materie ist dann sozusagen Kräuselung der Wellen auf diesem Meer. Und auch was wir als Teilchen empfinden, also als materielles Etwas, sei nur eine Art Wellenkräuselung auf der Oberfläche dieses Vakuum-Meers. Also diese Metapher ist wahrlich sehr naheliegend, sie wird sehr häufig verwendet. Und dann wird gesagt, dass diese Wellen keine … die dort durch das Vakuum rasen, mit einer weit höheren als der Lichtgeschwindigkeit, quasi keine wirklichen Wellen sind und dass hier eine Art Skalarfeld existiert, also kein gerichtetes Feld – da gibt‘s ganz unterschiedlichen theoretische Ansätze in dem Zusammenhang – und auf jeden Fall, dass da etwas … dass das Nichts … dass das Vakuum ein Plenum ist. Das Vakuum ist ein … ist voll, gefüllt, es gibt gar keine Leere. Und dann kommen wir wieder auf die Frage, wenn das so ist, wie entsteht dann Materie überhaupt? Nicht, wieso ist das dann so, dass das wie ein Sahnehäubchen da drauf liegt? Ich meine, auch die sogenannte feste Materie, das ist ja sozusagen physikalisches Allgemeinwissen, ist ja auch nur ein verschwindender Bruchteil der von uns physisch-sinnlich wahrgenommenen Materie, ein Vierzigbilliardenstel ungefähr, also eine winzige Größe ist ja nur die wirkliche Kompaktheit, wenn es diese wirkliche Kompaktheit denn überhaupt gibt. Auf jeden Fall ist das sowieso eine löchrige, eine zutiefst schaumähnliche Geschichte, was wir sinnlich so als harte, undurchdringliche Materie wahrnehmen. Das wäre dann noch der nächste Gesichtspunkt, den man da reinnehmen müsste, dass die Festigkeit ja nur erst einmal für uns physisch-sinnliche Wesen so wirkt, nicht, bestimmte Formen von Strahlung können ja Materie mühelos durchschlagen.
Also, der … um die Frage geht es. Und das ist ein Thema, was zunehmend auch an Aktualität gewinnt, weil es natürlich weitreichende Konsequenzen hat.
Denn wenn es wirklich so ist, dass der Raum selber ungeheuer dicht ist, dann ist das ja horizonteröffnend für die Frage „Was ist denn überhaupt diese Wirklichkeit?“ Also was mich als Philosophen primär interessiert: Was ist die Wirklichkeit? Was ist denn überhaupt wirklich? Und das ist mir ja immer ein Anliegen, das wissen Sie aus verschiedenen Vorlesungen, dass ich versuche, vorsichtig gesagt, einen Unterschied zu machen zwischen mathematisch-theoretischen Konstrukten und Wirklichkeit. Nicht, davor kann ich nicht oft genug warnen, weil ich sehe, dass viele da vollkommen unkritisch da keine Unterscheidung mehr haben. Ich nenn das die Ontologisierung, nich’, also wenn man … bestimmte Sachen lassen sich rechnen, sie lassen sich bis zu einem gewissen Grade auch logisch zirkelfrei darstellen – immer noch die Frage: Sind sie wirklich? Also wenn diese Werte allein, die ja zum Teil behauptet werden, über die Dichtegrade der Raumenergie stimmen sollten, dann ist das ja schwindelerregend! Nich’, das hieße ja … was hieße das für das Wirklichkeitsverständnis? Oder es ist einfach … sind das tote Zahlen, errechnet aus ganz bestimmten Prämissen, die ohne existenziellen Wert sind. Und deswegen habe ich einleitend auch die Leiberfahrung des Raums hervorgehoben. Und ich finde es ungeheuer wichtig, grundsätzlich wichtig, dass man diesen Zusammenhang nie vergisst, dass man immer die Bezogenheit auf die Empirie beibehält, auch wenn ein prinzipieller Empirismus, dass nun alles erfahrungsmäßig fundiert sein müsste, gar nicht durchzuhalten ist. Das ist klar. Keine Theorie kann nur empirisch fundiert sein, das ist unmöglich. Aber man muss diesen Erfahrungsbezug immer beibehalten. Also wenn von Raum die Rede ist, finde ich‘s wichtig, sich immer auch der lebendigen, der konkreten Raumerfahrungen zu vergewissern und da Zusammenhänge herzustellen, um nicht zu schnell abzudriften, sag ich mal, in mathematisch-theoretische Modelle, die dann ontologisiert werden und dann werden sie als Wirklichkeit erklärt. Und das ist ein Verfahren, was sich durch die Jahrhunderte zieht und bis heute – also für mich … ein Musterbeispiel ist für mich Burkhard Heim, der ontologisiert, dass sich die Balken biegen – also sozusagen das geht bis zu einem gewissen Punkt mathematisch-logisch auf, aber das wird dann ontologisiert in einer Weise, wo man sich immer fragen muss, philosophisch-erkenntnistheoretisch: Ist das überhaupt haltbar? Zumal ganz andere Modelle mit ähnlichen logisch konsistenten Überlegungen zu den gleichen Ergebnissen führen. Also wenn gesagt wird, oh Gott, Heim könne die … den Wert der Elementarteilchen zu bis zu sechs Stellen hinter dem Komma angeben, dann ist das … der staunende Laie denkt, das kann doch nicht wahr sein, dann ist das doch alles sozusagen vollkommen stimmig. Man sieht oft gar nicht, man weiß oft gar nicht, auf was für Zirkelschlüssen das beruht, welche Werte eingesetzt werden, dass das überhaupt rauskommen kann. Aber das nur am Rande.
Ich will das grundsätzlich sagen: Bei der Frage nach der Raumenergie sollte die existenzielle Erfahrung – das kann eine denkerische Erfahrung sein über das Ich, das kann aber auch eine meditative Erfahrung sein – niemals außen vor gelassen werden. Ich finde gerade das eine der fatalen Entwicklungen der Geistesgeschichte im Abendland, dass das so radikal auseinandergedriftet ist. Dass also die existenzielle Welt, die Lebenswelt, sich vollkommen abgespalten hat von der, mal vereinfacht gesagt, physikalisch-technisch-abstrakten Welt. Das ist ein Desaster gewesen. Wenn da nicht ‘ne Möglichkeit besteht, da wieder was zusammenzubringen, seh‘ ich gar keine Hoffnung. Ich seh‘ dann auch den … die Frage einer möglichen Raum-Energie, die ich sehr positiv und wohlwollend betrachte, bei aller Skepsis im Hinblick auf einzelne Rechenergebnisse, ich sehe die dann auch gefährdet, dass sie dann auch nur eine neue Form von Abstraktionismus ist, die auch nichts Lebendiges hat. Und das ist mir wichtig bei diesen Fragen, dass diese wirklich lebendige, die existenzielle Dimension dabei beachtet wird. Und das finde ich wieder sehr gut und auch interessant bei den Anthroposophen, bei aller Kritik, die ich da habe, dass sie das zumindest versuchen, dass sie da Ansätze finden, dass auch gedanklich-meditativ zu bringen.
Ich habe Ihnen erst einmal – ich sehe das es Acht ist – einen Gesamtüberblick gegeben in diesem sehr schwierigen, wirklich hochkomplexen Thema. Ich hoffe, dass mir das gelungen ist und, nich‘, gibt ja hier den … Marco Bischoff ist ja hier, der sich da auch mit diesen Fragen sehr intensiv beschäftigt hat. Ich hab’ erst einmal einen Horizont aufgespannt, mehr kann das auch jetzt hier nicht sein, mehr konnte das nicht sein, und ich will jetzt gleich ins Gespräch reingehen.

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Klang, Zahl, Weltharmonie

Vorlesungsreihe: „Mensch und Erde“, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 9

Transskript als PDF:


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Ich habe ihnen das letzte Mal den Gedanken der Einheit, den Gedanken des Unus Mundus vorgestellt. In der abendländischen Kosmologie, Naturphilosophie im Vergleich mit östlichen Vorstellungen, meditativen Erfahrungen, gedanklichen Konzepten der Einheit der Welt und des Kosmos, der Einheit des Geistes und des Universums. Und das ist schon ein gewisser Brückenschlag zu heute. Ich will heute den Versuch machen, Ihnen einen Einblick zu verschaffen in ein, wie ich finde, hochspannendes Thema, das, wenn ich das richtig sehe, von einer ungeheuren Aktualität ist und auch Brisanz, nämlich die Frage: Gibt es die Möglichkeit, die Welt den Kosmos das Universum auf eine vielleicht bisher noch kaum verstandene Weise mittels Zahlen qualitativ zu denken? Wenn wir Zahlen hören, dann assoziieren wir von vornherein Quantitäten. Das Zählbare, das Zählen, die Abstraktion, das Abgezogene, das eigentlich nicht Lebendige. Und es gehört zum guten Ton auch Intellektueller untereinander, darauf hinzuweisen, dass man schlecht in Mathematik gewesen sei in der Schule.

Also die Grundhaltung erst einmal zur Mathematik ist durchaus ambivalent. Jeder trägt da seinen ganzen Packen mit Negativerfahrung mit sich herum. Und die Frage ist naheliegend und berechtigt, was man von hier aus ableiten kann für ein ganz neues Verständnis. Ich behaupte gleich als erste These, dass die Frage einer qualitativen Zahlenordnung eines der zentralen Themen des Jahrhunderts war und ist. Wenn ich gesagt habe, dass die Zusammenführung von Natur, Wissenschaft, Kosmologie, Naturphilosophie und Spiritualität zum … zur zentralen Herausforderung des ausgehenden Jahrhunderts, Jahrtausends gehört, einer ungelösten Herausforderung, so würde ich dem an die Seite stellen, dass eine genauso große und auch weitgehend noch ungelöste Herausforderung genau darin besteht, die Zahl, die Zahlen neu zu verstehen. Und wer ein bisschen in der geistigen Landschaft sich umschaut, umhört, liest und das Geraune auch in subkulturellen Szenen sich anschaut, dem kann nicht entgehen, dass sehr viele Menschen das auch umtreibt. Man hat das Gefühl, dass mit der Zahl, mit den Zahlen noch etwas anderes verbunden ist, als was gemeinhin im mathematischen Kontext darunter verstanden wird. Und zwar primär mit den Zahlen als den ganzen, den positiven, den sogenannten natürlichen Zahlen. Weniger mit den Zahlen als abstrakte Systeme.

Und darüber möchte ich auch primär reden, weniger über die Zahl als Funktion oder die Zahl als Proportion, sondern primär über die Zahl als positive ganze Zahl.

Wir leben ja in einer Zeit der Allgegenwart abstrakter Zahlensysteme. Ob nun das Bankkonto oder der Computer oder was immer. Zahlen sind allgegenwärtig; meistens tote, abstrakte „Etwasse“ in Anführungszeichen, mit denen wir herzlich wenig verbinden können. Wenn Ken Wilber in seinen Büchern immer wieder darauf hinweist, dass es essenziell sei für das ausgehende Jahrhundert, Jahrtausend, eine Stufe des Geistes zu erringen, überhaupt zu verstehen jenseits des Mentalen, dann müsste man hier auch die Zahl einbeziehen, was er nicht tut. Das gleich mal vorab gesagt. Sie wissen, ich schätze Ken Wilber und ziehe ihn auch oft heran. Aber was diesen Punkt betrifft, so findet man bei ihm eine leere Stelle. Wilber äußert sich überhaupt nicht zu der Frage, ob es eine mögliche qualitativ neue, eine möglicherweise transmentale Stufe gäbe oder geben könne, die Zahlen zu verstehen. Übrigens wie er sich genauso wenig zur Musik äußert, auch ein Manko bei Wilber. Das taucht nur am Rande auf, was ich schade finde, denn das wäre erhellend und würde vieles ergänzen.

Dass selbst im Allgemeinverständnis, im Allgemeinbewusstsein im kollektiven Bewusstsein noch ein letzter Rest vorhanden ist von einer möglichen anderen Zahlenordnung als der herkömmlichen abstrakten Mathematik, kann man an vielen Beispielen erkennen, unter anderem, vielleicht erinnern sie sich daran, an die lebhafte Diskussion die es gegeben hat anlässlich des Datums des Mauerfalls am 9. November 1989. Da war die Presse voll von Hinweisen auf das mysteriöse dieses 9. November in der deutschen Geschichte. Und selbst seriös rationalistisch eingestellte Zeitungen konnten sich eines gewissen Schauers nicht enthalten, dass das vielleicht kein Zufall sein könnte. Denken sie etwa an den 9. November 1918 oder an den 9. November 1923, dann natürlich der neunte November 1938. Der 9. November war für die Nazis ein großer Feiertag, besonders für die SS. Und es ist eigenartig, dass ausgerechnet dieser Tag dann der Tag des Mauerfalls wurde. Darüber ist viel geschrieben worden, viel spekuliert worden, und man hat das dann irgendwie zu den Akten gelegt. Aber es bleibt eine Irritation vorhanden. Was hat es damit zu tun, es kamen dann numerologische, zahlenmagische, zahlenmystische Gedanken auf: Könnte vielleicht der 9. November eine solche Verbindung haben? Und das ist weitgehend vergessen oder in den Hintergrund gedrängt worden. Auf jeden Fall ist es noch vorhanden, und es gibt ein Gefühl in den Menschen auch in der mentalen Bewusstseinsverfassung, dass mit der Zahl noch etwas anderes verbunden ist.

Ich erwähne gerne das Beispiel, dass man ein merkwürdiges eigentlich fast obskures Interesse daran hat, wie alt jemand sei. Wie alt bist du? Wie alt sind Sie? Als ob diese Zahl, die dann kommt, ein Schicksalsetikett andeutet, das man in irgendeiner Form in Verbindung bringen kann mit dem, was einem da als Erscheinung gegenübertritt. Du siehst ja viel jünger aus, als ich gedacht habe, oder hast dich gut gehalten, oder eigentlich siehst du viel älter aus. Also das ist nur eine Facette davon. Wir wollen wissen, wie alt jemand ist. Das ist eigentlich unverständlich. Sie kennen ja diese berühmten Spiegel Formulierungen: „Gerd Schröder, Bundeskanzler (54)“ und so weiter. Die Zahl als ein merkwürdiges Etikett. Und in den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Versuchen gegeben, die Qualität der Zahlen auf eine neue Weise zu denken und auch zusammenzubringen mit der herkömmlichen Mathematik.

Einige von Ihnen im Raum hier, ich glaube, es sind die wenigsten, aber doch müssten es einige sein, werden sich vielleicht erinnern, dass vor vier Jahren im Auditorium Maximum in der Vorlesungsreihe von Rudolf Bahro ein Mann namens Peter Plichta gesprochen hat, Chemiker und Mathematiker, der seine Theorie, sein Theorem besser gesagt des Primzahlenkreuzes, vorgestellt hat. Vielleicht hat der eine oder andere das gehört. Ich habe damals in der Woche davor sozusagen den hinführenden Vortrag gehalten über die Philosophie der Zahlen. Und die Diskussion die sich dann entzündet hat, war hochinteressant auch anlässlich des Vortrages von Plichta, der versucht in gewisser Weise die herkömmliche Mathematik mit einer neuen qualitativen Zahlentheorie zu verbinden, die etwas Hochspekulatives hat, aber gleichzeitig eine gewisse Faszination ausstrahlt, der man sich vielleicht entziehen kann, wenn man sich überhaupt der Mühe unterzieht, sich darauf einzulassen. Das muss allerdings vorausgesetzt werden. Das erfordert schon einiges Mitdenken.

Da gibt es Ansätze von anthroposophischer Seite, dann in Anlehnung und Weiterführung von Ernst Bindel, eine qualitative Zahlenlehre zu entwickeln, und es gibt sie in der sogenannten harmonikalen Grundlagenforschung, die ausgehend von Kaiser und seinem Schüler Rudolf Haase und anderen, wo der Versuch gemacht wird, ausgehend von dem pythagoräischen, der pythagoräischen Tonzahl, Proportionen, Symmetrien, Verhältnisse in der Natur und dem Geist zu zeigen. Leitend ist hier der Gedanke der sogenannten Tonzahl. Sie kennen die Vorstellung, dass man, des Pythagoras, dass man ein Monochord, ein Einseiteninstrument, etwa halbiert, dass dann die Oktave erklingt, also eine enge Beziehung von Ton und Qualität. In gewisser Weise auch von Qualität und Quantität. Was heisst Qualität der Zahl? Was ist überhaupt gemeint? Es gibt in der pythagoräischen Tradition etwa, um das mal an einem Beispiel zu zeigen, die Vorstellung, die beiden ersten Quadratzahlen 4 und 9 repräsentierten Gerechtigkeit. Die beiden ersten Quadratzahlen repräsentierten Gerechtigkeit. Damit wird also der Zahl, einer niedrigen ganzen Zahl bzw. auch der der Summe dieser beiden Zahlen, Vier plus Neun gleich 13, eine Qualität zugesprochen, die man ja gemeinhin nicht mit einer wie immer gearteten Zahl verbinden würde: Diese Zahl repräsentiere Gerechtigkeit. Dies nur als ein Beispiel. Also Vier plus Neun gleich 13 gleich Gerechtigkeit. Anderes Beispiel. Es gibt einen Brief von Plutarch, wo er darauf hinweist, ob das stimmt oder nicht, sei dahingestellt, auf jeden Fall: Er weist darauf hin, dass Platon genau 81 Jahre alt geworden sei. Er habe, heißt es in dem Brief von Plutarch, die vollkommene Zahl erreicht. Er habe sozusagen sein Leben gerundet. Und vervollkommnet. Interessant in dem Zusammenhang, dass Dante in seinem „Gastmahl“, also nicht in der „Divina Commedia“, einen Hinweis bringt, der kaum beachtet wird, aber der in dem Kontext interessant ist, dass Jesus eigentlich 81 Jahre alt geworden sein müsste. Wenn er nicht vorher gekreuzigt worden wäre. Merkwürdiger Gedanke, also die 81 als eine vollkommene Zahl. Das findet man ja in der asiatischen Tradition viel, unter anderem in China, wo die Neun, Drei mal Drei, Neun mal Neun gleich 81 zentral wichtig ist, etwa im Daoismus wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Neun mal Neun, Einundachtzig, die Zahl des Universums sei. Und insofern ist es interessant, wenn etwa bei Peter Pflichta in seinem Primzahlenkreuz die Zahl 81 eine ganz zentrale Rolle einnimmt. Er bringt auch einige dieser Bezüge, scheint aber nicht alle Bezüge zu kennen, die da tatsächlich existieren. Auch hier wird der Zahl eine bestimmte Qualität zugesprochen eine vollkommene Zahl 81, Neun mal Neun, die mit der Abrundung einer Biografie zu tun hat. Wie häufig auch die Zahl Sieben verbunden wird mit der Zeit.
Ich war vor einiger Zeit eingeladen auf dem Geburtstag eines mir nahestehenden Menschen, der wurde 56, und ich habe ihn doch erst darauf hingewiesen, ob er nicht wisse, was die Zahl 56 in der spirituellen Tradition, der Zahlensymbolik bedeute. Nein, wusste er nicht. Als zweimal 28 einen Schwellenübertritt, eine Art Todeserlebnis. Häufig wird ja gesagt 28, 4 mal 7 sei gleichsam der erste Einschnitt, karmisch gesehen. Wer von Reinkarnation ausgeht, sagt häufig, bis 28 habe der Einzelne noch sozusagen die Grundimpulse seiner früheren Inkarnation zu verarbeiten, und ab 29 beginne sein eigentliches jetziges Leben. Das ginge bis 56, dann weist man daraufhin, dass etwa wichtige bedeutende Persönlichkeiten 56 Jahre alt geworden sind, eben der erwähnte Dante, aber aber auch Beethoven und andere. [Man] Könnte auch hier Adolf Hitler erwähnen. Das wäre jetzt ein anderes Beispiel. Aber es ist eigenartig, dass solche Vorstellungen existieren. Und dass sie auch bei Menschen existieren, gewissermaßen subkulturell existieren, wo man es nicht vermutet. Bekannt ist, dass bei Sigmund Freud, der numerologisch kolossal interessiert war und ständig darauf versessen, kann man sagen, auszurechnen, wie alt er wird. Er hat also immer Überlegungen angestellt, wie alt er werden könnte und eigentlich werden müsste, in Anlehnung an Diskussionen mit seinem Freund Fließ. Also diese Vorstellungen sind sehr verbreitet.
Nun könnte man sagen, das sind Relikte. Das sind Relikte einer überwundenen Zahlenvorstellung, das sind numerologische Vorstellungen, das sind magisch-mythische Gedanken. Die sind natürlich nur in der Psyche vorhanden, aber wir haben sie abgelegt. Aber sie haben eigentlich keine Relevanz. Wenn man jetzt auch führende Mathematiker auf diesen Punkt befragt, dann staunt man, dass selbst Mathematiker häufig die Auffassung vertreten, so etwa der berühmte Henri Poincaré, einer der bedeutenden Mathematiker, dass jede Zahl eine eigene Individualität sei und nicht etwa eine Reihung, eine beliebige abstrakte Reihung, sondern jede Zahl, auch die Drei, Vier, Fünf, die Sieben, die 12, die 15. Jede dieser Zahlen repräsentiere ein eigenes Individuum, eine eigene Entität, habe also eine ganz eigene unverwechselbare und unwiederholbare Seinsqualität. Auch das ist ein eigenartiger Gedanke, viele Mathematiker sind halb eingestanden, halb uneingestanden, Zahlenmystiker. Auch bei den Quantenphysikern kann man das beobachten, berühmtestes Beispiel Arnold Sommerfeld, der immer wieder darauf hinwies, dass die auffallende Ganzzahligkeit in quantenmechanischen Überlegungen etwas zu tun haben müsse mit der Grundstruktur des Kosmos, mit der Grundstruktur der Welt, und eine gewisse platonisch gefärbte Zahlenmystik kann man auch bei anderen Quantentheoretikern, etwa bei Heisenberg, nachweisen. Nun, ich sage es nochmal: Es ist sehr einfach zu sagen: Das sind Relikte, das sind Restbestände, die im Grunde genommen obsolet sind. Ich meine aber, es gibt vielleicht die Möglichkeit, die Zahl, das rätselhafte Reich der Zahlen noch mal jenseits der magisch-numerologischen Stufe, und auch in gewisser Weise jenseits der mentalen Stufe, neu zu denken.

Kurz gesagt: Ich behaupte als These, es gibt die Möglichkeit einer transmentalen Zahlentheorie. Das heißt, in ihr wird die Zahl nicht primär als Abstraktion verstanden, nicht primär als Funktion verstanden, und in ihr handelt es sich nicht um einen Rückgriff auf, einfach so, auf numerologisch-magische Vorstellungen einer früheren Zeit, sondern um etwas anderes. Um etwas Neues, etwas, was vielleicht noch nicht seine eigene Gestalt gezeigt hat, was aber möglicherweise realisiert werden kann. In einem langen Prozess, wo man zumindestens den Versuch machen könnte, das auf eine neue Weise zu denken. Ich will mal einige Zitate bringen von Philosophen und Mathematikern, die ich zusammengestellt habe, die diesen Punkt berühren. Und vielleicht wird durch einige dieser Zitate schon ein bisschen deutlich, was die Richtung sein könnte, von der ich hier gesprochen habe, wenn ich behauptet habe, es gäbe eine transmentale Zahlentheorie. Ich gebe mal einige Beispiele, die das verdeutlichen. So schrieb zum Beispiel der Pythagoräer Philolaos, ein berühmter, bedeutender Pythagoräer und Zahlentheoretiker, folgendes. Vor 2400 Jahren. Zitat Philolaos: „Denn die Zahl ist ihrer Natur nach für jedermann Deuterin, Führerin und Lehrerin in allen sonst unzugänglichen und unerkennbaren Dingen, denn für niemand wäre irgendetwas von den Dingen erkennbar, weder an sich noch in ihrem Verhältnis zueinander, wenn nicht die Zahl und ihr Wesen wäre.“ Nicht, das ist klassisches pythagoräisches Gedankengut. Wir können die Dinge nur erkennen, weil in ihnen eine Zahlenordnung verschlüsselt ist, die auch der Geist enthält. Die Grundannahme, die Grundfrage: Warum können wir überhaupt Natur erkennen? wird häufig so beantwortet: Weil der Geist und die Natur von den gleichen Grundprinzipien bestimmt werden. Nochmal Philolaos: „Kein Hauch der Trübung dringt jemals in die Zahl. Denn ihrer Natur ist die Täuschung feindselig und verhasst. Die Wahrheit aber ist dem Wesen der Zahl eigen und damit verwachsen.“ Zitat Ende.

Und dann kommt eine Aussage über die Siebenzahl, die auch in der pythagoräischen Tradition steht. Die Siebenzahl ist gleich der mutterlosen und jungfräulichen Athene Nike. Denn sie ist Führerin und Herrscherin über alles, ewiger beharrlicher und unbeweglicher Gott. Sich selbst gleich und von allen anderen verschieden, also eine eigene Individualität. Sie wissen vielleicht, dass in der pythagoräischen Vorstellung einer klar geschichteten Ordnung, im geozentrischen Kosmos, ja die Vorstellung leitend war, dass es sieben Kugelschalen gibt, die sich um die Erde legen, nicht, die in harmonischen Ringen, harmonischen Sphären klingen. Das ist der berühmte Gedanke der Sphäre, der ist älter als Pythagoras, aber er wird gemeinhin mit Pythagoras verbunden, also die Vorstellung einer Klangordnung der Welt. Zahlen werden da den Klängen angenähert bzw. Zahlenverhältnisse, Zahlenproportionen werden als Klänge vorgestellt. Gedanken, die man ja bis in die Neuzeit findet unter anderem bei Kepler, Oswald Spengler. Bedeutender Kulturphilosoph, übrigens auch Mathematiker. Er war Gymnasiallehrer, hat, unter anderem, Mathematik unterrichtet. Schreibt in seinem Untergang des Abendlandes in einem hochinteressanten Kapitel „Vom Sinn der Zahlen” unter anderem Folgendes, 1919 erschienen, also ein weiter Sprung jetzt mal ins 20. Jahrhundert hinein, Zitat Oswald Spengler. Abschnitt vom Sinn der Zahlen. Aus dem berühmten Buch „Der Untergang des Abendlandes“: „Das Steingebilde und das wissenschaftliche System verneinen das Leben. Die mathematische Zahl als formales Grundprinzip der ausgedehnten Welt, die nur aus dem menschlichen Wachsein und für dieses da ist, steht durch das Merkmal der kausalen Notwendigkeit zum Tode in Beziehung wie die chronologische Zahl zum Werden, zum Leben, zur Notwendigkeit des Schicksals. Zahlen sind Symbole des Vergänglichen. Starre Formen verneinen das Leben. Formeln und Gesetze breiten Starrheit über das Bild der Natur. Zahlen töten“.

Das führt Spengler in dem Kapitel „Vom Sinn der Zahlen“ im Näheren aus. Er meint, die mathematische Zahl ist letztlich eine Funktion, insbesondere die abendländische Vorstellung der Zahl als einer Funktion tötet das Lebendige. Er stellt die mathematische Zahl der chronologischen Zahlen gegenüber. Das heißt, es gibt eine lebendige Zahl. Das ist die chronologische Zahl, die eng gekoppelt ist mit dem Strom oder Rhythmus, mit dem rhythmischen Fließen der Zeit. Und es gibt eine mathematisch formalistische Zugangsweise zur Welt, die letztlich die Wirklichkeit tötet. Zahlen töten. Ein berühmter Satz von Spengler, eine Zahl an sich gibt es nicht, und kann es nicht geben. Es gibt mehrere Zahlenwelten, weil es mehrere Kulturen gibt. Und das führt uns schon ins Zentrum der Frage. Spengler sagt hier, eine Zahl an sich gibt es nicht und kann es nicht geben. Zahlenmystiker haben ja immer wieder behauptet, dass es sehr wohl eine Zahl an sich gibt. Das heißt nicht eine in einem absoluten Sinne bewusstseinstranszendente Zahl, aber eine Zahl die doch eine eigene Seinswürde hat, die nicht einfach eine Abstraktion ist, sondern die tatsächlich eine wirkende Wirklichkeit im Universum ist – wie ja angenommen wird etwa hier in der chinesischen Philosophie, auch Mythologie, dass die 81 den Kosmos als Neun mal Neun konstituiert. Dass sie vollkommenste Zahl sei , und dass ein Lebensalter von 81 Jahren tatsächlich eine Biografie rundet. Denken Sie an die Aussage von Dante über das Lebensalter des Jesus von Nazareth, er hätte eigentlich 81 Jahre alt werden müssen. Das ist wieder ein Sprung, es geht hier nicht chronologisch, es geht nur um Facetten.

Von Novalis … , Novalis hat sich verschiedentlich, Friedrich von Hardenberg, der romantische Naturphilosoph und Dichter, hat sich verschiedentlich zur Frage der Zahl geäußert. Unter anderem wie folgt. Da ist ein interessanter Gegensatz erkennbar der nicht der mathematischen, also nicht mathematischen chronologische Zeit, sondern ein anderer Gegensatz. Novalis schreibt. Ich glaube 1798, 1799: „Echte Mathematik ist das eigentliche Element des Magiers. In der Musik erscheint sie förmlich als Offenbarung, als schaffender Idealismus. Hier legitimiert sie sich als himmlische Gesandtin. Das höchste Leben ist Mathematik. Das Leben der Götter ist Mathematik. Reine Mathematik ist Religion. Zur Mathematik gelangt man nur durch eine Theofanie“. Also eine Enthüllung eine Offenbarung des Göttlichen. Und jetzt der Satz, der das Ganze in einem interessanten Licht erscheinen lässt: „Im Morgenlande ist die echte Mathematik zu Hause. In Europa ist sie zur bloßen Technik ausgeartet.“ Also man findet hier bei Novalis den Hinweis, dass die europäische Mathematik, das abendländische Denken über Zahlen, zu technisch sei, dass sie zu Technik ausgeartet sei. In Europa ist sie zur bloßen Technik ausgeartet. Ein merkwürdiger Hinweis. Man ist zunächst verblüfft, wenn man hört, dass ein romantischer Geist, den man ja gern als abgehobenen Schöngeist hinstellen möchte, von der Mathematik spricht als einer Offenbarung des Göttlichen. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt für alle Vorstellungen, die von einer qualitativen Ordnung ausgehen, dass diese Zahlen göttlich sind. Also nicht abgezogene Abstraktionen, sondern wirkende Geistkräfte im Universum.

Bis in die Gegenwart hinein, bis zu modernen Platonikern findet man mehr oder weniger ausgesprochen diesen Gedanken. Hören wir nochmal Kepler von dem schon kurz die Rede war. Kepler schreibt im frühen 17. Jahrhundert: „Gottes sind in der ganzen materiellen Welt die Gesetze, Zahlen und Beziehungen von besonderer Feinheit und schönen gefügte Ordnung. Jene Gesetze sind dem menschlichen Geist erfassbar.“ – Also der Mensch kann das erkennen. – „Er hat uns nach seinem Ebenbild erschaffen, sodass wir an seinen Gedanken teilhaben können.“ – Jetzt der aufschlussreiche Satz, der das erkenntnistheoretisch erhellt: „Denn was gibt es im menschlichen Geist außer Zahlen und Größen.“ – Denn was gibt es im menschlichen Geist außer Zahlen und Größen, behauptet hier Kepler. Kann man sagen, er setzt das, eine metaphysisch weitreichende Behauptung, im menschlichen Geist gebe es praktisch nur Zahlen und Größen. – „Nur diese können wir in der rechten Weise verstehen, und wenn die Ehrfurcht uns das zu sagen erlaubt – in dieser Hinsicht ist unser Verstand von gleicher Art wie der Göttliche. Denn Gottes Ratschläge sind unerforschlich. Seine materielle Schöpfung aber ist es nicht.“ – Also der Mensch hat die Fähigkeit und Möglichkeit, das materielle Universum zu erkennen. Durch die Zahl. Durch die Größe, wie es heißt „außer Zahlen und Größen“. Bei Kepler immer verbunden in der Einheit von Quantität und Qualität. Also Kepler trennt das überhaupt nicht.

Genauso wenig wie der Astronom Kepler sich klar trennen lässt von dem Astrologen Kepler. Und es ist ja bekannt, dass Kepler den Versuch gemacht hat, die harmonikale Gesamtordnung des Sonnensystems auszurechnen. Das ist viel bewundert aber auch als dilettantisch geschmäht worden. Obwohl es ein hochinteressanter Versuch war, der heute noch bedenkenswert ist, zu verstehen, was es auf sich hat mit den Abständen der Planeten zur Sonne, die ja nicht zufällig einfach so angeordnet sind, wie sie angeordnet sind. Schon ein Blick auf das Planetensystem als Ganzes, auch in seiner theoretisch abstrakten Form, kann zumindest den Gedanken nahelegen, dass hier harmonikale Proportionen eine Rolle spielen könnten. Ich will dazu nachher noch einiges sagen.

Sein Zeitgenosse Galilei äußert sich in folgenden sehr berühmten Sätzen, vielleicht überhaupt die berühmtesten Sätze von Galilei. Aus dem Saggiatore, dem Prüfer, 1723. Ganz ähnlich wie Kepler: „Die Philosophie ist in dem großen Buch niedergeschrieben, das immer vor unseren Augen liegt, dem Universum.“ – Das Universum als Buch. – „Aber wir können es erst lesen, wenn wir die Sprache erlernt und uns die Zeichen vertraut gemacht haben, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, deren Buchstaben Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren sind. Ohne diese Mittel ist es dem Menschen unmöglich, auch nur ein einziges Wort zu verstehen.“ – Das heißt der Mensch kann das Buch der Natur lesen, aber nur mittels der Zahl. Und auch Galilei geht in der Tiefe davon aus, dass diese Zahlenordnung eine wirkliche und wirksame ist. Er glaubt nicht, dass die Zahl eine abgezogene Abstraktion sei. Er glaubt wirklich, dass in der Tiefe des Universums diese Zahlen eine wirkende gestaltgebende, formende Kraft haben. Und dass es überhaupt der tiefste Sinn und das Ziel des Naturforschers sei, sich dieser in der Welt verankerten Grundordnung zu vergewissern. Der Naturforscher erkennt die Tiefenstruktur der Welt, die gleichsam Gott in die Welt hineingelegt hat. Und das ist ja ein Gedanke, den man neuerdings bis in die Gegenwart hinein etwa bei Peter Plichta findet, wie er in plakativer und peinlicher Weise im Titel genannt „Gottes geheime Formel. Die Entschlüsselung des Welträtsels und der Primzahlen Code“. Also, dass Gott die Welt zahlenmäßig geschaffen habe, und dass der geniale Geist, Peter Plichta hält sich für einen solchen, dann in der Lage ist, die tiefen Strukturen der Welt zu erfassen. Er kann das, er hat die Fähigkeit dazu. Das wird dem Menschen also zugestanden.

Es hat immer die beiden Richtungen, jetzt mal auch in der herkömmlichen Mathematik und mathematischen Naturwissenschaft, gegeben, wir haben immer gesagt: Was wir zahlenmäßig festlegen, ist nur ein abstraktes Bild der materiellen und energetischen Welt, hat aber keine konstitutive Bedeutung. Die andere These war immer diese: Zahlen, Zahlenordnungen konstituieren die Wirklichkeit. Sie sind wirklich wirklich, sind Wirkprinzipien in der Welt. Sie zu erkennen hieße auch, die Wirklichkeit zu erkennen. Und dann käme auch das Erkennen zu einem gewissen Abschluss. Denn wenn man dann tatsächlich diese Zahlenordnung der Welt erkannt hätte, und das glaubt ja auch Peter Plichta bis zu einem gewissen Grade, dann hätte man etwas Irreversibles geschaffen. Keiner kann mehr dahinter zurückgehen. Man hat in gewisser Weise das Universum erkannt, den geheimen Plan erkannt.

Nun haben Kritiker in dem Kontext immer gesagt, bis heute, solche Gedanken sind nur eine Ontologisierung von Abstraktionen. Also Ontologie, Lehre vom Sein; Ontologisierung heißt, man setzt eine Abstraktion als Wirklichkeit. Was ja ohnehin gang und gäbe ist. Dass man was herausfiltert, in Formeln bringt, und dann im nächsten Schritt sagt, diese Formel ist nicht nur abgezogen, sondern diese Formel ist wirklich die prägende Kraft in der Welt. In der Tiefenpsychologie, das will ich noch ergänzen, ist es vor allen Dingen C.G. Jung gewesen, der sich über viele Jahre hinweg unter anderem in seinem freundschaftlichen Kontakt mit dem Quantenphysiker Wolfgang Pauli mit dieser Frage beschäftigt hat, was denn die Zahlen wirklich seien. Welche möglicherweise konstitutive Kraft sie enthalten. In seinem berühmten Aufsatz Anfang der 50er Jahre „Synchronizität als Prinzip akausaler Zusammenhänge“ hat er sich da an verschiedenen Stellen eingehend geäußert. Ich zitiere mal zwei Stellen. Die nochmal ein anderes Licht jetzt werfen, von der Tiefenpsychologie aus. Jung schreibt hier: „Die Zahl ist etwas Besonderes. Man darf wohl sagen etwas Geheimnisvolles. Man hat sie ihres numinosen Nimbus nie ganz berauben können“ – also ihrer quasi Göttlichkeit. Ihre quasi Göttlichkeit ist nicht gänzlich verlorengegangen. – „Die Zahl diente von jeher zur Bezeichnung des numinosen Objektes. Alle Zahlen von 1 bis 9 sind heilig“. –

Das findet man in fast allen Kulturen der Welt, in magisch-mythischen Kulturen, dass die niedrigen ganzen Zahlen als sakral gelten. Also – „alle Zahlen von 1 bis 9 sind heilig. Ebenso sind 10, 12, 13, 14, 28, 32 und 40 durch Bedeutsamkeit ausgezeichnet. Die Zahl“ – jetzt kommt eine interessante erkenntnistheoretisch interessante Aussage – „Die Zahl ist wohl das Primitivste“ – nicht im negativen Sinne primitiv, sondern im Sinne von ursprünglich bei Jung. – „Die Zahl ist wohl das primitivste Ordnungselement des menschlichen Geistes, wobei den Zahlen von 1 bis 4 die größte Häufigkeit und die allgemeinste Verbreitung zukommt.“ – Nicht, wer ein bisschen die Jungsche Psychologie kennt, der weiß, dass für Jung die 4 als Quaternität eine ganz zentrale Rolle spielt, als Symbol des Selbst, auch als Zeichen, als Symbol für den Kreis. Kreis und Quaternität, Vierheit als Symbol des Selbst ist nicht die Dreiheit, sondern die Vierheit, das ist bei ihm zentral. – „Dass die Zahl einen archetypischen Hintergrund besitzt, ist nicht etwa meine Vermutung“, sagt Jung, „sondern diejenige gewisser Mathematiker. Es ist darum wohl keine allzu kühne Schlussfolgerung, wenn wir die Zahl psychologisch als einen bewusst gewordenen Archetypus der Ordnung definieren.“

Also bei Jung sehr schön auf den Punkt gebracht. Diese Facette auf den Punkt gebracht. Die Zahl als Archetypus der Ordnung schlechthin und nach Jung etwas, was der Materie und dem Geist zugrunde liegt. Es gibt also nach Jung eine Grund- und Urschicht, das Psychoide, aus der sich dann das Geistige und das Materiell-Energetische entfalten, wobei diese Entfaltung aber immer noch eine Verbindung beinhaltet, die überhaupt dann Erkenntnis möglich macht. Es ist ja immer die Frage, nicht nur, wie kommt der Geist in den Stoff, die Seele in den Stoff, die Geist-Seele in den Stoff, sondern wie kann dieser Geist überhaupt etwas erkennen? Die Grundfrage ja auch schon bei Kant, wie ist mathematische Naturwissenschaft überhaupt möglich. Nochmal Jung aus demselben Essay 1952: „Bemerkenswerterweise besitzen auch die vom Unbewussten spontan produzierten psychischen Ganzheitsbilder bzw. die Symbole des Selbst in Mandala-Form mathematische Strukturen. Es sind in der Regel Quaternitäten oder deren Mehrfaches. Diese Gebilde drücken nicht nur Ordnung aus, sondern bewirken auch eine solche.“ Also sind konstitutive Prinzipien der Welt in dieser Grundschicht der Wirklichkeit, ich sagte es, die dem Geistig-Seelischen und dem Materiellen zugrunde liegt. Also „diese Gebilde drücken nicht nur Ordnung aus, sondern bewirken auch eine solche. Dass diese Strukturen keine Erfindung des Bewusstseins sind“, heißt es dann, „sondern spontane Produkte des Unbewussten wie die Erfahrung hinlänglich bewiesen hat.

Aus diesen Tatsachen geht unwiderlegbar hervor, dass das Unbewusste die Zahl als Ordnungsfaktor verwendet.“ – In einem seiner interessantesten Bücher, „Psychologie und Alchemie“, beschreibt Jung Träume, wenn man dann nachforscht, merkt man oder weiß man, welche Träume es sind, es sind die Träume seines Patienten Wolfgang Pauli, des Quantenphysikers. Der immer wieder ganz bestimmte Quaternitäten träumt, Vierhheiten, Kreisformationen träumt als Symbole des Selbst. Einen letzten Autor will ich kurz noch anführen, den man gemeinhin überhaupt nicht mit dem Thema verbindet, die meisten wissen gar nichts davon, dass er sich zu einem Thema geäußert hat. Aber ich finde, er hat sich zu dem Thema auf eine hochintelligente und faszinierende Weise geäußert, ich meine Ernst Jünger. Die meisten Mathematiker wissen das gar nicht, haben davon noch gar nichts gehört.

Es gibt einen Essay von Ernst Jünger, 1974, mit dem Titel „Zahlen und Götter“. Nach meinem Dafürhalten eine der intelligentesten Abhandlungen überhaupt zum Problem der Zahl. Und hier gibt es eine ganze Reihe hochinteressanter Überlegungen, die Jünger anstellt. Zur Frage des Verhältnisses von Zahl und Gott beziehungsweise Zahl und Göttern und auch zur Frage, und das ist jetzt für unser Thema wichtig, zur Frage einer möglichen neuen und anderen Zahlenordnung, die er nicht transzendental nennt, auf die er aber hindeutet als eine mögliche zukünftige Entwicklung des Geistes. Einige Zitate mal aus diesem Essay „Zahlen und Götter“ von 1974: „Wer die Zahlen für wirklich hält, darf auch die Götter für wirklich halten. Sie steigen beide aus dem gleichen Grund empor. Die Frage nach der Wirklichkeit der Zahlen berührt auch den Nerv des Nominalismusstreites.“ – Den habe ich vorhin angedeutet, ich habe nur den Begriff nicht genannt, nicht, Abstraktion [als Wirklichkeit] oder als konstitutives Prinzip, das ist der Nominalismusstreit im Kern. – „Die Wirklichkeit der Zahlen berührt auch den Nerv des Streites, der Jahrhunderte hindurch mit hohem geistigen Aufwand geführt wurde.

Auf die Zahlen bezogen würde das Problem lauten: Kommt ihnen,“ – den Zahlen – „obwohl mit ihnen gerechnet wird, auch ein eigener Wert und berechenbare Größe zu. Das glaubten die Pythagoräer, und es vermutet im Grunde jeder, der Daten und Schicksal verknüpft.” – Andere Stelle, sehr schöner Satz: „Der musischen Welt, primär der Musik, wohnt die Zahl als Potenz inne, doch darf sie nicht sichtbar hervortreten.“ – Sie ist also implizit gar nicht denkbar ohne Zahlen. Die Musik ist in gewisser Weise eine klingende Zahlenwelt, wenn man das so nennen will. Und die Frage ist immer wieder gestellt worden, auch von mir: Was hat dieser klingende Zahlenwert der Musik zu tun mit den Zahlen überhaupt. Ich habe das ja vor zehn Jahren in meinem Buch „Klang und Verwandlung“ versucht, in den letzten Jahren habe ich das erst einmal zu den Akten gelegt, als ein Punkt, über den man noch einmal ganz neu und anders nachdenken müsste. Nochmal Ernst Jünger: „Die pythagoräische Zahl ist musisch und orphisch. Sie entzieht sich der logischen und metrischen Anordnung. Sie ist nicht zu beziffern und sondert sich von der mathematischen Zahl insofern, als sie Werte anzeigt und nicht Größen, Mengen und Entfernungen. Das Orphische kann sich mit dem Mathematischen vereinen und mit ihm zusammenspielen wie Melos und Rhythmus im Gesang.“ –

Letztes Zitat. Nochmal Jünger: „Die Zahl als Ziffer ist den Göttern feindlich. Und ihr Triumph bedeutet deren Sturz. Planeten, die Götternamen tragen, werden in ihrer Aura berührt. Wo sollten sich hier noch Erde und Himmel Natur und Kosmos in ihrer göttlichen Macht zeigen? Die Abdichtung gegen die Erscheinung“ – im Sinne von Epiphanie, nicht im Sinne von Welterscheinung – „und ihre Bilder ist bereits rein physikalisch zu begreifen als die ununterbrochene Abstrahlung von Systemen.“ – also bezogen auf die allgegenwärtige Abstraktion, die mit der denaturierten oder im pythagoräischen Sinne entgöttlichten Zahl arbeiten. – „Sie lässt nur Funktionen nicht aber Bilder, Ideen oder Gestalten durchdringen.“ – Also eine interessante Klassifizierung der gegenwärtigen Abstraktion als einer Welt der Ziffer. Der Ziffer. Also Jünger unterscheidet zwischen den Ziffern der Welt, der totalen Verzifferung der Welt. Die Ziffer ist nicht die Zahl in ihrem eigentlichen tiefsten Sinne, sondern die Zahl als Ziffer ist letztlich desaströs und ist langfristig auch zerstörerisch. Und sie strahlt in die Welt hinein, eine Art von Emanation, die langfristig die Welt zerstört.

Wie ich das genannt habe, die transzendentale Zahlentheorie, ist essenziell wichtig und zwar aus verschiedenen Gründen. Ich will mal einige dieser Gründe nennen. Wenn ich das richtig wahrnehme, gehört es zu den ganz großen Aufgaben der Gegenwart, dass die menschliche Geist-Seele sich wieder in Verbindung setzt und bringt mit der Erde, mit dem Universum, das also die Abspaltung, die schizophrene Abspaltung, die passiert ist, rückgängig gemacht wird. Ich sehe es als eine der ganz großen Bewusstseinsaufgaben heute an, diese kollektive Neurose, wie ich das genannt habe, die kollektive Abspaltung von Erde und Kosmos aufzuheben. Das heißt nicht, dass es darum ginge, in eine frühere Stufe einfach so zurückzugehen und das Mentale außen vor zu lassen. Aber es ist essenziell wichtig, diese Verbindung auf einer neuen und anderen Stufe zu realisieren, und in diesem Zusammenhang sind solche Verbindungen wichtig. Denn wenn es so ist, dass Zahlen eine konstitutive Kraft haben im Universum, und wenn wir als Menschen in der Lage sind, das auch bis zu einem gewissen Grade zu verstehen, dann wäre die Zahl in gewisser Weise ein Weg. Zu dieser Verbindung. Natürlich auf eine ganz andere Weise wird das auch von anderen genauso gesehen. So zum Beispiel von Plichta.

Dass die Zahl eigentlich das Medium ist, das unverzichtbare Medium, mittels dessen wir uns in die Welt hineinbegeben können, mittels dessen wir die Tiefenschichten der Welt erschließen können und auch eine neue Verbindung herstellen können mit der Welt, wie ich das ja vor einem Jahrzehnt in „Klang und Verwandlung“ versucht habe, dass man über die meditative und gedankliche Erschließung der großen Musik in der Lage ist, in eine Tiefenstruktur der Welt reinzukommen, die tatsächlich existiert, die also keinen projektiven Charakter hat. Das war ja eine der wesentlichen Thesen damals, dass die sogenannte klassische Musik tatsächlich Tiefenstruktur der Wirklichkeit klanglich erfasst und künstlerisch darstellt. Die Grundprämisse eigentlich. Und dass man nun mittels einer meditativen gedanklichen Arbeit mit dieser Musik auch in der Lage ist, in die zahlenmäßigen und klanglichen Strukturen der Welt hineinzukommen.

Ich habe vorhin das Beispiel Kepler erwähnt. Ich will nur mal einen Aspekt der Forschungen von Kepler heranziehen, den jüngst der Schüler von Kaiser, Rudolf Haase, in seinem Buch über Keplers Weltharmonik wieder herausgestellt hat, der verblüffend ist und ein wichtiger Schritt ist auch zum Verständnis dieses Zusammenhangs. Man hat ja immer wieder gesagt, auch in der Musiktheorie: Die abendländische, das abendländische Tonsystem ist ein kulturelles Produkt. Andere Kulturen hätten andere Klangsysteme, andere Tonsysteme – das abendländische Tonsystem ist ein typisches, ein geschichtlich relativierbares. Nun gehört er, gehört Rudolf Haase zu denjenigen, die immer wieder seit Jahrzehnten eine ganz gegenteilige These vertreten. Er vertritt die These, dass diese Tonalität mit der Gehörsdisposition des Menschen überhaupt zusammenhängt und dass die Erfassung der Klänge einen Zugang bedeuten kann zur Welt selber. Am Beispiel von Grundintervallen lässt sich zeigen, wenn man den Kepler weiterdenkt, und seine Messergebnisse in gewisser Weise aktualisiert, dass, und das ist verblüffend, erstaunlich, dass tatsächlich der Dur-Dreiklang C – E – G offenbar in der Grundordnung des Sonnensystems verankert ist.

Also die Vermutung, dass die Abstände der Planeten auch einen klanglich harmonikalen Aspekt haben, lässt sich an vielen Beispielen zeigen, unter anderem an diesem. Kepler hatte ja den Versuch gemacht, anlässlich der oder anhand der damals bekannten Planeten die jeweiligen Perihele, also die Punkte der weitesten Entfernung und die jeweiligen Aphelen zusammenzubringen und klanglich gleichsam aufzuarbeiten. Und wenn man diese Werte von Kepler jetzt aktualisiert, dann stellt man fest, dass von den 32 zentralen Tönen die dabei zutage treten jetzt unter Hinzunahme von Uranus, Neptun und Pluto, die Kepler noch nicht kannte, also von diesen 32 Tönen tatsächlich 30 Töne des Dur-Dreiklangs auftreten, nämlich C, E und G, und nur die beiden Töne GIS und H erscheinen gleichsam als Ausnahme. Es ist erstaunlich. Ist das ein Zufall? Ist das falsch gerechnet? Ist das projektiv? Was man ja gleich vermuten könnte, das kann nicht sein. Das kann so nicht die Wirklichkeit sein. Aber es ist ganz gut belegt, dass offenbar die … ein wesentlicher Aspekt der tonalen Ordnung der abendländischen Musik im Sonnensystem verankert ist oder vorsichtiger gesagt, verankert zu sein scheint. Immerhin eine erstaunliche Tatsache. Sollte das tatsächlich so sein, dafür spricht einiges, dann hieße das ja, dass diese Tonalität in einem wesentlichen Aspekt, im Dreiklang, tatsächlich kosmisch verankert ist. Es gibt ja verschiedene Bemühungen, auch in letzter Zeit, auch ganz unabhängig von Kepler, unabhängig von Haase, unabhängig von Kaiser und anderen, die Abstände der Planeten, auch Planetenmonde, Saturringe harmonikal zu begründen, etwa mittels der Octave. Und da bin ich schon bei einem wesentlichen Punkt, der für die Pythagoräer wichtig war, der auch heute wichtig ist. Man kann zum Beispiel zeigen, dass die leeren Stellen der Saturn-Ringe genau der Oktave des Saturnmondes Mimas entsprechen. Das heißt, wären sie dort, würden sie genau die Aktivierung bedeuten. Das heißt, es sind in den Saturnringen genauso wie in den Abständen der Planeten Oktavierungen vorhanden. Oktavierung ist einfach eine Halbierung bzw. Verdoppelung. Also ein ganz einfacher, elementarer Prozess. Ich habe das ja vorhin schon angedeutet, dass man bei einem Monochord die Seite halbiert, und dann erklingt die jeweilige Oktave, und die Oktave selber ist ein absolutes Mysterium. Denn die Oktave als die Verdoppelung bzw. Halbierung galt den Pythagoräern, verschiedene Kulturen der Welt hindurch empfinden die Oktave als einen Ton, nicht als zwei verschiedene Töne. Haase hat zum Beispiel nachgewiesen, dass in tatsächlich allen Kulturen die Oktave gleich empfunden wird Und zwar, wenn man das ein Schritt weiterdenkt, was ich versucht habe in „Klang und Verwandlung“, da kommt man zu dem Ergebnis, dass die Oktave auf eine merkwürdige Weise die Identität und Nicht-Identität in einem verkörpert. Sie ist eigentlich eine Manifestation der Zweiheit in der Einheit oder der Einheit in der Zweiheit. Denn sie teilt eine Strecke, sie … die Oktavierung bedeutet Identität, das ist derselbe Ton und doch ein anderer. Und dieses Paradoxon hat noch niemand aufgelöst, es gibt keine Musik-Theoretiker oder Mathematiker, so weit ich das weiß, der wirklich begründen könnte – und zwar zirkelfrei begründen könnte, warum wir die Oktave als denselben Ton empfinden. Das muss in irgendeiner Form mit unserer Gehörsdisposition fundamental zusammenhängen. Und es ist verständlich, wenn man an dem Beispiel einmal dem Mysterium der Zahlenreihe nachgeht. Der 1, der 2 und 3. Nehmen wir mal diese drei ersten Zahlen. Ich habe ja beim letzten Mal schon von der Einheit der Welt gesprochen, ich habe Ihnen ja eine Vorstellung versucht zu vermitteln von der Unus Mundus. Die Einheit der Welt als die 1, die Zahl 1 ist immer oder häufig betrachtet worden als die Einheit schlechthin, als die Monas oder Monade, aus der letztlich alle anderen Zahlen geboren werden. Man kann sagen: Die 1 ist die Ur-Zahl. Das heißt der Archetypus der Zahl schlechthin. Und ein Symbol der Grundeinheit der Welt.

Und ich habe das letzte Mal auch ausgeführt, wenn man jetzt die Oktave heranzieht, den nächsten Schritt, die Zwei, dann hat man diese oktavierte Form, ein Beispiel, wie ich das sagte, von Identität und Nicht-Identität. Die alte Frage, die sich ja alle Einheitsmetaphysiker immer gestellt haben – ich habe das ja angedeutet: Wie kommt es, dass sich das Eine aufspaltet? Es gibt bei Laotse, glaube ich, das Wort im „Tao Te King“, wenn ich es richtig im Kopf habe, das Ureine wird zur Zwei, und aus der Zwei entsteht die Gesamtheit der Welt. Also die Zwei als die Entäußerung des Einen in das Andere. Wobei diese Einheit niemals verlassen wird. Die Grundfrage, wie das Eine in die Welt kommt, wie sich das Eine in die Vielheit spaltet wird, häufig so beantwortet, dass Eine, wie ich das letzte Mal genannt habe, eine Art Dialektik in der Gottheit selber, gibt, die Gottheit spaltet sich also in zwei Hälften quasi auf. Das finden sie in der jüdischen Kabbala, die weibliche Seite, die zweite Seite, die sich in der Welt manifestiert – und Aufgabe des Menschen sei es, diese beiden Hälften wieder zusammenzufügen. Diese Dualität im Sinne einer Polarität zu einer höheren Einheit zu verbinden. Also die Zwei als die Zweiheit in der Einheit, als die Aufspaltung, als ein Symbol der Dialektik in der Gottheit selber. Und so ist sie häufig gesehen worden.

Und dann ist natürlich naheliegend, die den dritten Schritt also, die Drei zu deuten als einen nächsten Schritt, der auf der einen Seite eine weitere Differenzierung bedeutet, aber auf der anderen Seite beide Pole in einer höheren Einheit verbindet. Sie finden das weltweit in fast allen spirituellen Systemen, dass man davon ausgeht, dass die Dreiheit, im Sinne der Triade, konstitutiv ist für den Menschen. Aber in gewisser Weise auch für die Welt als Ganzes. Beispiel etwa im tibetischen Buddhismus, also einer besonderen Form des Mayana-Buddhismus, da haben sie die Vorstellung der Trikaya-Lehre, Nirmanakaya, Sambhogakaye und Dharmakaya. Das Nirmanakaya ein Symbol für die physisch-sinnliche Welt. Die Sambhogakaya eine nächst höhere Stufe eine Art Zwischenwelt der Geistemanation, die in der Meditation wahrgenommen werden kann, und im Dharmakaya als einer höchsten Stufe die Einheit des Geistes. Also Dharmakaya ganz oben, wenn man es so nennen will, und Somboghakaya in der Mitte, und Nirmanakaya unten. Ähnliche Vorstellungen haben sie auch in der gesamten neuplatonischen Philosophie, etwa bei Plotin, wo diese Figuren ähnlich auftauchen, wo die Weltseele die Medialzone darstellt. Also die Weltseele entspricht in gewisser Weise dem Samboghakaya. Und die Dreiheit der Grundprinzipien, etwa auch in der hinduistischen Philosophie, Shiva, Brahma und Vishnu. Der entspricht auch eine Dreiheit der menschlichen Existenz.

Ich habe Johannes Heinrichs erwähnt, der das ja auch in seinem Buch „Ökologik“, wie ich finde, auf eine sehr überzeugende und intelligente Weise dargestellt hat, dass man die menschliche Wesenheit in der Grundstruktur als eine Dreiheit verstehen kann, was ja häufig geschieht doch als Leib (Körper), als Seele im Sinne von Selbst und als Geist, als medialem Logos. Und da gibt es immer auch Vorstellungen, die Qualität der Drei damit zu verbinden. Sie können das in ganz vielen magisch-mythischen Vorstellung auch sehen, dass eine Bekräftigung dreimal erfolgen muss, drei Mal raten, im Faust heißt es, du musst es dreimal sagen. Und dass diese Dreiheit tatsächlich nicht einfach eine Fiktion darstellt, wie man zunächst denken könnte, das ist beliebig, übrigens auch Plichta, wenn ich auf den nochmal kurz kommen darf, obwohl ich seine Thesen hier nicht darstellen möchte. Für Plichta spielt auch die Drei eine zentrale Rolle. Wenn nicht sogar die zentrale Rolle. Also die Drei als ein konstitutives Prinzip der Welt überhaupt.

Nun gibt es natürlich, hat es immer gegeben andere Zahlen. Als Weltkonstituenten z. B. die 4, sagen manche, sagen, die 4 ist ein Grundmoment der Wirklichkeit. Oder die 5 ebenfalls. Es gibt die Vorstellung der 7 als Welt konstituierende Zahl, etwa in der Theosophie, es gäbe sieben Grundprinzipien der Welt, auf denen letztlich das ganze Sein aufbaut. In all diesen Vorstellungen wird angenommen, dass die Qualitäten der Zahlen in die Tiefe der Welt führen beziehungsweise aus dem tiefen Grund der Welt hervorquellen, und dass der menschliche Geist die Fähigkeit hat, sich in diese Tiefenschicht hinein zu verlieren und aus dieser Tiefenschicht zu schöpfen. Nun, Plichta, um das mal an einem Beispiel zu zeigen … Plichtas Grundthese besteht darin, dass ganz plakativ gesagt, dass die sogenannten Primzahlen. 1, 2 und 3 sind ja auch Primzahlen, dass die sogenannten Primzahlen die eigentlichen Weltbauformen sind, in gewisser Weise die eigentlichen Grundprinzipien der Welt, nicht, Primzahlen sind Zahlen, die nur durch eins und durch sich selber zu teilen sind, und Eins, Zwei und Drei als die ersten Primzahlen das …. er baut ein Gebäude, wenn man so will auf der Drei auf. Er geht von der Dreiheit der Weltprinzipien aus, von den ersten drei Primzahlen.

Sie wissen, dass, wer ein bisschen Mathematik kennt, weiß, dass die Eins normalerweise nicht als Primzahl mitgerechnet wird. Die Zwei wiederum gilt als Primzahl, die Drei auch. Und dann kann man von dort aus, und das tut Plichta, diese Primzahlen auf einem Kreis anordnen, auf einem Kreis mit 23 bzw. 24 Grundeinheiten. Und die nächsten … der nächste Turnus von Primzahlen auf der nächsten Schale und so ein sich in die Unendlichkeit erstreckendes Abbild der so genannten Primzahlen. Die Mathematiker haben immer darüber spekuliert, ohne Ergebnis kann man sagen, was denn diese sogenannten Primzahlen sind. Es gibt eine große Literatur in der Mathematik über die Frage „Was sind Primzahlen?“.

Man muss aber grundsätzlich sagen, dass von der Mathematik selber aus keine Möglichkeit besteht eine … die Grundlage der Mathematik in einem axiomatischen Sinne zu beweisen. Letztlich hängt die Mathematik als Mathematik von ihren Grundlagen aus, von ihren Axiomen aus, in der Luft, lag sie, die Mathematik … vereinfacht gesagt, kann sie sich nicht selbst beweisen. Also ein wichtiger Punkt. Die Mathematik kann ihren, den Beweis ihrerselbst nicht führen. Plichta meint, dass es eine Primzahlenordnung in der Welt gibt und glaubt, die auch im Einzelnen nachgewiesen zu haben. Im Kern geht er von der Dreiheit aus, von der Triade, den Primzahlen 1, 2 und 3 und baut das Ganze von dort her auf.

Ich bin, als ich heute morgen mich mit der Frage dieser Vorlesung beschäftigt habe, ist mir ein Buch in die Hände gefallen, was ich seit einiger Zeit besitze, aber nie gründlich gelesen habe. Was ich mir aber denn doch mal im Hinblick auf diese Vorlesung angeguckt habe. Das habe ich einmal vor zwei Jahren erworben. Das Buch hat den Titel „Der Name Allah und die Zahl 66“. Das ist der Versuch von einem Moslem, die Zahl 66 als eine konstitutive Zahl für Allah zu verstehen. Es gibt eine umfassende Beweisführung von der Zahlensymbolik der arabischen Welt aus. Sie wissen, dass jedem arabischen … dem arabischen Alphabet bestimmte Zahlenwerte zugeordnet werden. Übrigens auch Plichta beschäftigt sich damit, mit der Rolle der Zahl 19 im Koran etwa. Und man kann dort auf eine, finde ich, sehr interessante aber doch weitgehend spekulative Weise zeigen, wie sich die Zahl 66 in der arabischen Welt immer wieder manifestiert und spiegelt. Dass das nur als ein Beispiel ist für eine, sagen wir mal, numerologische Betrachtungsweise.

Ich sprach aber von dem Bemühen, eine mögliche transmentale Zahlentheorie zu finden. Und ich meine, dass man zu diesem Zweck unbedingt die Musik braucht. Und das wollte ich auch in dem Titel andeuten. Dass man eigentlich über die Musik eine Möglichkeit hat, in das Mysterium der Zahlen reinzukommen. Über das Hören. Man kann ja Zahlen hören, und man kann über eine bestimmte Weise der gedanklich meditativen Arbeit mit Musik tatsächlich diese Zahlenordnung erschließen, von der ich vermute, dass sie konstitutiv ist für das Universum. Ich habe ja nur ein Beispiel genannt in Anlehnung an Haase und seine Kepler-Interpretation, dass der Dur Dreiklang möglicherweise im Sonnensystem selber verankert ist. Ich sage das mit aller Vorsicht. Aber es sprechen doch einige Indizien dafür.

Über die Musik, meine ich, gibt es eine Möglichkeit in die tiefen Schichten dieser Zahlenordnung einzudringen. Zum Beispiel über die Intervalle. Wenn man mal die Zahlenordnung der westlichen Musik sich anschaut, dann wird einem ja unschwer auffallen, dass ganz bestimmte Zahlen für diese Musik konstitutiv sind, unter anderem die Fünf, die Sieben und Zwölf. Nicht, fünf Oktaven entsprechen etwa zwölf Quinten – der sogenannte Quinten-Zirkel ist ein weiteres Beispiel. Das ist also eine klingende Zahlenwelt, in die man sich da hineinversenken kann. Und man kann auch die Qualitäten der Intervalle spüren. Man kann diesen Qualitäten der Intervalle tatsächlich nachgehen. Man kann da eine Fülle von faszinierenden Einsichten gewinnen zum Beispiel in dem Wechsel der großen Terz zur kleinen Terz. Man kann sehen, dass diese Verkleinerung der großen Terz zur kleinen Terz seelisch eine enorme Auswirkung hat, sofort schlagartig in die Tiefenschichten des Seelischen hineinreicht. Also über die Musik, meine ich, gibt es eine Möglichkeit, in diese Zahlenordnung hineinzukommen.

Ich meine nicht gegen Plichta und alle Zahlentheoretiker dieser Richtung, dass man das über die Zahlentheorie kann. Natürlich gibt es die Möglichkeit, hat es immer gegeben, und Pflichta liefert einen bestimmt hochintelligentes Beispiel dafür, was man damit machen kann, die Zahl in verschiedenster Form anzuordnen. Man kann ja etwa die Abfolge der positiven ganzen Zahlen auf die vielfältigste Weise ordnen. Man kann sie nebeneinander ordnen, hat alle im Prinzip in einer Reihe. Man kann Dreiergruppen etwa abtrennen. Also Triaden jeweils. Man kann natürlich diese Neunergruppe oder auch Zehnergruppe jetzt als Kreis anordnen. Man kann sie als Quadrat anordnen. Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten. Man kann Quersummen errechnen. Man kann alles Mögliche machen. Die Mathematik ist voll von solchen Erwägungen. Ich meine aber nicht, dass man in der Lage ist, über die Zahlentheorie in dieser Form in das Mysterium der Zahl einzudringen. Ich glaube, mein Verdacht ist, und der ist auch durch Plichta und andere nicht widerlegt worden, dass man über diese Zahlentheorie letztlich in der mentalen Ebene stecken bleibt. Man kommt aus einem gewissen Zirkelhaften der Zuordnung nicht raus. Ich meine nicht, dass das eine Möglichkeit ist, wenn man die Zahlen nicht auch als lebendige Entitäten begreift, über den Klang, meine ich, wird es nicht gehen. Und das heißt nicht, dass nicht auch Zahlentheorie hochinteressant ist, faszinierend. Es ist interessant. Es ist faszinierend. Die Zuordnungen vorzunehmen. Aber die Zahlentheorie, glaube ich, würde es nicht bringen, ganz zu schweigen davon, dass man ja in die Tiefenschichten der Welt nur hineinkommen kann, wenn man sich auf eine Weise der Welt nähert, die eine Einheit ist, von Gedanklichem und Meditativem. Nicht nur gedanklich und nicht nur meditativ. Aber beides zugleich.

Ich meine ja, und habe das ja immer wieder auch gesagt. Auch in dem Buch „Klang und Verwandlung“, dass ich der Überzeugung bin, dass die Musik, die große sogenannte klassische Musik, genau diese Einheit verkörpert, dass sie Klang gewordene Erkenntnis ist, dass in diesem Sinne wahr ist, dass über die Musik sich die Tiefenstrukturen der Welt tatsächlich erschließen. Und als eine Einheit von Meditation und Gedankenarbeit. Beides zusammen. Und das ist eine Aufgabe, der man sich stellen könnte. Wie ich meine. Und ich sehe darin einen möglichen Weg sich dieser Tiefenordnung zu nähern. Also die Einheit von Meditation und Gedankenarbeit über die Musik.

Ich denke, ich habe aber ihnen erst einmal in ganz knapper Form das Thema sozusagen, den thematischen Horizont, ein bisschen aufgemacht. Ich will abschließend, bevor wir ins Gespräch kommen und wir dann vielleicht doch Einzelheiten herausgreifen können oder Anregungen ihrerseits, nochmal die Grundfrage berühren – die nach der Wirklichkeit der Zahlen. Das ist ja letztlich der entscheidende Punkt. Sind diese Zahlen eine bloße Abstraktion? Oder sind diese Zahlen in der Wirklichkeit verankert. Also ich frage letztlich nach dem ontologischen Status der Zahlen selber. Und die Frage muss bis zu einer gewissen Grenze offenbleiben, aber es spricht einiges dafür, mit aller Vorsicht gesagt, dass tatsächlich die positiven ganzen Zahlen als sogenannte natürliche Zahlen wirklich Weltkonstituenten sind, dass sie tatsächlich Weltprinzipien sind, die das Universum bestimmen, dass es nicht nur Abstraktionen sind. Sie kennen vielleicht das berühmte Wort des Mathematikers Kronecker, Gott habe die ganzen Zahlen geschaffen als die eigentlichen Wirklichkeiten. Das ist natürlich auch eine interessante Frage, wenn man sich die Frage jetzt überlegt, was Naturgesetze sind, wie weit Naturgesetze auch Zahlengesetze sind. Sind es nur Bilder? Abstrakte Bilder für unverstandene Vorgänge? Oder sind das tatsächlich konstituierende Prinzipien?

Also ich vertrete vollkommen einschränkunglos ohne Relativierung, um das nochmal klar zu sagen, die These, dass die positiven, die sogenannten natürlichen ganzen Zahlen gleichsam Säulen der Welt sind, dass auf ihnen die Grundordnung der Welt beruht und dass auf eine noch unverstandene Weise die Musik, die große Musik, auch diese Ordnung widerspiegelt. Das ist eine Bewusstseinsaufgabe, die noch ungelöst ist. Wie überhaupt, das muss man einfach sagen, ehrlicherweise, diese Fragen ungelöst sind. Ich kenne niemanden, und ich habe wahrlich eine Menge darüber gelesen und gearbeitet, ich kenne niemanden, der bisher in der Lage gewesen wäre, diesen Zusammenhang wirklich zirkelfrei, zweifelsfrei plausibel zu machen. Es bleiben immer Fragen, es bleiben immer Rätsel. Es bleiben immer Unzulänglichkeiten, und man kann fast resignieren, weil man dahin kommen könnte, das geht nicht. Das ist nicht möglich. Wir können das nicht leisten. Aber ich meine doch, dass die Möglichkeit besteht. Ich meine tatsächlich, dass man es machen kann. Ich meine, man muss da wahrlich nicht jetzt, was ja einige tun, die Quantenphysik heranziehen, da ist es ja auch so, dass die positiven ganzen Zahlen konstituierend sind, etwa für die Anordnung der Elektronenschalen, was man in jedem Physik-Lehrbuch nachlesen kann. Das wird hier einfach hingenommen und wird nicht weiter abgeleitet und begründet. Aber auch da scheint es ja so zu sein, dass diese ganzen Zahlen die Mikrowelt konstituieren und dass wir sie verstehen können. Weil auch der Geist etwas davon enthält.

Insofern hätte ja dann Kepler auch wieder Recht, auf eine andere Weise vielleicht, als er das vermutet hat, dass die „Welt Gottes in ihrer ganzen materiellen Welt die Gesetze Zahlen und Beziehungen von besonderer Feinheit und schönen gefügte Ordnung jene Gesetze sind dem menschlichen Geist erfassbar. Denn was gibt es im menschlichen Geist außer Zahlen und Größen“. Das muss man ja nicht rein quantitativ verstehen, sondern kann es qualitativ verstehen: Was gibt es im menschlichen Geist außer Klang, außer Musik oder Klangordnung? Die menschliche Seele mag auf eine noch unverstandene Weise tatsächlich auch musikalisch strukturiert sein, und da wäre dann der Zusammenhang. Aber ich sage es nochmal mit aller Zurückhaltung: Bis zum heutigen Moment kann ich noch nicht sehen, dass das jemand wirklich auf eine zweifelsfreie Weise gelungen wäre, vielleicht könnte man resignierend sagen, geht es auch nicht. Vielleicht ist es nicht zu leisten. Aber ich halte es doch für eine ganz lohnende Bewusstseinsaufgabe und für einen möglichen Weg, diese kollektive Neurose zu überwinden. Denn wenn es wirklich so ist, dass diese Welt klanglich zahlenmäßig gebaut ist – und unser Geist bis zu einem gewissen Grade auch meditativ gedanklich nachvollziehen kann – dann wäre das ja ein Weg tatsächlich zur Wirklichkeit. Dann wäre es ein echter, ein begehbarer Weg. In die Welt selbst in ihrer Wirklichkeit. Dann hätte man vielleicht auf diese Weise die Möglichkeit, die Projektionen zu überschreiten. Dann wäre das etwas zutiefst Projektives. Das muss aber doch mit einer gewissen Zurückhaltung angedeutet werden (, um nicht kurzschlüssigen … ).


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Die Einheit der Welt – Wo gelten die Naturgesetze?

Vorlesungsreihe:

Das lebende Buch der Natur!, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 8

Transkript als PDF:


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Ich glaube, dass das Verhältnis von Naturwissenschaft, Naturphilosophie und Spiritualität eines der ganz großen, der wirklich essenziellen Themen unserer Zeit darstellt; es ist also kein Randthema, eine mehr oder weniger müßige oder intellektuelle oder nur in der New-Age-Bewegung zu verortende Angelegenheit, sondern ein Menschheitsthema. Ich habe auch schon vor drei Wochen einige Elemente genannt, warum ich glaube, dass es wirklich ein Menschheitsthema ist. Das kann nicht sein auf Dauer, dass ein Riss quasi durch den menschlichen Geist geht, also menschheitlich global gesehen: auf der einen Seite die wissenschaftlich-technische Grundhaltung, auf der anderen Seite eine wie immer beschaffene Spiritualität, jetzt mal in einem ganz weit gefassten Sinne.

Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich vor 14 Tagen den Versuch gemacht hatte, Ihnen zu zeigen, dass man Spiritualität in zweierlei Hinsicht verstehen kann. Ich darf das ganz kurz noch einmal in Erinnerung rufen: Man kann sagen, das ist verschiedentlich auch gesagt worden, Spiritualität sei in gewisser Weise die höchste Stufe des menschlichen Geistes überhaupt. Dann gäbe es ja im Grunde genommen gar keinen substantiellen oder irgendwie beunruhigenden Konflikt zwischen Spiritualität und Wissenschaft. Dann könnte man ja sagen, gut, Spiritualität ist sozusagen die oberste Stufe in der geistigen Hierarchie, und andere Stufen, vollkommen legitim und in sich konsistent, haben ihr Recht, können ihr Recht haben, wenn man das Ganze als eine große Holarchie oder Hierarchie betrachtet.

Und dann kann man aber auch sagen, und das ist auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gesagt worden, dass Spiritualität eine Entwicklungslinie der menschlichen Wesenheit ist, neben anderen. Es gibt zum Beispiel eine moralische Entwicklung, eine geistig-seelische, eine spirituelle Entwicklung, eine soziale Entwicklung, wie immer. Dann könnte man dahin kommen, dass es eine solche Entwicklungslinie ist. Dann müsste man für diese Entwicklungslinie genauso wie für andere Entwicklungslinien, oder man könnte für diese Entwicklungslinie wie für andere Entwicklungslinien ebenfalls ein Stufensystem aufbauen. Also noch einmal vereinfacht gesagt, eine sehr hohe Stufe, auf der anderen Seite eine Eigenart, eine Grundeigenart, wenn man will, eine Fakultät des Menschen, die genauso Stufen durchläuft, die genauso einen Stufenbau durchläuft wie andere Entwicklungslinien auch. Beides muss sich nicht ausschließen, aber es ist wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, dass es zunächst einmal zwei ganz verschiedene Ansätze sind.

Das letzte Buch, das sich mit dem Thema beschäftigt, das hier ja zentrales Thema in dieser Vorlesung ist, nämlich Naturwissenschaft, Spiritualität, ist das Buch von Ken Wilber „Naturwissenschaft und Religion“. Er gibt hier am Beginn fünf Möglichkeiten an, wie man dieses Verhältnis Naturwissenschaft-Spiritualität denken kann bzw. wie es faktisch gedacht und praktiziert und gelebt wird und lehnt alle fünf Versuche, eine Beziehung zu finden, zu praktizieren, ab. Ich nenne das nur mal ganz kurz, weil das tatsächlich fünf Kategorien sind. Erstens, Seite 32 „Naturwissenschaft und Religion“: “Naturwissenschaft bestreitet der Religion jegliche Gültigkeit.” Also jetzt mal ganz extrem gesagt, das ist die übliche empirische und positivistische Haltung, die in zahlreichen Verkleidungen zur vorherrschenden offiziellen Grundstimmung der Moderne wurde; bekanntes Phänomen, muss ich im Einzelnen nicht erläutern, also der radikale Reduktionismus, der letztlich großzügig konstatiert: Es mag so etwas geben wie Religion, Spiritualität, das soll auch kulturell seinen Wert haben, das ist sozial wichtig, das ist psychologisch wichtig, das darf alles sein, aber in irgendeiner Form ein verbindlicher Anspruch im Sinne eines eigenen Weltzugangs wird abgestritten. Das ist die eine These.

Die nächste These betrifft das diametrale Gegenteil, Stichwort Fundamentalismus, uns allen ja bekannt. Also eine fundamentalistisch orientierte Religiosität streitet ihrerseits der Naturwissenschaft jegliche Gültigkeit ab, verwendet sie zwar und wie sie glaubt auch mit einigem Recht, aber in der Tiefe wird nicht anerkannt, wird nicht akzeptiert, was diese rational bestimmte Wissenschaftlichkeit überhaupt ausmacht. Man bedient sich ihrer Ausläufer, Computer, was immer, aber man akzeptiert nicht und kann auch nicht in der Tiefe akzeptieren und will auch nicht akzeptieren, dass damit eine ganz bestimmte Haltung zur Welt überhaupt verbunden ist. Man lehnt das im Sinne eines verschärften Kulturkampfes radikal ab. Das wäre die andere Gegenposition.

Also hier eine Art Imperialismus, kann man sagen, die reduktionistische Naturwissenschaft, hier eine Art Gegenreaktion, wenn man es denn so nennen will, einer fundamentalistischen Religiosität gegen Naturwissenschaft überhaupt und ihre technischen Ausläufer.

Eine dritte Möglichkeit, die relativ subtil ist und die auch viele Anhänger hat, ist von Wilber so bezeichnet worden. Dritte Möglichkeit, dieses Verhältnis zu konstellieren: „Naturwissenschaft ist nur einer von verschiedenen gültigen Erkenntnismodi und kann daher grundsätzlich mit spirituellen Modi koexistieren.“ Das habe ich ja schon angedeutet. Also man gesteht mit einer gewissen Großzügigkeit zu: Es gibt beides, das kann nebeneinander bestehen, das kann auch im Sinne einer Hierarchie aufgefasst werden. Und das würde, wenn man das in der Tiefe akzeptierte, gar keinen Konflikt bedeuten. Wilber wendet mit einigem Recht ein, dass die Moderne, sagen wir mal seit der Renaissance, dies im sogenannten Mainstream immer abgelehnt hat. Das war geradezu der Hauptantrieb, der Grundimpetus der Moderne, das nicht zu akzeptieren. Das hat ja die ganzen ungeheuren Konflikte heraufbeschworen in der Renaissance zwischen der aufkommenden mathematisch-technischen Naturwissenschaft, der Naturwissenschaft überhaupt in dieser neuzeitlichen Form und den etablierten Formen einer letztlich imperial-mythisch organisierten Religiosität in den großen Kirchen. Also, diese Toleranz hat nicht existiert, konnte auch nicht existieren. Das ganze Projekt der Moderne widerspricht dem.

Der vierte Aspekt, der der im Moment mit Abstand populärste ist, kann man so beschreiben, Wilber nennt das: Die Wissenschaft hat Plausibilitätsargumente für die Existenz des Geistes, auf eine kurze Formel gebracht: Wenn man Naturwissenschaft wirklich differenziert, ganzheitlich, holistisch betreibt, dann kommt man mehr oder weniger von selbst auf einen ganzheitlichen Zusammenhang der Welt, der dann auch spirituell ist. Das ist ja eine bekannte Grundhaltung, der letztlich auch Newton angehangen hat, wie ich dargestellt habe. Newton war ja auch der Auffassung, wenn man die Natur nur richtig versteht, das hieß für ihn, sie ganzheitlich, holistisch versteht, dann gelangt man mehr oder weniger von selbst zu einem spirituellen Weltverständnis, ja dann beweist man Gott, soweit geht ja Newton. Er sagt, die Naturwissenschaft ist letztlich ein Unternehmen, das Gott beweist. Das haben seine Nachfolger dann gestrichen. Aber in den „Principia“ von Newton wird das ganz deutlich: Naturwissenschaft als Gottesbeweis. Das ist ja im Grunde genommen der berühmte, schon im Mittelalter vertretene Gottesbeweis. Die Welt ist so zweckmäßig organisiert, also muss es jemanden geben, der sie so zweckmäßig gebaut hat. Und dieses kann nur ein transzendentes Wesen sein. Der berühmte von Kant scharf attackierte sogenannte Gottesbeweis.

Die fünfte und letzte Grundkonstellation, die Wilber hier nennt, bezeichnet er wie folgt: „Wissenschaft selbst ist keine Welterkenntnis, sondern nur Interpretation der Welt und besitzt daher denselben Geltungswert, nicht mehr und nicht weniger wie Kunst und Literatur.“ Das ist, mal vereinfacht gesagt, der postmoderne Gesichtspunkt, wenn man mal dieses Wort mit einiger Relativierung verwenden darf, also kurze Formel für die Postmoderne, den postmodernen Ansatz, den kann man bei Nietzsche orten, wenn man das möchte, Foucault, Jacque Derrida und viele andere im 20. Jahrhundert.

Also der postmoderne Ansatz sagt: Es gibt praktisch nur Interpretationen der Welt. Die Naturwissenschaft ist eine Interpretation neben anderen Interpretationen. Sie hat genauso viel oder wenig Gültigkeit wie Lyrik oder wie Literatur überhaupt oder wie Kunst oder wie eben auch Religion. Dann würde man der Brisanz dieses Widerspruchs ja aus dem Wege gehen. Das ist eine sehr verbreitete Auffassung. Man kann sagen, dass heute auch unter vielen Intellektuellen eine Mischung vorherrscht der dritten und der fünften Konstellation. Also auf der einen Seite wird gesagt, na ja, es ist nur eine mögliche Interpretation, neben anderen Interpretationen. Und die dritte Version besteht darin, dass man sagt: Spiritualität und Wissenschaft können mehr oder weniger nebeneinander existieren. Es gibt vielleicht eine große Hierarchie, aber letztendlich muss es zu keinem Konflikt kommen. Das ist kurzschlüssig, denn den Konflikt gibt es, der bricht immer wieder auf, und alle Versuche, hier eine Versöhnung zu praktizieren, sind bislang, das muss man ganz klar und deutlich sagen, gescheitert.

Es gibt keinen, soweit ich das richtig sehen kann, keinen wirklich gelungenen Versuch bisher, diese beiden Grund-Fakultäten des menschlichen Geistes so zusammenzuführen, dass eine Art Versöhnung stattfindet, in dem Sinne, dass nicht eine von beiden Seiten das, was ihr wesentlich ist, dabei aufgeben muss; das ist wichtig. Natürlich gibt es Annäherungsformen. Es gibt Naturwissenschaftler, die spirituelle oder religiöse Menschen sind. Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass in einzelnen Forschern natürlich eine Personalunion existiert zwischen einem technisch-rationalen Naturwissenschaftler und einem spirituellen Menschen. Es gibt ja genügend Beispiele im 20. Jahrhundert; Carl Friedrich von Weizsäcker ist eines von vielen Beispielen. Aber das ist keine wirkliche Zusammenführung, keine wirkliche Versöhnung. Aber dass das ein Thema ist, kann man deutlich verfolgen. Dass etwa in der modernen Kosmologie diese Fragen ständig gestellt werden und die Kosmologie immer mehr einer Kosmo-Theologie zu gleichen beginnt. Also diese Fragen werden ständig gestellt. Sie werden auch zum Teil beantwortet, ich meine unzulänglich, aber das Thema ist da.

Also, ich sage es noch mal, es ist also kein Randthema, kein Thema, über das man hinweggehen könnte, weil es andere, wichtigere Themen gäbe. Es gibt andere, gleich wichtige Themen, aber das ist eines der wichtigsten Themen.

Nun habe ich mir vorgenommen für heute Abend, dass ich einen Versuch mache, mal diese schwierige Wechselwirkung am Beispiel der Einheit zu zeigen, am Begriff, an der Konzeption, an dem Gedanken, an der Intuition, wie immer, der Einheit. Nun ist diese Einheit, und das ist zunächst schon im ersten Ansatz verblüffend und wird häufig nicht genug bedacht, für beide Grundrichtungen nicht nur essenziell, sondern geradezu konstitutiv. Das heißt, Naturwissenschaft kann gar nicht betrieben werden sinnvollerweise, wenn man nicht bis zu einem gewissen Grade von der Einheit der Welt, von der Einheit der Natur ausgeht. Ich will das im Einzelnen erläutern, und die großen spirituellen Ansätze, die es gibt, gehen alle, wenn auch auf eine ganz andere Weise, immer davon aus, dass die Welt in der Tiefe eine Einheit ist.

Insofern, wenn man einen etwas plakativen Begriff nehmen will, kann man sagen, dass beide eine starke monistische Tendenz haben. Die Naturwissenschaft ist, auch ohne dass man den Begriff immer heranziehen müsste, wie das Haeckel und andere getan haben, eine stark monistisch orientierte Disziplin. Sie sucht letztlich nach einem Einheitsprinzip, vielleicht nach DEM Einheitsprinzip überhaupt, nach der Urkraft des Universums, von mir aus, wie das Paul Davies mal formuliert hat, oder nach einer formelhaften Verdichtung aller komplexen Phänomene der Welt, Stichwort Weltformel, also in mathematischer Gestalt. Das ist das eine. Und es ist ja nie ganz aufgegeben worden.

Der von mir vorhin erwähnte Carl Friedrich von Weizsäcker gehört zu denjenigen, der nur ganz fern den Bemühungen um eine Weltformel steht, aber trotzdem sich das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, die Einheit der Physik als Einheit der Welt zu beweisen. Eine ehrgeizige Aufgabe, die er bisher nicht erfüllt hat, wahrscheinlich auch nicht mehr erfüllen wird. Aber er hält es für eine seiner großen Lebensaufgaben, das zu realisieren. Übrigens auch, neben der Erfüllung des Denkansatzes, dass die Einheit der Physik auch die Einheit der Welt ist, die Verbindung zum Religiösen. Also Weizsäcker, bekanntermaßen ein tief religiöser Mensch, versteht sich als Christ und versucht ja auch da eine Zusammenführung.

Also, es geht um den Grundimpuls der Einheit. Wieso soll die Welt denn eine Einheit sein? Und was ist überhaupt gemeint? Ich will das zunächst einmal ganz vereinfacht Ihnen versuchen zu zeigen, was überhaupt gemeint ist.

Zunächst mal ein Blick auf Asien, die großen spirituellen Weltsysteme des asiatischen Geistes, sagen wir die Vedanta-Philosophie in den Upanishaden, sagen wir auch der Mahayana-Buddhismus, sind beide auf eine ganz ähnliche Weise von dem Gedanken durchdrungen, dass die Welt in der Tiefe eine Einheit ist, obwohl sie sich auf der Oberfläche ungeheuer differenziert, komplex, undurchschaubar, vielfältig manifestiert und zeigt. Warum? Wie ist das zu erklären? In den ältesten Texten der indischen Philosophie oder Religiosität, was das Gleiche ist erst einmal, wird der Gedanke immer wieder ventiliert, dass die Einheit der Welt als Brahman bezeichnet, letztlich, in der Tiefe die gesamte phänomenale Welt nicht nur konstituiert, sondern auch zusammenhält; das heißt ihr ihre Gesetzlichkeit, ihre Eigenständigkeit überhaupt gibt, aber dass die Vielfältigkeit, dass die Vielheit im Letzten nur eine Täuschung ist, das ist ein wichtiger Punkt.

In der asiatischen Philosophie, mit gewissen Zwischenstationen, Zwischenstufen bis heute, wird häufig als Grundprämisse angenommen, dass die Vielheit der Welt, die undurchschaubare Vielheit der Phänomene, im Letzten auf Schein beruht, dass im Grunde die Welt eine Einheit ist, also jetzt in dem berühmten Bild des Ozeans, dass also die Wellen sich als separat fühlen, empfinden, wahrnehmen, aber im Grunde genommen nur Teile des Ozeans sind, aber quasi vergessen haben, dass sie mit diesem Ozean im Grunde und in der Tiefe identisch sind. Das ist der Ansatz, die ganze östliche Philosophie wird davon geprägt, am stärksten in den Veden und Upanishaden.

Dazu mal einige zentrale Sätze von dem bedeutenden Sanskrit-Forscher Hans Wolfgang Schumann in seinem Buch „Die großen Götter Indiens“. Er stellt diesen Punkt sehr eingehend dar. Er zitiert aus den Veden, mal einige Sätze: „Fürwahr dieses Eine – Sanskrit Ekam vaidam – hat sich zum All (sarvam) entfaltet. Das Eine (ekam) beherrscht alles, was sich regt und was feststeht, was geht und was fliegt, das Verschiedenartige, das verschieden Geborene, dieses Brahman ist das Höchste, denn es gibt nichts Höheres fürwahr. Zu Anfang war dieses All das Brahman. Es erschuf die Götter. Wahrlich, dieses ganze All ist Brahman“.

Also Brahman ist nicht nur der Ursprung der Welt. Brahma ist kein Welt-Schöpfer im Sinne jüdisch-christlicher Religiosität. Er steht nicht als Ursprung am Anfang der Welt, weil es gibt diesen Anfang nicht: „Wahrlich dieses ganze All ist Brahman, dieses Brahman ist meine Seele im Innern des Herzens, die winziger ist als ein Reiskorn, ein Gerstenkorn oder ein Senfsamen. Dieses Brahman ist meine Seele im Innern des Herzens, die größer ist als die Erde, größer als der Luftraum, größer als der Himmel, größer als diese Welten, diese meine Seele im Innern des Herzens, sie ist das Brahman. In ihm werde ich, wenn ich von hinnen scheide, aufgehen.“

Hans Wolfgang Schumann identifiziert den Begriff des Brahman mit der Weltseele. Ich will über die Weltseele noch mal extra sprechen. Ich halte das nicht für sehr glücklich. Aber man kann es machen, man kann. Er macht es in verschiedenen seiner Bücher in den letzten Jahren immer wieder. Er sagt, Brahman, also was in den Veden als Brahman erscheint, ist im Grunde das, was die abendländische Philosophie seit dem Platonismus als Weltseele bezeichnet hat, weil die Einzelseele, die einzelne Individualität, das individuierte Selbst sich in der Tiefe als identisch empfindet mit Brahma, also Atman, die Einzelseele, wird als identisch gesetzt mit Brahman. Das ist überhaupt die Pointe, wenn man das etwas vielleicht flapsig formulieren möchte, die Pointe des ganzen Ansatzes, dass der einzelne Mensch kraft spiritueller Arbeit die Möglichkeit hat, sich daran zu erinnern, dass er eigentlich das Ganze ist, also im Grunde ein, wenn man das so nennen will, ein Prozess der Selbsterinnerung dieses absoluten Wesens, was sich in die Welt verstrickt hat und was wieder zu sich selber kommt.

Natürlich die Frage, die immer gestellt wurde in dem Zusammenhang und die die Traditionen natürlich dann auch verschieden beantwortet haben: Wie kommt es, dass ein absolutes Wesen, ein göttliches Wesen, sich überhaupt in die Vielheit der Phänomene zersplittert hat? Was ist passiert? Das wird dann in diesen Traditionen immer anders, aber doch in der Grundrichtung ähnlich beantwortet. Kurz gesagt wird die Vermutung ausgesprochen, es habe sozusagen eine Selbstentfernung, eine Spaltung im Absoluten gegeben. Das erinnert ja an Hegel. Also, sozusagen die Gottheit selber ist in sich dialektisch, wenn man es so nennen will und entfaltet sich quasi als Welt in diesem langen Weltprozess, um dann auf einer höheren Stufe wieder zu sich selber zurückzufinden.

Vorstellungen dieser Art gibt es auch in der jüdischen Kabbala zum Beispiel, dass die Welt also einen Riss enthält und dass die Aufgabe des Menschen sei, diesen Riss zu schließen als Partner der Gottheit. Also sehr weitreichende Gedanken, die dann in der lurianischen Kabbala etwa im 16. Jahrhundert verbreitet werden. Also, ein wesentlicher Punkt hier ist: Der Einzelne soll, müsste, könnte auch erkennen, dass er in der Tiefe identisch ist mit Brahman, also Atman ist Brahman.

Nun, dass ist die eine Strömung; die zweite, die sich bis heute durchzieht, in der ganzen Advaita-Lehre, auch bei den großen indischen Lehrern des 20. Jahrhunderts wie Sri Aurobindo, Maharshi und anderen, die alle mehr oder weniger von dieser Richtung ausgehen, von der Advaita-Lehre der All-Einsheit der Welt. Also nicht, dass die Vielheit, die bunte Phänomenalität geleugnet wird, sondern man sagt, in der Tiefe ist diese Welt eine Einheit, in der Tiefe ist die Welt durchdrungen von dieser Einheit, und diese Einheit, wie auch dann gesagt wird, und das kann man ja schon, wenn man das möchte, naturphilosophisch interpretieren, ist Licht. Es gibt ein Ur-Licht, ein Grund-, ein primordiales Licht, was sich in die Welt hinein entlässt und als Welt vervielfältigt. Das finden sie in fast allen Texten dieser Art, ganz stark in den Veden, Upanishaden, in der Vedanta-Philosophie, dass diese Einheit des Brahman letztlich als Licht gesehen wird, als absolutes Licht, als primordiales Licht, als Ur-Licht, wie immer, auf jeden Fall als ein Licht, was auch in spirituellen Erfahrungen dann geschaut werden kann.

Die zweite Strömung, die auf eine ganz andere Weise in Asien diese Einheit favorisiert, in Indien heute weitgehend verdrängt, aber doch aus Indien stammend, ist der sogenannte Mahayana-Buddhismus, der auf eine vollkommen andere Weise versucht, diese Einheit als Leere zu begreifen, mit Doppel-e, shunyata als Leere, als “die Nicht-Dingheit”. Ein schwieriger Begriff, der westliche Interpreten immer beunruhigt hat. Es hat immer wieder Versuche gegeben, zu verstehen: Was ist das überhaupt, wenn die Mahayana-Buddhisten von der Leere sprechen, der Leerheit – shyúnyata – der Welt, der Nicht-Dinglichkeit, der Nicht-Substanzialität der Welt? Damit ist gemeint, dass es ein letztes Etwas gibt, häufig genug auch als Bewusstsein vorgestellt, dann wird es als Einheitsbewusstsein bezeichnet, das der Mensch dann in der Erleuchtung erfährt; und da berühren sich diese beiden Strömungen. Hans Wolfgang Schumann gehört zu den Interpreten, die die These vertreten, die umstritten ist, aber immerhin möglich, dass der Buddha wesentliche Konzepte aus der Philosophie des Vedanta übernommen hat, ihnen nur einen anderen Impuls hinzugefügt hat. Also, Schumann ist der Meinung, dass eigentlich fast alle wesentlichen Gedanken des Buddha im Grunde aus der upanischadischen Tradition stammen, gegen die ja Buddha scharf polemisiert. Die hält er ja eigentlich für Unfug. Es gibt ja mehrere Äußerungen darüber, dass das also eine Irrlehre sei, eine Lehre letztlich für Narren.

Diese scharfe Polemik sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass gleichwohl Buddha stark davon beeinflusst ist. Also praktisch kann man dann sagen, wenn man das dann so zusammenbringen möchte, mit aller Vorsicht, dass also auf der einen Seite der Begriff des Brahman, auf der anderen Seite der Begriff der Leere dann zusammengeführt werden. Natürlich ist im Sinne der Advaita-Philosophie und der Upanishaden Brahma nicht die Leere, das ist etwas anderes. Also schwierig, diese Begriffe in gewisser Weise fast identisch zu setzen. Denn die buddhistische Leerheit als nicht Substantialität ist ja kein göttliches Wesen, und Brahman gilt als göttliches Wesen, nicht übrigens zu verwechseln mit dem Gott Brahma im Hinduismus, das ist nicht identisch.

Also, Brahman als das Grund- und Ur-Prinzip der Welt. Also es ist schon in gewisser Weise verwegen, das gleichzusetzen oder das in allzu große Nähe zueinander zu bringen. Aber es gibt auf jeden Fall den Zusammenhang. Also Hans Wolfgang Schumann, der diese These vertritt, begründet sie eigentlich auch, finde ich, recht intelligent. Er zeigt, dass die buddhistische Vorstellung der Leerheit der Welt sich zunehmend im Mahayana-Buddhismus annähert einer Vorstellung des Absoluten, was sie ursprünglich nicht war. Also in dem traditionellen, wenn man so will, dem Ur-Buddhismus ist Leere einfach die Nicht-Dinglichkeit, die Nicht-Selbstheit, das ständige fluktuierende Anderssein im Fluss der Phänomene, wo überhaupt gar kein Punkt ist, kein Haltepunkt, also der ständige Fluss der Phänomene, der überhaupt keinen Haltepunkt kennt. Und insofern ist da nichts Substanzielles, sondern alle Daseins-Augenblicke bewegen sich in rasender Geschwindigkeit, sie fluktuieren, sie wechseln ständig. Heute ist es anders als gestern, und morgen wird es wieder anders sein. Also dieser Grundgedanke des unaufhörlichen Sich-Verschiebens der Grund-Koordinaten.

Aber es bleibt ja doch hinter aller Fluktuation ein Etwas, was angestrebt wird. Und das ist ja der große Punkt, dann auch scholastische Punkt, kann man sagen. Es hat endlose Diskussionen im Buddhismus darüber gegeben. Was geschieht dann mit dem Erleuchteten wenn er also hier angekommen ist? Verschwindet er, löst er sich auf? Ist es dann doch der Tropfen im Ozean, wie das im Brahman vorgestellt wird? Und was ist denn diese Art Absolutheit? Was bedeutet das überhaupt? Und wie kann das zusammengehen mit der Vorstellung der Einzelheit? Schwierige Fragen, die wahrscheinlich intellektuell- philosophisch überhaupt nicht zu klären sind. Es gibt jedenfalls eine riesige, verwirrende Literatur auch in Asien darüber, so hat der Mahayana-Buddhismus Tausende von Schriften produziert zu dieser Frage der shunyata, was ist denn eigentlich die Leere? Und sie wird immer noch neu interpretiert bis heute.

Auf jeden Fall finde ich es interessant, wie Schumann das hier macht, die beiden Konzepte zusammenzubringen und in eine ganz enge Parallelität zueinander zu rücken. Ich meine, dass das legitim ist. Insofern kann ich mich der These bis zu einem gewissen Grade anschließen. Wahrscheinlich ist ein innerer Zusammenhang, wahrscheinlich, ganz vorsichtig gesagt, lässt sich das aus bestimmten Tiefenerfahrungen [heraus] gar nicht mehr unterscheiden. Und letztlich sind es derartige Tiefenerfahrungen, die dem Ganzen den Grundimpetus verschafft haben und weniger oder erst sekundär Schriften, die tradiert worden sind. Das also in einer ganz knappen Form, erstmal sehr vereinfacht, sehr plakativ, zu dieser Einheits-Vorstellung im asiatischen Denken.

Beide Vorstellungen gibt es heute noch als Einheits-Vorstellung, und es ist natürlich naheliegend, allzu naheliegend kann man sagen, so dass es schon fast nicht wahr sein kann, sag ich mal, wenn man jetzt diese Leere im Sinn der Nicht-Dinglichkeit nun zusammenbringt mit der Vorstellung der Nicht-Substantialität in bestimmten Vorstellungen der Quantentheorie, was ja sehr naheliegend ist. Die Nicht-Dinglichkeit ist ja ein Axiom in der Quantentheorie was den Mikrobereich anbelangt. Insofern ist es ganz naheliegend erstmal zu sagen: Warum sollte er nicht im Grunde genommen das gleiche sein? Die berühmte These von Capra in der Mitte der 70er Jahre sagt: Im Grunde genommen ist es das Gleiche.

Die Wissenschaft ist dahin gekommen in einem langen, mühsamen Prozess, ist sie dort angekommen, siehe der Hase und der Igel, kann man sagen, wo die östliche Spiritualität sich schon immer aufgehalten hat. Mittlerweile ist er [Capra] selbst von dieser These abgerückt, und sie hat aber ungeheure Auswirkungen bis in die New Age-Bewegung hinein. Viele halten sie irgendwie für ganz selbstverständlich, und in vielen Büchern taucht das auf, als Formeln, als wenn es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt gäbe, als [dass] auch natürlich die moderne Physik sozusagen die Lehre der Buddhisten entdeckt hätte.

Ich habe da schon einiges zu gesagt, als ich über Quantentheorie gesprochen habe, dass ich da meine großen Zweifel habe, ob dieser Zusammenhang so in der Form Wert hat und ob er nicht zu kurz, aber nicht kurzschlüssig ist. In der abendländischen Philosophie spielt der Gedanke der Einheit der Welt eigentlich seit Platon eine zentrale Rolle, und besonders im Neuplatonismus wird er gedacht, immer wieder neu, am vielleicht schönsten, sprachlich schönsten, von dem Mystiker-Philosophen Plotin, den auch Ken Wilber mit einigem Recht immer wieder heranzieht mit seinen Enneaden, die sind auf eine wunderbare Weise wie ein Gesang an diese Einheit.

Dann 1200 Jahre später, in der Philosophie Giordano Brunos, da will ich mal einen Abschnitt hier vorlesen aus einem Buch, mit dem er berühmt geworden ist, „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“. Und da gibt es im fünften Teil dieses Buches einen Hymnus auch, der an Plotin erinnert, an diese Einheit der Welt, an diese Ur-Einheit, die sich als Vielheit zeigt. Das hat viele Interpreten total verwirrt. Einige hielten Giordano Bruno für einen Materialisten, andere haben ihn für einen Pantheisten gehalten, wie Spinoza. Spiritualisten haben ihn für sich reklamiert, und es ist bis heute in der Interpretation undeutlich geblieben, was eigentlich genau bei Bruno gemeint ist, wenn er von der Einheit der Welt redet, obwohl ich glaube, dass, wenn man die Texte genau liest, das eigentlich relativ eindeutig ist. Häufig genug ist man mit einem bestimmten Vorurteilsblick darangegangen. Ein Beispiel mal aus dem fünften Dialog, 1584 geschrieben in italienischer Sprache, Titel also: „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“. Da heißt es bei Bruno: „In dem einen Unendlichen und Unbeweglichen, das die Substanz oder das Sein ist, findet sich die Vielheit oder die Zahl. Obgleich sie der Modus der Vielgestaltigkeit des Seins ist, welche Ding für Ding einzeln bezeichnet, macht sie das Sein nicht zu mehr als einem, sondern zu einem vielfältigen, vielförmigen und vielgestaltigen.“ ‒ Also die Zahl (das nur in Parenthese gesagt) konstituiert die Vielfalt der Welt.

Ich will hier in einer Woche dann noch mal reden auch über bestimmte Aspekte der Philosophie der Mathematik, auch über die Möglichkeit einer qualitativen Zahlenordnung anderen Typs. Bruno deutet das hier schon an, war auch auf der Suche nach einer eigenen anderen Mathematik, hatte sogar kurzeitig die Möglichkeit, als Professor für Mathematik zu wirken in Padua. “Wenn wir also mit dem Naturphilosophen gründlich darüber nachdenken und die Logiker ihren Einbildungen überlassen” ‒ meistens ist Aristoteles gemeint, wenn die Seitenhiebe gegen die Logiker und Sophisten gehen ‒ “so finden wir, dass alles, was Unterschied und Zahl ausmacht, bloß Akzidens, bloße Gestalt und bloße Beschaffenheit ist.” Akzidens ist das Nicht-Substanzhafte, also die Vielheit, die Einzelheit. Substanz ist das, was das Einheitsprinzip ausmacht, das Substrat, kann man sagen, jetzt materialistisch gesehen, der Stoff oder die energetische Substanz, Energie selber, Grund-, Ur-Energie, wie immer.

“Jede Hervorbringung, von welcher Art sie auch sei, ist eine Veränderung, während die Substanz immer dieselbe bleibt, weil sie nur eine ist, das eine unsterbliche göttliche Wesen. Es gibt ein unsterbliches, göttliches Wesen, das in gewisser Weise das Sein selber ist und die Substanz darstellt. Dies war Pythagoras fähig zu verstehen, der, statt den Tod zu fürchten, eine Verwandlung erwartet. Dies zu verstehen, waren auch alle Philosophen imstande, die gemeinhin Naturphilosophen heißen und die gelehrt haben, dass der Substanz nach nichts entsteht oder vergeht, wenn man nicht auf diese Weise nur die Veränderung bezeichnen will.” Also die Grundannahme wenn man es mit dem Begriff der Energie formuliert: Die Energie kann nicht entstanden sein, sie kann nicht vergehen. Es kann nur eine Grund- oder Ur-Energie geben, wenn man diesen Begriff für sinnvoll erachtet, und alle Figurationen der Erscheinungswelt sind nur Erscheinungsformen dieses Ur-Einen. Ebenso hat dies Salomo verstanden, der da sagt, es gebe nichts Neues unter der Sonne, sondern das, was ist, sei schon vorher gewesen. Da seht ihr also, wie alle Dinge im Universum sind und wie das Universum in allen Dingen ist, wir in ihm und es in uns und so alles in eine vollkommene Einheit einmündet. Daher braucht sich unser Geist nicht zu beunruhigen, wie wir auch wegen nichts zu verzagen brauchen, denn diese Einheit ist einzig und beständig und dauert immerfort.“

Dieses Eine ist ewig, das ist ganz Spinoza, in gewisser Weise können auch einige dieser Sätze mit gewissen Abschwächungen oder Modifikationen in den Upanishaden stehen. “Jedes Gesicht, jedes Äußere, wie auch alles andere ist eitel und gleichsam nichts.” Ja, alles ist nichts, außer diesem Einen. Also, das erinnert ja auch wieder an den späten Fichte: Es gibt nichts außer Gott, oder eine der anderen spirituellen Traditionen. Also Bruno sagt ganz zugespitzt: Letztlich ist alles in gewisser Weise nichts, außer diesem Einen. “In dem es ein und dasselbe ist, hat es nicht ein Sein und noch ein anderes Sein. Und weil es nicht ein Sein und noch ein Sein hat, hat es nicht Teile und wieder Teile. Und weil es nicht Teile und wieder Teile hat, ist es nicht zusammengesetzt. Es ist Grenze, auf solche Weise, dass es keine Grenze ist. Es ist solchermaßen Form, dass es keine Form ist. Es ist dergestalt Materie, dass es keine Materie ist. Es ist die Art Seele, dass es keine Seele ist. Denn es ist ohne allen Unterschied und deshalb ist es Eines. Das Universum ist eines. In ihm ist fürwahr die Höhe nicht größer als die Länge und Tiefe. Daher wird es einer gewissen Ähnlichkeit wegen als Kugel bezeichnet, ohne jedoch eine Kugel zu sein.“

Also ein altes mystisches Bild, die unendliche Welt als eine Kugel, deren Mittelpunkt bzw. deren Kugeloberfläche überall ist, bzw. bei einer unendlichen Kugel, wenn man es logisch weiterdenkt, fällt natürlich Peripherie und Mittelpunkt zusammen, sie werden ununterscheidbar.

Eine wichtige Argumentation bei Bruno, die sich schon durch dieses Buch zieht, ist der Gedanke, dass die Einheit nur als Unendlichkeit gedacht werden kann. Das ist nun wirklich ein schwindelerregender und auch vielleicht einer der tiefsten Gedanken überhaupt von Bruno, dass er sagt: die Einheit muss die Unendlichkeit sein, denn nur die Unendlichkeit, die absolut alles ist, was überhaupt nur sein kann, kann wirklich als Einheit bezeichnet werden. Eine Einheit, die kein zweites hat. Denn wenn es ein zweites gäbe, gäbe es ein Außerhalb, dann hätte dieses eine quasi ein anderes, zu dem es sich irgendwie stellen müsste. Dann wäre sie eben nicht das Eine. Und das Eine kann nur das Eine ohne ein Zweites sein. Also ein wichtiger Punkt. Bruno stellt das ausführlich dar, auch mit logisch mathematischen Argumenten, dass die Welt, dass der Raum als Ganzes, als Einheit verstanden werden kann und als Unendlichkeit, so dass man so weit gehen kann zu sagen, dass bei Bruno im Grunde genommen Unendlichkeit und Einheit praktisch zusammen­laufen und ununterscheidbar werden. „Jene Philosophen haben ihre Freundin, die Weisheit gefunden, die diese Einheit erkannt haben, denn völlig dasselbe sind Weisheit, Wahrheit und Einheit. Das haben alle zu sagen vermocht, dass das Wahre das Eine und das Sein ein und dasselbe sind. Aber nicht alle haben dies auch verstanden. Denn etliche haben nur die Worte übernommen, ohne damit wie wahre Weise, ihren Sinn zu begreifen. Aristoteles unter anderem, dem das Eine verborgen blieb, hat auch das Sein und das Wahre nicht erkannt, denn er wusste nicht, dass das Sein eines ist.“

Das wird von Bruno verdeutlicht am Beispiel des unendlichen Raumes. Sein Kernargument, ich glaube, ich habe es schon mal im Zusammenhang auch erwähnt, besteht ja darin, dass er sagt: Wenn ich mich dazu bequeme, zu sagen, dass der Raum wirklich ist, dann muss er unendlich sein; er kann schlechterdings nicht begrenzt werden. Das war ja das Problem in der Naturphilosophie und Kosmologie im Ptolemäisch-Aristotelischen System. Das habe ich ja auch schon dargestellt, dass man der Innenwölbung der Welt mit der Erde als Mittelpunkt keine Außenwölbung zusprechen durfte. Also da hat sich ja das Absurdon ergeben, dass die Welt zwar eine Kugel ist, eine endliche Kugel, aber diese Kugel hat keine Außenfläche. Es gibt also keine Kugeloberfläche. Was jenseits der Kugeloberfläche ist, ist nach Aristoteles, und das klingt ja ganz modern, weder Raum noch Zeit. Es ist das die totale Andersheit, die nicht gedacht werden kann.

Während Bruno, wie vor ihm übrigens schon die antiken Atomisten und in anderer Form auch der römische Philosoph Lucretius angenommen haben, dass natürlich hier der Innenwölbung eine Außenwölbung entsprechen muss; und wenn das so ist, dann kann der Raum nicht mehr begrenzt werden, dann ist die Frage schlechterdings unmöglich zu sagen, hier muss es irgendwo eine Grenze geben; das ist nicht widerlegbar. Also das ist sozusagen logisch, mathematisch einwandfrei.

Es gibt nur eine Möglichkeit, dem auszuweichen, nur eine einzige; und die wird auch favorisiert. Wenn man dem ausweichen möchte, dem unendlichen Raum, der dann das Eine sein muss, das ist logisch zwingend, dann muss man postulieren, man kann es nicht beweisen, aber man kann es postulieren, dass tatsächlich hier eine Art Andersheit existiert, ein Hyperraum, wenn man den Begriff verwenden will, der jegliche Qualität von Räumlichkeit, wie wir sie verstehen, nicht mehr aufweist. Er ließe sich vielleicht mathematisch fassen; es gibt hier verschiedene Möglichkeiten, auch in der modernen Mathematik solche Hyperräume mathematisch zahlenmäßig zu fassen. Aber nur so kann man dem ausweichen, wenn man das nicht akzeptieren kann, wenn man so will, realistisch sagt, der Raum ist so Raum, wie wir ihn als Raum empfinden ‒ usque ad infinitum. Da gibt es nicht einen Punkt, wo er quasi umkippt in eine Seins-Sphäre, die nichts mehr zu tun hat mit Raum, nichts mehr zu tun hat mit Zeit, was ja auch möglich ist ‒ man kann das denken. Das ist die einzige Möglichkeit, wie man dem ausweichen kann. Alle anderen Argumente brechen in sich zusammen irgendwann.

Schon in der Antike ist diese Grundkonstellation ja eigentlich gut durchdacht worden. Da gibt es nur nicht so viel Möglichkeiten, das Ganze zu denken, auch wenn man verschiedene Dimensionen einbaut; das kann man natürlich machen. Man kann natürlich sagen, die Vorstellung einer Dreidimensionalität ist nichts weiter als eine Ausweitung der sehr engen euklidischen Geometrie. Die hätte überhaupt keine Gültigkeit für den Kosmos als Ganzes; kann man machen, natürlich, man kann auch mathematisch fiktiv ganz andere Dimensionen bauen. Ob sie dann sinnvollerweise ontologisiert werden können, dass man sagt, das ist wirklich, oder ob das nur Fiktionen sind, sozusagen Kopfgeburten, ist eine andere Frage, ‒ eine schwierige Frage, ‒ aber man kann das machen.

Dann kann man doch eine endliche Welt aufrechterhalten und muss sich der Frage gar nicht stellen, ob diese endliche Welt vielleicht doch in einen unendlichen Kosmos eingebettet ist. Das geschieht ja. Man lässt ja diese Frage weitgehend erstmal offen. Man favorisiert eigentlich die Vorstellung, dass hier in diesem Sinne kein Raum ist. Das könnte man hier enorm ausbreiten. Mittelalterlich antik, relativ klein, heute, gewaltige Ausmaße. Aber die Grundfragen bleiben ja auch bei der größten Ausdehnung, die diese Kugel auch nur haben kann. Die größte Ausdehnung der Kugel ist gegen das Unendliche immer gleich Null. Auch das ist mathematisch logisch nicht zu widerlegen. Also so groß wie die Kugel auch nur sein kann, gegen das Unendliche ist sie immer wie nichts. Und die Fragen bleiben also.

Bruno führt dazu an in der Schrift “Vom Unendlichen”: Auch die längste Strecke ist gegen das Unendliche gesehen wie nichts, wie ein Punkt. Die Fragen sind aufwühlende Fragen, die kann man auf sich beruhen lassen, kann sagen, das muss mich ja gar nicht beschäftigen, ich muss mich ja davon gar nicht beunruhigen lassen. Aber das hängt mit der Vorstellung von dem Einen zusammen. Für Bruno ist das eine Denknotwendigkeit, dass die Welt als Ganzes, als Einheit auch unendlich sein muss.

Und dann der doch faszinierende Gedanke, dass er sagt, gut, wenn ich den Raum weiterdenke, der sich hier unendlich erstreckt, kann ich immer noch sagen, na gut, wie das Newton gedacht hat, diese Welt ist sozusagen eine endliche Kugel in einem unermesslichen Ganzen. Darauf hat Bruno geantwortet: Das kann nicht sein, weil wenn es so wäre, wäre diese Kugel quasi nicht nur ein Punkt, sondern sie ist im Nirgendwo; es gibt überhaupt keinen Ort, denn wenn das kein wirklicher Raum ist, kann die Kugel auch keinen Ort haben. Dann ist der Begriff des Ortes schon falsch. Dann muss man sozusagen vollkommen andere Begriffe schaffen. Und dann, wenn hier Raum ist, dann muss hier die Möglichkeit gegeben sein, auch Substanz, Stoff, Energie, Bewusstsein, wie immer, zu enthalten. Das heißt, wo Raum ist, sagt Bruno, muss es auch Wesen geben, Gestirne geben, Wesenheiten. Das heißt, es gibt diesen leeren Raum im Sinne des Vakuums nicht. Auch das ist konsequent, wenn man das weiterdenkt.

Ich habe das ja auch schon ein bisschen erläutert im Zusammenhang mit dem Clarke-Leibniz-Briefwechsel. Und da wird ja auch der Gedanke ventiliert, obwohl Bruno nie mit Namen erwähnt wird, wird doch ständig direkt oder indirekt Bruno herangezogen. Also eine interessante Frage für die Frage der Einheit der Welt. Und ist das nun Metaphysik oder springt Bruno da in die totale Transzendenz hinein; das sind Fragen, die schwer zu beantworten sind. Ich würde sagen, Bruno versucht, sagen wir mal vorsichtig, die Einheit von Transzendenz und Immanenz zu denken. Er entscheidet sich nicht eindeutig für die Immanenz, das Göttliche in der Welt, und entscheidet sich auch nicht für die Vorstellung der Transzendenz in der Welt. Und da berührt er sich auf eine doch hochinteressante Weise dann mit der Brahman-Vorstellung; mag sein sogar, wie ab und zu mal vermutet worden ist, dass Bruno vielleicht sogar über bestimmte Kanäle davon Kunde gehabt hat, über den Vorderen Orient, über den Neuplatonismus. Mag sein, dass der Neuplatonismus in Alexandria etwa, Plotin war ja erst in Alexandria, dass da Beeinflussungen vorliegen, die weiterreichen, die von Asien kommen, das ist möglich. Dass da also eine starke asiatische Unterströmung im Neuplatonismus existiert, die dann Bruno auch erreicht hat. Insofern wäre es immerhin denkbar, dass Bruno tatsächlich auch einen direkten Traditionsstrang, einen Vermittlungsstrang mit der asiatischen Philosophie hätte. Das lässt sich nicht beweisen. Ich bin dem Punkt mal nachgegangen und bin da gescheitert. Da gibt es also keine historisch belegbaren Dokumente. Man kann das nur vermuten. Es ist möglich. Klar beweisbar ist es nicht.

Ich will jetzt eingehen auf den Gedanken der Einheit in der modernen Physik. Ich will nicht auf die ungeheuren Schwierigkeiten und Subtilitäten dieser Raum-Frage eingehen. Das habe ich sehr vereinfacht und sehr plakativ dargestellt. Ich meine aber, da einen zentralen Punkt berührt zu haben. Natürlich ist das sehr komplex, auch wenn man es jetzt noch mathematisch weiterdenkt. Was ist denn diese Raum-Unendlichkeit für die Mathematik oder für die Geometrie? Diese Zeichnung hier soll noch etwas anderes andeuten. Sie findet sich so direkt bei Bruno nicht, aber faktisch taucht diese Figur bei Bruno immer wieder auf. Das ist noch ein weiterer Impuls in seiner Einheitslehre, dass er davon ausgeht, dass das Minimum und das Maximum letztlich identisch sind. Das heißt, im Raum-Unendlichen ist auch die größte Ausdehnung, die noch in irgendeiner Form messbar, quantifizierbar ist, quasi ein Nichts, wie in der größten zeitlichen Erstreckung auch die längste Zeit-Strecke quasi ein Nichts ist.

Bruno hat diese Lehre vom Minimum und Maximum seiner eigenen Mathematik und Geometrie ausgebaut, die sehr interessant und sehr subtil ist. Diese Schriften gibt es erst seit kurzem teilweise auf Deutsch. Das will ich im Einzelnen nicht darstellen.

Wichtig für unseren Zusammenhang ist noch folgendes, auch, was die Parallelität zu Brahman betrifft: Bruno meint, dass die Erscheinungswelt in gewisser Weise einer Kugel­oberfläche gleicht. Eine alte Metapher, die Erscheinungswelt als Kugeloberfläche. Es soll Aufgabe des Geistes sein, gleichsam Schicht für Schicht tiefer zu dringen in diese Kugel hinein, in die Kugel des Geistes. Bruno verwendet immer wieder, einer alten Tradition folgend, das Bild der Seele, des Geistes, was bei ihm nicht klar unterschieden war, Seele und Geist bei ihm sind mehr oder weniger das Gleiche. Diese Kugel ist in gewisser Weise auch die Kugel der Welt, die nur metaphorisch Kugel ist, weil sie ist unendlich, und dass der Mensch in der Zusammenziehung, Kontraktion, wie das Bruno nennt, Meditation könnte man auch sagen, die Fähigkeit hat, wenn er eine bestimmte Tiefen-Schicht der meditativen Tiefenschau erreicht hat, dass er dann an einen Punkt kommt, wo er quasi ins All zerstrahlt, wo dieser Zentralpunkt identisch wird mit der Zerstrahlung ins Ganze. Das heißt, der Einzelne, der auf der Oberfläche der Welt ganz nach innen geht, so tief, wie es irgend geht, das nennt Bruno Kontraktion, Zusammenziehung, stürzt hier im Mittelpunkt seiner selbst auf das Ganze, und so ist das auch eine Erkenntnislehre, dass der Einzelne dergestalt auch das Ganze in sich trägt. Und das ist ja immer wieder mit Verblüffung konstatiert worden, auch dass Bruno so viele Dinge gesehen hat und fand, auch ohne ein Fernrohr zu benutzen, ohne überhaupt jemals irgendwelche Beobachtungen angestellt zu haben – wie das kommt.

Also, eine Erkenntnistheorie, wo man auch viele Parallelen herstellen kann zu dieser Brahman-Atman-Vorstellung, also quasi, wenn man diese Begriffe übernimmt, diese Kugel als Atman, und wenn sie ihren äußersten Zusammenziehungspunkt erreicht hat, in der Tiefenmeditation wird Atman zu Brahman. Da zerströmt gleichsam das Erkenntnis-Licht ins All und spiegelt das Licht im Universum. Bei Bruno eingehend dargestellt und bei Eugen Drewermann. (…) Drewermann macht daraus dann den Bruno, der irgendwo am Strande läuft und dann in der Dunkelheit, alles ist bewölkt, und plötzlich bricht ein Lichtstrahl hervor, und er sieht eine schöne Frau, und das ist dann für ihn dieses Erlebnis. Also, sie können das nachlesen, in dem mit einigem Recht auch in der Öffentlichkeit kritisierten Buch von Eugen Drewermann über Giordano Bruno, und der hat sich so in Bruno hinein versetzt, er schreibt ein fiktives Tagebuch und stellt sich so vor, wie es wäre, wenn man Giordano Bruno wäre. Da überhebt sich, glaube ich, Herr Drewermann ein bisschen. Aber gut, das sei nur am Rande erwähnt. Also, das ist ein wichtiger Gedanke bei Bruno.

Nun zurück zu Grundvorstellungen der Einheit, wie sie eigentlich die Naturwissen­schaft ansieht. Diese Figuren tauchen zunächst einmal so in den Naturwissenschaften gar nicht auf, spielen jedenfalls keine zentrale Rolle. Ganz vereinfacht kann man sagen: in der Naturwissenschaft ist Einheit die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Naturgesetze im Universum. Das heißt, die Grundannahme, das, was ich hier messen kann, was ich hier denke, durchdringen kann, muss im Prinzip auch überall sonst gelten. Das ist in eine wichtige Prämisse, die ja nicht selbstverständlich ist, denn in der geozentrischen Sicht oberhalb der Mond-Sphäre, mit Erde als Mittelpunkt des Kosmos, galten ja ganz andere Gesetze. Hier galt die physisch-sinnliche Gesetzmäßigkeit nicht. Das ist wichtig. Oberhalb der Mond-Sphäre beginnt eine andere Welt mit vollkommen anderen Gesetzen. Und das wird in der neuzeitlichen Naturwissenschaft in dem Sinne ausgehebelt, dass man sagt: Im Prinzip müssen im gesamten Universum überall die gleichen Grundgesetze gelten, in diesem Sinne ist das Universum eine Einheit. Es wird also weniger jetzt darüber spekuliert, wie ist diese Einheit erfahrbar in der Tiefe, in der Seele, wie ist sie spirituell zu begreifen, sondern ganz schlicht, die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Gesetzesordnung im gesamten Universum. Auch hier muss man natürlich die Frage der Dimension ansprechen. Man kann natürlich sagen, gut, ich kann von einem Experiment, was ich zum Beispiel hier in diesem Raum mache, weitreichende Schlussfolgerungen ableiten auf den Kosmos, auf das Universum, auf das Weltall, – überspringe damit natürlich die mit dieser Situation gegebene kosmische Relativität dieses Raums hier, zu diesem Zeitpunkt, und muss natürlich Zwischenschritte vollziehen. Aber im Prinzip wird es als möglich erachtet.

Wenn das nicht so wäre, wenn das nicht angenommen würde, würden alle Aussagen über das Weltall letztlich in sich zusammenbrechen. Dann könnte man gar nichts mehr sagen. Dann könnte man nur sagen: Wir haben gewisse Segmente der Wirklichkeit, die durchdringen wir, denken, die messen wir. Aber man kann überhaupt nicht extrapolieren. Man kann nicht sagen, die Welt als Ganzes müsste so sein. Davon wird aber ausgegangen. Das ist der Gedanke der Einheit in der Naturwissenschaft im Kern, also die Einheit dieser Gesetzesordnung der Welt, die es erlaubt, vom Einzelnen auf das Allgemeine zu schließen, also induktiv und dann aber auch in der Gegenbewegung deduktiv. Es wird eine Einheit vorausgesetzt.

Nun kann man sagen, diese Einheit kann, das sagt übrigens auch Weizsäcker hier in seinem Buch „Die Einheit der Natur“, diese Einheit kann keine materielle, keine physische sein. Sie ist im Letzten natürlich auch gar nicht beweisbar, das ist unmöglich. Sie hat aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sie muss in der Tiefe eine metaphysische sein. Sie ist ein Grund-Konstituent der Welt überhaupt. Und wenn man jetzt die Dimensionsfrage einbezieht, kann man natürlich sagen, das stimmt alles nur innerhalb einer bestimmten Dimension, also von mir aus innerhalb der sogenannten dreidimensionalen oder vierdimensionalen Welt, wie immer. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass das Ganze eingebettet ist in andere Dimensionalitäten, siehe Burkhard Heim, zwölfdimensionaler Hyperraum, dann bekommt das natürlich einen anderen Charakter. Also dann muss ich das Ganze neu fassen, dann muss ich das Physisch-Sinnliche zum Sonderfall erklären. Dann, das kann man machen, das kann man auch mathematisch logisch durchrechnen, dann wird es natürlich aber schwierig. Es könnte natürlich sein; das ist dann nicht unbedingt sicher, dass man so ohne Weiteres extrapolieren kann.

Das hat ja Johannes Heinrichs vor einer Woche hier auch angedeutet, vielleicht erinnern Sie sich daran, im ersten Teil seiner Vorlesung, wo er einen der wenigen Dissenzpunkte sieht mit einer These von mir, dass ich von den Provinz-Gesetzen der Erde gesprochen habe. Das hat er missverstanden. Ich meine damit erst einmal in erster Linie nur die kosmische Relativität und dass man die Frage zunächst mal offenlassen kann, ob das so auf eine direkte Weise übertragbar ist. Das trifft ja auch für die Zeiträume zu. Denn alle diese Zeiträume, die gemeinhin angenommen werden, sind ja festgelegt oder werden ja behauptet aufgrund der Annahme, dass die Zeit sich nicht fundamental ändert, dass die Zeit ja doch in irgendeiner Form eine absolute Erstreckung ist, die aus einer wie immer gearteten Vergangenheit in die Zukunft führt; dass da nicht ein Bruch passiert ist, ein qualitativer Sprung, was ja möglich ist. Warum soll es nicht passiert sein? Also, es lässt sich nicht absolut sicher sagen, dass die Zeit überhaupt sozusagen so gleichförmig und ohne sich zu verändern dahinrast oder schleicht, wie immer, wie das ja Newton angenommen hatte in seiner Vorstellung der mathematischen, gleichmäßig dahinfließenden Zeit. Das muss nicht sein. Es könnte ja genauso gut sein, dass in irgendeinem nicht weiter fixierbaren Punkt die Zeit auch kollabiert, sodass also das Ganze plötzlich auf eine andere Ebene gedreht wird.

Also die Prämisse ist weitführend; letztlich geht die Physik dann doch irgendwie von einer linearen Zeit aus, auch wenn sie das abstreiten und das relativistisch deuten. Im Grunde geht man dann doch von so einer Zeitachse aus, die sich nicht ändert, sonst wären ja diese ganzen Zeitangaben ohnehin absurd. Da müsste man sie ja gar nicht irgendwie postulieren.

Dann könnte man ja immer sagen: Es kann ja im Zeitpunkt X ein Zeitsprung passiert sein oder eine qualitative Verschiebung passiert sein, dann kommt man ja in ganz andere Dimensionen hinein, und das hat ungeheure Auswirkung auf das Bewusstsein. Also die Dimensionenfrage ist die heikelste dabei. Das alles bewegt sich erst einmal noch, und bei Bruno auch, erstmal weitgehend auf der Vorstellungsebene der räumlichen Erstreckung, wie wir sie aus der Erfahrung, aus der Empirie kennen. Eine ganz andere Frage ist es, wenn ich diese räumliche Erstreckung in der Erfahrungswelt von vornherein relativiere und sage: Das ist gar nicht der eigentliche Raum, das ist sozusagen nur gleichsam die Ausfaltung eines ganz anderen Raums, der gar nicht quantifizierbar ist. Dann muss man ganz neu denken, das ist möglich. Das lässt sich auch nicht widerlegen im absoluten Sinne. Aber dann muss man das Ganze noch mal neu denken, dann muss man auch die Frage der Einheit neu denken. Dann könnte diese Einheit natürlich noch ganz anders gebaut sein.

Also könnte man sich fragen: Wieviele Dimensionen gibt es? Und sind das jetzt nur mathematische Kopfgeburten? ‒ was ja Kritiker oft sagen, es ist halt überhaupt keine Wirklichkeit. Der Raum ist dreidimensional und nichts weiter. Und er ist eben nicht fünf-, sechs- oder zwölf-dimensional. Es gibt keinen Hyperraum, das sind nur mathematische Fiktionen, ‒ oder diese sogenannten Fiktionen haben eben doch eine gewisse Wirklichkeit. Dann wäre die Welt in der Tat auf eine schwer begreifbare Weise multidimensional. Und dann, in der Tat, greifen die Argumente nicht mehr in dem Sinne, wie ich sie vorgetragen habe, das ist klar. Also wenn man das ausklinkt und sagt, das gilt nicht, oder das ist dann nur unser Erfahrungsraum, brechen sie erst einmal in sich zusammen. Mal dramatisch gesagt, – schlichter formuliert: Sie relativieren sich. Insofern kann man die Frage vielleicht offenlassen, man muss das nicht da heißblütig debattieren: Ist der Kosmos endlich oder unendlich, das mag auch irgendwo müßig sein, darüber erregt hier zu diskutieren, aber man muss sich zumindest darüber im Klaren sein, wenn man überhaupt argumentiert, muss man wissen, auf welcher Ebene man sich aufhält. Was meint man? Das finde ich wichtig. Sonst ist eine Diskussion weitgehend sinnlos. Also wovon redet man eigentlich, wenn ich vom Raum rede und sage, dieser Raum ist eine Einheit, der ist nicht begrenzbar. Was für eine Art von Raum meine ich? Meine ich den uns doch zugänglichen Anschauungsraum? ‒ Auch wenn wir den Raum nicht sehen, der Raum ist bekanntlich nicht sichtbar, er ist ein ungreifbares Etwas. Er ist ja nicht ein Ding, nicht Materie. Also was für einen Raum meine ich, und ist der Raum dann leer? ‒ Ich will ja auch im Januar noch über die Vorstellung der Vakuumenergie sprechen, die ja in den letzten Jahren viel diskutiert wird. ‒ Dann muss man das Ganze auf eine andere Ebene verlagern. Aber man muss wissen, wovon man redet, sonst redet man hoffnungslos aneinander vorbei. Also wenn einer jetzt auf der Ebene redet und meint dann den Anschauungsraum, der andere meint aber eine Art Hyperraum, dann gibt es keine Verständigung, das ist klar. Also man muss sich dann von vornherein verständigen, was man eigentlich meint. Insofern ist dann doch eine gewisse Klärung der Begriffe ganz sinnvoll. Also die Frage, ob der Raum tatsächlich eine unendliche Erstreckung hat oder nicht, oder ob auch die Naturgesetze, die wir hier haben, in dieser Form universell gültig sind, kann letztendlich nicht entschieden werden.

Es ist eine Setzung ‒ und eine metaphysische Setzung. Weizsäcker weiß das auch und stellt das in seinem Buch mit dem Titel „Die Einheit der Natur“ immer wieder auch dar. Er glaubt bis heute, soweit ich das weiß, dass die Physik als eine Einheitswissenschaft tatsächlich vollendbar ist. Er bezieht sich da auf Kant als das Ensemble der Bedingungen, der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt. Ich weiß nicht, ob er den Gedanken dann aufgegeben hat, in den 70er, 80er Jahren, jedenfalls war er davon überzeugt, dass das möglich sein müsste, dass also die Physik in gewisser Weise da abgeschlossen werden kann, indem sie die Gesamtheit der Erfahrung der Welt dann auch so weit beschreibt, wie das physikalisch-mathematisch überhaupt nur möglich ist.

Weizsäcker ist natürlich durch und durch Metaphysiker. Er meint natürlich in der Tiefe, dass diese Einheit der Welt, die Einheit der Physik im Letzten wurzelt in einer Einheit der Welt. Und er ist auch Platoniker in dem Sinne, dass er meint, dass natürlich die mathematischen Formalismen die Natur so abbilden, wie sie ist, dass also die mathematischen Formalismen in der Natur selber enthalten sind. Das tun ja auch avancierte Theorien etwa, auch die bekannte von Burkhard Heim ebenso, Heim ist ja im Grunde genommen Absolutist. Er setzt natürlich auch seine Fiktionen als Weltkonstituenten. Sonst würde die Argumentation ja in sich zusammenbrechen, es wäre das ja nur eine Selbstbespiegelung des Geistes, man käme nicht weiter.

Auf jeden Fall ist das wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, worüber man eigentlich redet. Also der Begriff der Einheit ist auf der einen Seite in der Physik sehr einfach zu fassen, die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Naturgesetze im Universum, auf der anderen Seite aber wieder sehr schwierig, weil, man kann die Einheit dann wesentlich weiter fassen, und dann könnte man auch die Frage, und muss sie auch ventilieren: Was ist mit dem Bewusstsein?

Und das ist ja auch in der indischen Philosophie ventiliert worden. Übrigens in beiden Strömungen, nicht, im Buddhismus, gibt es dann den Gedanken, dass diese Leere der Welt – shunyata – im Grunde das universale Ur-Bewusstsein ist. Also die Ur-Leere ist das Bewusstsein selber, nicht, also hat nicht Bewusstsein als eine Qualität neben anderen, sondern ist Bewusstsein. Und wenn das dann der Raum ist, das findet man beim Mahayana-Buddhismus, dann hat der Raum nicht Bewusstsein, sondern der Raum ist Bewusstsein. Der Raum ist das Bewusstsein selbst, eine weitreichende, ja man kann wirklich sagen, schwindelerregend These. Aber es gibt bis hin übrigens zum Dalai Lama viele Mahayana-Buddhisten, die letztlich dahin kommen zu sagen: Der Raum ist das Universal-Bewusstsein selber, in diesem Sinne die Einheit und auch das Absolute. Und hier wird es ähnlich gesehen, in den Brahman-Gedanken. Das ist ja nicht jenseits von Bewusstsein. Nur in unserem Sinne ist dieses Bewusstsein, da wir ein Partikular-Bewusstsein haben, nicht vorstellbar und nur in einer Tiefen-Meditation zu erfahren.

Und bei Bruno ist es ähnlich. Und da gibt es schon einen interessanten Zusammenhang zwischen der Raum-Vorstellung bei Bruno und der Raumvorstellung in der Brahman-Lehre.

Also, die Möglichkeit, über den Gedanken der Einheit hier was zusammenzuführen, die gibt es. Es gibt diese Möglichkeit, aber sie ist sehr schwer zu denken. Und man muss sich davor hüten, dass man allzu pauschal und schnell auch, sagen wir mal, Begriffe aus einem gänzlich anders gearteten Kulturkreis mit einer ganz anderen Tradition vorschnell gleichsetzt. Das geschieht natürlich, auch was das chinesische Chi-Konzept betrifft.

Natürlich haben das viele Physiker längst entdeckt und sagen, es ist doch das, was wir auch sagen, wovon wir auch reden, ‒ das ist schwierig. Also man kann das immer nur mit einer gewissen Relativität [verbinden], da muss man sehr, sehr vorsichtig sein. Insofern sage ich es mit aller Behutsamkeit. Mag sein, dass in der tiefsten Tiefe diese Konzeptionen mahayana-buddhistische shunyata, Advaita-Lehre Brahman, Bruno’sche Raumunendlich­keit, vielleicht auch die modernere Vorstellung des Quanten-Vakuums, dass es in der Tiefe das Gleiche ist. Mag sein, dass dann eine Ebene berührt [wird], die sich jeder Verifizierbarkeit im üblichen Sinne entzieht. Dann müsste man tatsächlich, das kann man ja auch, Praktiken [sich] vorstellen, mittels deren man überhaupt in der Lage ist, Bruno tut das ja, solche Erfahrung zu machen, nicht, dass man das nicht nur postuliert und in einen intellektuellen Disput einander zuwirft wie Bälle. Dann ist es mehr oder weniger unfruchtbar. Das ist klar, dass man da so Konzepte… man kann auch noch andere Begriffe dann einfügen und man kann dann diese spielballartig sich zuwerfen und das hat dann [nurmehr] einen geringen Erkenntniswert.

Also man müsste dann schon fragen: Wie komme ich zu diesen Vorstellungen? Welche Methoden gibt es denn überhaupt? Naturwissenschaftler haben ja ihre Methoden entwickelt, die haben auch ihre Berechtigung bis zu einem gewissen Grade. Und wie weit kann man da gehen? Und da wird es wirklich interessant. An der Stelle wird es hochinteressant und ungelöst. Da beginnen nämlich wirklich dann die Fragen und Probleme, auch die Frage der Messbarkeit: Was ist überhaupt messbar? Wie weit geht die Messbarkeit? Wird sie nicht überschätzt heute und auch von fast allen Lagern? Was ist das denn überhaupt, diese Messbarkeit? Wie muss man sie interpretieren? Welche Ebene kommt ins Spiel? Die Fragen sind äußerst subtil, aber da wird es dann wirklich interessant.

Aber ich halte das alles letztendlich für ganz offene Fragen, und ich kann da auch keine Lösung anbieten, dass ich sagen würde: Ja, so verhält es sich. Das ist, wer da mehr eingedrungen ist in diese Fragen, der kann einfach nur, wenn das nicht Scharlatanerie sein soll, das mit aller Behutsamkeit so darstellen und auf der Ebene erst einmal versuchen, das Thema überhaupt zu betrachten, wo es eine gewisse Chance gibt, dass man sich da annähern kann. Sonst bleibt das, finde ich, ein, polemisch gesagt, ideologisches Gerede und bringt eigentlich gar nichts.

Also, das Einheitskonzept, um das abschließend zu sagen, ist eines der stärksten Konzepte, die jemals Menschen gedacht haben, ein ganz großes, eines der ganz großen Konzepte überhaupt des menschlichen Geistes. Und es ist wahrscheinlich, dass hier in irgendeiner Form eine Möglichkeit besteht, dass sich hier was berührt, mal vorsichtig gesagt. Und vielleicht ist das ein Ansatzpunkt. Das taucht bei Wilber fast überhaupt nicht auf, diese Frage, nur am Rande. Also in der “Naturwissenschaft und Religion” kommt er ja dann zu einem ganz anderen Ergebnis, zu einem ganz anderen Resümee, was auch fragwürdig ist. Sein Resümee ist dann folgendes, ich sage es ganz kurz plakativ, in dem Buch: Er lehnt diese fünf Facetten, die ich eingangs genannt habe, ab und sagt dann, es gibt nur die Möglichkeit, dass sich die etablierten Religionen sozusagen von allen geschichtlich bedingten Dogmen befreien und ihren spirituellen Kern hervorheben. Und das müsste die Naturphilosophie, Kosmologie auch tun. Das ist leicht gesagt, wenn das so einfach wäre. Das ist letztlich das Resümee. Denn wenn das so wäre, dann würden manche, selbst religiöse Streitigkeiten gar nicht so brachial aufbrechen. Natürlich kann man sagen, es ist ja immer wieder gesagt worden, es gibt eine Einheitsweisheit. Im Sufismus wird das gesagt, von der letztlich alle abzweigen. Dann könnte man sagen, es muss diese Einheit geben. Aber warum gibt es dann diese grimmige Feindschaft der religiösen Systeme? Warum kann man sich nicht darüber verständigen, dass man in der Tiefe doch das Gleiche will? Das ist eben ungeheuer schwer. Man braucht ja nur mal in den Nahen Osten zu schauen. Was haben denn diese drei monotheistischen Religionen für große Schwierigkeiten? Warum gelingt es denn nicht, sich zu einigen? Das ist eben extrem schwierig. Und nicht nur aus politisch-sozialen Gründen, sondern auch aus Gründen der Lehre selber.

Das finde ich zu kurz gedacht von Wilber als eine Lösung, wenn da überhaupt eine Lösung existiert. So, das wollte ich Ihnen eigentlich im Wesentlichen vorstellen, indem ich diese Kernpunkte hier genannt habe.


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DISKUSSION

Und ich fände es ganz schön, wenn wir noch ein bisschen ins Gespräch kommen können. Und Sie können dann selber vorschlagen, wo wir noch mehr reingehen wollen. Ich bin gerne bereit, zu jedem dieser Punkte hier noch detaillierter was zu sagen, wenn Sie das möchten. Das erst mal nur ein… das Thema so aufgefächert. Ja?

Teilnehmer: Meine Frage geht hauptsächlich auf den Begriff oder auf das Thema der Ratio. Also sowohl ein Wilber als auch Jean Gebser sprechen ja von gewissen kulturellen Welt-Epochen und eine davon sei die rationelle, gleichgesetzt mit der Moderne.

JK: Mentale sagen die meisten ja.

Teilnehmer: Es gibt hier gewisse logische Grundgesetze, die wohl gelten müssen, damit etwas als rational anerkannt wird. Und wenn nicht, dann sei es eher irrational. Meine Frage ist jetzt, bezieht sich auf die Frage, auf die Problematik, die die Postmoderne gerne hervorhebt. Kann man denn überhaupt davon ausgehen, dass das überhaupt als Prämisse haltbar, dass es eine einheitliche Rationalität gäbe? Und zwar ist das ja ein Abendland-Konzept über die Logik. Aber kann man denn auch vom Denken, vom rationalen Denken so weit dahin gehen, dass man sagt, all dieses rationale Denken, was nach diesen abendländisch postulierten Gesetzen sich abspielt, ist dann ein rationales Denken. Also gibt es wirklich nur eine Art rationales Denken?

JK: Ja, ich bin sehr dankbar für diese Frage. Da sprechen Sie in der Tat eine gewisse Schwäche dieser Modelle an, nicht, die, wenn man das genau verfolgt, tatsächlich auch eigentlich aufbricht. Denn das klingt bei bei diesen Modellen immer irgendwie an, dass es quasi eine mentale Stufe gäbe, menschheitlich universell, letztlich durch alle Kulturen hindurch. Nun, dann müsste man, wenn man das klären will, was sie gefragt haben, dann müsste man die Kriterien formulieren. Dann müsste man sagen: Was wären denn die Kriterien für eine rationale Weltauffassung? Wäre das dann Naturwissenschaft in unserem modernen Sinne? Wäre das Objektivierbarkeit, Reproduzierbarkeit der Experimente, das Vertrauen auf die Empirie, auf die Erfahrung, nicht, das Kontrollierbare und so weiter. Wären das Kriterien, würden Sie sagen: Das ist so, oder nicht? Wären das Kriterien?

Teilnehmer: Wenn ich jetzt Ratio als kulturell, als kulturelle Epoche begreifen will, die eine Gesellschaft hervorbringt über eine kulturelle Leistung, … dann kann ich, dann gibt es natürlich dieses Konzept. Aber mal davon abgesehen, ist Ratio weiter gefasst, ist ja nicht nur … erstens nicht die Wissenschaft in ihren Methodiken…

JK: Ich habe nur eins vorgeschlagen als Möglichkeit.

Teilnehmer: …ein Denken wäre, … welches logischen Gesetzen unterliegt. Und wenn es das nicht tut, dann sei es eben irrational. Und dann ist es eben meine Frage: Wenn ich sehe bei anderen Kulturen, wie zum Beispiel in Mittelamerika, wie äußerst plausibel dieses Denken ist oder bei den Hopi. Aber das es nach unseren Kriterien der Schlussfolgerung überhaupt nicht diese Plausibilität besitzt.

JK: Sie sprechen den Punkt an, ob es nicht, das ist, liegt in Ihrer Frage drin, ob es nicht eine Art von Rationalität gibt, eine kulturspezifische, die durchaus nicht deckungsgleich ist mit unserer Form der Rationalität. Gut, da hat es ja eingehende Untersuchungen drüber gegeben. Man hat ja auch nachweisen wollen, dass der Mythos letztlich auch rational ist, also letztlich auch einen rationalen Weltzugang hat. Dann käme man auf den Punkt der Interpretation.

Diese postmoderne Geschichte, dass man sagt: gut, das sind verschiedene Welt- Interpretationen. Das würde aber dem Anspruch der abendländischen Rationalität immer widersprechen, denn die abendländische Rationalität ging ja immer davon aus, dass Ihre Erscheinungsform universell gültig ist. Also ganz vereinfacht: Das Fallgesetz gilt auch in Asien oder in Afrika oder Südamerika. Da fallen die Körper nicht anders. Also wenn ich das dann beschreibe mathematisch, dann stimmt es oder stimmt es nicht. Das war ja der… das Argument immer der Rationalität, dass man sagt, das ist universell, egal was du glaubst, ob du Moslem bist oder Buddhist oder Christ, wenn du zu Boden fällst, dann fällst du als physischer Körper so zu Boden wie halt Körper auf diesem Planeten fallen. Ja, das war ja der, der… ist ja auch ein starkes Argument, das kann man ja nicht einfach so beiseitelegen, nicht. Also ist ja kein Scheinargument, es ist ja ein starkes Argument.

Eine andere Frage ist, wie weit das geht, nicht, wie weit das reicht. Und da wird es schwierig. Nicht, an dem Extrembeispiel würde ja jeder sofort sagen: naja, so ist es. … Oder wie hier Max Planck einmal gesagt hat: Diese Gesetze, die er entdeckt hat, müssten auch den fernsten Galaxien gelten. Zu jeder beliebigen Zeit, in jeder nur denkbaren Kultur im gesamten Universum. Noch eins drauf. Ja, dann wäre also die die Mental-Stufe praktisch sozusagen das universell Gültige schlechthin. Das ist schwierig. Also ich würde sagen, bis zu einem gewissen Grade muss man von der Universalität des Rationalen ausgehen, bis zu einem gewissen Grade. ‒ Aber wo genau die Grenze ist, weiß ich auch nicht. Also da wird es sehr schwierig.

Teilnehmer: In der klassischen modernen Wissenschaft des Abendlandes ist es so, dass diese Frage in sich überhaupt nicht mehr untersucht wird…

JK: Das ganze Projekt der Moderne geht ja davon aus, dass die… Die Gründerväter dieses Projektes der Moderne waren ja keine Relativisten, die meinten ja wirklich, ihre Erkenntnisse entschlüsseln die Welt, wie sie ist, nicht wie sie irgendeine Kultur sieht, sondern wie sie ist. Und hatte ja auch immer ganz gute Gründe dafür. Es war ja nicht einfach Wahn, muss man ja auch angucken. Man kann ja sagen: Gut, es gibt diese Interpretation und jene Interpretation. Aber immerhin hat sie doch ein weitreichendes Maß an Universalität manifestiert, etwa in der Technik und unbezweifelbar dargestellt. Das ist nicht zu bezweifeln, das kann man ja ablehnen. Kann sagen, das will ich nicht, aber es bleibt erst mal ein Faktum.

Insofern haben die, die dann von der Ebene aus argumentieren, auch wieder recht, wenn sie sagen: Das ist eben das Universelle schlechthin. Das heißt, das Rationale bestimmt sich als das Universelle und gerade nicht als das Kulturspezifische. Das war der Witz der Sache. So hat sich die Aufklärung jedenfalls gesehen. Das ist sozusagen… das ist implizit. Die Universalität ist implizit in dem Gedanken der Vernunft überhaupt. Ich würde ja auch… wenn sie an die ganze Frage der Menschenrechte denken, zum Beispiel, wird es ja auch jetzt politisch manifest ‒ kann man das universell setzen, oder nicht? Aber die Frage ist wichtig, ohne Frage.

Teilenehmer: Ich finde es auch wichtig, dass wir erkennen, dass es subjektive Wahrheiten und objektive Wahrheiten gibt, und dass man also nicht das eine mit dem anderen ausschließen sollte.

JK: Vermischt. Kannst Du das mal ein bisschen genauer sagen: Was wäre eine subjektive Wahrheit für Dich? Gib mal ein Beispiel.

Teilnehmer: Also, subjektiv wäre, wenn ich jetzt sagen würde, ich liebe eine gewisse Frau und andere sagen, ich finde überhaupt nicht, dass sie…

JK: Hat das was mit Wahrheit zu tun? Na gut, … Sie meinen, wahrscheinlich noch ein bisschen was anderes. Es geht ja nicht nur um Gefühle. Also, na ja, gut, also das ist nun auch wieder ein Punkt. Das ist ja die Frage, wie weit das einzelne Subjekt, der Einzelne, die Einzelne überhaupt in der Lage ist, das Ganze zu spiegeln. In der Grundlinie der abendländischen Erkenntnis wird davon ausgegangen, dass das möglich ist. Die Naturwissenschaft basiert auf der Annahme, dass die Welt bis zu einem gewissen Grade tatsächlich erkennbar ist, jenseits der Subjektivität.

Also was einer denkt und fühlt, wie einer liebt, der seine Frau liebt oder hasst, spielt in dem Zusammenhang keine Rolle. Ja, das kann man ja bedauern. Man kann sagen, das sollte nicht so sein. Die Liebe sollte auch in der Erkenntnis eine Rolle spielen. Richtig, dem würde ich zustimmen, aber dann muss man das Ganze wieder anders fassen. Aber so gesehen ist der Anspruch der Naturwissenschaft und im Grunde genommen auch der Anspruch der klassischen Philosophie immer der gewesen, dass man ein Stück Wahrheit erschließt, jenseits des Meinens und der Subjektivität, nicht, sonst kommt man in Teufels Küche. Also ist man auch gekommen. Da ist man ja schon drin, weil ja dann kommt man irgendwann an den Punkt, das ist die Schwäche des postmodernen Ansatzes, wenn man sagt, das alles nur Interpretation, ob ich in Lyrik verfasse oder ob ich die Klampfe schlage oder ob ich irgendwelche Körperbewegungen physikalisch untersuche, das ist alles das Gleiche. Gut. Ist ja eine Ansatz, ist ja ein Ansatzpunkt, aber da ist ein qualitativer Unterschied in dem Anspruch drin. Also das lässt sich nicht klären. Dann müsste man… deswegen habe ich nachgefragt: Was meinen sie mit Subjektivität.

Teilnehmer: Naja, so gibt es ja diese Mystiker, die sagen, ich bin Gott oder : Ich bin die ehrliche Wahrheit oder so.

JK: Also nun ja, also jetzt das, das ist wieder was anderes. Ob ob man seine Frau liebt oder nicht, ist das eine, ob man dann eine Gotteserfahrung hat, was also einer sagt, er tritt in die Welt, er hat das erlebt, nicht, ‒ das ist natürlich dann ein hoher Anspruch. Und dann ist die Frage, … dann ist die Frage: Wird es von der kulturellen Gemeinschaft akzeptiert, oder wird es nicht akzeptiert? Wenn es nicht akzeptiert wird, ist man Ketzer, kann auf dem Scheiterhaufen landen oder sonstwie in Schwierigkeiten kommen, oder es wird kulturell offiziell akzeptiert. Und dann: Warum wird es akzeptiert? Ist das dann subjektiv? Und da sind wir wieder in einem ganz anderen Punkt, wie weit dann solche tiefen Erlebnisse überhaupt objektivierbar sind? Die Kritiker sagen, das wissen sie ja, die Kritiker sagen ja immer: Na ja, das ist doch nur die Innenschau des Einzelnen ohne jegliche Objektivierbarkeit.

Obwohl Mystiker aller Zeiten auch immer darauf hinweisen, dass es bestimmte Schritte gibt; Bruno ist kein Mystiker in diesem Sinne, aber er gibt Stufen und Schritte an, über die man bestimmte Erfahrung machen kann. Man kann sagen, ich will diese Erfahrung gar nicht machen. Diese Erfahrung interessieren mich überhaupt nicht. Ist ja auch legitim, aber es gibt zumindest nicht die blanke Willkür. Denn die Rationalisten sind ja sehr schnell, dass sie sagen: Wir haben unsere Methoden, die Methoden funktionieren. Die mystischen Schauungen, Erlebnisse, wie immer, sind nicht objektivierbar, und es gibt auch keine klare Methodik darin, …: es kann sein, es kann nicht sein ‒ pure Glaubenssache.

Aber alle spirituellen Traditionen der Welt haben zumindest den Anspruch erhoben, vorsichtig gesagt, dass es diese Methoden doch gibt, also dass man bestimmte Übungen machen kann, zu bestimmten Ergebnissen kommt. Dann kann man sagen, gut, wenn du diese Methoden nicht anwenden willst, weil es dich nicht interessiert, kannst du auch nicht urteilen über diese Zustände. Und dann muss man doch sagen, gut, versuche es zu machen, dann kommst du vielleicht zu diesen Erfahrungen, aber wenn du gar nicht den Anfang machst, oder zumindestens wie die Buddhisten sagen…: Wenn du nicht sitzt und auch keine schlauen Bücher liest, wirst du nicht weiterkommen. Also dann kommt es tatsächlich auf die Erfahrung an.

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Quantentheorie und Mystik

Vorlesungsreihe:

Mensch und Erde, Teil IV
Gedanken zu einer neuen Theorie der Natur und des Kosmos

Humboldt-Universität zu Berlin
Sozialökologie als Studium Generale / Wintersemester 1998/99 Dozent: Jochen Kirchhoff
Quelle: YouTube-Kanal Jochen Kirchhoff / Alle Audiovorlesungen Nr. 7

Transkript als PDF:


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Innerhalb dieser Vorlesung gibt es einen Dreiteiler, eine Triade gleichsam, die sich beschäftigt mit der Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Spiritualität. Ich habe Ihnen vor einer Woche am Beispiel Newtons vorgestellt, wie Newton versucht hat, Spiritualität, was er darunter verstanden hat, mit Physik zu verknüpfen. Sie werden sich vielleicht erinnern, dass Newton die Auffassung vertreten hatte, dass eine Physik ohne Gott keine wirkliche Physik ist. Für ihn war also die Frage nach dem Göttlichen in der Welt nicht eine flankierende Frage, die einem je anderen Glauben vorbehalten ist, sondern eine zentrale Frage. Und der Briefwechsel, von dem die Rede war, des Newton-Schülers Samuel Clarke mit Leibniz, berührt ja immer wieder zentral die Frage: Was ist das Göttliche in der Welt? Was ist der Raum? Was ist die Zeit? Was ist die Materie? Gibt es Freiheit, Freiheit-Notwendigkeit, Determinismus, Kausalität ‒ und all diese Fragen. Also zentral auch philosophisch- spirituelle Fragen. Und ich habe Ihnen auch versucht darzustellen, dass sich Newton entgegen dem, was die gängige Überzeugung ist, primär als Philosoph verstand und nicht zufällig sein Hauptwerk genannt hat „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie“.

Es gibt den Begriff der „experimentellen Philosophie“, den er anwendet. Also das Ganze war als Naturphilosophie konzipiert. Newton war ein zutiefst spiritueller Mensch, auch das habe ich Ihnen dargestellt, der große Schwierigkeiten hatte, das ihm eigentlich in der Tiefe Wichtige auch in seiner Naturphilosophie zum Ausdruck zu bringen. So hat er die entscheidenden Passagen getilgt. Es blieben aber noch einige Stellen übrig. Ich habe das ja dargestellt, auf die natürlich Leibniz aufmerksam wurde, wo es dann eine scharfe, eine sehr kontroverse Auseinandersetzung gegeben hat.

Nun war in der Diskussion das letzte Mal kurz aufgetaucht, die Frage, was denn eigentlich Spiritualität sei. Das sei nicht klar genug bestimmt oder definiert worden. Das ist richtig. Ich habe ganz bewusst zunächst einmal ein, sagen wir mal, Allgemeinverständnis von Spiritualität vorausgesetzt, ich habe das nicht im strengen Sinne begründet. Ich will das auch jetzt nicht tun. Ich will aber einen Versuch machen, an einem Gedankengang von Ken Wilber Ihnen zu erläutern, wie man Spiritualität denken kann.

In seinem letzten Buch „The Eye of Spirit“, „Das Auge des Geistes“, noch nicht ins Deutsche übersetzt, setzt sich Wilber auch mit der Frage auseinander: Was ist eigentlich Spiritualität? Und er stellt zwei grundverschiedene Thesen einander gegenüber, die immer wieder diskutiert werden. Die erste These ist: Spiritualität ist eine Stufe. Es gäbe einen bestimmten Stufengang, beliebig jetzt auch noch fortzusetzen. Nehmen wir einen Stufengang von 1 bis 5, dann wäre im Sinne dieser Interpretation Spiritualität die oberste Stufe. Das ist Spiritualität. Dann wäre das hier vielleicht die mentale Stufe, das Mythisch-Magische darunter, das Archaische, nach Jean Gebser ‒ und so weiter. Also eine Möglichkeit ist: Ich definiere das Spirituelle als die höchste Stufe des Geistes überhaupt. Nicht, also das wäre dann die Essenz des Geistes und gleichzeitig seine Erfüllung. Also mit Hegel gesprochen: Der Geist, der Weltgeist, kommt zu sich selbst, der absolute Geist kommt zum Bewusstsein seiner selbst. Und das ist in diesem Sinne dann spirituell. Das wäre also keineswegs eine verblasene, schwammige, eher New-Age-mäßig gefärbte Version von Spiritualität, sondern eher eine streng philosophische.

Wilber neigt dieser Überzeugung zu und hat sich Vorwürfe damit eingehandelt, die naheliegend sind. Denn man kann ja fragen: Wenn das so ist, dann gibt es also hier keine Spiritualität oder nur rudimentär, etwa im Magischen-Mytischen oder im Mentalen oder im Archaischen, gäbe es dann ja keine Spiritualität. Und damit hat er, mit dieser Kritik an diesem Modell, hat er sich auseinandergesetzt und hat dann die zweite These vertreten. Mittlerweile lässt er beide gleichberechtigt gelten, ohne sich eindeutig auf eine festzulegen. Das hat er früher nicht getan. Jedenfalls ist das nicht so deutlich geworden, sagt er: Spiritualität ist eine Entwicklungslinie, also die Stufen des Geistes, der Selbstbewusstwerdung des Geistes, noch mal Hegel angeführt, sind vollkommen unabhängig von Spiritualität oder Nicht-Spiritualität.

Also es gibt eine Möglichkeit, eine Stufung im Moralischen, im Geistig-Mentalen, im Künstlerischen, im Sozialverhalten ‒ und eben auch im Spirituellen. Dann wäre das Spirituelle also eine, um einen Ausdruck von Bahro zu verwenden, eine Fakultät des Menschen, eine Grundfakultät des Menschen, die auf jeder Stufe genau so ihr Recht hat und auf jeder Stufe in einer eigenen Form konstelliert ist. Das ist vollkommen anderes, also entweder ist die Spiritualität eine letzte Stufe oder eine Entwicklungslinie, die im Prinzip auf jeder Stufe möglich ist. Ich sage das noch mal, Wilber selber lässt beide gelten, neuerdings. Früher hat er eindeutig diese Version favorisiert. Er sagt also heute: Beide Betrachtungsweisen sind möglich.

Und dann natürlich die Frage: Was ist dann Spiritualität? Ich meine, Spiritualität kommt von spiritus, da steckt Geist drin, und er gibt dann einen Versuch zu deuten oder zu erklären, was seiner Meinung nach Spiritualität sei, und er führt den berühmten Theologen Paul Tillich an. Und im Englischen heißt es dann, Spiritualität sei, so paraphrasiert er Paul Tillich, das, was den „ultimate concern“ ausmacht, also das, was den Menschen im Innersten und im Letzten angeht. Das, wo er, wie ich vielleicht sagen würde, den existentiellen Ernstfall praktiziert. Also spirituell ist jene Zone, wo der existentielle Ernstfall quasi Wirklichkeit ist, und jene Zone, in der die möglicherweise existierenden Letztwerte wurzeln, also die letzte, äußerste, subtilste und zugleich innerste Zone jenseits jeglicher festgelegten oder dogmatisch verbauten Religion, also nicht identisch mit Religion.

Insofern ist es ein bisschen verwirrend, wenn dieses Buch [von Wilber] „The Marriage of Sense and Soul“ in Englisch im Deutschen dann heißt „Naturwissenschaft und Religion“, weil das einen ganz falschen Eindruck erweckt. Es geht eigentlich gar nicht in diesem Buch im engeren Sinne um dieses Verhältnis Naturwissenschaft, Religion. Es geht um das Verhältnis von Wissenschaft überhaupt, unter anderem Naturwissenschaft, und Spiritualität, unter anderem in Form etablierter Religionen. Aber es geht um den essentiellen Kern. Das ist wichtig. Und dieser Titel ist zutiefst missverständlich. Also das nur vorab gesagt. Also der Versuch, Spiritualität zu definieren, ist fast unmöglich. Ich finde es legitim und auch fruchtbar zu sagen mit Paul Tillich, gut, jetzt mal Englisch, wie „ultimate concern“, also das, was das Äußerste und Innerste zugleich bedeutet das Letzte, wo der Mensch also aufs Äußerste herausgefordert ist in seiner existentiellen Befindlichkeit, das ist spirituell. Das könnte jedenfalls so interpretiert werden. Und das kann man dann natürlich in jeder kulturell kollektiven Stufe und in jeder Individualbiographie genau verfolgen, das wäre auch für ein Kind fest zu machen. Man kann ja nicht sagen, nur ein Erwachsener kann spirituell sein. Auch eine kindliche Stufe, eine vormentale Stufe, kann durchaus spirituell sein. Also das noch einmal zu dem, was letztes Mal jemand fragend in den Raum gestellt hat: Was sei denn nun eigentlich Spiritualität? Darüber hätte ich nichts Klares gesagt. Ich will das zunächst auch mal nicht weiter präzisieren, weil diese gewisse Unschärfe in dem Begriff zur Sache gehört. Ich möchte sie auch so stehen lassen.

Nun geht es heute oder soll es heute gehen um die Frage, ob sich Quantentheorie und Mystik zusammendenken lassen. Diese Frage ist von Anfang an gestellt worden. Gibt es ein Tao der Physik? Das bezieht sich auf den berühmten Buchtitel von Fritjof Capra Mitte der 70er Jahre, ein österreichischer Physiker, der das in London konzipiert hat, später in Kalifornien, „[das] Tao der Physik“. Capra hat damals einen Gedanken aufgegriffen, den auch die Gründerväter der Quantentheorie schon ventiliert hatten, am stärksten wahrscheinlich Erwin Schrödinger, nach dem die berühmte Schrödinger-Gleichung benannt ist und Werner Heisenberg. Heisenberg war auch in Indien, hat sich mit Tagore unterhalten, hat viele Parallelen festgestellt, und Capra hat im Zuge der Abfassung seines Buches auch oft und lange mit Heisenberg konferiert. Also es ist ein wichtiger Punkt, grundsätzlich heraus­zustellen, dass die Behauptung eines möglichen Zusammenhangs nicht eine späte New-Age-Erfindung ist, sondern in der Sache selber wurzelt und auch ventiliert wurde. Also, nicht nur von Heisenberg und Schrödinger, auch von Pascual Jordan und anderen.

Also die Frage, wenn die Wirklichkeit so eigenartig, mal so gesagt, ist, wie es den Anschein hat, dann kann man diese Eigenartigkeit, diese Seltsamkeit, diese Paradoxien vielleicht besser mit asiatischem Denken erklären als mit europäischem Denken. Das war der Ansatz. Ob nicht vielleicht die aristotelische Logik und das rational-lineare Denken zu kurz greifen, um das wirklich in der Tiefe verständlich zu machen? Also der Ansatz ist alt, seit den vierziger Jahren wurde das immer wieder ventiliert. Berühmt geworden dann durch das Buch „Das Tao der Physik“ von Fritjof Capra. Der hat das in gewisser Weise popularisiert, und so geistert es nun auch in ziemlich abgeflachter, trivialisierter Form durch die New-Age-Zirkel. Und auf eine ganz plakative Formel mal gebracht ist die Aussage folgende, in mittlerweile hunderten von Büchern immer wieder neu dargestellt: Was die Quantenphysik an Holismus, an Einheit, an Ganzheit der Welt physikalisch-mathematisch enthüllt hat, das habe bereits im asiatischen Denken lange Fuß gefasst, das sei eigentlich schon die Grundvoraussetzung des asiatischen Denkens überhaupt. Das heißt, im asiatischen Denken habe man immer schon holistisch gedacht, man habe den Zusammenhang der Welt gedacht und weniger das Analytisch-Rational-Lineare bevorzugt. Nun ist es eine These, die in dieser Form, zumal dann, wenn sie sich sehr eindimensional und plakativ äußert, auch unbefriedigend. Und deswegen will ich versuchen, Ihnen mal ein paar Grundgedanken zu erläutern der Quantentheorie und den Ausgangspunkt darstellen, von dem aus man das Ganze vielleicht neu denken kann. Ich will gleich hier an der Stelle nicht verschweigen, dass ich nun große Zweifel habe an dieser These. Ich glaube, dass da eine Verwechslung vorliegt, wobei ich nicht abstreite, dass es tatsächlich bestimmte Zusammenhänge gibt, das ist wohl nicht zu leugnen. Aber man muss da wohl die verschiedenen Bewusstseinsebenen auseinanderhalten. Also philosophisch gesehen würde ich sagen, hier liegt ein Kategorial-Irrtum vor, man verwechselt verschiedene Ebenen miteinander.

Am schwierigsten wird das, wenn man Beobachtungsergebnisse der mikro­skopischen Welt, der Mikro-Welt, des ganz Kleinen, für die Makro-Welt unterstellt. Was ja ein wichtiger Schritt ist, der vollzogen wird, bis dahin, dass dann eine Art Quanten-Idealismus in vielen Büchern auftaucht, der ganz dicht liegt an dem abendländischen Idealismus etwa von George Berkeley, dass die Welt letztlich nur eine Phantasmagorie des Geistes ist. Es gibt auch eine Quanten-Mystik. Und da ist schon der erste Punkt, inwieweit es überhaupt legitim ist, diese Übertragung vorzunehmen.

Ich will das versuchen mal darzustellen. Worum geht es überhaupt in der sogenann­ten Quantentheorie? Ich will das in ganz kurzer Form Ihnen mal versuchen zu erläutern, was der Ausgangspunkt war. Ich will das mal noch an zwei Punkten zeigen: a) am Begriff der Kausalität und b) an der Frage Kontinuum oder Gequanteltheit, ein furchtbares Wort. Alle Begriffe sind da schwierig. Von Quantisierung ist häufig die Rede, von gequantelter oder gekörnter Wirklichkeitsstruktur. Alle Begriffe sind irgendwie schlecht. Es geht um den Gegensatz: Ist die Wirklichkeit ein Kontinuum, das, wie das ja auch Leibniz vermutet hat, also dass zum Beispiel eine Strecke beliebig verkleinert werden kann usque ad infinitum. Oder gibt es da eine letzte Grenze, z.B. eine Elementargröße, die nicht weiter reduziert werden kann? Dann würde man bei jeder Reduktion auf diese letzte Größe stoßen. Man würde auch in der Zeit auf eine letzte Zeiteinheit stoßen, man würde in der Natur auf letzte Einheiten stoßen. Das ist ja der atomistische Gedanke, dass es diese Einheiten gibt. Und die Frage ist ja, ob das so ist, oder ob das nur unserer Wahrnehmung entspringt.

Ich habe zur Kausalität schon einiges gesagt, letztes Mal. Ich will daran noch mal anknüpfen. In der sogenannten klassischen Physik wird unterstellt, dass die Welt kausal gebaut ist, dass eine lückenlos funktionierende Kausalität in der Welt herrscht. Und es wird niemals unterschieden zwischen Kausalität und Determinismus. Das ist [aber] wichtig, weil, das ist nicht dasselbe. Aber mir ist keine Darstellung aus der Feder von Physikern oder Wissenschaftshistorikern bekannt, die da eine klare Unterscheidung machte. Determinismus wird fast ausschließlich gleichgesetzt mit Kausalität. Kausalität heißt ja zunächst nichts weiter als nihil sine causa, alle Dinge haben eine Ursache. Nichts, was geschieht, kann ohne eine Ursache gedacht werden. Insofern ist, das sagt auch der Determinismus, insofern ist die Kausalität ein weiterer Begriff. Determinismus ist der engere Begriff. Determinismus greift den Gedanken auf von Kausalität, spitzt ihn aber auf eine bestimmte Pointe, wenn man so will, zu, nämlich diese Grundbeschaffenheit der Welt, die kausale Grundbeschaffenheit der Welt ist absolut notwendig. Das heißt, es gibt keinen Freiheitsspielraum. Die Welt einmal angeworfen, läuft quasi eigengesetzlich immer weiter. Es gibt keine Lücke in dieser Welt, keine Lücke, in die sich zum Beispiel eine Art von Freiheit einschleichen könnte, mit der man dann diese Kausalität als Determinismus irgendwie modifizieren könnte.

Das hat ja vor zweihundert Jahren zu dieser berühmten Denkfigur des Mathe­matikers und Astronomen Laplace geführt, der ja davon ausging, ganz anders Newton, ich habe das ja gesagt, Newton war gar nicht dieser Auffassung, also, Laplace ging ja davon aus, die Welt ist lückenlos kausal determiniert, deterministisch gebaut. Also wenn man einen Schnitt macht, zu einem beliebigen Zeitpunkt in dieser Welt, zum Beispiel jetzt, ein Schnitt macht in dieser Welt, meint Laplace, müsste es möglich sein, im Prinzip die gesamte nur denkbare Zukunft aus diesem Schnitt des Jetzt heraus zu berechnen. Das war seine berühmte Fiktion des Weltdämons. Er sagte, ein Weltdämon wäre denkbar mit einem übermenschlichen Bewusstsein, das in der Lage ist, die Welt in toto zu überblicken und sämtliche Facetten, sämtliche Nuancierung bis in die Ewigkeit hinein als absolut determiniert voraus zu bestimmen.

Das war die, legendäre fast, Fiktion des Laplaceschen Weltdämons. Sie wissen, ich habe das dargestellt, Newton hat das ganz scharf kritisiert. Das war ja die Theorie auch von Leibniz. Newton war der Auffassung, dass es diesen Determinismus nicht gibt. Trotzdem hat er eine bestimmte Form von Kausalität favorisiert, er meint, es gibt sogenannte freie Ursachen. Das heißt, die Kräfte nach Newton, nicht, die innewohnende Kraft als Trägheitskraft, die von außen angreifende Kraft vis impressa, mit Abstrichen auch die Gravitation, sind Kräfte, die die Körper nicht in einem absoluten Sinne determinieren, aber doch bestimmen, aber es gibt Freiheitsspielräume. Und Gott habe, meint Newton, die Möglichkeit, in diese Welt einzugreifen. Er müsste es sogar tun, weil die Welt kein mechanistisch gebautes perpetuum mobile ist. Das war ja ein Hauptkonflikt mit Leibniz. Nun, wenn man die Diskussion um die Quantentheorie verfolgt, dann stellt man ja immer wieder fest, dass einer der Hauptpunkte dieser Theorie ja darin besteht, zu sagen, die Welt ist nicht determiniert, sie ist im Mikro-Bereich, wie es heißt, unbestimmt, und zwar nicht nur unbestimmt in dem Sinne, dass wir mit unseren Instrumentarien und mit unserem Denken die an sich bestehende deterministische Ordnung nicht erkennen, sondern an sich ist diese Welt in sich nicht deterministisch. Es gibt also Freiheit sozusagen in der Materie selber, um dann auch noch eine Stufe weiter zu gehen. Das war eine Diskussion, die heute weitgehend vergessen ist, die aber nach dem Ersten Weltkrieg, die die Intellektuellen in Europa kolossal bewegt hat, man kann geradezu sagen, das war eine Art Modeströmungen, 1919/20 bis in die späten zwanziger Jahre hinein, die Kausalität zu widerlegen. Wenn Weizsäcker mal gesagt hat, er habe als 14-jähriger ein Gespräch mit Werner Heisenberg gehabt, als dieser gerade seine Unbestimmtheitsrelation aufgestellt hat, Heisenberg hat dann dem jungen Weizsäcker gesagt, er habe das Kausalgesetz, das Kausalitätsgesetz, widerlegt, ‒ dann ist das eine in der Zeit liegende Grundhaltung gewesen, die unglaublich verbreitet war. Man kann geradezu feststellen, dass die Kausalität, die eben noch so mächtig dastand, zunehmend in Misskredit gebracht wurde. Sehr schön stellt das dar der Franko Sellérie, übrigens eines der besten Bücher, die es gibt zur Gesamtdarstellung der Quantentheorie, „Die Debatte um die Quantentheorie“, Mitte der 80er Jahre erschienen, der stellt das auf eine sehr eindrucksvolle Weise dar, dass das eine, wirklich eine Art Strömung war, eine ganz verbreitete Strömung, die Kausalität ist widerlegt. Das hieß immer für diese Physiker, für die damalige Physikergeneration, der Determinismus ist widerlegt. Ich muss es noch mal sagen: Kausalität und Determinismus wurde immer gleichgesetzt.

Es wäre also im Sinne der alten Kausalvorstellung unmöglich gewesen, dass es ein spontanes Ereignis in der Natur gibt. Genau das nimmt ja die Quantentheorie an, dass es spontane nicht kausal rückführbare Momente gibt in der Natur. Dann fragt man, woher kommen diese Momente? Warum emittiert jetzt ein bestimmtes Teilchen? Eine Kausalfrage in diesem Sinne gilt als nicht zulässig, weil es hieße, die alte Kausalvorstellung, deterministische Vorstellung wieder einzuführen.

Ich gebe mal eine kleine Passage aus diesem Buch, weil der Sellérie das auf eine sehr prägnante Weise darstellt. In vielen Büchern zur Quantentheorie taucht das so prägnant nicht auf. Deswegen sage ich das mal, ich lese mal ein paar Sätze hieraus vor aus dem Buch Franco Sellérie „Die Debatte um die Quantentheorie“: „In seiner wichtigen Studie über die Geschichte der Quantentheorie fand Paul Forman überzeugende Beweise dafür, dass in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, aber vor der Entwicklung der akausalen Quanten­mechanik, also schon vor der Quantenmechanik, sich zahlreiche deutsche Physiker unter dem Einfluss geistiger Strömungen und aus Gründen, die nur unwesentlich mit Entwicklungen innerhalb ihrer eigenen Disziplin zusammenhingen, von der Kausalität in der Physik distanzierten oder sie sogar explizit ablehnten. Kausalität im Sinne von Determinismus galt als tot, als leblos, und die Frage wurde ja damals vielfältig diskutiert: Wie kann ein deterministisch gebautes Weltganzes überhaupt Leben hervorbringen?“ Nicht, das ist ja schon die Frage im späten 18. Jahrhundert bei Kant „Kritik der teleologischen Urteilskraft“. „Der intellektuelle Druck war so stark, dass viele Physiker eine akausale Quantenmechanik erhofften, aktiv danach suchten und sie gerne akzeptierten. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg war die intellektuelle Hauptströmung in der Weimarer Republik eine existenzialistische Lebensphilosophie, die sich gegen den Rationalismus im Allgemeinen und in den exakten Wissenschaften im Besonderen aussprach. Diese Lebensphilosophie war keine systematische Philosophie, die von einer Gruppe oder Schule ausging, sondern eine allgemeine Tendenz in der deutschen Kultur, die sich gegen jede rationale Weltanschauung wie logische Systeme, kausale Erklärung, Mathematik, Dialektik wandte. Sie wurde von Intellektuellen, Politikern und sogar Wissenschaftlern verbreitet. Ihr vielleicht eindrucksvollster Vertreter war Oswald Spengler.“ Man könnte sagen, gut, was hat Spengler mit Physik zu tun? Er war Mathematiker, das nebenbei gesagt, aber sein [Buch] „Untergang des Abendlandes“ ist auch ein großes Plädoyer in entscheidenden Passagen über Mathematik und Physik gegen die Kausalität. Spengler meinte auch, dass die Physik vollständig historisch determiniert ist. Es gibt einfach keine anderen Begriffe als anthropomorphe Begriffe. Dies gilt sicherlich auch für jede physikalische Theorie. „Ein Hauptziel von Spenglers Angriffen war die Idee der Kausalität. Für ihn war der Gegensatz von Schicksalsidee und Kausalitätsprinzip, der wohl niemals bisher als solcher in seiner tiefen weltgeschichtlichen Notwendigkeit erkannt worden ist, der Schlüssel zu einem der ältesten und mächtigen Menschheitsprobleme. In Zeitungen, öffentlichen Veranstaltungen und Gesprächen wurden Wissenschaftler offen angegriffen und manchmal sogar von ihrer eigenen Familie kritisiert. Forman bezieht sich hier auf die Anschuldigung, die der arme Max Born täglich von seiner Frau, einer Amateurdichterin und Schriftstellerin, zu hören bekam. Auch mit Einsteins brieflicher Erklärung, dass Borns Materialismus einfach eine kausale Betrachtungsweise war, erklärte sie sich nicht zufrieden. Diesem starken Druck hatten die Wissenschaftler keinen einheitlichen Widerstand entgegenzusetzen. Bemerkenswert war auch die Bekehrung von Leuten, die an Kausalität geglaubt hatten. Forman berichtet dazu, Zitat: ,Die quasi religiöse Bekehrung zur Akausalität war im Sommer/Herbst 1921 ein häufiges Phänomen in der deutschen Physiker-Gesellschaft. Wie bei einem großen Erwachen bekannte ein Physiker nach dem anderen einem allgemein akademischen Auditorium, dass er die Doktrin der Kausalität ablehne und die frohe Botschaft verkünde, dass die Physik die Welt aus ihren Fesseln befreien würde. Richard von Mises zog bereits 1921 die Quantentheorie als Widerlegung der Kausalität heran und versuchte sogar zu zeigen, dass in seinem eigenen Gebiet, der klassischen Mechanik, die Kausalität nicht gelte’“… und so weiter.

Ich will damit nicht sagen, das wäre ein großes Missverständnis, dass das in irgendeiner Form eine Erklärung wäre für die Grundlage der Quantentheorie. Überhaupt nicht. Ich will nur erst mal darauf hinweisen, dass es eine geistesgeschichtlich mächtige Strömung gab in dieser Zeit, die diesen Gedanken einer möglichen Akausalität zumindest erleichterte, in gewisser Weise favorisierte. Diese Strömung gab es, daran ist nicht zu zweifeln. Man kann die Zeugnisse der einschlägigen Physiker daraufhin untersuchen, man wird immer wieder auf den Punkt stoßen, dass man bemüht war, die Kausalität zu widerlegen, im Sinne von Determinismus.

Nun, worum ging es in der Quantentheorie? Ich will das noch mal in ganz kurzen Worten ihnen versuchen zu erläutern, wenigstens was einige zentrale Punkte betrifft. Es gibt drei Hauptmomente in der sog. Quantentheorie, die damals leidenschaftlich diskutiert worden sind und die heute, 70 Jahre später, ungeklärt sind wie eh und je. Das muss man überhaupt und generell sagen, dass die Grundfragen, die in den 20er Jahren ventiliert worden sind zu diesem Thema, nicht geklärt worden sind. Also auch 70 Jahre später, muss man sagen, dass erst einmal in der sogenannten scientific community die Fragen rätselhaft sind wie eh und je.

Folgende drei Komponenten sind es: Die Erste Komponente besteht darin, dass man davon ausgeht, und das ist ja philosophisch dann ausgeweitet worden, dass die sogenannte objektive Realität der Elementarteilchen gar nicht im üblichen Sinne gegeben ist, wie zum Beispiel, dass hier ein Buch liegt, hier der Tisch steht oder hier eine Flasche steht. Das heißt, Heisenberg war der stärkste Vertreter dieser Auffassung, die objektive Realität der Elementarteilchen ist so nicht mehr gegeben. Heisenberg hat das wie kein anderer im Laufe von Jahrzehnten immer wieder formuliert. Ein Beispiel aus den 50er Jahren, Zitat: „Das unteilbare Elementarteilchen der modernen Physik besitzt die Qualität der Raumerfüllung nicht in höherem Maße als die anderen Eigenschaften, wie etwa Farbe und Festigkeit.“ Jetzt der entscheidende Satz: „Es ist seinem Wesen nach nicht ein materielles Gebilde in Raum und Zeit, sondern gewissermaßen nur ein Symbol, bei dessen Einführung die Naturgesetze eine besonders einfache Gestalt annehmen.“ Ich lese das noch mal, weil es ins Zentrum der Frage führt, also das Elementarteilchen nach Heisenberg, das hat er unzählige Male gesagt in Vorträgen, Aufsätzen, Büchern, immer wieder neu und anders gesagt, „das Elementarteilchen ist seinem Wesen nach nicht ein materielles Gebilde in Raum und Zeit, sondern gewissermaßen nur ein Symbol, bei dessen Einführung die Naturgesetze eine besonders einfache Gestalt annehmen.“

Das heißt, allein die Annahme, dass es so etwas geben könnte wie vollkommen für sich bestehende Elementarteilchen oder Elektronen, die da eine Bahn, einen orbitalen Kreislauf vollziehen um den Atomkern, hat Heisenberg immer wieder betont, sei so nicht mehr haltbar. Das ist ein wichtiger Punkt, weil die anschauliche Vorstellung des Atoms sich ja bis heute gehalten hat. Atomkern, die Elektronen umkreisen den Atomkern, hat noch nie einer gesehen, kann auch nicht gesehen werden, ist nie beobachtet worden. Noch nie hat einer ein Elektron gesehen, schon gar nicht ein Elektron, das einen Atomkern umkreist. Das sind erstmal die anschaulichen Bilder gewesen des Atommodells von Rutherford 1911, bevor die Quantentheorie ins Feld kam. Noch mal Heisenberg: „Denn die Atome sind nicht mehr körperliche Gebilde im eigentlichen Sinn. In ähnlicher Weise lehren die Erfahrungen der neuen Physik, dass es Atome als einfache körperliche Gegenstände nicht gibt, dass aber erst die Einführung des Atombegriffs eine einfache Formulierung der Zusammenhänge ermöglicht, die alle physikalischen und chemischen Vorgänge bestimmen.“

Also das ist der erste Punkt. Damit wird, Kritiker haben das natürlich gleich bemerkt und bis heute hat es ja nicht gefehlt an Kritikern der Quantentheorie, Einstein war der berühmteste dieser Kritiker, dass damit gleichsam die Geschäftsgrundlage einer rational bestimmten Physik eigentlich außer Kraft gesetzt wird. Denn man muss sich dann dazu bequemen, dass diese Elementarteilchen, was immer nun diese verfluchten Dinger wirklich sind, niemals eine vollkommen eigenständige Existenz haben. Bohr ging ja dann noch weiter, also der Lehrer und Freund von Heisenberg, der ging so weit zu sagen: Bevor wir nicht gemessen haben, können wir noch nicht einmal die Existenz des Elementarteilchens ernsthaft behaupten.

Nun die Frage, die natürlich sofort realistisch auftaucht: Ja aber, es kann doch nicht ernsthaft sein, dass im Messvorgang ein Elementarteilchen erst entsteht? [Das] hat Bohr zurückgewiesen. Einstein hat das, und viele andere Kritiker haben das gesagt: Das kann doch nicht sein! [Das] hat Bohr immer wieder zurückgewiesen: Diese Frage ist eine Scheinfrage, weil, es ist eine unsinnige Frage ist, behauptete er, sich vorzustellen: Was ist dieses Elementarteilchen, wenn keiner hinguckt? Das hat natürlich ungeheure Diskussionen ausgelöst. Einstein hat sich dann besonders in den dreißiger, vierziger Jahren ganz scharf dagegen ausgesprochen. Er hat es als eine Tranquilizer-Philosophie hingestellt, und das hat ja bis zum Zerwürfnis dann von Bohr und Einstein geführt, weil sie sich einfach nicht verständigen konnten: Was ist denn überhaupt Wirklichkeit?

Das ist ja letztlich die Frage, die dahinter steht: Was ist denn überhaupt die Wirklichkeit? Und wie weit ist das Bewusstsein mit dieser Wirklichkeit verbunden? Also das ist der erste Punkt. Das ist ja natürlich, wie man schon auch bei oberflächlicher Betrachtung erkennen kann, ein Moment, der tatsächlich in der asiatischen Philosophie eine Rolle spielt und natürlich in gewisser Weise populär ist, wenn man das jetzt verallgemeinert auf die makroskopische Welt, unterstellt mal, das stimmt überhaupt. Man überträgt es auf die mikroskopische Welt, ist natürlich schwindelerregend. Dann kommt man ja zu dem leicht Heiterkeit auslösenden Statement: Ja, was? Die Welt ist gar nicht da, wenn keiner sie betrachtet?

Der zweite Aspekt, der zentral war in der Quantentheorie, ist eine unvorstellbare, zentrale Bedeutung der Mathematik. Keine Theorie der Physik vorher hat so ausschließlich, fast ausschließlich auf die Mathematik gesetzt wie die Quantentheorie. Und bis dahin, dass diese Theorie im besonderen durch Heisenberg behauptete, was wir mathematisch von dieser an sich unerkennbaren Mikro-Wirklichkeit [er]fassen, ist die innerste Struktur der Wirklichkeit. Dahinter ist überhaupt nichts. Oder da zu fragen, was dahinter sei, sei bereits ein Rückfall in ein realistisches, in gewisser Weise materialistisches Denken. Also das ist die berühmte Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie. Noch einmal ganz vereinfacht gesagt: Wir beschreiben eine vollkommen rätselhafte Mikro-Welt mit einem bestimmten mathematischen Formalismus. Der wird weltweit auf allen Universitäten gelehrt. Physiker lernen das und können das anwenden. Das funktioniert, ohne Frage, das ist anwendbar. Die Voraussagen sind eminent, auf viele Stellen hinter dem Komma, das Ganze ist technisch vollkommen, sozusagen dicht. Daran ist nicht zu zweifeln.

Trotzdem sind die Behauptungen, die da drin stecken, wenn man sie auf ihren realen Gehalt anschaut, natürlich schwindelerregend. Und Kritiker haben an dieser Stelle immer wieder auch vermerkt, das sei überhaupt keine Erklärung der Wirklichkeit der Mikrowelt, sondern die Verweigerung der Erklärung. Am schärfsten hat das David Bohm formuliert, dass die Quantentheorie überhaupt keine Erklärung sei. Zitat noch mal Heisenberg, der ja davon ganz durchdrungen war als Platoniker. Zitat: „Wer den Blick einmal für die gestaltende Kraft mathematischer Ordnung geschärft hat, erkennt ihr Wirken in der Natur wie in der Kunst auf Schritt und Tritt. Als besonders einfaches und augenfälliges Beispiel hierfür sei das Kaleidoskop erwähnt, in dem durch eine einfache mathematische Symmetrie aus bloß Zufälligem etwas Sinnvolles und Schönes entsteht, wie in einer musikalischen Harmonie.“ Heisenberg bedient sich gern dieser Metaphern, er war selber ein sehr bemerkenswerter Pianist. Es gibt sogar eine Schallplatten-Aufnahmen mit ihm und einem Mozart-Klavierkonzert. „Wenn in einer musikalischen Harmonie oder einer Form der bildenden Kunst die mathematische Struktur als Wesenskern erkannt wird, so muss auch die sinnvolle Ordnung der uns umgebenden Natur ihren Grund in dem mathematischen Kern der Naturgesetze haben.“ Also das ist der nächste Punkt, eine bis dahin vollkommen einmalige Betonung der Mathematik, des mathematischen Formalismus so wie ihn die Quantenmechanik vorschreibt.

Und in diesem mathematischen Formalismus werden die Elementarteilchen nicht mehr als reale Wesenheiten betrachtet, und das wird hochgerechnet auf einen n-dimensionalen sogenannten Hilbert-Raum, also ein mehrdimensionales abstraktes Gefüge, wobei die einzelnen Teilchen tatsächlich als Korpuskeln in diesem Sinne verschwinden. Sie lösen sich quasi auf. Sie sind nicht vorhanden. Der mathematische Formalismus funktioniert, obwohl das ja eigentlich Schwindeln machen müsste, wenn man das weiterdenkt.

Der dritte Punkt, von den genannten drei Punkten, ist von mir vorhin schon in anderem Kontext angedeutet worden. Die Stetigkeit und Objektivität der Naturvorgänge im Sinne der klassischen Physik wird also aufgegeben. Das geht dann so weit, dass man sagt, es gibt nur eine bestimmte Beobachtungssituation und zu fragen, was die Dinge überhaupt sind, außerhalb dieser beobachteten Situation, ist eine vollkommen müßige Frage, eine vollkommen sinnlose Frage. Und wenn man heute auch Physiker, die mit der Quantentheorie arbeiten, fragt, was ist denn das eigentlich, sagen die meisten, das ist eine Frage, die wir nicht entscheiden können, das ist eine philosophische Frage ‒ und müssen wir auch nicht entscheiden.

Es funktioniert. Und damit ist natürlich ein kritischer Punkt angesprochen, der heute immer brennender wird, weil auch eine nachwachsende Physiker-Generation da rein geht an die Stelle und immer wieder den Versuch macht, weiter zu gehen und tatsächlich da eine Erklärung zu versuchen, wo keine Erklärung vorliegt. Also, es wird behauptet, dass das An-Sich der Vorgänge und Prozesse im Mikro-Bereich grundsätzlich unbeobachtbar ist, weil jeder Beobachtungsvorgang bereits einen so weitreichenden Eingriff darstellt, dass das, was beobachtet werden soll, dadurch auf eine irreversible Weise verändert wird. Also, das ist ja einer der wichtigen Punkte der sogenannten Unschärferelation von Heisenberg.

Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen lag zunächst in ganz anderen Bereichen. Ich will das nur ganz kurz sagen, weil das den Ausgangspunkt darstellte. Zunächst [um] noch einmal zurückzukommen auf die Frage Kontinuum oder Gekörntheit, Quantisiertheit, oder wie immer, der Wirklichkeit. Dass die Materie in irgendeiner Form gekörnt ist, ist eine alte Vorstellung, das ist die atomistische Vorstellung. Andere, etwa Leibniz haben gesagt, dass sei eine Täuschung, im Grunde gibt es nur ein Kontinuum. Dass aber Strahlung auch gequantelt oder gekörnt sein soll, war, bis zu Planck nicht gedacht worden. Es gab zwar Ansätze schon vorher, aber Planck war der erste, der das gedacht hat, selber große Scheu hatte, das überhaupt zuzulassen und sich leiten ließ, das ist auch nicht uninteressant, von Gedanken, nicht nur der Akustik, sondern der Musik. Und nicht zufällig haben viele Quantentheoretiker immer wieder die Musik herangezogen, denn in der Musik gibt es ja in der Tat nicht das Kontinuum. Wenn Sie also einen Ton als Kontinuum spielen, dann ist es ein Glissando, dann ist es eben keine klare Tonfolge mehr.

In der Tonordnung im Dur-Moll-tonalen Tonsystem des Abendlands zum Beispiel, gibt es eine ganz klare Quantisierung. Die Musik ist geradezu eine klingende Manifestation dieser Art von Quantisierung, in gewisser Weise eine klingende Manifestation auch einer bestimmten Zahlenordnung. Davon ist unter anderem auch Planck ausgegangen, er hat zögernd diese Vorstellung vertreten, die sich durch die experimentellen Befunde nahelegten, dass auch die Energie als elektromagnetische Strahlungsenergie nicht kontinuierlich abgestrahlt wird, [sondern] in kleinen Paketen gewissermaßen. Das ist das berühmte, mittlerweile ja legendäre, Plancksche Wirkungsquantum. Wahrscheinlich wird das zum hundertsten Geburtstag, in Anführungszeichen, dieses Wirkungsquantums dann, im Jahr 2000, wird dieses Wirkungsquantums gedacht. Und das ist zunächst mal eine Sache, die mit der Mikro-Physik oder der Atomphysik wenig zu tun hat.

Der Punkt, warum das in der Quantentheorie, wie sie dann sich entwickelt hat, auch für die Atome so wichtig war, bestand darin, dass, als Rutherford 1911 das Atom als ein Mikro-Sonnensystem begriff, was ja zunächst sehr einfach zu begreifen war, vieles [blieb] vollkommen rätselhaft, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es einen strahlungsfreien Umkreis, einen Umlauf eines Teilchens um den Atomkern geben könnte. Das kann nach der klassischen Theorie des Elektromagnetismus nicht sein. Das Teilchen müsste nach relativ kurzer Zeit, 10 hoch minus sechs Sekunden, in den Kern stürzen. Und daraus ergaben sich die berühmten Postulate von Niels Bohr, der sagt, es gibt eben ganz bestimmte Bahnen nur, die sind strahlungsfrei, und wenn da eine Veränderung sich vollzieht, der berühmte Quantensprung, dann wird Energie abgestrahlt, und zwar in kleinen Portionen ‒ und hier tauchte überraschenderweise wieder dieses elementare Wirkungsquantum auf. Und allein das ist zutiefst rätselhaft, denn [dann] haben die nachfolgenden Physiker rekurriert und ein System darauf aufgebaut, was tatsächlich mathematisch strukturell die Dinglichkeit, die Materialität dieser Mikro-Welt zunehmend aus den Angeln hob, so dass auch im vordergründigen Sinne gar nicht mehr gesagt werden kann, da ist etwas, das geschieht in einer bestimmten Zeit innerhalb eines bestimmten Raums, getrieben von einem Kausal­faktor, sondern das ist spontan.

Damit war die Mikrowelt eigentlich ein Abgrund von Rätselhaftigkeit, denn die herrschenden physikalischen Gesetze galten alle nicht mehr. Newton galt überhaupt nicht mehr, nicht, nach Newton ist es eine absolute Unmöglichkeit, was im Atom unterstellt wurde und auch nach der klassischen elektromagnetischen Theorie ebenso. Man musste also neue Überlegungen anstellen, und ich will das noch kurz vor der Pause sagen: Der entscheidende Punkt war, dass sich Heisenberg und andere darauf zurückzogen, indem sie sagten: Wir können grundsätzlich nicht wissen, wie die Dinge an sich sind, wir können nur unsere Beobachtung beschreiben, in gewisser Weise also ein auch positivistisches Programm, also ein Verzicht auf die Erkenntnis, wie die Dinge sind, in dem Sinne, dass man sagt: Das ist eine unsinnige Frage. Also, etwa die ja naheliegend realistische Frage, habe ich ja vorhin schon gesagt: Ja, wenn denn diese Elektronen gar nicht um den Atomkern kreisen, wie das Rutherford 1911 in seinem berühmten Atommodell angenommen hat, was dann? Wo sind sie eigentlich? Darauf gibt es keine Antwort, wie die Physik das versteht, das sind nur Bilder für eine bestimmte Energiestufen. Vielleicht gibt es diese Teilchen gar nicht. Vielleicht bewegen sie sich ganz anders, als man vermutet.

Heisenberg meinte, die Frage, ob sie existieren oder nicht, sei eine reine Geschmackssache. Auf jeden Fall, für diese Äußerung [ist er] sehr viel kritisiert worden, für diese und ähnliche Äußerungen bis hin, dass man ihm dann Irrationalismus vorgeworfen hat. Einige Amerikaner in den 80er Jahren haben ihm sogar dann ganz scharf vorgeworfen, dass er eigentlich Irrationalismus, deutschen Irrationalismus mathematisch-physikalisch sozusagen serviert. Also, das ist in der Form absurd, aber es hat diese Vorwürfe in der Tat gegeben. Man sagt, es ist eigentlich gar keine Physik mehr. Das ist nur noch ein Versuch, unsere Unkenntnis zu bemänteln. Und der erwähnte Physiker David Bohm, der eine alternative Quantentheorie vorgelegt hat, eine kausale Quantentheorie, hat das ja auch immer wieder dagegen angeführt, Einstein ohnehin, der da zum schärfsten Gegner der Quantentheorie wurde, immer wieder gesagt hat: Das kann nicht sein, das ist absurd, das ist unmöglich. Berühmter Satz, „Gott würfelt nicht“, die Welt kann so nicht sein, kann ja nicht ein Würfelspiel sein. Er hat immer wieder darauf gepocht zu sagen, wir wissen nur noch nicht die Bestimmungsstücke. Wir können doch nicht von vornherein sagen, die Bestimmungsstücke existieren überhaupt nicht.

Und vielleicht als letztes vor der Pause, ein Buch, das auf eine wirklich sehr prägnante Weise die gesamte Diskussion, meine ich, darstellt, ist als Insel-Taschenbuch erschienen, basiert auf einer BBC-Reihe von Paul Davies „Der Geist im Atom“, Paul Davies, eine Diskussion der Geheimnisse der Quantenphysik. Da haben Sie auf eine populäre Weise, auf im guten Sinne populäre Weise, nicht negativ gemeint, sehr verständliche Weise, die gesamte Diskussion um die Quantentheorie und auch Interviews, die damals im BBC gelaufen war, 1984 mit den führenden Quantentheoretikern. Also, Bohr und Heisenberg haben nicht mehr gelebt zu dieser Zeit, aber mit den damals noch lebenden Quantentheoretikern, unter anderem eben John Wheeler, John Taylor und auch David Bohm und andere, wo sie sich zu dieser Frage auch äußern und übrigens auch zu der Frage äußern, einer der Konsequenzen, der philosophischen Konsequenzen, worum es ja heute Abend gehen soll, auch nach der Pause dann zentral: Was hat das für philosophische Konsequenzen? Wie kann man das überhaupt denken? Dass man es rechnen kann, ist vollkommen unbestritten. Also es ist einfach, wäre absurd, das auch nur eine Sekunde lang zu bezweifeln, dass das zu rechnen ist und dass das auch tatsächlich zu präzisen Voraussagen führt.

Einige sagen, die Quantentheorie sei die präziseste Theorie überhaupt, die es gäbe in der Physik ‒ mag sein, könnte sein, also ist durchaus möglich. Trotzdem wirft sie eine Fülle von rätselhaften, beunruhigenden Fragen auf nach der Natur der Wirklichkeit, und das will ich nach der Pause Ihnen versuchen noch genauer zu erklären. ‒

Wenn man davon ausgeht oder wenn man unterstellt, dass die Mikrowelt gar nicht für sich existiert, dass sie also keine eigenständige Existenz hat ohne ein sie beobachtendes Bewusstsein und wenn man auch die Frage, wie das ja einige Theoretiker annehmen, gar nicht stellen darf oder sollte, was denn diese Mikrowelt eigentlich sei, ohne dass sie beobachtet wird, dann ist natürlich die Frage nach dem Bewusstsein die entscheidende. Denn welche Rolle spielt in diesem Kontext das Bewusstsein? Wenn man die Quantentheoretiker daraufhin befragt, stößt man auf vollkommen unterschiedliche Interpretationen bis hin zu parapsychologischen Interpretationen, dass also das Bewusstsein des Beobachters buchstäblich und auf direktem Wege die Mikrowelt beeinflusst. Das ist also eine Interpretation: Der Beobachter beeinflusst durch den Akt der Beobachtung, das, was er beobachtet. Es wäre also eine direkte, geistig-willensmäßige Verbindung. Wenn man davon ausgeht, dass das so ist, hat das natürlich auch wieder weitreichende andere Konsequenzen. Das stellt auch hier Paul Davies in seinem Buch entscheidend dar in dem Abschnitt „Der Geist organisiert die Materie“.

Ich habe Ihnen ja verschiedentlich in diesem Kontext gesagt, dass in der herkömmlichen Naturwissenschaft das beobachtende Subjekt mehr oder weniger eliminiert wird. Das heißt, es spielt eigentlich keine direkte Rolle. Das ist das sogenannte Repräsentations-Paradigma: Das beobachtende Subjekt ist draußen, die Welt entfaltet sich da draußen als für sich existierend, wird abgespiegelt oder widergespiegelt, während hier ja angenommen wird, dass das Bewusstsein tatsächlich das, was es beobachtet, in irgendeiner Form verändert, und zwar nicht in einem psychologischen Sinne, das wäre viel zu schwach, sondern in einem wesentlich stärkeren Sinne, in gewisser Weise also auch in einem parapsychologischen Sinne.

Das wird ja auch verschiedentlich dann angenommen, dass tatsächlich also eine spirituelle Direkteinwirkung auf die Materie möglich ist. Die Schlüsselrolle, schreibt Paul Davies, die der Beobachtung in der Quantenphysik zukommt, führt unweigerlich zu Fragen über die Natur von Geist und Bewusstsein und ihrer Beziehung zur Materie. [Das] ist überhaupt die interessanteste Frage in dem Kontext: der Zusammenhang von Geist und Materie.

Einige Quantenphysiker gehen, soweit zu sagen, auch schon, die Elementarteilchen haben einen eigenen Willen, ein eigenständiges Bewusstsein. Dass der Zustand bzw. die Wellenfunktion eines Quantensystems, wenn es beobachtet wird, sich im Allgemeinen plötzlich verändert, erinnert an die Auffassung, wonach der Geist die Materie organisiert: „mind over matter“.

Da muss ich noch kurz einen Punkt nennen, den ich ergänzend jetzt anführen muss, die Frage nämlich, man kann die Mikrowelt mathematisch beschreiben mit Blick auf ihre Teilchennatur und mit Blick auf ihre mögliche oder reale Wellennatur. Die Frage, was nun wirklich sei, ist erst einmal, in erster Lesung, nicht zu beantworten. Und die realistische Frage, ja, irgendetwas muss es sein, es muss ja entweder ein Teilchen sein oder eine Welle, es kann doch schlechterdings nicht beides sein, ein Ding ist ein Ding, und eine Welle ist eine Welle. Darauf wird geantwortet, auch diese Frage sei eine Scheinfrage, die letztlich so in dieser realistischen Form nicht zu beantworten sei, und die Welle, etwa die Welle in der Schrödinger-Wellenmechanik, wird entweder interpretiert als eine reale Welle, dann erhebt sich als nächstes die Frage: Was schwingt da? Die Frage ist nicht zu beantworten, ein Etwas, eine wie immer geartete Energie des Raums selber, so wie einige avancierte Physiker heute annehmen, also eine Art von eigenständiger Raumenergie, oder ist es nur eine Wahrscheinlichkeitswelle, die letztlich nichts weiter darstellt als eine Aussage darüber, wo möglicherweise sich dieses Teilchen befindet. Wenn ich es denn habe, wenn ich es punktgenau habe, dann, wie das in der Quantentheorie heißt, kollabiert die Welle, dann ist die Welle weg, dann habe ich genau den Ort, aber ich habe nicht mehr seine Geschwindigkeit.

Es hat den Anschein, als ob der veränderte Bewusstseinszustand des Versuchsleiters, in dem Augenblick, in dem er sich des Messvorgangs bewusst wird, auf die Versuchsanordnung und damit auf das Quantensystem zurückwirkt, zurückwirkt und auch dessen Zustand verändert. Demnach verändert also der physikalische Zustand den Bewusstseinszustand, und der Bewusstseinszustand verändert seinerseits den physikalischen Zustand.

In einem früheren Abschnitt haben wir davon gesprochen, dass von Neumann, berühmter Mathematiker, Quantentheoretiker, sich eine unendliche Kette von Messvorrichtungen vorstellte, von denen jede die vorherige beobachtete, aber keine jemals den Zusammenbruch der Wellenfunktion herbeiführte. Ein Ende der Kette kann in diesem Falle nur durch die Mitwirkung eines Individuums zustande kommen. Nur wenn das Messergebnis von jemandem bewusst wahrgenommen wird, kann die ganze Pyramide und entschiedener Quantenzustände konkrete Wirklichkeit kollabieren. Für diese Sicht der Dinge trat vor allem der Physiker Eugen Wegener ein. Nach Wegener spielt das Bewusstsein eine grundlegende Rolle bei der plötzlichen und irreversiblen Veränderung des Quantenzustandes, wie er für einen Messvorgang charakteristisch ist.

Also, oft wird gesagt, erst durch den Messvorgang wird etwa ein Teilchen zu dem, was dann beobachtet wird. Also z.B. das ist ja, findet man dann sogar in Physik-Lehrbüchern, dieses eigentlich beängstigende Paradoxon, dass man zum Beispiel, wenn man der Auffassung ist, wenn man sucht, wo ist ein Teilchen in einer Box in der rechten Hälfte oder in der linken Hälfte, nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür angeben kann, dass es sich in der einen oder anderen Hälfte befindet. Und wenn man dann eine Trennwand einzieht, dann, was passiert dann? Dann ist immer noch unentschieden, ob das Teilchen sich links oder links oder rechts befindet. Der reale oder normale Verstand würde sagen, es kann nicht sein, das Teilchen kann nur rechts oder links sein, und wenn die Trennwand gezogen wird, muss das Teilchen in der einen oder anderen Teil der Box sein. Auch das wird als eine realistische Interpretation abgelehnt, so dass eigentlich die Welt unter unseren Füßen, wenn man das weiterdenkt, etwas absolut Gespenstisches hat. Wenn das, wie ich sagen würde, ontologisiert wird, also, wenn man sagt, das sind nicht nur mathematische Beschreibungsvorgänge, sondern ich erkläre diese Beschreibungsvorgänge für eine wie immer geartete Wirklichkeit, ich sage, die Dinge sind wirklich so, also, nicht nur, dass wir das nicht verstehen, weil unsere Instrumentarien dazu nicht ausreichen, sondern die Dinge sind wirklich so ‒ das wäre schwindelerregend, wenn es sich so verhielte. Das hieße ja, dass im Mikro-Bereich nicht nur eine Unbestimmtheit existiert, sondern dass da quasi Wille, Bewusstsein und auch Freiheit existiert, dass also [ist] denn Spontaneität ohne eine kausale Unterfütterung, was ist sie anderes als Freiheit? Denn wenn ich davon ausgehe, dass ein Phänomen kausal determiniert ist, in diesem eingeschränkten Sinne, dann ist die Freiheit dahin. Und es ist kein Zufall, dass Quantentheoretiker seit den 50er Jahren, angefangen mit Pascual Jordan, immer wieder den Versuch gemacht haben, das zieht sich dann bist zu John Eccles auf, in seinem letzten Buch, den Versuch gemacht haben, die Freiheit, die Freiheit des Willens so zu begründen, indem man sagt, gut, dieses Freiheitsmoment existiert schon in der Materie.

Und wenn wir Menschen uns frei fühlen, dieses oder jenes zu tun, dann ist das bereits angelegt, dann setzen wir einen Freiheitsimpuls fort, der in der Materie selber angesiedelt ist. Denn im traditionellen Sinne, das wissen sie, ist Freiheit nicht zu erklären. Also wenn ich davon ausgehe, dass die Welt kausal determiniert ist, kann ich nicht einmal erklären, warum überhaupt der Wille den eigenen Leib bewegen kann. Nicht, das ist keine banale Frage, sondern tatsächlich eine ungeheuer wichtige und zentrale Frage, übrigens eine ungeklärte Frage. Ich sage es nochmal, weil es dem normalen Verständnis vollkommen widerspricht: Die Frage, warum der menschliche Wille als Geistwille tatsächlich den Leib beherrscht, ist eine physikalisch nicht entscheidbare und nicht fundiertere Frage. Denn das hieße, dass da tatsächlich quasi aus einer anderen Ebene ständig in diese physikalische Ebene eingegriffen wird, was auch wirklich der Fall ist, und wie das möglich sein kann, ist ein Mysterium, ein Mysterium, das ja auch, ich sagte es ja vor 14 Tagen, John Eccles in seinem letzten Buch „Wie der Geist das Gehirn bestimmt“, dargestellt hat.

Nun ist die Frage: Was hat das mit Spiritualität zu tun? Wenn ich mich auf diese Schiene begebe und sage gut, die Wirklichkeit, die Mikro-Wirklichkeit hat diesen unbestimmten Charakter, diesen rätselhaften Charakter, diese ständige Verbindung mit dem Bewusstsein, was ist daran spirituell? Und da muss man genauer hingucken. Man kann natürlich sagen, rein vordergründig, gut, das beweist das, was die Mystik immer gesagt hat, die Welt als eine solche da draußen, existiert gar nicht. Sie ist nur eine Phantasmagorie, ein Maya, ein Gespinst, ungreifbar wie eine Traumerscheinung. Sie hat keine wirkliche Wirklichkeit, kann man sagen, unterstellt immer natürlich, das muss ich noch einmal sagen, dass es legitim ist, von dem Mikro-Bereich auf den Makro-Bereich zu schließen. Das ist in der Tat die Crux dabei: Ist das legitim oder es ist nicht legitim? Nicht, das muss ja natürlich unterstellt werden.

Man kann natürlich sagen, die Makro-Objekte funktionieren nach einer ganz anderen Physik als die Mikro-Objekte. Ist das befriedigend? Das ist natürlich zutiefst unbefriedigend. Dann müsste man der Auffassung sein, dass die Welt ganz verschiedene Wirklichkeitsebenen hat, was ja auch durchaus möglich ist, wobei jede dieser Wirklichkeitsebenen andere Gesetze hat. Dann hätte zum Beispiel die Mikro-Ebene ganz andere Gesetze als die Makro-Ebene und da wird es sehr schwierig, wenn es um die Frage geht, kann es überhaupt so eine Art einheitliche Physik geben? Kann das möglich sein, dass da ganz andere Gesetze herrschen?

Nun hat diese schnelle Zusammenführung eine ungeheure Popularität. Nicht, das ist in den letzten Jahren ein bisschen zurückgegangen, aber in den 80er Jahren hat kaum einer der einschlägigen Autoren sich das entgehen lassen. In dem Kontext, wenn es um spirituelle Dinge geht, immer darauf hinzuweisen: Wie schon die Quantentheorie bewiesen hat, sind alle Dinge miteinander verbunden und hat das Bewusstsein Einwirkung auf den Mikro-Bereich. Es wurde ständig wie eine Selbstverständlichkeit eingeführt.

Zu kurzschlüssig meine ich, zu schnell auch, weil doch eine Fülle von Fragen dabei vollkommen unbeantwortet bleiben. Und ich finde es eigentlich bedauerlich, dass in der Diskussion um diese Fragen man mit ganz wenigen Ausnahmen da nicht wesentlich weitergekommen ist.

Ken Wilber in seinen Büchern, hat das schon in den späten 70er Jahren, schon vor zwanzig Jahren, scharf angegriffen und mit dem Hinweis darauf, dass hier eine Verwechslung vorliegt, dass man nämlich dem Trugschluss erliegt, dass man das, was im Subatomaren, im Mikro-Bereich zu beobachten ist, da den Geist ortet und nun im Schnellverfahren das mit dem menschlichen Geist, womöglich noch in seinen spirituellen Höhenstufen, zusammenbringt. Das heißt, die unterste Stufe, im Sinne dieser Skala, wird mit der obersten Stufe zusammengebracht, als ob es nicht jede Menge Zwischenstufen erst einmal zu vollziehen gälte. Und das ist in der Tat eine große Schwäche aller dieser Überlegungen ‒ dass sie viel zu schnell die Zwischenstufen alle überspringen.

Es ist ja nicht so, dass man mit Hilfe der Quantentheorie zum Beispiel auch nur die Chemie wirklich erklären könnte. Selbst ein Physiker wie Stephen Hawking hat das vor einigen Jahren einmal ganz eindeutig gesagt, geschweige denn die Biologie, geschweige denn das Mentale, geschweige denn Transmentale, höhere und spirituelle Stufen, wie immer. Das ist nicht möglich. Das heißt, die Schwäche dieser Gleichsetzung besteht darin, dass man etwas ganz unten im elementarsten Bereich, was man in bestimmter Weise interpretiert, im Schnellschussverfahren gleichsetzt mit der höchsten spirituellen Stufe und dass man die Verbundenheit auf der materiellen Ebene, auf der energetischen Ebene einfach gleichsetzt, wenn sie denn existiert, gleichsetzt mit einer ganz anders gearteten Verbundenheit, die auf der höchsten Bewusstseinsstufe möglicherweise existiert. Und da müsste man noch wesentliche Schritte vollziehen. Ganz zu schweigen davon, dass natürlich eine rein theoretisch intellektuelle Überlegung dieser Dinge eigentlich wenig bringt. Und mit Recht weist Wilber immer wieder darauf hin, dass man das eigentlich nur entscheiden kann aufgrund einer spirituellen Praxis, die dann möglicherweise diese Zusammenhänge herstellt. Besonders scharf und schärfer als sonst hat das Wilber in seinem Hauptwerk bisher „Eros, Kosmos, Logos“, „Sex, Ecology, Spirituality“ auf Englisch, dargestellt. Und wenn Sie das nachlesen wollen, das ist in den Anmerkungen dieses Buches, wo er sich auseinandersetzt mit der Modeströmung, sag ich mal, dieser schnellen Gleichsetzung, die ich auch für schwindelerregend halte in ihrer Oberflächlichkeit. Es kann so nicht sein. Man muss da wesentliche Zwischenstufen erst einmal noch vollziehen, sonst bleibt das einfach eine ganz vage Geschichte, genau wie das, was ich dann in 14 Tagen darstellen möchte: die Sache mit der Einheit, ja, alles ist eins, alles ist verbunden, wir sind alle verbunden miteinander, ja, wunderbar. Aber das mag stimmen und wird wahrscheinlich auch stimmen, aber das ist ja nicht gedacht. Mit einer solchen verschwommenen unio mystica kommt man, glaube ich, nicht weiter.

Nirgends, ich zitiere mal kurz den Wilber hier aus dem Schlussteil der Anmerkungen hier von „Eros, Kosmos, Logos“: „Nirgends wird die Katastrophe,“ schreibt Ken Wilber, „die monologische Wissenschaft zu nehmen und zu versuchen, sie zu einem vollständigen neuen Paradigma zu machen, offensichtlicher als bei den Schriftstellern und Theoretikern, die sich mit neuer Physik und Mystik befassen. Also die Katastrophe einer im Grunde monologischen Wissenschaft, einer Wissenschaft, die nicht davon ausgeht, dass wir dialogisch mit der Natur umgehen, sondern, die Natur gibt keine Antwort. Es sind ihrer zu viele, um sie hier aufzählen zu können, wenn Reduktionististen eine spirituelle Erfahrung machen, etwas, was in Physikbüchern meist nicht vorkommt, wirkt dies gewöhnlich als Ansporn, Philosophie zu verbrechen, und das Ergebnis ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Ganz gleich wie löblich die Absichten auch sein mögen, die meisten dieser Theorien, die das Thema ausspinnen, die neue Physik unterstützen, suggerieren Beweise, eine mystisch einheitliche Weltsicht, sind verunstaltet durch den Versuch, einfach das monologische Flachland-Paradigma in dialogische und translogische Bereiche auszuweiten. Meist nehmen sie bestimmte mathematische Formalismen, besonders die Wellenfunktion Schrödingers und ihr Kollabieren bei der Messung, und interpretieren sie sehr großzügig. Trotz der Tatsache, dass die Physiker selbst sehr gespaltener Ansicht darüber sind, wie diese Formalismen zu interpretieren sind, und dann verheiraten sie diese sehr ungenaue und großzügige Interpretation mit ihrer ebenso freien Interpretation der mystischen Spiritualität. Dabei kommt dann etwas heraus, wie, die neue Physik unterstützt oder beweist sogar eine mystische Weltsicht.

Formalismen, die die niedrigsten unbewusstesten, am wenigsten in die Tiefe gehenden Holons beschreiben, also sozusagen den Bodensatz der Wirklichkeit, die es nur gibt, auszuweiten zu einem Paradigma des dialogischen, intersubjektiven kulturellen Austausch umfassen soll, der auf gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Erkenntnis beruht, das ist mehr als ein Quantensprung, jetzt sehr scharf polemisch, ist ein Glaubenssprung, der ins Guinness-Buch der Rekorde gehört. Quanten-Formalismen können nicht einmal die Grundlagen der Biologie und der Autopoesie erklären und schon gar nicht Ökonomie, Psychologie, Literatur, Poesie, Moral, Ethik, um nur einige wesentliche Bereiche zu nennen. Aber Physiker sind so daran gewöhnt zu denken, dass das Grundlegendste, also das Elementarste gleichzeitig das Bedeutendste bedeutet, dass sie glauben, alle höheren Ebenen von Wissen seien in den oberflächlichsten Holons begründet, sonst halte sie für gar nicht begründet, da die fortwährende Neigung, die Physik, die phantasievoll interpretiert, auch immer auf alle beliebigen Bereiche direkt auszuweiten.“ … 781. Ich habe jetzt nur einen kleinen Passus zitiert.

Der Grundgedanke ist klar, dass die Elementarebene, die in irgendeiner Form wahrscheinlich wirklich holistisch arbeitet, im Überstieg mit der höchsten Ebene gleichgesetzt wird. Und das tut beiden Ebenen, meine ich, dann Unrecht, dann hat das weder eigentlich in der Tiefe was mit Physik noch mit Mystik zu tun. Dann ist das letztlich eine sehr flache und vordergründige und monologische Art von Ganzheitsvorstellung. Und das ist mir wichtig in dem Kontext hervorzuheben. Wenn man da überhaupt weiterkommen will, muss man das, glaube ich, noch mal ganz neu wirklich denken. Und da hat das Denken, glaube ich, eine eigene Würde und Kraft auch, denn an der Stelle wird relativ wenig eigentlich gedacht. Und ich will versuchen oder habe es zum Teil ja auch schon versucht in dieser Vorlesung, hier wirklich einen Zusammenhang herzustellen. Man muss die Zwischenschritte vollziehen und wenn man die Zwischenschritte nicht vollziehen will, wird man da auf keinen Fall weiterkommen. Das heißt, was die mystische Dimension betrifft, muss das aus der Erfahrung eigenständig erwachsen, was ja nicht ausschließt, dass dann selbstverständlich auch solche Art von Holismen, wie sie in der Physik zum Beispiel behauptet werden, dann herangezogen werden. Aber sie beweisen es nicht. Es ist ein Wahn, glaube ich, anzunehmen, dass eine wie immer geartete physikalische Theorie, auch wenn sie geschlossen wirkt, Spiritualität beweisen kann. Das ist der Grundirrtum, glaube ich, der immer wieder vollzogen wird. Man sieht eine gewisse Schlüssigkeit, interpretiert diese Schlüssigkeit in bestimmter Weise und glaubt, dass hier ein quasi Gottesbeweis vollzogen ist. Also das ist extrem jetzt.

Newton etwa sah es so, er sah seine Physik als Gottesbeweis, und diese Vorstellung ist alt, und ein Schluss, auf den man immer wieder kommen kann. Er ist aber nicht begründet, weil die wirkliche Tiefenerfahrung dieser Art von Einheit eine ganz andere Ebene betrifft. Man muss einfach sehen, dass es eine vollkommen andere Bewusstseinsebene ist. Und es ist einfach fatal, wenn oben und unten auf diese Weise vertauscht werden. Und, es ist wichtig, die Zwischenschritte sehr genau und behutsam zu vollziehen. Und ich werde das noch in 14 Tagen genauer darstellen. Ich will es aber jetzt kurz andeuten.

In dem Buch „Naturwissenschaft und Religion“ äußert sich Wilber auch zu diesen Fragen einer möglichen Beweisbarkeit spiritueller Überlegungen mittels naturwissenschaftlicher Vorstellung und kommt auch zu dem Ergebnis, dass im Grunde genommen in der Tiefe das naturwissenschaftlich nicht bewiesen werden kann. Was soll denn die Quantentheorie an Spiritualität beweisen? Das kann sie doch gar nicht. Das ist doch absurd, wenn man nicht die Ebenen auseinanderhält. Das ist etwas vollkommen Anderes und schon gar etwas anderes, wenn es nur darum geht, intellektuell, mental diese Dinge zusammenzustellen. Und um überhaupt in den Vorhof, sag ich mal, einer Art von Spiritualität zu kommen, müsste man, was Wilber mit Recht immer wieder hervorhebt, ganz bestimmte Schritte vollziehen, müsste man ganz bestimmte Übungen machen. Es ist ein langer, schwerer Weg, eine Art von Wissenschaft für sich auch, insofern durchaus mit bestimmten Methoden und methodischen Prinzipien. Ein Weg, der gegangen werden will. Und da kann es einem erst mal ganz egal sein, was die Naturwissenschaft dazu meint. Es wäre traurig, wenn Spiritualität abhängig wäre von naturwissenschaftlichen Theorien, die sich häufig genug ja auch ändern.
Wer also sein spirituelles Herz jetzt an eine Theorie hängt, zum Beispiel an diese Art von Quantentheorie, könnte ja bitter enttäuscht werden, wenn in einigen Jahrzehnten sich herausstellt oder vielleicht schon in wenigen Jahren sich herausstellt, dass die Theorie so nicht stimmt bzw. eine sehr vorläufige, unzulängliche Theorie ist. Also, da muss man sehr vorsichtig sein, dass man da nicht zu schnell voranschreitet. Und das will ich einfach mal zu bedenken geben in dem Zusammenhang, gerade weil in fast allen Büchern zu dem Thema genau das Gegenteil behauptet wird. Und da ist Wilber eher eine Ausnahme. Also wirklich, [er] gehört zu den wenigen, die dieses Thema überhaupt in der Schärfe in den Blick genommen haben.


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